Bahrdt/Semler, Glaubensbekenntnisse

1.

[1]
(D.)Doctor Carl Friedrich Bahrdts

[2]

[3] An
92 (Se.)Seine Römisch-Kaiserliche auch in Germanien
und zu Jerusalem (Königl.)Königliche Majestät
allerunterthänigst übergebne
Erklärung
und
Bekenntniß
zufolge
93höchstvenerirlichen Reichshofrathsconclusi
vom 27. Merz 1779.

1,
2,
[4]
[5] Allerdurchlauchtigster,
Großmächtigster und Unüberwind-
lichster Kayser,
auch in Germanien und zu Je-
rusalem König,
Allergnädigster Kayser, König und
94Herr Herr!

(Ew.)EuerEure (Kayserl.)Kayserliche Majestät haben, aus einer vom 95 Reichsbüchercommissarius von Scheben, wegen 96meiner Uebersetzung des Neuen Testaments, unter dem Titel: die neusten Offenbahrungen Gottes, geschehenen [6] 97Anklage, vermittelst eines höchstvenerirlichen Reichshofrathsconclusi vom 4ten Februar 1778 98 (Sr.)Seiner (Churfürstl.)Churfürstlichen Durchlaucht zu Pfalz die 99Einziehung der noch vorfindlichen Exemplarien des gedachten Buchs und dem Büchercommissarius die 100Einholung theologischer Gutachten von Göttingen und Würzburg anzubefehlen, zugleich aber meine 101einstweilige Amtssuspension und die Einstellung alles auf Religion bezughabenden Lehrens und Bücherschreibens zu verordnen, und hierauf, durch ein zweytes Conclusum von 27 Merz (a. c.)anni currentis mit Verwerfung meiner allerunterthänigsten Bitte um Communikation der Klage und Vernehmung meiner weitern Vertheidigung, mich meines Amtes, so mir 102der mit den Episcopal gerechtsamen versehene protestantische Reichsgraf von Leiningen Dagsburg übertragen hatte, und um dessen Fortsezung 103meine Gemeine (Ew.)EuerEure (Kayserl.)Kayserliche Majestät flehentlich gebeten hatte, gänzlich zu entsezen, und mir alles Lehren und Bücherschreiben auf immer zu verbieten, anbey aber, 104sub poena einer gänzlichen Verwei[7]sung aus den Gränzen des (H. R.)Heiligen Römischen Reichs, 105eine über meine wahren und nach dem Vorgeben meiner Kläger hinter so zweydeutige Ausdrücke versteckten Lehrsätze abgefaßte Druckschrift und Bekänntniß der Gottheit Christi und der (H.)Heiligen Dreyeinigkeit, in termino duorum mensium, mir aufzulegen sich allergnädigst bewogen gesehen.

Wie ich nun beyden höchstvenerirlichen Conclusis mich sogleich demüthigst unterworfen, auch mein Amt bereits verlassen, und alles, was mir, 106meiner Gattinn und vier kleinen unerzognen Kindern bisher Quell des Unterhalts und der Verpflegung gewesen war, so gar mein im Gräflichen Leiningischen 107Schlosse Heidesheim mit einem Aufwande von mehr als 6000 (Rthlr.)Reichsthalern errichtetes und von tausend gutdenkenden Menschen gebilligtes Erziehungsinstitut mit dem Rücken angesehen, und ohne alle bestimmte Aussichten, mich 108in ein ander Land gezogen habe; also eile [8] ich nunmehro auch noch diejenige Erklärung und Bekänntniß meiner Lehrsätze, (Ew.)EuerEurer Kayserlichen Majestät zu Füßen zu legen, welche Allerhöchstdieselben von mir zu fodern geruhet haben.

(Ew.)EuerEurer Kayserlichen Majestät großer, durchdringender Geist und erhabnes, huldvolles, gerechtigkeitliebendes Herz, beydes so allgemein verehrt, läßt mich hoffen, daß Allerhöchstdieselben meiner allerwilligste Unterwerfung mit Gnaden und Wohlgefallen vermerken, und meine nachstehende offenherzige Erklärung nach den Gesetzen der Menschenliebe und der christlichen Duldung aufnehmen und beurtheilen werden.

Ich finde mich aber zu einer so offenherzigen und freymüthigen Erklärung jetzo verpflichteter als jemals. Denn wenn ich 109in meinen zeitherigen Schriften, besonders in denen, welche das Unglück hatten, meinen Klägern und Richtern zu mißfallen, mich ja einiger zweydeutigen und nicht genug bestimmten Ausdrücke bedient habe, [9] 110 um der Schwachen zu schonen, und nicht, durch 111übereilte Bekanntmachung meiner Einsichten in Dingen, die nach meiner Ueberzeugung das Wesen der Religion nichts angehen, den Nuzen und Eindruck zu schwächen, den ich durch einen guten Vortrag der mir wesentlichen Religionswahrheiten stiften zu können glaubte; so ist es gegentheils, bey diesem meinem Bekenntniß, unverletzliche und heilige Pflicht, meine Ueberzeugungen frey und ohne alle Zurückhaltung, offenherzig zu entdecken, und meinen allerhöchsten Richtern die reinste Wahrheit aus dem innersten meines Herzens vorzulegen, gewiß, daß (Ew.)EuerEurer Kayserlichen Majestät, den ehrlichen Mann, der mit Muth und Entschlossenheit, erkannte Wahrheit sagt, mit mehr Gnade anblicken werden, als den Heuchler, der, um des Brods willen, seinem Regenten leugt, und mit Verletzung seines Gewissens Menschengunst zu erschleichen sucht.

Ich gestehe also, daß ich schon seit einiger Zeit überzeugt gewesen, es enthalte un[10]ser protestantisches Religionssystem Lehrsäze, welche weder in der Schrift noch in der Vernunft einigen Grund haben und die theils der Gottseeligkeit schaden, theils, durch ihr der Vernunft Anstößiges, die Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung bey Tausenden sind.

112 Unter diese Lehrsätze rechne ich: Die – von der Erbsünde – von der Zurechnung der Sünde Adams – von der Nothwendigkeit einer Genugthuung – von der blos und allein durch den heiligen Geist in dem sich leidend verhaltenden Menschen zu bewirkenden Bekehrung – von der ohne alle Rücksicht auf unsere Besserung und Tugend geschehen sollenden Rechtfertigung des Sünders vor Gott – von der Gottheit Christi und des heiligen Geistes 113im Athanasianischen Sinn – von der Ewigkeit der Höllenstrafen – und einige andere.

Ich habe zwar, wie es von einem Doctore (Theol.)Theologiae 114Augustanae confessionis [11] ohnehin zu erwarten stehet, gegen diese vorgedachten Lehrsätze, – vor dem Volk – (weder im Predigen noch Catechisiren,) niemalen directe gelehret, sondern sie entweder gar übergangen oder doch so davon gesprochen, daß ihr schädliches abgesondert und ihr irriges gemildert worden: (davon meine 115Predigten über die Person und das Amt Jesu ein Beyspiel sind:) folglich bin ich auch noch nie von den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen, sondern habe mit Klugheit und Vorsicht die Gesetze des Staats mit der Gewissensfreyheit zu vereinigen gesucht:fest überzeugt, daß streitige Religionspunkte nie in den 116 Volksunterricht gehören, und daß folglich auch von solchen kirchliches Lehramt verwaltet werden kann, welche von der 117 Systemsreligion in ihren Ueberzeugungen abweichen, dagegen aber desto eifriger an der reinen Christusreligion halten, und dieselbe gründlich vorzutragen wissen.

[12] Ich muß es also nun schon ferner wagen, bey dieser mir zur Pflicht gemachten öffentlichen Erklärung meiner Privatüberzeugungen freymüthig zu gestehen, daß ich die oberwähnten Lehrsätze, nach meiner geringen Einsicht, für schriftwidrig halte und als die Quelle eines doppelten Uebels ansehe.

Einmal empören sie die gesunde Vernunft, und haben so wenig Beweise für sich, daß es kein Wunder ist, wenn zu allen Zeiten, der selbstdenkende und prüfende Theil der Menschen, dieselben anstößig fand, und wenn die meisten davon, um jener Lehrsätze willen, welche die auf ihren Posseß trotzende Geistlichkeit, (die eben nicht immer das Vorurtheil der Gelehrsamkeit, Geistesstärke und der kaltblütigen Prüfungsgabe für sich gehabt hat,) 118die Welt als alleinseeligmachende Glaubenswahrheiten aufdringen wollte, die ganze Religion verwarf. Daher man jene Lehrsätze mit Recht als den Hauptgrund des [13] 119überall einreissenden Unglaubens ansieht, welcher sich von den Höfen bis in die Hütten des ärmsten Volks ausbreitet, und bald alle Religion in der Welt verdrängen wird, wenn dem Uebel durch keine andere als gewaltsame und freyheitkränkende Mittel gesteuert wird.

Und eben so gewiß scheint es mir, daß die meisten der obgedachten Lehrsätze der Tugend und Gottseeligkeit 120Schaden. Denn so bald man die Menschen überredet, daß (z. B.)zum Beispiel a) jeder von Natur und von Mutterleibe an mit allen Neigungen zu allem Bösen behaftet und ein gebohrner Feind Gottes ist; daß er b) zur Befreyung von diesem Elende und zur Besserung seines Herzens und Lebens nichts wirken könne, sondern lediglich den Beystand des heiligen Geistes dazu erflehen müsse; daß Gott c) auch auf alle gute Werke des Menschen und auf allen seinen Eifer in der Gottseeligkeit nichts rechne, sondern 121 Vergebung der Sünden und ewige Selig[14]keit ihm schenke, nicht, wegen seiner Besserung und Tugend, sondern wegen eines für unsere Sünde geschehenen Menschenopfers und wegen der an unserer statt geleisteten Tugend des Geopferten – wenn man, sage ich, die Menschen dergleichen überredet; so ists unmöglich, daß ächte Reue über die Sünde und Abneigung gegen das Laster entstehen kann; so ists unvermeidlich, daß das Herz gegen die Tugend kalt und gleichgültig werde, und aller Eifer der Gottseeligkeit ermatte; und es lehrts auch leider die Erfahrung genug, daß das heutige Christenthum fast alle Kraft zur Heiligung der Menschen verlohren hat, und daß seine Zöglinge in Absicht auf Tugend und Glückseeligkeit oft 122sehr weit hinter einen auch nur gemeinen Heiden stehen.

Ach, allergnädigster Kayser, König und Herr! wie blutet mir das Herz, wenn ich denke, wie werth, wie hochgeachtet das Evangelium Jesu Christi unter den aufge[15]klärtesten Menschen in allen Welttheilen seyn könnte, was für Siege es über Unglauben und Laster erringen, wie ganz anders als bisher es auf die Besserung und Heiligung der Menschen wirken, und was für in die Augen fallende Einflüsse auf Moralität und Glückseeligkeit dasselbe zeigen würde, wenn es von allen Unrath menschlicher Hypothesen und Meinungen gereiniget und zu seiner ursprünglichen Lauterkeit und Einfalt zurückgeführt würde.

O möchten doch (Ew.)EuerEure (Kayserl.)Kayserliche Majestät von Gott auserkohren seyn, alle diejenigen vor der Wuth der Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben an diesem großen Anliegen der Menschheit zu arbeiten, den 123 unübersehligen Wust der Systemsreligion zu untersuchen und das reine Gold der göttlichen und seeligmachenden Christusreligion wieder herauszufinden.

Möchte unter Allerhöchstdero Regierung der Tag anbrechen, da in dem christlichen [16] Europa alle die für Christen gehalten und in den Rechten des Staats und der Menschheit geschützt werden, welche Jesum Christum verehren und seine Lehren befolgen – ohne gezwungen zu seyn, sich 124Kefisch oder Paulisch oder Papisch oder Calvinisch oder Luthrisch zu nennen und auf Menschenwort zu schwören.

Und möchten doch Allerhöchstdieselben geruhen, mit Langmuth und Schonung auf mich unschuldig Verfolgten vom Thron der Majestät herabzublicken, und nun mein Glaubensbekenntniß in Gnaden von mir anzunehmen.

Was ich glaube und nicht glaube.

  • 1.
    Ich glaube, daß ich und alle Menschen Sünder sind, welche der Gnade und Erbarmung Gottes bedürfen. Daß aber dieses (daß wir Sünder sind) uns angebohren sey und daß alle Menschen mit der Neigung zu allem Bösen auf die Welt kommen, [17] daran zweifle ich. Vielmehr scheinen mir die Menschen an ihrem Verderben selbst Schuld zu haben. Denn ich bemerke in ihnen von Natur so viel herrliche Anlagen zur Tugend, so viel angebohrne, edle Gefühle und Neigungen, daß vielleicht nur eine 125andere Erziehungsmethode und von Tyranney und Luxus mehr entfernte Lebensart nöthig wäre, um der Menschheit ihre ursprüngliche Güte wiederzugeben. [“]
  • 2. „Ich glaube, daß der Mensch, so wie er alles Gute Gott zu verdanken hat, auch all sein moralisches Gute, was in ihm ist, der Gnade Gottes schuldig sey. Daß aber Gott die Besserung der Menschen selbst wirke, und der Mensch nichts thue, als Gott stille halte, ist wider die Schrift, und beruhet dieser Irrthum gröstentheils auf dem 126Wort Gnade , welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemisdeutet haben. [“]
  • 3. „Ich glaube, daß uns Gott 127aus blosser Gnade unsre Sünden vergiebt, und daß unsere Tugend und unser Eifer im Guten, da er selbst im Grunde Wohlthat Gottes und mit so viel Mängeln und Unvollkommenheiten befleckt ist, einer ganzen Ewigkeit voll Lohn und [18] Seeligkeit nicht werth sey: Daß aber doch unsere Besserung und Tugend auf der einen Seite die Bedingung sey, unter welcher uns Gott Vergebung der Sünde und ewige Seeligkeit um Christi willen ( (d. h.)das heißt weil er diese Gnadengeschenke allen Tugendhaften durch Jesum Christum verheißen und versiegelt hat) ertheilet, und daß sie auf der andern Seite die natürliche Quelle der höchsten Seeligkeit ist, aus welcher dieselbe von selbst erfolget. Daß aber Gott blos um eines Menschenopfers willen mir meine Sünden vergebe, und um einer fremden Tugend willen die Flecken der Meinigen übersehe, das ist wider meine Vernunft, und habe ich auch nie etwas davon in (h.)heiliger Schrift gefunden. [“]
  • 4. „Ich glaube, daß Gott den Aposteln seinen Geist gegeben hat; daß aber dieser Geist eine dritte Person in der Gottheit sey, davon bin ich nicht überzeugt: vielmehr finde ich in heiliger Schrift keine andre Bedeutung von dem 128 πνευμα αγιων als diese beyden: daß es entweder göttlich gewirkte Gaben, Talente und Kräfte anzeigt, oder das nomen Dei selbst, welcher diese Gaben mittheilt. [“]
  • [19] 5. „Ich glaube, daß Gott in und mit Christo war, und daß wir folglich alle den Sohn zu ehren verbunden sind, wie wir den Vater ehren: allein wie Gott in Christo war, ob 129nach Athanasius Vorstellungsart (welche ich gerade für die schlechteste halte) oder nach Arius oder Sabellius oder eines andern Meynung, das ist für den Zweck der Religion (d. h.)das heißt für die Besserung und Beruhigung der Menschen, sehr gleichgültig, und sollte nie mit kirchlicher Autorität entschieden, sondern jedem überlassen werden, wie er sichs denken will. Indessen scheint mir so viel aus Vernunft und Schrift bis zur höchsten Evidenz erweißlich, daß Christus und der einige Gott Jehovah, den er seinen Vater nennt, sehr verschieden sind, und daß wenigstens Christus nicht in dem nämlichen Sinne Gott heisse, in welchen es der einige Gott Jehovah heißt; wie er sich denn selbst über diese Benennung 130 Joh. 10. deutlich und ehrlich genug erklärt hat; wenn er denen, die ihm Gotteslästerung vorwarfen, sagt: – Wenn die Schrift alle die Gott nennt, προς ους ο λογος θεου εγενετο , (d. h.)das heißt die göttliche Aufklärungen zu Belehrung der Menschen erhalten haben, wie könnte ich mir über diese Benennung ei[20]nen Vorwurf machen, 131(ον ο πατηρ ηγιασε ) da mich der Vater so ganz besonders ausgezeichnet hat. [“]
  • 6. „Daß für Christen der Glaube an Jesum Christum die unausbleibliche Bedingung der Seeligkeit sey, ist unleugbar. Allein daß sich diese Verbindlichkeit auch auf die 132 Nichtchristen erstrecke, halte ich für unvernünftig, unmenschlich und schriftwidrig. Und 133daß dieser Glaube in einer Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi bestehe, halte ich für eben so falsch. Wenigstens steht im neuen Testament so wenig von diesem Begrif des Glaubens, daß es mir ein Räthsel ist, wie die Lehrer der Kirche je haben drauf fallen können. Der Glaube an Christum ist Annehmung und Befolgung der Lehre Jesu, und festes Vertrauen auf seine mit seinem Tode besiegelten Verheißungen einer künftigen Seeligkeit der Tugendhaften. [“]
  • 7. „Daß Gott alle Tugendhafte in einem andern Leben höchstseelig machen werde, glaube ich; daß er aber eben so geneigt sey, die Bösen in alle Ewigkeit zu martern und dem Teufel zu übergeben, glaube ich nicht. Denn er selbst sagt: 134ich bin ein eifriger Gott, der über [21] die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied , aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, denen thue ich wohl bis ins tausende Glied. Daraus schliesse ich gegen die, welche Gott gern eben so strafgierig als gütig machen möchten: wie sich verhält 4 gegen 1000, so verhält sich Gottes Neigung zu strafen, gegen seine Neigung zu belohnen. [“]
  • 8. „Daß es Engel und Teufel giebt, mag wahr seyn: Daß sie aber das sind, wofür das Kirchensystem sie ausgiebt – daß sie leiblich die Menschen besizen, daß sie sich als Gespenster zeigen, daß sie in die Seelen der Menschen wirken, und böse Gedanken und Vorsätze hervorbringen können, dazu habe ich nie einen hinreichenden Grund gefunden, es zu glauben. [“]
  • 9. „Daß die göttlichen Schriften neuen Testaments göttliche Belehrungen der Menschen zur Glückseeligkeit enthalten, denen wir alles Vertrauen und allen Gehorsam schuldig sind, davon bin ich gewiß; daß aber 135Gott alle in diesen Schriften enthaltene Worte eingegeben habe, davon habe ich noch nie einen befriedigenden Beweis gelesen. [“]
  • 10. „Daß alle Christen die Religionslehren der Schrift, welche ohne Kunstauslegung darin[22]nen zu finden sind, zu glauben und zu befolgen verbunden sind, ist gewiß, daß aber der Kirche, (darunter ich mir doch eigentlich nichts als 136den großen Haufen {plurima vota} der Geistlichkeit denke, die, wie schon oben gesagt worden, zu keiner Zeit das Vorurtheil der tiefen Einsicht, Gelehrsamkeit und unpartheyischen Prüfungsgabe, gehabt hat) das Recht zustehe, mir, aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte Lehren und Begriffe aufzudringen, das glaube ich nicht. Wenigstens wäre dieß ganz wider die Grundsätze des 137 Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit dem Catholicismus gleiche Herrschaft und Rechte behauptet. Denn nach diesen Grundsätzen bin ich in Absicht auf meinen Glauben an keines Menschen Ansehn gebunden, sondern habe das Recht, 138alles zu prüfen, und nur das zu behalten, wovon ich mich aus Gottes Wort überzeugt fühle. Und dieses Recht erstreckt sich bey protestantischen Lehrern noch weiter als bey gemeinen Protestanten. Denn als ein solcher bin ich ein Theil der repräsentirenden Kirche, und bin daher nicht nur verpflichtet, die Lehrsätze meiner Kirche zu prüfen, sondern auch das Resultat meiner Prüfung, wenn [23] es von Wichtigkeit ist, meinen Glaubensbrüdern vorzulegen, wie ich bisher in einigen meiner Schriften gethan habe, auch fernerhin thun werde, und in diesem meinem öffentlichen Bekenntniß jezt zum erstenmale vor dem allerhöchsten Richterstuhle thun zu können, gewürdiget werde. [“]

(Ew.)EuerEure (Kaiserl.)Kaiserliche Majestät gestatten mir allergnädigst, nun dieser meiner Erklärung und Bekenntniß nur dieses einzige noch hinzuzufügen, was in der That der allergrößten Aufmerksamkeit werth ist: daß es mir höchstwahrscheinlich ist, es sey dieß zugleich das Bekenntniß eines sehr großen und ansehnlichen Theils der deutschen Nation.

Tausend und aber Tausend denken so wie ich; nur daß sie keine Gelegenheit oder Verbindlichkeit oder auch nicht genug Freymüthigkeit haben mögen, es laut zu sagen.

Tausend und aber Tausend wünschen, sehnen sich mit mir, nach Reforme, nach Freyheit – weil sie sehen, daß diese Freyheit das sichere und entscheidende Mittel seyn [24] werde, den Sieg der Religion Jesu allgemein zu machen, allen Unglauben zu beschämen, und in kurzem eine 139allgemeine Verbrüderung aller Religionspartheyen zu stiften.

Tausend und aber Tausend flehen mit mir um die 140 Rechte der Menschheit und des Gewissens, und stimmen in meine allerunterthänigste Bitte, daß (Ew.)EuerEure (Kayserl.)Kayserliche Majestät, mit 141Zuziehung der Stände des Reichs, ein Mittel ausfindig machen möchten, wodurch die beyden Stüzen der öffentlichen Glückseeligkeit – Gewissensfreyheit und Kirchenfriede – vereinigt und in ewiger Verbindung erhalten werden könnten.

Ich ersterbe in allertiefster Submission

(Ew.)EuerEurer (Kayserl.)Kayserlichen Majestät

allerunterthänigster Knecht,
(D.)Doctor [Carl] Friedrich Bahrdt.
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,

2.

[I]
(D.)Doctor Joh. Sal. Semlers

Halle,
im Verlag der 142 Hemmerdeschen Buchhandlung, 1779.textgrid:3rnn5
[II]

[III]

Es ist wol nicht nötig, mich weitläuftig und künstlich erst zu rechtfertigen, daß ich auf das 143 bahrdische Glaubensbekentnistextgrid:3rnj8 eine öffentliche Antwort ertheile. Ich wil also auch nicht umständlich anfüren, daß ich von mehrern dazu ersucht worden bin; die nicht sowol erst erfaren wolten, ob ich auch unter den 144angeblichen Tausenden seie, welche eben diese Lehrsätze vorziehen, und sogar eine neue algemeine Religionsform zu wünschen für wichtig halten; als vielmehr hoffeten, daß ich zu einer ehrlichen Untersuchung und eben so freien [IV] Beurtheilung ganz gewis bereit und willig seyn würde; wonach allerdings kein unansehnlicher Nutzen für unsre Zeitgenossen in mehr als einer Absicht, zu erwarten seyn könte. Eben so freie Beurtheilung des Bekäntnisses, ohne Zurückhaltung, muß doch wenigstens eben sowol auf unserer Seite rechtmäßig heissen: als der (Hr.)Herr Verfasser sich eine in der That sehr grosse Freiheit erlaubet hat. Alle billigen und noch unparteiischen Leser werden es also nicht übel deuten, daß gerade ich, hier, 145an eben dem Orte, meine Beurtheilung öffentlich bekant mache, wo sich der (Hr.)Herr Verfasser für jetzt aufhält; es konte dis in mehr als einer Rücksicht wirklich vortheilhaft oder nötig heissen, da ohnehin manche seltsame Gerüchte sich ausgebreitet haben, denen man sogar eine furchtbare Stellung oder einen solchen Zusammenhang geben wolte, der 146unserer Universität nachtheilig heissen solte. Je gewisser es ist, daß eine rechtmäßige wünschenswerthe 147 Toleranz bey uns, und besonders, [V] was unsere theologische Lehrart betrift, sich schon lange ausgezeichnet hat, vor vielen andern teutschen Universitäten, wenn auch ich insbesondre schon eben so lange von manchen Eiferern übel und unfreundlich darüber beurtheilet worden bin: desto ausgemachter ist es wol auch, daß niemand unter uns den (Hrn.)Herrn Verfasser um dieses Uebertrits willen zur 148 socinianischen Partey, zu drücken und zu verfolgen gesonnen seie; wir behalten alle Menschenliebe und Achtung, die wir in änlichem Falle uns je wünschen mögen. Indessen wird auch dis 149kein Beweis einer Verfolgung heissen können, wenn man geradehin und öffentlich dieses Bekentnis historisch unrichtig, unzuverläßig, und in Absicht des geäusserten Widerspruchs wider 150die augspurgische Confeßion, und wider alle feierliche Grundsätze der 151drey Religionsparteien im römischen Reiche, ungegründet nent; auch die Wünsche für eine ganz andre Vereinigung dieser drey Parteien, durch eine 152vierte Religionsform, als [VI] unthunliche, und unnötige, übereilte ansiehet. Gerade diese Freiheit, solchen öffentlichen Aufsätzen, eben so öffentlich zu widersprechen, gehört noch mehr zu den Rechten dieser Kirchen, als zu der Pflicht, die man der Untersuchung des Wahren, oder vorzüglich Wahren schuldig ist. Wenn also sonst es unsern höchsten Obern nicht zuwider ist, und sie es der öffentlichen Geselschaft nicht nachtheilig erachten: wird es mir und andern öffentlichen Lehrern gar nicht entgegen seyn, daß der (Hr.)Herr Verfasser nun mit mehrern sich über seine übereilte Sätze und Aufgaben, oder Behauptungen, gelegentlich erklärt; damit auch andre Zeitgenossen Gelegenheit haben, Gründe von beiden Seiten zu lesen und zu beurtheilen; so wenig auch, auf Seiten des (Hrn.)Herrn Verfassers irgend etwas neues vorgebracht worden ist oder werden kan.

Ich wil mich hier nicht insbesondre darüber heraus lassen, daß ich alle Entwürfe ei[VII]nes algemeinen Systems, oder Lehrbegrifs für alle Christen, ganz und gar für ungegründet halte; es ist meine Beurtheilung, der ich mich nicht schäme; indem solche Entwürfe stets local sind und bleiben; aller gute Unterricht aber darauf mitgehet, den fähigen Zeitgenossen in Absicht eigener Einsichten und Urtheile beförderlich zu seyn; folglich ihre Gewissensfreiheit in immer grössere Uebung zu setzen; und nun werden diese wol aus ihrer eigenen Erfarung wissen, wie es mit eigenen Erkentnissen zugehet, und werden niemanden, der mitdenken kan, ihre moralische Geschichte oder ihre Einsicht aufdringen. Mit vieler Aufmerksamkeit habe ich daher stets Studiosos Theologiä davon zu überzeugen gesucht, daß sie die Mannichfaltigkeit und Ausdenung der moralischen Welt, nach Ost und West, Süden und Norden, nach allen Strichen und Climatibus, und die Mannichfaltigkeit aller ihrer Veränderungen hinlänglich überdenken, und danach ihr Lehramt gewissenhaft und mit [VIII] Zuversicht einst füren möchten. Alles, was zur eigentlichen Theologie gehört, seie Vorbereitung zu ihrer besondern Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit; beides müsse sie, als Lehrer, von den andern Zeitgenossen gar sehr unterscheiden. Alle geschickte und gewissenhafte Lehrer aller drey grossen Kirchenparteien kämen darin überein, daß die eigentlichen unmittelbaren Grundartikel des christlichen Glaubens, oder der christlichen Religion, wie sie eine christliche Fertigkeit und Glückseligkeit gewähret, allen Parteien wirklich gemein seien und bleiben, obgleich in sehr verschiedenen Gesichtspuncten; und darauf gründe sich theils eine wahre Verträglichkeit und redliche geselschaftliche Verbindung, theils auch die feierlichen öffentlichen Religionsrechte, nachdem man der 153 Unionsarbeiten müde geworden. Die besondern Bestimmungen, in sogenanten 154 symbolischen Büchern seit dem 16ten Jahrhundert, beschrieben die jetzige wirkliche Verschiedenheit aller dieser Christen, [IX] in Absicht der bey ihnen, wirklich eingefürten, localen Denkungsart und Lehrart; mit ausdrücklicher neuen äusserlichen Verbindung einer jeden solchen besondern Religionspartey. Diese äusserliche Verbindung beruhe auf den obrigkeitlichen Rechten, und könne in Absicht des einheimischen Gebrauchs und Verhältnisses so und so von der Obrigkeit und Kirchengeselschaft streng fortgesetzt, oder aber etwas abgeändert werden; wenn sie gleich in dem ersten Verhältnis, gegen Juden und Heiden, und gegen gewesene Kirchengewalt der Päbste, ein für allemal unveränderlich bleibe. Unter dieser Anleitung bleibe das noch so verschiedene Gewissen der Christen ungekränket und unbeeinträchtiget; die Abwechselung der historischen Erkentnis frey und vor GOtt unsündlich; entstehende Zweifel würden leicht gehoben, oder so weit zurück gesetzt, daß sie den Christen nicht in moralische Gefar und Unordnung füren könten. Ein Lehrer könne also, ohne geradehin gleichgültig oder gottlos zu denken, gar [X] wohl einsehen, daß 155auch Socinianer, Arianer, Sabellianer wirklich zu Christen gehörten, und keinen Haß oder Abscheu um der Religion willen bey andern Christen verdienten; ob sie gleich in der öffentlichen Geselschaft der im Staate grössern oder schon aufgenommenen Partey, eben so wenig mit diesen Christen einerley äusserliche Rechte hätten und haben könten, die ihnen auch Gewissens wegen gar nicht nötig seien, als Juden und Muhammedaner, und heidnische Völker, die auch christliche Unterthanen seyn könten. Diese meine Lehrart ist so wenig der Intoleranz bisher beschuldiget worden, daß ich vielmehr häufig nachtheilige und widrige Urtheile mir damit zugezogen habe. Ich fürchte also nicht, daß meine Antwort an sich selbst als ein Beweis der Intoleranz mit einigem Schein möge angesehen werden; da es zu den im römischen Reich ausgemachten Rechten aller drey Parteien, also auch der lutherischen Kirche gehört, über ihre symbolischen Bücher und Lehrschriften von Zeit zu Zeit schriftliche Er[XI]läuterungen, Bestätigungen und Vertheidigungen öffentlich drucken zu lassen; wodurch Lehrer und Mitglieder gewis sind, daß sie noch zu derselben äusserlichen Kirchengeselschaft gehören, und ihre feierlichen Rechte behaupten. Desto besondrer ist mein Schicksal, daß mich manche so leicht zu ihrer Partey rechnen; zu einer Partey, die von vielen für eine neue, gleichsam aufwachsende bessere Geselschaft angesehen wird, weil sie die augspurgische Confeßion nicht behalten, sie für ein Hindernis einer Universalreligion, und die Wünsche und Beförderungen für diese Universalreligion, als ein grosses Verdienst um die ganze Menschenwelt, ansehen und anrechnen. So setzte mich erst vor kurzem 156 (Hr.)Herr Lavater, in grossem heftigen Eifer, auf der letzten Zürchischen Synode in eine Klasse mit (Hrn.)Herrn Steinbart; und beschrieb mich vornemlich, als einen arglistigen höchst gefärlichen 157 Naturalisten. Andere aber glaubten schon lange, ich wäre doch wol ein Socinianer, oder [XII] Arianer, (manche denken noch dazu, es seie, beides beisammen, desto ärger; um mich desto gräulicher zu beschreiben.) Ich bin aber weder ein Naturalist, was es auch für grosse Ansprüche auf Einsicht begreifen mag; noch ein Socinianer oder Arianer; ich bin ein ehrlicher treuer lutherischer Professor, der seinen 158 Eid zu bereuen oder zu brechen gar keine Ursache hat; es mag manchem lieb seyn oder nicht. Ich lehre und schreibe mit und in gutem Gewissen, und bestrebe mich, daß mein Leben und Wandel auch selbst gut christlich seie und andern nützlich werde. Ich denke, wenn unter allen Parteien alle Lehrer und Mitglieder ebenfals ein gut christlich gemeinnütziges Leben beweisen: so wäre dis für sie alles, und für andre so viel, daß niemand Ursache hätte, die Unarten und wissentlichen Laster der Menschen, in der Religionslehre zu suchen; worin der (Hr.)Herr Verfasser dieses Bekentnisses ganz gewis sich völlig irret; und wie ich hoffe, den grossen Irtum geständig seyn wird.

[XIII] Ich kan aber diese Vorrede nicht schliessen, ohne 159unsre und alle Studiosos Theologiä öffentlich mit aller Aufrichtigkeit und Herzensöfnung zu ermahnen, wie ich es so herzlich gerne, und ohne Affectation, bey aller Gelegenheit in Vorlesungen thue: daß sie des Berufs ja wohl wahr nehmen mögen, in den sie einwilligen, wenn sie sich zum öffentlichen Lehramt für unsre Zeitgenossen zubereiten lassen wollen. Schon 160 Epictetus sahe das Lehramt eines Philosophen für so wichtig an, daß er forderte: ein solcher muß eine so grosse Sache ja nicht ohne GOtt sich vorsetzen; er muß sich durchaus immer mehr übertreffen; er ist ein Bote GOttes, der den Menschen bekant machen sol, in was für grossen Irtümern sie stecken – er muß alles durch sein gutes Beispiel klar machen; sein Gemüt muß reiner seyn als die Sonne – Wie groß! wie stark gesagt! 161Mag Epictet, wie manche glauben, dis aus der christlichen Forderung und Belehrung entlehnet oder gelernet und selbst aufrichtig gebil[XIV]liget haben; unter Christen muß die Anforderung an einen, der ein christlicher öffentlicher Lehrer werden wil, wahrlich doch nicht geringer seyn. Der gewisse Einflus GOttes, der die christliche Religion in der Welt zu einem besondern Mittel grosser Absichten gebrauchet, lebendige starke Vorstellung davon, muß den Jüngling bewahren für aller sinlichen Unordnung und Zerrüttung, für schändlicher Wollust und Frechheit, für aller Verunreinigung des Gewissens in Werken der Finsternis! Wo wil sonst der Mann entstehen und gebildet werden, den der Lehrer an sich untadelhaft zeigen muß, 162wie Paulus forderte, er muß ἀνεπιληπτος seyn. ἀνεπιληπτος fordert alle Zeitgenossen, alle Bekanten, alle Freunde auf, die unserm Leben auf der Universität und in der Geselschaft zugesehen haben. Wie klug, wie bedächtig muß alle Zeit eingetheilet werden, um den ganzen Grund einer solchen Gelehrsamkeit und moralischen Ordnung so gewis zu legen, als zur Festigkeit des Charakters und des würdigen Ver[XV]haltens nötig ist! Wie selbst bekant muß man seyn mit den wirklichen moralischen Folgen der gesunden Ueberlegung und treuen [Betrachtung] der christlichen Wahrheiten, um diese grosse so nötige Erfarung nicht selbst zu entberen, und nicht auf Mittel einst zu fallen, sich fortzuhelfen, welche weder 163 Socrates noch Epictet sich verstattet oder zu gute gehalten hätten; um nicht sich wiegen und wägen zu lassen von allerley Wind der Lehre. Wer die Universitätszeit nicht volkommen zweckmäßig anwendet, und für Kopf und Herz so sorget, als es einst die redlichen Zeitgenossen voraussetzen: wird zu spät seinen Trost oder Beystand aus Büchern oder Zufällen suchen.

Und nun wünsche ich, daß Studiosi Theologiä, da sie jenes neue Glaubensbekentnis gelesen haben, auch mit eignen Nachdenken meine Antwort lesen; ihre gewissenhafte Beurtheilung üben, ohne sich zu übereilen, um mit reinem guten Gewissen einst treue fruchtreiche [XVI] Lehrer der protestantischen Kirche zu seyn und zu bleiben; selbst 164 himmelfest gewis davon, daß sie nicht 165 ‘Heuchler sind, die ums Brots willen ihrem Regenten lügen, und mit Verletzung des Gewissens Menschengunst zu erschleichen suchen’; wie in diesem Bekäntnis sehr unbilliger und unglimpflicher Weise andere Lehrer beschrieben werden, die nicht so ungewis und wankend in ihrer gelehrten Einsicht zu seyn Ursache haben, als dessen (Hr.)Herr Verfasser haben muste. In dem Falle, worin ich bin, und ein jeder treuer Lehrer ist, der seiner Religionsgeselschaft nicht lügen wil, ist an Menschengunst nicht zu denken; da gilt kein schleichen oder erschleichen; wir wollen nicht schleichen und heucheln, 166 οὐκ ἐσμεν ὑποστολης. Halle den 17ten Aug. 1779.

(D.)Doctor Joh. Sal. Semler.
1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,

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Ohnerachtet es keinen sonderlichen Zusammenhang und Einflus haben kann, auf den richtigen Verstand und die billige Aufname dieser kleinen Schrift, unter was für Umständen und Gründen ich mich entschlossen haben möchte, sie drucken zu lassen: so halte ich doch dafür, es werde den meisten Lesern sogar lieb seyn, wenn ich auch hiervon einige Nachricht mittheile. Ueberhaupt ist gar nicht die bahrdische Schrift selbst, in Absicht meiner, von einigem wichtigen Zusammenhange, der mich dazu gleichsam bringen könte; wenn ich gleich mich gar wohl erinnere, in der letzten Zeit, als der (Hr.)Herr Verfasser noch in 168 Heidesheim war, unvermutet ein kurzes Schreiben von ihm erhalten zu haben, worin die so unangenehme Lage angezeigt war, welche nach dem kaiserlichen Reichshofrathsconcluso entstehe, und eine baldige [2] Entfernung mit sich bringe. Zugleich wurde darin angezeiget, daß der (Hr.)Herr Verfasser sein Glaubensbekentnis werde drucken lassen, worin solche Aeusserungen vorkämen – 169Ich habe sogleich wieder geantwortet, und meine grosse Befremdung geäussert, über eine so unerwartete Entschliessung; und dawider kürzlich vorgestellet, daß ja die ganze ehemalige Uneinigkeit der christlichen Parteien über die Vorstellung von Christo damalen und nur daher entstanden seie, als die wirklichen christlichen Urkunden oder die Schriften der Apostel noch nicht beisammen gewesen, die wir nun alle haben; wonach eben, nach allen diesen Schriften, die Lehrsätze der katholischen Kirchen, in Absicht ihrer Lehrer und Diener, wider andre Parteien abgefasset und fortgesetzet worden – daß manche vorige Schriften dem (Hrn.)Herrn Verfasser die Gestalt der Heucheley, und dieser öffentliche Schritt, die vorher nicht erwiesene Anklage und Beschuldigung ganz klärlich wahr machen würde. Ich würde unter den ersten seyn, welche Gegner einer solchen Schrift abgäben, und beiläufig habe geäussert, daß es eine ganz andre Frage wäre, ob der kaiserliche Reichshofrath Recht habe, in solchen protestantischen Kirchensachen sich auf diese Art einzumischen; welches ich stets leugnen würde, wie dergleichen Benehmen oder Betragen schon lange unter Religionsgravamina gebracht und stets von Protestanten mit Recht widersprochen worden *). Bald nachher erschien dieses Be [3] kentnis im Druck; der (Hr.)Herr Verfasser traf hier in 173 Halle ein, ohne daß wir, ich wenigstens, davon etwas gewust haben. Er besuchte mich; ich bedaurete die Veranlassung dieser Erscheinung, und wünschte, daß sich im Königreiche Preussen, oder in andern Staaten, die mit dem teutschen Reiche in nähern Zusammenhange nicht stün[4]den, ein Platz finden möchte, für seine sonstigen Talente – Ich gab zu erkennen, daß es hier, (wo eine lutherische der augspurgischen Confeßion zugethane Universität ist,) grosse Schwierigkeiten eines steten und erleichterten Aufenthalts geben würde, auch was das vorhabende Lesen betrift. Indes schlug ich einige nützliche Arbeiten nochmals vor; 175eine eigene gute Lebensbeschreibung; 176Uebersetzung aus dem Philo,177 Eusebii Vorbereitung (etc.)et cetera Nach einiger Zeit habe ich diesen Zuspruch noch einmal gehabt; und einige Hefte von dem Anfang einer Lebensbeschreibung gesehen, die mir allerdings fruchtbar und gemeinnützig vorkamen; nur an zwey Orten etwa habe ich einige lateinische Anmerkungen geschrieben. Bey der übrigen Unterredung, wo ich darauf bestand, der historische Verstand solcher Stellen, von Christo, könne der gleichzeitigen vielen Zeugnisse wegen, nicht geleugnet werden, nach aller meiner Einsicht; ein anders seie, ob ein Socinianer ihn für sich, bejahe und selbst auch annehme; ein anders aber, ob es dort der historisch erweisliche sensus seie, wurde der Zweifel vorgebracht, ob auch wol der [5] 178erste Anfang des 1sten Kapitel Johannis ächt seie? da antwortete ich: es seie für mich gar kein Zweifel da; aus der ganzen alten Kirchengeschichte wüste ich gar keinen Wink davon aufzufinden; und wenn ich selbst 179die sogenanten Aloger als eine Partey wolte gelten lassen: so seie doch ihre Behauptung geradehin aufs ganze Buch, und nicht auf einige Verse des ersten Kapitels gegangen – Indessen wurde in der Stadt unter Studiosis immer mehr geredet, von öffentlichen Lectionibus, die der (Hr.)Herr Verfasser des Bekäntnisses bald anfangen werde, wozu er auch ein Auditorium schon suche; wogegen ich ohne Zurückhalten bey aller Gelegenheit äusserte, daß ich nicht glaubte, daß dazu würde die 180nötige Erlaubnis ertheilet werden. Ich wurde darauf vom 12ten (Jul.)Juli an 181 Decanus, und da wurde mir 182von einem hiesigen Buchdrucker ein geschriebenes Avertissement vorgezeiget, zur Censur; worin auf ein grösseres Werk, zur Bestätigung dieses Bekäntnisses Pränumeration gesucht, und 4000 Exemplarien im Druck zu liefern versprochen wurde. Ich schrieb, nach Communication mit der Facultät, mit eigner Hand darauf, daß dieses und dergleichen Avertissement, und noch mehr ein solches Werk, hier nicht mit unserer Censur gedruckt werden möge.

In allen diesen Umständen würde ich noch nicht für nötig geachtet haben, mich öffentlich über dis Bekenntnis, dessen Inhalt ohnehin sehr mangelhaft und unbedeutend ist, herauszulassen; wenn nicht mehrere Briefe von Auswärtigen, und manche von sehr erheblichen Inhalte, mich gleichsam mit Augen sehen liessen, wie nachtheilig dieser von Auswärtigen so ungleich erzälte und beschriebene Aufenthalt nun beurtheilt würde, wie man so gar mich selbst mit unter diejenigen zälen wolle, von denen Seite 23. stehet: 183Tausend und aber Tausend denken so wie ich; nur daß sie keine Gelegenheit oder Verbindlichkeit, oder [6] auch nicht genug Freimütigkeit haben mögen, es laut zu sagen.’

Nun muste ich auf einmal mich entschließen, dieser Vermutung, welche man wirklich gar zu gerne ausbreiten möchte, öffentlich zu widersprechen, und zu zeigen, daß ich allerdings Freymütigkeit und Verbindlichkeit ganz gerne vereinige, damit die Kirche, zu deren academischen Lehrern ich so viele Jahre gehöre, wenigstens mich nicht unter diese angeblich vielen Tausende zälen möge, die so leicht den ganzen untreuen Inhalt dieses nicht augspurgischen Bekenntnisses, und so gar den seltsamen Wunsch billigen und genemhalten sollen, 184 ‘daß (kaiserl.)kaiserliche Majestät mit Zuziehung der Stände des Reichs ein Mittel ausfindig machen möchten, wodurch die beiden Stützen der öffentlichen Glückseligkeit, Gewissensfreyheit und Kirchenfriede – vereinigt und in ewiger Verbindung erhalten werden könnten.’

Ich gestehe es gerne, ich habe mich nicht so viel gewundert über den so sehr unrichtigen und schlechten Inhalt des Bekenntnisses selbst, indem es der augspurgischen Confession und allen öffentlichen Religionsurkunden widersprechen soll; als über diese Aeusserung, die ich, bey allem Gutmeinen, doch für ganz und gar ungegründeten Einfal halten muß, ich mag auf innere oder äussere Gründe eines so sonderbaren und unerwarteten Wunsches sehen. Ich glaube, und erkenne es mit recht vielen meiner Zeitgenossen mit lebhaftester dankvollen Empfindung, daß wir weder an Gewissensfreiheit noch an Kirchenfrieden Mangel haben; nachdem die geheiligten Grundgesetze über den öffentlichen Religionsfrieden schon so viele lange Zeit, und zumal jetzt, in den gerechtesten Händen so unvergleichlicher höchsten Regenten, öffentlichen Friede und Sicherheit und gegenseitige Rechte so aufrichtig gewären, daß auch Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit überall so glücklich genossen und genützt werden kann. Ich verstehe Gewissensfreiheit als ein heiliges Recht eines einzel[7]nen Menschen, der über die Urkunden der christlichen Religion oder die heilige Schrift, und die daraus gemachten Bekenntnisse, selbst nachdenken wil, um seinem Gewissen zu folgen; der sich also aus den daseienden so vielen Lehrbüchern selbst den Stof und Inhalt seiner eigenen christlichen Erkenntnis zusammen setzen, und mit ganzem Herzen sie nun ausüben will, weil er kann. Ich brauche nicht zu erzälen, daß er in allen drey öffentlichen Religionen, sich zu der besondern Partey darin wenden kann, welche ihm am meisten mit der Lehre Jesu, und mit gewisserer eigner Vollkommenheit und Erbauung, einzustimmen scheinet; er kann 185 Jansenist seyn und ein strenger Schüler Augustini; er kann zur Gegenpartey gehören; er kann die practische Religion aus 186 Speners oder andern Schriften, gar aus 187 Böhmen, 188 Dippel, 189 Herrnhut (etc.)et cetera für sich annemen; er kann ein Arianer, Socinianer, – seyn; ja gar, wenn er sich dazu verbunden achtet, ein Jude werden; nur muß er in den letzten genannten Parteien diese seine eigenen Gewissensrechte nicht weiter ausdehnen, und nicht in öffentliche, die der ganzen besondern Gesellschaft gehören, verwandeln. Er kann sich von der herrschenden Landesreligion gar lossagen; er mus aber ihre Rechte nun sich nicht zueignen, indem er alsdenn sichtbar die Gewissensfreiheit mit der äußerlichen Freiheit, die zu dem Staat und zur Gesellschaft gehört, verwechselte. Noch weniger muß er sich anmaßen, das kirchliche eingefürte Staatsrecht abzuändern, und in die gesetzgebende höchste Gewalt, in Ansehung der öffentlichen Kirch- und Lehrverfassung, mit seinen Forderungen eingreifen. Wer dis thut, muß nicht sagen, daß er es aus Gewissensfreiheit zu thun recht hätte; denn dis sind Gegenstände, die sein Gewissen und sein Verhältniß gegen GOtt, gar nicht anrüren können; so wenig als ein Unterthan seine ihm so gewis versicherte Freyheit über seinen rechtmäßigen Kreis ausdehnen darf. Ich kann also nicht einsehen, mit was für historischen oder sonst wahren Grun[8]de, der Herr Urheber des Bekenntnisses, öffentlich versichern und vorgeben möge: 190 ‘Tausend und aber tausend flehen mit mir um die Rechte der Menschheit und des Gewissens –’

Ich gestehe es nochmals, ich kann nicht den geringsten wahren Grund hievon einsehen. Rechte der Menschheit felen uns im teutschen Reiche! welche übertriebene Sprachart! Hat die Menschheit alsdenn Anspruch auf die christliche Religion, wenn ein einzelnes gewesenes Glied einer bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft sich öffentlich aufstellet, und wider diese öffentliche Gesellschaft, zu ihrer abermaligen Beunruhigung, jene alten, längst dem eigenen Gewissen freistehenden, Begriffe und Lehrsätze so beschreiben will, daß es selbst eine Lehrformel einer algemeinen Verbrüderung aller Religionsparteien öffentlich zu empfelen sich herausnimmt? Sind Wünsche für eine solche Reforme, aus dem Rechte der Menschheit zu rechtfertigen? Kann das Gewissen wol mit Recht sich anmassen über andere Gewissen, und über die öffentliche Regierung der christlichen Staaten, eine Vorschrift zu entwerfen? Ich habe noch nie dergleichen Behauptung gesehen, und von ihrem Grunde kann ich nichts finden. Wenn wir die Historie fragen: so belehret sie uns schon lange über solche Projecte; daß gar nicht zu erwarten ist, es werde irgend ein Staat seine guten Unterthanen in solche ganz unmögliche Aufgaben einleiten lassen. Alle Religionsparteien sind schon so weit verbrüdert, als es mit dem Staat bestehen kann, als es die Menschheit erfordert; es beruhet aber diese Beschreibung, daß eine algemeine Religionsverbrüderung, so gar in kurzem, gestiftet werden könne und solle, auf einem sehr großen Vorzuge von Einsichten und Urteilen, die manche Liebhaber von neuen Vorschlägen sich sehr leicht anmassen, aber keinesweges aus den Rechten der Menschheit und des Gewissens rechtfertigen oder empfehlen können. Wenn jeder Christ und Unterthan gewissenhaft seinem Berufe folget: so hat er so [9] viel zu thun, daß er sich um eine algemeine Religionsverbrüderung schwerlich eher bekümmern, oder die Zeit darauf verwenden wird, bis es ihm von den Schutzherrn der Religionsparteien aufgetragen wird. Es ist gar wohl glaublich, daß es manche gutmeinende Zeitgenossen giebt, die eine äußerliche Vereinigung aller Parteien sich vorstellen, sie wünschen und für thunlich halten; aber ob ihnen wirklich die Menschheit und Gewissen einen Beruf dazu gebe, müssen sie nicht eigenliebig allein entscheiden wollen. Lange genug hat man in und seit dem 16ten Jahrhundert an dieser äußerlichen Vereinigung, und zwar nur der 3 größern Religionsparteien in Teutschland oder Europa gearbeitet; aber die weisesten erfarensten Männer haben endlich eingestanden, daß es an innerer und äußerer Obliegenheit wirklich ermangele; daß Frieden und feierliche gegenseitige Versprechung der Regenten, Schlüsse über die äußerlichen Religionsrechte, alles und das einzige seien, was mehrere Staaten einander deshalb gewären können. Ich gestehe es, daß diese Zeitgenossen, welche so liebreiche Projecte machen, für sich ihre Gedanken frey haben; sie können sich vergnügen, über den eingebildeten Erfolg und über größern Segen oder Wohlfart der Menschen; aber wer mehr sich anmaßet, mus nun nicht sein Gewissen oder Rechte der Menschheit vorschützen; er tadelt die höchsten Regierungen, und schmälert das Zutrauen ihrer Unterthanen, und darum bleiben solche Schriften landesherrlicher Hoheit und allen Obern unterworfen, welche den äusserlichen Religionszustand ihrer Unterthanen, nach ihren Einsichten, besorgen. Wir werden es aus dem Erfolge, aus der Aufnahme sehen: ob Landesherren solche Schriften bey einer vorgeschlagenen ganz neuen Kircheneinrichtung so oder so weit zum Grunde legen. Wenn sie es nicht thun: sollen sie alsdenn solchen Bitten die Rechte der Menschheit und des Gewissens versaget haben? Dieser ganze Vortrag ist höchstens mit einem Affect und einer Aufwallung zu entschuldigen.

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Ich übergehe bedächtig manche Stellen, bey deren Abfassung sich manches eben so wohl sagen lies, was eine bessere vorsichtigere Einrichtung betrift; und will mich nun blos an das Bekenntnis selbst halten, und nach meiner Einsicht das entgegen setzen, was für mich und andre mehr Grund hat; ohne die Absicht zu haben, dem (Hrn.)Herrn Verfasser des Bekentnisses eine andre Ueberzeugung dadurch beizubringen. Hierzu könten äußerliche Umstände, wie in sehr vielen Beispielen, mehr beitragen; als noch so viel Gegengründe. Die ganze 191 Polemik hat auch dieses nicht zur nächsten Absicht, kann und soll vielmehr eine genauere, richtigere und billige Beurtheilung des guten Gewissens befördern, und alle bloße Uebereilung, Leichtsinnigkeit oder Feindseligkeit hindern und abwenden; folglich eine gegründete Toleranz und ganz rechtmäßige Gewissensfreiheit immer mehr empfelen.

Die Beschreibung von jetziger 192 ‘Pflicht des (Hrn.)Herrn Verfassers, alle Ueberzeugung frey und ohne Zurückhaltung zu entdecken –’ mag ihre Richtigkeit haben; ohne daß es folge, daß nur der ein ehrlicher Mann sey, der mit Muth und Entschlossenheit diese so genante Wahrheit sagt; und daß der, so diese gewälte Art eines Bekenntnisses, seines Theils für unpflichtmäßig hält, allemal 193 ‘ein Heuchler seye, der um des Brots willen seinem Regenten lüge, und mit Verletzung seines Gewissens Menschengunst zu erschleichen suche’. Wie der (Hr.)Herr Verfasser es von sich selbst gestehet, gleich vorher, daß er, 194 um des Schwachen zu schonen und um nicht den Nutzen und Eindruck durch Uebereilung – zu schwächen, der sonst durch guten Vortrag der wesentlichen Religionswahrheiten [11] gestiftet werden könte’, dieses vorher nicht also gesagt habe: so ist es unleugbar, daß jede andre Lehrer in öffentlichen Kirchengesellschaften, es warlich zur Pflicht haben, ihrer eigenen Beurtheilung des besten öffentlichen Verhaltens zu folgen, und daß sie also nicht den geringsten Vorwurf sich zuziehen, wenn sie diese so grobe öffentliche Beschuldigung, (von Heuchlern, die um des Brots willen heucheln) gerade für eine unverantwortliche Uebereilung des (Hrn.)Herrn Verfassers ansehen; dem es gewis, in der so oft mislichen Lage des öffentlichen Lebens, am allerwenigsten zukommen konte, einen fremden Knecht zu richten, und unfreundlichen Verdacht über die Rechtschaffenheit aller der Lehrer anzuspinnen, die in der Ausübung oder Zerrüttung ihres Berufs sich den (Hrn.)Herrn Verfasser nicht zum Muster nemen wollen. Es ist diese grobe Verurtheilung, so vieler öffentlichen Lehrer in den teutschen Kirchen, so gar unter den Augen (Sr.)Seiner kaiserlichen allerhöchsten Majestät, eine Beleidigung, deren mannichfaltiges Verhältnis und großen Umfang ich nicht auf änliche unfreundliche Art entwickeln wil. Es würde in der That keine unpflichtmäßige oder tadelswürdige Zurückhaltung geheißen haben, wenn der (Hr.)Herr Verfasser diese ganze, ohnehin unwichtige Erklärung, von seiner Ehrlichkeit und Entschlossenheit weg gelassen, und alle so lange in Eide und Pflicht stehenden Lehrer, mit dergleichen Charakteristik verschonet hätte. Ich will mich selbst hier nennen, und fragen, ob mich der (Hr.)Herr Verfasser einen Heuchler, der ums Brots willen – zu nennen sich herausnemen wolle; da ich nicht nur dergleichen Ehrlichkeit und Entschlossenheit, wider das gute Gewissen so viel tausend frommer Christen, unter den drey Hauptreligionen, in und ausser Teutschland diese Beschuldigungen auszubreiten, keinesweges nachahme; sondern auch ihr, als unpflichtmäßig, widerspreche. Daß treue Lehrer in der Geselschaft, nicht nur Achtung und Liebe, sondern auch ihr Brodt von der Geselschaft angewiesen haben: ist doch nicht zugleich so zu [12] verstehen, daß die Geselschaft selbst Lügner und Heuchler in Diensten haben wolle; es bleiben vielmehr der Geselschaft alle andre neue Unternemungen, Projecte und Anstalten, zur freien Beurtheilung unterworfen; sie urtheilt selbst, ob sie einen Lehrer für einen gewissenhaften nutzbaren Mann mit Dank und Beifal halten müsse, oder ob sie seine Dienste ihm aufkündiget; er mag seine Unentberlichkeit und Einsichten noch so hoch sich selbst anrechnen. Welche Geselschaft, kirchliche, bürgerliche, häusliche, könte wohl noch bestehen, wenn dis Urtheil nicht ferner bey ihr selbst stehen solte? wenn jemand Richter in seiner eignen Sache seyn wolte?

195‘Ich gestehe also, steht (S.)Seite 9. 10. daß ich schon seit einiger Zeit überzeuget gewesen, es enthalte unser protestantisch Kirchensystem Lehrsätze, welche weder in der Schrift, noch in der Vernunft einigen Grund haben, und die theils der Gottseligkeit schaden, theils durch ihr vernunft anstößiges, die Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung bey Tausenden sind.’

Alles eingestanden; was folgt hieraus? daß ich und alle Lehrer der protestantischen Kirchen eben dieses selbst urtheilen, und eben dergleichen angebliches Bekäntnis drucken lassen müssen, wo wir nicht Lügner und Heuchler seyn wollen? Ich denke nicht, daß ein billiger Mensch, geschweige ein erfarner geübter Kenner der christlichen Religion und der bürgerlichen Geschichte, dieses Urtheil über uns sprechen wird. Vor einiger Zeit gab es Schwärmer, die prophezeieten und wünschten den 196Fal Babels, oder der ganzen äusserlichen Religionsverfassung; es waren Nachkommen der 197 Fanatiker des 16ten Jahrhunderts; sie nenten alle Prediger und Lehrer, 198 Bauchdiener. Dippel, – wer wolte alle Parteygänger herzälen, alle folgten, wie sie sagten, ihrem Gewissen; und griffen allesamt die äusserliche Religionsordnung an, die unter den Staatsgesetzen, nicht unter ihrem Gewissen stund. [13] Ich wil hier nicht weiter gehen. Es folget aber nichts weiter hieraus, als daß wir einen Theil der moralischen Geschichte dieser Leute und des (Hrn.)Herrn Verfassers, in Absicht seiner eignen Einsichten, nun durch solche Schriften erfaren; daß wir nun wissen, was er von unserm protestantischen Kirchensystem selbst halte und urtheile. Wenn nun diese historische Nachricht nur theils, ohne öffentliche Verunglimpfung aller anders denkenden protestantischen und katholischen Lehrer, uns vorgelegt worden; theils den Sachen und angegebenen oder gebrauchten Gründen nach, richtiger und ungezweifelter wäre: so möchte ja dieses Bekentnis, wie so viele änliche Schriften, dem öffentlichen Drucke übergeben worden seyn. Denn es stehet jedem denkenden Christen frey, ja ist seine Pflicht, wenn er dazu im Stande ist, gewissenhafte und umständliche Untersuchungen über so genant Lehrsystem vorzunemen, so viel, so lange, so scharf er wil, also auch seine eigene Verknüpfung der Begriffe für sich, zu seiner Erbauung und Beruhigung, vorzuziehen; dis macht seine Gewissensfreiheit aus; ein unschätzbarer Vorzug unserer Zeiten; davon wir wenigstens in alten Zeiten keine so öffentlichen feierlichen Grundfesten und Verträge finden. Da aber eben diese Gewissensfreiheit allen andern Zeitgenossen wirklich auch zukommen und gesichert bleiben muß: so ist natürlich, daß die Besitzer und Inhaber dieser Gewissensfreiheit, einander nicht öffentlichen Eingrif thun dürfen, durch einseitige öffentliche Uebung und Hervorziehung ihrer Erkentnis. Es sind daher die Grundsätze, die Hauptsätze, welche grosse ganze Kirchenparteien für ihre zusammengehörige Religionsglieder, in Absicht des öffentlichen Unterrichts und exercitii publici, feierlich ausgesucht und eingefüret haben: auch noch durch öffentliche gesetzgebende Macht bestätiget und festgesetzt worden; mit diesen Grundsätzen kan nun ein jeder Mitgenosse dieser Religionsgeselschaft, nach seinem ganzen Gewissen, für sich, was ihn betrift, aufs ernst[14]lichste, andächtigste vor GOtt, umgehen, sie selbst zu seiner Erbauung anwenden; sein Urtheil darüber ausdehnen; sich einen Gang seiner Vorstellungen erwälen – kurz er hat alle Gewissensfreiheit, für sich selbst. Und wenn er gar an dem guten Grunde dieser Grundsätze seiner bisherigen Partey zweifeln muß, wenn er die Zweifel nicht überwinden kan, wenn er die Grundsätze einer andern Partey für richtigere, in seinem Gewissen, von nun an, ansehen muß: so hat er das 199Recht und die Freiheit, die bisherige Religionspartey ganz und gar zu verlassen, und sich in eine andere zu begeben; die entweder auch diese öffentlichen Rechte im römischen Reiche hat; oder mit anderer Einschränkung so oder so gedultet wird; nach dem besondern Gutfinden einzeler Regenten und Staaten. Wenn nun aber dis nicht mehr eigene, particulaire Gewissenssache ist; und ein solcher weiter gehen, und der ganzen Religionspartey, oder allen Religionsparteien im teutschen Reiche bedächtig zumuten wil, sie sollen sein privat Urtheil unter ihren Kirchgliedern geradehin ausbreiten lassen; sie sollen alle Tage lesen, was ein jeder, der sich Ehrlichkeit und Einsicht zur Reforme des Religionssystems zutrauet, drucken lassen wil: so gehört das Urtheil hierüber ganz notwendig der 200 Obrigkeit, welche den äusserlichen Religionsstand ihrer Unterthanen freilich allein zu beurtheilen und zu regieren hat. Sie entscheidet es also, ob solche Anmassungen von algemeiner Verbesserung der christlichen Religion, mit Aufhebung und Verunglimpfung der besondern Religionsparteien, öffentlich Platz und Raum finden sollen, oder nicht; sie verbietet solche Schriften, wenn sie 201 Fanaticismus oder Unruhe und Zerrüttung, nach ihrem Urtheil, mehr nach sich ziehen werden, als grosse und algemeine Verbesserung. Wenn nun eine öffentliche Schrift gar eine feierliche Urkunde der Protestanten, (z. E.)zum Exempel die augspurgische Confeßion angreift, jetzt sie verbessern und ihren Inhalt, wie es heißt, algemeinnützlicher machen wil: [15] so ist es höchstnatürlich, daß dieses Unternemen nicht aus der privat Gewissensfreiheit und Ehrlichkeit einen guten Grund entlenen kan; wie ohnehin viel tausend Zeitgenossen über diese Ehrlichkeit erst ihr eigen Urtheil befragen und sie erst untersuchen müssen.

Wenn nun der (Hr.)Herr Verfasser seit einiger Zeit davon überzeugt gewesen – wie vorhin abgeschrieben worden: so hörte er also auf, ein Mitglied der augspurgischen Confession zu seyn. Er konnte und durfte dis auch bekannt machen, drucken lassen: aber nur nicht mit der seltsamen Anforderung an kaiserliche Majestät, und an die höchsten Häupter der 202durch Religionsfrieden festgesetzten Religionssysteme, und mit dem Wunsche, (dem jeder Leser das Beiwort geben wird, das er für das schicklichste halten mus.)

(S.)Seite 15. 203‘O möchten doch (Ew.)EureEuer kaiserliche Majestät von GOtt auserkoren seyn, alle diejenigen vor der Wuth der Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben, an diesem großen Anliegen der Menschheit zu arbeiten: den unübersehligen Wust der Systemsreligion zu untersuchen, und das reine Gold der göttlichen und seligmachenden Christusreligion wieder heraus zu finden.’

Es werden mehrere Leser sich darüber wundern, daß es vorausgesetzt wird, es könne GOtt eine solche Identität gefallen, da wir in dem so großen sichtbaren Reiche der Natur eine tausendfache Verschiedenheit, aber in einer Verbindung, antreffen; wundern, daß dis sogleich Wuth der Verfolgung heißen soll, was natürliche Folge der Rechte einer öffentlichen Gesellschaft ist. Wenn auch eine Uebereilung wider den (Hrn.)Herrn Verfasser jetzt vorgefallen wäre, (wovon gar vielerley Dinge mit möglicher Entschuldigung Ursache seyn können) dürfte es doch nicht Wuth der Verfolgung genant werden; wenigstens war [16] es die Sprache der ersten Lehrer der hier so genanten Christusreligion nicht; sie verlangten auch nicht, daß alle Gelegenheit zur Geduld und Verläugnung ihrer selbst, unmenschliche Wut und Verfolgung heißen, und daher von Kaisern und Königen mit bürgerlicher Macht, in ihrem Gebiet gleich abgeändert und aufgehoben werden sollte. Wir wissen es, daß GOtt eine solche Religionsfreyheit gar nicht zum Zweck haben könne, ob er gleich Freyheit des Gewissens und die Menschenpflichten verordnet hat. Noch weniger haben wir den bodenlosen Einfall, eine algemeine Religion selbst zusammen zu denken, die mit Ausschließung der stets freien Natur der Menschen, die Besserung und Heiligung der Menschen ganz anders und viel gewisser als von Jesu und der ersten Apostel Zeit an, bewirken müste. Vielmehr, wenn wir dem Ursprung der christlichen Lehre und Religion zusehen, so hat sie nie eine äußerliche Einheit der Lehrform begriffen; indem äußerliche Verschiedenheit unausbleiblich ist, und diese eine Verschiedenheit der Vorstellung mit sich bringt; sie hat sie nie zum Endzweck gehabt; sie gehet auf die Besserung des Gemüts; auf neue Ordnung der Neigungen, welche, bey noch so großer Ungleichheit der Vorstellungen, die der Verstand, nach der so ungleichen Localität, stets bewirken mus, wirklich bey den guten Christen für das Gemüt zu Stande gebracht worden ist; ihr Religionssystem, als Summe und Inhalt der Vorstellungen im Verstande, mochte noch so ungleiche Bilder, Ideen, Theile, Verknüpfung und Stellung behalten; das 204 Wesen des Christentums ist Geist und Wahrheit, oder innerliche Vollkommenheit. Wirksame lebendige Erkentnis, zur innersten heiligsten Anwendung, zu eigener Ausbesserung; der Zusammenhang mit Gedanken und Urtheilen mag noch so mancherley seyn. Und nun will ich den großen Usurpator sehen, der sich anmaßet, für andre Christen aus seinem Kopfe ein allgemeines System zu spinnen, und es ihnen öffentlich aufzudringen, als das [17] einzige wirksame erbauliche System! An die Historie der Religionsübung unter allen christlichen Parteien, unter Muhammedanern, 205 Braminen, – will ich nicht denken; überal Wirkung in der Seele; Andacht, Hoffnung, Zuversicht – aber der besondre Charakter unterscheidet alle diese Religionsparteien. Können wir ihn aufheben? Ja, wenn wir die 206 Localität aufheben können. Und wer maßet sich an, dieses zu können?

Ich kenne manche 207 Flattergeister, sonst nennte man sie Schwärmer, die allen wahren Beruf in ihrer Gesellschaft ablegten, oder aufkündigten und verdarben; oder eigenmächtig sich die Bestallung gaben, für die ganze Menschenwelt in angemaßter Allkraft, Wohlthaten zu ersinnen und anzubieten, die nur allein aus ihrer Hand noch möglich seyn sollen; wenn sie nicht wären, so wären alle Menschen gänzlich unbesorgt, unberathen, unbelehret und also stets unglückselig. Sie sinnen daher auf eine algemeine Religion, die alle Völker so gar leicht begreiffen sol; so bald man nur die bisherigen Anstalten, von Kirchen, Schulen, Universitäten, und ihre Beschützer, die Reichs- und Landesgesetze, aufheben, und aus ihren fast almächtigen Händen, den neuen Lehrbegrif, den sie eben erst erschaffen wollen, annemen wird; dessen vorzüglich himmlische oder übermenschliche Früchte noch dazu an diesen Leuten ganz unsichtbar sind. Einerley Einbildung reisset alles um, was Erfarungen von Jahrtausenden mit täglicher saurer Mühe und gewisser Erfarung aufgebauet und geordnet hatte; man sorget für die ganze Menschenwelt aus seinem noch so kleinen Gesichtspunkte; Fürsten und Herren sind gleichsam alle zeither auf dem unrechten Wege; ihre Ordnungen über Kirchen und Schulen sind alte Irtümer, welche den neuen Strom von übermenschlicher Weisheit und Klugheit bisher hindern; Drang ist es, ganz erhabner Seelendrang, alles, was die gewisseste Staats- und die gröste Menschenkentnis in der wirk [18] lichen Menschenwelt bisher bewärt und thunlich erfunden hat, geradehin nur erst um zu reissen; was den neuen Bau betrift, – der wird sich alsdenn schon von selbst finden.

Dieser Art sind wirklich die großen Anmaßungen in diesem Bekentnis; so bald es nur dem (Hrn.)Herrn Verfasser gewis ist: so ist es auch (außer ihm) ganz gewis in der 208 Concretenwelt, ausgemacht, daß unsre Lehrer, im römischen Reich, Lehrsätze in den 3 Religionssystemen haben und behaupten, 209 ‘die weder in der Schrift, noch in der Vernunft einigen Grund haben, und die Quelle sind von –’ Ob diese Behauptung mit der uns bekanten Geschichte der Menschheit und der unentbehrlichen tausendfältigen Gewissenhaftigkeit, die in moralischen Beschäftigungen nicht felen kann, zutreffe: will ich den Lesern gern überlassen. Ich wolte aber wünschen, der (Hr.)Herr Verfasser verstünde sich besser auf die Gelersamkeit einer jeden Religionspartey, und kennete den Gang ihrer besondern kirchlichen Grundsätze, und die weise Absicht der öffentlichen Einrichtungen; kennete auch die Gelerten selbst genauer: so würde er blos sagen, daß er für seine Person, in diesen seinen individuellen Umständen, zu dieser Einsicht gelanget sey; und sie heute oder jetzt vorzüglich begünstige; er würde aber alle Billigkeit öffentlich bezeigen, und nicht uns, den Lehrern dieser öffentlichen Religionssyteme, welche nun dem eigenen Gewissen erst Platz machen, so gleich zu muten, wir müsten unsre Augen eben so gewönt haben wie er. Das übrige, 210 ‘es seien Lehrsätze darin, welche theils der Gottseligkeit schaden, theils die Quelle des Unglaubens seien, für tausende’: ist gar nichts wichtiges oder sonderbares. Eine jede Partey, von den Braminen und 211 Talapoinen an, bis auf alle Parteien der Christen, sogar untereinander, pflegt diese Beschreibung zu machen; ohne für die denkende andere Partey das allergeringste dadurch zu entscheiden. Wo [19] haben diese leeren Einbildungen den Grund her, daß es eine aller einzige äusserliche Religion geben solle und könne, worin die Gottseligkeit so leicht, so innerlich unausbleiblich entstehen müsse, daß alle Menschen keinen Anstos, keinen Unglauben, keine Religionsverachtung jemalen mehr fassen und vorziehen könten? Welche Geschöpfe hat man alsdenn auf dem Erdboden vor Augen? Menschen? ich wüste sie nicht zu finden. Sollen wir denn auch in 212ein christlich Utopien uns auf geradewol einfüren lassen? Ist denn irgend eine Erkentnis, des 213 Cajus und Titius, nun das Model und die algemeine Vorschrift für alle Menschen, in allen noch so verschiedenen Umständen? Wir wollen uns einbilden, da hätten zwey bis drey solche Universalmänner eine Schrift entworfen, als Inhalt einer Universalreligion; was wollen sie davon erwarten? Wir wollen ihr auch, (so unmöglich es ist,) den Beistand und Beifal der kaiserlichen Majestät, aller Könige und Fürsten und Obrigkeit, zum Geleite geben; was wird diese Schrift ausrichten? Ich denke, es wird eben sowol eine neue Theorie darüber nach der andern entstehen; und wer wird diese wieder vereinigen? Niemand; man wird Freiheit des Gewissens haben, wie jetzt; und öffentliche Vorschriften einfüren. Ist das alsdenn eine Universalreligion? Dieses war der weise Grund 214vom öffentlichen Religionsfrieden; nachdem man einsahe, es gebe keine Vereinigung aller Christen unter Ein System, das immer local seyn müste.

Diese ganze Arbeit und Betrachtung, so weit sie noch einige Realität gewären kan, gehört stets für das einzelne Gewissen eines jeden Individui. Jeder Leser und Zuhörer behält diese eigene Beschäftigung, es mag Christus oder Paulus, 215 Thomas oder 216 Luther oder 217 Socinus lehren: wonach er entweder der Lehre Beifal giebt, oder Anstos hat, nicht glaubet, und diese Religion nicht billigt. Wil denn jetzt jemand so anmassend seyn, durch [20] seine Lehre mehr auszurichten, als JEsus und Paulus? Wo bliebe denn das Gewissen der Zeitgenossen, wenn die Lehre, die Beschreibung der christlichen Religion, nur aus den vier Wänden, oder nach dem Papier eines solchen algemeinen Lehrers, eingerichtet werden solte? Und müsten dis sogleich Heuchler, Lügner, Unehrliche, Boshafte, Ungläubige, und Religionsverächter seyn, die diesem neuen Totalsystem (für die 218 Mondwelt) nicht sogleich sich unterschrieben? Wozu also solche factionsmässige Anstalten im Staat? Warum sol kaiserliche Majestät die christliche Religion im teutschen Reiche, nach so einem neuen Papier, einrichten helfen? Muß es nicht den Regenten frey bleiben, über solche Projecte selbst authentisch zu urtheilen? Oder sol sich insgeheim eine Anzal wirksamer Köpfe nach und nach vereinigen, um da oder dort endlich über die andern guten Christen sich zu erheben: die doch noch niemanden die Reforme ihres Gewissens aufgetragen haben, und ihren Landesfürsten selbst dis nicht auftragen, wie diese es nie verlangen? Eine seltsame Wohlthat für uns; wozu die bisherigen Lehrer ihr ganzes öffentliches Verhältnis aufopfern sollen, damit eine kosmopolitische Religion auf einmal alle Menschen, in allen Staaten, umfassen möge!

Nun das Verzeichnis solcher Lehrsätze:

219‘Darunter rechne ich die – von der Erbsünde; von der Zurechnung der Sünde Adams – von der Nothwendigkeit einer Genugthuung – von der blos und allein von dem heiligen Geist in dem, sich leidend verhaltenden Menschen, zu bewirkenden Bekehrung – von der ohne alle Rücksicht auf unsre Besserung und Tugend geschehen sollenden Rechtfertigung des Sünders vor GOtt – von der Gottheit Christi, und des heiligen Geistes, in athanasianischen Sin – von der Ewigkeit der Höllenstrafen – und einige andre.’

[21] Der Zusammenhang ist: 220 ‘diese Lehren, einzeln und alle, haben in der Schrift und Vernunft keinen Grund; schaden theils der Gottseligkeit, theils sind sie die Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung bey Tausenden’; und folglich,

sol das protestantische (und auch das der römischkatholischen Kirche gehörige) Religionssystem nun ganz geändert oder abgeschaft werden, unter Kaiserlicher und Reichsständischer Auctorität; nemlich, doch nur, nach des Verfassers Ueberzeugung? Ich kan sagen, ich weis nicht, wo ich anfangen sol, zu antworten. Sol es freier Gebrauch der Gedanken seyn, wie mancher gute Zeitgenosse, patriotisch, wie er denkt, von Verbesserung der Regierung, der Proceßordnung, der Accise, der Handelsgesetze, des 221 Nahrungsstandes, aus seinen vier Wänden, mit seines Gleichen, ohne Folgen und Schaden, zu sprechen pflegt, und Entwürfe für die ganze Nation in der Stille macht; wegen der Regierung – des Handels – so müste wenigstens die Bescheidenheit gebraucht worden seyn, solchen privat Zeitvertreib nicht öffentlich an Kaiserliche Majestät und teutsche Reichsfürsten anzubieten, und dabey sich doch auf 222 Rechte der Menschheit und Gewissensfreiheit zu berufen. Priuatim stehen solche Beschäftigungen frey, allen denen, die im Staat so wenig zu verrichten haben, daß sie ihre Zeit mit Projecten ins Grosse, für andere, zubringen, auch ungebeten und unbedankt. Ist es aber im Ernst so gemeinet, dis alles gehöre zu dem (S.)Seite 15. so genanten 223 unabsehlichen Wust der Systemsreligion: so ist es eine unerlaubte und lieblose Beurtheilung des Gewissens viel mehrerer Tausende, als jene je seyn können, welche allesamt hieran Theil nemen sollen; indem wir in allen drey Religionsparteien keine unbestimten, schwankenden, übertriebenen, 224 solitarischen Beschreibungen dieser genanten Gegenstände, zu den Grundsätzen des Christentums, oder der christlichen Religion, in Absicht des eignen Gewissens, [22] rechnen. Eben so wenig kan man sagen, daß alle, so viele, so gewissenhafte, ganz und stets untadelhaft lebende Lehrer, so vieler Jahre, ja Jahrhunderte, diese Lehrsätze, ihres Theils, ohne Schrift, und zum Anstos ihrer, oder ihrer Zeitgenossen und Zuhörer Vernunft, gleichwol angenommen, und dadurch eine Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung eröfnet hätten. Es wird jedem Leser in die Augen fallen, daß dis durchaus unwahr ist; folglich, sind diese Lehrsätze nicht an sich, geradehin und ihrem wahren Inhalte nach, also zu beschreiben; ohne den kirchlichen Geselschaften und Religionsparteien öffentlich Hohn zu sprechen, und das allerunleidlichste Unrecht anzuthun; zu welcher greulichen Beleidigung ebenfals die sogenante Menschheit und das privat Gewissen und privat Leben, niemanden, mit dem allergeringsten Scheine berechtigen kan. Es muß also heissen, daß der (Hr.)Herr Verfasser dieses Bekentnisses, allen diesen Lehrsätzen, in aller nur möglichen Bedeutung und Beschreibung, für sich, seinen Beifal versage; das stund ihm frey; aber, wenn er sie so beschreibet, daß diese Religionsparteien im römischen Reiche diese Lehrsätze geradehin ohne Schrift, zum Anstos der Vernunft, als eine Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung, abgefasset, gelehret und bisher beibehalten hätten: so beleidigt und beschimpft er diese Kirchengeselschaften auf eine nicht zu entschuldigende Weise. Es wäre der unvernünftigste Gewissenszwang, es wäre gewaltsame Beeinträchtigung der Rechte der öffentlichen Religionsparteien: wenn jemand alle diese Glieder, vom Obersten bis zum Untersten, bey Strafe dieser Beschuldigung, dahin zu bringen sich vorsetzte: ihme, diesem Reformator allein, die Erklärung der Schrift, den Gebrauch der Vernunft; den glücklichen Eifer in Beförderung und Hochachtung christlicher Religion, zuzuschreiben, und alle ihre Lehrer auf einmal für solche Leute zu erklären, die wider die Schrift und Vernunft, diese Lehrsätze selbst glaubeten und [23] lehreten, oder gar 225 Lügner und Heuchler wären, die um des Brots willen’, in ihrer Geselschaft dis lehreten.

Die berürten Lehrsätze selbst können geradehin, ohne bessere Erklärung ihres Inhalts, nicht einseitig beurtheilt werden; und keinem Christen kan man es wehren, sie in dem und jenem Sinne, als Schrift- und Vernunftmäßig, als eine Quelle gewisser Besserung, Zufriedenheit und geistlicher Wohlfart, von ganzem Herzen und mit recht gutem Gewissen, zu glauben, und zu seiner moralischen oder geistlichen Historie recht vortheilhaft anzuwenden und ihre Richtigkeit also zu erfaren. Ich wil diese Lehrsätze hier nicht einzeln vortragen, mit ihrer doppelten Erklärung; die entweder für einfältigere oder geübtere Leser und Zuhörer so oft schon, und auf so verschiedene Weise vorgetragen worden: daß der Fal gar nicht da seyn kan, in Absicht der Rechte des eigenen Gewissens, man glaube ohne Schrift, wider die Vernunft, und gar zur Vermehrung des Unglaubens und der Verachtung der Religion bey andern. Wie kan ein anderer aus meinem gewissenhaften Glauben und Leben, einen Grund nemen, die ganze christliche Religion zu verachten? Und wenn er es thut, entsteht daraus für mich ein Grund, ihm Recht zu geben? Muß ich seine für mich fremde und unwahre Urtheile nun leichter annemen, als verwerfen? Was nicht mit meinem Glauben und Gewissen bestehen kan, ist und bleibt für mich Sünde; mögen es hundert und tausend Menschen nicht so ansehen. Darum hat ja der Christ Lehrer, daß er von ihnen selbst denken und betrachten lernet; und nun selbst weis, was er glaubet. Hier übt er seine Gewissensrechte; niemanden ist ein eiserner Riegel vorgeschoben, was seine leichtere gewissere Erbauung betrift. Denkende Zeitgenossen wälen also, was ihre eigene Anwendung betrift, eine algemeine oder sinliche Beschreibung, von ihrem moralisch mangelhaften natürlichen Zustande, in Vergleichung des [24] Umfanges des Christentums; sind auch so wenig an den Namen Erbsünde selbst gebunden, als wenig man ihnen aufleget, mit eigener Vorstellung, eine 226 unmittelbare oder mittelbare Zurechnung der Sünde Adams, zu bestimmen; wer Lust hat, lieset oder fraget nach, um Ausbreitung seiner eignen Vorstellungen hierüber zu samlen. Von 227 Notwendigkeit einer Genugthuung fragt der gelehrte oder fähige Mensch, um mehr zu denken, als er für sich nötig hat. Millionen aber denken nicht an diese Frage. Von der 228 Bekehrung, pur leidlich oder mitwirkend – wie lange ist alle Zweideutigkeit hierüber gehoben? wie so bekant ist die doppelte Lehrordnung, seit der Zeit der sogenanten 229 Synergistischen, Helmstädtischen, der Gewissener, und mancherley neuerer Fragen? In dem Erfolge, in der Beschaffenheit des Zustandes, den man Bekehrung oder Besserung des Menschen nent, kommen alle Lehrer überein; wenn sie gleich in der Vorstellung von der Art und Weise, dieser Begebenheit im Menschen, verschieden bleiben. Kan nun hiebey ein denkender Zeitgenosse, (der zu dem 230 selbstdenkenden und prüfenden Theile der Menschen’ gehört, oder gehören wil, (S.)Seite 12.) klagen, es fele für diesem beschriebenen Zustand, (Bekehrung) an Schrift, es sey der Vernunft anstößig; es entstehe Unglaube und Verachtung der Religion? Zunächst entstehet ja Beurtheilung der Lehrart, welche gegründeter ist; die Sache an sich ist zur Anwendung frey. Es müste jemand uns alle inwendig kennen, oder sich eigenliebig allein das Vermögen zu denken, und ein Gewissen, ausschliessender Weise anmassen. Ich wil die übrigen Sätze, von Rechtfertigung (etc.)et cetera ganz übergehen; es ist gar zu wenig erheblich; leere und unrichtige einseitige Speculation; man redet ja aber von Dingen, die überhaupt keinen Grund haben sollen in der Schrift, zum Unglauben bringen – und doch nent man solche Sätze, wozu die Liebhaber und Anhänger überal Stellen der Schrift anfüren; sie daher von Herzen selbst glauben, [25] und diese Religion recht aufrichtig lieben und ausüben. Sol auf andre gesehen werden: was gehet es denn uns an, die wir die augspurgische Confeßion keiner Correction bedürftig erachten? Es stehet ja andern frey, die Bibel zu gar nichts für sich zu brauchen; sich selbst eine Religion zu machen; aber sie müssen sie nicht dem teutschen Reiche öffentlich als viel besser und gewisser anbieten. Sollen wir diese Lehrsätze, in der oder jener, noch so guten Erklärung, darum jetzt verwerfen, weil alsdenn zu hoffen stünde, daß der (Hr.)Herr Verfasser und so oder so viel andre alsdenn die (christliche) Religion behalten wollen? Wie kan diese Sorge für andere uns selbst berechtigen, unsre Erkentnis, um ihrer uns unbekanten Geselschaft und moralischen Lage willen, wegzuwerfen? Wir müsten nicht wissen, was eigenes gutes Gewissen ist, und müsten uns so oft in der Lehrformel ändern wollen, als oft wieder andre Leute sich anmeldeten: daß sie, mit der Bedingung, unserer abermaligen Aenderung, auch unsre Mitchristen und Geselschafter unserer öffentlichen Religionsübungen seyn wolten. Mögen sie doch nicht unsre Religionsgenossen seyn, mögen sie gar Unchristen seyn, oder werden; wir können nicht durch unsere stete Veränderung der öffentlichen Lehrformel, die kein privat Eigentum, kein Gesetz des eigenen Verstandes und Gewissens je gewesen ist, Proselyten machen, an Proselyten kan uns nichts liegen. Diese ganze öffentliche Anforderung also, sogar an (Kaiserl.)Kaiserliche Majestät, und an die höchsten Reichsstände hat gar keinen Grund; ist eine völlige Uebereilung, die durch privat Gutmeinen zu keiner rümlichen und wichtigen Handlung wird; wenn auch tausende, von allerhand Art Leuten, für sich, untereinander zusammen treten, und eben diese seltsame Abänderung der feierlichen öffentlichen Religionssysteme, darum verlangen wollen, weil sie sonst nicht in unsre Religionsgeselschaft ferner gehören könten oder wolten. Das mögen sie also; und mögen ihrem Gewissen für sich folgen, ohne uns eine [26] 231 Reforme vorzuschreiben, unter der Gestalt ‘der Rechte der Menschheit und des Gewissens’. Welche Gestalt! Rechte der Menschheit! welch Gespenst!

232‘Ich habe zwar, heißt es weiter, ( (S.)Seite 10. 11.) wie es von einem Doctor (Theol.)Theologiae augustanae confessionis ohnehin zu erwarten stehet, gegen diese vorgedachten Lehrsätze – vor dem Volk – [(]weder im Predigen noch Catechisiren) niemals directe gelehret, sondern sie entweder gar übergangen, oder doch so davon gesprochen, daß ihr schädliches abgesondert und ihr irriges gemildert worden; (davon meine Predigten über die Person und das Amt Jesu ein Beyspiel sind.)’

Wir müssen die Gegenstände wiederholen, wovon hier die Rede ist. 233 ‘Lehre von Erbsünde; Zurechnung der Sünde Adams; von Nothwendigkeit einer Genugthuung; von der blos leidentlichen Bekehrung; von der Rechtfertigung ohne alle Rücksicht auf unsre Besserung und Tugend; von der Gottheit Christi, und des (heil.)heiligen Geistes im athanasianischen Sinn; von Ewigkeit der Höllenstrafen.’

Diese Lehren hat der (Hr.)Herr Verfasser vor dem Volke entweder gar übergangen, oder ihr schädliches abgesondert und ihr irriges gemildert. Verstehen wir hiemit, was er übergangen hat, in diesen einzelnen Lehren? was er als schädlich und irrig angesehen hat? (Z. E.)zum Beyspiel/Beispiel Lehre vom natürlichen Verderben eines jeden Menschen, sol in concreto beschrieben werden, du Cajus, Titius bist von Natur so beschaffen; so geneigt; so gesinnt – Der gemeine Mann hat keine Abstraction lernen sollen, noch weniger die ganze lateinische Disputation, welche, ihrem Zweck nach, nicht zum Unterricht der gemeinen Zuhörer, sondern zur gelerten Uebung der Candidaten und Lehrer, gegen andre Lehrer andrer Parteien, gehöret. Hat er also geleret, 234 Pauli Ausspruch, Röm. 5. alle Menschen sündigen, ἡμαρτον, seie bey vielen Menschen nicht wahr? [27] oder hat er ihn erkläret nach der täglichen Erfarung? Zurechnung – gehört für Gelerte. Notwendigkeit einer Genugthuung ebenfals; oder hat er die Sache, die neue Möglichkeit unserer christlichen Zuversicht, die sich auf Christi geistliche Lehre und moralische Historie gründet, übergangen, oder für irrig gehalten? Denn Genugthuung an sich, der Sache nach, die nun als ein neu Verhältnis der Menschen in der moralischen Welt da ist, gehört in den Grund der christlichen Religion, den Christen nun mit ihrer Neigung umfassen, so oder so beschreiben; hat er dis weggelassen? so hat er den rechten geistlichen Grund der christlichen Religion gar nicht gekant. An dem Worte liegt nichts. Bekehrung – kann sie auch nur gedacht werden, als ein christlicher moralischer Zustand, ohne geistliche, neue, jetzige Wirkung GOttes durch christliche Wahrheiten? ohne wirkliche fortgehende eigene Veränderung des Menschen? In der gemeinen Lehre siehet man auf die große Anzal; wer psychologisch mit denken kann, der erwartet hier in Absicht seiner nicht eine Lehrart, die dem gemeinen Haufen nutzen und ihn gewis und leicht erbauen sol. Gottheit Christi und des heiligen Geistes, in 235 athanasianischen Sinn – wie ist dieses zu verstehen? von dem Symbolo, das ehedem Athanasii hieße? so kann es nicht so beschrieben werden, im athanasianischen Sinne; indem ein jeder weis, daß Athanasius es nicht geschrieben hat, und daß sein Sinn unmöglich mit dem Sinne des nachherigen wohl 200, 300 Jahr spätern so genau bestimten Symboli einerley ist. Sol es auf den Athanasius gezogen werden: so ist es theils sehr schwer, es klar auszumachen, welches sein Sinn gewesen sey; theils ist unsre, der katholischen Lehrer Erklärung keinesweges der Sinn des Athanasius, oder des 4ten und 5ten Jahrhunderts; und gehört überhaupt alsdenn nicht in den gemeinen Unterricht; ganz und gar nicht. Was soll dis also heißen? Alle Christen glauben an Vater, Sohn oder Christum [28] und heiligen Geist; dis ist eine ganz gewisse Grundlehre des Christentums; nun kommen die kirchlichen Bestimmungen zu diesen 3 terminis; 236 subiecta, Personen (etc.)et cetera (alle neue Worte der Gelerten für ihres gleichen) Eines und desselben Wesens. Diese Bestimmung hat niemand zum Grund und Inhalt der christlichen Lehre und christlichen Wohlfart gerechnet, ich brauche 237 Hunnii epitomen credendorum nur zu nennen; wohl aber zum Grunde einer besondern sichtbaren localen Kirchengesellschaft. Wer diese Bestimmung nicht annimt, von dem sagt niemand, er seie kein Christ, er habe keine christliche Andacht und Tugend; er könne nicht selig werden; sondern, man sagt, er gehöre folglich nicht zu der katholischen Kirche; nicht zu den 3 Religionsparteien im teutschen Reiche. Er mag nun sagen, diese Bestimmungen und 238Lehrsätze schaden der Gottseligkeit; sind der Vernunft anstößig, sind Quelle des Unglaubens: so ist es alles gar nichts gesagt, in Absicht unserer und aller Christen, welche den Zusammenhang dieser Lehrsätze wirklich aus der Schrift, mit ihrer Vernunft, zum Inhalt ihres Glaubens und Gottseligkeit, und zum 239 medius terminus ihrer äußerlichen Geselschaft machen, weil sie gar keinen Unglauben oder Religionsverachtung, sondern menschlichen Willen und Vorsatz darin bestätiget und an den Tag geleget finden.

Wenn nun ein Doctor Theologiä, als Mitglied der augspurgischen Confession, über diese Grundsätze aller katholischen Christen, wozu hier auch die Protestanten gehören, sagt: daß er diesen Lehrsätzen selbst, ihrem Inhalt nach, (von terminis ist die Rede nicht) niemalen directe widersprochen; sondern sie entweder übergangen, oder ihr schädliches und irriges abgesondert: so hat er in der That nicht als ein Doctor Theologiä augustanae confessionis rechtschaffen gelehret: sondern untreu gehandelt. Alle lutherischen Doctores Theologiä haben diesen Inhalt der Lehrsätze in ihrem Doctoreide. Es könte auch sonst [29] wahrlich der ganzen lutherischen Kirche gar nichts an diesen Lehrsätzen liegen, wenn jeder Lehrer diese Lehrsätze so beurtheilen dürfte, sie seien schädlich und irrig gewesen, bis er nun dazu gekommen, und das Schädliche und Irrige 240 mit solcher Klugheit abgesondert habe, daß es das Volk nicht gemerket; daß er aber diese Lehren selbst für falsch und in der Schrift ungegründet – ansehe. Ein für seine Geselschaft treuer und rechtschaffener Lehrer behält die Sache, den Begrif, und schenkt die Worte, Person, [Dreieinig-] und Dreifaltigkeit, 241Homousios, Erbsünde (etc.)et cetera dis ist rechtmäßig, und lange bekant, unter treuen lutherischen, ja auch unter vielen römischkatholischen Lehrern, vom 242 Erasmus an, bis auf die 243 Walenburche, die eine secretionem der theologischen Sätze zugaben. Aber die Rede ist von der Lehre, vom Inhalte, oder der Sache selbst. Wer sie gar nicht bejahen kann, der mus sich ja nicht als einen Lehrer der augspurgischen Confeßion aufstellen lassen; er beleidigt ja die Pflichten gegen die lutherischen Kirchen. Will er selbst eine neue Universalkirche stiften: so kann er es anfangen, aber nimmermehr, als doctor theologiae augustanae confessionis. Gleichwol sagt der (Hr.)Herr Verfasser von dieser seiner Aufführung:

244‘Folglich bin ich auch noch nie von den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen, sondern habe mit Klugheit und Vorsicht die Gesetze des Staats mit der Gewissensfreiheit zu vereinigen gesucht; fest überzeugt, daß streitige Religionspunkte nie in den Volksunterricht gehören (etc.)et cetera

Die Beurtheilung, ob er nicht von den eigentlichen Pflichten eines protestantischen Lehrers abgewichen seie: kann er nicht selbst vornemen, und uns, den Lehrern der lutherischen Kirche, geradehin für richtig aufdringen; wie dis wol ein jeder einsehen wird. Ich wil es durch das öffentliche feierlichste Urtheil des gesamten Corporis Euange[30]licorum bestätigen, was ich hier sage, und den (Hrn.)Herrn Verfasser folglich, nach unsern protestantischen principiis und Rechten, aufs allergewisseste widerlegen. In eben dem vorhin (S.)Seite 2 (f.)folgend angefürten pro memoria zu der Gläsenerischen Sachetextgrid:3rnnb, stehet (S.)Seite 708. mit diesen Worten:

(Daß sich der kaiserliche Reichshofrath darin mengen wolle –)

245„Welches um so weniger zu dulten, wenn gleich die Controvers den Grund des Glaubens nicht beträfe, weil derjenige, welcher sich als einen öffentlichen Lehrer bestellen lässet, so lange er das Lehramt füren wil, nicht nach seinen Begriffen, sondern denen symbolischen Büchern gemäs lehren muß, welche die Kirche, wozu er sich bekennet, als eine Regel und Richtschnur angenommen (etc.)et cetera“ Dis ist folglich sonnenklar, und alles übrige, was der (Hr.)Herr Verfasser von seiner Klugheit hier erzälet und schreibet, ist unnütz und ungegründet. Seine ganze Beschreibung von seinem klugen Verhalten ist höchstens eigene Meinung, ist ungründliche übereilte Denkungsart des (Hrn.)Herrn Verfassers, aber auf diese, im Unterschied von der Lehre der augspurgischen Confession, hatte niemand gerechnet, der ihn für einen Lehrer der augspurgischen Confession halten wolte. So seltsam der Einfall eines Privati war, eine Veränderung mit der augspurgischen Confession so vorzunemen, als er sie jetzt, zu seinem besondern neuen Gesichtspuncte, selbst für dienlich hielte: eben so untreu handelte ein solcher, der zwar sich zur augspurgischen Confession feierlich selbst bekennete, aber selbst dis Urtheil öffentlich behalten wolte, 246„sie hat schädliche, irrige, in der Schrift nicht gegründete Lehrsätze, von Erbsünde (etc.)et cetera [“] Er hätte da folglich seine eigenen Gedanken zu lehren sich vorgenommen, und hatte doch versichert, er näme die augspurgische Confession zur Vorschrift seiner öffentlichen Lehre an. Ob diese Aufführung nicht wider die Verpflichtung, welche unsre Kir[31]che ihren Lehrern aufleget, laufe; ob sie eine ganz besondre neue Klugheit entdecke: mus ja unsere Kirche, welche die augspurgische Confession zum Grunde der Vereinigung aller Mitglieder angenommen hat, selbst beurtheilen. Wenn diese dis Verhalten mit einem andern Namen benennet: so hilft jene vorgeschützte Klugheit gar nichts; unsre Kirchen verlangen Gewissenhaftigkeit, Treue, Redlichkeit gegen ihre Glieder, die einem Lehrer zum Unterrichte angeboten werden; durch den Eid, den sie ihm auflegen; nicht aber anmasliche Klugheit in Veränderung der Lehrsätze der Confession. Ist aber etwa hier die Rede von streitigen Religionspunkten? In welchem Verhältnis stehet der (Hr.)Herr Verfasser, wenn er unsre Confession, ja die ganze römische Kirche zugleich, in der Lehre von der Erbsünde, Bekerung, Genugthuung, Gottheit Christi und des heiligen Geistes, streitiger Lehrpuncte beschuldiget? Sind dis streitige Lehrpuncte bey den Protestanten und Catholicis? wer dis sagen kann, ist ja ipso facto ein Gegentheil der augspurgischen Confession, welche alle diese Lehrsätze, 247in der so großen Feierlichkeit 1530. als ganz gewisse Lehrsätze, die auch die alte römische Kirche habe, von ihren Angehörigen und Theilnemern versichert, mit der ganzen Ehrlichkeit und Zuverläßigkeit, die keinem Lehrer jemalen eine Gelegenheit zur besondern Klugheit übrig läßt, um das Irrige, Schädliche, und ohne Schrift angenommene darin, in der Confession, zu verändern. Der (Hr.)Herr Verfasser wirft simpliciter die Sachen, den Inhalt, ganz weg; er sagt, zu solchen Lehren, die ohne Schrift, wider die Vernunft, zum Schaden der Gottseligkeit – in dem protestantischen Religionssystem stehen, 248 rechne ich; die Lehre von der Erbsünde (etc.)et cetera ohne alle Einschränkung. Verstünde er terminos, allerley, abwechselnde, zuweilen nun nicht recht schickliche Worte und Beschreibungen: so bliebe dennoch die Sache, der Begriff selbst. Und diese billige Beurtheilung, daß nicht alle, da und dort eingefürte Worte, [32] Bestimmungen, Abtheilungen, Beweise, eine unveränderliche Richtigkeit und Unverbesserlichkeit haben, auch nicht beibehalten können, gestunden so gar alle billigen römischen Gelerten seit mehr als hundert Jahren; von sehr vielen Artikeln oder Lehrsätzen; aber sie unterschieden die Sache, von der localen Beschreibung und Modification der Vorstellung davon. Die Sache ist und bleibt ein Theil der christlichen katholischen Lehre; die Beschreibung und Vorstellung kann von jemand verändert, für ihn verbessert werden, auch wol mit öffentlicher Genemhaltung. (Z. E.)Zum Exempel So haben die Brüder Walenburchii, selbst 249 Bossuet, (in der so mühsamen Conferenz mit dem 250Abt Molanus) sehr viel in den Beschreibungen nachgegeben; 251jene nanten es secretionem; dieser Bischof explicationem. Aber hier hat der (Hr.)Herr Verfasser geradeweg alle diese Begriffe, alle Sachen, weggeworfen: die man mag, ratione rei, von 252 Erbsünde, von Bekerung durch GOttes Wirkung, von Genugthuung, Rechtfertigung, Gottheit Christi und des heiligen Geistes, jemalen zusammen setzen; er verwirft die Sachen selbst; und giebt uns, wenn wir die Absicht der lutherischen Kirchen ihm entgegen setzen wollen, die Antwort:

253‘fest überzeugt, daß streitige Religionspunkte nie in den Volksunterricht gehören; und daß folglich auch von solchen ein kirchliches Lehramt verwaltet werden kann, welche von der Systemsreligion in ihren Ueberzeugungen abweichen; dagegen aber desto eifriger an der reinen Christusreligion halten, und dieselbe gründlich vorzutragen wissen.’

Kann diese einseitige angebliche Ueberzeugung des (Hrn.)Herrn Verfassers etwas dazu helfen, daß die lutherische Kirche nun auch überzeugt werde, ihre augspurgische Confession enthalte – Irtümer, in diesen genanten Lehrsätzen? Wil die lutherische Kirche zufrieden seyn, wenn ein Lehrer sich einbildet, er habe 254 ‘mit besondrer Klug [33] heit und Vorsicht die Gesetze des Staats mit der Gewissensfreiheit zu vereinigen gesucht? diese Arbeit war ihm ja nicht anbefolen, oder in seinen Eid gegeben worden. Die Gewissensfreiheit, als ein Recht eines jeden Unterthanen, gehört ihm selbst; betrift ihn, im Individuo; in seinem Privatstande vor und gegen GOtt. Ein Lehrer, als Lehrer, steht in einem öffentlichen Amte; hat einen öffentlichen Stand, in der öffentlichen ganzen Gesellschaft. Diese Gesellschaft, die ihn selbst bestellet, trauet ihm das zu, daß er, wie sie ihn hat eidlich versprechen lassen, die Lehren der augspurgischen Confession, welche im Staate aufs feierlichste, zur öffentlichen Unterweisung eingefürt ist, als solche augspurgische Lehrsätze, dem Volke vorlegen wil. Und nun wil ein Lehrer sagen: vermöge meiner Klugheit und Vorsicht, wil ich die Gesetze des Staats, (welche die augspurgische Confession zum öffentlichen gemeinen protestantischen Lehrbuch machen, behaupten und schützen,) mit meiner privat Gewissensfreiheit, wonach ich die Confession für irrig und falsch halte, in eine Vereinigung bringen; und ich wil also das nicht lehren, was in der augspurgischen Confession stehet, (denn das sind schädliche Irtümer, die in der Schrift nicht befindlich und der Vernunft anstößig sind,) sondern ich will diese mir anvertraute Glieder der lutherischen Kirche dasjenige lehren, was ich selbst, nach meiner Gewissensfreiheit, für mich, nach meinen besondern Umständen oder Einsichten, glaube und denke. Ist es wohl nötig, das ungeschickte in dieser ganzen Beschreibung weiter zu entwickeln? Ist denn dis rechtschaffen und ehrlich gehandelt gegen diese Gesellschaft? Die verlangte ja nicht ein neues Lehrbuch zu bekommen, sondern sie wil ihre alte augspurgische Confession verstehen lernen, und erklären hören, was ihr wahrer Inhalt, der Sache nach, heut zu Tage noch immer wirklich ist! Uebrigens will ich nichts weiter hier zusetzen; die Folge hieraus, 255‘daß folglich auch von solchen ein kirchliches Lehramt verwaltet [34] werden kan’“ – wird eine jede Kirchengesellschaft läugnen; sie verlangt einen solchen Lehrer nicht, der die augspurgische Confession von 256der reinen Christusreligion (ein neuer Ausdruck) als sehr verschiedene Lehrbegriffe, unterscheidet. Wir lassen das nicht öffentlich lehren in unsern Kirchen, was, aus und nach Privat-Uebung oder Verirrung, unter dem Namen einer reinen Christusreligion, als was ganz anders, uns angeboten wird. Gründlich vorzutragen wissen, ist eine viel zu gemeine Eigenschaft, die sich bey Socinianern, Juden und Muhammedanern finden kann; es komt auf den Lehrinhalt hier zuerst an; nachher auf seine Gründlichkeit für die Zuhörer.

(S.)Seite 12. 257‘Ich muß es also nun schon ferner wagen, bey dieser mir zur Pflicht gemachten öffentlichen Erklärung meiner Privatüberzeugungen, freimütig zu gestehen: daß ich die oberwänten Lehrsätze, nach meiner geringen Einsicht, für schriftwidrig halte und als die Quelle eines doppelten Uebels ansehe.’

Es ist nicht nötig, hierauf viel zu erwiedern; nicht jetzt erst ist es zur Pflicht gemacht worden, sich zu erklären, ob man mit der augspurgischen Confession, der Sache nach, einstimme, und mit gutem Gewissen diese Lehrsätze selbst anneme, also auch sie mit reinem Beifal und Einstimmung öffentlich zu lehren im Stande sey. Die besondre Nachfrage oder Anzeige des kaiserlichen Reichshofraths beziehet sich vielmehr darauf, daß schon mehr Merkmale zusammen genommen werden könnten, welche eben diese Denkungsart enthielten, daß der (Hr.)Herr Verfasser weder 258den alten öcumenischen oder gemeinen Symbolis der 4 ersten Jahrhunderte selbst beystimme, noch auch den Lehrinhalt der augspurgischen Confession selbst bejahe; folglich eine 4te Lehrform oder Religionshypothese öffentlich für das teutsche Reich in Schwang gebracht werden wolle; welche eben darum zur Gewissensfreiheit [35] gar nicht gehöret, weil öffentliche Unternemungen im Werke sind, eine ganz neue 259 universelle Religionsform im römischen Reich für andre Christen aufzubringen, mit Aufhebung der 3 feierlich eingefürten und festgesetzten. Dieses Vorhaben einiger emsigen, sehr viel auf einmal umfassenden Personen ist es, worauf die sämtlichen teutschen Kirchen mit allem Recht aufmerksam sind. Der Zusatz, nach meiner geringen Einsicht, ist hier ganz ohne alle Bedeutung und Absicht. Der ganze zuversichtliche anmaslich große Ton des Bekentnisses, der andre Lehrer so leicht 260 Lügner oder Heuchler nent, entdeckt es überal, daß der (Hr.)Herr Verfasser sich keine geringe Einsicht oder kleine moralische Größe beilege. Er würde sonst die erste Pflicht nicht überschritten haben, sich nicht über alle andre Lehrer so gleich selbst zu erheben; er würde seine Gedanken, die morgen eben so veränderlich seyn können, noch nicht als feste neue Wahrheit den feierlichen Bekentnisschriften aller bisherigen christlichen Kirchen so geschwind entgegen gesetzt haben. Er hält also jene Lehrsätze, den Sachen nach, wie ich schon angemerkt habe, geradehin für schriftwidrig. Dis konte er ohne Sünde gegen GOtt zu begehen, und ohne Pflichten gegen eine Gesellschaft, in der er lebt, selbst zu übertreten. Die allermeisten 261Kirchen des Orients haben gar keinen 262Begrif von Erbsünde, in lateinischer Denkungsart, von traduce, wie Augustinus sie am ersten so bestimt hat, für seine Mitglieder im africanischen Lehramte, 263(nicht als allein seligmachende Wahrheit;) der (Hr.)Herr Verfasser konte also sagen, ich finde den Lehrsatz von Erbsünde, Rechtfertigung, Genugthuung (etc.)et cetera gar nicht in der Schrift. So hatte er blos sein Gewissen gegen GOtt zu beurtheilen, und zu erwarten, was andre christliche Lehrer ihm antworten würden, nach ihrem Gewissen. Aber er muste die Pflichten gegen seine Zeitgenossen, in der und jener christlichen Kirchenpartey, nicht aufheben und umstossen; folglich 1) nicht vorgeben, daß 264 ‘die auf ihren [36] Posseß trotzende Geistlichkeit, [(]die eben nicht immer das Vorurtheil der Gelehrsamkeit, Geistesstärke und der kaltblütigen Prüfungsgabe, für sich gehabt habe,) diese Lehrsätze der Welt als allein seligmachende Glaubenswahrheiten aufdringen wolle. Von aufdringen kan die Rede ganz und gar nicht seyn; indem ich schon gesagt habe, wer gar kein Christ seyn wil, kan ein Jude, Muhammedaner, Unchrist werden oder seyn; wer nicht zu Protestanten gehören wil, 265kan sich zur römischen Kirche begeben, und umgekehrt. 2) In keiner von diesen Kirchen wird die Lehre von Erbsünde (etc.)et cetera geradehin für eine seligmachende Glaubenswahrheit ausgegeben; indem es über diese Lehre so mancherley Ausdehnung und Verknüpfungen der Vorstellungen giebt, die auch jedem Gewissen frey stehen, und es wird doch niemanden, gar niemanden darum der Antheil an innerer moralischer Seligkeit und christlicher Wohlfart abgesprochen, dieweil er mehr oder weniger bestimme, diese oder jene Beweisstelle und Beweisart nicht anneme, als doch diese und jene öffentliche Beschreibung enthalte. Wenn also auch der (Hr.)Herr Verfasser ganz und gar nichts mehr übrig behält, was man Zerrüttung, Mangelhaftigkeit oder Verderben, Verdorbenheit des Menschen von seinem ersten Daseyn, von Natur her, nent: so trit er zwar ab von allen Bekäntnissen aller Kirchen, die im teutschen Reich eine besondre öffentliche Verknüpfung und vorzügliche öffentliche Rechte haben; aber ich wil ihm deswegen nicht allen Antheil an innerer Seligkeit und moralischer Wohlfart absprechen; wenn er nun sonst seine moralische Unordnung, die er also blos vom Vorsatz an berechnen wird, auszubessern und mit moralisch guten Fertigkeiten zu vertauschen bemühet ist. Braucht er dazu keine Wirkung GOttes, keine Rechtfertigung, in gar keiner Bedeutung; keine Verschaffung, Erwerbung, verdienstvolle Gnade oder Wohlthat Christi; (meritum et beneficia Christi, setzt die augspurgische Confeßion zusammen,) so [37] wil ich sie ihm nicht aufdringen; es geht ja mir und andern gar nichts darunter ab oder zu. Glaubt er zu wissen, daß Christus, oder 266 Logus, Monogenes, Erstgeborner aller nachher geschaffenen Dinge, gar keine hermeneutische Möglichkeit habe: so werde ich gewis mit ihm nicht darüber streiten; wie er mich und andre Lehrer nicht auf diese seine Gedanken bringen wird. Aber woher komt denn das Recht zu der Forderung: weil ich, in meinen besondern Umständen, von diesen Lehrsätzen keinen Grund in der Schrift finde: so müssen die christlichen Kirchen in Teutschland, auch alle ihre Bekentnisse faren lassen, und ein neues Bekentnis, so wie meines, öffentlich aufstellen. Ich sage, wo komt dis Recht nun her? Ich dächte zu allererst, würde eine billige Bescheidenheit dieses an Hand geben: daß andre Lehrer mit eben demselben guten Gewissen diese Lehrwahrheiten in der Schrift, da oder da finden, also auch in dem Zusammenhange christlicher Vorstellungen an Ort und Stelle einsetzen können; daß es nun den Landesobrigkeiten zukäme, aller öffentlichen Unruhe und neuen Spaltung ihrer Unterthanen so vorzubeugen, als sie für die Freiheit des Gewissens nötig, und zur gemeinen Verbindung für gut fänden; und wenn sie diese öffentlichen Kirchenbekentnisse behaupten und ausschliessungsweise, was öffentliche Religionsübung und Unterricht betrift, beschützen wolten: so hätte weder der (Hr.)Herr Verfasser noch irgend ein billiger Zeitgenosse ein Recht, es zu misbilligen. Wir wollen den Fal setzen, der es in der That gar nicht ist, es sind also zwey Parteien; eine sagt, ja, diese Lehren, an sich, ohne die veränderliche Modification, die dem Gewissen stets gehört, haben ihren Grund in der Bibel. Die andre sagt, nein; sie haben gar keinen Grund in der Schrift, und wir verlangen daher, (nach dem Rechte der Menschheit und unsers Gewissens,) daß ihr andern Lehrer uns hierin Recht geben solt; ihr müßt eure Bekentnisse, Catechismos, eurer drey Kirchen (etc.)et cetera nun ab[38]schaffen und wegwerfen, hört uns zu, wir wollen ein Religionssystem für die ganze Welt machen – und was der Versprechungen aus der Mondwelt mehr sind – Auf welcher Seite wird wohl mehrere Menschenliebe und Ueberlegung sich finden? und wer sol nun im Staat über diese zweierley Angaben oder Vortrag, den Ausspruch thun? Ich denke, die landesherrliche Macht; diese bestimt oder hat schon lange bestimt, die äusserlichen Rechte der gottesdienstlichen Geselschaften, was Uebereinstimmung des ersten Religionsunterrichts betrift; die Gewissen läßt sie überal frey, weil sie wohl weis, daß GOtt allein darüber das Gebiete hat. Diese Anzeige des (Hrn.)Herrn Verfassers hat also keinen andern Erfolg, als für ihn selbst; er trit ab von den katholischen und protestantischen Kirchen. Wenn er aber zugleich sich anmasset, uns zu seinen Jüngern zu machen, und zu eifrigen Theilnemern an einer Universalreligion: so ist diese Anmassung mit gar nichts zu rechtfertigen; und wie sie bey verständigen Leuten mag entschuldiget werden, die aus der Historie an mehr solche neue Projecte denken: wird die Erfarung lehren. Es gränzt, warum solte ich es nicht sagen, sehr nahe an den Fanaticismus, andere sagen, Naturalismus; sie urtheilen nach einerley Rechte, und der (Hr.)Herr Verfasser wird es ihnen nicht absprechen.

Aber diese Lehrsätze sieht der (Hr.)Herr Verfasser gar an 267 ‘als eine Quelle eines doppelten Uebels.

268‘Einmal empören sie die gesunde Vernunft, und haben so wenig Beweise für sich, daß es kein Wunder ist, wenn zu allen Zeiten der selbstdenkende und prüfende Theil der Menschen, dieselben anstößig fand, und wenn die meisten davon, um jener Lehrsätze willen, welche die auf ihren Posseß trotzende Geistlichkeit – der Welt als alleinseligmachende Glaubenswarheiten aufdringen wolte, die ganze Religion verwarf.’

[39] Man kan dis alles dem (Hrn.)Herrn Verfasser als seine Gedanken, zugeben; ohne daß hieraus folgte 1) alsdenn wird dieser sogenante selbstdenkende Theil der Welt nicht die ganze christliche Religion verwerfen: wenn wir andern Christen, diese unsre Lehrwahrheiten gänzlich nun ihrem bisherigen Hang zum Unglauben, aufopfern. So viele Lehrer und Christen können dis nicht sagen, daß diese Wahrheiten die gesunde Vernunft empören; oder daß es ihnen an gutem Beweise für solche Lehrsätze fele. Da wir nun vielmehr das Gegentheil sagen, und in der augspurgischen Confession öffentlich lehren, so ist es eine ganz vergebliche Anmaßung: daß die Privatüberzeugung des (Hrn.)Herrn Verfassers mehr und bessern Grund habe, als die eben so freie eigene Ueberzeugung so vieler andern Lehrer. Es ist 2) auch mit nichts zu erweisen, daß zu allen Zeiten denkende Menschen die ganze christliche Religion um jener Sätze willen, verworfen haben. Da dis eine Historie seyn soll: so müste man doch wenigstens einige denkende Leute mit Namen angeben können, unter so vielen, die zu allen Zeiten die ganze Religion, um jener Lehrsätze willen, schon ehedem verworfen haben sollen. Denn da, wie ich schon vorhin gesagt habe, diese Lehrsätze nie in einer einzelnen Form, sondern stets der Sache nach, ohne einzele Bestimmung, auf gar mancherley Weise gelehret werden; sie also nicht einen einzigen und notwendigen Zusammenhang mit der Religion, in irgend einem Subjecto haben: so erfolgte es ja niemalen, daß die ganze christliche Religion darum wäre weggeworfen worden, weil jemand von Erbsünde, Rechtfertigung, Genugthuung (etc.)et cetera eine besondre und verschiedene, ihm eigne Vorstellung hatte. Die ganze so große orientalische Kirche, wie ich schon gesagt habe, hat nichts von dieser Erbsünde; und hat doch darum nicht die ganze Religion weggeworfen. 3) Ich habe schon gesagt, daß niemand der Welt diese dogmatische Ideen gelerter Männer oder nachdenkender Leute, hat als die alleinseligmachende Glau[40]benswahrheiten aufdringen wollen; sie gehörten in der localen öffentlichen Bestimmung, blos für den gelerten Stand, für die Clerisey, und hatten blos äußerliche Folgen. In der und der Zeit und Provinz wurde es von Candidaten gefordert, also zu reden von 269 peccato originali, um sich als Lehrer in dieser Provinz oder Kirche zu empfelen; wer nicht also reden wolte, wurde kein Lehrer in dieser Gesellschaft; dis war der ganze Erfolg. Von der ganzen übrigen Religion, die man damit annäme oder wegwürfe: war niemalen die Rede. Sehr lange ist dieser Artikel von Erbsünde schon so beurtheilet worden, daß er 270 ad secundarios articulos gehöre, was die genaue Bestimmung der Vorstellungen betrift. 4) Warum sol es geradehin heißen, die Geistlichkeit trozte auf ihren Posseß? sie hat eben nicht immer das Vorurtheil der Gelersamkeit und Geistesstärke, und der kaltblütigen [Prüfungsgabe] gehabt – Können wol solche algemeine Oerter hier etwas helfen? Muß der (Hr.)Herr Verfasser jetzt das Vorurtheil der Gelersamkeit und Geistesstärke darum haben, weil er es so leicht den so genanten Geistlichen oder Theologis abspricht? Man meint entweder die Geistlichkeit und Clerisey, vor dem 16ten Jahrhundert: die haben gar nichts von diesen Artikeln ausfürlich gelehret, was den gemeinen Unterricht in Kirchen und Schulen betrift; und davon wird doch hier geredet. Denn der denkende Theil wird doch nicht von den 271 Scholastikern und Gelerten selbst verstanden; die haben wenigstens nicht deswegen die ganze Religion weggeworfen, da sie selbst einander hierüber bestritten haben; es war ihnen vielmehr ihre Lehrart sehr geläufig und gar nicht anstößig. Oder man meint die Geistlichkeit nach der Reformation, und zwar entweder die römischkatholische, oder die protestantische. Von der römischen Kirche ist es mit gar nichts zu erweisen; ihre conuersio und iustificatio, auch die Lehre de peccato originali (worin sie mit uns 272zu Worms und auf andern Zusammenkünften einstimmeten,) kann auch gar [41] nicht hierher gezogen werden, wenn anders jemand ihren Lehrbegriff verstehet. Sol es also von protestantischen Lehren gemeinet seyn: so weis ich nicht, wie man mit einigem Scheine sagen könne, die protestantischen Lehrer (z. E.)zum Exempel 1530. hätten auf ihren Posseß getrotzet; indem ihnen sogar von römischen Gelerten der Vorwurf gemacht worden, von neuen Lehrsätzen; wie ein jeder weis, der die gelerte Geschichte der 273 augspurgischen Confession und ihrer Apologie, nur einiger maßen kennet. Sol es gar auf unser Zeitalter gehen: so weis ich nicht, wo die so trotzigen Geistlichen zu suchen sind, die überhaupt ihrer Obrigkeit gern unterworfen sind, und sich täglich den allerfreiesten Untersuchungen oder gar Spöttereien ausgesetzt sehen. Was für Verstand bleibt also in dieser anstechenden Rede? da nun noch dazu ein jeder denkender Zeitgenosse wirklich alle Freiheit hat, das ihm Anstössige in solchen Beschreibungen wegzuthun, und die Sache an sich, ohne anstössige Bestimmung selbst zu behalten: wie sol irgend jemand innerlich genötigt heißen, die christliche Religion darum wegzuwerfen, weil einige andere Lehrer oder Christen nach ihrem Gewissen etwas anders denken, das ihm jetzt eben anstössig ist? Gar wohl aber läßt sich dieser öffentliche Tadel unserer feierlichen Lehrbücher begreifen, wenn jemand damit umgehet, für Teutschland, für Europa, oder alle Kosmopoliten eine algemeine Religion zu entwerfen; wenn er sichs als etwas großes einbildet, eine einzige öffentliche Religionsform zu machen. Ein Einfal, den alle andre Zeitgenossen gar nicht achten.

Es heißt also auch: 274‘daher man jene Lehrsätze mit Recht als den Hauptgrund des überal einreissenden Unglaubens ansieht, welcher sich von den Höfen bis in die Hütten des ärmsten Volks ausbreitet, und bald alle Religion in der Welt verdrängen wird, wenn dem Uebel durch keine andre als gewaltsame und Freiheit kränkende Mittel gesteuret wird.’

[42] So gros dieses ausgedruckt ist, bleibet es doch nur des (Hrn.)Herrn Verfassers privat Gedanke, und wird kein algemein eingestandner, durch Erfarung verständiger wahrer Christen, ausgemachter Satz. Ich wil es nicht wiederholen, was ich gesagt habe; es ist nicht wahr, daß irgend ein Lehrer diese Lehrsätze dem Gewissen eines denkenden Menschen aufdringen wolle, noch dazu als alleinseligmachende Glaubenswahrheiten. Es kann also auch niemand unlustig und mürrisch werden, wie es eine seltsame Gewissenhaftigkeit wäre, darum die ganze Religion wegzuwerfen; weil in diesen und jenen Lehrbüchern gewisse Grundsätze stehen, welche zum Unterschied der Kirchenparteien ein für allemal festgesetzt sind. Was ist aber Unglaube, wovon hier geredet wird? der von Höfen sich ausbreiten soll bis in die Hütten? davon jene Lehrsätze in dem System der protestantischen Religion der Hauptgrund seyn sollen? War denn vor diesen so genanten Religionssystemen, die nun im (röm.)römischen Reiche öffentlich gelten, kein Unglaube? Herrschete er nicht also wie jetzt, in den und jenen Ländern; bey sehr vielen Menschen? Ja war zur Zeit Jesu und der Apostel, (da gewis diese Systeme und gesamleten Artikel nicht da waren) überal christlicher Glaube in Pallästen und Hütten aufgenommen? Was können solche unstatthafte Declamationen helfen! In den Augen mancher lebhaften Leute, welche freilich mit ihrer 275 Gewissensfreiheit und mit ihrem Standpunkte nicht zufrieden sind, sondern eine Religionsreforme anfangen, und Epoche machen wollen: sind dis große wichtige Projecte und Angaben. Wer aber die Menschen kennet; die Absicht und Natur der Religion bedenket, die entweder öffentlich gelehrt, oder dem Gewissen nach gesamlet und angenommen wird: der wird der so alten sichern Erfarung mehr Gewicht geben, als solchen Ausruffungen. Und wer kan denn diese Aeußerung leiden, der Unglaube würde bald alle Religion in der Welt verdrängen, wo wir nicht unsre öffentliche Religionsbücher abschafften? Wir [43] wollen einmal die Sache entwickeln. Hier heissen die 276 Lehrsätze, von Erbsünde, Rechtfertigung, Bekehrung durch GOttes Wirkung, Genugthuung, von Gottheit Christi und des heiligen Geistes – die Quelle alles einreissenden Unglaubens. Wollen also diese Sachen, Begriffe, (nicht theologische Formeln allein) erstlich bey uns, (die wir, nicht dem leeren Namen nach, Christen sind, sondern die innere Kraft der geistlichen Religion JEsu, kennen und bewaren,) näher ansehen; ob diese Begriffe und Sachen uns zum Unglauben, zur Untugend verleiten, ob sie Hindernisse der Gottseligkeit, in so fern sie unsre innerste Neigung und Gemütsfassung einschliesset, bisher für uns gewesen sind? Hier rufe ich einen jeden Christen her, er sol mit mir diese Untersuchung und Betrachtung, in seinem Gewissen vornemen. Wissen und gestehen wir es, daß wir leichter zu allerley guten, edeln, reinen, uneigennützigen Gedanken, Vorsätzen, Wünschen, hinhängen, als zu bösen und unrechtmäßigen Vorstellungen, Vorsätzen, Begierden, Entschliessungen? Ich und alle bisherigen augspurgischen und römischen Christen sagen aufrichtig: nein, das wissen wir nicht zu bejahen; zum Guten brauchen wir sehr viel neue Mittel und Gründe; sie wirken nicht stets stark, geschwinde; wir folgen leicht dem Schein des Guten, und suchen es da, wo es nicht ist. (277 Pythagoras, Cicero, Seneca, Antonin, Epictet, Arrian haben, ohne Christen zu seyn, eben diese Erfarung über die Menschheit gemacht.) Sind wir durch diese Erfarung und Kentnis, zum gottlosen Leben verleitet worden bisher? Wir sagen alle, nein; vielmehr streiten wir täglich gegen diese in uns voraus liegende Sinlichkeit, Eigenliebe, Einbildung – und haben aus unsrer Lehre von gewisser, leichter Sinnesänderung, tägliche glückliche Erfarung, ich wachs’ und nem im Guten zu; wir reichen dar in diesem Christenglauben, Tugend, fruchtbare Erkentnis, gehörige Einschränkung der sinlichen Begierden, also auch, wenn es nötig ist, Gedult, [44] und so verehren wir GOtt innerlich; lieben, um GOttes willen, unsre geistlichen Brüder, und alle Menschen, weil sie auch so gebessert werden können, – 278 2 Petri 1, 5. Die Verzeichnisse der 279 Früchte des Geistes, oder der christlichen neuen Gesinnung kennen wir mit Freuden; weil wir durch unsre Erfarung wissen, daß diese vortrefliche Veränderung der Menschen, wenn sie diese geistlichen Wahrheiten anwenden wollen, wahrlich zu Stande komt. Wir disputiren nicht, über menschliche Mitwirkung, oder pur unmittelbar göttliche Wirkungen; wir halten uns an die Wirkungen selbst, die uns ganz unentberlich sind; es ist gewis, alles Gute, zumal dis innerste geistliche Gute, komt von oben herab; andre Bestimmungen helfen und schaden nichts zur wirklichen Erfarung der Veränderung; gehören nun in die verschiedenen äusserlichen Geselschaften, worin man Abänderungen der Vorstellungen, von den seinigen, freilich entdeckt und antrift; also damit einstimt, oder davon abweicht. Wenn Christen nicht nach äusserlichen Umständen verschieden wären, so würden sie sich einerley Vorstellung und Erklärung machen. Wir sehen nur auf den wirklichen herschenden moralischen Zustand; wenn der durch GOttes Einflus regiert wird: so sind wir zufrieden, und verlangen nicht, daß jemand seine Erfarung in unsre umsetzen sol. Und über Notwendigkeit einer Genugthuung –? Wir danken GOtt, daß er einen solchen Christum bestimt und geordnet hat; für uns eben, wozu wir ihn nötig haben, zur Offenbarung der rechten göttlichen Weisheit, der grösten Gerechtigkeit, der innersten Heiligkeit, der allergrösten volkommensten Erlösung; und daraus, aus dieser unserer eigenen Erfarung und täglichen Proben, entstehet in uns das wärmste Lob, der innigste Ruhm GOttes; den preisen wir nun nach Leib und Geist; weit gefelet, daß diese christlichen für uns so grossen Ideen uns zur Untugend, und auch nur entferntesten Ungottseligkeit verleiten solten. Wir rufen jedem zu, komm und siehe es; [45] thue erst, und volziehe selbst in dir, für dein Bestes, diesen Willen GOttes, den Christus lehrete; da wirst du es aus deiner Erfarung wissen, was du jetzt, ohne Geist und inneres Leben, so kaltsinnig, so fremd, so unbekant mit unsern Wahrheiten, daher speculirest. Und der Geist GOttes, der uns treibet, (magst ihn beschreiben für dich, ohne seine Wirkung zu kennen), versichert uns, daß wir den rechten neuen Weg der christlichen geistlichen Religion wirklich gehen: 280

Seinen Geist, den edeln Führer,
Giebt mir GOtt in seinem Wort
– – – – –
Daß er mir mein Herz erfülle
Mit dem hellen Glaubenslicht.

Dein Geist in meinem Herzen wohne,
Und meine Sinnen und Verstand regier.

In diesem Gebrauche unserer Vorstellungen vom Geiste GOttes, solten wir jemalen zur Untugend, zur Ungottseligkeit herabsinken können, wie jene, die fleischliche sinliche Menschen bleiben –! dis ist es ungefär, was unsre frommen Christen hier antworten. Ob heiliger Geist eine Person ist, für sich, eine dritte; oder GOttes heiligende Wirkung: ist in Absicht des Erfolges der Wirkung in dem Menschen, ganz und gar einerley; kan gar nicht 281 ‘eine Quelle des Unglaubens’ – werden, es ist ganz unmöglich. Diese doppelte Bestimmung theilt nur die Geselschaft der Christen in zweierley Parteien; deren Lieder und Gebete vom heiligen Geiste zweierley Beschreibungen und Worte enthalten; davon also nicht das Eine eben so gut als das andre allen beiden Parteien angemessen und ihren Vorstellungen gleichförmig ist. Dis ist aller Erfolg; weiter gar nichts.

Aber wir wollen zum andern, eben diese Sachen, die in unserm Bewustseyn, in unserer geistlichen Historie [46] unsrer selbst sind, wegthun, ganz und gar ausstreichen; von Erbsünde an – alles weg. Nun was für ein Glaube und Inhalt der christlichen Religion bleibt denn übrig? Ich sagte, der christlichen Religion; welcher Character ist wol da? Der (Hr.)Herr Verfasser sol es selbst herschreiben – Alsdenn sol die Religion überal wachsen und zunemen. Was für Religion? die christliche? ganz gewis nicht; sondern eine ganz neue, die den und den Kopf zum Urheber hat. Die christliche Religion, als ein urkundlicher oder beurkundeter Inhalt von Historie und Begriffen darüber, hat ihre ganz charakteristischen Ideen, wonach sie eben dem Juden- und Heidentum, auch als öffentliche Religion, entgegen stehet. In diesem kentlichen Charakter wird sie sogleich auch äusserlich von jeder Religion unterschieden; diese Begriffe werden vor der Taufe, so oder so viel, in dem und jenen jedesmaligen Local der Schüler und Lehrer, mitgetheilet; eben so in christlichen Uebungen angenommen und fortgesetzt. Daher giebt es sehr verschiedene gleichzeitige christliche Parteien, die in Vorstellung über christliche Dinge nicht gleich sind und seyn können; aber in der Gemütsfassung, in der Quelle ihrer Begriffe, in dem Geständnis des Neuen und Ausserordentlichen, alle gleich sind; sie wollen alle der durch JEsum Christum gelehreten Religion anhängen. Sie samlen die Religionswahrheiten aus den christlichen Urkunden. Die gesamleten Lehrsätze selbst, die Vorstellung von ihrem Inhalte, sind bey diesen Parteien oder Geselschaften vom Anfange an, nicht eben dieselben; die Parteien gehören auch daher nicht unter Ein Oberhaupt; sie sind einander den Urtheilen, dem Gebrauche des Gewissens nach, nicht unterworfen; sondern jede folget dem Lehrbegrif, den ihre Lehrer vorgezogen haben. Wir finden also zwar eine immer mehrere Ausbreitung dieser neuen Religion, die von Christo sich herschreibet; aber die einzelen Geselschaften sind gerade nach der Ungleichheit der bürgerlichen und äusserlichen Verhältnisse [47] der Provinzen, der Städte, der Lehrer, ebenfals stets verschieden; allesamt Christen, aber sie haben nicht einzig einerley Lehrbuch und Lehrform; denn es war von Anfange an keine vnitas idearum über eben dieselbe obiecta; sie war unmöglich; weil Zeit und Ort nicht einerley seyn konten für alle Menschen. Erst, wenn viele Kirchen unter Eine und dieselbe äusserliche oder oberherrschaftliche Regierung nach einerley Zeit und Ort gehören, wird an einer (äusserlichen) Vereinigung mehrerer Geselschaften gearbeitet; die alsdenn katholische Kirchen heissen, wenn sie gegen alle sogenanten ketzerischen Parteien, eben dieser Zeit und Orte, berechnet und verglichen werden; von denen sich diese Katholischen alle abgesondert haben, also schon hiemit zusammen gehören. Wer also eine stets einzige Religionsform für alle Christen in Europa einfüren wolte: müste zuerst schaffen, daß alle Menschen in einerley Zeit und Ort wären und blieben; schaffen, daß alle unabhängige Oberherren in eben diesem Vorhaben, eine einzige Religionslehre durchgängig für alle ihre Unterthanen einzufüren, sich vereinigten; folglich die bisherigen so sehr verschiedenen und besondern Rechte über die äusserliche Religion, unter einander aufhüben; also weiter eine allereinzige Beschreibung des Inhalts der Lehren und der Geschichte JEsu, und ein Mittel festsetzten, diese Beschreibung in allen Menschen mit einerley Gedanken, die sich nicht verändern, ganz unfelbar immer gleich zusammen zu hängen – ich wil gar nicht weiter gehen. Die innere Unmöglichkeit eines solchen Projects fält einem jeden von selbst in die Augen. Man müste zunächst eine algemeine Sprache haben; sonst werden die besondern Nationalsprachen auf einmal alle Einheit der Beschreibung wieder in 282neue Nationalreligionsformen, in den Köpfen austheilen; und alsdenn – nach vieler langer Zeit komt man wieder auf die politische öffentliche Religionsvereinigung nach dem Unterschied der Staaten, und auf die Gewissensfreiheit der einzelen [48] Menschen zurück; wo wir jetzt schon sind. 283Ich behaupte also, ohne alles Bedenken, es giebt kein Urchristentum, in der Bedeutung, der einzigen Identität der angenommenen Vorstellungen; es giebt vielmehr eben so viel gleichzeitige Modification der moralischen und historischen Ideen, als viel es damalen selbstdenkende Zuhörer und Lehrer gab, die nach Zeit und Ort verschieden waren. Wer wird denn nun mehr leisten durch einen neuen Entwurf, als JEsus, Paulus, ja als GOtt selbst unter den Menschen erwartet oder befördert? Wer kan die christliche Religion so beschreiben, sie müsse, dem Inhalte nach, also eingerichtet werden, daß alle Europäer, alle Africaner, Asiaten, kurz alle Menschen, nach so verschiedenen Umständen der Zeit und des Orts, diesen Inhalt gleich gern und leicht annämen? Wenn die Wirkungen des Verstandes so erfolgten, als sinliche Empfindungen bey allen Menschen; wenn das Object hier ein sinliches, äußerliches Ding wäre: so ist kein Zweifel daran, alle Menschen würden einerley Vorstellungen zusammen setzen, wie sie die Augen und Ohren auf eine notwendige Art gleichförmig brauchen; und überal darin übereinkommen, dis sey ein Stein, ein Baum, ein Berg; das Gehen oder Schlagen, Werfen, Essen, Trinken, müsse durch diese Art der Bewegung der Gliedmassen bewerkstelliget werden. Aber wer wil in den Vorstellungen von der christlichen Religion, bey allen Menschen diese Einförmigkeit zu wege bringen? Es giebt also immerfort verschiedene Lehrsysteme, sie sind ganz und gar unvermeidlich für denkende Christen, sind auch unschädlich, was die eigene Religion betrift.

Nun folget die andere Bestätigung, (S.)Seite 13. 284‘Und eben so gewis scheint es mir, daß die meisten der obgedachten Lehrsätze der Tugend und Gottseligkeit schaden.’

Wenn es nun aber unsern Regenten und allen von ihnen verpflichteten Lehrern, nicht eben so gewis scheinet? [49] 285Haben wir alsdenn ganz gewis ein kurzes blödes Gesicht, oder kein Menschengefül? kein gutes Gewissen?

286‘Denn so bald man die Menschen überredet, daß z. B. a) jeder von Natur und von Mutterleibe an mit allen Neigungen zu allem Bösen behaftet und ein geborner Feind GOttes ist.’

Und wo lehret man denn auf diese Art? und wer könte die Menschen hievon überreden? Wenn der (Hr.)Herr Verfasser sich auf häufige, starke, uneigentliche, sinliche Beschreibungen berufen wil, die in manchen Büchern stünden, zumal in Poesie und Liedern, von den Erwachsenen Menschen gebraucht würden: so ist hiemit weder diese Beschuldigung, daß dis die Lehre der augspurgischen Confession seie; noch auch diese Folge erwiesen, daß das teutsche Reich eine Religionsform und zwar aus solchen Händen, nötig habe; weil sonst die ganze christliche Religion aus der Welt würde verdrenget werden. Wenn nicht mit Worten gespielet werden sol, (wozu 287 Hebraismi, von Mutterleibe an, und der unbestimte Gebrauch des Ausdrucks, alle Neigung zu allen Bösen, geborner Feind GOttes, gehören würde:) so ist dieses geradehin unwahr, daß die augspurgische Confession oder irgend eine öffentliche Religionspartey im teutschen Reiche, diesen Inhalt lehre, der hier ausgedruckt ist. Ein jeder Mensch sol mit allen Neigungen von Natur, oder von der Geburt an behaftet seyn, zu allem Bösen; und es ist doch alles bürgerliche Gute eingestanden. Ein Doctor Theologiä muste die Apologie, und das wormsische colloquium kennen, wo die Beschreibungen schon lange auf Christen sind eingeschränkt worden; was nachdenkende Zeitgenossen schon in jener Zeit betrift. Damalen redete man ganz sicher mit biblischen Ausdrücken, man sahe auf christliche Ideen; es wurde auch richtig der Sache nach verstanden: daß in dem Menschen, wenn er bleibt, wie er durch die Geburt sein Daseyn hat, wenn kein Unterricht, keine bestimmende Richtung ohne und außer ihm noch dazu komt; kein an [50] sich wirksamer Grund zu der Verschaffung der christlichen oder geistlichen unsichtbaren Volkommenheit schon finde; daß er sie nicht einmal für sich selbst kent; daß er vielmehr durch die Sinnen zur moralischen wirklichen Unvolkommenheit immer mehr geleitet werde. Daß aber hierin, in diesem mangelhaften Zustande, die Menschen einander nicht gleich, sondern nach gar vielerley Stufen verschieden sind. 288 Morbus, vitium originis ist es recht gut lateinisch beschrieben; in der Confession. So bald nun Menschen hievon unterrichtet werden, durch unsre Lehrer, um sie desto leichter zu bessern: so geben sie, viel oder wenige, auf sich Achtung, und fragen ihre Erfarung von sich selbst; sie werden also nicht davon überredet. Und so bald sie diesen Unterricht hören: so sagen wir ihnen auch, daß GOttes bessernde Wirkung nun schon in ihnen seie, und sie nun anfangen sollen, ihre moralische Zerrüttung täglich auszubessern, gute Neigungen in sich zu befördern, und also eine neue Ordnung zu ihrer Wohlfart in sich einzufüren und anzunemen. Beide Belehrung ist gleich beisammen; daher wird diese von Natur, von dem ersten Daseyn her, in dem Menschen befindliche sinliche Neiglichkeit schon immer durch christliche Eltern, Bediente, Lehrer, Beyspiele, etwas geschwächt und aufgehalten. Hiezu braucht nun ein Lehrer diese, der andre jene Schriftstellen, Erklärungen, Erläuterungen; und einer machts besser als der andre, aber alle haben den Zweck, die Menschen von der Quelle alles Bösen in ihnen selbst zu überzeugen, und sie zur wahren innern Besserung zu leiten. Nun wil ich die Leser urtheilen lassen, ob der (Hr.)Herr Verfasser unsre Lehre richtig angegeben hat; und ob es je nur von weitem möglich ist, daß diese Lehre ‘der Tugend und Gottseligkeit schade’? da sie ja die unmittelbare Anleitung zu der leichtesten Besserung, und zum vertraulichsten Begriffe von GOtt ist, der das gewisseste, zulänglichste Besserungsmittel augenblicklich an die Hand gegeben hat, so bald sich ein Mensch moralisch kennen kan. Denn [51] zum nützlichen Unterricht rechnen unsre Kirchen auch noch das Geschick, das Gewissen und den Ernst des Lehrers; da, im concreto, wo wir diesen Unterricht wirklich ertheilen, ist an kein Hindernis der Tugend und Gottseligkeit jemalen zu denken. Dis erste Stück war also falsch.

b) 289‘Daß er zur Befreiung von diesem Elende und zur Besserung seines Herzens und Lebens nichts wirken könne: sondern lediglich den Beistand des heiligen Geistes dazu erflehen müsse.’

Die augspurgische Confession, oder alle 3 Religionssysteme im ganzen teutschen Reiche sollen dis enthalten? warum wird es so unvollkommen, so mangelhaft beschrieben? 290In eben dem 2ten Artikel der augspurgischen Confession stehet: es werden verworfen, die da lehren, hominem propriis viribus rationis, coram Deo iustificari posse. Das lezte, iustificari coram Deo, ist ein christlicher Begriff (291 (s.)siehe die Apologie); die Sache selbst, kann nicht von dem Menschen propriis viribus geschaft werden. Die Rede ist nicht von bürgerlicher Tugend: sondern von christlicher, oder aus der heiligen Schrift hergeleiteter Beschreibung der Besserung, und geistlichen grösten Volkommenheit der Seelenkräfte, oder Anrichtung eines moralischen Zustandes, nach den Bestimmungen der heiligen Schrift. Ganz recht sagt nun der Artikel: Wenn man es dennoch bejahet, so begehet man eine 292 [extenuationem] gloriae meriti et beneficiorum Christi, das heißt, man gibt zu erkennen, daß einem an dem Inhalt der heiligen Schrift wenig liege. Folglich solte der (Hr.)Herr Verfasser ehrlicher geschrieben haben: daß ein Mensch propriis viribus, aus eigenen Kräften dieser Natur, sich nicht in den Stand des Wohlgefallens GOttes, (wie es für Christen statt findet,) selbst bringen könne; sondern daß gleichsam eine neue Geburt erst entstehe, durch Wirkungen des heiligen Geistes, 293und nun (Artic.)Articel 5. folget: es werden verworfen die, so lehren, daß man, ohne das leibliche Wort des Evangelii (zu hören und zu überlegen, [52] oder ohne Unterricht und Belehrung aus der heiligen Schrift) den heiligen Geist, (der gleichsam eine neue Geburt schaft) überkommen könne. Ist nun hier eine Lehre, welche der Tugend und Gottseligkeit ein Hindernis macht? Es ist ja das öffentliche Gegentheil. Wir lehren vielmehr, daß ein Predigtamt nötig seie; daß GOtt Evangelium und Sacramente uns gegeben habe, (für die Menschen, die sich aus eigenen natürlichen Kräften, nicht zu diesem geistlichen Leben selbst bringen können;) dadurch GOtt, als durch Mittel, den heiligen Geist gibt, welcher den Menschen gleichsam neu zeuget oder schaft; (d. i.)das ist ihm, seinem Verstand und Willen, geistliche Kräfte und Bewegung gibt. Da soll ja nun der Mensch freilich diese Kräfte brauchen und ernstlich anwenden; aber sie waren doch nicht ordentliche Wirkungen seiner leiblichen Geburt? In concreto ist alles leicht und erbaulich, vol Ueberzeugung. Gebet und eigene herzliche Wünsche des Menschen sind doch Veränderungen und Wirkungen des Menschen; warum wird alles so versteckt, als wenn wir aus dem Menschen ein Holz machten? Aber wir reden von christlicher Tugend und Volkommenheit; nicht von bürgerlicher, wie schon gesagt.

c) 294‘Daß GOtt auch auf alle gute Werke des Menschen und auf allen seinen Eifer in der Gottseligkeit nichts rechne; sondern Vergebung der Sünden, und ewige Seligkeit ihm schenke; nicht wegen seiner Besserung und Tugend, sondern wegen eines für unsre Sünde geschehenen Menschenopfers, und wegen der an unserer Statt geleisteten Tugend des Geopferten.’

Wie viel unbillige Declamation! 295 ποιον ἐπος σεον ἐφυγεν ἑρκος ὀδοντων; ist es eine so geringe Sache, alle christliche Religionssysteme, die im römischen Reiche öffentliche Rechte haben, leichtsinniger Weise zu verdrehen, und dafür, zum Lohn solcher öffentlichen Untreue, sich zum Universalreformator anzubieten; und dis gar unter den Augen kaiserlicher Majestät! Mich verdrießt es, auf [53] solche unrichtige Vorwürfe zu antworten. Ist es denn richtig und wahr geredet von uns Protestanten und von Lehrern der römischen Kirche, wo ebenfals, was gründliche Lehrer betrift, alle Kraft oder Wirksamkeit des Menschen, der gern ein innerlicher ruhiger Christ werden wil, aus dem merito et beneficiis Christi hergeleitet wird: daß irgend jemand so lehre: GOtt rechnet nichts auf alle gute Werke oder Eifer des Menschen? Rechnet GOtt nichts auf die allereinzige von ihm selbst gemachte Ordnung der Sinnesänderung und des Glaubens? und ist diese Fertigkeit ohne viele einzele Versuche und Bemühungen, des nun GOtt gefälliger weise wirksamen Menschen? Wir hatten zuweilen unser Verdienst, oder den menschlichen mangelhaften Grund zur Zuversicht, abgesondert; aber was GOtt in uns für christliche neue Bestrebungen angefangen und uns anbefolen hatte: das haben wir niemalen so irrig beschrieben, GOtt rechnet nichts darauf. Es ist unwürdig, über solche längst abgetragene Sachen nur ein Wort zu verlieren; weis es der (Hr.)Herr Verfasser nicht anders, und bildet sich unsre Lehre also ein: so weis ich nicht, wie er es habe ignoriren können. Weis er es aber besser, was für viele klare treffende Distinctionen in unsern Lehrbüchern darüber schon lange da sind: so weis ich nicht, warum er hier so gar unrichtig redet. Und wenn man auch die 296Lehrart der Mystiker so gar gelten läßt: die GOtt wirklich allein thun und wirken lassen: ist dadurch Untugend und Gottlosigkeit bestärkt worden? Wie kan man aber vollend dieses 297 ρημα φορτικον entschuldigen? wir lehreten, wegen eines Menschenopfers, das für unsere Sünde geschehen seie – Ist es erlaubt, Lehrsätze so zu verdrehen, um ihren Inhalt auffallend verächtlich zu machen? Denkt nicht jedermann mit diesem Ausdruck an die Völker, denen man Menschenopfer, aus der und jener Zeit, schuld giebt? und ist in der Historie des Todes Jesu dis enthalten, daß die Juden hätten ein Menschen[54]opfer verrichten wollen? Oder haben die Christen ein Menschenopfer aus dem Tode Jesu gemacht? So untreu, so leichtsinnig, gestützt auf einheimische auf häusliche Consequenzen, muste der (Hr.)Herr Verfasser hier handeln? Ich kenne doch die ganze Kirchengeschichte so ziemlich genau, seitdem man die Beschreibung eines geistlichen, rechten, ewigen Opfers, und volkommenen, geistlichen, rechten, ewigen Priesters zusammengesetzt hat, um das würdige Verhältnis und den unendlichen Erfolg des freywilligen Todes Jesu recht gros und lebhaft, wider alle bisher bekante eigentliche Opfer unter allen Religionen, nun zu empfelen. Aber noch niemanden kenne ich in der ganzen Kirchenhistorie, der diese Beschreibung gegeben hätte. Es ist eine Lästerung, die so gar nach dem ordentlichen Kirchenrechte und den gemeinsten Grundsätzen, in Absicht der Religionsrechte, auch der Juden und Heiden, ganz unerlaubt ist. Man sucht und bittet, wie es heißt, Toleranz, und man begehet öffentliche Beleidigungen aller großen Kirchenparteien, deren öffentliche Rechte doch so feierlich, so algemein bekant, so gewis bestätigt sind! Es ist ferner auch nicht an dem, daß diese Begebenheit und Hinrichtung Jesu, als solche, an sich, Vergebung der Sünden nach sich gezogen habe; niemand lehret einen solchen 298 nexum physicum zwischen dem physischen Tode JEsu, und den moralischen Gütern, die wir davon uns zueignen, durch die neue Uebung in geistlichen Erkentnissen. Der Glaube des Menschen wird überal erfordert, in allen Lehrbüchern, wenn der Mensch wil an diesen geistlichen Wohlthaten Christi selbst seinen Theil nemen. Wenn nun der (Hr.)Herr Verfasser gar nichts selbst weis und kent, von dieser rechten ewigfortdaurenden geistlichen Versönung der Menschen; wenn er das uns allen so heilige Blut Jesu so gering schätzt, und mit einem gräslichen Menschenopfer öffentlich vergleichet: so folgt doch wohl nicht, daß die katholischen Christen, welche, indem sie das geistliche Opfer glauben, allesamt ihrem Gewissen folgen, alsdenn Hin[55]dernisse der Tugend und Gottseligkeit, statt der grösten Mittel dazu, ergriffen haben! Der unendliche große Grund geistlicher Ruhe und Wohlfart wird hiemit beschrieben, auf neue christliche Weise; und dis solten 299 ‘Quellen des Unglaubens’ seyn? Wie verkehrt! Der Grund und die Quelle des christlichen Glaubens sol Unglauben erzeugen! Unsre Christen hatten Muth und Stärke, zur Verherrlichung der christlichen Religion, alle Noth und Tod gern zu übernemen; da reden Leute von Toleranz, denen kein Finger wehe thut. Sie wollen, daß wir es leiden, wenn sie unsre Lehre und Religion verdrehen und verunglimpfen; dis sollen wir an ihnen toleriren! Es ist ein seltsamer Tausch! Eine seltsame misliche Aussicht für die algemeine 300 Reforme! 301Aus des (Hrn.)Herrn Verfassers Historie und Betragen sehen wir eben keine solche Neigung, die Wahrheit, die er doch so grosredend retten wil, auch nur mit einigem äußerlichen Leiden zu bestätigen. Wir haben aber alle den Sinn Christi, nachzufolgen seinen Fustapfen, wie unsre frommen Vorfaren, seit vielen Jahrhunderten; wo mag nun Stärke und Kraft der Tugend und Gottseligkeit festern Grund und größeres Beispiel haben?

Der ganze Nachsatz ist nun ohne alle Wahrheit: 302so ists unmöglich, daß ächte Reue über die Sünde und Abneigung gegen das Laster entstehen kan; so ists unvermeidlich, daß das Herz gegen die Tugend kalt und gleichgültig werde und aller Eifer der Gottseligkeit ermatte, und es lehrts auch leider die Erfarung genug, daß das heutige Christentum fast alle Kraft zur Heiligung der Menschen verloren hat; und daß seine Zöglinge in Absicht auf Tugend und Glückseligkeit, oft sehr weit hinter einem auch nur gemeinen Heiden stehen.’

Diese Strafpredigt, dieser Eifer um algemeine Heiligung – würde mehr eindringendes bey sich haben, wenn sie von jemand anders herkäme; so wenig bin ich Heuchler gegen den (Hrn.)Herrn Verfasser, geschweige gegen meinen Eid und Beruf. So ists unmöglich – wird [56] ein billiger, ein denkender Leser auch diese grobe Unwahrheit so leicht verdauen! Also seit der augspurgischen Confeßion her, seit dem 303 tridentinischen Catechismus, ist und war es unmöglich, daß ächte Reue über die Sünde – entstehen konte? Nach welcher Psychologie wäre dis? Welche unverzeihliche Rhetorication! 304‘Das Herz wird unvermeidlich gegen die Tugend kalt.’“ War es etwa ohne diese Erkentnis so warm und thätig? Und was ist denn das für Tugend, wovon dieser (Hr.)Herr Verfasser so stark spricht? Wie groß, wie glänzend ist denn sein eigen Beispiel, dadurch er dis wider uns und unsre so vielen, so redlichen, ernstlichen Christen erweisen oder bestätigen und erläutern wird? 305‘Das heutige Christentum hat fast alle Kraft zur Heiligung der Menschen verloren.’“ Nemlich, wie beweiset es der (Hr.)Herr Verfasser? Wo ist Christentum als eigne Fertigkeit, ohne diese Fertigkeit? Hatte etwa das Christentum, die geistliche Lehre JEsu, zur Zeit JEsu und der Apostel eine andre Art von Kraft? wurden alle Christen so gewis gleich innerlich Heilige? Ich wil daran nicht einmal denken, daß es bey allen vernünftigen Menschen von je her unterschieden worden ist, als eine psychologische Erfarung, 306 video meliora, proboque, deteriora sequor; ohne daß dis an dem Inhalte der Lehrsätze jemalen gelegen hätte. Allein ich gebe nimmermehr diese historische Anzeige zu; ich kenne viel tausend fromme und heilige Christen in der römischen, morgenländischen, teutschen Kirche; deren Gemütsfassung GOtt wohlgefält, wenn sie gleich selbst noch immer klagen, daß sie in der Heiligung ihnen selbst nicht, geschweige GOtte, schon ein Genüge thun. Die letzte Beschreibung ist eben so übertrieben und falsch; wie viel fromme Landleute, fromme arbeitsame Eltern giebt es, die in Absicht unbescholtener bürgerlicher Tugend, und grosser Mäßigung in Wünschen für äusserliche Bequemlichkeit, es vielen kalten Lobrednern der Tugend zuvor thun! Könten wir da in die Seelen einschauen, wir würden ein [57] grosses Feld erblicken, worauf moralischer Samen in die Höhe wächset, ohne vor Menschen ein groß Geräusche zu machen. Und das ist die eigene christliche Religion.

In eben der wunderlichen Stellung lieset man diese unerwartete Anrede unsers bekanten (Hrn.)Herrn Verfassers an (Se.)Seine (Kaiserl.)Kaiserliche Majestät, (S.)Seiten 14. 15. 307‘Ach allergnädigster Kaiser, König und Herr, wie blutet mir das Herz, wenn ich denke, wie werth, wie hochgeachtet das Evangelium JEsu Christi unter den aufgeklärtesten Menschen in allen Welttheilen seyn könte; was für Siege’“ –

Warum denn gerade unter den aufgeklärtesten Menschen in allen Welttheilen! Ist die christliche Religion von nun an vornemlich für aufgeklärte Menschen bestimt: so ist es gewis nicht mehr die Religion JEsu und der Apostel. Solche starke Redensarten, das Herz blutet mir, lese ich gern, wenn Thatsache dabey ist oder öffentlich einstimt; wie (z. E.)zum Exempel von so viel eifrigen Mißionarien aus allerley Kirchen, die Leben und Gesundheit, und alles dran wagen, ohne erst ein neu und leichteres Evangelium zu machen; wie jene so eifrigen treuen Brüder aus den hernhutischen Gemeinen, nach 308 Grönland, (St.)Sankt Thomas (etc.)et cetera da findet man Herzenswärme; aber in solchen so bequemen Anstalten, daß Kaiser und Könige und Fürsten die im teutschen Reich angenommene Religionssysteme jetzt abschaffen, und sich vom (Hrn.)Herrn Verfasser und dergleichen Liebhabern neuer Entwürfe, eine Universalreligion zu rechte machen lassen möchten – findet man eben nicht, daß ihr Herz dabey blute. Und was würde auch eine einzele noch so ernstliche Gewissensangst oder Sorge für andre hier helfen? Es wäre doch kein andrer Christ verbunden, seine Lehrsätze nach solchem fremden Gewissen einzurichten. Haben wir keine treuen Lehrer, denen das Herz blutet, über der einreissenden ungeistlichen, unmoralischen Lebensart ihrer Zeitgenossen! die eben so klagen als JEsus und Paulus, daß viele sich die Gestalt geben [58] eines gottseligen Wesens, aber alle Kraft der Gottseligkeit verleugnen! Wir wissen es ja, daß nur wenige sind, die 309 den schmalen Weg selbst zu gehen sich entschliessen; und man wil einen so breiten Weg der Religion machen, da alle sogleich mitgehen würden; solte das wohl die geistliche Religion seyn, die so viel besondre geistliche anhaltende Uebungen der Seele zum immer gewissern Glauben und bessern Leben vorschreibet?

310‘Das Evangelium’‘würde ganz anders als bisher auf die Besserung und Heiligung der Menschen wirken; und in die Augen fallende Einflüsse auf Moralität und Glückseligkeit zeigen, wenn es von allem Unrath menschlicher Hypothesen und Meinungen gereiniget und zu seiner ursprünglichen Lauterkeit und Einfalt zurück gefüret würde.’

Ich kan hier eben so wenig Gründlichkeit und Wahrheit finden, als in der bisherigen Declamation. 1) Was heißt ursprüngliche Lauterkeit und Einfalt des Evangelii? Hätte der (Hr.)Herr Verfasser doch einen Versuch gemacht, diese Lauterkeit zu entwerfen, oder in einen Abris zu bringen, so würde er eingesehen haben, daß es überaus leicht seie, im abstracto solche Einfälle zu haben; da aber die Lauterkeit und Einfalt des Evangelii im abstracto ein Ding der Mondwelt ist, und wir stets das Evangelium unter Menschen in concreto gelehret oder angenommen antreffen: so hilft jene Lauterkeit in abstracto, die nirgend da ist, und nirgend gewesen ist, gar nichts zur Verbesserung der Religionslehre, die für irgend eine Geselschaft bestimt ist; geschweige daß denkende und verständige Leute sich beigehen lassen solten, für solche leere Einfälle und Undinge ihre feierlichen Urkunden der öffentlichen Religionslehre wegzuwerfen, und auf solche Grillen mehr zu bauen. Es ist nicht nur für Menschen nicht möglich, irgend einen Begrif oder Satz aufzufassen, und als ihren, als bejaheten von ihnen, anzunemen, ohne ihre [59] eigene Vorstellung sogleich selbst dazu zu nemen; sondern es ist folglich auch niemalen, zur Lebenszeit JEsu oder Pauli, oder irgend eines Lehrers eine andere Art der Anname des Evangelii, oder der christlichen Lehre zu finden, als mit Einmischung der eigenen Denkungsart der Indiuiduorum, oder ihrer localen Lage. Dis ist also auch nicht geradehin Unrath menschlicher Hypothesen und Meinungen zu nennen; als worunter man vielmehr theologische seichte scholastische Bestimmungen, oder offenbar ungegründete Urtheile ehedem verstunde, in so fern sie die leichte practische Religion hinderten, und an ihre Stelle ganz andre Erfindungen ohne Sprachkentnis setzten. 2) Ueber diese Sachen hat schon ein jeder denkender Christ alle Freiheit, selbst zu urtheilen; und er macht nun damit, was er wil, so bald er den Ungrund solcher Meinungen einsiehet. Es kan ihm hierin niemand allein so vorarbeiten, daß er es ganz darauf ankommen liesse, und sein eigen Urtheil nicht weiter nötig hätte. 311Wie lange ist schon Theologie, nach ihrem ganz andern besondern Zweck, von Religion unterschieden worden, in allen Parteien! 3) Es giebt aber folglich auch hierin nicht gleichlautende algemeine Urtheile, in Absicht der Subsumtion; so sehr alle verständige Zeitgenossen darin übereinstimmen, daß manche Hypothesen für die leichte und gewisse Uebung des Christentums ganz gleichgültig oder unnütz sind; daß sie nur um äusserlicher Endzwecke willen eigentlich mit Recht gegolten haben. In der besondern Anwendung des Urtheils, dis und dis (in der Lehre von Erbsünde, von ihrer Zurechnung, von Rechtfertigung, von Gottheit Christi und des heiligen Geistes (etc.)et cetera) ist eine solche Hypothese: muß völlige Gewissensfreiheit immer bleiben, wie der Protestant sie dem katholischen Christen lassen muß, in der 312Lehre vom Abendmal etc. der Katholik umgekehrt sie dem Protestanten lassen muß. Ganz vergeblich ist alle Arbeit von Universal-Lehre oder Vereinigung der Gewissen. Also kan der (Hr.)Herr Verfasser auch [60] dieses nicht durch sein Urtheil ausmachen wider alle drey Parteien. 4) Endlich ist es nicht an dem, daß alsdenn jedermann viel leichter das wahre rechte Christentum lieben und ausüben würde; wenn die Grundlehren der drey grossen Kirchen ganz weggeschaft würden. Im ersten Jahrhundert sehen wir ja den Beweis ganz augenscheinlich; da waren die ausdrücklichen Beschreibungen der öffentlichen Lehre noch nicht da, welche jetzt die Grundsätze der drey grossen Kirchen ausmachen; und dennoch ist die Besserung und Heiligung der Menschen nicht so algemein bewerkstelliget worden. Wir können und müssen vielmehr sagen, daß die Art der christlichen Begriffe und Erkentnissen in den folgenden Zeiten immer besser und volkommener erst geworden, als sie im 1sten, 2ten, 3ten und 4ten Jahrhundert schon gewesen; wenn gleich die Gegenstände alle da waren. 313Ich sehe hier auf die wahre ehrliche Kirchenhistorie zurück; 314ich weis kein reines Gold und keine Lauterkeit zu suchen, in dieser Bedeutung; der (Hr.)Herr Verfasser sol es auch bleiben lassen, dis reine Gold zu zeigen. Warum wird also dergleichen Nullität und Unding mit solcher Emphase unsern Lehrsystemen, aller drey Kirchen, öffentlich entgegen gesetzt? Ich wiederhole es, ich weis das Land nicht, die Kirche nicht, die Schriften nicht anzugeben: worin das reine Gold zu sehen wäre. Die Leser müssen eben so ihr Gewissen und Nachdenken erst anwenden, als es bey allen unsern Lehrbüchern ihre Pflicht ist. Ich hoffe diesen Vortrag deutlich genug gemacht zu haben; unsere Lehrbücher sind unsern Zeitgenossen viel nützlicher als ältere Schriften, diese waren für ihre Zeitgenossen gut. Wir wissen auch, wie ich zum Theil gezeiget habe, daß gerade diese Begriffe, die der (Hr.)Herr Verfasser einen Unrath menschlicher Hypothesen und Meinungen zu nennen sich erkünet, mit unserm guten Gewissen keinesweges von uns dafür gehalten werden können; daß vielmehr unsre christliche Besserung und Heiligung mit diesen Begriffen wirklich recht [61] gut und leicht zusammen hängt. Wie ungegründet also, um nicht mehr zu sagen, ist der Eifer, der nun in diesen Worten ausgedruckt wird.

315‘O möchten doch (Ew.)EureEuer (Kaiserl.)Kaiserliche Majestät von GOtt auserkoren seyn, alle diejenigen vor der Wuth der Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben, an diesem großen Anliegen der Menschheit zu arbeiten; den unübersehlichen Wust der Systemsreligion zu untersuchen, und das reine Gold der göttlichen und seligmachenden Christusreligion wieder herauszufinden.’

Wer thut diesen Wunsch? die Leser können selbst antworten. Wenn (kaiserl.)kaiserliche Majestät diesen Wunsch nicht erfüllen: ist alsdenn zu sagen, GOtt habe die (kaiserl.)kaiserliche Majestät nicht zu einer, angeblichermaßen, so wichtigen Sache, erkoren? Soll Teutschland (kaiserl.)kaiserliche Majestät ansehen, als Hinderniß dieser angeblichen Glückseligkeit! Sind so viel erlauchte Staatsräthe, so viel gelerte Leute, blind oder boshaft? Wird es sogleich Wuth der Verfolgung heißen, wenn viele teutsche Fürsten und Stände dieses Project verwerfen, und diese ausschweifende Schrift gar unterdrücken! Der (Hr.)Herr Verfasser also leitet es her von Kraft und Muth! und so viel würdige, treue, von jeher unbescholtene Männer, sind bisher ohne Kraft und Muth! Ich dächte, die allererste Frage müste auf Geschicklichkeit und notwendige Gelersamkeit gehen; daß der anmasliche, algemeine Reformator auch unsre Lehrsysteme besser und getreuer auslegen könnte, ehe er den drey Religionsparteien hier öffentlich schuld geben dürfte, sie närten und beschützten einen unabsehlichen Wust der Systemsreligion, wozu so ein großer Mann, von Kraft und Muth, nötig gewesen; der auch sogleich das alles seie, was er sich selbst anmaße! O lieber GOtt, wenn unsre Christen sonst bisher das reine Gold der göttlichen Religion, der seligmachenden Christusreligion, (wie es hier heißt) nicht selbst haben herausfinden können, wie doch [62] ein jeder seines Glaubens leben mus; wenn ihre Lehrer, darunter doch viel herzlich eifrige Christusfreunde und Christuskenner sind, unter allen drey Parteien, ihnen dis reine Gold bisher noch nicht haben zeigen können, bis der (Hr.)Herr Verfasser für sich selbst, jetzt in seinen Umständen, Kraft und Muth fassete, dis reine Gold ihnen und uns so zu zeigen, als in diesem übereilten Bekentnisse geschiehet: – wehe so viel hunderttausend Christen! Zu dieser neuen Anstalt sol sich (kaiserl.)kaiserliche Majestät so gar auffordern lassen! Wie erstaunlich gros ist diese Anmaßung und Uebereilung! Und, wenn wir nicht alle gleich Beifal geben, und öffentlich danken, für diese neue Anweisung, das reine Gold der Religion hier so kurz und gut beisammen zu haben: so sol unser Urtheil mit zur Wuth der Verfolgung oder zur Lügen und Heucheley gehören!

Noch mehr solche – Declamation, um es nicht anders zu nennen. 316‘Möchte unter allerhöchstdero Regierung der Tag anbrechen, da in dem christlichen Europa alle die für Christen gehalten und in den Rechten des Staats und der Menschheit geschützt werden, welche Jesum Christum verehren und seine Lehren befolgen – ohne gezwungen zu seyn, sich Kephisch, oder Paulisch, oder Papisch, oder Calvinisch, oder Lutherisch zu nennen, und auf Menschenwort zu schwören.’

Noch immer ein Nebel und Dampf; kein Licht. Warum sol man so vergebliche unnütze Wünsche thun und äußern! Sollen (kaiserl.)kaiserliche Majestät über ganz Europa ein Ausschreiben ergehen lassen, um diese seltsamen Einfälle in allen Staaten zu empfelen? Kan ein unfanatischer Christ solche Wünsche mit Bedacht hegen und öffentlich ausbreiten! In Teutschland nicht nur, sondern auch in den meisten europäischen Staaten ist es ja lange ausgemacht, daß derjenige ein Christ ist, der Jesum Christum verehrt und seine Lehre befolget; alle Muhammedaner wissen diesen Satz seit vielen Jahrhunderten. Sie wissen [63] auch, daß die Verehrung Jesu Christi und die Befolgung seiner Lehren, so viel Verschiedenheit leidet, als verschieden die Localität der Christen ist. Ich lasse auch die Socinianer Christen seyn; und wenn sie andre Lehrer nicht dafür halten, thut es ihrer Gemütsfassung und Tugend nicht den geringsten Schaden. Warum sol aber in Europa eine algemeine Vorschrift hierüber aufgebracht werden? Ein Christ muß es frey behalten, nach seiner Denkungsart zu reden und zu urtheilen. Aber der andre Theil des Wunsches, alle (auch socinianische) 317Christen solten in den Rechten des Staats und der Menschheit geschützt werden: ist weder christlich und apostolisch, noch sonst gegründet. Jesus selbst hat seinen Aposteln eine ganz andere Vocation ausgestellet; die doch hinten nach von guten Christen nicht wird umgestempelt werden! Man muß einwilligen in alle Leiden als ein Christ, welche das Gewissen vor GOtt mit sich bringt; diese Pflicht hört nicht auf für einen jeden Christen, und es ist nicht zu begreifen, wie man das ganze Gegentheil zu einem neuen Lehrsatz, ja gar zur Pflicht der Christen machen wil. Ob nun die für sich gewissenhaftesten Christen in einem Lande und Staat einerley öffentliche Rechte genießen sollen: gehört gar nicht für Doctores Theologiä, indem sie nicht zu 318geheimen Staatsräthen berufen sind. Ob Christen, welche seit so viel Jahren eine geselschaftliche Ordnung und Einrichtung unter sich gemacht haben, welche der Staat selbst genemigt hat, so gleich ihre so alten Ordnungen und Einrichtungen aufheben sollen, wenn ein noch so gut meinender Mitchrist oder Zeitgenosse dafür hält, es seie Zeit an einer Universalreligion für ganz Europa (etc.)et cetera zu arbeiten: kann gar nicht zur christlichen Religion gehören; auch gar nicht für das privat Gewissen; es müste denn ein sehr irriges Gewissen seyn; welches doch gar niemanden von uns andern verbindet, als den also irrenden Menschen. Er müßte auch in der That sehr irren, wenn er sich selbst so leicht, aus seinem stillen Stand eines Un[64]terthan und Privatmans bis an kaiserliche Majestät erhebet, und die protestantischen Mächte und Kirchen hiebey so wenig erst fragt, als die römischkatholischen Erzbischöfe und Bischöfe; um so gleich kaiserliche Mitwirkung zu einer europäischen 319 Christusreligion zu erlangen! Nun ist alles sogleich ‘unabsehlicher Systemwust, was theologische und kirchliche sehr schwere Gelersamkeit, sehr gegründete Klugheit und Erfarung, einschließet; alles ist Systemwust, was die augspurgische Confession dem Reichstag damalen vorlegte, ohne an ein System zu denken; was der 320 römische Catechismus enthält – alles Systemwust. Schon lange wusten alle gründliche Theologi aller Parteien, daß es keine innere eigene christliche Religion geben könte, ohne christlichen Unterricht zu schaffen und vorauszuschicken; daß der gemeine Unterricht um der mislichen besondern Geschicklichkeit willen, den einzelnen Lehrern einer jeden Partei, in einer feierlichen Vorschrift lieber mitgetheilt werden müsse; daß diese Lehrvorschriften gar nicht einzig und allein unmittelbar die Seligkeit, Tugend und eigene Religionspraxin, wirklich schon schaffeten, sondern dazu eine erprobte nützliche Anleitung für die Unterthanen wären; daß also der nächste unmittelbare Zweck und Erfolg die äußerliche Verbindung der kirchlichen Glieder untereinander, in den gemeinen Grundsätzen der Gesänge, der Gebete, der Predigten und Unterweisungen, seie; die eben so verschieden bleibe, unbeschadet der eigenen Religion und Gewissenhaftigkeit, so bald sie da ist: als verschieden die Religionsform, Gesetze und Statuten in der bürgerlichen Geselschaft sind; unbeschadet des ruhigen glücklichen menschlichen Lebens, unter noch so verschiedenen Staatsverfassungen. Ist es nun mit Grund gewünschet, es möchte doch unter (kaiserl.)kaiserlicher Majestät Regierung der Tag anbrechen, da in ganz Europa einerley äußerlich Kirchenrecht gelten müste! Wem mag wol an dergleichen Einfällen und Wünschen etwas gelegen seyn! Denkenden Zeitgenossen, denkenden Christen gewis [65] nicht; denn die verstehen sich besser auf diese Sachen, als daß sie unmögliche Dinge und moralische Ebentheuer bey andern Menschen, sich zum Zweck setzen sollten; da sie ihre Christusreligion so völlig frey haben, was ihr Gewissen, ihr Herz gegen GOtt betrift; wird es aber gewünschet zu häuslichen bürgerlichen Bequemlichkeiten für andre, die nicht zu uns gehören: so gehört ja die bürgerliche Obrigkeit hieher, mit ihren Einsichten, nicht das Privat-Gewissen. – Eben so matt und unstatthaft ist dieses: 321ohne gezwungen zu seyn, sich Kefisch oder Paulisch, „‘oder Papisch oder Calvinisch oder Lutherisch zu nennen.’“ Wir sind gezwungen zu diesen Namen? Von wem wol? Wer hat dis befolen, daß wir uns also nennen sollen? Man solte nicht Gewissen und eigene Religion so gleich mit der äußerlichen Religion, mit besondern Rechten in der bürgerlichen Geselschaft vermischen; man erschleicht zur Noth einige Leser, aber man befördert gar keinen Nutzen für die Zeitgenossen. Was das Gewissen und die eigene Religion, als moralische Fertigkeit oder Zustand des Menschen betrift: so kan es diese Namen gar nicht hier geben; es ist kein Platz dazu. Ist aber die Rede von der sichtbaren äußerlichen Geselschaft: so ist der Name Lutherische, 322Zwinglische, 323 Altkatholische, wie es überal bekant ist, ohne allen Befel oder Zwang aufgekommen, wie eine benachbarte Nation die andre mit einem Namen unterscheidet: wie überhaupt Namen zur ganz nötigen Unterscheidung der Dinge und Menschen aufgebracht und eingefürt worden sind. Kan denn jemand verlangen, wir sollen ohne Unterschied, zwey oder dreierley Geselschaft immer mit einem einzigen Namen nennen, da es doch so viel besondre Religionsgeselschaften gibt, als Regierungen, als Länder und Provinzen? Findet wol jemand Ursache, zu verlangen, es möchten die Namen der Nationen in Europa, alle aufhören? Gibt es aber nicht eben so wol eine kirchliche Geographie, eine theologische verschiedene Diöces? Es ist ja ganz unmöglich, daß alle [66] Einwoner eines Landes oder gar eines großen Staats, nur eine und dieselbe Religionsform haben; wer will eine kirchliche Universalmonarchie errichten, da wir froh sind, der lateinischen alten Monarchie der Päbste uns entzogen zu haben! Ich halte es also für sehr unwichtige Einfälle, für lang abgetragene Projecte, die gar keine Realität in sich fassen: wenn jemand in seinen vier Wänden sich dergleichen Entwürfe macht, daß die äußerlichen Religionsformen aufhören und in eine einzige eingeschmolzen werden möchten. Ich habe es schon gesagt, daß man seit dem 16ten Jahrhundert, auch noch im vorigen 17ten häufig damit umgegangen ist; daß auch das Ansehen der Könige und Fürsten, ja bey des 324Abt Molanus so plat ehrlichen Arbeiten auch des kaiserlichen Hofes Ansehen dazu gebraucht worden ist: eine einzige äußerliche Religionsform einzufüren; daß aber endlich alle wirklichen Kenner dieser Sachen solche unthunliche Projecte ganz und gar wieder aufgegeben haben. Welch Verdienst kann es also seyn, daß der (Hr.)Herr Verfasser, dessen Verhältnis ohnehin sich gar nicht zu diesem Anerbieten und Versprechen reimen läßt, indem er bei keiner öffentlichen Religionspartey in dem erforderlichen würdigen Ansehn stehet und stehen kann, diese alten Einfälle mit solcher großen Gestalt, 325 μετα πολλης φαντασιας wieder aufstellet, und gar (Sr. Kaiserl.)Seiner Kaiserlichen Majestät vorzutragen sich herausnimt! Unter dem gemeinen Haufen konte er noch weniger erspriesliche Folgen und edle Früchte erwarten.

Aber noch eine Klage, 326und auf Menschenwort zu schwören.’

Viel hundert mal ist dis schon gesagt worden; zuweilen mit seltsamer Stellung und Verknüpfung; wie es an sich selbst, sehr seltsam und auffallend ist, daß man sich beschweret, über die Forderung eines Eides, wegen der öffentlichen Lehrordnung. Worüber oder worauf schwören denn wol Menschen in der ganzen Welt, wo je ein [67] Eid, oder eine dem gleiche Feierlichkeit, eingefürt ist? Ueberal, aller Orten, beschwöret man das, was andre Menschen von uns auf diese Art bestätigt und versichert haben wollen. Man schwöret auf einen von Menschen vorgelegten Inhalt oder Vertrag; und auf solche Menschenworte oder von Menschen uns vorgelegten Inhalt schwören: ist etwa an sich selbst schon unrecht? Kan man auf GOttes Zusage oder Vorschrift, um GOttes willen, schwören? Man schwöret also oder bestätiget mit einem Eide, daß man diesen Lehrinhalt gewis und unverändert den anvertrauten Zeitgenossen, als ein Lehrer erklären und einschärfen wolle. Worin sol denn hier eine richtige Ursache oder ein kentlicher Grund liegen, zu wünschen und zu fordern, daß kein Lehrer inskünftige auf einen vorgelegten Lehrinhalt schwören oder seiner Geselschaft dis zusagen solle? Ist es erlaubt einen Eid eines Unterthan, nach vorgelegtem Inhalte, wörtlich abzuleisten? Ich denke ja. Ist es erlaubt, daß ein Soldat einen Eid schwöret, auf die ihm vorgelegten Forderungen? O ja. Worin bestehet denn nun die alte Klage oder Beschwerde, dieser und jener Leute, welche darüber unzufrieden sind, daß öffentliche Lehrer eidlich versprechen, sie wollen in ihrem öffentlichen Amte, das sie gegen eine Geselschaft von Zuhörern und Kindern feierlich annemen, eben dieselben Lehrsätze lehren und erklären, die in dieser besondern Geselschaft ausdrücklich festgesetzt und vorgeschrieben sind? Wem kan denn dieser Eid im Wege stehen, als wer öffentlich eine ganz andre Lehre gern einfüren wil? Mag er sie für richtiger halten; das kan sein eigen Gewissen beruhigen in Absicht seiner. Aber diese privat Gedanken sollen nicht die öffentliche Lehre seyn. Einem solchen Lehrer wolte ja die Geselschaft ihre Mitglieder nicht anvertrauen; warum geht er also nicht weiter, und sucht sich einen solchen Zusammenhang aus, wo die Obrigkeit kein äusserlich Kirchenregiment ausübet? Auf diese Weise, wenn noch so zufällige Gedanken sogleich wichtig [68] werden, weil sie in der jetzigen Zeit gedruckt werden, wo jedermann ins Ganze, ins Grosse, sich ausdehnet, und Allkraft, Allumfassung um sich her spreitet: wird nächstens auch jemand die 327kaiserliche Wahlcapitulation, und die feierliche Versicherung der Majestäten und Landesherren, reformiren, weil auf Menschenworte geschworen wurde. In welcher Tiefe und 328 Mikrologie mag unser Zeitalter liegen, wenn solche gar grosse Kleinigkeiten lesenswerth, gemeinnützig, und alwichtig heissen können!

Nun ist die Vorrede zu Ende: 329‘möchten doch Majestät geruhen, mit Langmut und Schonung auf mich unschuldig Verfolgten vom Thron der Majestät herab zu blicken.’

Schon jetzt nent sich der (Hr.)Herr Verfasser einen unschuldig Verfolgten! worin besteht wol die scheinbarste Verfolgung? daß der (kaiserl.)kaiserliche Reichshofrath dis Decret wider ihn gegeben hat, oder daß zwey theologische Responsa eingeholet worden sind, über die neue Uebersetzung des neuen Testaments. Das Reichshofrathsdecret hat gar keinen Erfolg haben können, in so weit es eine Anmassung über protestantische wirkliche Kirchenglieder ist; die an sich selbst schon ohne alle Realität ist, wie die steten Principia des Corporis Euangelicorum mit sich bringen. Uebrigens könte ich die noch so genaue Prüfung der neuen Uebersetzung, nicht aus einem Verfolgungsgeiste zunächst herleiten; da es eine natürliche Folge in der gelehrten Welt ist. Wenn auch 330manche Zeitgenossen zu hart oder zu geschwind von der Absicht dieser Uebersetzung urtheileten: 331so war es doch noch keine Verfolgung. Hingegen ist es einem noch so kalten und unparteiischen Zuschauer der öffentlichen Historie des (Hrn.)Herrn Verfassers gleich wol sehr auffallend, daß er überal sich so gleich, so leicht Verdrus und Unlust zugezogen hat, ohne daß Dogmatiken und Systeme daran Schuld waren. Und nun sein Glaubensbekentnis; aber ohne Zeitbestimmung, wie [69] viel davon in 332 Leipzig, Erfurt, Giessen, (wohin ich ihn selbst durch Empfelung auf eine Anfrage aus Darmstadt, hatte bringen helfen,) in Marschlins, in Heidesheim, eigentlich schon entschieden gewesen seyn möge. Ganz ohne Einflus wäre es doch nicht, wenn wir diese historische Kentnis des steten Ganges der gesamleten Vorstellungen zur weitern Beurtheilung anwenden könten. Dis Bekentnis betrift 10 Stücke:

1,
2,
3,
4,
5,
6,
7,
8,
9,

1.

333 Ich glaube, daß ich und alle Menschen Sünder sind, welche der Gnade und Erbarmung GOttes bedürfen. Daß aber dieses, (daß wir Sünder sind) uns angebohren sey und daß alle Menschen mit der Neigung zu allem Bösen auf die Welt kommen, daran zweifle ich. Vielmehr scheinen mir die Menschen an ihrem Verderben selbst Schuld zu haben. Denn ich bemerke in ihnen von Natur so viel herrliche Anlagen zur [Tugend] , so viel angebohrne, edle Gefühle und Neigungen, daß vielleicht nur eine andere Erziehungsmethode und von Tyranney und Luxus mehr entfernte Lebensart nöthig wäre, um der Menschheit ihre ursprüngliche Güte wiederzugeben.

Hierbey merke ich an, 1) daß der (Hr.)Herr Verfasser weder mir noch irgend einem Leser der heiligen Schrift, vorschreiben kan, was wir, durch ihren Unterricht und Wirkung, von uns sagen und bejahen, wenn wir gegen GOtt das Bekentnis thun, o GOtt wir sind Sünder vor dir! dieses Bekentnis begreift eine unzälige Verschiedenheit des moralischen Zustandes, wovon einer mehr der andre weniger lebhafte starke Vorstellung hat. 2) Es stehet ihm frey, daran zu zweifeln, ob uns diese moralische Negation, und eine vorzügliche Leichtigkeit und Neigung zum Bösen, angeboren heissen könne; wie es uns frey stehet, es zu bejahen. Wir sehen aber den grossen Unterschied der Rede; 334 ‘die Lehre von Erbsünde (etc.)et cetera [70] (S.)Seite 10. gehöret geradehin unter solche ‘Lehrsätze, die weder in der Schrift noch in der Vernunft einigen Grund haben, und theils der Gottseligkeit schaden, theils die Quelle des Unglaubens – bey Tausenden sind’. Hier sagt er nur so viel: ich zweifle daran, ob es eine Erbsünde giebt. Ist dis einerley Rede? Wenn er blos zweifelte, wo kam das Recht her, jenes zu schreiben? durfte er jenes schreiben, wie wil er dis blos seinen Zweifel nennen! 3) Alle Theologi aller Parteien lehren, daß alle Menschen an ihrem (wirklichen) Verderben selbst Schuld sind, nicht aber die Erbsünde ohne sie; daß diese natürliche moralische Zerrüttung bey ununterbrochener Wirksamkeit gar eine wirkliche Herrschaft der Sünde, oder Fertigkeit zu sündigen zu wege bringe; hier sagt er also nichts neues oder unbekantes. 4) Hat er nie an sich oder andern bemerket, daß es auch Anlagen zu Lastern, angeborne unedle Triebe und Neigungen gebe? Ich dächte, wenn es von ihm mit Recht hier so beschrieben wird, herrliche Anlagen zur Tugend, angeborne edle Gefüle und Neigungen: so wäre es eben so richtig von unsern Vorfaren beschrieben worden, es giebt angeborne Neigungen zum geistlich Bösen, aber in unzäligen Graden – das hat man Erbsünde genant, um stets die einzelen wirklichen Sünden der Erwachsenen zu unterscheiden.

Warum tadelt er nun die christlichen Religionssysteme, da er selbst angeborne edle Neigungen annimt? hat er sie etwa bey allen oder den meisten Menschen, gleich von Kindheit an, gleich groß, angetroffen? So fand er mehr, als alle Gesetzgeber, welche auf Erziehung der Kinder vornemlich sahen; mehr als alle 335 Philosophen, welche zum Theil gar auf zwey gleiche Grundwesen kamen, um das Gute und Böse in der menschlichen Natur zu erklären. 336 Grotius sagte daher, die Sache selbst, die unter uns mit dem Namen Erbsünde gemeint wird, haben auch die Heiden erkant. Eine andre Erziehungsme[71]thode – Sind die guten Gesinnungen, in der That ohne alle Erziehung, ohne alles Beispiel, und äusserliche Ursache, in dem Kinde schon gewesen? Wer wird dis aus der Erfarung beweisen? Und was sol denn die ursprüngliche Güte der Menschheit heissen, die man sogar durch eine andre Erziehungsmethode wieder herzustellen hoffen könte? Sie ist also nicht da, wenn sie wieder hergestellet werden sol. Ursprüngliche Güte der Menschheit – wer kan wissen, was der (Hr.)Herr Verfasser hier denkt? Also angeborne, ursprüngliche Güte der Menschheit gäbe es; angeborne böse Neigungen gibts aber nicht? Ich brauche übrigens davon nicht viel zu sagen, daß aller unser Unterricht nicht auf einen ursprünglichen Zustand der Kinder und Menschen gehet, da es von einer moralischen Historie, in der Kindheit noch gar nicht Platz ist zu reden, wo Kinder noch blos physicalischer Veränderungen fähig sind; wir auch den ursprünglichen Zustand des Cajus und Titius nicht ausmachen können; sondern daß wir auf wirkliche Ausbesserung der nun wirklich bösen und zerrütteten Menschen gerade zu gehen; wonach es unmöglich wahr ist, daß 337 die Lehre von Erbsünde, die Mutter so vieler einzelen Sünden sey, eine Quelle der Untugend und Gottlosigkeit abgebe; diese Lehre hilft vielmehr zur leichten Ausbesserung der Menschen.

2.

338 ‘Ich glaube, daß der Mensch, so wie er alles Gute GOtt zu verdanken hat, auch all sein moralisches Gute, was in ihm ist, der Gnade GOttes schuldig sey. Daß aber GOtt die Besserung der Menschen selbst wirke und der Mensch nichts thue, als GOtt stille halte, ist wider die Schrift, und beruhet dieser Irrthum gröstentheils auf dem Wort Gnade, welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemisdeutet haben.’

Wir wollen 1) annemen, es seie wider die Schrift, daß der Mensch zu seiner Besserung nichts thue (etc.)et cetera kan [72] dieser Irtum zur Untugend und Verachtung der Religion gereichen? Bringt diese Ueberzeugung, die ein Mensch angenommen hat, GOtt ist es, der in mir alles Gute wirket, in dem Menschen Sünde und Hinderniß des moralisch guten hervor? Ich denke nicht. Man mus nur dazu nemen, daß (z. E.)zum Exempel Cajus täglich den Wunsch und Gedanken fortsetzt, immer besser zu werden; er wünschet folglich und verlangt innigst von GOtt diese ihm so nötige Wirkung; dis wird in ihm eine Fertigkeit; er nimt täglich in dieser Gemütsfassung zu. An so vielen Beispielen unserer und voriger Zeit wissen wir auch, daß die wirkliche Erfarung diese hier gegebene Erklärung bestätige; es ist also dieser Lehrsatz 339 keinesweges eine Quelle des Unglaubens; der Mensch, der darnach handelt, hat vielmehr den stärksten Antrieb und die tägliche gröste Erleichterung und Beförderung seiner innigsten Frömmigkeit. 2) Ist es in der That gar nichts neues, oder uns unbekantes, daß viele Lehrer, latini nemlich, die Augustino folgeten, mit dem Worte gratia einen besondern Begrif verbunden, und diese 340 gratiam actualem, victricem (etc.)et cetera sehr viel enger verstanden haben, zu Folge einer angenommenen 341 Prädestination. Schon einige Jahre vor der augspurgischen Confession hat der bekante 342 Lambert, von Avignon, da er noch zu Wittenberg lehrete, alle species gratiae, welche die Thomisten und andre Scholastiker nach einander herzunennen und abzutheilen pflegten, geradehin öffentlich verworfen. In der römischen Kirche ist der so alte lange Widerspruch gegen die Partey der 343 Thomisten, 344 Dominicaner und 345 Augustinianer, schon einige Jahrhunderte lang unaufhörlich fortgesetzt, und von der andern Partey eine solche 346 gratia efficax per se geleugnet worden; wie seit dem Jansenius der heftige Streit 347 de auxiliis gratiae erneuert und noch nicht entschieden worden. Da aber dieses alles in die gelerte und theologische Uebung gehört, und im gemeinen Unterrichte gar nicht vorkommen kan, es müste denn ein Lehrer sehr ungeschickt [73] handeln: so ist nicht abzusehen, wie der (Hr.)Herr Verfasser diese gelerte Subtilität hier vorbringt: da die Rede doch seyn solte, von Lehren, die in den öffentlichen gemeinen Religionssystemen bisher so enthalten wären, daß sie ‘eine Quelle des Unglaubens’ – seien. Die Jansenisten sind die eifrigsten Christen, recht zufolge dieser Lehre de gratia. 3) Es ist noch nicht ausgemacht, daß die Beschreibung, 348der Mensch thut zu seiner innerlichen Besserung nichts selbst, er verhält sich passiue, hinlänglich deutlich, und dem Sinne unserer Lehrer gemäs ist. 349Ich wil nur anmerken, 1) wenn wir dieses lehren: so hängt es gar nicht mit der lateinischen Schullehre de gratia efficaci zusammen; wir haben keine solche gratiam angenommen, die der freyen vernünftigen Natur des Menschen nicht angemessen seie; kein Mensch, der unter christlicher Geselschaft lebt, ist jemalen in dem blos menschlichen Zustande, worin ihm die Wirkung dieser Gnade GOttes, die wir unter den Wahrheiten wirksam nennen, felen könten; von Kindheit an. Daher sagen wir, alles, was der Mensch christlich gutes thut und in sich ausrichtet, ist GOttes geistliche Wirkung. Solte dieses wider die Schrift seyn, da ja der Inhalt der Schrift eben diese Wirkung GOttes enthält und fortsetzt? Die Schrift ist ja eben darum da; als Mittel zu diesem Erfolge, daß wir was geistlich gutes nun wirken können und sollen. In unsern Zeiten ist sogar die ehemalige historische Vorstellung des so genanten 350 Pelagianismus von der Sache, oder factum von iure, so genau [und] deutlich unterschieden worden: daß es ausgemacht ist, es seie hier sehr viel Wortstreit. Die Sache ist, der Mensch muß in Ansehung aller seiner Fähigkeiten eine moralische volkommenere Richtung und Regung in sich bewirken lassen; alles Gute komt von GOtt, dem müssen wir es danken; also sagen wir auch in dieser Absicht mit Recht, diese Besserung des Menschen wird von GOtt unter den Christen befördert. Solte wol dieser erhabene fröliche Gedanke [74] eine Quelle des Unglaubens seyn? Kurz, weder in der lutherischen, noch reformirten, noch katholischen Theorie von der Gnade GOttes, ist eine solche irrige Lehre enthalten, die eine Quelle des Unglaubens seie; hier müssen alle gewissenhafte fromme Christen aus ihrer Erfarung reden; und nun ist gar nichts in der Lehre selbst zu ändern; die Methode, – ist stets frey.

3.

351 ‘Ich glaube, daß uns GOtt aus blosser Gnade unsre Sünden vergiebt, und daß unsre Tugend und unser Eifer im Guten, da er selbst im Grunde Wohlthat GOttes und mit so viel Mängeln und Unvollkommenheiten befleckt ist, einer ganzen Ewigkeit voll Lohn und Seeligkeit nicht werth sey: Daß aber doch unsere Besserung und Tugend auf der einen Seite die Bedingung sey, unter welcher uns GOtt Vergebung der Sünde und ewige Seeligkeit um Christi willen (d. h. weil er diese Gnadengeschenke allen Tugendhaften durch Jesum Christum verheißen und versiegelt hat) ertheilet, und daß sie auf der andern Seite die natürliche Quelle der höchsten Seeligkeit ist, aus welcher dieselbe von selbst erfolget. Daß aber GOtt blos um eines Menschenopfers willen mir meine Sünden vergebe und um einer fremden Tugend willen die Flecken der meinigen übersehe, das ist wider meine Vernunft und habe ich auch nie etwas davon in h. Schrift gefunden.’

1) Ich merke an, daß hier gesagt wird: unsre Tugend, und unser Eifer im Guten, ist selbst im Grunde Wohlthat GOttes; und vorhin wurde doch gesagt, die Besserung des Menschen ist im Grunde nicht GOttes Wirkung, sondern gehört dem Menschen selbst. Warum sollen wir so ungleich und widersprechend von unserm Eifer, von unsrer Tugend reden? Ist sie selbst im Grunde doch Wohlthat GOttes, wie sie es ist: warum sollen wir [75] es denn nicht lehren: daß aller unser Eifer im Guten eine Wohlthat GOttes selbst ist und bleibet? 2) 352Ob man die Einwilligung in eine innerliche Besserung sol eine Bedingung nennen oder nicht: ist eine alte Streitigkeit; daher ist es auch auf beiden Seiten lange ausgemacht, in welcher Bedeutung es ja oder nein heißen müsse. Daß diese unsre Besserung eine natürliche Quelle der höchsten Seligkeit ist, und eben darum von GOtt uns auferlegt und anempfolen worden: ist eben so lange bekant. 3) 353Ob um Christi willen heißen sol, dieweil es GOtt durch Jesum Christum verheißen und versiegelt hat; oder aber, GOtt hat eben um Christi willen, dessen Historie und Zusammenhang mit neuen Folgen er vorher kante, dieses alles verheißen und versiegelt; wird der (Hr.)Herr Verfasser sich nicht anmaßen für uns zu entscheiden. Weil Christus durch seine ganze Historie einen so großen Umfang von geistlichen Wohlthaten und Realitäten zu stande gebracht, und folglich auch die Kentnis und Gewisheit derselben uns geschaft hat; und dieser neue Umfang nun ganz unfelbar alle diese möglich neuen Wohlthaten, nur in einer besondern Bestimmung, in der besondern Gemütsfassung, für einzele Menschen, aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergehet: so weis es und glaubt es der Mensch, daß diese Beschreibung in der Schrift, um Jesu, um Christi willen, ist GOtt auch mir gnädig, vielmehr bedeutet, und einen ganz andern Grund für die Vorstellung anbietet, als hier der (Hr.)Herr Verfasser mit manchen Socinianern es erkläret. GOtt hat den Menschen durch Christi Lehre, z. E. versprochen, er wil ihnen die Sünde vergeben und sie zu ewiger geistlichen Wohlfart befördern. Dis mus GOtt nun um Christi willen, der sonst nicht wahr geredet hätte, halten; so erklärt es der (Hr.)Herr Verfasser. 354Wir katholischen Christen aller drey Parteien, sagen viel mehr; weil durch dieses Leben und Tod Christi eine neue Aussicht, neuer Grund und Boden für sonst unbekante geistliche Wohlthaten eröfnet und geschaffet wor[76]den; indem das Leben und der Tod Christi wirkliche Dinge und große Begebenheiten in einem Zusammenhange mit geistlichen Wohlthaten, einschließet: so entstehet hier ein kentlicher Grund, warum GOtt dieses Leben und Tod Christi also verordnet und genemiget hat, und warum er jedem gläubigen Christen, der diese geistlichen Wohlthaten, die er Christo zu danken hat, herzlich wünschet und begehret, die ganze Fülle von geistlichen Wohlthaten unfelbar zueignet. Wer wolte hier die geistvollen erbaulichen Entwickelungen des gläubigen Christen hindern oder abschneiden? Ist jemand mit wenigerm zufrieden, so hat er doch kein Recht, unsre gläubige Uebung des Verstandes und Willens uns zu verbieten. Ich denke, daß ich deutlich genug hierüber mich erklärt habe; es gehöret dis für unser Herz und Gewissen; wir haben eine gar ernstliche große Beschäftigung des Glaubens; wir finden darin göttliche unendliche Ruhe und Zuversicht; denn 355hier ist alles unendlich, ewig unaufhörlich; weil es nichts Zeitliches ist. Wie solte dieser unser so lebendiger, so in GOtt unaufhörlich eindringender Glaube, 356 ‘eine Quelle des Unglaubens werden’? Wie so gar schlecht und untreffend ist dis hingeschrieben! So viel fromme Lehrer und Christen haben Noth und Elend des äußerlichen Lebens, Quaal und Marter, Tod und Todesschrecken durch diesen lebendigen Glauben überwunden: warum sollen wir diese vortrefliche Lehre mit einer andern kleinern vertauschen, die wir nicht so gut in der Schrift gegründet finden, als unsere. 4) Daß aber der (Hr.)Herr Verfasser abermalen schreibt, wir lehreten in allen drey Parteien, daß GOtt um eines bloßen Menschenopfers willen uns unsre Sünden vergebe etc. Daran redet und thut er Gewalt und Unrecht; beschimpfet alle drey Parteien, und ihre so vielen Mitglieder, aufs unverantwortlichste. Ich habe schon vorhin, wo diese Vorbereitung und unerlaubte Empfindlichkeit zum ersten mal vorkam, mich dawider erkläret; da er es aber wiederholet, so wil ich noch mehr hinzusetzen. [77] Wuste er nicht, die große Beschreibung,

Hebr. 9, 14.

(Cap.)Capitel 13, 20.

wo das Opfer und Blut Christi ganz ausdrücklich, ganz charakteristisch auf eine unvergleichliche Weise, seinem innern Werthe, seinem geistlichen Gange und der Wirkung nach, bestimt wird? Wuste er diesen großen Begrif nicht? Christus hat sich selbst GOtte dargebracht, ohne Tadel, 357 δια πνευματος αἰωνιου, so daß eine ewige unaufhörliche Wirkung dieses Opfers auf unsern Geist, ganz begreiflich ist. Dis Blut hat geistlicher volkommener Weise einen neuen Bund gestiftet. Kann man diese Sache so untreu, so unwürdig beschreiben, daß wir Christen glaubeten, GOtt vergebe uns die Sünden um eines Menschenopfers willen? In diesem Briefe an die Hebräer ist gerade die Stärke und Hauptsache des Inhalts eben diese: äußerliche, gemeine, sichtbare Opfer haben für das Gewissen der Menschen keine Wirkung, keinen Erfolg; sie betreffen blos das äußerliche Verhältnis in der Geselschaft. Christus aber ist in dem grösten volkommensten Verstande ein Priester; er hat GOtte ein einziges Opfer, durch sich selbst, gebracht; dis hat aber so eine Beschaffenheit, so einen Umfang, begreift solche große Grundsätze und Wahrheiten in sich: daß wir in unsern Gewissen eine neue unaufhörliche Kraft erfaren, alle jene Sünden künftig zu meiden, und in die geistliche rechte Verehrung GOttes einzuwilligen. Sind dis Begriffe, die ein Leser mit dem greulichen Namen Menschenopfer verbindet? Warum sol nun Christus mit einem so unwürdigen Namen beschrieben werden? Haben wir Christen diesen unwürdigen Begrif? Ist es eine natürliche Folge unsers übrigen Systems? bey keiner Partey nicht. Arianer hatten eine physische Vereinigung des Logus und JEsus angenommen, und beschrieben daher den begreiflichen Grund, daß das Blut JEsu (im Abendmal) eine besondre große Kraft hätte, die Menschen von der Sünde und dem Tode, zur Frömmigkeit in diesem Leben, und zur seligen Unsterblichkeit zu erheben. 358 Gnostiker ließen [78] ebenfals alle Kraft und Wirksamkeit zur moralischen Ausbesserung der Menschen, aus der Person des himmlischen, ewigen Aeon, Christus, herkommen. Sabellianer lehren eine Einwirkung GOttes auf Jesum, und beschreiben eine moralische Ausbesserung der Menschen, durch änliche Wirkung GOttes, als in Jesu war. Da man ferner ausdrücklich 359diese Person aus zwey Naturen zusammensetzte, beschrieb man den steten Einflus der göttlichen Natur, um die großen Wirkungen begreiflich zu machen, die in der Menschheit ihren Grund nicht hätten. Nie hat man also aus dem Tode Christi ein Menschenopfer gemacht. Die freye Einwilligung Jesu in diesen Tod, um die großen Folgen für die Menschen zu verschaffen, die bey allen ungeistlichen Opfern nicht entstehen konten: nent die (h.)heilige Schrift ein Opfer, das Jesus GOtte geleistet habe. Kann dis ein Menschenopfer seyn? Man müste ja alles verdrehen. Und wer könte unter Christen so sehr unwürdig und leichtsinnig es beschreiben? Sie sagen selbst, GOtt hat den Tod Christi um eines großen Zwecks willen, uns zu gute, verordnet; die Christen kennen diesen Endzweck; nun wird dis als das rechte volkommenste Opfer beschrieben; seine moralischen Folgen sind ewig; wer konte in diesem Zusammenhange so reden, GOtt hatte sich ein Menschenopfer bestelt? Ist es billig und ehrlich, Consequentien zusammen zu setzen, und sie den andächtigen Christen nun Schuld zu geben? Dis konte, durfte, solte der (Hr.)Herr Verfasser denken: proprie ist Christus kein Priester und kein Opfer; GOtt hat die Menschen mit ihm selbst versönet, und läßt diese Predigt von einer geistlichen rechten Versönung nun öffentlich bekant machen; dis sind alles moralische Sachen. Denn mit den Sinnen sahe man zwar JEsum kreutzigen und tödten; aber den Zusammenhang mit einem neuen Erfolge für die neue Kentnis und Zuversicht der Christen, konte niemand sehen oder mit den Sinnen empfinden. Moralische Dinge und Begebenheiten bringen also keine so einzige Vor[79]stellung von sich und ihrer Absicht oder Zusammenhange mit, als sinliche Dinge und ihre Veränderungen. Giebt es also mehrere Vorstellungen über den Zusammenhang des Todes Christi, mit Folgen für die neue Erkentnis und Anwendung der Menschen: so kan ich nicht fordern, daß alle Christen in Ansehung der Beschreibung, ( Christus ist ein geistlich Opfer für unsre Sünden; er hat uns mit GOtt aufs volkommenste versönet etc. wir brauchen keine gemeinen sinlichen Opfer;) eine einzige Vorstellung und Bestimmung dieser Begriffe haben sollen; es geht mich auch ein fremdes Gewissen gar nichts an; ich wil auch kein Lehrer der augspurgischen Confeßion seyn, ich gehöre selbst zu keiner der drey Religionsparteien; ich kan also meiner eigenen Vorstellung für mich und meines gleichen Zeitgenossen den Vorzug geben. Aber ich darf die Beschreibung der Christen, die sie ebenfals aus Gewissenhaftigkeit annemen, nicht nachtheilig verdrehen. Dieses hätte der (Hr.)Herr Verfasser denken und schreiben dürfen. Endlich, wenn es auch, seit einiger Zeit, wider die Vernunft des (Hrn.)Herrn Verfassers ist, wenn er auch nie in der heiligen Schrift davon etwas gefunden, daß GOtt um der volkommensten Tugend JEsu willen, die wir uns wünschen, die Flecken oder Mängel unserer Tugend und Pflichten übersehe: so hilft es ja nicht dazu, daß dieses sogleich auch wider die Vernunft anderer Christen seyn müsse, und daß sie diese Sache nicht in der heiligen Schrift fänden. Viele der ersten Christen konten es nicht einsehen, daß GOtt das mosaische Gesetz nun für unnütz, zu moralischen Absichten, erklären könne und wolle; war dis nun zugleich ein Grund wider alle übrige Christen, die dieses wirklich ganz leicht einsahen? Wer auch nur die Schrift des gelehrten 360 Anselmus, cur Deus homo, gelesen hat, (und wer eine solche Reforme der christlichen öffentlichen Lehrbücher vornemen wil, müste sie doch auch gelesen haben) der kennet eine grosse Menge von würdigen erhabenen Gedanken, die alle höchst vernünftig und ge[80]gründet sind, über den vortreflichen Zusammenhang der volkommensten Frömmigkeit und des Wohlgefallens GOttes, mit der Beruhigung aufrichtiger Christen, die sie aus dieser von GOtt gemachten Ordnung und Folgen, die sie selbst so gern einwilligen, herleiten. 361Die Tugend Christi, ist auch nicht eine fremde Tugend, in Absicht aller gläubigen Christen; wenn sie gleich nicht subjectivisch schon wirklich ihre Tugend ist; sie ist dem Anfange, dem heissesten Wunsche nach, auch schon ihre Tugend. Wie GOtt den Vorsatz und Wunsch dis und jenes Böse zu volziehen, mit Recht als volzogen für den Menschen ansiehet: so ist es gleiches Recht und Würde GOttes, uns, die wir die volständigste Tugend Christi gern selbst haben wolten, um Christi willen, das ist um sein selbst willen, weil er ein solcher GOtt ist, über unsre Mängel zu beruhigen. Dis finden wir überal in der Schrift; warum sollen wir nicht unsrer Erkentnis folgen, die ohnehin die Erkentnis und der Glaube aller katholischen Christen ist? Und wer solte uns wol vorschreiben, was wir für Betrachtungen und Gedanken zu unserer christlichen Erbauung machen müsten? Man griffe ja in das heilige Recht unsers Gewissens; das wäre eine neue Art von Toleranz; deren Anhänger den Vorsatz ausfüren wolten, 362 veteres migrate coloni.

4.

363 ‘Ich glaube, daß GOtt den Aposteln seinen Geist gegeben hat; daß aber dieser Geist eine dritte Person in der Gottheit sey, davon bin ich nicht überzeugt: vielmehr finde ich in heiliger Schrift keine andere Bedeutung von dem πνευμα ἁγιον als diese beyden: daß es entweder göttlich gewirkte Gaben, Talente und Kräfte anzeigt, oder das nomen Dei selbst, welcher diese Gaben mittheilt.’

Wenn der (Hr.)Herr Verfasser nicht vorhin namentlich dieses angefüret hätte, unter den Lehren, welche die Quel[81]len des Unglaubens und der Religionsverachtung seyn sollen: so würde man es aus dieser hier gegebenen Erklärung nicht einsehen oder wissen können. Diese Erklärung steht ihm eben so frey, als die andern Urtheile über die Lehrformen im teutschen Reiche; allein nur in Absicht seines eigenen Gewissens; gar nicht aber, insofern er zugleich sich ein Recht geben wil, unsre Lehre vom heiligen Geiste, die wir öffentlich abgefaßt haben, so zu beschreiben, sie seie gar nicht in der (h.)heiligen Schrift gegründet; warum? dieweil er diese Bedeutung vom (h.)heiligen Geist, als einer Person in der Gottheit, gar nicht finde. Dis ist eine Uebereilung. Ich bin davon nicht überzeugt, schreibt er hier; und 364dort schrieb er, dieser Lehrsatz gehöre mit unter diejenigen, ‘welche keinen Grund in der (h.)heiligen Schrift haben, und eine Quelle des Unglaubens – seien’. Wie kan er dieses so geradehin behaupten, wenn er blos ungewis ist, und nur nicht überzeugt ist? Wenn er aber auch wirklich überzeugt wäre, unsre Lehrbestimmung habe gar keinen Grund: Folgt es denn, daß also niemand davon überzeugt seyn könne, und daß sie in der Bibel nicht gegründet seie? War denn 365 Clarke es nun nicht? Er hat aber ausdrücklich diese Bestimmung, als die Bedeutung mancher Stellen, ganz überzeugt und sicher angenommen. Warum zeichnet also der (Hr.)Herr Verfasser diesen Lehrsatz doch an, unter denen, welche alle Christen faren lassen solten? Ich habe schon angefürt, daß an dem Namen, dritte Person, gar nichts lieget; wenn die Christen nur aus heiliger Schrift glauben, der heilige Geist bedeutet den Urheber der geistlichen Wirkungen zu ihrer Besserung und ewigen Wohlfart. Was die Sache selbst betrift: so ist es lange Zeit her schon eingestanden, daß πνευμα ἁγιον nicht überal, in allen Stellen, eine Person oder alium agentem anzeige; daß vielmehr, sehr oft, da und dort, durch eine 366 Metonymie, die Wirkung und Gaben des heiligen Geistes selbst mit diesem Namen belegt würden. Die Apostel haben den heiligen Geist in dieser Bedeutung em[82]pfangen; da giebt es ein ungleiches Maas des heiligen Geistes. Es ist hier der Ort nicht, alles zu wiederholen, was unsre drey Systemata hiervon gemeinschaftlich enthalten; aber ich wil doch ganz kurz etwas anfüren. 367 πνευμα und πνευματα, heißt unleugbar in recht vielen Stellen des neuen Testaments, eine unsichtbare selbst handelnde Substanz; ein Subject, das Verstand und Willen in Wirkungen selbst anwendet. Es wird oft von dem Geiste GOttes geredet, wie ein Geist des Menschen oder im Menschen unterschieden wird, den man in GOttes Hände befelen kan, wenn der Mensch dem Leibe nach stirbt. Nachdenkende Christen wusten es, daß sich diese Vergleichung (wie der Geist, der im Menschen ist) nur auf diese, alle andre Mitkentnis ausschliessende, Absicht GOttes beziehen solle und müsse; indem der Geist GOttes nicht, wie in einem menschlichen Körper, durch den Tod getrent und abgesondert werden kan; es müsse also der Geist GOttes ganz anders zu GOtt gehören, als der Geist des Menschen jetzt zum Menschen als ein Theil eines endlichen Ganzen gehöret. Sie fanden auch, im Namen des heiligen Geistes, neben der Beschreibung im Namen des Vaters, des Sohnes, oder im Namen Christi; daß auch dem Geiste GOttes ein Wollen, Thun, Wirken, Reden, Lehren (etc.)et cetera beigelegt werde, also leiteten sie diese Vorstellung aus solchen Stellen ab: heiliger Geist ist in manchen Stellen ein subiectum agens, ohne Vervielfältigung und Veränderung eben des einzigen höchsten Wesens. Ueber diesen Lehrsatz vereinigten sich nach und nach alle katholischen Kirchen und Lehrer, mit steter Schonung der Gewissen denkender Christen, die ja nicht eine absurde unwürdige, widersprechende Vorstellung zu diesem Lehrsatz rechnen sollen. Man läßt auch die Wahl und Erklärung der Stellen frey; und es haben die Christen einen so guten Zusammenhang ihrer Vorstellungen, von den grossen Wohlthaten GOttes, des Vaters, des Sohnes oder Eingebornen und des heiligen Geistes: [83] daß ihr ganzes Herz vol andächtiger gläubiger Bewegung und geistlicher Ordnung ist. 368 Wie wil hier ‘eine Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung’ entstehen? Es ist jetzt die Rede vom Verhältnis der Lehrsätze der augspurgischen Confeßion, oder des christlichen Glaubens, in Absicht des gemeinen öffentlichen Unterrichts für alle Christen; gar nicht vom Verhältnis gegen den Stand der Gelehrten; alle gelehrten Bestimmungen bleiben ein Geschäfte des besondern Standes in der äusserlichen Geselschaft; haben keine Beziehung auf die eigene moralische Volkommenheit und Seligkeit der Christen. Und Gelehrte, als Gelehrte, müsten sich schämen, wenn sie in den Lehrsätzen de trinitate einander solche Irthümer schuld geben, die die eigene Seligkeit anstiessen und umwürfen; denn so wichtig sind alle Fragen der Scholastiker und Dogmatiker niemalen geachtet worden. Folglich hat der (Hr.)Herr Verfasser zwar seine Meinung hier erzälet; aber nichts vorgebracht, das da zeigte, unser gemeiner Unterricht vom heiligen Geiste, als Urheber geistlicher Wirkungen in uns, durch die christlichen Wahrheiten, seie eine Quelle des Unglaubens. Daß aber Leute, die schon ein Kitzel sticht, in abstracto etliche Begriffe oder Sätze dahin stellen, und nun auf und abdiscuriren, und sich entschliessen, die Lehrbücher der drey Religionsparteien aufzuheben, und einen Entwurf einer algemeinen Religion zu machen: kan gar nicht angesehen werden, als eine endliche Folge unserer so erbaulichen so leichten Lehre; da diese Folge nur in ihren Köpfen und in ihrer Denkungsart ist; deren christliche Beschaffenheit wir nicht gestehen. Endlich ist es auch nicht gut ausgedruckt: πνευμα ἁγιον zeigt entweder an, göttlich gewirkte Gaben, Talente und Kräfte; oder das nomen Dei selbst, welcher diese Gaben mittheilt. Was sol denn dis heissen, πνευμα ἁγιον zeigt das nomen Dei selbst an? In welcher Stelle wol? (Z. E.)Zum Exempel Taufet im Namen des Vaters, und des Sohnes und des heiligen Geistes; da sol es heissen, taufet im Namen des [84] Vaters, des Sohnes, und im Namen GOttes selbst? Ich kenne doch keine Stelle, wo πνευμα ἁγιον das nomen Dei selbst anzeige; GOtt hat geredet durch πνευμα ἁγιον, durch seinen Geist – Die Sache verhält sich vielmehr anders; die besondre 369moralische Geographie, oder die Ungleichheit der Schriften, woraus in einer Provinz eine Geselschaft ihre Vorstellungen samlete: ist die Ursache von der ungleichen Bedeutung des Ausdrucks, Geist GOttes, heiliger Geist. Wie heiliger Geist und Christus in manchen Schriften der ältern christlichen Lehrer einerley bedeutet hat, wo heiliger Geist gewis weder Talent noch Namen GOttes heißt: so hat hingegen dieser Ausdruck bey andern zu gleicher Zeit eine innere Wirkung GOttes auf den Verstand und Willen der Menschen bedeutet. Folglich sind christliche Ausleger und Schriftsteller gleich vom Anfange an hierüber getheilet gewesen; aber in keiner Bedeutung ist dieser Ausdruck ‘eine Quelle des Unglaubens’; am wenigsten, in dem öffentlichen Religionssystem, das mit gutem Gewissen hier angenommen oder so und so weit verlassen wird. Wo solte bey gutem Gewissen Unglaube und Verachtung der Religion bestehen können? Auch sogenante 370 Pnevmatomachi blieben Christen, und gerieten in keine Verachtung der christlichen Religion.

5.

371 Ich glaube, daß GOtt in und mit Christo war, und daß wir folglich alle den Sohn zu ehren verbunden sind, wie wir den Vater ehren: allein wie GOtt in Christo war, ob nach Athanasius Vorstellungsart (welche ich gerade für die schlechteste halte) oder nach Arius oder Sabellius oder eines andern Meynung, das ist für den Zweck der Religion (d. h.)das heißt für die Besserung und Beruhigung der Menschen, sehr gleichgültig, und solte nie mit kirchlicher Autorität entschieden sondern jedem überlassen werden, wie er sichs denken will. [85] Indessen scheint mir so viel aus Vernunft und Schrift bis zur höchsten Evidenz erweislich, daß Christus und der einige GOtt Jehovah, den er seinen Vater nennt, sehr verschieden sind, und daß wenigstens Christus nicht in dem nämlichen Sinne GOtt heisse, in welchen es der einige GOtt Jehovah heißt; wie er sich denn selbst über diese Benennung Joh. 10. deutlich und ehrlich genug erklärt hat; wenn er denen, die ihm Gotteslästerung vorwarfen, sagt: – Wenn die Schrift alle die GOtt nennt, προς οὐς ὁ λογος θεου ἐγενετο, (d. h.)das heißt die göttliche Aufklärungen zu Belehrung der Menschen erhalten haben, wie könnte ich mir über diese Benennung einen Vorwurf machen, (ὁν ὁ πατηρ ἡγιασε,) da mich der Vater so ganz besonders ausgezeichnet hat.

Hiebey mache ich folgende Anmerkung. 1) Es wäre nötig, wenigstens sehr gut gewesen, die hier blos abgeschriebenen Worte und Texte, GOtt war in Christo, wir sollen alle den Sohn ehren, wie wir den Vater ehren, mit einer deutlichen Erklärung zu versehen; zumal in einem öffentlichen Bekentnis. 2) Das Urtheil, ob nach des Athanasius Vorstellungsart, die der (Hr.)Herr Verfasser gerade für die schlechteste hält, habe ich schon vorhin kurz erläutert; was sol es denn hier heißen? Leser wissen nun nicht, welche Vorstellungsart hier so geschwind, (die schlechteste) beurtheilt werde. 3) Daß die genaue einzige Bestimmung, entweder des Arius, oder des Sabellius, oder der nachherigen hintereinander folgenden katholischen Lehrer, für den Zweck der Religion, (d. i.)das ist für die Besserung und Beruhigung der Menschen sehr gleichgültig sey, ist des (Hrn.)Herrn Verfassers eigene Meinung; und kann doch wenigstens nicht machen, daß alle Lehrer und alle Christen eben so urtheilen müsten oder könten. Denn, wenn es genau genommen wird, so redet der (Hr.)Herr Verfasser von der privat Religion, von der eigenen innerlichen Religion, indem er die Besserung und Beruhigung der Menschen [86] ausdrücklich nent; welches ganz gewis zur Privatreligion gehöret. Nun kan aber der (Hr.)Herr Verfasser über die privat Religion gewis noch weniger ein Gebot ausgehen lassen, als er dis dem Athanasius, Arius, Sabellius selbst zugestehet. Folglich müssen es alle Christen ganz und gar auch frey behalten, zu urtheilen, ob für sie selbst dis wahr ist; daß ihre Beruhigung eben so gewis und sicher statt finde, wenn sie verneinen wollen, 372daß Christus schon vorher zu GOtt gehöre. Dis kann der (Hr.)Herr Verfasser nicht nach seiner eignen Einsicht ausmachen. Allein, wie hängt dis nun zusammen, mit seinem vorigen Ausspruche, 373 ‘die Lehren, welche weder in der heiligen Schrift, noch in der Vernunft Grund haben, und eine Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung sind’, seien diese, die in unsern Lehrbüchern stünden: von Erbsünde – von Gottheit Christi und des heiligen Geistes. Ich sage, wie hängt dieses nun zusammen? Hier sagt er, es ist für den Zweck der Religion gleichgültig, man mag Christum zu GOtt rechnen, nach unserer kirchlichen öffentlichen Lehre, oder nicht. Dort aber sagte er: 374diese Lehre gehört zum ‘unabsehligen Systemwust, sie ist eine ‘Quelle des immer mehr einreissenden Unglaubens’? Wenn in einem so kurzen Bekentnisse, das doch wohl gehörige Ueberlegung erforderte, solche unreimliche sich aufhebende Beschreibungen vorkommen: wie sollen denn Leser dem (Hrn.)Herrn Verfasser die nötige Einsicht und Ueberzeugung zutrauen, wenn er gleich seinen Muth und Unerschrockenheit rümet, womit er alle unsre öffentlichen Lehrschriften, allen Systemwust umreissen, und eine neue Religionsforme oder neuen Systemwust entwerfen wil? Da nun noch dazu unsre öffentlichen Lehrbücher zur feierlichen äußerlichen Religionsordnung, als Vorschrift, gehören, um eben dergleichen tägliche Anmaßungen und Uebereilungen einzeler Schriftsteller zu verhüten, und der unabsehligen Verwirrung der Zeitgenossen vorzubauen; wie kann nun daraus, daß Privaturtheile über diese Lehrformen, die für die öf[87]fentliche Geselschaft bestimt sind, noch dazu enthalten können, es seie dem Zweck der Privatreligion gleichgültig, es mag Athanasii oder Sabellii Bestimmung priuatim vorgezogen werden; wie kann, sage ich, hieraus folgen, daß also der (Hr.)Herr Verfasser mit allem Rechte eine Abschaffung unserer Lehrbücher öffentlich wünschen und fordern dürfe? Unsre Kirchengeselschaft verwechselt die Rechte und Pflichten des Christen nicht mit den Pflichten des Lehrers, den sie öffentlich prüfen und bestellen läßt. Dem und jenen Christen ist es freilich vielleicht genug, (denn entscheiden kann dis niemand) zu wissen und zu glauben, GOtt hat in Christo mich mit ihm ganz gewis versönet; und er denkt nun, was er kann; – aber von dem Lehrer wil man ja nicht eine Privatreligion jetzt wissen, sondern ob er zu unserer Geselschaft, wie sie von andern öffentlichen kirchlichen Geselschaften unterschieden ist, wirklich selbst als ihr Lehrer und Vertheidiger gehöre! Aber eben dis scheinet der (Hr.)Herr Verfasser für unrecht zu erklären; denn er sagt nun weiter, 375 ‘dis solte nie mit kirchlicher Auctorität entschieden, sondern jedem überlassen werden, wie er sichs denken wil’. Wenn dis auch zu den neuen Wohlthaten gehören sol, womit die algemeine Religion uns beglücken wil: so ist in der That wenig im Ernst zu erwarten. Es ist ja abermalen Verwechselung der Rechte des eigenen besondern Gewissens, welches blos gegen GOtt es beurtheilen wil, ob diese Entscheidung in meinem Gewissen selbst muß angenommen werden, welche nun die katholische, die arianische, sabellianische, socinianische heisset; mit den öffentlichen Rechten einer ganzen Geselschaft. Wie diese ein für allemal alles entscheidet, was durch Zeit und Ort bestimt werden kan, ob die öffentliche Versamlung zum Gottesdienst diese oder jene Umstände und Einrichtung begreifen sol, ohne alle Tage dem Lehrer Abänderungen zu verstatten; ob die Kanzel und Orgel, da oder dort stehen sol, wenn gleich viele einzele Mitglieder darüber anders denken mögen: so entscheidet sie auch die [88] Redensarten, welche zum öffentlichen gemeinen Unterricht, zu Gesängen und Gebeten gleichförmig gebraucht werden sollen. Wenn nun ein Lehrer oder Zuhörer in solche Beschreibungen und Redensarten nicht einwilligen kan und wil: so muß er nicht der Geselschaft es anbieten, sie solte sein täglich anderes Urtheil über sich gelten lassen; sondern er hat die Freiheit, sich von dieser Geselschaft, die dieses festgesetzt hat, zu trennen, und eine andre gottesdienstliche Geselschaft sich auszusuchen. Alle Schüler und Anfänger sind nicht im Stande selbst zu urtheilen, indem sie erst den Unterricht anhören und kennen lernen wollen; für diese wird in der öffentlichen Geselschaft gesorget, durch einen gemeinen Unterricht. Die Lehrer, welche den Unterricht ertheilen sollen, werden von der Geselschaft angewiesen, den Unterschied dieser öffentlichen Partey von andern öffentlichen Parteien selbst zu kennen und fortzusetzen; denn die Geselschaft hat gar die Grundsätze nicht, sich, in Absicht der äusserlichen Umstände und Rechte, mit allen andern Parteien zu vereinigen; weil sie weder Grund noch Mittel dazu kennet. Sie bestimt also den Unterschied von socinianischer Lehre, und wil ihre Mitglieder nicht zu Schülern des Socinus selbst machen, weil sie gar keinen Grund dazu hat; es wäre wider die eingewilligten Grundsätze der Geselschaft; es würde tägliche Zerrüttung der öffentlichen Rechte, die ausser dem Gebiet des einzelen Gewissens liegen. Wie kan nun ein Privatus sein Urtheil so hoch ansehen, daß er verlangt, es sol gar keine äusserliche Religionsgeselschaft mehr sich unterscheiden von den andern; sie sollen alle Merkmale eines noch so gewissenhaften Unterschiedes wegschaffen, weil der Privatus glaubt, dieser Unterschied seie ohne allen wahren, gültigen, äusserlichen, oder politischen Grund? Ich sehe nicht ein, wie der (Hr.)Herr Verfasser sein privat Urtheil so gleich und so leicht so hoch erheben kan, daß er Ort und Zeit, die Quellen der Individuation und der ungleichen Denkungsart, die ganz unvermeidlichen Un[89]terscheidungsstücke aller äusserlichen Geselschaften, gleich aus den Augen setzt; als gäbe es unter Menschen eine Geselschaft, die freilich nach Zeit und Ort von allen andern Geselschaften änlicher Bestimmung und Absicht, verschieden seyn müste, aber dennoch, ohne festgesetzte Bestimmung der gebrauchten Beschreibungen über ihre Grundsätze und Hauptideen, eine zusammengehörige äusserliche Geselschaft seyn könte. Da möchte ich doch das Band kennen, wodurch es Eine zusammengehörige Religionsgeselschaft wirklich ist?

376‘Indessen scheint mir so viel aus Vernunft und Schrift bis zur höchsten Evidenz erweislich, daß Christus und der einige GOtt Jehova, den er seinen Vater nent, sehr verschieden sind, und daß wenigstens Christus nicht in dem nemlichen Sinne GOtt heisse, in welchem es der einige GOtt Jehovah heißt.’

Diese Beschreibung ist so sehr mangelhaft, daß ich sagen muß, ein jeder lutherischer, reformirter, katholischer Lehrer sage und schreibe ja eben dieses; was hat also der (Hr.)Herr Verfasser hiemit gesagt, um sich von der eigenen Kirche, zu der er bisher gehört hatte, mit kentlichem Grunde zu trennen? Denn, so lange das Subiectum, Christus, so unbestimt bleibt, und das Praedicatum, sehr verschieden, keine Anzeige der wirklichen Verschiedenheit, worin sie bestehet, bey sich hat: ist gar keine Bedenklichkeit dieses zu sagen, Christus und der einige GOtt Jehovah sind sehr verschieden; indem es ganz ausgemacht ist, daß niemand sagen kan, der einige GOtt Jehovah ist eben jener Christus; indem dis der Christus GOttes ist; folglich muß freilich eine Verschiedenheit da seyn. Es ist auch an dem, daß Christus, GOtt, nicht in dem nämlichen Sinne GOtt heißt, in welchem es der einige GOtt Jehovah heißt; denn Jehovah wird (z. E.)zum Exempel von den Juden aus den Schriften des alten Testaments beschrieben als der, der den Christus sendet; und so können sie so wenig [90] als wir Christen sagen, Meßias, Christus, ist in dem nämlichen Sinne eben der Jehovah, als dis Wort im alten Testament als ein Name des höchsten Wesens, an sich, vorkomt, welcher Jehovah den Christus sendet. 377Wenn nun noch dazu die alte christliche Bestimmung des τροπος ὑπαρξεως, oder ἰδια ὑποστασεως περιγραφη, und notio personalis mit dem Worte Jehovah verbunden wird, wie es in den christlichen katholischen Lehrbüchern vorkomt: so ist es ausgemacht, daß Christus nicht in der nämlichen Bedeutung, derselben Person, GOtt heissen könne. Wozu diente also diese unfruchtbare Anzeige, die in den gemeinen Unterricht der Christen gar nicht gehört? wenigstens ist die Bestimmung der Person nur von Gelehrten zum Widerspruch gegen andre Gelehrte, und zum Unterschied der äusserlichen Geselschaft, aufgebracht worden. Konte es nicht in der grösten Deutlichkeit gesagt werden: Logus, der Eingeborne Sohn, ist auch GOtt, wenn gleich nicht ὁ Θεος, Logus war immer bey GOtt; Logus und JEsus machen den Christus oder Meßias του Θεου aus. Christus ist also GOtt, ohne die Person zu seyn, die zwar Jehovah heißt, aber niemalen Christus heissen kan. Nun wäre alles klar und deutlich; wer nun den Logus nicht als GOtt und Urheber und Retter der unsichtbaren Welt und der geistlichen Kentnissen, annemen wil; wer an diesem Stück des Evangelii Johannis gar zweifelt, (obgleich sogar der 378 Kaiser Julian zu seiner Zeit noch keinen Zweifel an der Aechtheit dieses Stücks kante, und es der einfältigen Denkungsart, des 379 ἠλιθιος Johannes geradehin zuschreibet): der muß nun dis sagen, daß er dieses bezweifle und nicht glaube; aber in der wissentlichen Zweideutigkeit des Worts Jehovah, das Ein einzig Subject hier bedeutet, kan er keinen Grund finden. Ich will ganz gerne zugeben, daß Jehovah im hebräischen ein einzigs Subject, oder Person, anzeige; weil die den katholischen Christen geläufige Auslegung mancher Stellen, von dem Meßias oder 380En[91]gel des Angesichtes GOttes, zunächst auf dem Einflusse der Beschreibungen des neuen Testaments beruhet. Wie diese Beschreibungen wieder eine besondre Auslegung mancher Stellen des alten Testaments zum Grund haben, welche Auslegung ebenfals local und nicht allen Juden gleich gemein gewesen. Aber, wenn nun auch Christus, als GOtt und Urheber der geistlichen Welt, jetzt erst diesen besondern Zeitgenossen bekant worden, wogegen Jehovah, den die Juden bisher in der sichtbaren Welt über sich regieren liessen, die eher bekante Person nun hies: hatte diese neue Kentnis eines göttlichen Subjects keinen eben so gewissenhaften Grund für diese Liebhaber der geistlichen unsichtbaren Welt? Sie haben also den Namen Jehovah, oder 381 ὁ Θεος των ὁλων, von nun an unterschieden von dem Logos, oder Eingebornen, und von Christus; aber dieser Unterschied betraf ja nicht das, was das allerhöchste Wesen an sich ausmacht, und von endlichen Dingen, die ausser einander sind, durch Vervielfältigung ihrer Natur, unterscheidet; hie ist Θεος und ὁ Θεος einerley; sondern einen anders bestimten 382 τροπον ὑπαρξεως des Einen höchsten Wesens, dessen weitere Entwickelung entweder, der Unbegreiflichkeit wegen, gar nicht versucht wurde; oder von Lesern des neuen Testaments eben aus den Beschreibungen, mein Vater, der Vater, der Eingeborne, der einzige höchste Sohn, der Erstgeborne, durch den alles geschaffen ist – nach ihrem gutem Gewissen zusammen gesetzt worden, welche in dieser unsichtbaren Welt sich auch einen Zusammenhang GOttes dachten, wozu sie allerley Schriftstellen erbaulich anwendeten. Ist hier etwas geradehin unvernünftiges und tadelnswürdiges? Es ist der freie Gebrauch des Gewissens gegen den Inhalt daseiender Schriftstellen oder mündlicher Belehrungen: welcher Gebrauch des Gewissens jederzeit die eigene Religion bestimt und ausmacht.

[92] 383Daß sich Christus Johan. 10. deutlich und ehrlich (welch eine Beschreibung! ehrlich genug?) genug erklärt habe: ist ja ebenfals nichts weiter, als des (Hrn.)Herrn Verfassers eigene Meinung, wodurch eine richtigere und volständige Auslegung nicht aufgehoben werden kann. Der Zusammenhang der Rede ist ein Vortrag Christi von dem geistlichen Verhältnis des Meßias;

(v.)Vers 24.

fragten die Juden, bist du denn der Christus? sage es uns doch gerade heraus. Jesus antwortet also: schon lange habe ich euch durch meine Lehre und Handlungen zu überzeugen gesucht, daß eure Begriffe vom Meßias gar nicht mit den Absichten GOttes einstimmen; aber ihr wolt keinen solchen Messias; ihr gehört nicht zu der Heerde, die GOtt dem Messias angewiesen hat; meine Schaafe folgen mir, wie ich sie füre und lehre; freilich füre ich nicht in ein leibliches Reich auf Erden: sondern ich füre sie alle zum ewigen Leben; da ist kein Untergang der Heiden zu erwarten; aller Widerstand, den ihr mir entgegen setzt, ist vergeblich. Die Verordnung GOttes kann niemand umstossen; ihr werdet doch glauben, daß ihr GOtt nicht überwinden könt. Ich, der ich dieses lehre und immermehr bewerkstellige, was GOtt haben und durch den Meßias ausrichten wil; und mein Vater, der nur einen solchen Meßias verordnet hat, sind Eins; wer sich mir widersetzet, der widersetzet sich GOtte. Da wolten die Juden ihn steinigen; du bist doch ein Mensch und wir sollen dich eben so ehren als GOtt; das ist eine Lästerung – Jesus antwortet nun: euer Eifer ist sehr ungegründet und ist sogar euren heiligen Schriften entgegen. Nicht wahr, der Name Elohim wird dort ohne allen Anstos solchen Menschen beigelegt, die im Namen GOttes diese und jene Aussprüche bekant machten; weil sie hiemit an dem Ansehen und der Hoheit GOttes Theil namen? Nun schließt vom Kleinen aufs Große! Kent ihr die alten Grundsätze nicht mehr, wonach man den Meßias also beschreibet, daß GOtt ihn über alles außer ihm gesetzt habe; daß dis der [93] Sohn GOttes ist, der immer bey dem Vater in der unsichtbaren Welt ist; wenn nun GOtt diesen Sohn in die Welt gesendet hat, wie er mich wirklich gesendet hat: ist das eine Lästerung, wenn ich sage, der Sohn und sein Vater sind Eins? beurtheilet, was ich zeither unter euch vorneme, ob es große GOtt würdige Anstalten sind? wenn sie es nach euren guten Gewissen nicht sind, alsdenn habet ihr ein Recht, mir nicht zu glauben (etc.)et cetera

Nun wollen wir diese Rede Christi näher untersuchen. Der Satz, den er den Juden vorhält, ist als 384 Obersatz von ihnen eingestanden; es gibt einen Sohn, der bey GOtt ist, der von GOtt selbst von jeher über alle endliche Dinge gesetzt ist, (ἡγιασε) und der in die Welt kommen sol, um das wahre Verhältnis des Meßias auszurichten oder zu bewerkstelligen. Ja, sagen die Juden, das wissen wir. Der Untersatz aber, dieser Jesus ist in irgend einer Bestimmung dieser Meßias und Sohn GOttes, wird von ihnen geleugnet, weil sie die algemeine geistliche Bestimmung des Meßias nicht kanten und glaubeten. Vorausgesetzt also, das bisherige unsichtbare Daseyn dieser Person bey GOtt, ehe sie in die sichtbare Welt gesendet, oder unter den Menschen nun weiter bekant wird: wie unbillig und unehrlich müsten wir handeln, wenn wir nicht aus eben diesem Evangelio Johannis und aus andern Stellen, die von dieser so charakteristischen Person reden, uns alle nur mögliche Belehrung aus allerley Zeiten und Schriften der Apostel samlen wolten? 385Es ist ja vielmehr klar, daß Jesus für diese Zuhörer jetzt ein mehrers nicht anbringen konte; deswegen aber blieben ja alle jene ausfürlichen Begriffe, welche andre von diesem Meßias sich gesamlet hatten, wirklich stehen, wenn gleich Jesus diesen Juden nicht alle einzele Stücke hier jetzt vortragen konte. Er wil ja offenbar diese Zuhörer nur auf die erste Stufe des eigenen gewissenhaften Nachdenkens bringen, und den allerersten Anstos ihnen benemen. Dis [94] ist aber folglich nicht die allerdeutlichste Stelle, wonach man alle andern wieder einschränken und ihren Inhalt kleiner machen dürfte. Wer wolte so unbillig und unrecht handeln? Die Juden setzen hier voraus, Jesus ist ein gemeiner Mensch; Jesus sagt, ich bin jener Meßias, jener Sohn GOttes, dem sein Vater das allergrößte unendliche moralische Verhältnis beigelegt hat; der sonst bey dem Vater, und auf Erden noch nie beschäftiget war; den er nun zu euch gesendet hat. Hat dieser nicht das Recht, dis sein großes unendliches Verhältnis gegen GOtt euch bekant zu machen, und es sich bey euch beizulegen? Hier wil nun der (Hr.)Herr Verfasser sagen, 386 Jesus wolle deutlich und ehrlich nur so viel anzeigen, ich kan mir über diese Benennung keinen Vorwurf machen. Es ist ja die Rede nicht davon, ob sich Jesus einen Vorwurf machen könne, oder nicht könne: sondern ob die Juden nicht einräumen müssen, daß der Meßias vielmehr seie, in einem viel größern Verhältnis gegen alle Menschen stehe, als je ein gewesener Prophet oder ehemaliger Oberster ihres einzelen Volks? Wenn nun dis keine Gotteslästerung war, daß die Schrift schon ehedem solche Menschen Elohim nent: wie können Juden einen Grund haben, denjenigen einer Gotteslästerung zu beschuldigen, der sich als den Meßias angibt; von welchem Meßias sie alle gestehen, daß GOtt ihm eben das algemeine Verhältnis beigelegt habe, wonach ihm Menschen, wenn er in die Welt komt, eben die Ehre beilegen sollen, und eben so glauben, als GOtt, sein Vater, ihm schon beigelegt hat. Alles ist hier Historie; ist vorausliegende Vorstellung denkender Juden von dem Meßias; aber noch immer unbestimte jüdische Vorstellung. Eben der Johannes setzt nun die christliche neue Bestimmung dazu; Logus ist GOtt, oder ein Subiect, das zu GOtt, und nicht zu Geschöpfen gehört; er war immer bey GOtt; 387der Eingeborne, der gleichsam im ewigen Schooße des Vaters ist; und nun alle Beschreibungen aus dem Briefe an die Hebräer und [95] andern Briefen Pauli. Die müssen zu unserm christlichen Unterricht notwendig jener localen Rede Jesu vorgezogen werden, der mit Juden zu thun hatte, welche von der Kentnis der ewigen geistlichen Welt noch weit entfernt waren. Nimmermehr aber fält es einem Christen ein, den einigen GOtt, in Ansehung des wesentlichen Verhältnisses dem GOtt Logos, oder dem Eingebornen, der immer bey GOtt ist, der unendlichen Natur nach, zu opponiren; das Gewissen des Christen behält es frey, dis dem Begrif der Unendlichkeit anzurechnen, daß er weiter davon nichts verstehen kann; dis überhebt ihn aber der Pflicht nicht, den Urkunden der christlichen Religion aufrichtig selbst nachzudenken, und an den Vater und Sohn des Vaters gleichgut zu glauben. Wir überlassen also dem (Hrn.)Herrn Verfasser, 388 es mag ihm dis oder jenes scheinen; wir glauben, daß Eingeborner, Erstgeborner vor aller Creatur, einer der im Schooße des Vaters ist, zu GOtt und zur Ewigkeit gehöre; wenn wir gleich es nicht, der bestimten Art und Weise nach, verstehen und erklären können; wie es uns mit andern wesentlichen praedicatis des allerhöchsten Wesens gehet, die wir doch gewis glauben, wenn wir sie gleich nicht ihrer innern Beschaffenheit nach erklären können, weil wir endliche eingeschränkte Menschen sind, die das Unendliche nicht aus ihren Gesichtskreise berechnen dürfen. Oder ist das höchste Wesen sonst nichts, als was ich durch meine Gedanken erst bestimme und festsetze?

6.

389 Daß für Christen der Glaube an Jesum Christum die unausbleibliche Bedingung der Seeligkeit sey, ist unleugbar. Allein daß sich diese Verbindlichkeit auch auf die Nichtchristen erstrecke, halte ich für unvernünftig, unmenschlich und schriftwidrig. Und daß dieser Glaube in einer Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi bestehe, halte ich für eben so falsch. [96] Wenigstens steht im neuen Testament so wenig von diesem Begrif des Glaubens, daß es mir ein Räthsel ist, wie die Lehrer der Kirche je haben drauf fallen können. Der Glaube an Christum ist Annehmung und Befolgung der Lehre Jesu, und festes Vertrauen auf seine mit seinem Tode besiegelten Verheißungen einer künftigen Seeligkeit der Tugendhaften.

1) Stehet denn etwa in den symbolischen Büchern der drey Parteien dergleichen Behauptung? daß auch diejenigen, so nichts von der christlichen Religion gehört haben, gar nichts davon wissen, dennoch danach, nach den Grundsätzen der Christen, von GOtt gerichten werden? Wissen wir etwa nicht, was Paulus Röm. 2, 12. schon gelehret hat, von denen, die 390 ἀνομως, ohne ein geschrieben jüdisches Gesetz leben? Jederman, der zu Gelehrten gehört, weis es, 391seit dem alten Urheber der Bücher de vocatione gentium – warum wird also hier diese ganz zufällige Anzeige eingerückt? 2) Daß der Glaube an Jesum Christum in einer Zueignung des Verdienstes Christi bestehe: hält der (Hr.)Herr Verfasser für falsch; glaubt auch, daß davon nichts im neuen Testament stehe; sagt also, es seie ihm ein Räthsel, wie die Lehrer der Kirche je haben drauf fallen können. Ist denn nun dis was großes und wichtiges? Dem (Hrn.)Herrn Verfasser kann gar vieles als ein Räthsel vorkommen, und dieses, sein Denken, hat doch weiter gar keine Wichtigkeit. Uns mus es sonderbar vorkommen, daß er solche unerhebliche Anzeigen drucken läßt; und so alte socinianische Anmerkungen als wichtige Verbesserungen des öffentlichen Lehrbegrifs, öffentlich empfielet. Ueber Worte sol doch wol nicht jetzt ein Krieg entstehen? Wohlthaten oder Gnade Christi; das ist, was wir ihm von geistlichen Vortheilen zu danken haben: und Verdienst Christi, ist in der ganzen christlichen Welt einerley. 392 Christus meruit nobis, und Christus peperit, procurauit, consecutus est suis studiis hominum bono, [97] ist einerley, in der lateinischen christlichen Welt; und diesem (Hrn.)Herrn Verfasser ist es ein Räthsel, wie die Christen sich diese Wohlthaten Christi, dieses meritum Christi, id, quod meruit Christus, zueignen wollen? Es ist ihm ein Räthsel! Christus ist Urheber und Mitler eines neuen bessern Bundes, hat einen neuen lebendigen Weg geöfnet, hat eine ewige Erlösung von der Sünde geschaft; durch Christum Jesum ist eine solche Erlösung geschaft worden, worin sich lauter Gnade GOttes thätig offenbaret, –; und wir sollen keinen Grund haben, zu sagen, wir eignen uns durch den Glauben durch lebendige Vorstellung und Genemhaltung zu, alle diese Wohlthaten Christi? Wil denn der (Hr.)Herr Verfasser Oberherr über unsern Verstand, über unsre Urtheile, und die darin gegründeten wörtlichen Aeußerungen und Beschreibungen seyn? Und wie beschreibet er denn den Glauben an Christum? Er sagt: 393‘der Glaube an Christum ist Annemung und Befolgung der Lehre JEsu, und festes Vertrauen auf seine mit seinem Tode besiegelte Verheissung einer künftigen Seligkeit der Tugendhaften.’“ Folglich, weil er nur also den Glauben an Christum beschreibet, so haben alle bisherige Christen unrecht, da sie sagten, der Glaube an Christum bestehet in Ergreifung und Zueignung seines Verdienstes oder seiner Wohlthaten. Ich gestehe es wieder, daß es mich verdrießt, auf solche Kleinigkeiten und Mikrologien etwas zu antworten. 1) Die Verheissungen Christi sind also doch auch ein Gegenstand des Glaubens an Christum, und zwar der erste Gegenstand, wider die falschen Einbildungen der Juden und Heiden, in Absicht ihrer äusserlichen gottesdienstlichen Beschäftigungen; die ersten Verheissungen Christi betreffen unsere jetzige Seligkeit, die wir sonst nicht kennen und nicht finden; enthalten eine neue volkommenere Art, GOtt wohlzugefallen, mit Vergebung unserer Sünden. Wer nun diese verheissenen Sachen ergreift, der glaubet selbst an Christum; wer diese Verheissungen als Wohlthaten, die Chri[98]stus geschaft und versichert hat, mit eigenem Wunsche annimt: der ergreifet dasjenige, was ihm ohne Christo felete, und ihm doch unentberlich ist zu seiner jetzigen geistlichen Wohlfart und Seligkeit. Wenn nun der Glaube bestehet in Annemung und Vertrauen auf die Verheissungen Christi: und unsre christlichen Vorfaren haben vor mehr als 1000 Jahren gesagt, ich ergreife diese Wohlthaten und dieses Verdienst Christi: warum sol denn von andächtigen Christen in unserer Zeit nicht mehr also geredet werden? Dis wäre ja ein unerhörter Zwang und eine Tiranney über die Gewissen und Gedanken der Christen? 2) Christus lehret nicht blos, was wir in unserm Leben thun und beobachten sollen, als Pflichten gegen andre Menschen; sondern er lehret auch von sich selbst, wofür wir ihn halten und annemen sollen, wozu GOtt den Christus gemacht und bestimt hat; hier hat der Glaube des Christen freies offenes Feld, und läßt es sich von niemand, geschweige von dem (Hrn.)Herrn Verfasser, verengern; Christus ist meine rechte Versönung, meine Gerechtigkeit, die muß GOtte wohl gefallen; denn er hat Christum für mich gemacht zur Gerechtigkeit, Heiligung, Erlösung, daß ich gerecht, weise und erlöset würde, Christus ist mein allerbester Hoherpriester; ist mir alles, was ich zu geistlicher Wohlfart brauche. Dis lehret ja Christus auch von sich; 394ich bin der Weg, die Volkommenheit, das Leben (etc.)et cetera wenn also der Glaube bestehet in der Anname und Befolgung der Lehre Christi; und Christus uns lehret, was er ist, wozu er uns von GOtt bestimt seie: so ist es ja ein armseliger Wortstreit, ob man reden und sagen darf, mein Glaube ergreift Christi Verdienst, oder alle seine geistlichen Praedicata und Wohlthaten; und ich befolge freilich auch herzlich gerne, Christi Vorschriften, wonach er lehret, was ich nun seyn und werden sol. Es ist hier also kein Räthsel; sondern wir sehen, der Zustand des Gemüts, das eine starke lebendige Vorstellung hat von seinen geistlichen Mängeln und [99] von dem grossen moralischen Elend, treibt den unruhigen Menschen am ersten zur geistlichen, volkommenen Ruhe und Zufriedenheit, die ihm GOtt durch Christum, der dis auch gelehret und verheissen hat, so reichlich, so unendlich groß geschaft hat; nun lebt der Mensch auch Christo, und ziehet Christum an, um ihm dankbar zu seyn. Da lebt nicht der vorige Mensch, sondern Christus lebt in ihm; er ist und wird immer mehr ein neuer Mensch; diese gleichzeitigen 395 Früchte des Glaubens erfordern wir auch in allen Lehrbüchern. Und also ist es die alte Leier; ob die socinianische Beschreibung besser seie. Wer nun diese als besser vorziehet, muß deswegen nicht sich anmassen, andre christliche Lehrbücher, die in der Geselschaft ein öffentliches Ansehen haben, öffentlich so zu beschreiben, 396 ‘daß sie eine Quelle des Unglaubens seien (etc.)et cetera 3) Eben so ist es unnütze Wortstreitigkeit, und unbillige Anmassung, wenn jemand seine eigene, individuelle Vorstellung, (die Verheissungen Christi sind mit seinem Tode besiegelt worden,) durchaus allen Christen aufdringen wil, als die einzig wahren oder am meisten erbaulichen. Wo sol das Recht herkommen, uns zu tadeln, daß wir sagen: der Tod Christi ist eine fruchtbare Begebenheit, welche in einem grossen reellen Zusammenhange von neuen Folgen und Früchten stehet, die sich als Wirkungen gegen eine Ursache verhalten; wir kennen die Wirkungen und ihre Ursache. Warum sol ich durchaus uneigentlich und tropice reden, besiegelte Verheissungen? Der wirkliche moralische Erfolg für unsre Einsicht und Ueberzeugung, hängt ja zusammen mit dem Tode Christi; nicht wie 397 caussa physica einen effectum physicum überal hat, es mag Menschen geben oder nicht, die ihn bemerken; sondern wie caussa moralis wirken kan. Die Einsicht der Wahrheit der Lehren und Versicherungen Christi, von geistlicher Verehrung und Geniessung GOttes, ist durch das Leben und durch den Tod Christi, für unser Gemüt, möglich gemacht, wirklich befördert, geschaft [100] worden. Der Tod Christi, in dem Zusammenhange mit der Absicht GOttes, giebt Sätze und Begriffe her, die sonst gar nicht statt finden, ohne einen gläubigen wahren Christen; 398der muß auch dabey seyn, wie Luther sagte. Ist es nun der Mühe werth, hierüber ein Bekentnis abzufassen, worin zur Noth die individuelle enge Lage der Denkungsart des (Hrn.)Herrn Verfassers sich entdeckt? Hat er damit unsern, den so alten, so erbaulichen Lehrbegrif, umgestossen? konte er ihn umstossen? Kan er, oder irgend ein vernünftiger Socinianer, es sich nur einfallen lassen, dis thun zu wollen?

7.

399 ‘Daß GOtt alle Tugendhafte in einem andern Leben höchstseelig machen werde, glaube ich; daß er aber eben so geneigt sey, die Bösen in alle Ewigkeit zu martern und dem Teufel zu übergeben, glaube ich nicht. Denn er selbst sagt: ich bin ein eifriger GOtt, der über die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied, aber denen so mich lieben und meine Gebote halten, denen thue ich wohl bis ins tausende Glied. Daraus schließe ich gegen die, welche GOtt gern eben so strafgierig als gütig machen möchten: wie sich verhält 4 gegen 1000, so verhält sich GOttes Neigung zu strafen, gegen seine Neigung zu belohnen.’

Hierin ist 1) nicht gut oder bedächtig ausgedruckt, daß GOtt eben so geneigt seie, die Bösen in alle Ewigkeit zu martern, so auch nachher, GOtt strafgierig machen. Kein verständiger Christ redet so, daß GOtt geneigt oder gierig seie, die bösen Menschen zu martern. Seit mehr als tausend Jahren ist die Frage von 400 duplici praedestinatione, ad vitam, ad mortem, eben in dieser Absicht untersucht worden, daß nach der Ungleichheit des obiecti in GOtt die praedestinatio nicht einerley seie; da[101]her so viel Unterscheidungen aufgebracht worden, die Wirkung des Willens oder der Neigung GOttes hier kleiner und anders zu beschreiben, als wenn die Rede ist von unmittelbarer Beförderung alles Guten. Es ist auch bekant genug, daß bey dieser langen Streitigkeit, von ewigen Strafen, der Grund dazu nicht in einer Neigung GOttes eigentlich gesucht worden, sondern in dem nun notwendigen unveränderlichen Zustande und wachsender Fertigkeit des bösen Menschen. 2) Was die angebrachte Stelle aus

2 Mos. 20, 5.

betrift, ich bin ein eifriger GOtt (etc.)et cetera so wird es jedem denkenden Leser auffallen, daß der (Hr.)Herr Verfasser diese Stelle in diese Aufgabe und Frage gebracht hat; die sich auf gar keine Weise hierzu schickt. 1) Wird hier von unglückseligen Folgen in diesem Leben geredet, wo böse Menschen auch noch die Folgen von dieser Sünde, die ihre Väter begangen hatten, erfaren sollen; nemlich wegen der vorsetzlichsten Sünde der Abgötterey, wovon hier allein die Rede ist; nicht aber von Strafen, die nach dem Tode einem jeden um seiner eigenen vielerley Sünden willen zukommen; welche Sünden eine viel größere Beschaffenheit haben, und den Menschen innerlich mehr zerrütten, als die äußerliche hier verbotene Abgötterey. 2) Wenn in GOtt die unendliche Abneigung vom Bösen eben so gros ist, als die unendliche Neigung zum Guten: wie kan man eine so arme Rechnung machen, in GOtt verhält sich die Neigung das Böse zu strafen und zu hindern, gegen die Neigung zu belohnen, wie 4 zu 1000? Diese Beschreibung ist recht treffend für dieses Volk, das an dem Wohlergehen seiner Kinder besonders seine eigene Glückseligkeit berechnete. Eltern können schwerlich länger Zuschauer des Glücks und Unglücks ihrer Nachkommen seyn, als bis auf Enkel und Urenkel, oder ins dritte und vierte Glied. Es wird also den Vätern, die Abgötterey erwälen würden, gedrohet, daß sie zu desto größerer Empfindung das Unglück ihrer Kinder und Nachkommen erleben sollen, hingegen fromme Israe[102]liten sollen sicher seyn, daß ihre Frömmigkeit in unzäligen Nachkommen hier noch belonet werden solle. Diese so ausdrücklich angepassete Beschreibung, die auf diese Leser und ihren kleinen moralischen Gesichtskreis rechnet, welche vornemlich durch äußerliche Dinge gerürt wurden: solte für geistvolle Christen ein Maasstab seyn, wonach sie GOttes Neigung zum Guten, in Absicht der geistlichen Belonung; und Abneigung vom Bösen, in Absicht der geistlichen Strafen, nach diesem Leben, berechnen dürften? Wer so schliessen kan, muß sehr bereit seyn, das überal zu finden, was er sucht. 3) Ich wil den ganzen Schluß sogar umkehren, wenn man ja so rechnen sol; und zwar, 401wie Calvinus schon also geschlossen hat. (Institut. (lib.)liber 2. (c.)caputcapitulum 8.) Wenn GOtt die Sünden der Väter straft bis ins dritte und vierte Glied; so wird die Strafe der Verdamten, noch viel grösser seyn, als sie um ihrer eigenen Sünde willen seyn müste. Wenn also der (Hr.)Herr Verfasser nichts gründlicheres weis, so wird diese Rechnung nichts helfen. Uebrigens muß ein öffentlicher Lehrer auch hier dasjenige öffentlich lehren und vortragen, was die Lehrvorschrift enthält; seine privat Gedanken gehören nicht her. Die Lehrart aber darf und sol man so gut einrichten, als es unserer Zeit gemäs ist; 402wie schon Origenes wider den Celsus die Fähigkeit des gemeinen Haufens unterschieden hat, den die Bilder von Feuer und Schwefel am ersten rüren. Der bessere reichere Unterricht muß nicht wegfallen, so bald er Eingang finden kann.

8.

403 ‘Daß es Engel und Teufel giebt, mag wahr seyn: daß sie aber das sind, wofür das Kirchensystem sie ausgiebt – daß sie leiblich die Menschen besitzen, daß sie sich als Gespenster zeigen, daß sie in die Seelen der Menschen wirken, und böse Gedanken und Vorsätze hervorbringen können, dazu habe ich nie einen hinreichenden Grund gefunden es zu glauben.’

[103] 1) Kirchensystem? welches Buch meint der (Hr.)Herr Verfasser damit? Weder in der augspurgischen Confession, noch sonst in irgend einem symbolischen oder feierlichen Lehrbuche, stehen diese Dinge als algemeine Lehrsätze und Theile der christlichen Religion. Daß sie leiblich Menschen besitzen – 404wer lehret dieses wol als eine Glaubenslehre der Christen? Wie algemein bekant ist es, daß so gar (kaiserl.)kaiserliche Majestät die 405 Gaßnerischen Auftritte geradehin untersagt, und glücklich geendigt haben! Wer kent nicht die vortreflichen 406Ausschreiben der würdigsten Erzbischöfe von Salzburg und Prag? an die freien 407Urtheile vieler Gelerten in Baiern (etc.)et cetera nicht zu denken. Nirgend, in der ganzen christlichen so weiten Welt, hat man diese Gedanken, von leiblichen Besitzungen, von Gespenstern – als Glaubenstheile, als christliche algemeine Lehrsätze angeboten und behauptet; Meinungen sind es häufig gewesen; aber die Rede solte ja seyn, von Glaubenslehren und von Lehrsätzen der 3 Parteien. Eben so wenig hat man es zu christlichen Lehrsätzen gerechnet, daß böse Geister (mittelbar oder unmittelbar) in die Seelen der Menschen wirken und böse Gedanken und Vorsätze hervorbringen können. Schon von den Scholastikern an, noch vor dem 408 Cartesius, ist es als eine Aufgabe angesehen worden, die nur in sofern unter theologische Fragen gerechnet wurde, als manche Schriftstellen und ihre Auslegung mit eingemischet wurden. Dieses ganze 8te Stück also gehört gar nicht her; der (Hr.)Herr Verfasser hat es nicht wohl überlegt, wie der ganze Aufsatz diesen sichtbaren Mangel hat.

9.

409 Daß die göttlichen Schriften neuen Testaments göttliche Belehrungen der Menschen zur Glückseligkeit enthalten, denen wir alles Vertrauen und allen Gehorsam schuldig sind, davon bin ich gewis; daß aber GOtt alle in diesen Schriften enthaltene Worte einge [104] geben habe, davon habe ich noch nie einen befriedigenden Beweiß gelesen.

Dis ist wirklich eben so beschaffen; daß alle Worte in der Schrift von GOtt eingegeben seien: ist niemalen ein Theil des christlichen Glaubens gewesen; von den Vätern an, von den Scholastikern her, von der so bekanten öffentlichen 410Streitigkeit an, so die jesuitischen Lehrer zu Löwen, Douai – mit den Dominicanern geraume Zeit gefüret haben; in unserer Kirche ist es vollend 411seit Calixti Zeit so ausgemacht: daß 412diejenigen Zeitgenossen, welche Num. 8. und 9. mit unter die Beweise setzen wollen, warum sie die christliche Religion nicht selbst annemen oder behalten wollen, sehr unwissende, einfältige, leichtsinnige Leute seyn müssen. Der Lehrinhalt der heiligen Schrift, die Wahrheiten, haben ihren Ursprung von GOtt, und seiner jetzigen Mittheilung; aber ob die Worte auch eingegeben sind, ist eine Aufgabe; kein Glaubensartikel – Daß übrigens auch in der Samlung der Bücher des alten Testaments ebenfals göttliche Belehrungen der Menschen enthalten sind, zur geistlichen Glückseligkeit: denen wir alles Vertrauen und allen Gehorsam (aus mitfolgender Ueberzeugung unsers Gewissens, aus Erfarung) schuldig sind: gehörte auch noch her; ob gleich der (Hr.)Herr Verfasser nichts davon hergeschrieben hat.

10.

413 Daß alle Christen die Religionslehren der Schrift, welche ohne Kunstauslegung darinnen zu finden sind, zu glauben und zu befolgen verbunden sind, ist gewiß, daß aber der Kirche, (darunter ich mir doch eigentlich nichts als den großen Haufen {plurima vota} der Geistlichkeit denke, die, wie schon oben gesagt worden, zu keiner Zeit das Vorurtheil der tiefen Einsicht, Gelehrsamkeit und unpartheyischen Prüfungsgabe, gehabt hat) das Recht zustehe, mir, aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte Lehren und Begriffe aufzu [105] dringen, das glaube ich nicht. Wenigstens wäre dieß ganz wider die Grundsätze des Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit dem Catholicismus gleiche Herrschaft und Rechte behauptet. Denn nach diesen Grundsätzen bin ich in Absicht auf meinen Glauben an keines Menschen Ansehn gebunden, sondern habe das Recht, alles zu prüfen, und nur das zu behalten, wovon ich mich aus GOttes Wort überzeugt fühle. Und dieses Recht erstreckt sich bey protestantischen Lehrern noch weiter als bey gemeinen Protestanten. Denn als ein solcher bin ich ein Theil der repräsentirenden Kirche, und bin daher nicht nur verpflichtet, die Lehrsätze meiner Kirche zu prüfen, sondern auch das Resultat meiner Prüfung, wenn es von Wichtigkeit ist, meinen Glaubensbrüdern vorzulegen, wie ich bisher in einigen meiner Schriften gethan habe, auch fernerhin thun werde, und in diesem meinem öffentlichen Bekenntniß jetzt zum ersten male vor dem allerhöchsten Richterstuhle thun zu können, gewürdiget werde.

Wenn der (Hr.)Herr Verfasser nicht parteiisch, oder nicht eilfertig und nachläßig zu handeln sich vorgesetzt hätte: so hätte dieses Stück auch ganz und gar wegbleiben müssen. Aber auf diese Bedingung und Voraussetzung, hätte das ganze, obgleich sehr kleine, Glaubensbekentnis, gar nicht zum Vorschein kommen dürfen. Um nur auf dieses 10te Stück etwas zu antworten, so ist 1) in allen unsern compendiis und systematibus, 414ohnerachtet sie lauter Wust enthalten sollen, 415seit Gerhards Zeiten die vortrefliche wahre Anleitung befindlich: der Lehrer solle elementaria unterscheiden, und in der heiligen Schrift heraussuchen, zur öffentlichen Lehre; denn die seien einem jeden Leser und Zuhörer leicht, faslich und unmittelbar erbaulich. Es ist auch unsern Kindern bekant, die auch einen Auszug von Sprüchen und Lehrsätzen lernen. Und in der so langen Streitigkeit, über den Gebrauch der Schrift [106] für alle Leser, über ihre Deutlichkeit oder Dunkelheit: ist dieses unzälige mal auseinander gesetzt und bestätiget worden. Man hat daher auch schon zur Zeit Lutheri, vielerley 416 Summarien oder Auszüge drucken lassen, wie besonders Veit Dietrich: um jene andern Theile der Schrift, die zur Abfassung in der damaligen Zeit, zum locali gehören, abzusondern von dem algemeinen nützlichen Inhalt, wie schon Paulus, 2 Tim. 3, 16. diese vortrefliche Unterscheidung anempfolen hatte. In allen Jahrhunderten, seit dem 2ten und 3ten, gibt es solche 417 Eclogas, Synopses, 418 Capitula, (des Prätextatus, über Pauli Briefe,) 419 speculum in Augustini Werken (etc.)et cetera und so gar in der römischkatholischen Kirche hat kein gelerter Mann ferner Theil genommen, an den 420Uebereilungen des Gretser und Tanner auf dem colloquio zu Regenspurg, welche auch den Satz, das Hündlein wedelte mit dem Schwanze, weil es ein Theil der Schrift seie, zu Glaubensartikeln gerechnet hatten. 421 Calixti Lehrart unter uns hierüber, ist auch bekant genug.

2) Sagt der (Hr.)Herr Verfasser weiter: 422 ‘daß aber der Kirche, (darunter ich mir doch eigentlich (etc.)et cetera)’ Hier wünschte ich, daß diese hitzige Beurtheilung, die schon einmal da gewesen ist, nicht wäre wiederholet worden. Geradehin ist sie nicht wahr. Man müste unwissend oder vorsetzlich parteiisch seyn, 423wenn man die Kirche blos und geradehin so beschreibet, sie ist der große Haufen der Geistlichkeit, hat zu keiner Zeit das Vorurtheil der Einsicht (etc.)et cetera gehabt. Es hat in vorigen Zeiten und Jahrhunderten, wenigstens schon vom 3ten an, Bischöfe und Presbyteros gegeben, von Einsicht, Gelersamkeit und innigster Rechtschaffenheit; wenn gleich der größere Haufe diese praedicata nicht haben konte. Insbesondre aber kann dem (Hrn.)Herrn Verfasser nicht unbekant seyn, daß die Protestanten unter dem Namen Kirche, keinesweges den großen Haufen der Geistlichkeit verstehen; er konte dis an dem [107] Beispiel der Fürsten und Obrigkeiten wissen, welche die augspurgische Confession, als den Lehrinhalt der Kirchen ihres Landes aufgestellet, und in den 424 schmalkaldischen Artikeln, sich von jener gemeinen Art der Concilien und Macht der Kirche, so öffentlich schon losgesagt haben. Wie nun in dieser Zeit diese protestantischen Fürsten und Herren das 425 ius circa sacra publica auf eine ganz andere Art, und in ganz anderer Absicht stets selbst ausgeübet und behauptet haben, als es sonst in den Händen des Pabsts und der Bischöfe war, zum steten Nachtheil der landesherrlichen Hoheit; wie unsre Vorfaren eben den Grundsätzen der landesherrlichen Macht, welche das Beste ihrer Unterthanen schaft, auch was äußerliche Religion, und daher möglichen Schaden und Unruhe betrift, gefolget sind, als der Kaiser, der König von Frankreich (etc.)et cetera befolgeten, da sie zu 426 Costnitz und Basel, und nachher durch concordata (etc.)et cetera die Anmassungen der Päbste einschränkten, wie alle Kaiser und Fürsten schon in jenen Zeiten thaten, da Päbste über 427 Investituren so viel Unruhe erregten: so wäre es warlich eine sehr ungerechte Beurtheilung, wenn der (Hr.)Herr Verfasser die iura unserer Obrigkeiten und Stände, in Absicht der öffentlichen Religion, damit leugnen wolte: daß er sagt, 428die Kirche ‘hat kein Recht, mir – Lehren und Begriffe aufzudringen’. Eben dieselbe Kirche, welche einen Superintendenten oder Prediger setzt; eben derselbe Landesherr, der einen professorem theologiae der augspurgischen Confession in Dienste nimt (etc.)et cetera hat ja wohl das Recht, auf der öffentlichen Absicht zu bestehen, wofür das salarium oder die Besoldung ausgezalet wird. Solte dis der (Hr.)Herr Verfasser leugnen: so wäre es abermal die seltsamste Vermischung der Rechte seines eigenen Gewissens, und der iurium, welche der Fürst oder Staat über alle seine besoldeten Kirchenbedienten hat. Wenn der (Hr.)Herr Verfasser also die vorhin genanten Lehrsätze der augspurgischen Confession, von Erbsünde, von Genugthuung, Rechtfertigung (etc.)et cetera für solche [108] Begriffe ansiehet, welche künstlich (aber ohne Grund) aus der heiligen Schrift gefolgert wären: so urtheilet er nach seinem eigenen richtigen oder unrichtigen Gewissen. Aber er irrt sich gewaltig, wenn er nun die Obrigkeit nach seinem Gewissen bestimmen wil, in Regierung und Beschützung der öffentlichen Religion, die ein gemeinschaftliches Gut und Recht lutherischer Unterthanen ausmacht, denen die Obrigkeit allen Schutz zugesichert hat, diesem Glaubensbekäntnis des (Hrn.)Herrn Verfassers von nun an das Uebergewicht zu geben. Dis ist so klar, daß der (Hr.)Herr Verfasser wol mit der Widerlegung zurück bleiben wird. Er müste aus allen Staaten, wo obrigkeitliche Aufsicht über sacra publica ist, wo so viel tausend 429 Vocationen, allemal mit Befel und Anweisung auf die symbolischen Bücher und augspurgische Confession insbesondre ausgestellet werden, nachdem der Candidat erst hierüber examinirt worden, wo so viel Consistorialverordnungen täglich ausgefertigt werden – sich entfernen; und er müste der Geselschaft eben so ernsthaft vorsagen, daß sie ihm die Besoldung eben so ungerecht aufdringe, als die Vorschrift der öffentlichen Lehre. Und wie ganz ungeschickt und lächerlich wäre diese Klage oder Beschwerde! 430So viel gründliche Abhandlungen de iure principis circa sacra, solte der (Hr.)Herr Verfasser mit einer so kahlen Erzälung seiner eigenen Einfälle, oder mit seiner selbst verursachten Lage, so leicht umstoßen! Der Staat und die Landesobrigkeit hält Universitäten; da sollen künftige Lehrer zubereitet werden, und durch den gelerten und gewissenhaften Unterricht selbst sich überzeugen, von der Richtigkeit und Erweislichkeit der Lehrsätze, welche diese öffentliche Religionspartey von andern unterscheiden. Niemand dringt dem studirenden jungen Menschen etwas auf; entweder er studirt gründlich und folgt eigener Einsicht, kan sie auch nun aufrichtig wieder von sich geben; ist untadelhaften Lebens, und wird also zum öffentlichen Lehrer für die und die Gemeine ernent. Oder er studirt wenig; wil [109] ein Originalkopf seyn, lebt auch als Original, stößt gute Leute an (etc.)et cetera und wird nicht in dieser Geselschaft in Kirchendienste genommen. Nun wil er sich der übrigen lutherischen Kirchengeselschaft aufdringen? Wil ihr zumuten, sie solle ihre Lehrbücher, um seines Schicksals willen, aufheben, und von ihm solche Beschreibungen der christlichen Religion annemen, die ganz gewis, wie er verspricht, Tugend und Moral vielmehr befördern würden. Ist es wol zu erwarten, daß dieser angebotene Tausch sonderlichen Eingang finden wird? Die ganze Sache ist so natürlich in der Lage, als die 431 Bauren im 16ten Jahrhundert ihre 12 Artikel ausgehen ließen; daß es Leser nicht reuen wird, in jene Zeit zurück zu gehen, und 432 Luthers, Melanchthons und andrer Lehrer Antworten jetzt wieder zu lesen; um zu sehen, daß Güter und Gelder der Landesobrigkeit gehören, welche zu öffentlichen Kirchen- und Schuldiensten angewendet werden, in Absicht auf öffentliche Religionsübung und Ausbreitung; der gebilligten Grundsätze; nicht aber, wie 433 Thomas Münzer und 434Nachbar Andres, Carlstadt, in schwärmerischen Träumen, für gut fanden. Daher auch 435 Kirchenvisitationen vorgenommen wurden, um den Zustand der Lehrer und Zuhörer, in Absicht gemeiner Grundsätze der öffentlichen Religionsübung, in einerley zweckmäßiger Ordnung zu halten. Es ist daher übel angebracht, wenn der (Hr.)Herr Verfasser weiter sagt: 436‘wenigstens wäre dis ganz wider die Grundsätze des Protestantismus, welcher im deutschen Reiche gleiche Herrschaft und Rechte behauptet. Denn nach diesen Grundsätzen bin ich in Absicht auf meinen Glauben an keines Menschen Ansehn gebunden, sondern habe das Recht, alles zu prüfen, und nur das zu behalten, wovon ich mich aus GOttes Wort überzeugt fühle.’

Und wozu denn dieses? Der Protestantismus ist doch nicht das Eigentum des (Hrn.)Herrn Verfassers! Die protestantischen Fürsten und Herren waren es, welche diese [110] Protestation damalen einlegten, wider das jetzt einzufürende wormsische Edikt; sie protestireten als Reichsfürsten, aus landesherrlicher Macht, über die beste Art der öffentlichen Religion, ihren Unterthanen selbst dienliche Vorschriften und Verordnungen zu machen. Eben diese Fürsten setzten Professoren und Pfarrherren ein, mit der Anweisung wider jenes gemeine Pabstum unaufhörlich zu predigen. Notwendig ist ein öffentliches Lehramt abhängig von einem öffentlichen Auftrage; und der öffentliche Auftrag erfordert nun öffentliche Anwendung dieses ertheilten Rechtes; und mehr kann es nicht angewendet werden, als es in der ertheilten Bestellung oder Vocation beschrieben ist. Nun lauten alle Vocationen aller Lehrer und Prediger in den lutherischen Kirchen, auf die augspurgische Confession. Der Lehrer handelte ja also ganz verkehrt und zweckwidrig, der da sagen wolte: ich wil zwar dieses Lehramt haben, aber ich wil die Grundsätze des Protestantismus, die wider den damaligen Pabst gehen, jetzt anwenden wider die augspurgische Confession; ich widerspreche ihr, oder ich unterdrücke sie, in der Lehre von Erbsünde, von Genugthuung, von Gottheit Christi und des heiligen Geistes (etc.)et cetera und wenn man mir dis nicht erlauben wil, so sage ich, ich bin in Ansehung meines Glaubens an keines Menschen Ansehn gebunden – Ich sage dis ist ja verkehrt und zweckwidrig gehandelt. Eben darum haben ja unsre Vorfaren diese Confession oder Apologie, wie sie zuerst hies, öffentlich bekant gemacht: um sich von den täglichen Schwärmereien und Zerrüttungen öffentlich zu unterscheiden, welche die Anhänger des Münzer und der 437 Wiedertäufer überal erregten. Wenn Cajus sol ein Prediger oder Lehrer bey der Universität oder Gemeine in – werden: so ist doch eine Obrigkeit dazu nötig, die das Recht hat einen zu bestellen, und ihm zu seinem Unterhalt eine Besoldung anzubieten. Nun hätte Cajus sehr gern seinen Unterhalt; er nimt also diese Vocation an, und verspricht auch der Geselschaft, [111] sich nach der eingefürten öffentlichen Lehrvorschrift zu richten. Allein nun behält er für sich eine 438 reseruationem mentalem, welche selbst alle Jansenisten an jenen politischen Jesuiten verabscheueten; und spricht, ich bin ein Protestant; ich bin also an keines Menschen Ansehen in meinem Glauben, (also auch in meinem öffentlichen Amte, an keinen Eid und Versprechen,) gebunden. Ich wil nur das behalten, wovon ich nach GOttes Wort mich selbst, für mein Gewissen, überzeugt füle; also heute dis, morgen jenes. – Giebt es wol einen ehrliebenden Menschen unter uns, der diese Aufführung genemhalten und billigen wil? Cajus kan ja sein Lehramt nicht mehr behalten, als ein ehrlicher teutscher 439 Biederman, geschweige als ein Christ, der ein so zartes Gewissen haben wil. So mus er also seiner Obrigkeit die schuldige Treue beweisen, und es anzeigen; ich kan und wil dis nicht lehren, was ihr mir aufgetragen habt; ich lege mein Amt also wieder in eure Hände nieder; sucht einen andern Lehrer. Aber unser (Hr.)Herr Verfasser ist viel klüger, als daß er dieses thät, was jeder Biederman in der ganzen Welt thut; er sagt, 440‘dieses Recht erstreckt sich bey protestantischen Lehrern noch weiter, als bey gemeinen Protestanten.’Was für ein Recht? Seinem Gewissen zu folgen; und es nicht zu verheimlichen, wenn status confessionis da ist. Recht gut. Ist dis aber das Recht eines protestantischen Lehrers? Es ist ja Pflicht eines gewissenhaften Christen. Der (Hr.)Herr Verfasser irret sich abermal; Lehrer dieser Geselschaft ist er nicht mehr, so bald er die feierliche Norm seiner öffentlichen Lehre hintansetzt; denn er ist nicht weiter Lehrer, als die Geselschaft dieses Recht ihm läßt und es fortsetzt. Sie nimt aber sogleich dieses öffentliche ihm ertheilte Recht und Verhältnis zurück, sobald sie es weis, daß Cajus nicht mehr nach ihrer Lehrform sich richten wil. Und nun ist Cajus ein privat Mann in dieser Geselschaft, er mag noch so gelehrt oder geschickt seyn. Alle gemeinen Protestanten oder privat Leute, haben eben dieses Recht [112] ihres Gewissens, Lehrsätze nach der heiligen Schrift zu prüfen, und faren zu lassen, wenn sie keinen Grund dazu finden. Cajus ist nun ein privat Mann worden: er hat also nicht das allergeringste Recht voraus, wenn er ein protestantischer Lehrer gewesen ist, und es nicht mehr ist; er ist es aber nicht mehr, per hypothesin. Die Vergleichung des Catholicismus und Protestantismus ist gerade wider den (Hrn.)Herrn Verfasser. Beide beziehen sich auf die öffentliche Religionsübung; diese beruhet auf landesherrlichem Schutz und Behauptung der Grundsätze der öffentlichen Religion; dis ist ganz ausgemacht. Nimmermehr verstattet der Protestantismus dergleichen einzele Anmassungen dieses und jenen Lehrers, daß er selbst die Grundsätze des Protestantismus wider protestantische feierliche Kirchenordnungen anwenden dürfe; so wenig Catholicismus dergleichen Rechte verstattet. Was sol also diese so grosse Confusion, die nur aus einem Fanaticismus sich ein Recht holen und borgen kan? Dis würde die greulichen Revolutionen zurück rufen, aus dem 16ten Jahrhundert; da wolten auch theils schwärmerische, theils listige, theils einfältige Leute, das Reich Christi, die Christusreligion viel besser und algemeiner einfüren; für sich waren sie nicht zufrieden, mit ihrer Gewissensfreiheit; sie wolten öffentliche Anstalten und Vorschriften für alle andre Glieder des bisherigen Staats einfüren. Was hatten sie aber für Recht, sich zu Lehrern aufzudringen? Wer sie hören und leiden wolte, der that es ja ohnehin; warum wolten sie aber mit diesem privat Stand nicht zufrieden seyn? Wenn sie der 441Churfürst von Sachsen, der Stadtrath zu – nicht bey sich dulten wolte, warum wendeten sie nun Mittel an, sich einen Anhang, und dadurch sich nach und nach gewaltig zu machen?

442‘Ja, sagt der (Hr.)Herr Verfasser, als ein (gewesener) protestantischer Lehrer, bin ich ein Theil der repräsenti[113]renden Kirche; und ich bin daher nicht nur verpflichtet, die Lehrsätze meiner Kirche zu prüfen, sondern auch das Resultat meiner Prüfung, wenn es von Wichtigkeit ist, meinen Glaubensbrüdern vorzulegen; wie ich bisher in einigen meiner Schriften gethan habe (etc.)et cetera

Welche neue Vorstellungen hat der (Hr.)Herr Verfasser hier mitgetheilet! Wer hat ihm denn das ius repraesentandi, und daher eine besondere Obliegenheit aufgetragen und mitgetheilt? Zum Beispiel, wie er in Giessen stund, wer kan es verstehen, ein 443Superintendens in Giessen, sey hiemit ein Theil der repräsentirenden Kirche! Wohin geht denn der Auftrag von seiner Repräsentation? Es wäre ja gar zu seltsam, wenn ein Superintendens oder Prediger, sich hiemit, daß er zu der besondern lutherischen Kirche in Giessen oder in Heidesheim gehört, ansehen wil, er seie ein Theil der repräsentirenden Kirche. 444Dis mag in terris infidelium seyn; hier unter uns, bey allen lutherischen Kirchen, sieht ihn niemand für einen Repräsentanten an; denn es felet die besondre feierliche Bestimmung zu einem besondern Endzweck, der mehrern Kirchen gemein wäre, die daher so oder so viel Repräsentanten nach (N. N.)Notetur Nomen abschickten. Die Theologi zu Augspurg, Worms, Trident (etc.)et cetera konten sich einen Theil der irenden Kirche nennen; aber ein jeder einzeler Lehrer kan nicht sich selbst dafür halten. Ich wil aber diesen ganz neuen Sprachgebrauch übergehen; und nur anmerken, daß die Repräsentanten im Namen ihrer Geselschaft zu handeln haben, folglich die erhaltene Volmacht zu der und der Sache anwenden müssen. Wer hat aber dem (Hrn.)Herrn Verfasser aus irgend einer lutherischen Kirche eine Volmacht gegeben, als ihr Repräsentant, bey kaiserlicher Majestät solche Anträge und Einfälle anzubringen? In seinen Schriften – wer hatte wol aus irgend einer lutherischen Kirche ihn bevolmächtiget, dis oder jenes, wider die augspurgische Con[114]feßion, zu lehren und zu schreiben? Dis ist alles ungegründete und übereilte Anmassung. Wenn er fernerhin allerley schreibt: so wil er dafür angesehen seyn, daß er es als ein Theil der repräsentirenden Kirche thue. Welcher Kirche? Er gehört ja zu gar keiner Kirchengeselschaft, die im römischen Reiche öffentliche Rechte und ein ius repraesentandi hat. Und gar wil er als ein Theil der repräsentirenden Kirche dieses Bekentnis an (Se.)Seine Kaiserliche Majestät geschrieben haben! Ich brauche es nicht zu erinnern, daß nicht einmal das kleinste Dorf im römischen Reiche ihm einen solchen Auftrag gethan habe; geschweige diejenige Kirche, in der er ehedem eine öffentliche Stelle, und zwar wider ihre ganze Intention, wie er es selbst vorhin sagte, eine Zeitlang verwaltet hatte. Nun wollen wir doch auch die Sachen besehen, wozu er als ein Theil der repräsentirenden Kirche, eine Verpflichtung haben wil. 1) Er sey nicht nur als ein Theil der repräsentirenden Kirche verpflichtet, die Lehrsätze seiner Kirche zu prüfen; sondern auch (etc.)et cetera In der That hatte die Kirche, die ihm einen öffentlichen Dienst aufgetragen, die völlige Meinung, er habe diese Lehrsätze, die er nun zu lehren auf sich nahm, lange schon gekant und geprüfet; keinesweges solte er sie nun zu lehren auf sich nemen und erst nachher prüfen. 2) Ist er gar verpflichtet, das Resultat seiner Prüfung seinen Glaubensbrüdern mitzutheilen: so weit dis wahr ist, so ist es eine innere Obliegenheit und Stimme seines eigenen Gewissens. Wenn diese nun in Collision komt mit den äusserlichen Pflichten, die er zu leisten übernommen hatte: so muste er es anzeigen, bey seinen Obern; und da er keine besondern Obern mehr hat, also auch kein Lehramt: so fält diese angebliche Verpflichtung, wie gesagt, nicht auf ihn als Lehrer, und anmaslichen Repräsentaten, denn das ist er nicht gewesen, und jener ist er nicht mehr: sondern als privat Mann, wenn er gleich noch so gelehrt wäre. Nun stehet es bey den Obern aller lutherischen, reformirten [115] und römischkatholischen Kirchen, ob sie diese unreife Frucht eines irrigen Gewissens in ihren Landen wollen öffentlich lesen und brauchen lassen; oder ob sie diese ganze Ausschweifung lieber unterdrücken und verbieten wollen. Wenn nun dis letzte geschiehet, so ist es vollend klar, daß diese Kirchen es keinem Lehrer zur Pflicht machen, sich als Repräsentant von ihnen selbst anzusehen; und das Resultat seiner privat Prüfung für so wichtig zu halten, daß er es drucken lasse. Indes, da es nun gedruckt ist: so komt es weiter darauf an, wie diese Kirchen, deren Lehrbücher der (Hr.)Herr Verfasser so wenig richtig verstund, und doch geradehin so übel beurtheilet hat, 445daß sie die ‘Quelle des Unglaubens’ enthielten: dieses sein Bekentnis, und die Beschuldigung ihrer Lehrer, daß sie heucheln und lügen, ferner öffentlich behandeln werden. Ich habe nun meiner Pflicht, die ich als öffentlicher Lehrer der augspurgischen Confeßion habe, ein Genüge gethan, und den Ungrund dieses so übereilten und untreuen Bekäntnisses, öffentlich entdeckt; bin auch gewis, daß alle gewissenhafte Lehrer aller drey Religionen mir in der Hauptsache recht geben werden.

Ich muß noch eine Stelle beleuchten, welche in der Anrede an (Kaiserl.)Kaiserliche Majestät (S.)Seite 7. sehr auffallend vorgetragen wird.

446‘Wie ich nun beiden höchstvenerirlichen Conclusis mich sogleich demütigst unterworfen, auch mein Amt bereits verlassen, und alles, was mir, meiner Gattin, und vier kleinen unerzogenen Kindern bisher Quell des Unterhalts und der Verpflegung gewesen war, sogar mein im gräflichen Leiningischen Schlosse Heidesheim, mit einem Aufwande von mehr als 6000 (Rthlr.)Reichsthalern errichtetes, und von tausend gutdenkenden Menschen gebilligtes Erziehungsinstitut, mit dem Rücken angesehen, und ohne alle bestimte Aussichten mich in ein ander Land begeben habe: also eile ich (etc.)et cetera

[116] Nach dieser Erzälung, hat der (Hr.)Herr Verfasser sogar ein Erziehungsinstitut in Heidesheim mit dem Rücken angesehen, das mit einem Aufwande von mehr als 6000 (Rthl.)Reichsthalern errichtet worden; welches Institut er daher sein nent. Ich wil mich nicht darauf einlassen, zu untersuchen, ob der Inhalt des (kaiserl.)kaiserlichen Reichshofrathsconclusi in der That hierauf gehe, dem (Hrn.)Herrn Verfasser alles eigenen rechtmäßigen Vermögens so eilfertig zu entsetzen, daß er in gröster Eil davon reisen müsse, und das Seine mit dem Rücken ansehe! Ich wil nur die gegründete Befremdung äußern, worein die Leser ganz natürlich geraten, wenn sie nicht nur allerley schriftliche 447Nachrichten und Briefe vergleichen, worin des (Hrn.)Herrn Verfassers heimliche eilfertige Abreise aus Heidesheim, und die geschwinde Nachreise des Hrn. –bers aus Heidesheim, und noch zweier ansehnlichen creditorum, mit besondern Umständen erzälet wird, die es sonnenklar machen, daß kein Reichsfiscal und keine kaiserliche execution auf irgend einige Weise hieher zu rechnen ist, was diese Verlassung des dortigen rechtmäßigen Eigentums betrift; sondern auch öffentliche Impressa in der frankfurtischen kaiserlichen privilegirten Zeitung lesen, die einen solchen Zusammenhang an den Tag legen, der gar nicht zur demüthigsten Unterwerfung an jene conclusa in diesen Umständen gehören kan. 1) In dem 81sten Stück Frankfurter Staats-Ristretto, auf den 22sten May, wird von der (hochgräfl.)hochgräflichen Leiningen-Dagsburgischen Regierungscanzley, zu Dürkheim an der Haard, den 19ten May, folgendes bekant gemacht: 448da durch die Dienstentlassung des (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdten, und von ihm hierauf aus eigener Bewegung vorgenommenen Niederlegung des Fürsorger Amtes über das Erziehungsinstitut in dem hochgräflichen Leiningen-Dagsburgischen Schlosse zu Heidesheim, diese Anstalt weiter keine Veränderung erlitten, als daß sie unter unmittelbarer Aufsicht der Landesregierung zweckmäßiger eingerichtet, und nicht nur für die beste Verpflegung der Zöglinge gesorget, son[117]dern auch insbesondre zu Beförderung der wissenschaftlichen und sittlichen Erziehung derselben, unter einer unermüdeten Aufsicht, mit unerwartetem Erfolge, die vorzüglichsten Mittel bereits in Wirksamkeit gesetzt worden: so hat man solches zu Beruhigung der Eltern und Vormünder, welche Kinder oder Mündel wirklich zu Heidesheim haben, oder noch dahin zu schicken gedenken, hiedurch bekant zu machen nicht ermangeln wollen. Dürkheim (etc.)et cetera

Nach dieser Anzeige vom 19ten May, erfolgte eine andre vom 25sten May, (also kaum 5–6 Tage nachher) in dem 83sten Stück genanter Frankfurter Zeitung, Seite 334. von eben derselben (hochgräfl.)hochgräflichen Leiningen-Dagsburgischen Regierungscanzley zu Dürkheim, dieses Inhalts:

449Nachdem die ökonomische Geselschaft des Heidesheimer Erziehungsinstituts die gehorsamste Anzeige gethan, wie sich bey genauer Berechnung der zur Bestreitung eines anständigen Unterhalts desselben erforderlichen Kosten ergeben, daß solche die Einnahme bey weitem übersteigen; weswegen sie sich außer Stande befinde, die weitere Fortsetzung desselben zu unterstützen; und solchem nach besagtes ganze Institut nicht weiter bestehen kan, sondern pro futuro gänzlich aufhören muß: als wird dieses unter Beziehung auf das 81ste (oder vorige) Stück dieser Zeitung befindliche Avertissement, mit dem Anhange und unter der Versicherung, daß einstweilen die [Zöglinge], bis sie von den Ihrigen werden zurückgenommen werden, wohl verpfleget und zweckmäßig unterrichtet werden sollen, hiemit jederman bekant gemacht. Dürkheim an der Haard (etc.)et cetera

In eben diesem 83sten Stück, folget unmittelbar auf die vorige Nachricht diese anderweitige Anzeige, die aus Heidesheim den 21sten May unterschrieben ist, von der öconomischen Geselschaft der Erziehungsanstalt daselbst. 450Demnach der bisherige Fürsorger des Erziehungs[118]instituts zu Heidesheim (Hr.)Herr (D.)Doctor Bahrdt zwar dieses sein Fürsorgeramt freywillig niedergelegt, daraufhin aber, ohne mit der öconomischen Geselschaft sothanen Instituts Abrechnung zu pflegen, sich von hier wegbegeben hat; diese Erziehungsanstalt hingegen unter unmittelbarer Direction der höchgräflichen Landesregierung annoch bestehet: so hat die öconomische Geselschaft mehr gedachten Instituts solches hiermit bekant machen, und zugleich nicht nur alle Eltern und Vormünder, welche Kinder oder Mündel darein haben, oder noch anhero zu schicken gesonnen seyn möchten; sondern auch alle diejenigen, welche 451 ex alio quocunque capite etwas hieher schuldig sind, geziemend bitten wollen, an den (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt weder pensions noch sonstige Gelder vor Rechnung des hiesigen Instituts zu bezahlen, sondern sich disfals an die öconomische Geselschaft selbsten um so mehr gefälligst zu addressiren, als dieselbe alle an den (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt geschehene Zahlungen nicht anerkennen, sondern solche als nicht geschehene ansehen; dahingegen aber vor die an sie selbst addressirte und ihr zukommende Gelder, getreue Rechnung halten wird.

In einem andern Blat, (der Frankfurter kaiserlichen Reichsoberpostamts-Zeitung,) auf den 2ten (Jul.)Juli (Num.)NumerusNumero 105. auf der letzten Seite, stehet nun noch eine andre Anzeige, datirt den 28sten May 1779, Dürkheim:

452Nachdem sich der ehemalige hiesige erstere Superintendens und curator des von ihm auf eigene Kosten und Gefar errichteten Erziehungsinstituts, in dem (hochgräfl.)hochgräflichen Schlosse zu Heidesheim, (Hr.)Herr (D.)Doctor Bahrdt, aus hiesigen Gegenden, mit Zurücklassung, einiger, sogleich nach seinem Abzug in ein gerichtlich Inventarium gebrachter Effecten, entfernet; und aus denen bereits gegen ihn und die öconomische Societät seiner Anstalt, eingeklagten Schulden, sich ergiebet: daß dessen zurückgelassene Effecten zu Tilgung derselben schwerlich hinlänglich seyn dürften: als werden alle und jede, so an ihn, (D.)Doctor [119] Bahrdt, oder die öconomische Societät seines Instituts irgend einige Forderung ex quocunque capite zu machen sich berechtiget glauben, hiemit vorgeladen, von dato an, 453nach Verflus von 6 Wochen, welcher terminus sub praeiudicio praeclusionis anberaumet wird, vor dahiesiger hochgräflichen Regierungscanzley entweder in eigner Person, oder durch einen dazu hinlänglich Bevolmächtigten zu erscheinen, und von dem 12ten (Jul.)Juli (h. a.)hoc annohujus anni und folgende Tage, als in diesem ad liquidandum bestimten Termin, in Ansehung ihrer etwa habenden Forderungen gehörige Liquidation zu pflegen, sofort weitern rechtlichen Bescheid zu gewärtigen. Zur (hochgräfl.)hochgräflichen Leiningen-Dachsburgischen Regierungscanzley verordnete, Director, Hof- und Regierungscanzley Räthe.

Ich wil nicht die geringste Anmerkung hierüber machen, wie diese 6000 Rthl. mit so viel dortigen schon eingeklagten Schulden einstimmen; noch weniger andre Nachrichten hier ausbreiten, was die Schulden und creditores betrift. Aber es ist doch ganz gewis, daß der (Hr.)Herr Verfasser in einer sehr schlechten Lage sich befunden hat, als er von Heidesheim, wo er freilich nicht mehr bleiben konte, das Glaubensbekentnis handschriftlich nach Berlin schickte, um es in den Druck zu bringen; da er gerade am allerwenigsten für die 3 Religionen im römischen Reich, und 454für die rechte Christusreligion, und für grösseste Rechte der Menschheit, sondern blos für sich selbst zu sorgen Ursache hatte. Die Zeit wird den Erfolg von diesem ganzen Zusammenhange weiter lehren. Alle studiosos theologiae erinnere ich an jene alte vortrefliche Vorschrift, 455 Μανθανετωσαν, οἱ ἡμετεροι, καλων ἐργων προϊστασθαι, εἰς τας ἀναγκαιας χρειας, ἱνα μη ὠσι ἀκαρποι. Halle den 20sten August, 1779.

(D.)Doctor Joh. Salomo Semler.

3.

[1]

Berlin,
bey 456 August Mylius 1779.textgrid:3rnnd
[2]

[3] Herr Doktor Semler in Halle, hat auf mein Glaubensbekenntniß textgrid:3rnj8, welches weder eine Frage noch eine Widerlegung war, eine Antwort textgrid:3rnn5 geschrieben. In dieser Antwort hat er in Absicht auf politische Duldung solche Grundsätze geäusert, die destomehr befremden müssen, 457jemehr er bisher selbst einer viel weitern Duldung zu bedürfen geschienen hat. Denn er ist in Ansehung vieler Punkte nur in so weit von mir unterschieden, daß er, außer der abweichenden Meinung, auch die orthodoxe Meinung entweder selbst oder in ei[4]nem andern Sinne vorträgt, der nicht der Sinn der Abfasser der öffentlichen Glaubensbekenntnisse ist.

Ich erkläre hiermit, daß ich, um nicht das Publikum zu ärgern, gegen diese Antwort nicht schreiben werde. Ich mache also, blos um einige darinnen gegen mich enthaltene Beschuldigungen zu zernichten, folgendes bekannt.

1. 458Herr Doktor Semler entschuldigt das so befremdende Unternehmen gegen mein Glaubensbekenntniß zu schreiben damit: daß ich gesagt: Tausende sind meiner Meinung (etc.)et cetera

Antwort. a. Da ich ihn unter den Tausenden nicht genannt habe, so konnte er noch zu den mehrern Tausenden gehören, die der Meinung nicht sind, welche ich als die meinige bekannt habe.

b. 459In der Einleitung sagt er selbst, daß er mir schon in einem Briefe, ehe mein Glaubensbekenntniß erschienen war, gedrohet habe gegen dasselbe zu schreiben: also, ehe er noch wuste [5] daß ich darinnen von jenen Tausenden reden würde. Offenbarer Widerspruch! Und in einer solchen Sache!

2. 460 (H.)Herr (D.)Doctor S. beschuldigt mich, ich hätte eine neue Universalreligion der Welt aufdringen und die Staatsgesetze abändern wollen.

Antwort. Ich erkläre hiermit, und der Augenschein lehrt es in meinem gedruckten Bekenntnisse, daß ich solches keinem Menschen habe aufdringen wollen – der Gesetzgebenden Macht, oder einem Theile derselben, Vorstellungen gegen ein Gesetz thun, heist nicht: Staatsgesetze abändern. – 461In England sind häufige Bittschriften über die Abschaffung der Subscription an die Gesetzgebende Macht ergangen, und nie hat man den Bittenden daraus ein Verbrechen gemacht, noch weniger Schuld gegeben, sie hätten die Staatsgesetze abändern wollen.

3. (H.)Herr (D.)Doctor S. macht mir ein Verbrechen daraus, daß ich einige Sätze der symbolischen Bücher für falsch und schädlich erklärt und diese Bücher, (in ihrer jetzigen [6] Ausdehnung) für unnütz und die Gewissen belastend erkannt habe.

Antwort. 1. Es ist erlaubt, menschliche Meinungen, irrig oder der Moralität nachtheilig zu nennen. 462 Blackburne, Archidiakonus von York nennt in seinem Confessional, einige Sätze der 39 Artikel unmoralisch und absurd (welches ich nicht gethan habe.) Man hat ihn zu widerlegen gesucht, aber niemand hat es ihm zu einem Verbrechen gemacht.

2. Dadurch, daß ich mich so über einige Sätze der Bekenntnißbücher erklärt habe, habe ich mich nicht einmal von der Lutherischen Kirche losgesagt. Blackburne ist Archidiakonus von York geblieben, ohngeachtet er sich weit stärker erklärt hatte, als ich. Man muß abwarten, daß ich ausdrücklich selbst erkläre, ich wolle kein lutherischer Doktor der Theologie mehr seyn, so wie es 463 Lindsey in England in Ansehung seiner Rektorschip in Carterick gethan hat. Bis dahin muß man voraussetzen, daß ich mein Gewissen wieder beruhigt habe, und meiner innern Ueberzeugung ohngeachtet, die Lehren der Glaubensbücher öffentlich vortragen und erklären kann, welches [7] nach 464der von (H.)Herr (D.)Doctor S. so empfolnen doppelten Lehrart gar leicht geschehen kann.

4. 465 (H.)Herr (D.)Doctor S. versichert, ich hätte alle Lehrer der Kirche Heuchler gescholten, die nicht eben solche Bekenntnisse ablegen wollten.

Antwort. Ich habe, wie der Augenschein lehret, das nicht gesagt. 466Ich habe blos behauptet: ichwürde ein Heuchler seyn, wenn ich, so aufgefodert, die erkannte Warheit verschweigen wollte.

Ich überlasse es übrigens einem denkenden und empfindenden Publikum zu beurtheilen, mit was für einem Herzen man die feindseligen Ausstreuungen gegen einen Wehrlosen und Unglücklichen, sammlen und drucken lassen kann. Wenn Leute von gemeiner Denkungsart, bey solchen Umständen, wie die meinigen sind, auf einen Gedruckten und Waffenlosen losschlagen, ihn schänden, und Lügen oder verunstaltete Warheiten wider ihn aus[8]breiten, weil sie es eben jetzt ungestraft thun können, dann wundert man sich nicht. Aber wenn selbst ein Mann von Talent und Verdiensten sich mit unter diesen Haufen mischt, dann gehört das unter die Dinge, 467von denen Saurin einmal sagt: „Lasset uns einen Vorhang vorziehen!

(D.)Doctor Bahrdt.
1,
2,
3,
4,
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6,
7,
8,
9,

4.

1
[110]

[111]

Warum, Werther Freund, sollte eine öffentliche Revision jener Recensionen nicht sehr nützlich seyn? Wäre es auch nur in dieser einzigen Absicht, daß manche Recensionen vorsichtiger eingerichtet würden, und nicht ein Recensent in seinem localen Gesichtspunct so viel äußerte, das andern Zeitgenossen, in ihren auch localen Umständen, sehr anstößig seyn mus. Sie wissen es noch mehr, in dortigen Gegenden, als wir in unserm moralischen Clima es empfinden können, was für öffentlichen Anstos das Bahrdtische Bekenntnistextgrid:3rnj8 nach sich gezogen hat; was für Folgen noch immer fortdauern, und was für Gedanken vollend sich immer mehr erzeugen, wenn gleich manche Leser es lange vergessen haben sollen; andre aber es lange verachten, und noch andere gar nicht daran denken wollen. Diese Recension hat freylich diesen Erfolg, den viele auch gern sähen, und die Mittel dazu recht gut kennen, nicht befördern und erleichtern wollen; sie vergißt es fast, daß viele Leser dieser Bibliothektextgrid:3c0t1, am allerwenigsten über Begebenheiten dieser Art, sich ihr Urtheil, ihre eigenen Gedenken über allerley bisherige Erscheinungen, nicht nehmen lassen.

[112] Es ist wahr, daß 470manche meiner Schriften oft in dieser Bibliothek ausgezeichnet worden sind; daß mancher neue Versuch von mir, als zu seiner Absicht gut angesehen, oder gar mit Beyfall, beurtheilet worden ist. Aber ich habe die indes entstehende Veränderung viel zu richtig eingesehen, als daß ich nicht schon im Voraus hätte erwarten sollen, eine Recension meiner Antwort auf das Bahrdtische Bekenntnis, würde dieser einsweiligen Veränderung ganz gewis sich völlig anpassen. Meine Antwort textgrid:3rnn5 hat mich um alle Zuneigung, um allen Beyfall gebracht, bey einer Parthey, deren besondre Absichten ich weiter nicht gekannt habe. Die Sünde, welche ich, ohne allen Vorsatz, in der täglichen Ordnung meines gelehrten Berufs, begangen habe, soll und mus unverzeihlich heißen. Der Unwille ist so gros, daß man mein ganzes bisheriges rechtschaffenes Leben, meinen unermüdeten Fleis, meine gelehrten Versuche, deren manche sogar von römischen Gelehrten begünstiget wurden, ein für allemal gar nicht mehr rechnet. Dieser Recensent ist noch unbilliger; übernimmt einen recht bedächtigen Angrif wider – – meine Gelehrsamkeit, in sofern sie zum Urtheil des Bekenntnisses gehört? nein – sondern wider meine Ehrlichkeit und theologische Rechtschaffenheit. Sehr ungern, in der That, sehr ungern, lasse ich mich dazu bringen, auf dergleichen Recension zu antworten; aber ich mus antworten, und 471den Recensenten, sey er wer er wolle, öffentlich [113] bitten, sich nun seinem Namen nach zu erkennen zu geben. Sehr annehmungswürdig ist der Vorschlag in den 472 Frankfurter gelehrten Anzeigen, (N.)Nummern XIII. XIV. daß Recensenten, die mit gutem Grunde etwas sehr tadeln zu müssen, meinen, sich allezeit nennen sollten. Die Unpartheylichkeit dieser Frankfurtischen Zeitungen kann auf grossen Beyfall, und in diesem Vorschlage auf öffentliche Attention Anspruch machen. Es betrifft diese Sache von nun an den moralischen Character von uns beyden; es ist der Sache selbst, die der Recensent vertheidiget und ich bestreite, von nun an daran gelegen, daß man in dem katholischen und protestantischen Teutschland es wisse, wer der so eifrige, so künstliche, so partheyische Vertheidiger des Herrn (D[.])Doctor Bahrdts ist, daß er darüber auch einen Professor in königlichen Landen, der 30 Jahre lang unbescholten war, preis giebt; und ihn als einen 473untreuen politischen Theologus öffentlich aufstellen will. Da ich mich öffentlich genennt habe, und das Publicum nun es frey hat, über mich zu urtheilen: so liegt auch viel daran, den Mann zu kennen, der sich dieses Geschäfte gab, oder geben lies, mich öffentlich um (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdts willen, in übeln Ruf zu bringen.

Ich kann Ihnen also, mein Freund, nicht folgen; Sie mögen aber Recht haben, wenn Sie glauben, Herr (D.)Doctor Bahrdt seye von dieser Recension auszuschliessen; mehrere Leser hatten ihn selbst für den Verfasser gehalten. Destomehr ist es nun [114] nöthig, daß der wahre Urheber sich nenne; das Zutrauen gegen diese Bibliothek im theologischen Fache in unserer Zeit, wird sonst sich noch mehr vermindern; und es wäre wirklich einiger Nachtheil für die Ausbreitung der Gelehrsamkeit, wenn man in noch mehrern teutschen Provinzen es auch für das beste Mittel halten müste, die so genannte Aufklärung der Einsichten, lieber wieder einzuschränken, als ferner zu erleichtern. Ihnen darf ich es vorsagen, mein Freund, daß selbst katholische Gelehrte manche meiner Schriften ohne Anstos gelesen, und meinen Fleis, meine Rechtschaffenheit in Absicht der Wahrheitsliebe, gelobet haben. Noch mehrere waren auf dem Wege, der weiter vorwärts führet; aber diese schönen Entschliessungen – – werden nun ernstlich untersucht, und nun – gemisbilliget; in der That nicht um meiner Schriften willen, wenn gleich die 474 freyburgische Bibliothek sich eben darum heldenmäßig wider mich aufgemacht hatte. Es ist auch kein Gelehrter im ganzen teutschen Reiche über meine Antwort unwillig worden; wohl aber haben sehr viele das Bekentnis, und seine Bekanntmachung ganz frey und ernstlich beurtheilet. Und hat wohl jemand ein Recht dis zu hindern? Kann man es je sich vorsetzen es zu hindern? Was hatte nun der Recensent für eine wichtige Absicht, da er sich hinsezte, und mich in meiner damaligen Lage, die er vielleicht weis, 475gar als einen Politicker aufstellen wollte? Ich habe wohl in meinem Leben mir diese Geschicklichkeit schaffen wollen! Und wie viel [115] richtiger urtheilen Sie, mit recht vielen meiner Freunde, daß ich gerade ganz unpolitisch, recht ohne alle Klugheit, in sofern diese allerley eigenen Nachtheil vermeiden will, stets gehandelt habe! Wie so sehr gros mus also die Sache seyn, die ich durch eine Politik soll gehindert haben? Das sonderbarste hiebey ist, daß ich gar keinen weitern Zusammenhang weis und kenne; daß ich blos hintennach, aus denen mir allein nachtheiligen Folgen das Daseyn eines grossen Vergehens, haben kennen lernen.

Nehmen sie dazu, daß 476in eben dieser Bibliothek, in eben diesem Stück, (S.)Seite 17, ein anderer viel billigerer Recensent dis Urtheil niederschreibet, „ein Namenloser Recensent kann viel eher eine kleine Beleidigungen hingehen lassen, als ein Schriftsteller der sich genennt hat; auf den leztern sehen alle, die ihn kennen; zumal seine Feinde.“ Sie werden nun zugeben, daß dis wirklich mein Fall ist; wenn ich gleich sie nicht meine Feinde nennen will, die iezt über meine Antwort, über mich also, sehr unwillig worden sind, und ihren Unwillen noch durch eine solche Recension fortsetzen. 477Hätte Herr Basedow die elende Schrift nicht drucken lassen, Urkunde, mit so viel 478angeblichen Mitleiden über meine wohlverdiente grosse Strafe, daß er gar mich und die Meinigen ernähren wollte – – so hätte ich weiter nichts über dis Bekentnis zu sagen nöthig gehabt. Hätte der 479Urheber des Almanachs 480mich nicht so muthwillig abermals als den Verfolger, als den Heuchler beschrieben, aus [116] jenem Sendschreiben, das – – mehr nichts ist, als es ist: so hätte ich in der 481Vorrede zu meinem Leben nicht Ursache gehabt, so viel zu sagen. Hätte nun dieser Recensent sich nicht vorgesezt gehabt, Herrn (D.)Doctor Bahrdt durchaus zu rechtfertigen, und mich dafür zu beschreiben, ich hätte eben so wenig eigene Hochachtung für die Grundwahrheiten der christlichen Religion: so hätte ich gewis nicht weiter geantwortet. Aber meine Rechtschaffenheit lasse ich mir nicht nehmen; ich kann nichts leichter retten und vertheidigen, als diese unentberliche Eigenschaft eines würdigen Menschen; und es ist der Menschenwelt an nichts so viel gelegen, als an Rechtschaffenheit. Grössere Ausbreitung der Religion, und Erleuchtung der Menschenwelt, Aufklärung – man rede wie man wolle, ist uns alles entberlich, wenn es beym Reden bleibet, und diese Eigenschaft den Menschen geringschätzig wird; wenn man sie aufopfert, oder der Kopf das Herz unterdrücken darf.

Endlich bin ich auch davon gewis, daß ich so gar manche Dinge oder Gegenstände noch mehr und gewisser aufklären kann; auch die Hauptsache auf der rechten Stelle halten werde, um darüber richtig zu urtheilen. Es ist mir eine angenehme, große, würdige Vorstellung, daß das aufmerksame Publicum nun so sehr leicht über uns beyde, und die Bahrdtische Sache, urtheilen und absprechen kann.

Die Recension enthält eine Anklage wider mich, und eine sehr weit getriebene Rettung und [117] Entschuldigung des Bahrdtischen Bekenntnisses; diese meine Antwort soll meine eigene, mir in der That abgedrungene Vertheidigung und Ehrenrettung enthalten. Und nun haben teutsche Leser gerade die bisherigen Acten beysammen, um über – – zu entscheiden. Teutschland kann ganz und gar nicht Ursachen haben, partheyisch zu urtheilen; und warum müßte es meine Politik seyn, wenn ich ganz gewis hoffe, meine Gegenparthey, seye sie noch so unwillig, könne mich nicht in der Absicht unterdrücken, um nur sich selbst und (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt aufzuhelfen.

Ich gestehe es Ihnen, daß dis eine lange Vorrede zu einem Briefe ist; aber ich werde gewis so bescheiden seyn, ihn abzubrechen, so bald er gar zu lang wird; Sie lesen es doch nach einander, wenn Sie Lust haben; oder Sie brechen das Lesen ab, ohne dem Brief selbst ein Gebiet über Ihre Neigung einzuräumen. Ich fange also die Revision an, über die Recension.

Sie macht es zum Eingange, daß 482 ‘ich möge Gründe gehabt haben, mich wider das Bahrdtische Glaubensbekenntnis zu manifestiren, und allen Verdacht als ob die theologische Facultät in Halle die Heterodoxie desselben begünstige (etc)et cetera.

Ist es nicht wahr, das Wort, ich hätte mich manifestiret483gehört sonst eigentlich auf einen pohlnischen Reichstag? Ich bin wenigstens kein Magnat, und weis nicht, warum meine Antwort so besonders beschrieben werden soll. Aber wir wollen auf die Sache selbst sehen; die Zeit [118] rechnung ist hier ganz unbestechlich; der will ich folgen, und die Heterodoxie – das soll sich auch recht gut finden. 484Die Universität hat zuerst eine Vorstellung eingeschickt, als in Halle davon geredet wurde, Herr (D.)Doctor Bahrdt würde oder wolle, oder werde – – Sie können denken, daß die Aufmerksamkeit ganz andrer Leute sehr geschäftig gewesen ist, diese futura zu bestimmen; und in diesem öffentlichen Gerede, das aus allerley Briefen sich täglich vermehrte, ist die Veranlassung zu suchen, daß nun die Universität diese allerley Aufgaben nicht länger circuliren lassen wollte; es wurde also einstimmig beschlossen, hierüber allerunterthänigste Anzeige zu thun; und es wurden die Dinge erzählet, wie sie hier schon angesehen, und herum geschrieben wurden. Die meisten Professores kannten 485eine besondere nachtheilige Localität, von der Zeit an, da in der gelehrten Hallischen Zeitung, welche 486der Professor und Geheime Rath Klotz ehedem hier angefangen hat, 487eine hier überall bekannte Erzählung aus Leipzig, öffentlich im Druck bekannt gemacht worden war. Ist es Ihnen wohl unbegreiflich, daß Professores aufmerksam sind auf alles, was ihrer Universität so oder so nachtheilig gedeutet werden könnte? Wir haben alle es in unserm Eid, so weit unser Gesichtskreis reichet, dis ehrlich in Acht zu nehmen. In Acht zu nehmen, schreibe ich; nicht, zu entscheiden; sondern höhern Orts von solchen Dingen Anzeige zu thun, wenn sie auch am Ende unnöthig und unerheblich seyn mag. Dis letzte können [119] wir nicht ausmachen. Es ist nicht für ganz unnöthig angesehen worden; 488wir bekamen den Bescheid, Herr (D.)Doctor Bahrdt solle keine lectiones theologicas halten. Die (theolog.)theologische Facultät bekam weitere Ursache, es für nöthig zu halten, in einem unterthänigen 489privat Schreiben an (Sr.)Seiner Excellenz, den Freyherrn von Zedliz, mehrere Umstände vorzustellen; und 490wenn der Recensent Recht hat, daß ich schon vor Herrn (D.)Doctor Bahrdt eben diese Sachen, diese ungerechten Urtheile über unsere Kirchenlehre, öffentlich geschrieben hatte: so mus es die Facultät nicht gewust haben, oder sie hat auf eine sehr gütige Weise dieses geheime Anliegen jetzt mit ausgedrückt; der Hauptinhalt war aber nicht, daß wir den Schein bekämen, an der Heterodoxie Theil zu nehmen, indem hier ein jeder sich dem Urtheil der Zeitgenossen ruhig überlassen konnte, vermöge unserer schon langen Bekanntschaft in den teutschen Kirchen; es waren blos locale Umstände, deren Einflüssen man sich freylich nicht so leicht entziehen kann, als andere, die nicht in dem localen Kreise stehen. Um der oder jener Leute willen kann ich doch keine Unwahrheit sagen; ich will es hier nicht wieder abschreiben, 491was ich in der Vorrede zu meiner Lebensbeschreibung schon erzählet habe.

Nun müssen es die Leser beurtheilen, ob es wirklich der Fall ist, wie es (S.)Seite 47 heißt: 492blos gewisse politische Betrachtungen könnten mir diesen Eifer eingegeben haben. Dis sey noch glimpflich geurtheilet; sonst möchte man eine nähere [120] Ursache finden, in dem Bestreben, sich so viel möglich von dem verhaßten (D.)Doctor Bahrdt zu entfernen, nachdem man nicht so glücklich gewesen, ihn durch alle Bewegungen, worinn man sich und andre gesetzt hat, von sich zu entfernen.’“ Sie und recht viel gute Menschen kennen mich lange. Sie kennen auch (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt; ich bin stets von ihm entfernt gewesen. Mus es nun wirklich nur auf diese Art begreiflich werden, daß ich wider Herrn (D.)Doctor Bahrdt geschrieben habe? Ich hätte blos politisch gehandelt; und der Recensent erweise mir noch Glimpf, daß er nicht anders urtheile? Ich habe patriotisch handeln wollen. Es können noch so gute Menschen auch in patriotischen Betrachtungen irren, fehlen, und zu weit gehen; richtig, mein Beyspiel zeigt dis, und zeigt noch mehr. Aber habe ich alsdenn aus Haß geschrieben? Sollte wohl Herr (D.)Doctor Bahrdt es selbst sagen, er glaube, daß ich ihn hasse? Beweise davon könnte er doch nicht anführen, weder aus Erfurt, noch aus Heidesheim, noch bey den zwey Besuchen, die er mir hier gab. Noch glaube ich, er werde mit der Zeit, wenn sich einige Dinge geändert haben, es öffentlich gestehen, daß ich ihm am allertreulichsten hätte rathen wollen. Ich rechne so sicher auf – – daß ich noch glaube, auch dieser Schritt des Recensenten werde ihn nicht abhalten, es einst zu gestehen. Wenn es also wahr ist, ein Professor kann in patriotischer Neigung mehr thun, als die Klugheit anräth: so habe ich gerade umgekehrt gehandelt, nicht politisch; wie [121] ich schon gestanden habe. Aber dis würde eher helfen zu einer gütigen oder nachgebenden Beurtheilung meiner Historie; darum soll es ja nicht so angesehen werden.

Wär denn (Hr.)Herr Bahrdt, dessen Historie wir alle wissen, durch dis Bekenntnis, das ich gleich weiter beurtheilen will, geradehin ein so annehmliches Mitglied der Universität worden, daß es nur Haß seyn mußte, wenn wir wünschten, ihn nicht in unserm academischen Kreise zu haben? Oder ist es unbegreiflich, daß die Professores, welche nicht wider Herrn (D.)Doctor Bahrdt geschrieben haben, dennoch es gebilliget haben, daß ich es gethan habe? Und bin ich alsdenn doch immer der Einzige, der also auch nur aus Haß es that? 493Der Recensent gestehet es selbst am Ende, daß er eine Universalreligion, oder wie man es nennen will, für möglich und wünschenswerth hält; da ist ja Ursache genug, daß Gelehrte ihre ganz andern Urtheile ebenfalls bekannt machen können. Haß gehört nicht erst dazu.

Ich kann es ihnen aber versichern, daß mehrere Professores die große Abweichung dieses Bekenntnisses von dem 494 westphälischen Frieden, noch stärker beurtheilet haben, als ich; und daß hier niemand ist, der so unedel wäre, 495 westphälischen Frieden und westphälischen Schinken in einer Zeile mit einander zu verschlingen; wie Herr Basedow sich dieses (viel zu bald) hat entwischen lassen. Nehmen Sie so viel Eltern dazu, die ihre Söhne hier studiren lassen; welche mit ihren dortigen [122] Nachbarn so viel Zusammenhang haben, daß sie schon prophezeyen – so werden Sie es gestehen, es war nicht nothwendig, daß Haß wider Herrn (D.)Doctor Bahrdt mich zu dieser Antwort brachte. Doch für einen Brief ist dis immer eine lange Erzählung, willigen Sie mir indessen diese Freyheit, daß historische Briefe so lang seyn dürfen, als der Verfasser will.

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Fortfahren mus ich freylich; und Ihnen darthun, daß keinesweges ich der einzige war oder bin, und daß folglich der Haß wider Herrn (D.)Doctor Bahrdt entweder, auch noch andern neben mir, gemein gemacht werden mus; oder auch bey mir allein nicht nothwendig so heißen konnte. Ich will Ihnen keine Erzählung machen, von 496sehr angesehenen Juristen; mit denen ich theils selbst über die äußerst unrechte Lage dieses Bekenntnisses gesprochen, theils auch ihr Urtheil mir schriftlich ausgebeten habe. Der Verstos war in der That nicht klein gegen das ius publicum ecclesiasticum; daß ein solches Bekenntniß, 497dessen Verfasser sich noch dazu ‘gar zum Repräsentanten unserer Kirchen eigenmächtig macht’, an (Kayserl.)Kaiserliche Majestät, mit der besondern Aeußerung gerichtet worden war, 498daß eine ganz andre Religionsform in Teutschland möchte eingeführet werden; dis sollte gar ein Beweis besondrer göttlichen Auswahl des [123] glorwürdigsten jetzigen Oberhaupts des teutschen Reichs heißen. – Und diese Schrift, worinn solche den Protestanten äußerst nachtheilige Grundsätze, ohne alle Bedenklichkeit, bejahet und angewendet wurden, war noch dazu 499in der königlich preußischen Residenz selbst gedruckt und verkauft worden. 500In mehrern auswärtigen Zeitungen hatte man ausgebreitet, dieser Verfasser eines so irregulären Bekenntnisses, seye Professor in Halle, 501wie ich noch Briefe aus einem Theile der Schweiz zeigen kann, daß es Herr (D.)Doctor Bahrdt dahin geschrieben habe, ob ich gleich es gehindert hätte, daß er das Institut nicht bekommen hätte. Sagen Sie, Lieber Freund, mußte es dennoch nur mein Haß seyn, wenn ich auf der (königl.)königlichen Universität, nun ebenfalls frey und ohne Furchtsamkeit, dieses Bekenntnis durch und durch widerlegte? Hatte ich etwa weniger Recht, unsre protestantischen Rechte ernstlich zu behaupten; unsere Lehrsätze, die eben so unwahr entstellet worden waren, zu vertheidigen; und also bey Auswärtigen allerley nachtheilige Eindrücke dieser seltsamen Erscheinung zu schwächen? Ich denke doch, daß kein Haß erst nöthig ist, 502die freye und dreiste Antwort eines Professors, in dieser Lage, sich zu erklären; der noch dazu in der (theolog.)theologischen Facultät der Aelteste ist, und schon hiernach verbunden ist, dis oder jenes zu thun, welches andre, der Reihe nach, noch nicht anzugehen scheinen kann. Aber warum mus ich denn durchaus so öffentlich verunglimpfet werden? Hat irgend ein gelehrter rechtschaffener Mann [124] im ganzen teutschen Reiche, es auf sich genommen, das Bahrdtische Bekenntnis zu rechtfertigen? Was hat denn dieser Recensent für Gründe, es nicht nur so künstlich und angelegentlich zu thun, sondern auch mich in die so bekannte Bahrdtische Denkungsart über die Religion überhaupt herabzuwürdigen? Dennoch soll ich ja stille schweigen, nicht – nicht. – Sind wir denn in Halle aller gelehrten Freyheit beraubet? Seit kurzen müßte dis doch erst geschehen seyn.

Aber damit ich nicht allein rede, lesen Sie, mein Freund, selbst nach, 503was ein (ganz andrer) Recensent in eben dieser Bibliothek (S.)Seite 59. über das Schreiben an einen Freund in G. den Herrn (D.)Doctor Bahrdt und sein Glaubensbekentnis betreffend, ganz laut gesagt hat; obgleich nur als Politikus, noch gar nicht als Theologe; welchem leztern es doch noch mehr auffallen mus, wenn er diese neuen Anstalten überdenket. Es heißt hievon, dis ist [„]ein freimüthiges, bescheidenes, und vernünftiges Urtheil; nicht sowohl über den Inhalt, als über die öffentliche Bekanntmachung desselben[“]. Ehe ich weiter abschreibe, bemerken Sie doch, diese neue Unterscheidung; es werde nur die Bekanntmachung des Bekenntnisses so derb und platt beurtheilet, nicht der Inhalt. Der Politicus überlies es freilich den Theologen über den Inhalt eben so ihre Einsichten zu eröfnen, als der Politicus es hier that; ich habe den Inhalt auch so entblösset, daß gewis niemand dies Bekentnis von dem Vorwurfe retten kann, es seye historisch [125] unwahr, es seye injuriös gegen die 3 Kirchen, es seye zu gar nichts nütze, als in gewissen noch unbekannten Aussichten mancher Leute, denen diese Lage der christlichen Religion nicht länger gefallen will. 504Nun will ich Ihnen einige Zeilen weiter abschreiben: „daß sich dieser Schritt des Herrn (D.)Doctor Bahrdts nicht billigen lasse“ – [„]es konnte der Beförderung der Wahrheit, oder der Toleranz auf keine Weise Vorschub thun [“]; (der Inhalt wird doch wohl hier beurtheilet!) [„]Herr (D.)Doctor Bahrdt könne auch nicht sagen, daß er irgend eine innere oder äussere Verbindlichkeit gehabt, sein Glaubensbekenntnis auf diese Weise abzulegen; da ihm, als einem der Rechte der Protestanten kündigen Doctor der Theologie, die Unbefugtheit des Reichshofraths, ihm dergleichen abzufordern, nicht unbekannt seyn konnte,[“] (sollte, hätte ich geschrieben!) – – [„]er erklärte sich demohngeachtet. Wozu? Und in welcher Absicht? Hier zeigt der Verfasser, [daß] Herr (D.)Doctor Bahrdt weder eine Verbesserung seiner eigenen Lage, noch irgend einen absichtlichen Nutzen für andre, durch diese Bekanntmachung vermuthen oder hoffen können; nicht einmal diesen, keinem Menschen im geringsten nutzenden Erfolg, daß nun seine wahre Meinung der Welt vorgelegt würde. – – ohne Noth thut ein weiser Mann nichts ungemeines, blos weil es Aufsehen erreget. Noch weniger ist die Art und Weise zu entschuldigen, wodurch diesem Glaubensbekenntnisse ein so viel grösserer Grad von Wichtigkeit hat gegeben werden sollen. Wenn er als [126] Privatmann seine Meinung vorgetragen, so möchte dis hingehen; da er sich aber an die Gesezgebende Macht gewendet, Gesetze und Verfassungen, die ihm nachtheilig geworden, abgestellt wissen will; wenn er vor dem Throne selbst, kirchliche Lehrsätze, die, mögen sie gleich, nach seiner Versicherung, vielen Tausenden anstößig seyn, doch gewis eben so vielen Tausenden heilig und Schriftmäßig dünken, als Vernunft und Schriftwidrige und der Gottseligkeit schädlich anklagt, wenn er endlich im feierlichsten Tone bittet, die alte Ordnung aufzuheben, ohne jedoch Vorschläge zu einer bessern zu thun – – ich gestehe es, mir scheinet es wenigstens so, man müsse auf sein kleines persönliches Ich einen ganz ungemeinen Werth, setzen, um sich so etwas nur einkommen zu lassen! So im Gleichgewicht steht doch warlich die Waage noch nicht, daß es nur ein Stäubgen in die eine Schaale brauche, um den Ausschlag zu geben.[“]

Ich will nicht noch mehr abschreiben; vielleicht haben Sie ohnehin jene kleine Schrift des Ungenannten selbst; aber bemerken Sie die unverzeihliche Partheylichkeit meines Recensenten, der uns bereden will, dieser rechtschaffene Verfasser habe nur über die öffentliche Bekanntmachung dieses Bekenntnisses geurtheilet; nicht über den Inhalt. Mus man nicht wirklich von nun an der berlinischen Bibliothek eine grobe Partheylichkeit beylegen, so oft die Rede ist von Herrn Bahrdt, oder von Anstalten einer neuen Religionsform? Wenn dis nur über die öffentliche Be[127]kanntmachung gehet, so müssen wir dem Ungenannten Urheber nicht glauben, der ausdrücklich die Gradation anbringt: noch weniger ist die Art und Weise zu entschuldigen – – das doch unleugbar gerade den allerschlechtesten Theil des Bekenntnisses angehet. Das freie Urtheil, eben diese Lehrsätze seyen auch Tausenden noch heilige und schriftmäßige – die Waage steht noch nicht so im Gleichgewicht – ist ja ebenfalls blos und unmittelbar über den Inhalt, nachdem von der Bekanntmachung schon lange war geredet worden, daß sie selbst gar keinen Zweck hatte. Nun nehmen Sie den unwilligen Ton dazu, der wider mich in dieser Recension recht wissentlich ausgesucht ist; und vereinigen es mit der Sache, die jener Ungenannte und ich völlig einstimmig beurtheilen; und loben Sie alsdenn die Unpartheilichkeit dieser Recension in einer Begebenheit, die das ganze christliche Teutschland angehet. Mus nicht der Recensent seinen Vorsaz recht bedächtig ausführen wollen, dennoch diesen bahrdtischen 505 Solöcismus so zu mildern, daß wir alle zur Noth nur sagen sollen, Herr Bahrdt hätte sich vorsichtiger ausdrücken sollen; er habe aber in dem Inhalte Recht; Sie werden es sehen, daß der Recensent mich nun selbst angreift, um Herrn (D.)Doctor Bahrdt zu vertheidigen.

Ich bin, erlauben Sie mir es zu sagen, der erste gewesen, der die gänzliche Untauglichkeit und Nullität dieses Bekenntnisses öffentlich angeklagt hat; actenmäßig, um die heiligen Rechte der pro[128]testantischen Kirchen, wider diesen groben Verstos, zu behaupten; warum haben aber Herrn Bahrdts Gönner, die dis so ganz untaugliche Bekentniß in den Druck beförderten, nicht auf diese wichtige Uebereilung gesehen? Verdiene ich deswegen alle diese nachtheiligen Folgen, weil manche in Berlin ein ziemlich Grosses Versehen begangen haben? Noch immer wünsche ich, Herr Bahrdt möge mir gefolget, und eine Retractation mancher Uebereilungen bekannt gemacht haben; ich wünsche es noch; denn diese Behelfe, womit der Recensent das Bekenntnis entschuldigen will, vermehren das Mistrauen der Leser dieser Recension, weit mehr, als der Recensent in seiner so ruhigen Lage diese Dinge, die Gährung, die Consequentien und Entschliessungen bey andern Zeitgenossen, sich vorstellen mag. Mir hat ein durchreisender rechtschaffener 506Prediger Herr W. es ehrlich gestanden, daß 507mein Brief nach Heidesheim den Herrn (D.)Doctor Bahrdt wirklich in ein Nachdenken gesezt hätte; denn er muste meine Rechtschaffenheit kennen; daß aber 508Vorstellungen von Standhaftigkeit, die man ihm aus Berlin zur Antwort mitgetheilet hatte, den so guten Eindruck wieder ausgelöschet haben.

Sie wissen den äußerlichen Erfolg meiner Antwort, zu meinem öffentlichen Nachtheil; der Recensent mußte ihn auch wissen; ich kann aber den Anspruch auf biedermännische Beurtheilung nicht zu weit treiben; der Recensent konnte es übergehen, obgleich der Abstand zwischen mir und [129] Herrn (D.)Doctor Bahrdt in dieser Lage sehr kenntlich ist. Aber wie beurheilen Sie nun die zusammengehörigen Grundsätze, Hofnungen, politische Absichten, und eigene moralische Gesinnung des Herrn (D.)Doctor Bahrdts, wenn er nach Jahr und Tag, welche 509seit dem December 1779 in meiner neuen Historie ziemlich stille verflossen waren (510des Herrn Basedows Hülfstruppen ausgenommen, die den ersten Anfall auf meinen moralischen Character, zu Gunsten der bahrdtischen, oder der im Plane schwebenden Sache, thun wollten) in dem Almanach (511denken Sie immer daran, daß dem Herrn (D.)Doctor Bahrdt das Herz blutete, für die Religion Jesu!) 512so viele Seiten abschrieb aus jenem Sendschreiben, um diesen 513 medius Terminus, meine Falschheit, zu unterstützen? Ich frage, wie beurtheilen Sie die moralische und politische Lage des Herrn (D.)Doctor Bahrdts, der wider einen so alten, so unbescholtenen Professor, als ich doch immer bin und bleibe, neben welchem Professor er seit vorigen Michaelis in dem Lectionscatalogus der königlichen Universität hier stehet, solche lange Seiten im öffentlichen Drucke abermals aufstellet? Muste ich wirklich nun vollend gar erschrecken, und mich noch mehr in duldendes Stillschweigen und geheime Klagen einhüllen? O nein, mein Lieber! ich weis Sie werden, wie manche andre schätzbare Freunde, es meinen neuen Fehler nennen; daß ich den Zeitgenossen nun in meiner Lebensbeschreibung viel zu viel Kleines erzählt habe. Ich will es doch er[130]warten, 514ob die Thorheit, der man mich auch im Almanach beschuldiget, wirklich blos auf meiner Seite ist? Von je her habe ich die christliche und moralische Thorheit, der Klugheit derjenigen Menschen vorgezogen, welche sich und ihr Selbstgefühl einer ganzen moralischen Welt entgegen setzen; welche doch Gott wahrlich eben so gewis selbst handhabet und regieret, als die physische, deren Bewegungsgesetze noch niemand ohne eigenen Schaden zu überschreiten oder zu verachten, sich vorgenommen hat. Wir Christen sagen es einander noch mehr, 515da sie sich für Weise hielten (etc.)et cetera (etc.)et cetera und wir wollen auf die Erfahrung uns verlassen. Sie kennen mich schon ziemlich lange; und wissen es also, daß ich diese grossen Gedanken nicht blos jetzt erwische, 516um, wie man sagt, aus der Noth eine Tugend zu machen. Ich kann auch in der Anwendung fehlen; aber Sie werden auch selbst schon wissen, daß mich eben dis noch mehr mit guten Menschen verwandt macht, und stets von dem andern Theil der Menschen, die zu sehr gros sind, unterscheidet. Haben sie nicht selbst damalen, zu meiner Aufrichtung mir einige schöne Stellen aus dem 517 Common sense zugeschickt? Wo Chesterfield, der edle große Mann, der die Menschenwelt besser kennt als ich und andre, so treffend 518redete, von manchen Leuten, die zuweilen ernstlich gebraucht werden, gerade zu Absichten. Ich glaube es war das 25ste Stück, und es folgte bald darauf die schöne Stelle, die eine göttliche, den guten Menschen unentbehrliche Wahrheit sagt – Der Graf [131] druckte nemlich, nach mehrern damaligen localen Dingen, sich endlich so aus: 519Dis beweiset, daß in einem rechtschaffenen und aufrichtigen Betragen etwas seyn müsse, das es durch die Welt führet, und gegen alle giftige Erfindungen der Verläumdung vertheidigt. 520Dreimal glückseelig und würdig sind alle diejenigen unter meinen Lesern, die hiezu von Herzen sagen, Amen, Ja. Hier kann ich wohl diesen Brief am besten schliessen.

Nun mus ich die Recension von vorn an durchgehen, um keine Gelegenheit zu lassen, zu Einbildungen, daß ich dis und jenes mir als gemachten Vorwurf wirklich anrechnen ließe; denn es gehet jetzt blos auf meinen moralischen Grund und Boden los, den mus ich freylich beschützen. 521 Wer sollte nicht mit uns wünschen, sagt der Recensent, eine kaltblütige Untersuchung’? Mus ich nicht wenigstens hier die Anmerkung machen, daß diese κοινοποιϊα, wonach es allgemeiner Wunsch wäre, blos eine rhetorische Figur ist? Sie wissen doch, daß dis Bekenntnis in vielen teutschen Provinzen 522auf obrigkeitlichen Befehl, geradehin verboten und confiscirt worden ist, ohne es für so wichtig anzusehen, eine kaltblütige Untersuchung aus Berlin zu [erwarten]. Ich habe auch im vorigen Briefe 523des Ungenannten Urtheile angeführet, [132] von gänzlicher Untauglichkeit, Zwecklosigkeit, Nachtheiligkeit dieses Bekenntnisses; und der Verfasser behielt das Prädicat, er habe davon freymüthig, bescheiden und vernünftig geurtheilet; ob er gleich den theologischen Inhalt, der historischen Wahrheit nach, zu untersuchen, sich nicht vorgenommen [hatte.] Nun komme ich zu der Untersuchung des Bekenntnisses; ich finde es mit so viel Hitze und Uebereilung, recht declamatorisch eingerichtet: daß ich wirklich nicht eben ein Muster der Kaltblütigkeit vor mir fand; den Solöcismus, 524in Ansehung des iuris publici sacri protestantium gar nicht gerechnet, der doch in der That einen Protestanten, einen Professor sehr ärgern mus; den Zusammenhang, 525 antecedentia und consequentia bey dem Herrn (D.)Doctor Bahrdt, auch nicht sehr gerechnet, der doch nicht wohl auszulöschen war, 526nach der alten Ordnung, quis, quid, ubi – so ist der Inhalt als historische Erzählung des Lehrbegriffs der drey großen Kirchen, durch und durch unwahr; 527die Anmassung, Repräsentant unserer Kirchen hiemit zu seyn, so unerträglich; die Aufgabe von einer 528Religionsform, für alle Palläste und Hütten – innerlich so unmöglich: daß es doch sehr wohl begreiflich ist, ein Professor in Halle kann in seinem locali ganz anders denken, und wirklich unwillig und empfindlich über einen so unerhörten Auftritt seyn, und folglich das Bekenntnis, wie es sich gehört, ganz ernstlich beurtheilen; wenn gleich der Recensent, der indes einigen kleinen Historien zugesehen hat, in einer [133] eben so ernstlichen und viel mehr censorischen Stellung sich hinsetzt, und nun ein sehr hartes Urtheil wider mich, aber für Herrn (D[.])Doctor Bahrdt eine Absolution niederschreibet. Er tadelt, 529daß ich ‘nicht eine Zeile, kaum ein Wort, noch weniger ganze Sätze erträglich finde; meinen eigenen bisher behaupteten Grundsätzen ganz ungetreu, 530in dem wahren Geist eines Göze und 531 Piderit, alle weitere Berichtigung des kirchlichen Lehrsystems für unnöthig, lächerlich und verhaßt zu machen. – –’

Hier müssen Sie schon etwas mehr Achtung geben; denn Sie sollen einsweilen Richter seyn; die Befugnis kann ich Ihnen mit allen Recht ertheilen, über mich zu richten. – Nicht eine Zeile – kaum ein Wort – dis ist wieder Rhetorication. Ich habe die ganzen Absätze (N.)Nummern 8. 9. 10. Seite 104. 105. meiner Antwort, 532 für lange bekannt erklärt; sie hätten aus einem Glaubensbekenntnisse wegbleiben müssen; der Herr Verfasser habe es nicht überlegt; es seyen diese Dinge kein Theil der Glaubenslehre. Sagen Sie, bin ich nicht sehr billig und gerecht? In den übrigen Artikeln habe ich eben so die theologische Lehrart, Lehrbestimmung, außer den Kreis des christlichen Glaubens hinaus gerückt, wie alle gelehrte Theologen, sogar 533 Bossuet, und andre Catholici, lange gethan haben. Ich kann aber nun nichts dafür, daß also Herr (D.)Doctor Bahrdt, statt große Eroberungen zu machen, in die Luft streitet, und freilich darinn nicht Recht hat, wenn er diese Dinge bey uns anschuldiget, als Glaubensleh[134]ren – 534 Menschenopfer, und dergleichen Barbarismos will ich wieder schenken. Aber die besondre Kunst des Recensenten, die er so kaltblütig anwendet, 3–4 Seiten lang, in kleinem Druck, mich als einen 535 Wetterhan vorzustellen, damit Herr (D.)Doctor Bahrdt nun etwas mehr Luft bekäme: Diese Kunst kann ich dem Recensenten nicht schenken; 536mag er es wieder grämliche Laune – nennen. Es ist doch gar zu viel gefordert, wenn man einem die Beine beschädigt, und verlangt noch dazu, er solle fein lustig hüpfen und springen. Wo sollte mir denn diese Fröhlichkeit herkommen, welche freilich mein Gegentheil, Herr Bahrdt, Basedow (etc.)et cetera (etc.)et cetera zur täglichen Ordnung ihres menschlichen Zustandes schon lange haben? Erlauben Sie mir also einige Zahlen; 1) meine Grundsätze werde ich nimmer mehr verleugnen; es ist also eine grobe Partheilichkeit, mir auf dieser Seite Schaden bey den Zeitgenossen zuzuziehen. 537Ich habe ja in der Antwort den Herrn (D.)Doctor Bahrdt selbst auf die (schmalkald.)schmalkaldischen (Art.)Artikel verwiesen; 538wo Luther selbst die Ueberschrift gemacht hatte, über diesen Artikel mögen unsre Gelehrte handelnLuther hat auch selbst, wie es bekannt ist, eine Probe gemacht, von der Taufe und der Erklärung ihrer Kraft; da er 539 Thomistische und Skotistische Theorie verwirft, und eine neue annimmt. Wahrlich nicht als Theil des gemeinen christlichen Glaubens, sondern als Versuch, und Gang seiner eigenen gelehrten Einsicht. Da ich den reinen Grund der protestantischen Gelehr[135]samkeit schon lange eingesehen habe: so habe ich selbst an Berichtigung der Lehrordnung bey einzelnen Artikeln, immer gearbeitet; (verstehen Sie 540 articulis ipsis saluis) ich höre auch nicht auf, Studiosos hiezu recht ernstlich anzuleiten. Aber alle diese Arbeiten sollen die Lehrgeschicklichkeit über die Grundwahrheiten der christlichen Religion, in unsrer Kirche befördern, vermehren, und erweitern; die Gegenstände, die Artikel selbst, bleiben. Kann dis der Recensent nicht verstehen? Aber ich soll und mus Unrecht, gros Unrecht gethan haben, um mit Recht straffällig zu seyn, und Herrn Bahrdts Absolution zu erleichtern. Diese Arbeit wird dem Recensenten sehr schlecht gelingen.

2) Herr Bahrdt wolte eine ganz neue Religion; 541 ohne jene Lehrsätze, ohne Sachen, die Erbsünde, Genugthuung, Gottheit Christi –’ heissen, darinn zu behalten. Wie reimet sich nun dieses? Habe ich etwa auch diese Merite, Stiftung einer neuen Secte, denn mehr ist es nicht und wird es nicht, haben wollen? Warum will der Recensent uns den Gebrauch unserer Augen und Unsers Urtheils de Facto nehmen, und uns erzählen, Herr D. Bahrdt meine nur die allergröbsten Vorstellungen? 542Daher soll (kaiserl.)kaiserliche Majestät – – dis mag doch recht sichtbar unbescheiden gegen die ganze teutsche Welt gehandelt heissen; nur um Herrn Bahrdt zu helfen, ihm gar eine Merite zu bereiten; und mich umgekehrt in den Verdacht eines Heuchlers zu bringen! 3) 543Ich habe in der [136] Antwort auf dis Bekenntnis ‘in dem wahren Geiste eines Piderit und Göze geschrieben! Sagen Sie, lieber Freund, ob sie dieses sehen und urtheilen können? es ist mein Glück, daß Ihnen Politik und eine gewisse Menschenfurcht keine Brille leihen kann. Ich kann doch nicht leiden, daß man diesen Männern hier unrecht thut; es ist der Fall gar nicht so, wie der Recensent ihn vormahlen will. 544Diese Männer haben nicht geradehin ‘alle Versuche – – gemisbilliget; 545das, was sie an mir, Herrn Teller (etc.)et cetera (etc.)et cetera tadelten, sahen sie wirklich als Bestandtheile der christlichen Religion an, und wollten also keine Aenderung in der Religionslehre leiden. Und wenn ich geantwortet habe, 546so habe ich stets majorem eingestanden; und nur minorem geleugnet, atqui diese Vorstellungen von Besessenen, von Reinigkeit des Textes (etc.)et cetera (etc.)et cetera sind, keine Theile der christlichen Religionslehre; nego minorem. Eine solche Verkehrung der Sache, ein Knif, ist der rechte Nahme von dieser Art, sollte in der berlinischen Bibliothek ja nicht vorkommen; ich will die Gründe nicht weiter aufstellen. 547 ‘Berichtigung des Lehrsystems, kirchlichen Systems,’ ist stets Eigenthum und Beruf der Gelehrten, und hängt mit der christlichen Lehre, für den gemeinen Mann, gar nicht zusammen; hier ist der Zweck seine moralische Besserung und wahre Wohlfahrt; und diesen Zweck hat der Gelehrte auch als Christ. Aber als Gelehrter unterweiset er, (z. E.)zum Exempel der Professor, Studiosos; denen mus er die Succeßion der Kenntnisse und ihrer Ver[137]knüpfung in Lehrbüchern, um ihrer Gelehrsamkeit willen, vortragen; ihre Talente dadurch auffordern, durch die Entwickelung der Begriffe, Sachen, Seligkeit, Verdienst Christi etc. etc. allen Anstos wegschaffen, und also den Unterschied zwischen Mittel und Erfolg, christliche Besserung behalten. Nun hätte Herr Bahrdt dis alles auch wissen müssen, so gut, als ich; aber er hatte eine besondre Absicht auszuführen sich entschlossen, mit Herrn Basedow; eine Universalreligion, natürliche einzige Religion; da waren alle jene Begriffe, die Sache selbst, hinderlich; denn sie sezten den christlichen Character noch fort, und schlossen den allgemeinen Naturalismus aus. So bald ich diese Anstalten merkte, wozu freilich das bahrdtische Bekenntnis gleichsam das Signal gab, habe ich (nicht meinen so guten so rechtmäßigen Grundsätzen entsagt; sondern) mich ganz gerade in den Weg gestellt, um diesen neuen schlechten Arbeitern es zu [zeigen,] daß die christliche Religion kein alter Plunder sey; daß alle 3 Religionspartheyen in Teutschland viele gelehrte und ehrliche Männer im Lehrstande haben, welche das göttliche unverlezliche Ansehen der christlichen Begriffe und Lehrsätze, richtig unterscheiden, von der succeßivischen theologischen Gelehrsamkeit. Alle unsre Zeitgenossen müssen nun selbst urtheilen, ob der Recensent recht natürlich handle, wenn er schliesset: weil (D.)Doctor Semler dem so schlechten Bekenntnisse des Herrn (D.)Doctor Bahrdts sich so gar ernstlich widersezt, und die historische ehrliche Wahrheit zur Ehre der 3 [138] grossen christlichen Partheyen, so ernsthaft rettet, wider solche Verdrehungen und Verzerrungen: so folget, 548daß (D.)Doctor Semler ‘in dem wahren Geiste eines P. und G. schreibet, und alle Versuche zur Aufklärung des kirchlichen Lehrsystems – lächerlich und unnöthig machen will.’ Ich sage, wenn der Recensent sich unterstehet, dieses noch einmal zu schreiben, so mus er freilich sehr wichtige Ursachen haben, den Herrn (D.)Doctor Bahrdt und sein Bekenntnis noch immer zu rechtfertigen, 549 πυξ και λαξ.

Noch mehr soll ich jezt Befremdung erregen, 550‘ich, der sonst so kühne Theologe, der sich durch die freie Untersuchung des Canon, so gar an die in allen christlichen Partheien heilig gehaltenen Urkunden gewagt, und einige Bücher, hauptsächlich weil sie nichts zur Vollkommenheit beitragen, bestritten, wenigstens zweifelhaft gemacht hat.’“ Ich bitte schon im Voraus um recht viel Gedult, mein lieber Freund, ich habe recht viel zu antworten; und ich verspreche es, ich will mir Mühe geben, daß es Sie nicht reuen soll, diesen Brief völlig ausgelesen zu haben. 1) Sonst so kühne – – also wäre ich jezt dieses Prädicats, so weit es einen würdigen Sinn hat, nicht mehr werth? Ich dächte, daß ich gar vielmehr ernstliche entschlossene Kühnheit eben hiemit bewiesen hätte, daß ich so einen starken Einfall einiger Leute, in das Gehege der wirklichen christlichen Religion, so unerschrokken aufhielte, und damalen ganz allein so sehr ernstlich mich entgegen stellete. Sie sehen es, mein [139] Freund, an dem Zorn des Herrn Basedow, in jener Urkunde, was von meiner Kühnheit, so weit sie Beweis der guten Sache ist, beurkundet wird. Aber, können Sie etwas ersinnen, in meinem so öffentlichen Betragen, was da zeigete, ich wäre feige und den Grundsätzen nach flüchtig worden? Wenn aber der oder jener so für sich auf 551 Consensum praesumtum gerechnet hat, und dieser will nun bey mir nicht erfolgen: heißt das etwa, ich hätte mich aus Feigheit zurück gezogen? Gern möchte ich Ihnen noch dazu sagen, daß es mit der wahren ernstlichen Gelehrsamkeit eines guten Professors in der That so eine Sache ist, wo eben nicht ein jeder, in seiner täglichen lustigen Lebensart sogleich fortkommen kann; und daß es eine sehr unempfohlen Künheit ist, wenn der und jener etwas von meinem sauern gelehrten Schweis erwischt, und nun quer Feld mit dahin gehet, um grosse Thaten zu thun. Es ist mir aber schon mehrmalen so vorgekommen, und ich dachte oft an das alte Wort, 552 Sic vos non vobis – – damit ich mich aber nicht selbst preise, wie es manche jezt thun, so will ich 2) auch noch darauf antworten, was der Recensent so pathetisch hier einkleidet, ich hätte mich so gar an den Canon – – gewagt; und nun soll dis zuvörderst auffallen, daß ich wider dis Bekenntnis so ernstlich geschrieben habe. Das würde so viel heissen, wie die Rabinen sagen 553kal ve chomer; 554meine Untersuchung über den Canon wäre das majus, und Herrn Bahrdts, Versuche zur Aufklärung (Aufhebung, [140] mus es heissen) des kirchlichen Systems, in diesem Bekenntnis, wären das Minus. Der Recensent mus sehr unwillig gewesen seyn, über meine jetzige so entschlossene Kühnheit, sonst könnte er so [unrichtig] und verkehrt nicht gedacht haben. Auf einer Seite stehen also 555meine Anleitungen ad liberalem theologicam eruditionem, auch über den Canon, und was man immer herbey ruffen will. Auf der andern Seite aber stehet dis Bekenntnis; dessen Inhalt soll nun entweder eben dieses seyn, was ich so mühsam alles, Korn für Korn, selbst aufgesucht und erarbeitet habe, in dem Felde der Gelehrsamkeit; ohne jemand etwas zu entwenden; oder es soll dis Bekenntnis gar noch weniger tadelhaft seyn; und daher soll es eine 556 Befremdung erregen, daß ich wider dieses Bekenntnis so gar ernstlich geschrieben habe. Ich weis diesen Kunstgriff sehr wohl, wodurch man mich höhern Orts schwarz zu malen gesucht hat; ich kann es aber leiden, bis die Zeit kommt, welche diese armseligen Künste ohnehin ganz gerade für das aufstellen wird, was sie sind. Ich will aber doch jezt dem Recensenten die nöthige Antwort geben.

1) Niemalen bin ich so unverschämt gewesen, meine privat Kenntnis und sehr locale Gelehrsamkeit, so gar wider die Grundsätze des Staats, so aufzustellen, daß alle Religionspartheyen von mir für blinde oder ungewissenhafte Leute darum gehalten worden wären: weil ich täglich mehr zulernte, was ich gestern noch nicht [141] wuste. Meine Arbeiten sind besonders für angehende Gelehrte bestimmt gewesen, meinem Berufe zu Folge. Die unumgängliche Succeßion und fortschreitende Ab- oder Zunahme der theologischen Gelehrsamkeit, habe ich als eine ausgemachte Sache behauptet, und daher habe ich bey meinen Zuhörern nicht allein Erkenntnisse für den Kopf, sondern auch Anwendungen für ihr Herz täglich mehr anzubringen gesucht. Nun mögen denkende Leser es beurtheilen, ob es möglich sey, daß ich auf solche Dinge und stolze Grillen fallen könne, zu behaupten: man müsse alle drey Religionssysteme caßiren; man müsse 557 ‘das Gold der Christusreligion’ suchen, oder 558wie Herr Basedow uns vorgaukelte, die Urreligion erforschbar machen – an die Gewaltthätigkeit und Unterdrückung der eigenen Religionsfreyheit, womit jeder Christ jetzt zufrieden ist, nicht zu denken; welche diese Eroberer und Stifter einer neuen Religionsordnung, begehen mußten; 559wovon Herr Basedow lehrte, es müßte das gute Werk einmal gethan, und das Exempel an mir statuirt werden, er habe auch die Werkstätte, Akademien, gezeiget. Ich will wider diese Vorläufer der neuen Christusreligion nichts weiter erinnern; von 560 David Joris an – es giebt doch denkende Leute, die genug daran haben, 561 ex ungue Leonem.

Es ist also recht ausgemacht, wenn Herr Bahrdt, Basedow, und wer dazu gehört, ein mehreres nicht sich vorgesetzt hätten, in der theologischen Gelehrsamkeit und Kirchensystems-Be[142]rechtigungswerke, als ich ganz notorisch in [20–30] Jahren nun gethan habe; so hätten sie an die Umänderung aller drey Religionssysteme auch so wenig gedacht als ich; hätten aber eben so saure Arbeit Tag und Nacht getrieben, als ich und meines gleichen, die wirklich gelehrte Männer und treu in ihrem unbedankten Berufe sind; sie hätten aber freylich nie ein so lustiges Leben führen können. Herr (D.)Doctor Bahrdt konnte sich (z. E.)zum Exempel an die annales dogmaticos, exegeticos, der Christen machen, und in der That große Verdienste einerndten; er konnte die nun ungründlichen Theorien im 562 Hutterus, 563 Quenstädt, 564 Haffenreffer, 565 Calov, beurtheilen und bessere an die Stelle setzen; zeigen, daß schon vor mehr als hundert Jahren Iustificatio, Satisfactio – sehr gelehrt und gründlich untersucht worden, wenn gleich nicht von teutschen Lehrern – Sehen Sie, da wären wir immer gelehrte Gesellschafter gewesen; auf unsere verschiedene Lebensart sehe ich hier nicht; aber es ist Zeit, daß ich es sehe, daß mein Brief zu lang wird.

Es ist gut, daß ich einen neuen Brief anfange; ich hätte sonst durch einen besondern Absatz ihren Augen müssen zu Hülfe kommen. Nemlich nun folgt 2) vom Canon, und ‘von heilig gehaltenen Urkunden’. – Hier habe ich mich [143] ziemlich lange bedenken müssen, in was für einer Lage ich doch antworten möchte; um nicht grämlich zu heißen, und den Vorwurf mir zuzuziehen, daß ich denen Recensenten auch keinen Satz, keine Zeile – als gut und recht hingehen lasse. Ich will suchen, nicht grämlich zu seyn; aber es wird dem Recensenten ganz und gar nichts nutzen. Eine kleine Vorrede kann ich auch nicht unterdrücken, welche im Voraus die Beschaffenheit dieses Stücks der Recension, kurz erzählet: daß nehmlich solche unwahre ungelehrte Sachen einem Professor nicht hätte vorgelegt werden sollen; ein jeder meiner guten Schüler würde es nicht wohl leiden, daß man ihn oder andere so beschleichen wolle. 566Diese Beschuldigung, ‘ich hätte mich an den Urkunden der Religion vergriffen’, ist auch im Almanach ganz ernstlich wiederholet worden; und ich mus das Ungelehrte, so darinn zum Grunde liegt, recht öffentlich darstellen. Der Recensent, Herr Bahrdt, und wem nun daran lieget, daß ich soll recht geringschätzig werden, mag nun so gut seyn, und mir eine einzige Frage beantworten: hat denn die lutherische und reformirte Kirche einen öffentlichen festgesetzten Canon? Ist er etwa auf dem und jenem Reichstage, oder wo sonst, feyerlich angekündiget worden? Haben die lutherischen Academien etwa zusammen geschickt, und sich darüber gemeinschaftlich erkläret? Ist ihre etwaige Erklärung, (die der Recensent wohl noch irgendwo in Handschriften suchen wird,) [144] von der Obrigkeit eines jeden lutherischen Staats, bestätiget, und folglich überall gleiche Grundsätze darüber, eingeführet worden? Ich bin ein alter lutherischer Professor, und kann nicht anders, ich mus gestehen, daß es keinen solchen Canon in unserer Kirche gebe. Der Recensent hat also niemalen eine alte 567 teutsche Ausgabe des N. T. Lutheri gesehen, wo Luther selbst einige Bücher des (N. T.)Neuen Testaments von den andern, durch ein Zeichen abgetheilt hat? Ich weis nicht, ob er in die 568 Centuriatores hierüber gelesen hat; oder so gar die 569 Compendia von Haffenreffer an, welche die libros deuterocanonicos noui testamenti stets ausschließen, von denen, woraus 570 dicta probantia ferner genommen werden sollen. Sie werden es selbst wissen, mein Freund, daß es kein Lehrsatz der lutherischen Theologie ist, daß alle und jede Bücher so man in dem Canon, wider die römische Kirche, im (A.)Alten Testament, begreift, geradehin heilige Urkunden unserer Religionslehre seyen. Was hat denn nun der Recensent für Vorstellungen? Er will (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt helfen; 571ich soll mich ‘an den heiligen Urkunden der Religionslehre vergriffen haben’, folglich errege es auch eine Befremdung, daß ich es mit (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt so hart nähme; der habe viel weniger, nemlich in dem Bekenntnis, gethan! Nun geben Sie doch Achtung! 572Ich sage, es stehet den denkenden Christen frey, das Buch Esther, der Chroniken, Nehe [145] miä, Hohelied, Offenbahrung Johannis – nicht in der Absicht zu lesen, daß sie in christlicher Vollkommenheit dadurch wollten weiter kommen; wenn und so lange sie Gründe haben, an der göttlichen Bestimmung dieser Bücher zu dieser christlichen Absicht, zu zweifeln. Dis habe ich nicht etwa aus jetziger Kühnheit zuerst gesagt; sondern alle gelehrte patres, gelehrte Catholici, seit dem 573 Cajetan, 574 Pellican, und wir, seit Luther, und sogar 575 Dietrichs so oft gedruckten Summarien, haben es so viele lange Zeit gewust und gelehret; daß ich keine Ehre weiter habe, als sie gleichsam in ein Register gebracht zu haben. Nun beurtheilen Sie doch die Partheylichkeit und böse Absicht des berlinischen Recensenten, neben dieser Ungelehrsamkeit, die er hier sich entwischen läßt; mir giebt er gleichsam eine wissentliche Sünde schuld gegen die (heil.)heilige Schrift; denn so müssen es die meisten Leser verstehen, die nicht gelehrt und dieser Sache kundig sind. Wenn die Sache wahr wäre, nicht wahr, mein lieber Freund, es hätten sich doch wohl gelehrtere Männer gefunden, die mir diese unchristliche Arbeit gehörig vorgerückt hätten? Für Catholiken hatte der Recensent vollend gar kein Recht hier zu sorgen; bey ihnen ist canonicitas ganz recht blos iuris ecclesiastici, romani; auctoritas ecclesiae macht diese Bücher zu canonicis, welches ich auch wohl weis, und in dieser Absicht eben es historisch untersucht habe. Folglich, wenn (Hr.)Herr (D.)Doctor Bahrdt [146] sein Urtheil ganz frey geschrieben hätte, für mich giebt es keine göttliche Auctoritaet des Buchs Esther – apocalypseos – ja er hätte mehr mögen dazu setzen, Hiob, Daniel: so hätte er gethan, was ein gelehrter lutherischer Professor, wenn sein Gewissen einstimt, zu thun stets Fug und Recht hat. Da er in dem Bekenntnis, jene Lehrsätze selbst, als res, als obiecta der christlichen Lehre, bey allen drey Partheyen ganz weg warf, um ein neues System, kosmopolitischer Weise, zu schaffen: wie kommt denn jene Vergleichung meiner gelehrten Untersuchung des Canon, der bey Protestanten nie ein göttliches Ansehen hatte, hieher? Hat also Herr (D.)Doctor Bahrdt nicht etwas ganz anders vorgenommen, wozu in meinen bisherigen gelehrten ehrlichen Professorarbeiten, nicht das geringste Beyspiel ist?

Sie müssen noch mehr Beweis anhören; glauben Sie, es kann Ihnen doch nicht so unangenehm, widrig und unleidlich vorkommen, als mir selbst, den es zunächst angehet, und dem es kirchliche Beschimpfung, nach der neuen Toleranz, zuziehen soll. 576‘Wenn ein Leser 577in meinen ascetischen Vorlesungen über Gal. 4, 3. 1 Cor. 1, 31. sich erbauet hat, wie wird ihm, wenn er ein Lehrer der Kirche ist, zu Muthe werden, wenn er hört – ja, dis kannst du für dich denken, aber öffentlich must du lehren, wie die feyerlichen Bücher deiner Kirche es haben wollen.’

Ich bitte Sie nochmalen um fernere Gedult; ich mus ja antworten. 1) Der Recensent geste[147]het also selbst, daß ich über diese Wahrheiten, Erlösung, Absicht der Bestimmung des Lebens und Todes Christi, erbaulich geredet und geschrieben habe; ohne sie wegzuwerfen. Folglich kann ja auch ein jeder geschickter und treuer Lehrer diese wichtigen Wahrheiten eben so, (nach dem Unterschied der Zuhörer) einkleiden, wie ich es vor Studiosis zu thun im Stande war. Ich erinnere mich, daß ich schon mehrmals 578des gelehrten und frommen Chemnitius gute und richtig Anmerkung wiederholet habe, über Johannis Predigt, thut Buße – man mus nicht denken, daß Johannes wie ein unsinniger Mensch den ganzen Tag blos diese Worte wiederholet habe; er hat sie den Zuhörern erkläret. Gerade dis ist die ordentliche Vorschrift eines Lehrers und Predigers in unsern Kirchen. Er soll nicht blos die Worte, Erbsünde, Greuel, Elend der Erbsünde; Nothwendigkeit der Busse und Bekehrung; Größe des Verdienstes, der Genugthuung Christi, daher lallen; er soll alles erklären. Lehren ist eine täglich wachsende Fertigkeit; nicht ein Echo der Zeilen aus den symbolischen Büchern, oder gar der 579 acroamatischen Theologie, die niemand in die gemeine Unterweisung mischen soll. Wenn es nun ein treuer, seinem so großen Berufe ergebener Mann ist, ich denke ja, daß der seine Kunst und seine Absicht so empfehlen wird, daß die Zuhörer selbst denken und betrachten lernen. 580Da hat schon Luther im Catechismo selbst es uns geheißen – Da kannst du es so buntkraus machen – das, nach seiner [148] Art und nach seinem Beyspiel, zu verstehen ist: Du kannst es besser machen, als ich in diesem schlechten Büchlein, für schlechtere Pfarrherren, es hingeschrieben habe. Daß ich nicht Ausflüchte hier erfinde, beweisen ja die vielen 1000 Predigten der lutherischen Lehrer; darunter doch gewis auch manche schöne Beyspiele, eines geschickten, klaren, verständigen Vortrags sind. Wenn wir auch die schlechten so leicht und mit Recht verachten: so beweiset es ja, daß man eine helle Aufklärung der Sachen, die in den christlichen Lehrsätzen enthalten sind, zu erwarten, in unserer Kirche befugt seyn. Hätte also Herr (D.)Doctor Bahrdt über natürliches Verderben, über Bekehrung, Rechtfertigung um Christi willen (etc.)et cetera (etc.)et cetera recht helle und deutlich lehren wollen, so hätte er gerade die Pflicht eines geschickten Lehrers erfüllet. 581Aber er sagt ja selbst, wie er es gemacht habe, um ja eben diesen christlichen Lehrsätzen völlig auszuweichen.

2) Ist es eine sehr unartige Beschuldigung, daß ich lehren sollte, 582 ‘dis kannst du freylich für dich (so unanstößig, so zusammenhängend, so nützlich) denken; aber öffentlich mußt du lehren, wie –’ Sie müssen, bester Freund, noch immer lesen; ich mus es doch gehörig beantworten, damit Sie ferner mir Ihre Achtung und Liebe beybehalten können. Ich will davon nichts sagen, daß ich also doch öffentlich meine Erklärung habe drucken lassen, und nicht für mich heimlich denke. Ich will aber doch ausdrücklich voraussetzen, daß davon jetzt nicht die Rede sey, ob die gelehrte [149] Sprache zum Unterricht gemeiner Leute gehöre; diese mus der Gelehrte gewis ganz für sich und seines Gleichen behalten: sondern es ist von verschiedener Lehrart die Rede, wenn es wahr seyn soll, daß ich Ursach habe, mich zu verantworten; welche verschiedene Lehrart Herr Basedow, Bahrdt – – zugleich für eine Untreue, für Zweydeutigkeit und Heucheley des Lehrers, halten wollen; damit wir Genugthuung, Dreyeinigkeit – gar nicht retten könnten, sondern wegwerfen müßten. Ich gestehe und wiederhole es auch, daß der Lehrer seine privat Gedanken, wenn sie in einem Widerspruche gegen die Sache selbst stehen, die er öffentlich lehren soll, durchaus nicht in die Lehre verwandeln soll; indem er berufen ist, diese in der lutherischen Kirche feyerlich festgesetzten Artickel, oder Materialien öffentlich zu erklären; nicht aber seine privat Gedanken (im Falle des Widerspruchs) zur Lehre, so künstlich, unter der Hand – zu machen. Hier schreibe ich so verständlich als historisch wahr; dis ist die Absicht, wozu ein Prediger in seinem Amte berufen wird; und in den Sachen selbst, Erbsünde, Bekehrung, Erlösung oder Genugthuung – kommen alle drey Kirchen, nach meiner eigenen gelehrten Einsicht, überein; die Localität aber und der Character der Lehrart, ist unumgänglich verschieden, und ist die stete Ursache der Verschiedenheit der äußerlichen großen Gesellschaften; daher kann ich de iustificatione – nicht lehren, wie die römische Kirche es thut. Dis alles zur bes[150]sern Einsicht vorausgesetzt, will ich es nun beleuchten: ob es wirklich sich also verhält, daß symbolische Bücher Lehrsätze hätten, denen der selbstdenkende Lehrer nicht beypflichten können mag, und alsdenn sich so – – helfen sollen, nach meiner Heucheley.

Es ist doch offenbar Zweydeutig, wenn der Recensent so obenhin sagt, 583 ‘du must lehren, wie die feyerlichen Bücher deiner Kirche es haben wollen.’ Heißt es also, du must dieselben Materialien, dieselben Lehrwahrheiten lehren und erklären, welche in der lutherischen Kirche, seit der augspurgischen Confeßion, ihrer Apologie, den schmalkaldischen Artickeln, den Catechismus, pflegen den Gliedern lutherischer Kirchengesellschaft, öffentlich vorgetragen, erklärt und eingeschärft zu werden, zu ihrem christlichen Leben und Sterben, zu ihren moralischen eigenen Bedürfnissen, zu ihrem Trost, zu ihrer Ruhe – so ist gar kein Zweifel daran; ein jeder treuer lutherischer Lehrer soll und mus diese Lehrsätze, diese wichtigen ewigen Wahrheiten, diesen Inhalt der christlichen Religion, diese unaufhörlichen 584 Consectaria der von Gott verordneten Historie Christi, diesen wahren Grund unaufhörlicher Wohlfahrt – rein, deutlich, gründlich, in dieser seiner Zeit, denen Gliedern der lutherischen Gesellschaft seines Orts, erklären und vortragen. Dieses Lehren aber ist eine sehr wirksame Beschäftigung des Lehrers, der es weiß, daß er in dieser Zeit lebet, die folglich ihm manche Reihe von Vorstellungen eröfnet, wel[151]che er nicht geradehin eben so zum öffentlichen Unterricht, wenn gleich zu eigener und seines gleichen Erbauung, gut anwenden kann. Sie wissen es schon, mein Liebster, daß ich recht gern jede Gelegenheit ergreife, mich zu erklären, und ich bestrebe mich immer, daß ich niemalen Ausreden und Behelfe, oder gar 585 Blauendunst vorbringe. Ich habe in 30 Jahren mehr gelernet, geübet und erfahren, als daß ich mich mit solchen unwürdigen Künsten, die jetzt hie und da gelten, durchhelfen müßte.

Ich möchte Ihnen wohl einen langen Brief schreiben über diese ganz nothwendige Lage eines Lehrers in unserer Zeit. Vergönnen Sie mir nur ein Beyspiel auch hier anzubringen, damit es noch gewisser werde, daß ich festen Grund und Boden habe; daß folglich nichts unschiklicher und unwürdiger mir vorgehalten wird, als ich seye ein theologischer – Gaukler, Wetterhahn, Betrüger, oder wie das rechte abscheuliche Wort heissen mag, das mich gewis niemals bezeichnen wird. Lassen Sie das Thema seyn, die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist. 586Der Lehrer im ersten Jahrhundert hat entweder mit Juden oder Heiden zu thun. Er soll den ersten jezt einen Unterricht geben. Er mus also die Uebel, das Elend, die Noth zuerst aufsuchen, welche die Juden bisher [kennen]; und eine Erlösung danach verstehen. Jenes sind also entweder äusserliche Einschränkung, dafür sie gern mehr leibliches Wohlleben hät[152]ten – der Lehrer unterweiset sie also; daß diese Dinge eigentlich keine Uebel für sie sind; daß sie recht ungeschickt Vorstellungen unmöglicher Dinge eigenliebig zusammen setzen – er lehrt sie nun moralische Uebel; geistliche Finsternis, Tod, Abneigung von Gott, wie er geistlich so liebenswerth erkannt wird – da fangen manche an, über ihre Sünden ganz andere und geistliche Begriffe zu bekommen – sie sehen sich an, als bisherige thörichte Feinde Gottes – sie haben auch manche sinnliche Ideen, von Zorn Gottes – Nun kommt er auf Erklärung der Erlösung, die Gott auf eine so würdige Weise veranstaltet habe, und belehret den [aufmerksamen] Zuhörer, von dem mancherley Verhältnis des Todes Jesu. Nun glaubt dieser Zuhörer, und 587nennt Jesum sein rechtes geistliches Opfer; seinen rechten Hohenpriester; der ganzen Würde Gottes, die er nun kennet, entspricht alles – er siehet nun auch eine gewisse Erlösung vor sich, von seinem bisherigen ganz eiteln Wandel, und von aller Ungerechtigkeit. Er häufet nun alle Ausdrücke, den Werth dieses so theuern Blutes Jesu zu beschreiben – Nun sind seine schlechten jüdischen Ideen alle weg, und es ist ein rechter ernstlicher Christ; oder wie es jezt heißt, fanatisch, weil er kein Naturalist ist.

Ich will die Predigt an die Heiden, nicht concipiren; Sie werden mich doch schon verstehen. Und nun die Erlösung für uns, in dieser Zeit, ohne Heidenthum, ohne Judenthum, lebende Zeit[153]genossen! Stellen sie sich die Menschen ohne eigene Gedanken vor? Hat der Lehrer lauter Klötze vor sich? Hoft er keine Wirkung Gottes in der moralischen Welt? Mus er also die christlichen Lehrsätze von der Erlösung der Menschen, nun geradehin wegwerfen? Genugthuung – ist eben so; Gott hat einen solchen Plan über die moralische Welt bekannt gemacht, wonach Christus einen fortdauernden Grund hergegeben hat, eine unaufhörliche göttliche Quelle aller wahren Vollkommenheit zu kennen; diese Vollkommenheit zu genehmigen und zu überkommen, die uns noch immer fehlet. Ich hoffe, daß Sie meine Ehrlichkeit ganz gewis hieraus kennen würden, wenn Sie mich nicht lange schon in diesem so unentbehrlichen, so leichten Character gekannt hätten. Man mus mit gehen in diese moralische Erfahrung; da findet sich ihre Mannigfaltigkeit, wer nicht mit gehet, verstehet es auch [nicht].

Oder aber, wie die symbolischen Bücher vorschreiben, heisset Formaliter. So begehet der Recensent eine wissentliche Sünde, um unsere und alle symbolische Bücher recht verächtlich und lächerlich zu machen. Denn nur ein eigentlich ungelehrter, oder schon ganz entschlossener Gegner, kann dieses bejahen. 588Ich habe schon in der Antwort auf Herrn Basedows unächte Urkunde es mit klaren Worten geschrieben, daß weder meine noch irgend eines andern Professors, Lehrers, Predigers, eigenthümliche Geschicklichkeit und Gelersamkeit, in den symbolischen Büchern abgezir[154]kelt, vorgeschrieben oder enthalten seye. Ich brauche gar nichts hierüber weiter zu sagen; und kann diesen Brief endigen.

Daß die Absicht des Recensenten den symbolischen Büchern geradehin ungünstig seye, werden Sie bald noch umständlicher sehen. Wenn er es als seinen Gedanken äusserte, stünde es ihm frey, wie vielen andern; zumal, da ich nicht einmal weis, ob er eine Verpflichtung dagegen auf sich hat. Er gehet aber weiter, und will nicht zugeben, daß eine eigene Privaterkenntnis des Lehrers für ihn selbst, dabey, neben dem Inhalte der symbolischen Bücher, statt finden könne; daher sucht er in meinen Schriften manches auf, um den Schlus [zu machen], daß solche Bücher nun abgeschaft werden sollten. Auch wider diesen Saz, als Aufgabe, hätte ich nichts; ich habe es selbst gesagt, daß unsere Obrigkeiten ihren Vorfahren in dem jure Sacrorum externorum succediren, und daher Kirchliche Verordnungen fortsetzen, einschränken, ändern, erweitern können; so gut als die Fürsten und Staaten im 16ten Jahrhundert; folglich würden aber auch würdige, Theologen und Lehrer, auf denen das Zutrauen des Volks hierinn beruhet, zu dieser neuen Untersuchung oder Berathschlagung mit gezogen werden; wie bey der augspurgischen Confession, Apologie, schmalkaldischen [155] Artikeln und Formula concordiae. Wir sehen es an mehrern Beispielen, (z. E.)zum Exempel 589 articuli visitationis Saxonicae: 590 consensus helueticus und ihrer Geschichte oder ihrem abwechselnden Erfolge. Aber aus diesem jure Sacrorum, wie es besonders durch nachherige Verträge feierlich für die öffentliche Religionsgesellschaft festgesezt worden: können Privati kein Recht herleiten, diese ruhigen Gesellschaften täglich zu stören und zu zerrütten; unter den Vorspiegelungen, einer viel bessern Religionsform und eines Lehrsystems zu grösserer Glückseligkeit der Menschen: als wenn wir an christlicher Wohlfahrt einen grossen Mangel hätten. Ich denke, daß ich deutlich genug hievon rede.

Aber nun die Beschuldigung wider mich. 591‘Wer kann sich auch, wenn er immer lieset, daß ein jeder für sich selbst denken und glauben kann, was er für wahr erkennet; und daß dennoch das Ansehen der symbolischen Bücher so ganz ungekränkt erhalten werden müsse, daß es keinem Lehrer einmal erlaubt seye, nur Vorschläge zur weitern Berichtigung des öffentlichen Lehrbegrifs zu thun, (denn sonst würde er Herrn (D.)Doctor Bahrdt nicht so hart deswegen angesehen haben) enthalten, zu fragen –’ [“]

Lesen Sie meine ehrliche Antwort auf diese vorsezliche Verwirrung und Verdrehung der Sache. 1) Ich habe es schon abgelehnet, daß Herr (D [.])Doctor Bahrdt nur Vorschläge zur Berichtigung des Lehrbegrifs gethan habe; denn dis hiesse der Lehrbegrif von 592Erbsünde, Bekehrung, Genug[156]thuung, wobey gar ein Menschenopfer bisher zum Grunde liege, Rechtfertigung – solle nur weiter berichtiget werden. Können Sie, mein Freund, es gleichgültig ansehen, daß die berlinische Bibliothek hier so gar die historische platte Wahrheit, die Lage des Bekenntnisses, so öffentlich verdrehen will? Ist es eine geringe Sache, mich auf diese Weise vor den Augen des ganzen Teutschlands unterdrücken zu wollen? Es ist durchaus ungerecht gehandelt, Herrn (D [.])Doctor Bahrdt auf diese gewaltthätige Weise noch gar ein Verdienst daraus zu machen, daß er alle drey Kirchen, so voll Einbildung auf sein Ich, 593wie jener Ungenannte oben ehrlich sagte, beschuldigte, 594ihre Lehrsätze von Erbsünde – – seyen wider Schrift und Vernunft. Kann man diese alsdenn durch Vorschläge berichtigen? Kein denkender Leser wird sich hier hintergehen lassen. 2) Will ich diese Verwirrung auseinander legen, die der Recensent zu Hülfe rufte. Es wird von allen Lehrern gerade dieser Zweck ihres Lehrens, das sie nach den symbolischen Büchern, materialiter fortsetzen, gesucht und erreicht: daß jeder Zuhörer nun selbst für sich denken und glauben soll; denn der Lehrer kann nicht für die einzelnen Zuhörer denken und glauben. Aus der Lehre sammlet sich der Zuhörer Erkenntnis, und sie soll und mus seine individuelle Erkenntnis, Ueberzeugung, Entschliessung – werden. Eben daher nun, weil es unzählige Modificationen der eigenen Vorstellungen giebt und geben soll, wird ein Hauptinhalt der Lehrwahrhei[157]ten, loci communes, allen Lehrern von einer Kirchensocietät überreichet; diese Lehrsätze, materias, articulos, sollen sie treiben und erklären; und nun freuet sich der Lehrer und die protestantische Kirche, wenn ihre Zuhörer und Mitglieder über diese Wahrheiten nachdenken; freilich denkt sie jeder in seiner besondern moralischen Localität; diese varietas 595gehört aber [zum] moralischen Ganzen der Gesellschaft. Giebts einen menschlichen Körper ohne Füsse, Hände, Magen – ? das öffentliche Ansehen lutherischer symbolischer Bücher beruhet geradehin auf dem Willen und Befehl der lutherischen Obrigkeit; diese will die Absicht erreichen, daß die Glieder ihrer Religionsgesellschaft in eben den Lehrsätzen den öffentlichen Unterricht bekommen sollen, welche diese lutherische Kirchengesellschaft ferner erhalten und fortsetzen. Diese Absicht wird auch durch unsere Lehrer, welche nach den lutherischen symbolischen Büchern ihren Unterricht einrichten, wirklich erreichet, und zeigt sich in den öffentlichen Kirchen, wo man zur Religionsübung, bey Taufe, Abendmahl, gemeinschaftlichen Gebeten, Anhörung der Predigt, zusammen kommt; denn öffentliche Anstalten haben einen öffentlichen gemeinschaftlichen Endzweck. Nun kommt jezt die privat Religion; die ist frey; sie wird nicht weiter durch das Obrigkeitliche Ansehen und durch symbolische Bücher bestimmt; wenn ein Christ selbst seines Gewissens wegen, Anwendungen davon auf seine eigene privat Religion macht. Die privat Religion ist also nicht an die symbolischen [158] Bücher gebunden. Der Christ kann privatim allerley ihm erbauliche Schriften lesen, welche aber nicht in den Vortrag der Lehren einfliessen können, wenn sie zugleich den Lehrsätzen dieser öffentlichen Gesellschaft entgegen sind. 596In der römischen Kirche ist diese Privatfreiheit so bekannt und ausgemacht, daß jeder Gelehrte seine Privatmeynungen so gar drucken lassen kann; wenn er nur sich bescheidet, die öffentliche Autorität der Kirche nicht anzugreifen, und also unnütze Störungen und Unruhen zu machen. Scholastice disputo, ist die ganze Antwort auf noch so ernstliche römische censuras. Ist etwa bey Protestanten weniger Recht? Nun wird doch wohl ein jeder Leser mich verstehen, wenn ich lehre, die Privat Erkenntnis und Vorstellung des Lutheraners ist nicht an die symbolischen Bücher gebunden; es ist ganz unleugbar wahr. Wir lebten ja sonst in einer greulichern Sclaverey, als sie im Pabstthum jemalen gewesen ist; wo doch 597 Gerson schreiben durfte, es kann der Fall seyn, daß eine gemeine Frau die rechte christliche Glaubenslehre behält; und viele Gelehrte und vornehme Leute sie verlohren haben. Es ist auch ausgemacht, daß ein Christ seine Privaterkenntnis nicht für andere Christen öffentlich aufstellen, und verlangen darf, man solle ihn zum Richter über die öffentliche Lehre machen: die öffentliche Lehre soll nicht für einen Privatus allein eingerichtet werden.

Aber nun weiter 3) 598 Vorschläge – sind einem jeden treuen Lehrer, Professor – gerade [159] in seine Pflicht mit eingerechnet; eben darum sucht man geschikte Personen, und examinirt Candidaten, um zu sehen, ob sie die Lehrsätze völlig, für unsere Zeit, gefasset haben, und im Stande sind, statt der wenigen Zeilen, die in augspurgischer Confession (etc.)et cetera (etc.)et cetera damalen zu einem besondern Zweck, enthalten sind, sie zu erklären, und darüber also ihre Lehrgeschiklichkeit an den Tag zu legen. Wo kämen denn die vielen tausend Schriften und Predigten unserer Lehrer her? Sind das etwa Abschriften der symbolischen Bücher? Ich habe also keine neue Entdekung gemacht, wenn ich es oft wiederhole, die Lehrgeschiklichkeit ist eine immerfortgehende Fertigkeit; sie ist immer grösser, oder schlechter. Jede Societät verlangt, ihre Lehrer sollen jezt, in jetziger Localität lehren: sonst liessen wir blos 599 Luthers Kirchenpostille ablesen. Nun halten Sie doch des Recensenten unredliche Anzeige gegen meine Aufklärung: Herr Bahrdt habe nur wollen Vorschläge thun, zu Berichtigung des Lehrsystems: und ich hätte eine solche Ungerechtigkeit begangen, dieses an Herrn (D.)Doctor Bahrdt nicht zu leiden. Daß in der berlinischen Bibliothek einem alten ehrlichen Professor auf der königlichen Universität zu Halle, so gar ungerecht begegnet werden konnte, oder sollte: ist freilich manchem ein Geheimnis. Herr Bahrdt ist auf einmal unsern Kirchen viel mehr werth worden, als ich. Wozu? Nun muß doch auch folgen, was man sich nicht enthalten kann, zu fragen: [160] 600‘wozu soll die unverbrüchliche Beybehaltung eines Religionssystems dienen, daß weder der Lehrer, noch irgend einer der Zuhörer verbunden oder interessiret ist für wahr zu halten?’ – – wenn ein Semler‘für den ewigen Werth der symbolischen Bücher eifert, so kann ihm nicht das Interesse der Wahrheit, nicht die Sorge für die Glükseeligkeit seiner Nebenmenschen, sondern blos politische Betrachtungen diesen Eifer eingegeben haben. Dis ist noch glimpflich geurtheilet; sonst möchte man eine nähere Ursache finden.’ [“]

Sie werden gewis recht gern mit mir dem Recensenten hier zusehen. Ich antworte 1) es mus doch ein jedes Mitglied einer Societät wissen, daß die Grundsätze und die Absichten, worauf die Verbindung der Societät beruhet, kein Eigenthum eines jeden privat Mitgliedes seyen; folglich auch nicht des Lehrers, der gerade zur Mittelspersohn, diese Absichten immer zu erreichen und fortzusetzen, feyerlich bestellt worden ist. Wie konnte der Recensent sich hier in eine solche Verwirrung einhüllen? Es ist folglich immer falsch, daß der Lehrer nicht für die Grundsätze der lutherischen Kirchengesellschaft [interessirt] seyn könne. Der Fall ist ganz unmöglich. Es ist auch falsch, daß die Zuhörer diese Grundsätze der lutherischen Kirche, als ihrer Gesellschaft, jemalen aufgeben wollen; sie haben daher die heiligsten Verspre[161]chungen ihrer Landesherren sich geben lassen, daß ihre bisherige Gesellschaft nicht soll auf einige Weise gewaltsam oder listig zerrissen werden. 2) Die armselige Betrachtung, Sorge für die Glückseligkeit der Nebenmenschen’ – gehört ganz und gar nicht her; man mus zuerst gerade die Pflichten vertauschen und aufheben, die man als ein Lehrer der lutherischen Gesellschaft wirklich schon hat. Diese Vereinigung unserer kirchlichen Gesellschaft ist gerade um der täglichen Rotten, Secten [und] Trennungen willen, von uns eingewilliget; wir wollen keinem Menschen dis Recht einräumen, unsre Religionssocietät unter der beliebigen Gaukeley zu zerrütten, daß wir eine grössere Glückseligkeit für unsere Nebenmenschen alsdenn schaffen könnten. Die Liebe und Sorge für die Erhaltung fängt ganz gewis von sich selbst an; unsere Societät soll nicht zerrüttet werden, unter gar keinem Vorwande; am allerwenigsten von Herren Basedow und Bahrdt. Ist die Rede aber blos von ohnmasgeblichen Gedanken eines Privati für andere Privatos, da hat niemand etwas dawider; denn da bleibet alles Privatsache. 3) Die Beschuldigung, ich hätte hier politische Absichten’ gehabt – kann ich dem Urtheil des Publikum’s ganz und gar anheim geben; man siehet aber schon vielmehr, als der Recensent sagen wollte. Ich habe als Professor für die Bildung geschickter, würdiger, moralischaufmerksamer Lehrer zu sorgen; ich habe noch nie etwas vorgenommen, die [162] lutherische Religionsgesellschaft, ihren Grundsätzen, Absichten und Rechten nach, öffentlich zu zerrütten; denn da griffe ich in res publicas ein, darauf bin ich in meiner Bestallung nicht gewiesen: ich habe keinen Antheil an der Staatsverwaltung. Was für politische Absichten konnte ich aber nach 30 Jahren wohl haben? [Waren] diese Anstalten, eine ganz neue Religion aufzubringen, die Herr Basedow mit Herrn (D.)Doctor Bahrdt anfänglich gemeinschaftlich, kosmopolitischer Weise, bearbeitete, nicht wichtig genug, mich aufmerksam zu machen? 601In dem Almanach wird geäußert, ich hätte für meinen Applausum Schaden gefürchtet. Soll das hier etwa auch zu verstehen gegeben werden? Nun hierauf mag antworten, wer es der Mühe werth achtet. Herr Bahrdt hat keinem von unsern Magistris die Zuhörer genommen; ich denke immer er würde mir auch nicht alle entfernet haben. Meiner Denkungsart aber ist es darum nicht gemäs, weil ich, wie es zur Ehre unserer Universität notorisch ist, 602die größten, gelehrtesten Männer in der (theolog.)theologischen Facultät stets habe befördern helfen, von denen ich wußte, sie werden gewis mich übertreffen.

Ich gestehe es, daß ich den Unwillen nicht begreifen kann, womit diese Recension mich behandelt. Ich hatte es schon gesagt, daß Luther selbst in den schmalkaldischen Artickeln unsern Lehrern es frey gegeben hat; wie er seinen Catechismus eben so stellet, wer es besser kann, soll es so buntkraus machen als er will; wir sehen es auch [263[!]] an der 603 Confessio Saxonica und Würtembergica, daß man die augspurgische Confeßion für das tridentinische Concilium nicht geradehin wieder abgeschrieben hat. Selbst die Apologie zeiget es, was die Lehrgeschicklichkeit Tag für Tag, noch immer zusetzt, in der Erklärung eben derselben Sachen. Sacrificium und Sacramentum ist in der augspurgischen Confession noch nicht erkläret worden; 604aber in der Apologie geschiehet es: wirklich ohne den Inhalt der Lehren zu ändern. Eben so unbegreiflich ist es mir, daß von Zuhörern geradehin gesagt wird, sie seyen nicht intereßiret. Sie sind, manche wenigstens, nicht intereßiret bey den Formalien; aber auch viele behalten alle Worte des Unterrichts, den sie einmal gefaßt haben; will der Recensent sie bereden, es seye ihnen viel nützlicher, Herrn Bahrdts Bekenntnis nachzureden? Wir überlassen jedem Zuhörer, sich aus dem Unterricht eigene eigenthümliche Vorstellungen zu sammlen; weil es nicht möglich ist, daß die Formulare der Vorstellungen der Individuorum schon in irgend einigen libris Symbolis stehen sollten. Ist aber diese Freyheit, die ich als daseyend aufstelle, selbst zu denken, weil gar niemand anders für mich denken und glauben kann, eben so viel, als: folglich hat weder Lehrer noch Zuhörer eine Verbindlichkeit, oder ein Interesse, in Absicht der Grundbücher der lutherischen Kirchen, wozu sie selbst gehören? So schändlich mus man die Sachen verkehren, um ja mir vorzüg[164]lich alle Schuld zu geben, Herrn (D.)Doctor Bahrdt aber, in der Sache selbst, gar zu vertheidigen. Man kann ja sehen, 605ob ich je die Sache, Erbsünde, oder natürliche moralische Unordnung des Menschen, Genugthuung – weggeworfen habe; wenn ich gleich die eigene freye Erkenntnis davon fordere und behaupte.

Noch einige Gedult, mein Freund! die bahrdtische Beschuldigung, als wenn das kirchliche Lehrsystem der drey Kirchen, 606der Schrift und Vernunft entgegen laufe, zum Unglauben führe – wird auf diese Art, wider mein eigenes Urtheil, wider meine Antwort, recht geflissentlich gerettet. Der Recensent sagt, 607‘ich hätte bey der Vertheidigung diese Lehrsätze fast immer in einem gemilderten Sinne, also in einem andern genommen, als in welchem (Hr.)Herr (D.)Doctor Bahrdt sie bestritten habe.’

Sie werden, lieber Freund, zusehen, ob diese Retirade, die man für (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdt hier öffentlich besorget, in guter Ordnung geschehe? Ich muß wenigstens dahin sehen, daß ich dabey nicht unter die Füsse getreten werde. Zur Noth gesteht der Recensent doch, 608‘freylich hätte Herr (D.)Doctor Bahrdt seinen Tadel in gemässigtern und behutsamern Ausdrücken vorbringen sollen; indes habe er doch offenbar nur immer [165] auf die härteste und unschicklichste Vorstellungsart der angeschuldeten Lehrgründe, Rücksicht gehabt?’

Ohne Zweifel werden biedermännische Leser von dieser Entschuldigung urtheilen, daß sie wenig edle Aufrichtigkeit und 609 bonam fidem des Urhebers entdecke. 1) Es ist lange ausgemacht, daß unsern Lehrern es gewis nicht freystehet, noch weniger es geheißen ist, eben die unschicklichste Vorstellungsart vorzuziehen; daß sie vielmehr einen solchen Vortrag schaffen müssen, wornach die innere Würde und Wahrheit der Sache von jetzigen Zuhörern und Lesern eingestanden werden kann und mus; wenn sie nicht wider eigenes Gewissen, die Sache verdrehen wollen. Noch immer mus es eine aller Annehmung würdige Lehre seyn, daß Jesus Christus gekommen ist, bisherige Sünder in einen bessern Zustand zu bringen. Wir billigen nicht einmal 610 Flacianische Beschreibung der Sünde, wie es bekannt genug ist; und 611schon mehrmahlen habe ich Augustini Stelle (de catechizandis rudibus) nach dem Hyperius, wiederholet, aliter mus ein Lehrer handeln cum urbanis, aliter mit agricolis; aliter mit Hofleuten, aliter mit Gelehrten; aliter mit Lasterhaften; aliter mit ehrbaren Menschen. Selbst in meiner Antwort habe ich (S.)Seite 31. die Sache erklärt; und nun erwischt man diese meine ehrliche Anzeige, um Herrn (D.)Doctor Bahrdt zu helfen. 612Wenn also der Recensent zugiebt, Herr (D.)Doctor Bahrdt könne die Wahrheit im mildern Sin[166]ne, mit ehrlichen Grunde, nicht leugnen, und aber kein Lehrer befehliget ist, den gröbsten Sinn mit den gröbsten alten Beschreibungen zu behalten, und dadurch jetzt Anstos zu erwecken; wenn endlich in allen Lehrbüchern seit den 20–30 letzten Jahren gar keine von solchen härtesten und unschicklichsten Vorstellungen vorkommen: so bleibt es ja eine ganz unschickliche Beschuldigung aller drey großen Kirchen in Teutschland, was in dem Bekenntnis so unredlich geschrieben wurde. Wie so leicht ist es einem rechtschaffenen Mann, zu sagen, ich habe freylich hieran unrecht gethan! Ist das eine Beschimpfung für Herrn (D.)Doctor Bahrdt, oder für den Herausgeber dieses Bekenntnisses? Und ist es ehrlich und würdig gehandelt, in einer Zeit, wo man gleichsam schwärmt oder gaukelt, von lauter neuer Wohlthätigkeit und Glückseligkeit, daß man unsre so guten so ehrlichen Lehrer also beschreibet?

Aber 2) auch dieses näher zu untersuchen, wo ist denn dieser härteste Sinn oder Unsinn jetzt anzutreffen? In welchen symbolischen Büchern oder ihren Erklärungen? Jetzt will man dem Bekenntnis dadurch helfen, es habe nur auf den härtesten Sinn, von Erbsünde, Rechtfertigung, Genugthuung (etc.)et cetera gesehen – Kann man, ohne sich lächerlich zu machen, sagen, daß dis wirklich der Fall des Bekenntnisses ist? Und hat noch je jemand die öffentliche Religionslehre nach den privat Vorstellungen einzelner einfältiger Menschen, oder schlechter Verfasser, beurtheilet? Alle Leser [167] des Bekenntnisses sollen sich hiemit aufdringen lassen, was der Sinn des [Herrn] (D.)Doctor Bahrdts seye, damit er ja noch könne entschuldiget, ich aber verdammt werden. Es sollen Herrn Bahrdts unbehutsame Ausdrücke seyn; die Lehrsätze selbst aber sollen stehen bleiben. Gleichwohl redet das Bekenntnis von den Artickeln selbst, die er glaubet oder nicht glaubet. Es sind also so viel Kirchen, worinn Prinzen und Personen von erhabenem Rang, von Gelehrsamkeit und alter Frömmigkeit sind, es nicht werth, daß man sagen dürfte, Herr Bahrdt that in der Sache geradehin zu viel? Jener Recensent vorhin that also auch unrecht, daß er dis Bekenntnis so beurtheilte; er hätte nur sagen sollen, die Ausdrücke waren nicht behutsam; Herr Bahrdt redet wahr genug; denn er redet nur von dem gröbsten Sinn aller drey Partheyen. Nun, wenn solche grosse Kirchen ein mehreres nicht verlangen dürfen, sondern sich erst hier belehren lassen müssen, das Bekenntnis fehle nur in unbehutsamen Ausdrücken – so mus ich ja stille schweigen, und mus ja, wider alle Einsicht, glauben, was mir die christliche Religion zu glauben nicht auferlegte; ich mus glauben, 613daß ich aus Bosheit, aus politischen Absichten’, oder aus – unrecht gethan habe, durch meine Antwort den Recensenten in eine solche Enge zu treiben. Politisch unrecht habe ich gehandelt, ist völlig wahr; der Recensent aber handelt also politisch recht und klug, und verstehet es, sich in die Zeit zu schicken.

[168] Nun kommt der Text näher auf mich. 614 (Hr.)Herr (D.)Doctor Semler hätte dergleichen Aeußerungen dem Herrn (D.)Doctor Bahrdt nicht rügen sollen, da man in seinen Schriften auch dergleichen findet. So heißt es unter andern in der Vorrede des ersten Bandes seiner ascetischen Vorlesungen’“ – Hier sind Sie wohl, guter lieber Freund, schon selbst auf dem Wege, mich zu beschützen. 1) Die Angabe oder Thesis ist: in meinen Schriften kämen eben dergleichen Aeußerungen vor, 615Erbsünde, Genugthuung (etc.)et cetera seyen wider Schrifft und Vernunft unter die christlichen Lehrsätze aufgenommen worden; seyen Quelle der Sünden und Verachtung der christlichen Religion. Diese, dergleichen Aeußerungen sollten in meinen Schriften vorkommen? Nun, wenn es wahr wäre, würde ich dennoch nicht selbst es für unbehutsame Ausdrücke erklären dürfen. Aber ich hatte schon wider Herrn Basedows arme Urkunde gesagt, sucht ihr bis an den jüngsten Tag! 2) Wenn ich aber auch in der That also gröblich mich an den Lehrsätzen der christlichen Religion vergriffen hätte: würde dis etwas helfen zur Entschuldigung dieses Bekenntnisses? 616Sonst war es schlechter Trost, Socios habuisse malorum [.] 3) Aber gar aus der Vorrede zu ascetischen Vorlesungen; die ich für meine Zuhörer zu allernächst bestimmt habe, die auch wahrlich nicht zur Verachtung der Religion dadurch von mir sind verleitet worden! Lesen Sie doch, mein Lieber, meine Worte noch einmal: 617 [„] den meisten Streitigkeiten in der Formula concordiae gehet es so, [169] daß man nemlich über die Art und Weise einer Vorstellung so eifersüchtig wurde, als wenn alle Kraft und Wirkung der Sache selbst (diese Partheyen behielten Erbsünde, Bekehrung, Rechtfertigung (etc.)et cetera) (z. E.)zum Exempel im Abendmal an solche einzige Vorstellung und Redensart, von Gott gebunden wäre. Diese Mangelhaftigkeit der Einsicht und eigenmächtige Bestimmung einer einzigen Art der Vorstellung von einer Sache, hat von je her die leichte und unanstößige Ausbreitung und Erfahrung der christlichen Religion gehindert, und noch jetzt ist dieses die vornehmste Ursache von sehr vielem Anstos, der endlich zur Verwerfung der ganzen Sache gereichet, weil es den Schein hat, eine Gesellschaft von Menschen wolle sich das Recht geben, die innern Vorstellungen andrer Menschen unter Vorschriften und gleichförmige Gesetze zu fassen; da doch Gott selbst dergleichen Verschiedenheit der [Vorstellungen] nicht nur zuläßt und duldet, sondern auch befördert und erhält.“’

Ist diese meine so wahre so ernsthafte Aeusserung wirklich eben dergleichen als das Bekenntnis enthält? Könnten Sie, lieber Freund, und noch etliche Biedermänner sagen, ja: so wollte ich gern gestehen, ey so habe ich zu stark geschrieben; aber in guten Absichten; denen mein Lebenswandel auch eine Glaublichkeit schaft. Allein nehmen Sie diese Streitigkeiten in formula concordiae. Sind 618 tres caussae conuersionis, wie Melanchthon diese Lehrart von dieser Sache, conuersio, hat, oder nicht? Dis ist die Frage; derjenige Mensch, [170] der seine Bekehrung aus 3 caussis erkläret, hat eben dieselbe eigene moralische Aenderung erfahren, als derjenige, der diese 3 caussas leugnet; und mit der Formula concordiae nur 2 caussas vor der Bekehrung ansezt. Diese Zweierley Gelehrten stritten also über modificationem ihrer Vorstellung, und über Bedeutung des Wortes caussa. Daher konnte ich ja mit Recht angehende Lehrer warnen, ja nicht auf solche Streitigkeiten selbst zu fallen, und sie für wichtig zur christlichen Erbauung zu halten. Noch dazu ist 619in unsern Staaten keine Formula concordiae den Lehrern vorgelegt. Weiter, redete ich etwa hiedurch von der augspurgischen Confeßion, und andern, allen lutherischen Lehrern gemeinen Büchern? Gewis nicht; denn nur ein Ungelehrter könnte sagen, es seyen darinn allgemeine Vorschriften über die einzige Art der Vorstellungen für alle Lehrer und Zuhörer schon enthalten; und die eigene Vorstellung seye einem privat Christen genommen und untersagt worden. 620Die Ueberschrift des 3ten Theils der schmalkaldischen Artickel gehört wieder her. Der Lehrer soll bey seinen Zeitgenossen Vorstellungen erwecken, die sie wirklich zu den Ihrigen machen können; wenn sie gleich nicht gelehrt und systematisch denken. Eben darinn, in dieser eigenen Erkenntnis ist die Zufriedenheit und Verbindung der Lutheraner gegründet; sie können kein anderes Religionssystem verlangen; und ich, der diesen Sachen doch warlich zugesehen hat, konnte am wenigsten von der Parthey seyn, die es sich zur Merite ma[171]chen will, alle Religionspartheyen in einer einzigen Lehrform zu vereinigen; ich sehe den innersten Widerspruch, den Widerstand Gottes in seinem Plane. Und nun mus weiter folgen, auch aus Herrn Bahrdts Bekenntnis kann und soll ein Lehrer alle diese Lehren eben so vortragen, daß die Zuhörer über Bekehrung, Genugthuung – ferner eigene practische Gedanken bekommen. Ist dis nicht gar lächerlich?

621 ‘Noch ein Beyspiel, daß ich mir eben solche Beschuldigungen vormals erlaubt hätte, als ich jezt an Herrn Bahrdt tadelte. In dem Versuche einer freien Lehrart, (S.)Seite 454 –’ Ich brauche dis nicht abzuschreiben. Genug 1) 622der Recensent ist so übereilt, daß er des Richard Baxters Worte nicht einmal unterscheiden konnte. In der That sind es die Worte dieses Engeländers vor 100 Jahren. 2) Umgekehrt aber ist es ein klarer Beweis von dem Ungrund solcher Beschuldigungen wider die protestantischen Kirchen. Wenn schon vor 100 Jahren Gelehrte stets darauf gesehen haben, daß bey uns nicht die fehlerhafte Erbaulichkeit einzelner Lehrer, an die Stelle der Lehre ohne solche individuelle Modification, gesezt werden soll; wenn sie ganz frey solche Fehler der Einbildungskraft getadelt und widerlegt haben: so ist es doch ganz gewis nicht [an dem], daß wir eine Lehrvorstellung von Genugthuung – forderten, welche wider Schrift und Vernunft anstiesse. Will wohl jemand lauter neue ganz andre Gesänge schaffen, weil es hie und da schlechte giebt?[172] Oder ganz andere Gebete, weil manche schlechte ehedem gedrukt worden? Es ist also nicht an dem daß in den libris Symbolicis, eine harte anstössige Lehre uns vorgeschrieben seye. Es ist nicht an dem, daß wir die Worte und Redensarten dieser Bücher jezt behalten und nach lallen müsten die sich doch nur aufs 16te Jahrhundert bezogen haben. Die Lehrsätze, die Sachen, gehören zu dem Inhalte der Grundbücher unserer Gesellschaft, wie ich schon gesagt habe; nicht aber Formalia. Die Frage, 623 ‘sollte Herr Bahrdt bey seinen Einwendungen gegen die Genugthuungslehre, nicht auch hauptsächlich die so gewöhnliche Entgegensetzung des Vaters und des Sohnes, beym Wercke der Erlösung im Sinn gehabt haben’: kann ja niemand besser beantworten, als Herr (D.)Doctor Bahrdt selbst; er kann ja allen andern Sinn wiederrufen; aber folglich auch, 624 daß Gott blos um eines Menschenopfers willen Sünde vergebe, nicht uns als Lehrsaz andichten. Er sagte ja ausdrüklich (S.)Seite 22. 23. daß er ‘die Lehrsätze seiner Kirche hiemit geprüft, und das Resultat der Prüfung hiemit bekannt gemacht habe’; soll dis aber ganz was anders heissen, die Entgegensetzung – so hätte er ja auch ganz anders schreiben müssen.

Immer näher zum Ende. Der Recensent nimmt sich nun seines Clienten so an, daß er ohne [173] Umstände sagt 625‘ich hätte darum keine hinlängliche Vertheidigung der von Herrn Bahrdt angeschuldigten Kirchenlehren gegeben, weil ich sie nicht in dem Sinne vertheidigte, worinnen das Glaubensbekenntnis sie verwirft’“. Dis heißt doch wirklich, jene Beschuldigung und Prüfung der Lehrsätze der drey Kirchen, habe ihren guten Grund, 626 ‘Herr (D.)Doctor Bahrdt hätte nur noch seinen Tadel in gemäßigten und behutsamen Ausdrücken vorbringen sollen.’ Diese Partheylichkeit, welche in der sonst so angesehenen berlinischen Bibliothek jezt, Herr (D.)Doctor Bahrdt zu Liebe, Plaz findet, ist sehr gros und sichtbar. Wenn nun die Theologen der drey Kirchen urtheilen, 627 quod quis per alium Facit – in welchen Verdacht kommt diese Bibliothek? Daß sie nemlich hier [Herrn] (D.)Doctor Bahrdt so ausdrücklich in öffentlichen Schutz nimmt, daß die bisher würdige Lage der drey Kirchen im öffentlichen Staat, wirklich den Makel behält, wir lehren in einem solchen Sinne ‘Erbsünde, Genugthuung (etc.)et cetera (etc.)et cetera welchen Sinn Herr (D.)Doctor Bahrdt mit Recht tadelte in jenem Bekenntnisse. Wenn nun aber die Leser nothwendig zuerst an Herrn (D.)Doctor Bahrdt selbst dencken, der, 628nach mehrern uns bekannten Auftritten seines Lebens, endlich uns ein solch Bekenntnis, nachdem er sich dort weg begeben hatte, anbietet, worinn der Tadel guten Grund haben soll, in einem Sinne, den Herr Bahrdt jezt soll genommen haben; ich sage, wenn die Leser die 629 wormsischen Dinge gar wohl kennen: wo sollen sie denn dem Herrn (D.)Doctor Bahrdt [174] die grosse Hochschätzung der christlichen Religion zutrauen, 630daß ‘ihm das Herz blute’, über ‘allen Systemwust’ in unsern Kirchen, und er dis Bekenntnis darum habe bekannt machen müssen, um dem fernern Unglauben zu wehren, den unsre Lehren befördern sollen? Indes, war es denn nicht höchst nöthig, den Sinn zu bestimmen, den wir lehreten, und den er nun doch so verwerfen wollte, daß ein neu Religionssystem nöthig seye? Der Text lautet: 631daß ‘Gott um eines Menschenopfers willen’ – dis hält er selbst für die Summe der Lehre von Genugthuung; und darum verwirft er diese ganze Lehre. Ich habe die allen drey Kirchen gemeinschaftliche Lehre von Genugthuung, wider eben diese Beschreibung vertheidigt; sie läßt es nicht zu, daß man sie durch ein Menschenopfer – erkläre. In welchem Sinn hat nur Herr (D.)Doctor Bahrdt diese Genugthuung so verworffen, daß meine Vertheidigung nicht zulänglich ist? Und für wen ist meine historische Vertheidigung nicht genugthuend? Für den Recensenten: kann er denn beweisen, daß dieser angebliche andre Sinn zu unserer Kirchenlehre jemalen sey gerechnet, oder uns gar vorgeschrieben worden?

‘Nun sollen Beyspiele angeführt werden. 632Meine Antwort ( (S[.])Seite 44. meiner Antwort) auf das, so Herr Bahrdt wider die gewöhnliche Vorstellung von Erlösung und Genugthuung eingewendet hat, weiset dieses nicht ab’‘trift (Hrn.)Herrn Bahrdt gar nicht; jeder Socinianer, ja jeder von irgend einer christlichen Parthey kann dis unterschreiben, und [175] die Erklärungsart, die er für die schicklichste hält, dabey in Gedanken haben’ – Ich mus den Vorwurf abtheilen. Ohne mich aufzuhalten, will ich nur anzeigen, daß ich (S.)Seite 44. von einer ganz andern Sache zu reden hatte; nemlich ‘von der Nothwendigkeit einer Genugthuung’. Dieses habe ich in der wider mich angeführten Stelle (S.)Seite 44. recht gut beantwortet; 633Herr (D.)Doctor Bahrdt that unrecht, daß er diese Bestimmung der Nothwendigkeit (a parte Dei) mit zu unserer Glaubenslehre rechnete; es war schon seit den Scholastikern theologische Aufgabe, und keine Glaubenslehre. 634Darum schreibe ich: wir freuen uns, daß sie da ist (etc.)et cetera (etc)et cetera. 635Warum nahm nun aber der Recensent nicht meine Antwort auf das 3te Stück (S.)Seite 74. 75. wo Herr Bahrdt, um Christi willen, wie wir lehren, erklärte, um eines Menschenopfers willen? Hier war die Hauptsache. Der Recensent hätte also von diesem meinen Vortrag sagen sollen, ob Herr (D.)Doctor Bahrdt und Socinianer – ihn auch unterschrieben? Ueberhaupt stehet es mir ja frey, meiner Erkenntnis zu folgen; wenn ich die Sachen so gut beschreibe: so liegt weder mir noch der protestantischen Kirche, etwas an dem lateinischen Worte Satisfactio. Mus denn nicht ein jeder Christ die Erklärungsart vorziehen, welche er in jetziger [Zeit] für die schicklichste hält? Warum soll er sie nur in Gedanken haben? Darf man gar nichts in Gedanken haben, um es für sich zu brauchen? Wird es sogleich auch andern nützlich, wenn sie es auch wissen?

[176] Ich mus auch den Vorwurf herschreiben: 636‘hier ist kein Wort von der Art und Weise der Erlösung und Genugthuung (Art und Weise, gehört nicht zum Glauben der Sache;) wie sie in [den] symbolischen Lehrvorschriften vorgetragen wird.’“ Sollte ich denn 1) erzählen, wie wir Satisfactionem den römischen Lehrern damalen entgegen setzten, davon viele, mit den patribus, nur Erbsünde und Tod – hinrechneten? Ist es etwa einem Lehrer befohlen, stets die Zeilen und Worte zu sagen? wenn nun aber (Hr.)Herr (D.)Doctor Bahrdt hier die gewöhnliche Vorstellung von Genugthuung angegriffen hat, wie sie in den symbolischen Büchern stehet, sagen Sie, Freund, wie hat er denn nur unvorsichtig sich ausgedruckt, und die gröbste Ideen vor Augen? Ich dächte der Recensent widerspräche sich sehr derb; Herr Bahrdt soll nur auf die härteste und unschicklichste Vorstellungsart gesehen haben, sagte der Recensent (S.)Seite 47. Hier (S.)Seite 49. sagt er, Herr Bahrdt habe so stark wider die gewöhnliche Vorstellung opponiret, daß meine Antwort ihn nicht träfe; er hält mir gar vor, ich hätte von der Genugthuung, wie sie in den symbolischen Büchern vorgetragen wird – und welche also Herr Bahrdt geleugnet, kein Wort gesagt. Aber ich will ihm den Widerspruch schenken, und nur noch sagen, daß die Rede nicht davon war, ob wir 637 obedientiam actiuam, passiuam, Stellvertretung – und noch [177] vielerley Beschreibungen haben, die ich freylich nicht alle daher setzen mußte: sondern davon, ob irgend eine Vorstellung in unsern symbolischen Büchern 638der Schrift und Vernunft entgegen, und blos dem Unglauben – beförderlich seye, wie Herr (D.)Doctor Bahrdt behauptet hatte. Will der Recensent etwa hiemit selbst sagen, in unsern symbolischen Büchern seyen solche Beschreibungen von obedientia actiua, passiua, und Stellvertretung, welche allerdings mit Grunde in diesem Bahrdtischen Bekenntnisse verworfen worden seyen: so müssen wir sehen, ob er einen neuen Beweis davon geben wird; und nur uns besinnen, daß wir lutherischen oder protestantischen Christen doch eben das Recht behalten, unser Gewissen hier selbst anzuwenden. Dis habe ich recht weitläuftig beschrieben bis (S.)Seite 80. Man könnte ja hiemit zufrieden seyn, wenn man nicht selbst noch ganz andre Absichten hätte.

Die andern Beyspiele sind eben so gezwungen. Kann Herr (D.)Doctor Bahrdt meine Erklärung gar mit seinem Bekenntnis reimen: so hatte er keine Ursache unsre Lehrsätze so greulich zu beschreiben. Die Wortspielerey will ich nicht aufdecken; es ist nicht möglich daß er eben die Vorstellungen mit meinen Worten verbinde, die ich habe; nachdem sein Bekenntnis uns seine gänzliche Entfernung von unserm Lehrsystem, und jene Projecte – entdeckt hat. Und von [178] der Bekehrung? Wenn ich also daran recht schreibe, unsre Lehre von Bekehrung bringt nicht Sünde – hervor; so war ja Herrn Bahrdts Tadel ungegründet. Denn eine 639 ‘Ueberredung, ich kann nichts – ich mus Gotte nur stille halten’: ist nicht ein Theil der unausbleiblichen Folge dieser unsrer Lehre. Denn wir lehren ja zugleich, nun, durch diese christliche Heilsordnung und Kenntnis, werde eben das Vermögen, actiuae, im Menschen hergestellet, wider seine habituelle vorige Gewohnheit, da er ein Knecht der Sünde war.

Nun sind wir endlich fertig, mit dieser so ernsthaften, auf mich so sehr bösen Recension. Denn die Betrachtung, 640 das Vorhaben gewisser Männer, eine Universalreligion oder allgemeines Christenthum, aufzurichten – seye nicht so zu verachten: – will ich gar nicht weiter beurtheilen. Ich habe in der That so ein Herz für alles Gute, als je sich manche beylegen mögen, deren Leben offenbar so wenig privat – als Universalchristenthum an den Tag leget. Und solche Leute kann ich doch wohl gerade beurtheilen! Ob es nöthig gewesen ist, daß ich so ernsthafte Anstalten gegen einen (nach meinem Urtheil) ganz unthunlichen Entwurf gemacht – werden meine Zeitgenossen wohl selbst einsehen; die sich noch immer darinn nicht finden können, daß – wenn Entwürfe zur Empfehlung der Religion, Tugend, und zu grösserer Glückseligkeit der Nebenmenschen gemacht werden sollen: [179] so müssen wenigstens solche Leute nicht dazu kommen, deren Religion und Tugend uns allen so unbekannt ist. Und doch hält sich der Recensent die Spötterey über mich zu gute 641‘meine Bemühung könne nur darauf abzwecken, die Verschiedenheit der Kirchenverfassung und die Mannigfaltigkeit jener Localsysteme in der christlichen Welt aufrecht zu erhalten; die zwar bis ans Ende der Tage öffentlich gelehrt werden sollten, aber eben nicht dürfen geglaubt werden.’ [“]

Es mus doch immer dem Recensenten, (gewisser Umstände wegen,) viel daran liegen, mir ja recht wehe zu thun; auch durch matte, unwürdige Spötterey! Die Localsysteme (die zur Scienz für Gelehrte, und nie zum Glauben der Christen gehören) habe ich nicht hervorgebracht, kann sie auch nicht aufheben, wenn ich auch Lust hätte, in jene Universalgesellschaft überzutreten. Es weis ja wohl ein jeder, daß äußerliche Religionsverfassung zum äußerlichen bürgerlichen Staat gehört; daß besondere Grundsätze eine Religionsparthey von andern unterscheiden, zu Folge der Localität, die gar nicht menschlicher Macht unterworfen werden kann. Die Grundsätze des Protestantismus kann niemand in der Absicht aufheben wollen, um alle Religionspartheyen in Teutschland oder gar in Europa zu vereinigen; ihre Religionssysteme gehören zu ihrer Religionsgesellschaft. Diese Systeme hat noch niemand zum Glauben, zur Seligkeit einzelner Christen gerechnet; sondern zu einer Ordnung, worinn Mittel [180] zum Endzweck festgesetzt sind. Der nächste Endzweck der protestantischen Kirchengesellschaften, den sie durch ihre Kirchenordnung, und Vorschriften der Lehre, durch die sie ehedem vom Pabstthum abtraten, noch jetzt erreichen wollen; ist ihre eigene Erhaltung und Fortsetzung, wider tägliche Zerrüttungen und Unruhen. Alle Gesellschaften haben eine äußerliche Ordnung, woneben aber aller privat Fleiß, und Geschicklichkeit – frey gelassen wird. Der Erfolg der öffentlich festgesetzten Lehrordnung in den Mitgliedern, ist auch an sich selbst frey; niemand hat ein Gesetz gegeben; was für Vorstellungen der Leser oder Zuhörer sammlen und verknüpfen soll; sinnliche, oder reine; zusammenhängende, oder ganz einzelne, die er nach einer eigenen Ordnung so und so wieder erweckt; dis ist seine Privaterbauung. Ich sehe nicht, wo die Sorge des (N. N.)Notetur Nomen für größere Glückseligkeit der Nebenmenschen, ihren Grund herbekommen könne? Die ehemalige päbstliche Vnitas der Kirche möchte hier wieder hervorkommen, wo einige Projectmacher, welche neue Orden stifteten, freylich auf einmal hoch steigen mußten; und wir andern armen Leute, möchten unsere moralische Glückseligkeit und Freyheit unsers Gewissens, wieder der angeblich größern Glückseligkeit des Ganzen, geduldig aufopfern. Indes, ich will diesen Spott und alles übrige mir nachtheilige lieber tragen, und der Kirchengesellschaft, zu der ich gehörte, ehe Usurpatores und 642 Kraftgenies aufstanden, hiedurch einen gegenwärtigen [181] ernstlichen Dienst leisten; den andere inskünftige erst versprechen, wenn ich und meines gleichen Gelehrte von der Religionsgesellschaft, die uns unsre Lage anwies, völlig unserer Dienste entlassen seyn werden.

Hiemit mögen diese Briefe über die Berlinische Bibliothek aufhören; ob ich gleich willens war, über 643noch andre Recensionen mich einzulassen, zumahl von der Biographie; die auch kein Muster der Unpartheilichkeit ist. Ernstlicher redet der 644Verfasser der Recension des wahren Characters des (Hrn.)Herrn (D.)Doctor Bahrdts in vertraulichen Briefen (etc.)et cetera wenn er sagt, Herr (D.)Doctor Bahrdt hat die gerechteste und dringendste Veranlassung, um seinen guten Namen zu retten, freymüthig und offenherzig die wahre Beschaffenheit jener Umstände und Vorfälle, die man ihm hier zur Last leget, dem Publicum vorzulegen. Dis ist ein Biedermännisches Urtheil; dis haben schon seit aller dieser Zeit alle gute Zeitgenossen gefället, welche doch freylich ihr Recht behalten, über diese große Aufgabe ernstlich zu denken. Es ist dis die dringendste Veranlassung seinen guten Namen zu retten – Daß die Schreibart 645 pasquillantisch seye, in diesen Briefen, wird nicht von allen Lesern so leicht eingesehen, als bey dem Kirchen- und Ketzer Almanach; und wenn 646der weggelassene Name des Druckorts [182] und Verlegers, einen sehr gegründeten Verdacht wider die Wahrheitsliebe und die gute Absicht des Verfassers erreget, oder ihn nicht wenig zu bestätigen scheinet: so ist es gerade der Fall dieses Almanachs. Von jenen Briefen ist übrigens der 647Druckort und Verleger eben nicht unbekannt; und hätten freylich viele Zuschauer dieses Auftrittes es desto mehr erwartet, daß die 648 actio iniuriarum erhoben werden würde, 649da Herr (D.)Doctor Bahrdt noch so angesehene Verwandte in Leipzig hat. Die gegründete Achtung des Publikums gegen Herrn (D.)Doctor Bahrdt in Absicht des moralischen Characters, würde auf einmal sich wieder heben, und viele andere Dinge würden sich in eine bessere Lage bringen lassen, wenn er diese dringendste Veranlassung ernstlich anwendete, seinen guten Namen zu retten; sollte es auch in einem 650Zusatz zur verbesserten Auflage des Almanachs geschehen; oder 651in dem Schulalmanach, darinn – besonders Herr – so sehr gepriesen werden soll.

5.

[1]


Berlin,
bey 652 August Mylius, 1780.textgrid:3vrhn
[2]

[3] Ich habe bereits 653in einer kurzen Erklärung textgrid:3rnnd, welche ich in des Herrn Mylius Verlag, im vorigen Jahr, auf einen halben Bogen, bekannt gemacht habe, mich über die Absichten meines Glaubensbekenntnisses herausgelassen, und dieselben gegen zudringliche Beschuldigungen nothdürftig vertheidigt. Diese Erklärung mußte für den damaligen Zwek kurz seyn, und ich habe nicht geglaubt, jemals einer längern und weitläuftigern zu bedürfen: zumal da es mein herzlicher Wunsch war, [4] daß jenes mir durch einen Reichsbefehl abgedrungene Bekenntniß, als eine Sammlung theologischer Vorstellungsarten eines unbedeutenden Privatmanns, eben so schnell vergessen werden möchte, als es war gelesen worden. Denn es war nichts weniger als meine Absicht, mit jenem Bekenntniß einiges Aufsehen bey der Nation zu erregen. Und es hat dieser abgenöthigte Schritt auch gewiß nicht durch mich selbst, weder durch meine Person, noch durch die Art, wie ich ihn gethan, sondern vielmehr durch den 654öffentlichen Befehl der höchsten Reichsgerichte seine Publicität erhalten, und die Aufmerksamkeit meiner Zeitgenossen rege gemacht.

Gleichwohl scheint das deutsche Publikum, zu meiner wahren Bekümmerniß, noch immer jene unwichtige Schrift, nicht nur als einen Gegenstand zu betrachten, an welchen man [5] seine Gabe zu ahnden und zu weissagen üben muß, sondern sie auch als eine unvermeidliche Veranlassung zu wichtigen Schritten von Seiten meiner, und zu merkwürdigen Folgen von Seiten der Nation zu betrachten – weil einige, denen es nicht genügen will, mich durch die Geständniße meiner Privatmeinungen unglücklich zu sehen, durchaus fortfahren, mir die Absicht schuld zu geben, 655als ob ich mich aus Leichtsinn und Uebereilung von der lutherischen Kirche losgesagt, und die Stiftung einer neuen Secte erzielet hätte.

Dieser kränkende Vorwurf, den ich so oft und öffentlich hören muß, nöthigt mich, noch einmal, und – meinem festen Vorsatze nach – zum leztenmale die Feder zu ergreifen; und mich über mein genanntes Glaubensbekenntniß bestimmt und [freymüthig] zu erklären.

1,
2,

[6] 1.

Ich bezeuge also zuvörderst, daß jene Schrift 657nicht Folge des Leichtsinns und der Uebereilung war. – 658Ein höchstes Reichsgericht hatte geurtheilt, ich müsse wegen meiner Uebersetzung des neuen Testaments, aller meiner Aemter entsezt werden; und dabey ausdrücklich anbefohlen, daß ich in einer, an den Reichsbücherkommissarius einzuschickenden, Druckschrift, mich über die meiner Uebersetzung schuldgegebenen Irrthümer erklären, oder aus dem deutschen Reiche weichen solle. Nun war es zwar weder überhaupt, noch durch 659die eingeholten Responsa erwiesen, daß ich, in gedachter Uebersetzung, Hauptlehren der Kirche angegriffen, oder Grundirrthümer ausgestreuet hätte: vielmehr zeugen jene Responsa zur Genüge, daß eine eigentliche Verwerfung wesentlicher Lehren des Christenthums, aus meiner Uebersetzung schlechterdings nicht zu erzwingen sey: indessen mußte ich mich, da diese Richter mir keine Vertheidigung gestatten, noch meinen damaligen Landesherrn, den durchlauchtigsten Fürsten von Leiningen, die ihm allein gebührende [7] Untersuchung der Sache überlassen wolten, jenem Urtheil unterwerfen, mir meine Absetzung *) gefallen lassen, und die Verlegenheit, in die mich jene mir überdem noch abgesonderte Erklärung versezte, eine überströmende Quelle meines Unglücks werden sehen. Denn bisher hatte ich, nach dem allgemeinen Recht der Menschheit, von den Lehrsätzen der Kirche denken können, was ich gewolt. Aber jezt – mußte ich entweder, wider meine Ueberzeugung, Sätze, die ich im Herzen verwarf, öffentlich bekennen, oder mich (nach einer gewissen doppelten Lehrart) hinter zweydeutige Ausdrücke verstecken, oder, der Wahrheit ein Opfer bringen. Mancher Andrer würde freylich in meiner Stelle den Mittelweg gewählt haben. Und es fanden sich auch einige unter meinen Bekannten, welche mir riethen, nicht gerade herauszugehn, [8] sondern mich, in gemilderten Ausdrücken, so zu erklären, daß man mir nicht beykommen könnte. Allein dieser Weg schien mir, – vielleicht habe ich mich geirrt, vielleicht auch nicht – genung 661mir schien dieser Mittelweg eine niederträchtige Heucheley zu seyn. Denn so lange mich keine Obrigkeit um meinen Glauben, in Absicht auf das Detail einzelner und besonderer Begriffe und Vorstellungsarten, befragt hat, so lange habe ich freylich meine Privatmeinungen für mich behalten und verhelen können, ohne mein Gewissen zu verletzen – weil mir die Religion ein so weites Feld des Unterrichts zum Trost und zur Belehrung meiner Gemeinen eröfnete, 662daß ich im Volksunterricht nie nöthig hatte, jene streitigen Punkte zu berühren, wo ich von den Vorstellungsarten des grossen Haufens abwich. – Aber, da ich jezt von dem höchsten Richterstuhle des Reichs aufgefordert ward, Lehrsätze, die ich nicht so glaubte, wie sie der große Haufe glaubt, nicht nur öffentlich zu bekennen, sondern auch in einer Druckschrift zu erklären, daß ich sie nie zu leugnen willens gewesen, – da, sage [9] ich, meine Richter nach meiner innern, geheimen Ueberzeugung ausdrücklich fragten – da konnte ich, bey dem Vorschlage, mich hinter Zweydeutigkeiten zu verstecken, mein Gewissen ohnmöglich beruhigen. Ich hielt es für Pflicht, meine Privatmeinungen freymüthig herauszusagen. Vielleicht daß Andre anders urtheilen. Genung ich urtheilte so, und mein Urtheil ist noch jezt das nemliche. Ich war schuldig, die Wahrheit, so nackend und rein, wie sie in meiner Seele lag, darzustellen. Und ich habe sie gesagt, das heißt, ich habe meine Ueberzeugungen, wie sie damals in meinem Gemüthe sich vorfanden, offenherzig gestanden. Ich habe mich dabey sorgfältig geprüft. Ich habe alle Winkel meines Herzens durchsucht, um wahre, feste Ueberzeugung, von heimlicher Prädilection zu Lieblingsmeinungen, wohl zu unterscheiden. Ich habe das Resultat einer funfzehnjährigen ehrlichen Wahrheitforschung in meiner Seele aufzufassen und meiner Feder mitzutheilen gesucht. Kurz, was ich geschrieben habe, habe ich in keinem Betracht aus Leichtsinn [10] oder Uebereilung geschrieben. Und ich schmeichle mir, daß wenn ich einst Gelegenheit haben solte, mich über mein Glaubensbekenntniß näher zu erklären, die Worte desselben genauer zu bestimmen, und von diesen so bestimten Worten meine Gründe der Welt vor Augen zu legen, jedermann werde gestehen müssen, daß sehr, sehr viel Ueberlegung vor Abfassung dieser Schrift angestellt worden sey. Habe ich es, in Ansehung der Art des Vortrags, in welchen ich dieß abgenöthigte Geständniß meiner Ueberzeugungen eingekleidet habe, einem oder dem andern nicht nach seinem Sinne gemacht, so ist das meine Schuld nicht. Denn dieß ist das unvermeidliche Schicksal aller menschlichen Handlungen, daß keine den Beyfall aller hat: weil jeder einen andern Maasstab hat, nach dem er sie mißt – jeder eine andre Wage, auf der er sie wiegt – jeder einen andern Gesichtspunkt, aus welchem er sie begaft oder – beurtheilt. Genung, daß die Bekanntmachung selbst mir nicht zu schulden kommen kann. Denn sie war Folge des Gehorsams. – Aus freyem An[11]triebe hätte ich vielleicht – gewiß weiß ich es nicht, so wenig ein Mensch in der Welt es weiß, was er in der Zukunft thun wird – vielleicht nie so laut und deutlich gesprochen, wenigstens bey meinem Leben nicht. 663Aber auf Befehl des Reichsrichterstuhls mußte ich; was auch Gott für Folgen über diesen Schritt des willigen Gehorsams zu verhängen beschlossen haben mochte. Und was aus einem solchen Gehorsam entsteht, wären es auch die allerwichtigsten Ereignisse, kann nur der Befehlende, nie der Gehorchende, zu verantworten haben.

1,
1,
2,
3,
4,
5,
6,

2.

Ich bezeuge zweytens, daß ich mich durch mein Glaubensbekenntniß, welches – ich sage es noch einmal, nichts, als abgenöthigtes Geständniß meiner Privatmeinungen war – keinesweges von der lutherischen Kirche habe lossagen wollen. Denn

  • a) erstlich, hört niemand auf ein Glied der Kirche zu seyn, der, im [12] Stillen, den oder jenen Lehrsatz der Kirche sich anders vorstellt, als der große Haufe. Sonst müßten gar viele Lutheraner, Reformirte und Katholiken aufhören, das zu seyn, was sie sind. Denn der innere Glaube wird, durch die äußere Gesellschaft, zu der man sich hält, nicht bestimmt. Jeder selbstdenkende Christ hat seine Religion für sich, das heißt, er folgt innerlich seiner Ueberzeugung, und äußerlich hält er sich, – weil er zu einer sich halten muß – zu einer Kirche, welche ihm vergleichungsweise die Beste dünkt, oder – gewöhnlichermassen zu der, in welcher er geboren ist. Und da die innere Religion zu den Rechten der Menschheit gehört, so ist leicht begreiflich, daß darüber weder Fürst noch Consistorium zu gebieten hat. Die Obrigkeit wacht nur über das Aeußerliche, so fern die Kirche eine Gesellschaft ist. Und ob einer zu einer Kirche gehöre, und, zu welcher er gehöre, das kann nicht nach den Meinungen und innerlichen Vorstellungen der Seele, sondern nach den äußerlichen Handlungen beurtheilt werden. Wer sich also äußerlich zur lutherischen Kir[13]che hält, ihre Gottesdienste besucht, ihre Sakramente gebraucht (etc.)et cetera der ist ein Lutheraner, er mag innerlich glauben, was er will. – Und das habe ich bisher gethan. – Ueber die äußere Religion mögen Menschen richten, über die innere kann nur Gott Richter seyn. – Und man sage hier nicht etwa, daß durch mein Bekenntniß meine Religion aufhöre, eine bloß innerliche zu seyn, und daß sie folglich dadurch, daß ich meine Meinungen laut gesagt habe, ein Object der weltlichen Obrigkeit werde. Denn dieser Einwurf fällt augenblicklich in sein Nichts, wenn man erstlich überlegt: daß Privatmeinungen, die auf höchsten Befehl laut gesagt werden, dadurch nicht aufhören, Privatmeinungen zu seyn; – zweytens: daß auch derjenige, der einzelne Vorstellungsarten seiner Kirche bezweifelt, auch wenn er seine Zweifel laut sagt, deswegen noch nicht aufhört, Glied seiner Kirche zu seyn. Denn es kommt ja darauf an, wie er es sagt. Wenn ich (z. B.)zum Beispiel über das Gesetzbuch meines Königs meine Meinung sagte, und ein oder anderes Gesetz, in einem gewissen vorausgesez[14]tem Sinne, in Absicht auf seine Güte oder Nuzen bezweifelte, würde ich dadurch ein Rebell werden? Und wenn ich so gar in einer Druckschrift, über einzelne Gesetze, Bedenklichkeiten äußerte, und dem Landesherrn einige gründliche Verbesserungen ehrerbietig vorlegte: würde ich dadurch aufhören, ein Unterthan meines Regenten zu seyn? Würde man mir um deswillen schuld geben, daß ich mich vom Staate losgesagt hätte? 664Oder würde mein Wahrheitliebender König nicht vielmehr diese Vorschläge prüfen lassen, und mich, wenn sie gründlich und dem Lande heilsam wären, dafür belohnen? Also – kann ich ja hundert Religionszweifel haben, auch diese Zweifel, und meine vermeintlich bessern Vorstellungsarten laut anzeigen, – so lange ich Gottes Wort und die Sakramente meiner Kirche beybehalte, und mich nicht selbst, öffentlich, – mit deklarirter Resistenz gegen alle Belehrung, – von ihr lossage, so lange bleibe ich Mitglied meiner Kirche. Und so berufe ich mich nun
  • [15] b) auch auf den Augenschein – in meinem Glaubensbekenntniß selbst, welcher jeden, der nur sieht, was er sieht, nicht, was er sehn will, zu dem Geständniß nöthigen wird, daß nicht eine Spur von jener Lossagung darinnen zu finden sey – und – wem damit noch nicht genüget, den erinnere ich
  • c) an jene unzählbare Menge von Beyspielen und Vorgängern, welche lange vor mir, ihre Privatmeinungen über einzelne Vorstellungsarten des Kirchensystems, laut genung gesagt haben, ohne deswegen für Abtrünnige erklärt worden zu seyn. Ich bin zwar nicht im Stande, jezt ein vollständiges Register derselben aufzustellen, dazu eine sehr große Bibliothek erfordert würde: und es würde auch dieß für Kenner überflüßig, und für Unwissende nicht hinreichend seyn, weil diese doch die historischen Quellen nicht benutzen können, aus denen man die Untersuchung über die Aechtheit eines solchen Registers ableiten müßte. Allein ich will doch einige der wichtigsten anfüh[16]ren, deren Untersuchung fast allen meinen Lesern leicht werden wird, und die mir um so mehr zu meiner Absicht hinlänglich scheinen, je gewisser es ist, daß in diesem Falle etliche Beyspiele so viel beweisen als tausend, nämlich: daß deklarirte Abweichungen von den herrschenden Lehrsätzen der Kirche keine Lossagung von der Kirche selbst in sich schliessen. – Hat nicht der 665Herr Abt Jerusalem in seinen Betrachtungen über die Religion den gewöhnlichen Begrif der Erbsünde, vermöge welchen sie eine concupiscentia habitualis, oder wohl gar eine natürliche Abneigung gegen Gott seyn soll, so wie die gemeine Lehre von ihrer moralischen Zurechnung verlassen? Hat nicht 666Herr Consistorialrath Steinbart in seinem Lehrbuche der Religion, betitelt, Glückseeligkeitslehre (etc.)et cetera den systematischen Begrif von der Genugthuung Christi so wohl, als die Athanasianische Dreyeinigkeitslehre, nebst andern sonst gewöhnlichen theologischen Vorstellungsarten, eben so wie ich, als unbiblisch verworfen? Hat sich nicht der 667Herr Oberconstitorialrath [17] sching über die Endlichkeit der Höllenstrafen (668die auch Origenes glaubte) und andere solche Punkte, an mehr als einem Orte, eben so wie ich erklärt? Hat nicht der 669Herr Senior Urlsperger in Augspurg, vor kurzem, in seinen Schriften über das Geheimniß des Vaters und Sohnes, die Lehre der Kirche von der Dreyeinigkeit als falsch und unbiblisch vorgestellt, und eine andre vorgeschlagen, die bis jetzt noch kein Mensch völlig verstanden hat, und 670von welcher ehemals in Göttingen Recensent urtheilte, daß sie sich dem Sabellianismus nähere? Hat nicht Herr Oberconsistorialrath und 671Probst Teller in Berlin, in seinem Wörterbuche denselben Begrif des Glaubens schon vor mir, und andere damit verwandte Begriffe, als schriftmäßig zu beweisen übernommen – den auch die symbolischen Bücher durch den Ausdruck: 672 fides est obedientia erga Evangelium, zu bestätigen scheinen? Hat nicht 673Herr Doctor Semler in seiner neusten Schrift gegen die Wolfenbüttlischen Fragmente, über Geist, Wunder, [18] Auferstehung Jesu, Dreyeinigkeit (etc.)et cetera im Grunde eben solche Gesinnungen geäußert, wie aus meinem Glaubensbekenntniß hervorleuchten? 674Hat er nicht die Lehre von der Inspiration der Bibel eine neue Theorie genannt, die man erst in spätern Zeiten erfunden hat? 675Sagt er nicht in dem angeführten Buche Seite 94. ausdrücklich: „Es ist ganz entschieden, ganz ausgemacht, daß eben diese wörtliche Beschreibung – eine Lehre von dreyen verschiednen Personen, in dem einem göttlichen Wesen – gar nicht zu den Grundlehren der christlichen Religion oder des Christenthums gehöre. Ich habe schon (setzt er hinzu) 676 Gerhards Kritik über die Dreyfaltigkeit und 677 Hunnius Anzeige aus dem Epitome credendorum angeführt, der es gerade heraussagt, daß diese Beschreibung, von dreyen Personen gar nicht nöthig ist, für die Christen?“ – Und wie viel rechtschafne Lehrer der Kirche liessen sich anführen, 678welche wie ich, über Gewissenszwang geklagt, die symbolischen [19] [Bücher] den Gewissen für lästig gehalten, und eine ausgebreitetere Toleranz gewünscht haben? 679Ist aber je ein einziger darüber, wie ich, für einen Abtrünnigen angesehen worden? – 680Und geschieht es nicht noch jetzt in der englischen Kirche, daß einzelne Lehrer und Bischöfe, gewisse Lehrstücke der 39 Artikel öffentlich bezweifeln, einiges davon für schädlich, irrig, (u. s. w.)und so weiter erklären, ja so gar die Abschaffung derselben vorschlagen? ohne daß ihnen irgend jemand dieß als Lossagung von der Kirche anrechnet, oder sie ihres Amts für unfähig erklärt.
8,
9,

3.

681Ich bezeuge endlich auch drittens, daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, eine eigne Secte zu stiften. – Ich halte ein solches Vorhaben, bey jetziger Verfassung des deutschen Reichs an sich selbst für eben so abgeschmackt [20] als unmöglich. Hiernächst darf ich mich wohl rühmen, so viel Menschenkenntniß zu besitzen, um einzusehn, daß, gesetzt auch, ich hielte meine Privatmeinungen für die alleinige absolute Wahrheit, dennoch für diese vermeinte Wahrheit, mit einer neuen Secte nichts ausgerichtet seyn würde: weil – so lange Menschen Menschen seyn, wenigstens so lange unter den Menschen der eigne Gebrauch ihrer Seelenkräfte fortdauern wird – auch Verschiedenheit des Glaubens, der Ueberzeugung, und der Vorstellungsarten in der Religion, fortdauern werden. Wozu sollte ich mir also eine neue Secte wünschen? – Nein, wahrhaftig, ich freue mich mit dankbarem Herzen, jedes Schimmers von Licht, dessen mich Gott in meiner Erkenntniß gewürdiget hat, und lebe meines Glaubens so, daß ich dabey das ganze Glück einer beruhigten Ueberzeugung schmecke: aber ich bin so fern von aller Proselytenmacherei, daß ich vielmehr wünsche, es möchten alle spekulativen Gegenstände des Glaubens, allen Menschen, zu eigner For[21]schung frey gegeben, und gar niemanden eine bestimmte Vorstellungsart jener streitigen Lehrsätze mehr aufgedrungen werden.

1
*) 660Welche natürlicherweise mein mit Credit angefangenes Erziehungsinstitut zu Heidesheim niederstürzte, und mich nöthigte, Schulden, die nach und nach getilgt werden solten, unbezahlt zu lassen, und mich meinen Gläubigern mit Hab und Gut Preiß zu geben.
1
nicht Folge des Leichtsinns und der Uebereilung

Anspielung auf b10.

2
Ein höchstes Reichsgericht hatte geurtheilt [...] aus dem deutschen Reiche weichen solle

Vgl. a6f.

3
die eingeholten Responsa

Gemeint sind die Gutachten der theologischen Fakultäten in Göttingen und Würzburg; vgl. 100.

4
Welche natürlicherweise mein mit Credit angefangenes Erziehungsinstitut zu Heidesheim niederstürzte, [...] mich meinen Gläubigern mit Hab und Gut Preiß zu geben

Vgl. Bahrdts beschönigende Darstellung der Ereignisse mit 107 (Heidesheim), 108 (ander Land) und 447.

5
mir schien dieser Mittelweg eine niederträchtige Heucheley zu seyn

Vgl. a9.

6
daß ich im Volksunterricht nie nöthig hatte, jene streitigen Punkte zu berühren, wo ich von den Vorstellungsarten des grossen Haufens abwich

Vgl. a11.

7
Aber auf Befehl des Reichsrichterstuhls mußte ich

Vgl. a7.

8
Oder würde mein Wahrheitliebender König nicht vielmehr diese Vorschläge prüfen lassen, und mich, wenn sie gründlich und dem Lande heilsam wären, dafür belohnen?

Vgl. a9.

9
Herr Abt Jerusalem in seinen Betrachtungen über die Religion

Gemeint ist Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789), der nach dem Theologiestudium in Leipzig und Wittenberg, kürzeren Anstellungen in Göttingen und Hannover und mehrjährigen Aufenthalten in Holland und England ab 1742 Braunschweiger Hofprediger und Prinzenerzieher war sowie ab 1752 Abt von Riddagshausen. In seinem unvollendeten Hauptwerk Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion, 3 Bde. (11768–1779), äußert sich Jerusalem ausführlich zur „Lehre von der moralischen Regierung Gottes über die Welt, oder Geschichte vom Falle“ (4. Abschnitt aus dem zweiten Band des zweiten Teils, 1779, 627–755). Jerusalem interpretiert die Sündhaftigkeit des Menschen nicht als Folge der einmaligen Sünde des Stammvaters Adams, sondern als Folge seiner Beschränkung als endliches Wesen mit sinnlichen Neigungen (716f.). Die sinnliche Natur sei „der Grund der menschlichen Schwäche, wenn sie von Vernunft und Religion nicht geleitet wird“ (718).

10
Herr Consistorialrath Steinbart in seinem Lehrbuche der Religion, betitelt, Glückseeligkeitslehre

Gemeint ist Steinbarts System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums (11778; 41794, BdN VIII); s. 123. Darin wird die klassische christliche Genugtuungs- oder Satisfaktionslehre (vgl. 360) als unbiblisch und unethisch zurückgewiesen, vgl. §§ 56–66 (118–148). Steinbart spricht sogar vom „kranken Hirn“ (133) der Augustinianer und Anselmianer. Er lehnt ferner, wenn auch um diplomatische Formulierungen bemüht, die athanasianische Dreieinigkeitslehre (vgl. 113 und 236) ab; Jesus war ein bloßer Mensch: „Gott [veranstaltete] unter dem jüdischen Volk zuerst die Geburt eines ganz vorzüglichen Mannes, welchen er mit allen Talenten des Geistes ausrüstete, und mit welchem er so vereint war, daß man an diesem Jesu sehen konnte, wie Gott gegen die Menschen handeln würde, wenn er als Mensch uns erschiene“ (226; Herv. d. Hgg.; vgl. 223); zur Wirkung Steinbarts vgl. auch 156.

11
Herr Oberconsistorialrath Büsching über die Endlichkeit der Höllenstrafen

Anton Friedrich Büsching (1724–1793), lutherischer Theologe, Historiker und einflussreicher Geograph, amtierte seit 1766 als Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster und Oberkonsistorialrat in Berlin. Bahrdt spielt auf die Allgemeine[n] Anmerkungen über die symbolischen Schriften der evangelisch-lutherischen Kirche, und besondere Erläuterungen der augsburgischen Confeßion (1771) an: „[D]ie Erlösung Jesu Christi gehet auf wirkliche Errettung aller und jeder Menschen, und man kann unmöglich gedenken, daß unserm Gott seine große gnädige Absicht bey derselben, der Hauptsache nach mißlingen sollte: sie muß also an denenjenigen, bey welchen sie auf Erden nicht erreicht werden kann, künftig erfüllet werden“ (93 [§ 37]), was „eine unaufhörliche Dauer der Strafen“ (91) ausschließe.

12
die auch Origenes glaubte

Der antike Theologe Origenes (vgl. 402) lehnte die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen ab und nahm die Allversöhnung aller Geschöpfe (ἀποκατάστασις πάντων) an, vgl. z.B. sein Περὶ ἀρχῶν (De Principiis) I.6.3.

13
Herr Senior Urlsperger [...] in seinen Schriften über das Geheimniß des Vaters und Sohnes [...] die bis jetzt noch kein Mensch völlig verstanden hat

Johann August Urlsperger (1728–1806), lutherischer Theologe, wurde 1772 Senior (Hauptpastor) in Augsburg, legte aber bereits im Jahre 1776 all seine kirchlichen Ämter aus Krankheitsgründen nieder. Er wirkte weiter als Privatgelehrter und Begründer der gegen Deismus und Rationalismus gerichteten Deutsche[n] Gesellschaft zur Beförderung reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit (Deutsche Christentumsgesellschaft). Urlspergers Versuch in freundschaftlichen Briefen einer genauern Bestimmung des Geheimnißes Gottes und des Vaters und Christi [...] war in vier Stücken zwischen 1769 und 1774 erschienen. Die Zeitgenossen waren sich einig, dass das Werk nicht als ein Muster an Verständlichkeit gelten könne; der Rezensent der Allgemeinen deutschen Bibliothek 16 (1772), 211, urteilte etwa, der Verfasser mache das Geheimnis der Dreieinigkeit nur „noch verworrener und anstößiger“.

14
von welcher ehemals in Göttingen Recensent urtheilte

Bahrdt spielt auf die Rezension des zweiten Stücks des Versuch[s] in freundschaftlichen Briefen (s. 669) in den Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen, 25. St. (28.2.1771), 209–212, an, nimmt sich bei der Charakterisierung aber einige Freiheit. Laut dem Rezensenten fordert Urlsperger den Vorwurf des Sabellianismus (vgl. 129) zwar heraus, ein solcher Vorwurf sei jedoch gleichwohl „ungerecht“ angesichts der „öfteren Versicherungen, daß er die drey Personen, wirklich als Personen [...] [an]erkenne“ (210) und nicht bloß als die Personifizierung bestimmter Eigenschaften ein und derselben Person.

15
Probst Teller [...] in seinem Wörterbuche

In Tellers (vgl. 545) Wörterbuch des Neuen Testaments (BdN IX) heißt es unter dem Lemma „Glauben“: „Glauben, schlechtweg, bedeutet etwas annehmen, für wahr halten, davon überzeugt seyn [...] und also mit den Zusätzen, an Jesum, an das Evangelium, an den Namen Jesu, ihn, seine Lehre, annehmen, sie befolgen, in Ausübung bringen. [...] Dies ist auch die älteste Erklärungsart. Clemens von Alexandrien sagt ausdrücklich [...]: Glauben nennen wir die Annehmung des auch schon durch die Vernunft erkannten Wahren und Guten“ (31780, 221). Teller wendet sich damit gegen Konzeptionen, die im christlichen „Glauben“ ein Vertrauen (fiducia) auf Gott sehen, das sich weder auf ein bloßes Glauben-Dass gründen oder gar reduzieren, noch (vollständig) durch Belege oder Argumente absichern lässt. Propositionales Wissen über Gottes Schöpfung und Jesu Lebens- und Leidensgeschichte sei, so Vertreter dieser Ansicht, auch Teufeln und Atheisten zugänglich – und trotzdem glauben sie im entscheidenden Sinne des Wortes nicht. Vgl. den 20. Artikel des Augsburger Bekenntnisses, z.B.: „[D]ie schrifft [redet] vom glauben, und heißt nicht glauben ein solichs wissen, das teufel und gotlosen menschen haben, dan also wirtt vom glauben geleret [in Hebr. 11], das glauben sei nicht allein di historien wissn, sonder zuversicht haben zu Gott, [...] das er uns gnedig sei, und heiß nicht allein, solich historien wissen, wie auch di teuffel wissen“ (BSLK 79f.). Besagte Zuversicht äußere sich – so etwa Peter Ahlwardt unter Verweis auf Gal 2,20 in seinen Gründliche[n] Betrachtungen über die Augspurgische Confession, 5. Teil (1746), 373–401, – darin, dass der Glaubende das Verdienst Christi „ergreift“ und es sich zu seiner eigenen Seligkeit selbst „zueignet“, eine Vorstellung, gegen die Bahrdt in a20 Stellung bezieht; vgl. auch 133.

16
fides est obedientia erga Evangelium

Das lateinische Zitat „Fides autem est oboedientia erga Evangelium“ (Glaube aber ist der Gehorsam gegenüber dem Evangelium) findet sich im IV. Artikel (CR 27, 519; vgl. BSLK 220) der von Melanchthon verfassten Apologia Confessionis Augustanae (Oktavausgabe; 1531).

17
Herr Doctor Semler in seiner neusten Schrift gegen die Wolfenbüttlischen Fragmente

Gemeint ist Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jünger (1779). Die von Reimarus verfassten und von Lessing herausgegebenen Fragmente waren zwischen 1774 und 1778 in der Zeitschrift Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel erschienen.

18
Hat er nicht die Lehre von der Inspiration der Bibel eine neue Theorie genannt, die man erst in spätern Zeiten erfunden hat?

Vgl. Semler, Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten (1779), 280: „Ehe die neue Theorie von Inspiration unter unsre Theologie aufgenommen worden war, welches erst hinter der Zeit Lutheri und Melanchthons, fast unvermerkt geschehen ist [...].“

19
Sagt er nicht in dem angeführten Buche Seite 94. ausdrücklich: „Es ist ganz entschieden [...] für die Christen?“

Die, von der Kursivierung und unbedeutenden Varianzen abgesehen, korrekt zitierte Stelle beginnt bereits auf S. 93 von Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten (1779). Vgl. auch die ganz ähnliche Formulierung in b28.

20
Gerhards Kritik über die Dreyfaltigkeit

Laut Johann Gerhard (vgl. 415) ist vom Heil zwar ausgeschlossen, wer die Dreifaltigkeit leugnet oder nicht um sie weiß, es ist jedoch nicht für alle Kirchenmitglieder derselbe Grad an Kenntnis der Trinität erforderlich. Vgl. Loci Theologici, lc. III, c. I, § 2: „Excludimus ab hominibus salvandis non solum Trinitatis negationem, sed etiam ignorationem. [...] Non requirimus ab omnibus ecclesiae membris aequalem cognitionis gradum, cum lux notitiae spiritualis ac fidei in quibusdam sit illustrior, in quibusdam vero obscurior“ (zitiert nach der von Johann Friedrich Cotta herausgegebenen Ausgabe, III [1764]).

21
Hunnius Anzeige aus dem Epitome credendorum

Vgl. 237.

22
welche wie ich, über Gewissenszwang geklagt, die symbolischen Bücher den Gewissen für lästig gehalten

Bahrdt dürfte vor allem an die 1767 von dem Berliner Neologen, Pfarrer und wichtigen Rezensenten der Allgemeinen deutschen Bibliothek Friedrich Germanus Lüdke (1730–1792) losgetretene Kontroverse um die symbolischen Bücher denken. Vgl. Lüdke, Vom falschen Religionseifer (1767), 123–125: „Und wenn doch gleichwol in unsern Zeiten verständige und rechtschaffene Leute sagen: Wir sind in allen Hauptsachen des Glaubens mit euch einig, nur in dem und dem Stük denken wir anders, wir wollen auch gerne bey euch bleiben, laßt uns nur darin unsre Freiheit zu denken, zu reden und zu schreiben; so stellen wir [Lutheraner] uns doch den Päbstlern völlig gleich, und wollen sie in aller Absicht nicht für Brüder und rechtgläubige Christen erkennen. [...] es ist nicht gut, daß man noch in unsern Tagen die Lehrer protestantischer Gemeinden auf Menschenwort, dergleichen doch die Symbola der Kirchen sind, vereidet. Bloß auf Gottes Wort in der Schrift solte man sie schwören lassen.“ Gegenwind kam keineswegs nur von orthodoxen Theologen wie Goeze. Während Teller, A.F.W. Sack und Büsching (vgl. 667) sich auf Lüdkes Seite schlugen, verteidigten Johann Gottlieb Töllner (1724–1774; Unterricht von symbolischen Büchern überhaupt, 1769) und Semler (im Apparatus ad libros symbolicos Ecclesiae Lutheranae, 1775) die prinzipielle, wenn auch in bestimmter Weise einzuschränkende, Verbindlichkeit der Bekenntnisschriften.

23
Ist aber je ein einziger darüber, wie ich, für einen Abtrünnigen angesehen worden?

Weder Lüdke noch seine in der letzten Anmerkung erwähnten Verteidiger sahen sich infolge ihrer Kritik der symbolischen Bücher persönlichen Repressalien ausgesetzt. Auf preußischem Gebiet beheimatet standen sie allerdings auch unter dem besonderen Schutz der toleranten Religionspolitik Friedrichs II. (vgl. 685), welcher für das übrige Reich keineswegs selbstverständlich war.

24
Und geschieht es nicht noch jetzt in der englischen Kirche [...] für unfähig erklärt

Vgl. c5f., 461 und 462.

25
Ich bezeuge endlich auch drittens, daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, eine eigne Secte zu stiften

Vgl. e5.

Und ich fodere auch bey diesem Punkte alle Unpartheyische auf, mein Glaubensbekenntniß zu prüfen, und, zu untersuchen, ob auch nur die allermindeste Spur des Vorhabens, eine neue Secte zu stiften darinnen zu finden sey.

Eben so öffentlich und freymüthig kann ich mich endlich auch auf die nähern Zuschauer meiner bisherigen Handlungsweise berufen, und von ihnen das Zeugniß erwarten, daß ich nie, auch nur die entfernteste Veranlassung gegeben habe, mir ein so thörigtes Unternehmen zuzutrauen. Ich habe seit meinem [22] Glaubensbekenntniß nichts geschrieben, welches das Publikum aufmerksam auf mich hätte machen können. Ich habe auch keinem geantwortet, der sich berufen fühlte, gegen mein Glaubensbekenntniß zu schreiben oder meinen Charakter durch boshafte Erdichtungen verdächtig zu machen. Ich habe nicht einmal nach der Zeit mit jemand über mein Glaubensbekenntniß korrespondirt, ohngeachtet häufige Anfragen und Veranlassungen dazu geschehen sind. – 682Ich habe nie Erlaubniß gesucht, eigentliche theologische Collegia zu lesen. 683Und ohngeachtet, bald nach meiner Ankunft in Halle, der allerhöchste Befehl an die Universität ergieng, daß man mich nicht hindern solle, den hier studierenden jungen Leuten durch Vorlesungen nützlich zu seyn, so habe ich doch von diesem Recht nicht gleich Gebrauch gemacht, sondern erst auf wiederholtes Anrathen meiner Freunde, und [23] auf das Bitten vieler hier Studierenden, mich erst im vorigen Herbst dazu entschlossen, 684ein practisches Collegium über die Beredsamkeit nach den Grundsätzen des Quintilian und eines über die Anfangsgründe der hebräischen Sprache zu lesen; denen ich künftig nichts als kursorische Vorlesungen über die Klassiker der Griechen und Römer hinzufügen werde. – Mit einem Worte, meine ganze Handlungsweise sieht gewiß keinen Anstalten zu Stiftung einer neuen Secte ähnlich.

Ich suche nichts, und habe bisher nichts gesucht, als was ich schon habe, – und wofür ich dem 685weisen und duldsamen Monarchen, der alle fleissige und nützliche Unterthanen mit gleicher Vaterhuld nährt, und jeden im Stillen seines Glaubens leben läßt, hier öffentlich danke – Schutz [24] und ruhige Existenz. Wer mir stolzere Wünsche und weitaussehende Absichten zugetrauet, hat mich verkannt.

Carl Friedrich Bahrdt.
4,
5,
6,

6.

[I]
(D.)Doctor Joh. Salomo Semlers


Königsberg,
bey 688 Friedrich Nicolovius
1792.textgrid:3rnsb
1,
2,
[II]

[III]

Mit wehmüthigem Vergnügen übernahm ich den Auftrag, die letzte Schrift meines unvergeßlichen Lehrers, des seligen Semler, zum Druck zu befördern; und um so mehr, da gerade diese Schrift seinen so oft und in so mancherley Beziehung geäußerten Grundsätzen das Siegel aufdrückt, und einen ganz unwidersprechlichen Beweis enthält, daß er seine Ueberzeugungen von der eigentlichen Bestimmung der christlichen Religion bis an sei[IV]nen Tod nicht verläugnet, oder abgeändert habe.

Es war eine Zeit, wo Semler bey vielen in den Verdacht gerieth, daß Er, 690unleugbar der erste lutherische Theolog unsers Jahrhunderts, welcher von der langen Anhänglichkeit an ein festes dogmatisches System, abzugehen wagte, und der freyen Untersuchung des Lehrbegriffs eine neue Bahn eröffnete, dennoch wieder von seinen eignen Prinzipien abgegangen sey, oder doch das 691an andern getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt gehalten.

An diesem Verdachte war sein Herz und seine Denkart, wie ich immer überzeugt gewesen bin, ganz unschuldig; von seiner Seite gab dazu, die Eigenthümlichkeit seiner Schreibart, und von Seiten derjenigen, die ihn falsch beurtheilten, Mißverstand Anlaß.

Semler hatte 692bey der erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen, nie einen eigentlichen Fleiß auf Politur des [V] Stils gewandt; hatte, weil ihn hauptsächlich alte Literatur und das unermeßliche Feld der Geschichte beschäftigte, nie sich Zeit genommen, zu einer philosophischen Präcision in der Anordnung und in dem Ausdrucke seiner Gedanken sich zu gewöhnen. Daher konnte es nicht fehlen, daß man ihm oft Inconsequenzen zur Last legte, die es bey ihm wirklich nicht waren. Das Feuer seines Geistes, und sein außerordentlich großes Gedächtniß, verleiteten ihn, jenes zu einer unglaublichen Schnelligkeit in schriftlichen Arbeiten, dieses zu einem etwas zu großen Vertrauen in die Sicherheit seiner Citaten, und in die Bündigkeit seiner Gedanken, die sich, wie er meinte, auf dem Papiere von selbst ergeben würde, so wie er sich derselben innerlich bewußt war. Daher konnte es nicht fehlen, daß man oft in den von ihm angeführten Stellen das nicht fand, was er darin gefunden zu haben versicherte; und daß man oft Widersprüche unter seinen Grundsätzen und Meinungen fand, die, wenn man sich Zeit nahm, ihn recht zu verstehn, wieder verschwanden.

[VI] Wenn man nun aber besonders in Ansehung seiner Vorstellungen vom Wesentlichen der christlichen Religion, und von der freymüthigen Untersuchung des dogmatischen Lehrbegriffs, seit der Zeit besonders, als Herr (D.)Doctor Bahrdt sich nach Halle wandte, hie und da geglaubt hat, er habe entweder aus Animosität, oder weil er sich eingebildet habe, daß die Freyheit der Untersuchung übertrieben werde, und, um nicht zu weit zu gehn, eher ein paar Schritte wieder zurück thun müsse, seine vorigen Grundsätze verlassen, so lag dieser Mißverstand noch mehr an der Uebereilung derjenigen, die ihn so beurtheilten, als an seiner eignen Art des Vortrags.

Nirgends ist er von dem Grundsatze, daß die Untersuchung frey bleiben müsse, auch nur im geringsten abgewichen; aber die Keckheit der Entscheidungen und das despotische Aufdringen seiner Meinungen, das war es, was er immer unleidlich fand, und was er aus Bahrdts Veranlassung nicht zuerst, wohl aber seitdem dieser in Halle zu schreiben anfieng, ungleich öfter [VII] und lebhafter bestritt. Wo er Unkunde der Geschichte fand, bey Untersuchungen, die doch nicht blos philosophisches Raisonnement, sondern Kenntniß der Begebenheiten und Studium historischer Quellen voraussetzten, da schien es oft, als ob er den Schlußsätzen selbst widerspräche, indem er bloß der Methode, dazu zu gelangen, sich entgegensetzte. Wo er trotziges Absprechen, oder intolerante Rechthaberey wahrnahm, da drückte er seinen Widerwillen oft so aus, als ob er eben so wohl gegen den Stoff und Inhalt, als gegen die Form gewisser Aeußerungen, und gegen die unsittliche Art sie anzubringen eingenommen wäre. Hieraus ist auch 693die Art seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten zu erklären, der sonst, wenn es auf die bloßen trocknen Folgesätze ankam, mit ihm in sehr vielen Punkten offenbar zusammenstimmte.

In gegenwärtiger Schrift nun, die er ganz vollendet, wiewohl ohne Titel, den ich selbst erst habe vorsetzen müssen, hinterlassen hat, finden sich seine Gedanken über das [VIII] Verhältniß der christlichen und natürlichen Religion ungleich dichter zusammengedrängt, besser geordnet, und lichtvoller dargestellt, als ich sie sonst bey ihm gefunden habe; und sie enthält vortrefliche Wahrheiten, die, wenn sie auch für gelehrte und selbstdenkende Leser nichts Neues enthalten, doch nicht nur in Rücksicht auf den Mann, der sie vorträgt, ein neues Interesse gewinnen, sondern auch nicht oft genug wiederholt werden können; am wenigsten ist ihre Wiederholung in unsern Tagen überflüßig, wo es fast das Ansehen hat, als ob einige, wenn auch wohlmeinende, doch gewiß übel unterrichtete Leute, um einer, ich weiß nicht wo existirenden Rotte von Leuten, die das Christenthum untergraben wollen, entgegen zu arbeiten, damit umgehn, das Kleinod der freyen und vernünftigen Prüfung in Religionssachen, was selbst itzt viele verständige Männer in der katholischen Kirche zu schätzen anfangen, uns Protestanten zu entreißen, und uns einer überlieferten Glaubensnorm, (d. h.)das heißt einer päpstlichen Tradition zu unterwerfen; was denn freylich, so lange sie uns Vernunft und Schrift nicht [IX] nehmen können, unmöglich gelingen kann, und wenn sie auch, was einige bereits in Kammern thun sollen, den Herrn Jesum Christum auf öffentlichen Plätzen leibhaftig erscheinen ließen.

Diese ganze Schrift lehrt, wie sehr der verewigte Semler von der großen Wahrheit überzeugt war, die in Lessings Nathan so unübertreflich ausgedrückt ist: 694

Daß Ergebenheit in Gott
Von unserm Wähnen über Gott
So ganz und gar nicht abhängt.

Daher zeigt sich Semler gleich billig gegen orthodoxe und heterodoxe Christen, gegen Christen und Naturalisten, gegen Naturalisten und Fanatiker.

Ihm ist es 695 ‘der allererste Grundsatz der christlichen Religion, ( (S.)Seite 9.) daß ein und derselbe Gott aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf die äußerlichen Umstände sehe, wodurch sich Ju[X]den von andern Völkern ganz unmoralisch unterscheiden, sondern das Thun und Lassen der Menschen nach dem Maaße ihrer Erkenntniß vom Guten und Bösen beurtheile.’ Wenn man niemals mehr als diesen Grundsatz, verbunden mit der höchst reinen und vernünftigen Sittenlehre Christi für nöthig gehalten hätte, um jemanden einen Christianer zu nennen, was für Unglück, welche abscheuliche Scenen des Verfolgungsgeistes in der christlichen Kirche wären der Menschheit erspart worden!

Semler läßt ausser obigen Grundsatze keinen einzigen sogenannten Fundamentalartikel der Dogmatik als einen nothwendigen Glaubensartikel gelten, den man durchaus annehmen und behaupten müsse, wenn man nicht auf den Namen eines Christen Verzicht leisten wolle; nicht 696die Lehre von der Dreyeinigkeit, nicht die Lehre von der Inspiration der Bücher des (A.)Alten oder (N.)Neuen Testaments, nicht die, von der stellvertretenden Genugthuung Christi; aber er behauptet auch, daß es dem wahren Geiste des Christenthums nichts schade, wenn man [IX[!]] alle diese Lehrsätze annehme; er besteht darauf, daß sich derjenige, der sie annimmt, und der, so sie verwirft, beide einander tragen und keiner den andern mit den schimpflichen Benennungen von Dummköpfen, Fantasten, oder Ketzern und Ungläubigen belegen solle.

Daher bin ich überzeugt, daß er auch demjenigen Naturalisten, der die Sittenlehre Christi, und die große Lehre von dem allgemeinen Antheil aller Menschen an Gottes Gnade, nicht auf Autorität, sondern aus Gründen der Vernunft annimmt, den Namen eines Christen nicht abgesprochen haben würde; nur denket er sich oft unter Naturalisten Leute, welche andere zu Annahme ihrer Meynungen mit einer Art von Gewalt bewegen, oder die öffentliche, bürgerliche Form der Religion eigenmächtig stürmen wollen. Gegen diese Anmaßungen erklärt er sich so laut und ernsthaft, als ihm immer möglich ist.

Daher seine so oftmal wiederholte, so lebhaft eingeschärfte Behauptung des Un [XII] terschiedes zwischen öffentlicher und Privat-Religion. Vergleicht man die in gegenwärtiger Schrift darüber vorkommenden zerstreuten Stellen, so bleibt mir kein Zweifel übrig, daß er hierinnen nicht auch seine Ideen völlig aufs Reine gebracht, und immer consequent gedacht habe, wenn er gleich sie nirgend so gut geordnet, und so bestimmt ausgedrückt hat, als es neuerlich unter andern, und vielleicht vor allen andern mein theurester Freund und College (Hr.)Herr 697 (Prof.)Professor Hufeland gethan *). Kann man sich stärker darüber herauslassen, als wenn Semler 698 (S.)Seite 70. (u.)und (f.)folgende in dieser Schrift sagt: daß wenn irgend eine christliche Religionsparthey sage, sie hätte ganz allein die christliche Religion im Besitz, und auch ganz allein das Recht, eine ewige Seeligkeit von Gott zu erwarten, alle andern Menschen aber, auch alle andern christlichen Familien oder Partheyen, (also auch Socinianer oder andere, [XIII] die in den Lehren von der Dreyeinigkeit, vom Abendmal, von Christi Versönung nicht auf 700 Hutters oder Beyers Compendium geschworen hätten) keine wahre christliche Religion, keinen Anspruch an Gottes Liebe und Gnade hätten, solches eine sehr rohe, ganz unmoralische Anmaßung, ein grober Irrthum, eine grobe Unwissenheit der allerersten christlichen Grundsätze sey: ja daß diejenigen, die andre zu ihrer Religionsform zwingen wollen, eben dadurch beweisen, daß sie selbst die wahre, geistliche oder vollkommnere Verehrung Gottes wissentlich verläugnen oder unterdrücken wollen.

Wenn Semler nun hierbey auf symbolische Bücher und festgesetzte kirchliche Lehrbegriffe zu sprechen kam, so war er weit davon entfernt anzunehmen, daß diese symbolischen Bücher unter den Protestanten, wie sich mancher ganz fälschlich einbildet, beständige ein für allemal festgesetzte Normen seyen, von denen weder Lehrer noch Gemeinden abweichen dürften. Er kannte den Geist des Protestantismus viel zu gut, als daß ihm hätte [XIV] einfallen [können] so etwas zu behaupten. Er stimmte gewiß vollkommen mit demjenigen überein, 701was neuerlich wieder (Hr.)Herr (D.)Doctor Rosenmüller so trefflich auseinander gesetzt hat, und was jedes wahren Protestanten, zumal jedes vernünftigen Lutheraners Grundsatz seyn muß, daß die Freyheit fernerhin die Schrift zu untersuchen, und der beständige Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen der wahre Charakter des Protestantismus sey. Er wußte, daß Glaubensbekenntnisse und symbolische Bücher provisorisch und zu guter äußerlicher Ordnung für eine unbestimmte Zeit entworfen werden, daß die Gemeinden oder Kirchen sie annehmen, und von der Obrigkeit sanctioniren lassen, ohne deswegen ihr unveräußerliches Recht an die stete Verbesserung und Berichtigung ihres Lehrbegriffs aufzugeben. Dahingegen verwarf er wie billig, die Anmaßung einzelner Personen, christliche Religionsgesellschaften in ihrem Glauben gewaltsam stören zu wollen.

Nur gerade hier fehlte es seinem Raisonnement noch an der nöthigen Vollständig[XV]keit und Bestimmtheit. Denn 1. setzte er bey den Naturalisten zuweilen voraus, daß sie die christliche Religion gewaltsam verdrängen oder aufheben wollten. Dazu fehlte es gleichwohl an aller historischer Veranlassung. Selbst wenn einige schwärmerische und unbehutsame Pocher, wie (D.)Doctor Bahrdt (z. B.)zum Beispiel geradehin entscheiden wollten, eine positive Religion, wenn auch ihre Sittenlehre noch so rein wäre, sey zu gar nichts nütze, oder wenn sie behaupteten: die 702Gottesverehrung müsse durchaus ganz rein deistisch seyn; so hatten sie ja damit immer noch keine Gewaltthätigkeit ausgeübt; sie hatten ja blos einen Einfall debitirt, an den sich weder Clerici noch Laici zu kehren brauchen. Im Ernste sieht man auch gar nicht ein, wozu der Naturalist in den protestantischen Kirchen es nöthig hätte, auf eine solche zufahrende, geschweige denn eigenmächtige und gewaltsame Veränderung des öffentlichen sogenannten Gottesdienstes zu verfallen. Niemand zwingt ihn ja, wenn er nicht will, in die Kirche zu gehn; niemand fodert ihm Beichtzettel ab; und wenn ihm die christlichen Sakramente bloße Ceremonien [XVI] scheinen, so müßte er ja sehr unklug, ja wirklich toll und rasend seyn, einen Lärm im Staate darüber anzufangen, damit diese Ceremonien, die einmal eingeführt sind, abgeschafft, und noch dazu eben durch diese Abschaffung eine Menge Leute, denen jene Sakramente ungleich mehr sind, als bloße Ceremonien, geärgert und gekränkt würden. Man fängt aber wie schon gesagt an, hie und da, es sey aus Leichtgläubigkeit oder aus gehässigen Privatabsichten, von einer 703 Rotte von Aufklärern zu sprechen, die gleichsam eine Coalition gemacht haben sollen, um die Aufhebung der öffentlichen kirchlichen Verfassung unter den Protestanten zu bewirken. Man sucht sogar Fürsten und Regierungen zu bereden, daß dieser Rotte von Aufklärern durch öffentliche Anstalten entgegen gearbeitet werden müsse. Das natürlichste wäre wohl, vorerst zu fragen, wo denn diese Rotte existire, was sie denn bereits für geheime Machinationen anfangen, was für Grund zum Verdachte da sey, daß sie dergleichen im Sinne haben. Man weiß ja, daß es heutzutage nicht wohl möglich ist, einen Plan [XVII] durch Correspondenz zu irgend einer gemeinschaftlichen Unternehmung anzulegen, ohne daß die Sache in kurzem bekannt werde. 704Kaum war (z. B.)zum Beispiel von (Hn.)Herrn Bahrdt die Union der Zwey und Zwanziger entworfen, als sie verdientermaßen lächerlich gemacht, und durch 705die Schrift eines einzigen philosophischen und witzigen Kopfes, (Mehr Noten als Text,) gänzlich vernichtet wurde. Aber noch immer hört die Unvorsichtigkeit nicht auf, nicht nur vorhandne Sectennamen so zu misbrauchen, daß wo man (z. B.)zum Beispiel vielleicht nur eine einzige Meinung eines berühmt gewordnen Lehrers antrift, man gleich sein ganzes System voraussetzt, sondern auch immer noch neue Sectennamen zu erfinden, um damit die noch so verschiedene Denkart mehrerer Gelehrten, wenn sie allenfalls in einem oder dem andern Punkte zusammentreffen, unter einer einzigen Kategorie zu begreifen. Kann man wohl einen mildern Ausdruck, als den eines sehr unvorsichtigen Verfahrens dafür finden, wenn jemand das 706 ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ eines 707 Spalding oder 708 Teller und die ganz von dieser abweichen[XVIII]de Procedur eines Bahrdt, in theologischen Untersuchungen, dadurch in eine Klasse setzt, daß er sie allesamt Aufklärer nennt? Gleichwohl gehn einige schon so weit, daß sie sogar, um gewisse Grundsätze in einem noch gehässigern Lichte vorzustellen, Aufklärer und 709 Illuminaten für Synonymen nehmen. Freylich ist dieser unbedachtsame, oder boshafte Namentausch schon so oft in der christlichen Kirche verübt worden, daß sie niemanden, der nicht ganz Fremdling in ihrer Geschichte ist, etwas neues seyn kann. Aber schmerzen muß es doch jeden Freund der Religion und der Menschheit, daß eine so häßliche Unart noch immer in Zeiten sich erhält, wo man längst durch die Beyspiele voriger Jahrhunderte gewitzigt, den Schaden davon hätte beherzigen sollen. Bey dem (sel.)seligen Semler war es nun gewiß nicht Vorsatz, wenn er sich manchmal so ausdrückte, als ob alle Naturalisten in eine Klasse zu werfen wären. Es war bloß Folge seiner Gewohnheit, im Schreiben sich nicht immer bestimmt genug auszudrücken. Er selbst war überzeugt, daß man sogar die Namen Christen [XIX] und Naturalisten nicht geradezu einander entgegensetzen könne, und 710daß der Name christliche Naturalisten keineswegs einen Widerspruch in der Zusammensetzung enthalte. In der That, wenn jemand in der Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes, in dem Widerspruch gegen den Polytheismus, in dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, und in der reinen Sittenlehre mit den Grundsätzen Jesu Christi und seiner Schüler übereinstimmt, so weiß ich nicht, warum man ihn, falls er auch alles Miraculöse und Uebernatürliche davon trennte, nicht eben so gut einen Christen nennen könnte, als man denjenigen einen Sokratiker nennen würde, der des 711 Sokrates Denkart und Lebensweise sich eigen machte, ohne deshalb zu glauben, daß er einen besondern Genius gehabt habe. 2. 712Sehr oft eiferte der (sel.)selige Semler, und mit Recht, gegen das Aufdringen seiner Meinungen in Religionssachen. Nur schien er nicht immer daran zu denken, daß derjenige seine Meynung noch nicht aufdringt, der sie in Schriften so viel ihm immer möglich ist, ins Licht zu stellen, zu bestätigen, und entgegengesetzte Meinungen zu widerlegen [XX] sucht. Im Grunde war er zwar völlig überzeugt, daß die Freyheit seine Meinung zu sagen, einem jeden, er möge zu sogenannten Orthodoxen, oder Heterodoxen, Christen oder Nichtchristen gehören, ungekränkt bleiben müsse, aber es lag doch zuweilen in einigen seiner Ausdrücke eine anscheinende Inconsequenz, welche diejenigen als eine Beystimmung, wiewohl mit Unrecht, hätten ansehn können, welche wirklich demjenigen System, was ihnen reine Lehre heist, keinen bessern Dienst leisten zu können glauben, als wenn sie alle, die etwas dagegen schreiben, als Leute verschreyen, die das Christenthum verdrängen, und von der Erde vertilgen wollen. Möchte man doch bedenken, daß man die Wahrheit immer verdächtig macht, wenn man sie der strengen Untersuchung entziehen will, und daß weder Religion durch ihre Heiligkeit, noch Gesetzgebung durch ihre Majestät aufrichtige Achtung erwarten kann, wenn diese nicht auf Prüfung einer ganz freyen und unbestochnen Vernunft gegründet wird. 3. In Ansehung des Volksunterrichts durch Prediger über dogmatische Religionslehren [XXI] scheint es zuweilen, als ob der (sel.)selige Semler, die mannigfaltigen dabey in der Ausübung entstehenden Schwierigkeiten dadurch lösen wollte, daß er zwischen öffentlicher und Privat-Religion unterscheidet. Allein damit ist die Sache noch nicht ausgemacht. Daß einem jeden Menschen seine Privat-Einsichten frey bleiben müssen, so lange er sie nicht äussert, versteht sich ja von selbst, und man braucht darüber kein Wort zu verlieren. Allein der Mensch hat doch auch ein ungezweifeltes Recht, seine Gedanken zu äußern; und die große noch immer nicht ganz bis zu völliger Befriedigung aufgelößte Frage ist: 1) was für ein Recht hat der Staat, die Aeußerungen, oder den mündlichen und schriftlichen Vortrag gewisser Meinungen einzuschränken; und 2) was für Mittel lassen sich, wenn es zur Ausübung dieses Rechts kömmt, mit der Staatsklugheit vereinigen? Was die Religionsvorträge betrift, so hat die verschiednen Fälle, welche bey einer protestantischen Gemeinde vorkommen können, wenn die Einsichten der itzigen Lehrer oder Glieder der Gemeinde gegen die ehemaligen [XXII] sich geändert haben, 713neuerlich (Hr.)Herr (Prof.)Professor Hufeland am bestimmtsten auseinander gesetzt. Aber noch bleibt immer die Frage übrig: welche Methode über dogmatische Religionslehren zu predigen, die bessere sey, so daß weder die Glieder der Gemeinde sich von ihr zu trennen nöthig haben, noch der Lehrer bey seinen geistlichen Vorgesetzten anstoße, noch auch sich entweder als einen Unwissenden oder als einen Heuchler verdächtig mache. Hier bin ich nun geneigt zu glauben, der Lehrer könne sich auf keine bessere Art aus allen diesen Schwierigkeiten heraushelfen, als wenn er bey jeder Gelegenheit, wo er auf christliche Dogmata kömmt, die Geschichte der Religion zu Hülfe nehme, und so viel etwa auch dem großen und gemischten Haufen beygebracht werden kann, anführe, um eines Theils auf die stete Abwechslung dieser dogmatischen Vorstellungen zu führen, andern Theils die christliche (d. h.)das heißt die vernünftige Sittenlehre sicher zu stellen, und zu zeigen, daß diese unwandelbar fest stehe, man möge über das Dogma diese oder jene Vorstellung hegen. Der Prediger müßte (z. B.)zum Beispiel am Oster[XXIII]feste nicht verheimlichen, daß es ehemals viele gegeben und noch itzt viele gebe, die sich von der Auferstehung Christi nicht überzeugen könnten; daß diese ausserordentliche Begebenheit viele Gründe für sich, aber auch wider sich habe; daß man ein wahrer Verehrer Jesu seyn könne, wenn man auch sich nicht zu überzeugen vermöge, daß er auferstanden sey; daß Christus nirgend die Seligkeit der Menschen an diesen Glauben gebunden: daß dennoch der Glaube an diese Begebenheit, für denjenigen, dem sie glaublich oder zuverlässig scheine, ungemein trostreich sey, und man also niemanden darinn irre machen, am wenigsten über ihn spotten, oder mit ihm zanken müsse; daß es aber eben so wenig erlaubt sey, denjenigen für einen Frevler oder Gottlosen zu halten, der die Auferstehung Christi nicht in dem Sinne, wie sie gewöhnlich erzählt und geglaubt werde, für wahr halten könne. Wenn so der Prediger Gründe und Gegengründe neben einander stellte, so würde er keinem Theile seiner Zuhörer anstößig werden; er würde nicht beschuldigt werden können, daß er eine Lehre, die seine Zuhörer [XXIV] beybehalten wissen wollen, ihnen eigenmächtig entziehen wollte, und doch würde er dem andern Theile, der sie für weiter nichts als eine hergebrachte Kirchensatzung hält, weder lästig fallen, noch als ein blinder Nachbeter erscheinen.

Sollte aber auch diese Freyheit dem protestantischen Prediger nicht gelassen werden, so würde die sonst unläugbare 714Nutzbarkeit und Würde des Predigtamts für unsere Zeiten gänzlich zerstört, und der Prediger, der eine vorgeschriebene Anzahl von Glaubensartikeln, wider beßre Ueberzeugung lehren und beweisen soll, ein sich selbst verächtlicher Gaukler, sofern er sie aber ununtersucht nachbeten sollte, nichts weiter als 715ein tönendes Erz und eine klingende Schelle werden. Jena den 3 May 1792.

Chr. Gottfr. Schütz.
4,
5,
6,
7,
8,
9,

(S.)Seite 272. (Z.)Zeile 20. (l.)lies ἐνσπαρτος. (S.)Seite 273. (Z.)Zeile 6. (l.)lies Theurgia.

[1]

So bekannt und geläufig dieser Ausdruck ist, so sehr unbestimmt und ungleich ist doch immer der Begriff, der damit von denen verbunden wird, welche von der christlichen Religion sich diese oder jene Vorstellung machen. Weder alle 716 Liebhaber oder Theilnemer an christlicher Religion haben einerley Begriff davon, noch alle jene andern Religionsparteyen, welche eine jüdische, muhamedanische, 717braminische, – – 718natürliche Religion geradehin und immerfort aller christlichen Religion vorziehen. Diese Frage müste also getheilet werden; was begreift die christliche Religion bey denen, welche selbst Liebhaber und Theilnemer sind? und was für Vorstellung und Begriffe haben hingegen alle jene Anhänger an eine Religion, die das [2] Beiwort christliche nicht hat? Nun müste man weiter fragen, woher kommt der stete Unterschied nicht nur der Anhänger der christlichen Religion von allen andern, die daher Unchristen heissen; sondern auch der so vielen christlichen Parteien selbst, die sich von dem Anfange ihrer neuen besondern Religion an bis hieher, weder in dem Hauptinhalte, noch in der Uebung ihrer christlichen Religion haben vereinigen können, oder vielmehr nicht haben vereinigen wollen? Diese Frage würde nun wieder dieses in sich fassen: ist der erste und fortdauernde Grund dieses Unterschieds der christlichen und unchristlichen Religion in diesen getheilten Menschen selbst, oder ausser ihnen in äusserlichen Umständen, oder in beiden Quellen zugleich zu suchen? Nun müssen wir die Anhänger dieser so verschiedenen Religionsformen selbst zuerst antworten lassen, was sie von dem ersten Ursprunge und Anfange ihrer Religion, in so fern sie eine neue Religion heißt, wissen oder glauben; und nun wird sich zunächst finden, daß überall, oder bey allen Religionsparteien, eine äussere Religion, oder ein bürgerlich festgesetztes Verhältnis öffentlicher oder gemeinschaftlicher feyerlicher Handlungen das neue besondere Band einer jeden Re[3]ligionspartey ausmacht. Es ist bürgerlich festgesezt, daß es so viel öffentliche Religionsdiener geben soll, deren öffentliche oder feierliche Verrichtungen und Geschäfte einmal wie allemal, ihnen [zugetheilt] und bestimmt sind; Geschäfte, welche sonst niemand verrichten darf, er mag übrigens noch so sehr von der ungezweifelten Wahrheit des Ursprungs dieser gemeinschaftlichen Religion, und von dem Vorzuge dieser also bestimmten Verehrung der Gottheit, sich selbst überzeugt finden. Diese öffentliche Religionsform, woran die gemeinen Mitglieder, die nicht selbst Religionshandlungen verrichten, nur leidender Weise oder durch vorübergehende Subordination an die bestellten Religionsdiener theilnemen, beruhet ganz auf der Einrichtung oder Einwilligung der zusammen gehörigen Gesellschaft, in Absicht der festgesetzten Umstände, unter welchen die Mitglieder die jedesmalige gemeinschaftliche Darstellung und Uebung des Betragens wiederholen, welches sie also zur öffentlichen Verehrung der Gottheit rechnen, daß sie es für eine ihnen unerlaubte oder sündliche Aufführung halten, wenn sie nicht diese kentlichen feierlichen Merkmale ihrer gesellschaftlichen oder brüderlichen Verbindung eben [4] so gegen andre darlegen, als von andern annemen wollten. Alle feierliche Handlungen, die von den öffentlichen Religionsdienern einmal wie allemal verrichtet werden, beziehen sich auf die erste Historie, auf den ersten Anfang aller Religionsparteyen; und sind in dieser Absicht der stete Grund von der Fortdauer dieser besondern Religionsparteien, die neben der neuen Religionsform auch gemeiniglich einen neuen besondern Staat ausmachen; so klein auch die Bedeutung dieses Namens, neuer Staat, anfänglich seyn mochte, ehe sein Umfang groß genug zu seyn schien, sich aus der bisherigen Stille und Verborgenheit nun öffentlich aufzustellen, und mit dem übrigen grössern Staat entweder sich zu messen, oder in ein solches Verhältnis zu sezen, durch Verträge oder gute Anerbietungen, als man wirklich zu erlangen zur Zeit hoffen konte.

Aber neben dieser öffentlichen Religionsform, welche alle Mitglieder durch ihre Einwilligung in einer besondern Verbindung mit einander erhält, die mit ihrer bürgerlichen Verfassung immer zusammen hängt: gibt es unter allen Religionsparteien auch eine innere oder Privat-Religion vieler ein[5]zelnen Menschen, die übrigens immer zu der öffentlichen Religionsform, als öffentliche Mitglieder gehören können; wiewol es auch bürgerlich hie und da (leider unter den Christen am wenigsten,) frey stund, seine Gegenwart jener öffentlichen feierlichen Versammlung zu entziehen; wenn nur sonst die bürgerlichen oder gesellschaftlichen Abgaben ferner entrichtet wurden, welche zur Erhaltung der öffentlichen Religionsdiener, oder Gebäude, oder zu andern legitimen Beyträgen, gehörten. In jedem Staat war eine öffentliche Religionsform zunächst zum festern Bande der bürgerlichen Gesellschaft durch Gesetze eingefüret; ohne die freistehende moralische Privat-Religion den einzelnen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft hiemit zu untersagen; sie mußten sie nur der öffentlichen Religion nicht entgegen stellen und einen neuen Staat anfangen wollen. Diese Privat-Religion so wol unter den Christen als Unchristen war zu allen Zeiten da, neben der öffentlichen oder gesellschaftlichen Religionsform, aber auch immer eben so verschieden, eben so ungleich als diese; wenn gleich alle Liebhaber und Theilnemer ebenfalls darin übereinkommen, daß sie in ihrem Thun und Lassen der Gottheit ihre Ver[6]ehrung, ihre Danksagung, ihre Zuversicht, in stillem eignen Bewustseyn beweisen wolten; wie alle Theilnemer an einer öffentlichen Religion es voraussetzten, daß diese feierliche Ordnung der Gottheit mehr gefalle, als wenn sie eine andre Art der Verehrung einfüren wollten. Bey aller öffentlichen Religionsform ist ein besonderer Charakter, der in der wirklichen oder vorausgesetzten Historie einer Nation oder der bürgerlichen Gesellschaft seinen Grund hat, und also gewis nicht zugleich für andere Staaten oder Nationen sich anpassen läßt, so lange diese ihrer ebenfals besondern alten Geschichte den Vorzug noch geben können; oder keine neue Historie erleben, welche ihnen nun wichtiger ist, als die Religionsform, welche sie ehemals vorzogen. Es ist ganz ausgemacht, daß die öffentliche Religionsform nur so lange noch fortgesezt wird, als die Gesellschaft selbst eine solche Einrichtung ihrem übrigen ganzen bürgerlichen Zustande für gemäs und nützlich ansiehet. Denn die öffentliche Religionsverbindung ist geradehin auf einer bürgerlichen Einwilligung gegründet, und sie enthält stets kenntliche Merkmale eben dieser besondern Gesellschaft, welche sich wissentlich zu einer solchen öffentlichen [7] Religionsform vereiniget. Wie es blos von den äusserlichen localen Umständen einer christlichen Gesellschaft abhängt, ob sie so oder so viel Religionsdiener halten kann und will, ob sie schlechte oder prächtige Religionsgebäude unterhalten kann; 719ob sie 2 oder 3mal an Sontagen und Festtagen sich versammeln will; ob alle Sontage, oder alle Monate Abendmal gehalten werden soll: so ist es überhaupt von der ganzen äußerlichen oder öffentlichen Religionsform wahr, daß sie, weil sie local ist und bleibt, nur einen menschlichen, bürgerlichen Ursprung hat und behält. Alle Religionsparteien in alten Zeiten haben zu dem Anfange einer Religionsordnung ein göttliches Ansehen vorausgesetzt; weil man in allen Zeiten und in allen Theilen des Erdbodens, wo Menschen wonten, die Gottheit gleich gut als unsichtbare Ursache neuer großen Begebenheiten nennen konnte; aber die besondere Localität brachte einen steten Unterschied aller Religionsformen mit sich, nach dem steten Unterschied der Völcker, die ihre Gesellschaft nun durch ein gemeinschaftliches Band der Gesammtreligion, oder durch Einheit der Religionsform zu einem festen fortdauernden Ganzen vereinigen wolte. Daher eine feierliche Einheit [8] der Merkmale eingefürt worden, wodurch die Mitbürger einander als fernere Theilnemer an einer gemeinschaftlichen öffentlichen Verehrung der Gottheit immer erkennen, und sich auf die Wahrheit und Gewißheit bürgerlicher Verträge verlassen könnten. Die nächste Absicht aller öffentlichen Religionsformen war diese bürgerliche Vereinigung und Sicherheit alles bürgerlichen Wohlstandes; wenn man auch von Wohlthaten oder vom Zorn der Götter öffentlich redete, verstund man immer bürgerliches oder häusliches Wohlergehen, das zunemen oder abnemen würde; auf moralische Privat-Religion, in so fern sie auf fortgehender eigener Erkenntnis und ihrer Anwendung beruhet, war die öffentliche oder gemeinschaftliche Religions-Form, welche alle Mitglieder einmal wie allemal zusammen hielte, gar nicht berechnet.

So bekannt es unter den Christen ist, daß die Juden sich von allen andern Nationen so unterschieden, daß diese unter dem allgemeinen Namen Goim (Heiden) begriffen wurden, sie aber sich als ein Volck Gottes mit besonderer stolzer Einbildung ansahen, das allein eine solche Verehrung Gottes [9] kenne, und durch seine 720Priester und Leviten leiste, die allen andern Völkern, zu ihren Nachtheil, unbekannt sey: so ganz ausgemacht ist doch 721 der allererste Grundsaz der neuen christlichen Religion, daß ein und derselbe Gott aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf die äusserlichen Umstände sehe, wodurch sich Juden von andern Völkern ganz unmoralisch unterscheiden; sondern das Thun und Lassen der Menschen 722 [nach dem] Maße ihrer Erkenntnis vom Guten und Bösen beurtheile. In Christo, oder nach der reinen Lehre Christi von dem allgemeinen gleichen Verhältnis Gottes über alle Menschen, war nun der falsche Unterschied, den die Juden zum Vortheil ihrer Nation eingefürt hatten, ganz aufgehoben; Jude, 723Hellen, 724Skythe, 725alle Nationen haben eben so wenig schon einen moralischen Vorzug, als Mann und Frau, Herr und Knecht. Dis wissen wir aus den christlichen Urkunden, welche jetzt das neue Testament oder der neue Bund, die Grundstüze der neuen bessern Verehrung Gottes, heissen, welche nun fast in jedermans Händen sind, und in allen Sprachen gelesen werden können, um einen Inhalt der christlichen öffentlichen oder beson[10]dern Privat-Religion daraus zusammen zu sezen. Desto sonderbarer und auffallender ist es für uns, 726daß schon Tertullian am Ende des 2ten christlichen Jahrhunderts, und nach ihm andere christliche Lehrer, von einer dritten Nation reden; und daß sie die neue Nation der Christen neben Juden und Heyden sezen, daß sie also jenen jüdischen, blos jüdischen Unterschied, nun fortsezen, und Juden, Heiden und Christen neben einander stellen, um alle Menschen unter diese 3 Hauptklassen zu bringen. Da nun Juden und Heiden eine öffentliche National-Religion hatten, welche mit der bürgerlichen Gesellschaft allemal zusammen hing, und blos eine politische Absicht hatte: so legte man eben hiemit den Grund zu einer neuen politischen Gesellschaft, und die ganz andre moralische Natur der christlichen Religion, welche auf alle einzelne Menschen sich bezog, und eine bessere moralische Verehrung des besser erkannten Gottes mit sich brachte, wurde wieder in eine eben so unmoralische blos politische Religion verwandelt. Wenn man diese neue Religion einer dritten, von nun an sich ausbreitenden Nation beschreiben will: so muß man sagen, diese neue christliche Religion begreift [11] neue historische Grundsätze, welche sich von der politischen Historie der Juden und aller andern Nationen unterscheiden, damit die Menschen durch Vorhaltung grösserer äusserlicher oder sinnlicher Wohlfahrt sich von ihrer bisherigen bürgerlichen Gesellschaft losmachen, und in diese vortheilhaftere Gesellschaft der neuen christlichen Partey sich begeben. Daß dieser Endzweck keinesweges in der Lehre Christi und seiner Apostel gegründet sey: wissen wir so gleich, weil wir die christliche Urkunden oder neuen Bücher selbst lesen und ihren ganz gemeinnützigen Inhalt gewiß genug ausmachen können. Allein eben diese christliche Urkunden waren in den ersten 2 und 3 Jahrhunderten noch nicht in den Händen aller der Menschen, welche zu einer neuen christlichen Religionsgesellschaft eingeladen wurden. Der Inhalt dieser Bücher war daher noch lange nicht überall da bekannt, wo es schon christliche Gesellschaften gab; wir könten uns sonst den erstaunlichen Unterschied der Grundsäze und Meinungen eben so wenig erklären, als den gar schlechten moralischen Zustand so vieler Christen, selbst so vieler Personen, die schon zur Clerisey, oder zu den kirchlichen Obern gehören; welchen schlechten, ganz [12] unwürdigen Zustand wir doch theils aus den 727 elenden Schriftstellern, theils aus 728den lauten Klagen eines Cyprians, 729 Eusebius, (bey der 730Verfolgung unter dem Diokletian) 731 Hieronymus (etc.)et cetera so gewiß kennen, daß die gewönlichen guten Vorurtheile von dem Vorzug der so genannten ersten Christen, uns um so weniger irre machen können, als sie ohnehin nicht eine öffentliche Religionsform betreffen, sondern blos manche einzelne Christen angehen, deren wirklich gute Privat-Religion ihr eigener persönlicher Vorzug ist. Nachdem es wirklich mehr christliche Gesellschaften giebt, welche eben diese Urkunden der neuen Religion bey sich eingefürt haben: so ist dennoch die öffentliche Religionsform dieser Gesellschaften keinesweges Eine und dieselbe, wenn sie gleich nur durch das Beiwort christliche Religions-Ordnung von der jüdischen und allen heidnischen öffentlichen Religionsformen allesamt verschieden sind. Diese Verschiedenheit gleichzeitiger neuen Gesellschaften beruhete zwar häufig auf den sehr ungleichen äusserlichen und localen Umständen: es hatte aber auch die Verschiedenheit der Talente und der eigenen Einsicht der ersten Lehrer, einen fast eben so großen, eben so gewissen Einflus. [13] Und eben diese innere Ungleichheit der Christen, die eben so wenig von ihnen selbst abhing, als ihre locale Verschiedenheit ihres menschlichen Daseyns, erzeugete unumgänglich eine Privat-Religion zugleich, neben der äußerlichen öffentlichen Religionsordnung, in welche sie selbst mit einander einwilligten. Denn wie alle bürgerlichen Gesetze und öffentliche eingefürte Ordnungen sich nicht auf die innere stets ungleiche Fähigkeiten, Talente, Natur-Gaben oder Anlagen der Mitglieder in der Absicht beziehen, daß alle Bürger nun einander gleich gemacht und alle zu einer einzigen Stufe der Naturgaben erhoben würden, als welches geradehin unmöglich ist, sowohl an sich selbst als auch in Absicht einer gesellschaftlichen Verbindung, welche durchaus schon eine Ungleichheit und Verschiedenheit der sich verbindenden mehreren Mitglieder einschlieset, um durch zusammengesetzte ungleiche Kräfte desto gewisser den Endzweck, grösserer und gewisser Wohlthat, für alle Mitglieder zu erreichen: so hat auch alle öffentliche Religionsordnung, oder alle äusserliche festgesetzte Form eines gemeinschaftlichen Bekenntnisses der christlichen Verehrung Gottes, in einer bürgerlichen Gesellschaft, keines[14]weges die besondere Privat-Religion aller dazu fähigen Christen aufheben oder vertilgen können und sollen; wenn wir nicht eine rohe Tiranney und Beherrschung des Gewissens, oder der inneren Seelenkraft für die beste Verehrung der unendlichen Gottheit gelten lassen wollen, deren Unmöglichkeit wir doch alle schon eingestehen, wenn wir vernünftige würdige Verehrer des höchsten Wesens seyn wollen. So wenig der Eine Staat für alle andre Staaten, die von ihm nicht abhängen, eine allgemeine Regierungsform festsetzen kann: eben so wenig kann irgend eine christliche Religionspartey einen rechtmäßigen Grund haben, für alle andern christlichen Parteien eine allereinzige gemeinschaftliche öffentliche Religionsform einzufüren; und gar niemalen kan sich irgend ein Regent es vorsezen, 732alle Privat-Religion durch eine Vorschrift der öffentlichen gesellschaftlichen Religionsform zu hindern oder abzuschaffen. Es gibt kein bürgerliches Gebot und Verbot über die eigene Grösse und Anwendung des Verstandes und Urtheils; weil es keine menschliche Gewalt und Macht gibt, welche die logischen unbesieglichen Geseze des Verstandes und Urtheils einschränken könnte. Es gab also und gibt noch [15] immer neben aller äusserlichen Religionsordnung, welche für die Mitglieder einer Parthey auf eine schon bestimmte Zeit gehört, zugleich auch eine besondere Privatreligion, so gar als ausgemachte Pflicht aller fähigen Christen; wenn auch viele andere Christen jenes gemeinschaftliche bürgerliche Bekenntnis für die einzige und beste Verehrung der Gottheit ansahen, in so fern die bestalten öffentlichen Diener der Gesellschaft gewisse feierliche Handlungen verrichteten, bey denen andre Christen als Zuschauer und leidentliche Theilnehmer zugegen zu seyn pflegten. Je mehr eine eigene, tägliche, fortgehende Verehrung Gottes den Christen, welche keine Religionsdiener sind, ganz felet: desto weniger haben sie selbst moralischen eigenen Vortheil von jener fremden feierlichen Beschäftigung; sie sezen blos ihre äusserliche Rechte fort, wonach sie das öffentliche Amt der Religionsdiener in seiner Ordnung einmal wie allemal erwarten, und seine Vollziehung für gerecht und untadelhaft erklären. Hiemit üben sie blos äusserliche gesellschaftliche Rechte aus, wornach sie die Religionsdiener auch wälen, bestallen, oder wieder verabschieden. Diese ganze äusserliche gesellschaftliche Religionsform und gleich[16]förmige Religionsordnung, ist weder zugleich die beste Privatreligion oder besondere Verehrung Gottes, wie sie allen den so ungleichen Christen zukommen mag, welche Mitglieder der Gesellschaft sind: noch hat sie eine innere Unveränderlichkeit, da sie sich auf den steten innern und äussern Unterschied nach Zeit und Ort beziehet, wodurch die Menschen selbst immer schon von andern unterschieden werden. Es ist also auch die Absicht der öffentlichen Religionslehrer, der Religionsbeschützer, der gemeinen Mitglieder der Religionsgesellschaft, nicht geradehin eine und dieselbe; wenn wir diese Absicht nach dem ersten Anfange, nach dem Fortgange und der Ausbreitung dieser neuen Religion beurtheilen. Selbst der Inhalt der neuen christlichen Urkunden belehret uns von dem grossen Unterschied dieser Absichten; und so weit wir eine Historie der Christen kennen, finden wir die ganz gewissen Folgen der sich ausbreitenden neuen Religion so sehr ungleich und verschieden, daß man gar nicht daran zweifeln kan, welches die wirklichen Absichten der christlichen öffentlichen oder heimlichen Lehrer, der Regenten und Anhänger gewesen seyn. Wenn also gleich immer ein und derselbe Name, christliche Religion, [17] behalten worden ist, bis auf unsre Zeit: so ist es doch ganz ausgemacht, ganz unumgänglich, daß die unzäligen Millionen Christen, die sich auf dem Erdboden nach und nach ausgebreitet haben, weder einen und denselben Sachinhalt in ihren Vorstellungen, Urtheilen und Neigungen einmal wirklich angenommen und beibehalten haben, noch auch eine solche Einheit und Gleichheit zur Pflicht und zum moralischen Endzweck haben konnten. Blos in äusserlichen Veränderungen und Handlungen kan es ein und dasselbe Maas geben, sie können nach ihrem Anfang, nach ihrer Dauer bestimmt werden; da aber die Verehrung Gottes eine innere moralische Uebung ist, und die Bewegung des Verstandes und Urtheils von gar keiner äusserlichen Gewalt abhängt, so gar von unserm Vorsatz nicht abhängt, sondern unzäliger Modificationen fähig bleibt: so ist es freylich eine gar natürliche Begebenheit, daß die so ungleichen Menschen, welche christliche Grundsäze zur Verehrung Gottes annamen, weder in den Vorstellungen eines und desselben Inhalts noch in den daraus hergeleiteten Urtheilen und in der Anwendung überein kommen konnten. Diese stete unaufhörliche Ungleichheit [18] und Verschiedenheit ist bei allen Christen, die nicht ganz ein Echo und ein mechanischer Wiederhall todter Töne ihrer Lehrer sind; und sie erstreckt sich auf alle Lehrsätze der Gegenstände, welcher nun christliche heissen. Blos ganz dumme, ganz unfähige Menschen wiederholen alle Worte ihres Lehrers, so lange sie selbst keine eigene Vorstellung ihres Sinns oder Sachinhalts zusammen sezen; in allen fähigern, zum eignen Nachdenken aufgelegten Menschen erzeuget der Unterricht gleichsam einen unsichtbar, unvertilgbar wirkenden Samen, zur eignen Bewegung des Verstandes. Alle diese Ungleichheit und Verschiedenheit der Vorstellungen über die neuen christlichen Gegenstände, verändern nichts in der moralischen Art, oder in der Natur, und in den steten moralischen guten Folgen dieser neuen Vorstellungen; sie unterscheiden nicht nur eine besondere Uebung und Stufe der Gesinnung und Neigung des Christen, von der Uebung und Gesinnung der Juden und Heiden, so weit sie auf einer besondern Historie beruhet; sondern sie verändern auch die vorige innere Gemütsfassung des Menschen, durch die würdigern Begriffe von dem moralischen Verhältnisse Gottes, [19] daß er nun selbst in unaufhörlicher innerer Verehrung Gottes fortgehet. Diese innere Religion ist für den Christen um seines eigenen moralischen besten Zustandes willen die Hauptsache; ist für ihn ganz frey, und hängt blos von seiner eignen Erkenntnis alles moralisch Guten ab; oder er folgt seinem eigenen Gewissen, in seiner Privatreligion; läßt sich aber alle äusserliche oder öffentliche Religionsordnung gern gefallen, wie sie von der grössern Gesellschaft, oder von der Obrigkeit eingerichtet wird, weil der Endzweck derselben sich auf eine große Menge beziehet, die durch einerley feierliche Merkmale sich als Mitglieder einer localen Gesellschaft immer einander wieder zu erkennen geben wollen, und keinen Grund finden, warum sie zu andern Religionspartheien übergehen sollten. Dis ist wol vorläufig hinlänglich, um auf den steten Unterschied der öffentlichen christlichen Religionsform, die zur äusserlichen Vereinigung einer großen Menge zunächst bestimmt ist, aufmerksam zu machen; da hingegen die Privatreligion der einzeln Christen nur für sie selbst zu ihrem eigenen moralischen Wohlseyn gehöret, und nur durch ihr eigen Gewissen bestimmt wird. Wenn nun viele so genannte Chri[20]sten selbst keine tägliche immerwärende, innere Verehrung Gottes kennen und bedächtig anwenden, in allem ihren Thun und Lassen: so finden wir daher in allen Religionsparteien so viele Menschen, die einander so gar in allen Lastern, und in allen öffentlichen Bosheiten ganz gleich sind. 733Es giebt hie und da sehr nützliche Verzeichnisse öffentlicher Missethäter, die als Mörder, Räuber, geflissentliche Diebe, als Kindermörderinnen, Giftmischer (u. s. w.)und so weiter hingerichtet worden sind; (z. E.)zum Exempel Seit 100–150 Jahren, sind in diesen Stadt- oder Amtsgerichten öffentlich am Leben gestraft worden, folgende Personen, männlichen und weiblichen Geschlechts: Zwanzig waren katholischer Religion; 17 waren lutherischer Religion; 11 waren reformirter Religion; 30 waren jüdischer Religion. Muß man nicht durchaus erschrecken, über diese Erscheinung? In allen diesen Religionsformen liegt ein Bekenntnis der Verehrung Gottes zum Grunde; die ersten Grundsätze der neuen Religion der Christen brachten es mit sich, daß kein Christ von nun an als Mörder, Dieb, Ehebrecher, Uebelthäter der bürgerlichen Obrigkeit zur Ausrottung aus der Gesellschaft überliefert werden möge; weil [21] 734der Christ durch neue Erkenntnis gleichsam aus Gott geboren ist, der alle vorigen unordentlichen Lüste und Begierden ein für allemal verabscheuet und nun so in einem neuen Leben wandelt, daß er sein Licht in edlem Thun und Lassen zum Vortheil anderer Menschen leuchten läßt, daß auch diese zu eben solcher Verehrung Gottes gereizet werden, durch das anziehende Beyspiel so würdiger Menschen. Nun wiederhole man diese große Frage, was ist (jetzt, bisher,) die christliche Religion?

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2. Wie ist diese so ungleiche christliche Religion entstanden? die als eine neue Art oder Stufe der Verehrung Gottes sich von den damals bekanten öffentlichen Religionsgesellschaften mit Recht unterschied, und nun wieder, neben einer verschiedenen öffentlichen christlichen Religionsordnung, eine immer ungleiche innere Privatreligion mit sich brachte?

Auf die Frage wie – kann man nicht so geradehin antworten. Denn sie betrift zunächst zugleich die äussere und innere Historie, oder neue Geschichte der Christen; und einer neuen Religionsgesellschaft. Von diesem ersten Anfange einer neu[22]en Religionsgesellschaft, giebt es selbst unter den Christen keine eigentliche zuverläßige Nachricht; sie waren noch nicht öffentliche Gesellschaften, wurden also von Griechen und Römern nicht gelitten; sie hielten sich auch geheim, geraume Zeit. Daher die christlichen von einander noch unabhängigen Gesellschaften, sehr verschiedene Erzählungen, lange Zeit ohne Urkunden, freylich zu ihrer Empfehlung, zusammengesezt und ausgebreitet haben. Es ist aber genug geantwortet, wenn man sagt, die neue Religion der Christen entstund durch die Anname neuer Begriffe und jetziger Urtheile über eine bessere und allgemeinere Verehrung Gottes, als man in der bisherigen öffentlichen Religion der Juden und Heiden antrift. Diese neuen Begriffe und Urtheile von einer bessern würdigern Verehrung Gottes, haben sich zunächst durch die öffentliche Lehre des Jesus als des rechten Messias oder Christus, und nachher durch seine wahren Schüler, Apostel und Jünger, unter Juden und Heiden, immer unter ungleichen Umständen, in ungleichem Inhalte ausgebreitet. Es gab aber schon vorher manche richtigere moralische Begriffe, sowol unter den Juden als auch unter [23] den Heiden; die Liebhaber und Theilnemer aber hatten sich noch nicht zu einer neuen Gesellschaft öffentlich vereiniget. Unter den Juden selbst kommen 735in dem so genannten alten Testament sehr viel wahre Begriffe vor, daß die rechte würdige Verehrung Gottes gar nicht darin bestehe, daß jemand den Priestern und Leviten gewisse Geschäfte, an seiner Statt aufträgt; sondern in der innern Gesinnung aller Menschen selbst, wodurch sie nun ihr Thun und Lassen so gern selbst bestimmen, um den Absichten Gottes gemäs zu leben. In vielen Psalmen und manchen Stellen der so genannten Propheten findet man auch diese moralische eigene Religion. Nun 736hatten auch griechische Juden schon vielerley griechische moralische Aufsätze unter ihren Bekannten ausgetheilet; auch von der bald zu hoffenden Ankunft des Messias manche Vorstellungen aufgebracht und ausgebreitet; wie Pharisäer, 737Essäer und Sadducäer schon aus griechischer Philosophie von neuen viel genützt hatten zu einer sehr verschiedenen Beurtheilung der alten öffentlichen Religion, unter der alle Parteyen begriffen waren. Diese vorausgehenden Stufen werden auch in manchen Büchern des (N. T.)Neuen Testaments wieder [24] angefüret; aber es wird auch gefunden, daß diese neue bessere Einsicht von der Allgemeinheit Gottes und seinen steten Absichten zum moralischen Besten aller Menschen, 738ehedem noch ein Mysterium, oder unbekannt, nur sehr wenig bekannt gewesen; von nun aber durch jetzige neue grössere Offenbarung Gottes, (oder durch Belehrung, die Gott unter diesen Menschen beförderte) überall ausgebreitet werden solle, ohne Unterschied der Nation. Diesen Jesus Christus nennen die Apostel und neuen Lehrer ihren einzigen moralischen Herrn, weil, nach ihrer neuen Einsicht, die Menschen nicht mehr unter dem Moses, oder unter den 739vielerley Engeln und Geistern stehen, welche die Juden seit der griechischen Uebersezung der so genannten 740 LXX, über die 741Goim, oder Heiden, über die (Heiden) Welt zu sezen, angefangen hatten. Die Christen wissen es nun, daß alle Menschen unter einem Gott stehen, wie die Christen unter Einem Herrn, unter dem rechten Sohn Gottes sind, der alle jene Geister ihres Gebiets über die Menschen entsezt, und die Menschen von aller bisher vorausgesezten Gewalt des Teufels physisch oder moralisch erlöset hat. Diese neuen [25] bessern Begriffe und Urtheile beziehen sich zunächst auf die vielen Vorurtheile und Meinungen, welche nach und nach unter den Juden, durch Pharisäer und 742Rabbinen, und durch griechische, politische auch wohl fanatische [Schriften ausgebreitet] worden waren; wozu selbst der Name und die angebliche Bestimmung des Messias zeither schon gemisbraucht worden war. Je mehr diese jüdischen, allerdings jüngeren Vorurtheile oder politische Irrtümer der Rabbinen, erst gesammlet und zusammen gesetzt werden, welches die meisten ältern Ausleger des (N. T.)Neuen Testaments noch nicht thun konnten: desto gewisser und verständlicher werden nun viele Stellen des neuen Testaments, über deren unrechte Mischung und schon lange fortgehende Wiederholung die fähigern Christen zeither wenig gute Anleitung, also manchen Anstos gehabt haben. Eben diese bessern Einsichten und Urtheile, welche den Anfang einer christlichen Religion ausmachen, hätten unter den nunmerigen Christen als neue itzige christliche Vorstellung und Einsicht fortgesezt und immer mehr als unsre christliche Erkenntnis, befördert werden sollen; dafür aber hat man gar die Christen geradehin angewie[26]sen, alle jene jüdischen Meinungen und Vorurtheile als aus göttlicher Offenbarung hergekommene Lehren, in ihrem eigenen Gemüte vollständig zu bewaren, selbst zu glauben oder für allgemeine Religionswahrheiten zu halten; welches doch der christlichen neuen Religion ganz entgegen ist, daher auch diese anfangende christliche Religion gar als eine unveränderliche Summe von stillstehenden Kenntnissen endlich angesehen worden ist. 743 Dieser folglich blos historische Glaube von äusserlichen ehemaligen Wirkungen hat freylich auch die großen neuen Früchte unter den Christen nicht zunächst ausbreiten können, in welchen gleichwohl die christliche Religion bey jedem Christen bestehen sollte, wenn diese neue Verehrung Gottes nach seinem eignen Gewissen eben so in ganz andern äusserlichen Umständen entstehet, wie sie damals entstanden.

3. Wer ist denn, oder wer war dieser Jesus als wahrer rechter Messias im Unterschied der falschen jüdischen Meinung, von einem National-Messias, oder politischen Wohlthäter ihrer Nation?

[27] Diese Frage ist theils historischen theils moralischen Inhalts; daher denn selbst die sehr ungleichen Anhänger dieses Stifters einer neuen Religion, gar verschieden antworteten; nachdem sie theils diese oder jene Bücher, die zur neuen Religion gehörten, oder die Urkunden ihrer neuen Religion annamen, theils so oder so, selbst gebrauchten und erklärten. So ungleich die neuen Urkunden der christlichen Religion so wol an sich selbst sind, als auch von den Lehrern der christlichen Religion erklärt und verstanden werden: so konnten doch gewis alle Christen aller Zeiten und aller Parteien darin erkennen, daß Jesus, als der rechte Messias und Sohn Gottes, der rechtmäßige, annemungswürdige Stifter ihrer neuen Religion seie; daß Gott durch die Lehre des Jesus eine bessere Erkenntnis und Verehrung des höchsten Wesens aufgestellet habe, als die jüdische und heidnische gewönliche Religion bisher in sich begriff; daß alle Menschen nicht blos eine öffentliche Religion, und bestellete Religionsdiener haben, sondern auch eine eigene moralische Religion selbst immer besser ausüben müssen, nach dem Inhalt ihrer eigenen Erkenntnis des viel grössern und unendlichen Verhält[28]nisses Gottes; welches moralische Verhältnis Gottes weder in der jüdischen noch heidnischen öffentlichen Religion, so gut und richtig schon enthalten war, als es nun die Grundsätze die Jesus lehrete, wirklich immer mehr entwickeln sollten. Diese Grundsätze stunden theils dem ganzen bisherigen Judentum, theils dem jetzigen Heidentum entgegen und empfahlen freylich eine höhere und reinere Moral, bessere Erkenntnis Gottes, wider alle jene sinnlichen Lüste und Begierden, welche Juden und Heiden mit ihrer öffentlichen Religion immerfort so gar beschützen und vereinigen konten. Noch für sehr wenige Liebhaber war diese moralische innere Religion, die keine äusserliche Revolution versprach schon umständlich oder annemlich; sehr viele Zeitgenossen hingen an einen historischen politischen Messias, der bald eine bürgerliche glückliche Revolution nach ihren sinnlichen Wünschen, bewerkstelligen sollte. Die Briefe Pauli und anderer Apostel lehren und empfehlen die moralische eigene Religion, und lassen den äusserlichen bürgerlichen Zustand aller Menschen das ferner seyn, was er schon war. Aber es waren schon allerley historische Erzälungen von dem, was der Mes[29]sias zur Vertilgung der Heiden thun werde, ausgebreitet worden nach den Wünschen und Erwartungen der gemeinsten Juden. Wider diese fanatischen falschen Beschreibungen des Messias, wozu man auch schon Stellen der Propheten gemisbraucht hatte, sind die noch übrigen 4 griechischen Evangelia damalen gerichtet, worin die algemeine moralische Bestimmung des Messias der Hauptinhalt ist, der zur Belehrung der damaligen Heiden eine solche Einkleidung bekommen hat, wie sie für diese Zeiten das schicklichste Mittel war, sie endlich zur Veränderung ihrer jüdischen Grundsätze und Vorurtheile und eigener neuen Erkentnis und Ueberzeugung zu bringen 744(μετανοειν, πιστευειν.) Aus solchen neuen Urkunden, aus mehrern oder wenigern, haben die Theilnemer an einem Messias ihren neuen Religionsbegriff von Zeit zu Zeit hergeleitet, und sich immer mehr in neue christliche Parteien oder Familien äusserlich getheilet, die daher auch auf diese Frage: wer ist Jesus Christus? gar verschiedene Antwort zu geben pflegten; alle aber nur Anhänger einer neuen Religion waren, die von dem Stifter Christus, die christliche Religion heißt; ohne daß alle Parteien eben den[30]selben Inhalt oder Lehrbegriff der christlichen Religion hatten, der allemal local ist, oder in besonderer Localität ungleich gesammlet wurde.

4. Welches sind denn die neuen Urkunden, oder die neuen Grundbücher der christlichen Religion, durch deren so verschiedene Anname und Erklärung die Christen sich in so viele Parteien immer getheilt haben, da sie nun selbst öffentliche christliche Religionsformen einfürten?

Sie werden unter den Namen neues Testament, oder neuer Bund begriffen; dieser Name bezieht sich auf den alten Bund, oder das alte Testament, welches die öffentlichen Urkunden der jüdischen Religion und ältere Geschichte dieses Volcks begreift. Diese jüdische Religionsordnung 745hieß ein Bund, den Gott mit dem Patriarchen Abraham schon gemacht, und nachher durch den Moses noch mehr wider alle andre Religionsformen aller andern Völker, bestätiget habe. Dieses mosaische Gesez, welches die ganze Nation der Juden zusammen hielt, wurde nach und nach von der viel [31] bessern eigenen innern Religion, wozu weder Tempel noch Priester gehören, immer mehr unterschieden; daher selbst in jenen spätern Schriften der Juden, die hinter den so genannten Büchern Mosis gesammlet wurden, schon von dieser rechten moralischen Religion, oder von dem 746 bessern Bunde, als der mit den Vätern und Vorfahren des Volks errichtet worden war, gleichsam von weitem Anzeige und Belehrung vorkommt, wornach einst 747alle Heiden, alle Völker Gott loben und preisen, und ein reines Opfer bringen möchten in allen Ländern und Inseln; ohne jüdisches Gesez, oder ohne die jüdische Nationalreligion annemen zu müssen. 748Diese Prophezeiungen oder Weissagungen reden zuweilen, (können wenigstens so verstanden werden,) von einem besondern Knecht oder Diener Gottes, von einem rechten König, oder Gesalbten Gottes, Messias, durch welchen Gott die Ausbreitung seiner Erkenntnis, und den Wachsthum der moralischen Welt befördern würde; wenn gleich viele zumal griechische Juden in einer engen patriotischen Denkungsart dergleichen Stellen blos von einer politischen Wohlfahrt und Erhebung ihrer Nation durch einen politischen Messias zu verstehen pfleg[32]ten. In allen Büchern des neuen Testaments werden daher solche ältere jüdische Anzeigen, um dieser Juden willen, welche eine höhere moralische Gesinnung nach und nach annemen solten, häufig eingemischt mit der 749Nachricht, daß dieses nun erfüllet seie, oder eintreffe an diesem Jesus als Christus; alle andern schon gewönlichen Erwartungen aber keinen vorzüglichen Grund hätten. Durch solche jetzige neue Urtheile wurden immer mehrere damalige Juden in eigenem Nachdenken, überzeugt; sie verliessen also nach und nach die alten jüdischen Grundsätze, und ergriffen diese neue bessere Religion; freylich noch in sehr ungleichen Stufen; daher auch diese Bücher des (N. T.)Neuen Testaments einen sehr ungleichen Inhalt haben. Die historische Existenz dieser nun erst anfangenden neuen Religionsgesellschaft der Christen wird durch diese Bücher so beurkundet, daß über diese neue Begebenheit gar kein Zweifel statt finden kann. Es entstehen mehrere neue Religionsgesellschaften im ganzen römischen Reich, und in andern bekannten Ländern; man muste viele Mitglieder nun auch thätig unterstützen, da sie bey den Juden keinen Unterhalt mehr fanden, daher entstund eine gesellschaft [33] liche Einrichtung, wo es an Verschiedenheit nicht fehlen konnte. Diese Verschiedenheit und Vielheit der neuen Religionsparteien wird durch diese neuen christlichen Schriften selbst immer mehr vergrössert; indem auch aus manchen Gründen oder Absichten, einige Lehrer oder Urheber neuer Gesellschaften so und so viel aus der jüdischen Religion, oder aus anderer Völker Gebrauch oder Cultur, mit in diese Religionsformen einmischten; wie hingegen andre Christen alles jüdische ganz absonderten, durch ihre bessere Erkenntnis; nachher hat man alle neuen Bücher und alle neuen Traditionen zu vereinigen gesucht, um desto mehr eine einige grosse Gesellschaft zu verschaffen.

5. Ist denn ein jedes Buch dieses neuen Testaments dem Inhalte nach den übrigen gleich, daß also eins so gut als das andere eine Urkunde der neuen oder christlichen Religion abgeben kann?

Wenn auf den neuen Grund und Inhalt gesehen wird, wie er dem unmoralischen Juden- und Heidentum entgegen stehet, kan man diese [34] Frage wirklich bejahen. Denn diese neue Religion hat noch nicht ihre ganze Ausbreitung und bestehet nicht in einer einzigen gleich grossen Summe der neuen Einsichten und Urtheile von einer bessern Gottesverehrung, als bisher die gemeinste jüdische und heidnische Religion enthielt. Die 3 neuen Grundbegriffe der christlichen Religion, die sich auf Vater, Sohn und Geist Gottes beziehen, kommen in allen diesen Büchern vor; aber ohne eine feststehende Bestimmung der Vorstellungen, die dazu gehören. Daher sich eben die Christen am allermeisten über diese 3 Grundbegriffe und ihre Verknüpfung, wenn sie gleich nun zur christlichen Religionssprache, einmal wie allemal gehören, getheilt haben. Das Allgemeine davon könnte wol so angegeben werden. 1) Es ist ein einiger Gott, aller Menschen, sowol Juden als Heiden, gemeinschaftlicher Vater und Oberherr. 2) Es ist kein solcher Messias, wie ihn die Juden beschreiben, zu erwarten. Dem Sohne Gottes muß man ein eben so allgemeines Verhältnis über die ganze unsichtbare moralische Welt beilegen, als das Verhältnis des Vaters ist, daß er aller Heiden moralischer Herr und Wohlthäter [35] ist. Der Sohn Gottes und Messias, lehrt die allgemeine Gnade und Liebe Gottes zum moralischen Besten aller Menschen; ihr moralischer unglücklicher Zustand mag so oder so von ihm beschrieben werden. 3) Der Geist Gottes wirket nicht blos unter den Juden in ihren Propheten, sondern unter allen Menschen, zur Beförderung der Absichten Gottes in der ganzen moralischen Welt. Da aber diese einzelnen Bücher eine lokale, historische besondere Veranlassung hatten, und ihre erste Leser sich unter sehr ungleichen Umständen befanden: so ist auch der Inhalt und seine Einkleidung in einem verschiedenen Maase, mit damaliger Einschränkung abgefaßt, und nicht in allen gleich viel von dem Sohn und Geist Gottes gesagt worden. Manche Leser oder erste Schüler der neuen Religion hatten schon eine andere Uebung und Vorbereitung, als viele andre noch nicht hatten; zumal durch den Gebrauch der griechischen Uebersezung und anderer moralischen Schriften, die von 750 alexandrinischen Juden herkommen. Daher selbst die Beschreibungen, die den Sohn Gottes angehen, in diesem N. T. nicht einander gleich sind; wenn in manchen Schriften so gar jüdische Traditionen und Mei[36]nungen von Engeln vorkommen, ohne hiemit Vorschriften für alle ganz andern Christen zu werden. Der Unterschied zwischen 751moralischen Kindern, Unmündigen, oder fleischlichen, sehr unfähigen, sinnlichen Christen, wird selbst in diesen Büchern angezeigt, die 752starke Speise, oder allgemeine Begriffe noch nicht alle vertragen können; die von dem Christus noch immer manche äusserliche Revolutionen, oder ein 753tausendjähriges Reich auf Erden, erwarten; weil sie unter dem Subjekt, Christus, Sohn Gottes (etc.)et cetera einen kleinern halbjüdischen Begriff hatten (etc.)et cetera

6. Da es also ausser diesen Büchern des N. T. damalen noch manche andre Schriften gegeben hat, die schon ihre Liebhaber hatten; als eben diese LXX und so genannte 754 Apocrypha, oder ihres Inhalts wegen geheim gehaltenen Bücher: aus was für Grunde hat man nun nachher so verschiedene sehr ungleiche Schriften, gleichwohl in ein zusammengehöriges Ganzes vereiniget, und sie unter dem Einen Namen neues Testament allesamt begriffen? Sie gehörten nicht gleich gut für alle Christen, wie moralische Kinder und Er[37]wachsene oder Männer sehr ungleiche moralische Narung haben müssen?

Dieser Name, neu Testament, als Inbegrif oder Anzal neuer Bücher der Christen, ist wie das Wort Evangelium für Historie Christi in Palästina, ein jüngerer Sprachgebrauch, der unter den Christen aufgekommen ist, da sie schon sich weit ausgebreitet und Kentnis von vielen solchen Büchern hatten. Einen neuen Bund, neue bessere Grundsäze von innerer Verehrung Gottes, ohne mosaisches Gesez, das nur für Juden gehörte, hatte Jesus, als rechter Christus, zu empfehlen angefangen; und durch seinen Tod bestätigt. Nun konte man kein weltlich Reich des Messias weiter erwarten. Diese neuen Grundsäze an sich selbst, ohne die und jene Einkleidung, machten den neuen Bund, oder den Grund einer bessern Religion aus. In allen diesen freylich sehr ungleichen Büchern gehört die Einkleidung oder die Lehrart nicht selbst, einmal für allemal, zu dem Sachinhalte dieser bessern Religion, oder zur Vorschrift einer einzigen Vorstellung; sondern ist eine damalige, vorübergehende Modification des Unterrichts, nach der [38] ungleichen Fähigkeit dieser Zeitgenossen. Da sie nemlich durch manche Schriften oder Traditionen bisher schon allerley Gedanken und Meinungen angenommen hatten von einer Historie des Messias: so musten die Lehrer der bessern Religion auf diese Denkungsart so weit sehen, um sie, ohne jetzigen Anstos, wirklich auszubessern, das nur moralisch oder durch eigenes Nachdenken dieser Schüler nach und nach erst statt finden und die vorigen Ideen auslöschen sollte. Es waren also diese Aufsäze freylich so ungleichen Inhalts, als die Fähigkeiten der ersten Schüler ungleich waren, für welche sie bestimmt wurden. Diese Schriften waren also auch nicht an mehr als Eine Gesellschaft in Einer Stadt oder Provinz zuerst gerichtet; erst mit der Zeit wurden diese verschiedenen Gesellschaften mit einander bekannt, und fanden also auch andere mehrere neue christliche Schriften oder einzelne Urkunden, die ihnen bisher noch nicht bekannt waren. So wenig Ein gemeinschaftliches Oberhaupt aller dieser erst entstehenden neuen Gesellschaften da war, 755wie denn aus der Apostelgeschichte und dem Briefe Pauli an die Christen in Galatien schon die grose erste Theilung ersehen wird, [39] der Christen aus den Hebräern, und aus den Hellenen: eben so wenig stunden alle diese Christen schon in einer Verbindung, die ja auch, wegen Entfernung der Christen von einander und fortgehender Ausbreitung dieser neuen Grundsäze in mehr Länder eben so wenig möglich war, als wenig eine solche immer nur äusserliche Vereinigung zur eignen bessern und richtigen Religion der einzelnen immer ungleichen Christen, irgend etwas beitragen konnte. Es entstund also erst später im 4ten Jahrhunderte, daß die [Vorsteher] der localen Gesellschaften besonders die Bischöfe, in eine nähere äusserliche Vereinigung traten, und auf eine besondere neue gleichförmige Regierungsart aller Christen dachten, durch eine äusserliche Vereinigung unter sich selbst. Diese 756 Verbrüderung der Bischöfe gehört blos zu einer äusserlichen Absicht; gar nicht zur vorzüglichen christlichen Religionsform in Absicht aller Christen, oder zu ihrer Privat-Religion. Die Bischöfe tauschten also die bisher einzeln daseienden Urkunden gegen einander ein, und so entstund eine Sammlung aller jener zerstreueten Urkunden, 757unter dem Namen Canon; oder ein kirchliches Verzeichnis aller der [40] Schriften, welche die Bischöfe als rechtmäsige Urkunden der (öffentlichen, gemeinschaftlichen) christlichen Religion von nun an in ihren kirchlichen oder localen Gesellschaften gelten lassen wolten; nur aus solchen Büchern wurden die vorzulesenden Texte durch die Religionsdiener von nun an genommen. 758Es wurden daher sehr viel andre bisher freistehende Schriften, allerley Evangelia, Geschichten und Briefe der Apostel, Offenbarungen (Prophezeiungen) von nun an den Kirchenbedienten, oder Clericis, untersagt, und nur unsre 4 Evangelia, Eine Apostelgeschichte des Lucas, 75913 oder 14 Briefe Pauli, 7 oder 4 Briefe anderer Apostel, und eine Offenbarung Johannis, zum neuen Testamente, bey der katholischen bischöflichen Partey endlich gerechnet; und hiedurch eine äusserliche Vereinigung der sonst einander noch nicht unterworfenen Kirchen und ihrer Obern, zu Stande gebracht, also der Grund sehr sicher gelegt, zu einer Herrschaft der kirchlichen Obern über die bisher äusserlich noch freien Christen; welches der Grund einer äusserlich sehr gleichförmigen Religionsform worden ist, wodurch die an sich freie christliche Privat-Religion, die auf der eigenen noch so [41] unterschiedenen Erkenntnis immer beruhet, immer mehr verdunkelt, und selbst das 760Wesen der christlichen Religion, die innere heilige Wirksamkeit zur täglichen Besserung und Vollkommenheit der einzelnen Christen, gar sehr unterdrückt worden ist.

7. Haben denn alle diese Bücher bei den Christen einerley Göttlichkeit, oder eine gleiche göttliche Auktorität für alle nachherigen Christen, daß der Inhalt aller dieser Bücher von allen Christen als Theile ihrer eigenen Erkenntnis, einmal wie allemal behalten und unverändert fortgesezt werden muß?

Wenn diese Frage historisch ist, ob die Bischöfe und Lehrer der christlichen öffentlichen Religion dieses bejahet und alle Christen dazu angehalten haben, diesen schlechten Gebrauch dieser Bücher als ihre christliche vornehmste Pflicht anzusehen: so muß man die Frage bejahen. Die Bischöfe haben allen diesen Büchern und ihrem ganzen Inhalte geradehin einerley göttliches Ansehen beigelegt, und allen Christen diesen ganzen Inhalt, so ungleich er ist, als eine von Gott herkommende allgemeine Beleh[42]rung immer fort zu denken und zu behalten anempfolen; damit sie selbst gar keine neuen christlichen jetzigen Einsichten und Urtheile anfangen solten, als wodurch sie geradehin ewig verdammt würden. Indes, obgleich die meisten Christen sich dieser bischöflichen Kirchenordnung unterworfen haben, da sie noch dazu weder griechisch, noch auch die ältern Uebersezungen verstunden, weil sie eine jüngere Landessprache hatten, also über den Inhalt der Bücher gar nicht selbst in ihren ganz andern Umständen nachdenken konnten: so stunden doch oft einzelne fähigere Lehrer auf, welche diese Last erleichterten. Die Bischöfe hatten die irrige Meinung (wol von griechischen fanatischen Juden) daß jene so genannte LXX Uebersezung aus einer göttlichen Inspiration ihrem Inhalte nach entstanden seie; und 761schon Justinus und nach ihm mehrere bis noch auf den Augustinus, glaubten, diese LXX enthielten durch Inspiration ihrer Verfasser den wahren Grund aller christlichen Religion so gar durch solche Stellen, die im Hebräischen Texte gar nicht oder ganz anders stunden. 762Daher sich unter den Christen eben diese Meinung auch in Absicht der Bücher des (N.)Neuen [43] (T.)Testaments geradehin ausbreitete; und sich bis kurz vor unserer Zeit bei den meisten Theologis, oder Verfassern theologischer grosser und kleiner Lehrbücher für Kandidaten des Lehramts erhalten hat, daß so gar alle Worte und alle Wortfügungen aus göttlicher Inspiration herkämen, und also einen Stillestand eigener jetzigen Erkentnis mit sich brächten, durch blose Wiederholung alles jenes Inhalts in diesen Büchern. Nun man aber nach und nach die Geschichte des Textes des (N. T.)Neuen Testaments etwas genauer zu sammeln angefangen hat: so sind wenig christliche Lehrer ferner so unwissend, daß sie Gottes unaufhörliche Wirkung oder Inspiration ferner an jene griechische Worte und ihren dortigen Inhalt fesseln wolten, da diese Worte geradehin allesamt in vielerley Veränderungen und Umtauschungen angetroffen werden, also auch nicht eine feststehende Summe der Gedanken enthalten können. Gottes Wirkung in den Aposteln oder Verfassern dieser Schriften, auf ihren Verstand und Urtheil zu einer neuen Erkenntnis ist uns nun genug. Es behalten aber alle Christen es frey, ihrer eignen Erkenntnis auch hier zu folgen; und die göttliche Auctorität aller dieser Bücher gerade[44]hin zu behalten; alle Worte für göttlich eingegeben zu halten; so lange sie jene Historie des Textes nicht wissen, oder aber nur auf den Inhalt und Werth der Wahrheiten vornemlich zu sehen, welche in allen Sprachen nun eben dasselbe Verhältnis haben, und die christliche Religion immer über das Juden- und Heidentum erheben, wenn auch nicht aller sogar wörtlich verschiedner Inhalt dieser Bücher zu den Bestandtheilen dieser bessern Religion in Absicht aller und jeder Christen gehören kan.

8. Aber muß denn der Inhalt des Einen Buches mit dem Inhalte aller andern Bücher als ein vollständiges Ganzes zusammen gesezt werden? Haben die Christen würklich in Absicht der christlichen Religion, oder neuen moralischen Verehrung Gottes, vorzüglichen Nutzen davon, wenn sie aus allen diesen Büchern alles zu einem ganzen System oder Lehrbegriff, einmal wie allemal, für sich zusammen sezen?

[45] Man muß wol den so ungleichen Christen, deren Lehrer sogar ebenfals sehr ungleich waren, es frey lassen, hierüber für sich zu entscheiden, sowol in Ansehung der öffentlichen als der Privat-Religion. Freilich hat Christus selbst nur vornemlich mit Juden zu thun gehabt, und es gab den Unterricht damals noch nicht vor dem Ende der Historie Christi, den die Apostel nachher, ebenfals stufenweise, bekannt machten. Kein Apostel hat die Vorschrift gegeben, daß alle nachherigen Schüler, die keine solche Juden waren, eben so behandelt werden solten als die damaligen Juden. Es waren auch diese vielerley Schriften vom Anfange an, über 300 Jahre lang, nicht alle zusammen gesammlet, daß man aus allen alles hätte zusammen sezen können. Da nun alle Christen ihre eigene Erkenntnis und Glauben an Vater, Sohn und heiligen Geist immer mehr erweitern, nicht aber die Meinung der damaligen Juden schon gar ihrer christlichen Religion einrechnen sollen, die bey den Juden noch gar nicht anzutreffen war: so kann es wenigstens nicht eine allgemeine Vorschrift für alle Christen heissen, wenn auch manche Christen eine solche Mischung jener Erzälungen und Anzeigen, [46] würklich zum festen Grunde und Inhalte ihrer eigenen jetzigen Religion rechneten. Der Grund der christlichen neuen Religion begreift nicht die jüdischen Meinungen von Engeln, Dämonen, 763Schoos Abrahams (etc.)et cetera sondern neue, freie, moralische Wahrheiten, welche Christus freilich im Umgange mit Juden also eingekleidet hat, daß er ihren Eingang bei den Juden nicht selbst erschwerte. Die Absicht aller dieser Bücher war doch wirklich, daß nun neue Gedanken und Urtheile, und eine neue jetzige Erkenntnis immer weiter entstehen sollte, in den Theilnemern an einer neuen moralischen Religion. Diese eigene neue Erkenntnis, wodurch man jetzt selbst ein Christ wird und bleibt, stehet noch nicht in diesen Büchern in einer entschiedenen und ausgemachten Vorschrift oder Verknüpfung da; wenn gleich die damalige Meinungen der Juden, welche Christus oder die Apostel besser belehren wollten, oft vorkommen und gemeldet werden mußten. Die Denkungsart der Juden konnte nicht so gleich in eine neue schon ganz christliche verwandelt werden, weil sie an eine jüdische Farbe gewönet waren; aber es stehet nun bei den Lehrern und Christen, was sie von dieser dama [47] ligen localen Modification und Lehrart jetzt zur christlichen neuen Erkenntnis rechnen wollen. Es gehet nun nach der Abtheilung 764in jener Parabel; ein Acker trägt 10–20, ein andrer 60 fältig; oder die Fähigkeit der neuen Christen ist sehr ungleich; sie müssen wenigstens nicht alle in ein einziges Maas gestellt werden, was ihre Privat-Religion betrifft. Sie mögen diese aus diesen Büchern in freier Wahl und [Beurtheilung] sich gewissenhaft aussuchen; wenn auch die öffentliche gesellschaftliche Religionsübung einer feststehenden Ordnung folget, welche sie in Absicht auf den öffentlichen Gebrauch dieser Bücher, bei einer großen Gesellschaft, so oder so angenommen hat.

9. Warum haben aber die Christen aller Parteien aus allen diesen Büchern für ihre öffentliche Religionsform eine feststehende Summe von Lehrsäzen zusammen getragen, von welcher Summe jede Partey die wahre christliche Religion und die ewige Seligkeit aller Christen oder Menschen abhängen läßt?

[48] Diese lezte Meinung kan zwar auf dem Gewissen der Lehrer beruhen, und folglich auch die Gewissen solcher Christen verbinden, welche keine andere Einsicht haben. Im Grunde aber haben alle diese so ungleichen Lehrbegriffe nur eine äusserliche Absicht; nemlich die Vereinigung einer großen Menge zu einer besondern christlichen Religionsgesellschaft zu Stande zu bringen, und nun fortzusezen. Die jedesmaligen Urheber einer solchen Religionspartei hatten über diese Bücher oder Urkunden der christlichen Religion nicht einerley Grundsätze, und konnten sie nicht haben; sie waren aber immer die Anfänger einer besondern christlichen Gesellschaft, und sezten also den gemeinschaftlichen Lehrbegriff feste, der ihre Gesellschaft von andern unterschied, und alle ihre Mitglieder immer durch einen gleichförmigen Unterricht in eben dieser Gesellschaft erhielt, und die Mitglieder anderer christlichen öffentlichen Parteien ganz gewis immer absonderte, um äusserlicher Umstände willen, die schon voraus lagen. Es wurde also eine gleichförmige Erklärung und Anwendung dieser Bücher in jeder besondern Gesellschaft eingefüret mit jetziger Einwilligung der Mitglieder; wo[49]durch diese einmalige Verbindung einer Religionsgesellschaft immer fortgesezt, und die Vermischung mit einer andern Religionspartey oder die tägliche Spaltung und Zerrüttung nun verhütet wurde. Diese allererste äusserliche Absicht der immer neuen Anfänger christlicher Gesellschaften, ist historisch gewis; und diese Vereinigung durch eine gleichförmige öffentliche Lehrordnung war ganz rechtmäßig, da es eine allereinzige allgemeine Lehrordnung weder gab noch geben konnte, die eines göttlichen Ursprungs wegen, oder wegen ausgemachter höchster Vollkommenheit, für alle Christen aller Zeiten schon gehöret hätte. Wenn aber nun Lehrer gar behaupteten, eben diese ihre Lehrartikel in ihrer Religions-Gesellschaft, die sie aus dem (N. T.)Neuen Testament gesammlet hatten, enthielten allein und ausschliessungsweise den wahren Grund der christlichen Verehrung Gottes, und der Wohlfart und Seligkeit, welche Christus wider alle blos äusserliche Religionsordnung so deutlich aufgestellet, gelehret und zuerst für Christen möglich gemacht hat: so ist diese Behauptung schon eine kentliche Abweichung von dem unendlichen Grunde und freien Umfange der christlichen Wohlfart, in besserer Erkenntnis [50] und [Verehrung] des unendlichen Gottes. Denn 765die Erkenntnis und Verehrung Gottes im Geist und in der Wahrheit oder die immer vollkommener wird, und stets ohne äusserliche Einschränkung ist, kan von keinen Bischöfen und Lehrern oder Befehlshabern in ein einzelnes Maas gefasset werden, ohne eben diese vollkommnere fortgehende eigene Erkentnis durch menschliches abermaliges Ansehen unrechtmäßig zu hindern, und in einem einzelnen Kreise herum zu schieben, daß also der Christen eigene freie moralische Verschiedenheit geradehin aufgehoben würde. Der Unterricht Christi und der Apostel hatte kein vorausliegendes festgesetztes Maas, sondern wurde nach den Fähigkeiten der Zuhörer eingerichtet, um sie alle, jeden in besonderer Stufe zu der eigenen, gegenwärtigen, und fortwachsenden Religion anzuleiten. Daher ist auch keine Vorschrift, kein Model oder fester Maasstab für alle Lehrer abgegeben worden; weil ihre Zuhörer nicht immer eben dieselben und unter eben denselben Umständen seyn [konnten.] So bald aber eine grössere Menge von Schülern sich angab, die allesamt zur christlichen Gesellschaft aufgenommen werden wolten: so konnte der Lehrer nicht [51] mit allen einzelnen handeln; und es entstunden nun Lehrformen, wodurch viele oder alle Schüler als wirkliche Glieder dieser Gesellschaft einander erkennen solten; es blieb aber ihre moralische Ungleichheit, wie sie war, wenn sie nicht gesellschaftliche Zusammenkünfte hatten. Da es nun immer mehr viel so genannte Clericos gab, oder Kandidaten, die in den öffentlichen Lehrstand treten oder öffentliche Religionsdiener werden wollten: so wurden auch den Clericis von den Obern oder Vorstehern, dergleichen Vorschriften ihres öffentlichen Lehramts, das sie für mehrere Mitglieder zugleich öffentlich füreten, gegeben. Wenn diese Christen ihre grössere innere Volkommenheit von eben dieser neuen christlichen Sprache, oder buchstäblichen Lehrartikeln schon erwarteten, ohne eigene fortgehende moralische Uebung und Fertigkeiten: so irrten sie freylich, sogar im Grunde einer eigenen besondern Verehrung Gottes; wenn gleich leider die Clerisey sich durch solche ganz falsche Behauptung immer mehr, nicht als Lehrer, sondern als Gebieter und Befehlshaber geltend machte. Aller Erfolg von solchen Lehrformen war in jeder Partei zunächst nur ein äusserlicher; die Fortse[52]zung der gemeinschaftlichen Rechte dieser Religionsgesellschaft. Wenn Christen wirklich innerlich bessere Menschen, bessere Verehrer Gottes selbst wurden, so entstund dis durch ihre eigene Uebung, nicht durch die Lehrartikel, wie sie in der kirchlichen Sprache unverändert von allen Mitgliedern gemeinschaftlich, öffentlich wiederholet werden. Alle Lehrartikel, deren Inhalt eine Religionspartey jezt bestimmt und festsezt und bei ihren Lehrern und Mitgliedern öffentlich, gemeinschaftlich darauf hält: haben durchaus nur einen äusserlichen Endzweck; auf den die grössere Gesellschaft freylich bei den versamleten Gliedern halten kann; weil jede äusserliche durch Vertrag errichtete Religionsform, der Maasstab seyn kann, wornach die Gesellschaft ihre Lehrer und Mitglieder beurtheilt, ob sie dem Vertrage noch entsprechen. Ueber die innere Religion aber kan die Gesellschaft nichts verordnen; sie gehört in die unsichtbare moralische Welt, nicht in die bürgerliche.

10. So haben also die so vielen Parteien der Christen lange Zeit die öffentliche gesellschaftliche Religionsform, die von Menschen eine Ordnung bekommt, der fernern gesellschaft[53]lichen Verbindung wegen gar verwechselt mit der eigenen Privat-Religion aller fähigern Christen, oder aller verständigen Menschen; die eine stets ungleiche Uebung und Fertigkeit mancher einzelnen Christen seyn und immer besser werden kann. Die so sehr ungleichen Folgen der Privat-Religion sind ja nicht schon in der Absicht der öffentlichen Religion enthalten, wenn gleich die Absicht der Lehrformen durch diese Einheit der Lehrordnung einmal wie allemal, gleichsam mechanisch erhalten wird. Denn bey allem gleichförmigen Gebrauche der äusserlichen festen Religionsordnung sind doch die einzelnen Christen einander sehr ungleich in Absicht der eigenen Uebung der ihnen immerfort Tag und Nacht obliegenden eigenen Religion; die öffentliche gesellschaftliche Religionsübung aber ist an eine gewisse Zeit, Ort und Reihe oder Ordnung, in Absicht aller jezt versammleten Christen, gebunden; ohne auf ihre einzelne Privat-Religion in so viel verschiedenen Stufen eben so vorschriftlich schon einzufließen?

[54] Freilich haben die Obern oder Vorsteher der öffentlichen Religion diese grobe Vermischung meist wissentlich und bedächtig eingefüret, wenn auch viele gemeine einfältige Christen von selbst dahin geraten konten, die Verehrung Gottes in einer festen Gewonheit oder Hof-Ordnung gleichsam und Etiquette, christlicher Gesänge, Gebete, und kirchlicher gemeinschaftlicher Handlungen zu sezen, ohne eigene wachsende Erkentnis über das Algemeine, neben der ersten historischen Kentnis des neuen Inhalts dieser Religion: der sich freilich durch neue Vorstellungen und Urtheile von dem alten Inhalt der vorigen Gedanken von Gott und seiner Verehrung gar sehr unterscheiden muste. Rabbinen und jüdische Religionslehrer hatten bis dahin von ihrem Jehova, von seinem Messias, von dem sie als Juden politische Erhebung über alle Nationen hofften, und von dem Geiste Gottes, der solches Reich des Messias durch die Propheten geweissaget haben solte, sehr geringe, sehr niedrige Vorstellungen ausgebreitet und patriotisch genug unterhalten, die sich nur auf die jüdische Nation, auf ihr heiliges Land, auf Jerusalem, und den Tempel bezogen. Der Stand der grossen jüdischen [55] Clerisey, die ganze politische Lage des [Volks], das unter Heiden lebte, und doch Gottes Volk wäre, war in dieser jüdischen Religion vornemlich berechnet; und der würdige Begriff von der Allgemeinheit Gottes, und seinem gleichen moralischen Verhältnis über alle Menschen, also die unendliche freie Verehrung Gottes, wie sie von einzelnen Menschen privatim geleistet wird, in immer verschiedenen Stufen war ganz verloren oder unbekannt worden, durch Uebertreibung der äusserlichen Religion, welche die ganze Nation, als einen politischen Körper zusammen hielt; ohnerachtet in jenen alten Büchern der Juden von dieser eigenen freien Privat-Religion fähiger Menschen so viel Belehrungen und Beispiele gefunden wurden. Durch die Bischöfe ist eben diese blos politische Beherrschung der Christen wieder so erneuert worden, als sie unter den Juden je gewesen ist; daher auch der reine edle freie Geist der neuen Religion, die doch von einem ganz andern moralischen Christus gestiftet, und worinn der offene Zugang zu Gott ohne Leviten allen Christen gewiesen war, durch die Uebertreibung der kirchlichen Religion, und durch zu grossen Einflus [56] der Religionsdiener ganz unterdrückt worden. Es giebt aber doch immer fähigere Menschen, die ihre eigene Erkentnis sich selbst nicht untersagen lassen, wornach sie jene Verehrung Gottes im Geiste und in der Wahrheit selbst innerlich unaufhörlich leisten: wenn auch viele andre Christen dazu nicht aufgelegt sind, und nur die öffentliche Religion mit machen. Alles, was die öffentlichen Religionsdiener, oder Kirchendiener, dem ihnen zugetheilten Amte nach, so verrichten, daß die andern Christen diese Handlungen nicht selbst thun können, gehört zur gesellschaftlichen verabredeten Religionsordnung. Wenn in den Christen ein moralischer Nuzen dadurch entstehen sol, so gehören nun ihre eigenen besondern Uebungen noch dazu. Durch jene Beschäftigungen oder Verrichtungen der Religionsdiener allein wird der Mensch noch nicht seiner christlichen Wohlfart schon theilhaftig; noch weniger ist der Erfolg davon in allen Christen eines und desselben Umfanges. Hier haben aber die Bischöfe diese ganz unentberliche freie, ihnen gar nicht unterworfene Privat-Religion, für unnötig, ja gar für unerlaubt erklärt, und haben den feierlichen öffent [57] lichen Handlungen, die sie selbst immer verrichten, oder durch ihre Unterbediente verrichten lassen, ausschliesender Weise alle Wirkung und Kraft Gottes beigelegt, wodurch alle andre Christen nun ganz gewis schon selig würden. Unfähige, unwissende Kirchenglieder haben dieses leicht und willig geglaubt; wenn man aber dieses geradehin für die wahre christliche Verehrung Gottes halten soll: so wird denen Christen die eigene Erkenntnis und Verehrung Gottes eben so wieder entzogen, und einer menschlichen Autorität einmal für allemal unterworfen, als es durch Rabbinen und Pharisäer geschehen ist; als es aber unter keinem heidnischen Staate in der ganzen Menschenwelt nicht angetroffen wird. Diese Tiranney der Bischöfe 766unter dem Namen der allein wahren Kirche ist von allen verständigen Christen jederzeit eingesehen und verabscheuet worden; indem es eine vorsezliche Verleugnung der wahren Grundsäze der christlichen Verehrung des unendlichen Gottes einschliesset. Die unendliche moralische Herrlichkeit Gottes wird durch die wahre christliche Religion zu allernächst, vorzüglich, unmittelbar bejahet und behauptet. Ein solcher Sohn Got[58]tes und Christus, der selbst es so oft sagt, 767daß er Gott unter den Juden verklären, verherrlichen wolle und solle, wider die bisherige jüdische Mikrologie ist eben das unendliche moralische allgemeine Mittel zu dieser immer fortgehenden Erkentnis und bessern Verehrung Gottes. Aber die Bischöfe und Pfaffen haben die christliche Religion, deren Diener sie nur in Absicht der größern immer ungleichen Gesellschaft seyn sollen, um ihrer eignen Ehre und Vorzüge willen gerade in das Hindernis verwandelt: daß diese unendliche grosse Herrlichkeit Gottes ja nicht weiter von den Christen selbst erkant werden dürfe oder könne, als sie selbst es vorschreiben. Diese Uebertreibung der viel kleinern Absicht der gesellschaftlichen öffentlichen Religion, die sich stets auf die daseiende grosse und immer ungleiche Menge der Bürger beziehet, ist für alle billige und unparteiische Beobachter ganz ausgemacht; und kan nicht anders verhütet und gehörig eingeschränkt werden, als durch das wahre [rechtmässige] Verhältnis der öffentlichen Religionsordnung; das keinesweges ein und eben dasselbe Maas der Privat-Religion für fähige und unfähige Christen mit sich bringen kan, ohne gar eine noch unerträglichere [59] Tiranney von Christo und den Aposteln herzuleiten, als sie schon von den damaligen Pfaffen ausgeübet worden. Es muß also die gesellschaftliche Bestimmung der Religionsdiener, nicht auf aller Mitglieder gleiche blos leidentliche Theilnemung ausgedehnet werden; sondern die Talente und Fähigkeiten der privat Christen, oder der Christen, wenn sie ausser dieser gesellschaftlichen Theilnemung an der feierlichen oder gemeinschaftlichen Religionsbeschäftigung privatim Gott verehren, müssen alle ihre rechtmäßige, ihre selbst moralisch-nüzliche Tätigkeit und Wirksamkeit frey behalten; ohne doch durch diese immer ungleiche Privat-Religion das rechtmäßige bürgerliche Verhältnis der öffentlichen gemeinschaftlichen Religionsform jemalen vorsezlich zu stören, denn hier ist ein anderer Endzweck; eine gesellschaftliche Verbindung. Die Privat-Religion hat aber jedes Mitglied, um seines eigenen moralischen Besten willen, unaufhörlich in innerlicher Uebung, ohne andre Mitglieder, ohne Abtheilung der Handlungen und Geschäfte. Es mus immer bei dem grössern Theil der Religionsgesellschaft stehen, ob sie eine Veränderung der öffentlichen Religionsform für gut und nötig [60] halten kan; sonst wird der Vertrag, den die Gesellschaft sowol mit den Religionsdienern als mit allen ihren Gliedern errichtet hat, täglich von einzelnen Personen zerrissen, und es wird also das Band der Gesellschaft, das eben wider tägliche Zerrüttung und Spaltung geknüpft worden war, immer aufgelöset. Das Gute oder Nötige behält immer seine ungleiche Relation in der Localität; daher sind die so verschiedenen christlichen Religionsparteien in den verschiedenen Staaten, Ländern und Zeiten, worin sich diese Menschen befanden, da sie zur christlichen Gesellschaft gebracht wurden, auf eine unwiderstehliche Weise entstanden. Die Ungleichheit der Menschen in ganz andern Umständen bringt eine Ungleichheit ihrer Gesellschaften, also auch der Religionsgesellschaft mit sich, wobei gleichwol das Prädikat, eine gute nötige Religionsordnung für eine große Menge wirklich statt findet. Diese von Gott selbst herrürende Ungleichheit haben die Päbste und Bischöfe durch ihre neue jüdische Theokratie und Hierarchie, so viel sie konnten, aufgehoben, und für alle Christen auch privatim, eine allereinzige blos äusserliche Religionsform eingefüret mit wissentlicher Unterdrü[61]kung der freien geistlich eigenen Religion der einzelnen fähigern Menschen; daher sind auch die meisten Kirchenglieder in einem Zustande geblieben, der freilich von Verehrung Gottes immer weit entfernet ist.

11. Da sich aber alle diese verschiedenen christlichen Religionsparteien die wahre christliche Religion ausschliessender Weise durch besondere Lehrartikel beilegen, und sogar einander zur Ehre Gottes – verfluchen und verdammen, oder dafür öffentlich ansehen, daß sie an dem unendlichen Gott und seiner moralischen unermeslich herrlichen Gnade keinen Antheil haben könten: wo ist denn nun die wahre christliche Religion bei so vielerley Religionsformen?

Sie ist durchaus in den Gemütern aller wahren Christen unter allen Parteien. Blos die Vermischung der äusserlichen Religionsordnung, welche freilich in jeder Gesellschaft immer nur eine einzige ist, aber nur durch gesellschaftliche Verabredung, zu gesellschaftlicher Absicht und Verbindung aller dieser Mitglieder eine solche Ordnung [62] worden ist, mit der innern stets relative wahren christlichen Religion, (welche den Stufen nach immer grössere oder kleinere, also nie eine allereinzige, sondern immer gleiche Fertigkeit und ohne äusserliche Einheit ist,) hat jenen falschen Eifer unter den Christen ausgebreitet und eben so lange unterhalten, als diese Vermischung dauert. Wenn auch der Vorsaz listiger Menschen, den schon die Apostel damalen neben sich fanden, dis politische gemischte Religionssystem erschaffen hat: so haben sie doch ihren Schülern eben diesen Geist des Hasses und Neides unter der Gestalt der wahren Religion mittheilen müssen, um durch einen grossen Haufen, der zu eignen Kentnissen nicht fähig oder geneigt ist, ihren politischen Zweck immer ganz leicht zu erreichen. 768 Christus hatte sich und das moralische Reich Gottes von allen Königen und Fürsten in äusserlich politischen Staaten, gar sehr unterschieden; 769er machte es seinen Schülern zur Pflicht, alles selbst für sich zu prüfen, und 770für falschen Propheten sich zu hüten, die immer die wahre Religion vorgeben und ihre eigene Prüfung ausschließen würden. Man würde sagen, hie ist Christus, da ist Christus. Eben 771so liessen die Apo[63]stel alle bürgerliche Obrigkeit, alle äusserliche Ordnung stehen, und drangen sich nirgend auf, um alle Menschen zu Einer und derselbigen christlichen Religion, noch dazu in äusserlicher Form und Vorschrift zu zwingen. Es ist also ganz ausgemacht, daß die Bischöfe nach und nach einen ganz andern neuen Endzweck sich vorgesezt, und durch Einwilligung des Staats, dessen Nuzen sie vorspiegelten, immer mehr erreicht haben: als der große moralische Zweck war, den Christus und die Apostel wirklich allein vor Augen hatten, da sie eine bessere, vollkommnere, eigene Privat-Verehrung Gottes lehreten, welche alle Menschen als Kinder Eines unendlichen Vaters ansiehet, und in der Lehre und Historie Christi den freien unendlichen Grund findet, daß alle Menschen, Juden und Heiden von ihnen dafür angesehen werden müssen, daß sie an der moralischen Gnade und Güte Gottes eben so Antheil haben können, als an den Wohlthaten in der physischen Welt, obgleich immer in eben so ungleichen Stufen und Verhältnissen; daß eben derselbe unendliche Geist Gottes in allen Menschen diesen moralischen guten Zustand, ebenfalls in ungleichem Maase befördern könne; daß [64] der nun besser erkante Gott keine äusserliche Opfer oder einerley Ceremonien, Sprache und Vorstellung der Menschen, in seiner Verehrung fordere und erwarte; sondern die Menschen sich selbst ihm zu Ehren in grösserer Bedeutung ganz aufopfern, und 772einander alle als Brüder ältere oder jüngere lieben können. Wenn man also irgend eine äusserliche Religionsform schon für die allein wahre christliche Religion selbst angiebt, die doch eines jeden Christen besondere Privatübung, und immer ungleiche Fertigkeit erst werden und seyn mus: so begehet man einen groben Irtum, der so gar dem Wesen und dem unendlichen Gegenstande dieser wahren Religion ganz entgegen ist. Die äusserliche Religionsordnung beziehet sich stets auf eine öffentliche versammlete Menge, die in einer einzelnen Zeit, und an Einem Orte, jetzt zusammen kommt, um gemeinschaftliche Handlungen mit einander vorzunemen, welche immerfort feierliche öffentliche Merkmale der allgemeinen christlichen Religion sind. Diese gemeinschaftliche Religionsform macht nun für die Christen selbst keinesweges schon ihre Privat-Religion aus; als welche sie selbst, zu aller Zeit, [65] in allen ihrem bürgerlichen und Privat Verhalten, jeder in seinem schon daseienden Maase und Unterschied unaufhörlich allein ausüben, ohne daß Religionsdiener nun dazu gehörten, wie zu jenen öffentlichen Geschäften. 773Diese eigene Religionsübung kann an ihrer Stelle kein Bischof oder Priester, oder Religionsbedienter vornemen. Denn er ist eben nur zu allen feierlichen und gemeinschaftlichen Religionsgeschäften bestalt, welche kein anderer Christ zu besorgen oder zu leisten hat, da er nicht zum Diener der öffentlichen Religionsordnung bestelt ist. Aber die Privat-Religion gehört durchaus allen Christen, und hat kein vorgeschriebenes Maas; der Christ, Lehrer und Zuhörer übt sie nach seinem eignen Gewissen. Wenn es nun also gleich gar vielerley christliche Religionsgesellschaften und also auch öffentliche Religionsformen gibt, wegen der immer grössern Ausbreitung dieser Religionslehren in so vielen Ländern, die nicht einem einzigen Oberherrn bürgerlich unterworfen sind, wie es schon ehedem Christen gab, die nicht unter das römische, griechische, teutsche Reich gehörten, also [gar] nicht einerley Umstände zu Einrichtung einer öffentlichen [66] christlichen Religionsgesellschaft vor sich fanden: so sind doch diese vielerley Religionsgesellschaften, dem wesentlichen Grunde und Inhalte nach, der dem Juden- und Heidentum sowol als der eigenen moralischen Zerrüttung entgegen stehet, nicht ganz andre oder unchristliche Religionsparteien, sondern alle mit einander bleiben christliche Religionsparteien, die Gott nach der Bibel erkennen und verehren. Es ist vielmehr eben dieselbe neue christliche Religion durch die Ausbreitung unter mehrere Völker und Staaten, die von einander schon verschieden waren, unumgänglich mit einer solchen Ungleichheit und Verschiedenheit der Modification in der Anwendung verbunden, als in der Ungleichheit der schon vorausliegenden menschlichen oder bürgerlichen Gesellschaften angetroffen wird. Die neuen öffentlichen Religionshandlungen sind den vorigen jüdischen und heidnischen Religionshandlungen immer geradehin entgegen gesezt bei allen Parteien. Ausser dieser öffentlichen politischen, oder historischen Wahrheit dieser nun eingefürten christlichen Religion, welche mit der Ungleichheit der jedesmaligen bürgerlichen Verfassung immer zusammen hängt, und daher eine unvermeidliche [67] Verschiedenheit annimt: kan es nun zu gleicher Zeit, nach der eben so grossen Ungleichheit des moralischen Zustandes dieser bürgerlichen Christen, bei ihnen allen auch eine wahre christliche eigene Privatreligion geben, wenn sie selbst der neuen christlichen Erkentnis, die sie von Vater, Sohn und Geist Gottes sammlen, praktisch ergeben sind. Denn die christliche Religion bestehet für einen jeden Christen in einer solchen thätigen Verehrung Gottes, die seiner christlichen Erkentnis immer gleich ist. Diese Erkentnis aber hat kein Christ auf einmal und unveränderlich schon beisammen, sondern er kan und sol täglich darin wachsen. Dieses ungleiche Maas der eigenen christlichen Religion, kan gar nicht durch die öffentliche gemeinschaftliche Religion vorgeschrieben oder festgesezt werden; weil diese gemeinschaftliche sichtbare Religionsform immer einerley ist, um eben denselbigen localen Zweck, der blos an eine feierliche Zeit und Ordnung gebunden ist, durch die gleiche Verbindung aller dieser Christen, immer wieder zu erhalten. Wie nun die ganze Gesellschaft über die vorzügliche feststehende, öffentliche, äusserliche, sichtbare Religionsform sich wissentlich vereiniget hat, und kein einzelnes Mitglied darin etwas ohne [68] die andern wieder ändern kan: so ist [umgekehrt] die Privat-Religion allen fähigern Christen stets frei; denn die öffentliche Religionsform betrift nur alle feierlichen oder gemeinschaftlichen Religionshandlungen, die zwischen den öffentlichen Religionsdienern und den übrigen Mitgliedern dieser Gesellschaft, einmal wie allemal bestimmt und festgesezt sind. Wenn nun diese Mitglieder ihre eigene Religions-Erkentnis und Uebung zu Hause, oder ausser der Versammlung hintansezten, und jene gemeinschaftliche Religionshandlung dafür ansähen, daß die höchste Stufe der christlichen Verehrung Gottes darin enthalten und von ihnen öffentlich schon geleistet seie: so wäre dieses 774der alte jüdische Irtum; dem doch die neue bessere Erkentnis Gottes, die jeder Christ sich selbst schaffen mus, als der wahre Grund einer bessern Verehrung Gottes, entgegen stehet. Es ist also ausser Zweifel, daß alle festgesezte Lehrformen, oder Summen der christlichen öffentlichen Lehre, und der feierlichen Handlungen, wie sie einer ganzen Gesellschaft gehört, niemalen den Grund und Inhalt der christlichen Religion überhaupt ausschliessender Weise begreifen kann; es gäbe [69] sonst keine christliche Verehrung Gottes ausser den Versammlungen in feierlicher Zeit, sondern daß es immer mehrere Lehrformen und Summen der öffentlichen Religion geben kan, welche alle das Prädikat, christlich, in der That, und mit Recht haben, und bei allen Theilnemern in noch so entlegenen Städten und Ländern, eine wahre christliche Religion, also auch christliche moralische Wolfart, in vielerley Stufen, mit sich bringen können. Die Ungleichheit der Menschen, welche schon vorausgehet und immer fortdauert, bringt eine Ungleichheit in der christlichen sowol öffentlichen als Privat-Religion bei den Menschen, mit sich. Da nun weder Christus noch ein Apostel ein allgemeines Maas der christlichen Religion für alle Christen festgesetzt und vorgeschrieben hat, theils weil sie nicht Monarchen über alle Menschen und bürgerliche Gesellschaften waren, theils weil dieses in sich selbst unmöglich ist, wenn die Verehrung Gottes eine moralische Natur behalten und der Theilung und Verschiedenheit der Menschen angemessen seyn soll: so kan es auch [hinter] und nach den Aposteln keine solche allgemeine allereinzige Religionsform für alle Christen geben, welche alle [70] andern christlichen Religionsformen nun für ganz falsche unwahre christliche Religionsformen erklärte. Unter allem Volk, wer recht thut, oder seiner [Erkentnis] von Gott ehrlich folget, ist Gott angenem: 775muste auch Petrus endlich lernen und einsehen. Die immer grössere Vielheit und Ungleichheit der Menschen, die nun Christen werden, blos äusserliche oder auch innerliche, macht es unmöglich, daß sie über den Begriff und das Verhältnis Gottes, Christi, des Geistes Gottes (etc.)et cetera über allen wirklich neuen Inhalt des neuen Testamentes eine und dieselbe Summe von Vorstellungen und Urtheilen annemen und immer behalten solten. Zu irgend einer einzigen Stufe christlicher eigenen moralischen Besserung und Wohlfart, ist auch dergleichen völlige Einheit einer Religionsform gar nicht nötig; zu einer und derselben Stufe eigener christlicher Religion sind alle jene so ungleichen Menschen von dem unendlichen Gott nicht berufen oder verpflichtet. Die Bischöfe haben also sehr unrecht die wahre christliche Religion nur an ihre katholische Partei gebunden. Wenn der Zahl nach mehrere Christen eine einzige Religionsordnung bei sich einfürten, so war diese stets [äusserliche] Ein [71] heit durch ihre Verabredung und Einwilligung, ganz recht, um ihrer gesellschaftlichen Verbindung willen, entstanden; und der Zweck hievon war eben diese äusserliche genauere Verbindung, die nun zum Unterschied von andern christlichen Familien auch immer äusserlich, zu äusserlichen [Endzwecken] fortgesezt werden solte. Wenn nun auch die Lehrer oder Vorsteher dieser Gesellschaft gar behaupten, sie hätten ganz allein die wahre christliche Religion in ihrer Partey, und also auch ganz allein das Recht, eine ewige Seligkeit von Gott zu erwarten; alle andern Menschen aber, auch alle andern christlichen Familien oder Parteien, hätten keine wahre christliche Religion, keinen Anspruch an Gottes moralische Liebe und Gnade; so ist diese Behauptung weiter nichts als eine sehr rohe ganz unmoralische Anmasung, an welche verständige Menschen und Christen sich gar nicht kehren. Es ist dis ein so grober Irtum, eine so grobe Unwissenheit der allerersten christlichen Grundsäze, daß solcher Christen so unrichtige Meinung von der Verehrung des unendlichen Gottes gar keine moralische Empfehlung haben kan. Wenn sie aber gar andre Christen zu eben dieser Religionsform mit äus[72]serlicher Gewalt zwingen wollen; weil es hiezu moralische Gründe für die andern Christen, als ihren eigennützigen Absichten hinderlich, gar nicht geben kan: so beweisen sie, daß sie selbst die wahre geistliche oder vollkommnere Verehrung Gottes, wissentlich verleugnen, und unterdrücken wollen.

12. Kan es also wahre christliche Religion oder habituelle reine Verehrung Gottes, den die Christen aus dem (N. T.)Neuen Testament sich anschreiben, bey einzelnen Christen geben, wenn diese gleich nicht eben dieselbe Lehrformen, in so und so bestimmten Artikeln haben, die bey einzelnen Religionsparteien unter den Christen eingefürt worden sind, zu ihrer gesellschaftlichen Verbindung? Kan es also unter den so verschiedenen Parteien, die durch öffentliche Lehrformeln sich bedächtig bürgerlich unterscheiden, wahre christliche Religion, und also christliche moralische Wohlfart geben, wenn gleich jene äusserliche verschiedene Religionsform ferner die Christen äusserlich in besondere Gesellschaften theilet?

[73] Hieran werden wol verständige, unparteiische wahre Christen nicht zweifeln, wenn gleich die grosse katholische Kirche es durchaus nicht eingestund, sondern allen so genannten Ketzern, oder nicht in ihre gesellschaftliche Verbindung gehörigen Christen, die wahre christliche Religion und christliche Wohlfart abzusprechen, 776sogar zum Kirchengesez gemacht hat. Dieses bischöfliche, päbstliche Gesez ist der Grund einer neuen kirchlichen Monarchie und Tiranney; es ist der allgemeine Gift, wovon die wahre christliche Religion, die in allen Christen so frey ist, als die gesellschaftliche Ordnung mit Recht vorgeschrieben wird, nach und nach fast ganz ausgestorben ist. Es ist gleichwol die neue eigene gewisse Erkentnis, daß Gott aller Menschen gnädiger und heiliger, unendlicher Gott ist, und nur auf Thun und Lassen der Menschen siehet, so weit sie das Gute erkennen, der neue Grund einer solchen vollkommnen Verehrung Gottes. Dis ist die wirkliche wahre Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, der moralischen Gnade und Liebe Gottes, worin das christlich erkannte allgemeine Reich Gottes bestehet. Alle Heiden können ohne jüdisches geschriebenes Gesez, dessen [74] Modifikation diese Allgemeinheit aufhub, durch 777das Gesez, das Gott ebenfals gleichsam selbst in ihre Herzen schreibt, wie ehedem in Moses Tafeln, das Gute erkennen, und ihn zu ehren, in der und jener Stufe zu leisten sich bestreben. Die ganze christliche Religion beruhet wirklich auf dieser nun erkannten und wider das Judentum geretteten Wahrheiten der moralischen Würde Gottes. Der Sohn Gottes selbst hat diese grössere Erkentnis angefangen, oder 778das jüdische kleinere Gesez erfüllet, die der Inhalt der Verehrung Gottes völliger, grösser, gelehret, als der Buchstabe Mosis enthielt; und nun wird auch 779der falsche Begriff der Juden von einem Sohn Gottes moralisch aufgehoben. Nun finden die Menschen auch 780eine andere vollkommnere Beschneidung; eine 781Verehrung Gottes im Geist und Wahrheit; wozu weder Jerusalem, noch der 782Tempel in Samaria, weder Priester noch Leviten, keine 783Opfer und äusserliche Reinigung weiter gehören. Diese eigene moralische Religion ist ganz frey, entstehet durch stete 784Anwendung des ganzen Gemüts und aller Seelenkräfte des Menschen; und diese eigene Uebung und Fertigkeit bekomt keine abermalige [75] Vorschrift von Bischöfen oder Kirchendienern, wird auch von ihnen nicht statt andrer Menschen geleistet; ist daher immer und stets ungleich; kan gar nicht, ohne Irtum, in einem einzigen Maase angesezt oder vorgeschrieben werden. Weil aber der äusserliche erste Unterricht von der christlichen Religion, zunächst historisch ist, und auf die äusserliche gesellschaftliche Religion gehet, wozu die öffentlichen Religionsdiener in Absicht der mit dem Unterricht verbundenen feierlichen Handlungen bestellt sind: so gibt es eine Lehrart oder Lehrsumme zur Vereinigung der Mitglieder der einzelnen Christen oder Glieder. Die nächste Absicht dieser Gleichförmigkeit, ist nicht, die innere eigene praktische Religion in eine und dieselbe Einheit zu fassen: sondern ist allemal, diese Gesellschaft durch neue Mitglieder zu vermehren, und die kirchliche oder bürgerliche Fortdauer ihres gesellschaftlichen Verhältnisses, gegen andre Mitglieder kentlich an den Tag zu legen. Dis ist ganz gewis die erste und nächste Absicht aller der Handlungen, wozu Religionsdiener bestellt und angenommen worden. Sie sollen den öffentlichen Lehrunterricht zur Vereinigung aller Mitglieder besorgen, wie sie die [76] feierlichen Handlungen in dieser Religionsgesellschaft einmal wie allemal verrichten soll. Diese Beschäftigung ist ihnen durch eine Vorschrift oder Kirchenordnung aufgetragen. Diese Vorschrift hat zum Zweck, eben diese Religionsgesellschaft als solche kentlich, sichtbar fortzusezen; deren Mitglieder durch einerley öffentliche Religionsordnung sich gegen einander ferner als Mitglieder öffentlich zu erkennen geben. Wenn nun aber neben und mit dieser öffentlichen Religionsordnung, (die sehr gleichförmig ist, um eben denselben öffentlichen äusserlichen Endzweck immer gewis und kentlich zu erreichen,) in diesen Mitgliedern auch noch eigene innere Bewegung ihres Verstandes, Urteils und ihrer Neigung gegen Gott und [Christum], und Geist Gottes, entstehen: so gehören diese innern Bewegungen nicht zu der öffentlichen gemeinschaftlichen Religion; sie haben auch keine Einförmigkeit oder ein vorgeschriebenes Maas, wie es für eine Menge und Vielheit eins gibt; sondern sind und bleiben ganz frey, immer ungleich nach der Ungleichheit und Unabhängigkeit der eignen Seelenkräfte der Christen; sie befördern aber in allen Christen eine neue moralische Fertigkeit, Gott [77] immer mehr thätig zu verehren. Blos in dieser eigenen Privat-Religion entstehet und bestehet die moralische Wolfart der einzelnen Christen, die freilich auch die öffentliche Wolfart der ganzen Religionsgesellschaft ihres Theils gern befördern, wenigstens niemalen vorsezlich hindern; weil ihre eigene moralische Wolfart durch die gemeinschaftliche öffentliche Religionsordnung, welche die Lehrer mit den übrigen Mitgliedern einmal wie allemal äusserlich verbindet, gar nicht gestöret wird. Wenn also dieser ganz ausgemachte Unterschied, das sehr verschiedne Verhältnis und der sehr ungleiche Endzweck der gemeinschaftlichen Religionsübung, (die blos in gleicher Fortsezung der feierlichen Theilnemung an der Religionsgesellschaft bestehet, und an einzeln Zeiten und vorübergehenden Versammlungen gebunden ist,) wirklich eingesehen und vor Augen behalten wird: so kan die bisherige Vermischung der freien Privat-Religion, welche immerfort eine Ungleichheit der eignen Erkenntnis und ihrer Anwendung zu innerer moralischen Veränderung voraussezt und erfodert, wol nicht ferner also Statt finden: daß die öffentlichen christlichen Religionsgesellschaf[78]ten diese Verschiedenheit ihrer öffentlichen Lehrartikel und der gesellschaftlichen Religionsformen, (die allemal nur auf die äusserliche Fortsezung der angefangenen Religionsgesellschaft gehet) ferner dafür ansehen, daß die praktische christliche Religion mit allen ihren moralischen neuen Folgen, allen andern Gesellschaften darum fele, dieweil sie nicht eben dieselben Lehrformeln und eben dieselbe äusserliche Ordnung und Form der feierlichen feststehenden Merkmale einer Religionsgesellschaft angenommen haben. Denn die eigene praktische Religion der einzelnen Christen kann durchaus nicht einerley Maas und Summe haben, weil die christliche Privat Verehrung Gottes eine moralische Fertigkeit aller Christen ist, die an keine Zeit, an keinen Ort, an keine locale Ordnung anderer Mitchristen gebunden seyn kann. Der einzelne Christ kann seine innere Verehrung Gottes, den er christlich immer mehr zu erkennen sucht, zu seiner eigenen moralischen Wohlfart, im ganzen völligen Gebrauch aller seiner Seelenkräfte ausüben; sein eigen Gewissen, seine eigene Erfarung regirt diese Privat-Religion, ohne auf den Sontag und Festtag, oder auf eine grosse und kleine [79] Versammlung mehrerer Mitglieder der öffentlichen Religionsgesellschaft zu warten; wie er selbst und sonst niemand für ihn, weder Prediger noch Gesellschafter, unaufhörlich Gott anbetet, lobet und preiset, Gott täglich in allen Umständen frey und unabhängig vertrauet, und hiezu an keine öffentliche Vorschrift, oder an keine Formel eines Hymnus oder Gebetes schon gebunden ist; als welche durchaus allemal sich auf eine Versammlung vieler Christen beziehet, deren Vielheit durch diese Ordnung, auf etliche Zeit an einem und demselben Versammlungsorte, zu einer Gleichförmigkeit ihres gemeinschaftlichen Betens, Singens, Zuhörens, oder ihrer Theilnemung an einer Taufhandlung, am Abendmal etc. vereiniget seyn muste, wenn nicht ein jeder etwas anders singen, beten, kurz etwas nur wider diese Feierlichkeit vornemen, und also alle einander stören solten. Es ist und bleibt ein grober Irtum, wenn man die Absicht und die äusserlichen Folgen einer Religionsordnung so verkennet oder übertreibet, daß die moralischen christlichen Fertigkeiten an irgend eine solche äusserliche Religionsform ein für allemal von Gott durch die neuen Grundsäze der christlichen Religion [80] gebunden seien. Es ist eine fast wissentliche Verunehrung und Verleugnung des unendlichen herrlichen und moralisch wirkenden Gottes. Protestanten können am wenigsten eine solche sichtbare Pfafferey stehen lassen, die gerade durch 785eine Nachahmung der ehemaligen politischen römischen Regierung über den großen Staat, entstanden ist.

Es verhält sich eben so mit der andern, oder anders ausgedrückten Frage. Es mögen noch so viel einzelne Parteien sich in die neu entstehende christliche Religion theilen durch eine Ungleichheit der Lehrartikel von Vater, Sohn, heiligen Geist; von Christo, von Taufe, Abendmal (etc.)et cetera so haben sie doch alle mehr oder weniger Antheil an der christlichen Religion, wie sie der jüdischen und heidnischen entgegen stehet. 786Wenn Paulus sich über jene Spaltung zu Corinth so deutlich heraus läßt, da einige als 787Anhänger des Petrus, des Apollos (etc.)et cetera sich vorzüglich geltend machen wolten, daß er keinesweges diese Ungleichheit selbst für moralisch unrecht erkläret, sondern als unvermeidlichen Erfolg durch die ungleichen Religionslehrer ansiehet, es geradehin als absurd ansiehet, [81] daß eine Partey um ihres Lehrers willen, der nicht zugleich an mehrern Orten, Lehrer seyn kann, sich für viel bessere Christen halten will, als andre Christen nun wären: so hat gleichwol die bischöfliche Auslegung dieses so klare Urteil Pauli völlig umgekehrt erklärt, als solle es gar keine Ungleichheit der neuen Religionsgesellschaften neben einander geben. Ist etwa Christus, die christliche Religion und neue Verehrung Gottes, durch den Petrus, Apollos, Paulus in grössere und kleinere Theile abgesondert und nur zum Schaden der andern unrecht getheilet worden? Alle christliche Lehrer sind 788Arbeiter an demselben neuen Anbau, den Gott angefangen hat, und aller moralische gute Erfolg entstehet weder durch den Petrus noch durch den Apollos, sondern durch den ungehinderten Einflus Gottes, den die Christen nun alle besser erkennen, und nach ihrer Erkentnis verehren. Es ist und bleibt von nun an eben derselbe Grund, 789 Christus, als Eckstein einer moralisch freien Religion, deren Absicht stets auf die Theilnemer selbst gehet, ohne eine Unterwerfung aller Christen an Petrum oder Paulum. Diese neuen Lehrsäze von Einheit und Allgemeinheit Got[82]tes widerstehen eben der Uebertreibung aller äusserlichen Religionsform, die zeither bey Juden und Heiden nur zu politischen Absichten bestimmt war, ohne in den Menschen eigene freie moralische Bewegungen im Verhältnis auf die moralische Würde Gottes anzurichten. Wenn nun aber die Partey des Petrus, oder irgend eine christliche Religionsgesellschaft ihre Lehrartikel, die zur äusserlichen Unterscheidung von andern christlichen Gesellschaften nach den Umständen festgesezt worden, dafür ansiehet, daß alle andere christliche Parteien nun gar keine wahren Christen seyn, und Gott gar nicht christlich verehren könnten, dieweil sie nicht eben diese Lehrartikel hätten, ob sie gleich wirklich lauter christliche Lehrartikel haben: so ist ja dieses ein gerader Widerspruch gegen die neue vollkomnere Lehre, von moralischer Verehrung des moralisch erkannten Gottes. 790 Geist und Wahrheit, oder eine vollkommnere Stufe der eigenen Verehrung Gottes, hat Christus so gelehret, daß sie für alle Menschen gehören könne; er hat keine Lehrartikel aufgesezt, weil er noch keine öffentliche große Gesellschaft gestiftet hat, für welche ganz allein bestimmte Lehrartikel gemacht werden, [83] um sie als eine solche Gesellschaft neben andern fortzusezen. Wenn Christen also diese Vermischung der gesellschaftlichen und der ganz einzelnen Privat-Religion, und diese Uebertreibung der gesellschaftlichen öffentlichen Religionsordnung, fortsezen: so entfernen sie sich in der That von der wahren, ächten, christlichen Verehrung Gottes, und fallen wieder in das Judentum zurück. Ist aber auch unter den Christen von einer gewissen Zeit an eine Nationalreligion da; so ist sie doch nur eine äusserliche politische Ordnung, welche keinesweges sich für die allereinzige wahre christliche Verehrung Gottes ansehen kann, ohne eine ganz grobe Tiranney über die Christen für das Mittel anzunehmen, wodurch die gröste christliche Verehrung Gottes, ohne moralische Theilnemung der Christen, geleistet würde. Dis ist doch Atheismus.

13. Hienach gibt es also auch eine wahre Verehrung Gottes, ausser der Bibel, oder eine so genannte natürliche Religion; wenn sie gleich nicht die historisch neuen Vorstellungen von Gott begreift, welche die Christen zu ihrer christlichen Verehrung Gottes aus dem [84] (N. T.)Neuen Testament oder aus der ganzen Bibel sammlen. Welches sind denn nun die vorzüglichen Grundartikel der christlichen Verehrung Gottes, da es auch noch andre Stufen der Verehrung Gottes gibt, denen das Beiwort christlich nicht zukomt?

Freilich gibt es auch bei vielen Menschen eine natürliche Religion, in welche auch ehedem verständigere Menschen sich getheilt haben, neben der politischen Volksreligion. Sie kan und muß auch eine wahre Verehrung Gottes seyn, nach der Erkentnis, die sich Menschen vom höchsten Wesen sammlen konnten. Da aber die christliche Religion Lehrsäze begreift, welche aus der Bibel gesammlet worden sind, in welcher auch allgemeine moralische Begriffe vorkommen, und also nicht allein dem öffentlichen Juden- und Heidentum, sondern auch der eigenen moralischen Verderbnis sinnlicher Menschen noch mehr entgegen stehen, als mancher bisherige Inbegriff der natürlichen Religion, und das Judentum immer mehr unter andern Völkern sehr verdorben worden war: so ist die christliche Religion ihrem ausdrücklichen neuen oder grössern [85] Inhalte nach, von aller sowol jüdischen als blos natürlichen Religion ganz gewis immer unterschieden; man mag die christliche Religion in einer Sammlung öffentlicher Lehrartikel, oder bey einzelnen Privat-Christen damit vergleichen. Wenn man also nach den vorzüglichen Grundartikeln der christlichen Religion fragt, so verstehet man es entweder von dem öffentlichen Lehrbegriff besonderer christlichen Parteien; oder von der praktischen Privat-Religion geübter Christen. In der ersten Bedeutung gibt es mehr besondre Grundartikel der öffentlichen verschiedenen Religionsform, weil es mehr christliche Gesellschaften gibt, die im Gebrauche der Bibel einander nicht schon unterworfen seyn konten. Diese öffentlichen Lehrartikel, es mögen mehr oder weniger gezält werden, machen allemal den Grund und Boden einer jeden christlichen Gesellschaft, als Gesellschaft aus; ob sie aber alle gleich gut zum Wesen der christlichen Religion bey allen Christen aller Zeiten gehören, kan von keiner solchen Gesellschaft so entschieden werden, daß alle Christen aller andern Zeiten immer eben diese Artikel annemen müsten, oder das Wesen der christlichen Religion nicht gekannt hätten. [86] Denn alle Erkentnis aller Menschen, also auch der Christen, ist successiv, und hat nie eine unveränderliche Ausdenung oder Vollkommenheit. So waren gleich im Anfange dieser neuen Gesellschaft zwo große Parteien, die gar sehr von einander in den Grundartikeln abgingen, wodurch sie schon als neue Parteien entstanden waren; nemlich 1) Christen aus den Juden; 2) Christen aus den so genannten Heiden; beide Parteien waren Anfänger einer neuen Religionsgesellschaft, die von den besondern Grundsäzen, wornach sie einen Christus oder Messias beschrieben, Christianer, oder Anhänger des Christus hiessen. Juden-Christen, behielten Gesez Mosis, Beschneidung, Sabbat (etc.)et cetera mit in ihren Grundartikeln; namen auch keine Schriften oder Lehrsäze Pauli an, keine Geschichte der Apostel, worin Paulus so viel ausgerichtet hat; kein Evangelium auch keinen Brief Johannis, und hofften auf ein bald entstehendes sichtbares Königreich in Palästina, das Christus nun wider die Heiden aufrichten würde, worin sie an allen sinnlichen Freuden tausend Jahre lang einen Ueberflus haben würden. Nie war diese Partey mit den andern Christen in der äusserlichen Religions[87]form vereiniget, und so sehr schlecht auch die moralische Erkentnis und Uebung dieser Juden-Christen war, hat doch Paulus ihnen diesen geringen Stand völlig frey gelassen, und sich nicht zum Oberhaupt oder Censor über sie gemacht; weil jede öffentliche Gesellschaft ihre eigene gesellschaftliche Einrichtung frey hat, wenn auch andre Zeitgenossen Mängel darin finden, und lieber eine neue Gesellschaft für ihres Gleichen errichten. Eben so wenig machten die Christen aus den Heiden eine Gesamtgesellschaft aus unter einem einzigen Oberhaupte; und bis in den ersten Theil des 4ten Jahrhunderts waren alle Bischöfe oder Oberhäupter über mehrere kleine christliche Gesellschaften der verschiedenen Städte von einander ganz unabhängig; wenn gleich der eine grössere Theil schon es auf eine Gesamtkirche oder Verbindung aller Christen angefangen hatten, die sich durch den Namen die katholische oder grössere Kirche ganz eigenmächtig aufwarf, um alle kleinere Gesellschaften mit sich zu vereinigen. Diese nun neue politische Einrichtung eines christlichen Nebenstaats, neben dem ältern bürgerlichen Staat hat es geradehin und allein mit einer äusserlichen Religionsordnung zu thun, [88] und gehet blos auf die Vergrösserung und gewissere Fortsezung dieser Partey, wider alle andern christlichen Religionsfamilien, hängt also auch durchaus mit dem großen Staate so oder so weit zusammen. Alle Verordnung der 791 Concilien, oder mehrerer Bischöfe betreffen die äussere Religionsordnung, die Vorrechte der Clerisey, die Vorschrift über die kentlichen Merkmale, wodurch Christen ferner in der katholischen Kirche bleiben, oder diese äusserlichen Rechte verlieren. Wenn also auch die Bischöfe nun immer mehr Lehrartikel bestimmen, in einer rechtmäßigen Kirchen- oder Religionssprache über den Sohn Gottes, Geist Gottes, über 2 Naturen Christi (etc.)et cetera so gehören diese bischöflichen Lehrartikel doch nicht zu dem Wesen der christlichen Verehrung Gottes überhaupt, welche alle Christen immer nach ihrer eigenen Erkentnis ausüben müssen, neben aller öffentlichen oder gemeinschaftlichen Teilnemung an den feierlichen localen Zusammenkünften vieler beisammen lebenden Christen; sondern alle diese Kirchenartikel machen den besondern localen Grund einer einzeln ausdrücklich vereinigten Religionsgesellschaft aus, deren Mitglieder nicht zu andern christlichen Religions[89]gesellschaften gehören können, wenn sie ihre hiesigen äusserlichen einmaligen Rechte behalten wollen; denn Christen sind und bleiben zugleich locale Bürger, 792Professionisten (etc.)et cetera Da nun fast alle christliche Religionsparteien diesen Fehler begingen, daß sie ausser den öffentlichen localen Rechten ihrer Religionsverwandten, auch so gar die größte und einzig gewisse moralische oder innere Wohlfart der Menschen an ihre öffentlichen Lehrartikel, und an ihre öffentliche Religionsform banden, da doch die innere moralische christliche Seligkeit auf dem eigenen moralischen Verhalten der so verschiedenen Christen ganz allein beruhet, oder eine stete Folge der praktischen, habituellen, eigenen Verehrung Gottes ist für alle Menschen nach dem Maas ihrer Erkentnis: so ist der wahre Grund dieses gemeinschaftlichen Fehlers leicht zu entdeken; nemlich die neue besondre Absicht aller Obern in den besondern Religionsparteien, ihr eigen Ansehen zur steten Beherrschung aller Christen, auch aller Obrigkeiten, desto gewisser zu erweitern, wenn alle Christen ihre moralische jezige und ewige Wohlfart nur von diesen kirchlichen Artikeln, und von der Gemeinschaft [90] mit solchen Kirchen, abhängen liessen. Da der wirkliche Gebrauch der Bibel (die lange Zeit nur in den Händen der Clerisey war) noch nicht für alle Christen statt fand, und der große Haufe, wenn es auch Uebersezung gab, nicht lesen konte, auch überhaupt die öffentlichen Religionshandlungen ganz allein der Clerisey gehörten, den Clericis aber von den Bischöfen eben alle Lehrartikel zunächst vorgeschrieben wurden: so ist in jenen Zeiten es sehr begreiflich, daß die meisten so genannten Christen ohne alle eigene Erkentnis die Rechtmäßigkeit und ausschliessende Wahrheit ihrer bisherigen öffentlichen Religionsform ganz leicht und fest geglaubet, also alle andere Christen ja alle Menschen, die nicht mit ihm in kirchlicher Brüderschaft stunden, für geradehin von Gott verdamte gottlose Leute gehalten, sie also ernstlich gehasset, verfolget, und hiemit die ganz falsche Gewalt ihrer Clerisey so anerkant haben, daß sie an eigene, besondre, innere Verehrung Gottes weiter gar nicht gedacht haben. Es ist gleichwohl ganz ausgemacht wahr, daß die öffentliche Religionsordnung die daseienden moralischen ungleichen Fähigkeiten der Christen nicht aufheben und unter[91]drücken sol; und daß die öffentlichen Religionsdiener durchaus nicht diejenige christliche Verehrung Gottes durch ihre gewönlichen Amtsverrichtungen schon leisten und bewerkstelligen können, welche von allen einzelnen Christen selbst innerlich, unaufhörlich nach ihrem ganzen Vermögen, geleistet werden kann und sol. Daher sind auch wahre Christen, die ihrem Gewissen täglich geradehin zur Verehrung Gottes folgten, von diesen Bischöfen als gottlose Kezer eben so verfolget worden, als die moralisch rohen zornigen Juden den Christum und seine Schüler verfolget haben. Bei aller Verehrung also der kirchlichen Lehrartikel, ist die wahre christliche Religion in den einzelnen Christen, wie sie ihre eigene christliche Verehrung Gottes ausmachen sollte, immer mehr verdunkelt, und durch die feierliche äusserliche Religionsform meist aufgehoben worden. Hier war die natürliche Religion, was die Moralität betrift, besser und würdiger, als eine solche Kirchenreligion, unter den politischen neuen Oberherren, und doch hatten viele Privat-Christen ihre eigentümliche christliche Religion, die nicht die natürliche heissen kann; denn sie sammleten sie aus der Bibel.

[92] 14. Die protestantischen Lehrer rechnen ja aber eben diese Bischöflichen Lehrartikel von Dreieinigkeit, von 2 Naturen Christi [und] ihrer Vereinigung etc. mit zu den allgemeinen Grundartikeln der allein wahren christlichen Religion; und 793beweisen alle diese Kirchenlehren mit gar häufigen Stellen der Bibel; da doch die römischkatholischen Gelerten selbst behaupteten die Bibel sey ohne Tradition unvollständig; wozu sie eben diese Artikel anfüreten, daß sie in der Bibel feleten, oder nur mangelhaft und unvollständig darin gefunden würden; die katholische große Kirche bauet eben auf diese katholische Artikel die Nothwendigkeit eines Oberhauptes aller Christen, das über alle so verschiedenen Erklärungen der Bibel immer den richterlichen Ausspruch thun, und also die Einheit der christlichen Lehre und Einheit der Religion, (oder den Stillstand eigener Erkentnis) erhalten muß, durch die entschiedene Verdammung aller andern Menschen, die nicht zu dieser Einen Religionsform gehören. Es kann also die natürliche Reli[93]gion auch jezt einer so unrichtigen Kirchenreligion vorgezogen werden.

Dieser Vortrag ist nun historisch richtig; es ist leider die bisherige Geschichte der öffentlichen Religionsordnung, wodurch eben die katholische Kirche die wahre unendliche christliche Religions-Erkentnis und ihre vielfältige Anwendung, also ihren gewissen innern Unterschied von aller blos natürlichen oder unchristlichen Religion sehr unrecht in ein feststehendes Formular, in eine gesellschaftliche Einheit, in eine Observanz, in eine Unterwerfung an die kirchlichen Obern, oder an die Clerisey, nach und nach verwandelt, und in eine feierliche, gemeinschaftliche blos äusserliche Gewohnheit und Ordnung der Gesellschaft verkehret hat, wobei für die Christen keine innere eigene freie Verehrung Gottes weder natürliche noch eigene christliche, übrig bleiben solte. Hiedurch sind auch die Regenten so gar der Kirche, oder der Clerisey eben so unterworfen worden, wie alle gemeinen Christen; und so ist jene freie Erkentnis, die eigene Beurtheilung alles dessen, was mit der geoffenbarten Herrlichkeit Gottes bei jedem ein[94]zelnen Christen einstimmig ist, [(]welches die Ehre und den Vorzug der christlichen Religion und ihren Unterschied von aller menschlichen äusserlichen Ordnung ausmachte,) geradehin aufgehoben worden. Aus der neuen Wohlthat für alle Menschen, daß sie alle Gott immer mehr selbst erkennen und zu eigener moralischen Wohlfart ganz frei, im Gebrauche ihrer ganzen Seelenkraft, anwenden können, haben die Bischöfe ein neues unerträgliches Joch gemacht, welches viel drückender ist, als je die jüdische Religion war, wie schon 794 Augustinus zu seiner Zeit ehrlich sagte und doch selbst zu noch mehr Unterdrückung half. Gleichwol ist die neue Grundlage der christlichen Verehrung Gottes, eben diese, daß 795der alte Geist der Furcht und Knechtschaft, der Gott nicht kannte, ausgetrieben ist; daß Christen keiner menschlichen Sazung jemalen selbst, ihrem neuen Bewußtseyn nach, unterworfen seyn können, wenn man sie auch mit noch so viel Vorschriften äusserlicher Handlungen oder Ordnungen einschränkt: behalten sie doch innerlich alle Freiheit, eine bessere Erkentnis Gottes für sich selbst vorzuziehen, um die wahre, bessere Verehrung Gottes gewis[95]senhaft zu behalten. Gott ist es selbst, der die innerliche Wohlfart der einzelnen Christen für jeden Christen, immer mehr täglich schaft und befördert, durch seinen alles wirkenden Geist, den kein Concilium, keine kirchliche Vorschrift, auch keine Spötterey und kein böses Exempel falscher Christen, unwirksam machen kann. Wenn nun die Bischöfe diese innere freie Wohlfart der Christen an ihre Lehrformeln binden wollen: so weiß jeder verständige Christ für sich, daß sie dieses gar nicht im Stande sind; weil die eigenen Vorstellungen der Christen, und ihr freier Zugang zu dem ihnen immer mehr bekanten Gott, weder Pabst noch Concilium, weder Engel noch Teufel, auch keine blos natürliche Religion, geradehin aufhalten, hemmen oder unterbrechen kann. Es ist also [sichtbar], daß die Bischöfe mit ihren Lehrartikeln nicht auf diese innere freie Religion zu derselben leichtern Beförderung, gesehen haben; sondern daß sie blos die äussere Unterwerfung ihrer kirchlichen Unterthanen, und die feste Verbindung eines großen Kirchenstaats zur Absicht gehabt haben; und das war doch weder Christi noch seiner treuen Schüler Absicht. Nur ganz unwissende Menschen, oder ein[96]verstandene Theilnemer an dieser politischen Beherrschung der Menschen konnten es gelten lassen, daß Gott und Christus 796durch einen so gar zweideutigen Pabst, als durch einen Vicarium, oder durch ein Concilium die ewige Seligkeit der Menschen austheilen oder absagen lasse. Eine leichtbegreifliche Convenienz hat viel Regenten ehedem oder auch noch jezt hie und da dazu gebracht, den großen Beistand der einmal so mächtigen Kirche zu politischen Absichten zu nuzen. Die ganze nach und nach erwachsene Kirchentheologie, wohin alle jene spizigen Lehrmethoden gehören, war das Eigentum der Clerisey, und hatte blos diese monarchische Kirchenregierung zum täglichen nächsten Endzweck; die ganze öffentliche Religionsform wurde durch diese Theologie immerfort bestimt; und der erste nächste gewisseste Erfolg war, daß die Mitglieder oder Unterthanen der Kirche nun alle die öffentlichen Rechte genossen und behielten, welche die Regenten an diese Religionsform bürgerlich gebunden hatten. Wer davon öffentlich oder deutlich abwich, verlor diese Rechte, wurde ausgestoßen, und fiel in die Strafen, die auf so genante Kezerey gesezt waren. Aber durch alle diese äus [97] serlichen Veränderungen wurde der innere Zustand des Christen, sein eigenes habituelles Verhältnis gegen Gott, nicht im allergeringsten verändert. Es sind ganz thörichte Anmassungen, wenn Bischöfe von ihrem kirchlichen 797 Anathema nun sogar die ewige Unseligkeit dieser ausgestossenen Christen als eine Folge abhängen lassen wollten. Man mus es so gar eine grobe atheistische Vermessenheit nennen, und eine ausgemachte Beleidigung aller Moralität, daß die Kirche gar alle Christen mit bürgerlicher Gewalt verfolget hat, welche nicht die von Zeit zu Zeit eingefürte Kirchensprache über die öffentlichen Lehrartikel, auch dafür ansehen, daß ihre eigene rechte Verehrung Gottes in der buchstäblichen Bejahung schon enthalten seie; und es wusten, daß ihr eigener immer wachsender Glaube an Vater, Sohn und heiligen Geist zu ihrer moralischen Wohlfart durchaus daneben noch nötig seie, daß jene Lehrformeln nur einen Erfolg ausser ihnen in der äusserlichen Gesellschaft hervorbringen können; daher lehrten die Protestanten so eifrig, 798allein durch den eigenen Glauben hat der Mensch seine christliche Seligkeit. Es ist also gewis, daß die Bischöfe nur auf die Ein [98] heit einer gesellschaftlichen Religionsform gesehen haben, zu welcher Religionsform eben die glänzenden Stufen der Clerisey und die Nothwendigkeit eines so zahlreichen kirchlichen Hofstaats immerfort gegründet waren. Blos in einer solchen monarchischen Kirche ist ein allgemeines Oberhaupt, ein Richter über alle christliche Vorstellungen und Urtheile, und ein (sehr übel erdichteter) Statthalter Christi nötig; damit alle Christen einmal wie allemal Unterthanen dieser Religionsherrschaft bleiben, und so viel an weltlichen Gold und Silber bezalen, als die große Pracht der Kirche immer [nötig] hat. In den Gemütern aber der Christen ist entweder moralische Unwissenheit und ruhige Finsternis noch vielmehr da, als unter Juden und Heiden; oder wirkliche geheime Misbilligung dieser atheistischen Tiranney, und eine stille ganz andere eigene Verehrung Gottes; wie es so gar an vielen Christen nicht gefelet hat, die ihre ganz andre gewissenhafte Erkentnis auch öffentlich an den Tag gelegt, und gern mit Verlust ihrer Güter, sogar mit großer Quaal und Marter, endlich auch mit ihrem Tode bestätiget haben.