Das Rehabilitations-Angleichungsgesetz aus dem Jahre 1974 gilt als Markstein einer im Vergleich zu den 1950er und 1960er Jahren deutlich progressiveren Behindertenpolitik. Die seit 1969 regierende sozialliberale Koalition suchte entsprechend ihrer umfassenden Anstrengungen um Chancengleichheit und Demokratisierung gesetzliche Ungleichbehandlungen verschiedener Gruppen behinderter Menschen zu beseitigen.1 In diesem Sinne wurde das bis dahin prägende Kausalprinzip – also die gesetzlich unterschiedliche Behandlung behinderter Menschen anhand der Ursache ihrer Beeinträchtigung – durch das Reha-Angleichungsgesetz abgelöst. Kriegsversehrte Personen sollten im Vergleich zu allen anderen behinderten Menschen nicht länger bevorzugt behandelt werden. Die Reha-Träger wurden durch das Gesetz dazu angehalten, ihre nun einheitlichen Leistungen für alle behinderten Menschen an deren jeweiligem Rehabilitationsziel auszurichten – das Kausalprinzip wurde also durch ein Finalprinzip ersetzt. Wenngleich das Reha-Angleichungsgesetz nicht alle Ungleichbehandlungen in allen Lebensbereichen nivellieren konnte, so stellte es doch im ‘Jahrzehnt der Rehabilitation’ (Arbeits- und Sozialminister Walter Arendt) das ‘Herzstück’2 der sozialliberalen Reformpolitik dar.

  1. Wilfried Rudloff: Rehabilitation und Hilfen für Behinderte, in: Hans Günter Hockerts (Hrsg.): Bundesrepublik Deutschland 1966-1974. Eine Zeit vielfältigen Aufbruchs, Baden-Baden 2006, S. 559–590.
  2. Elsbeth Bösl: Die Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik aus Sicht der Disability History, in: APuZ 60 (2010), Nr. 23 , S. 6–12.
  3. Karl Jung: Das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation, in: Bundesarbeitsblatt 25 (1974), S. 441–445.
Notes
1
Bösl: Die Geschichte der Behindertenpolitik, S. 133.
2
so der SPD-Sozialpolitiker Eugen Glombig, zitiert nach Rudloff: Rehabilitation und Hilfen für Behinderte, in: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 5, S. 573.

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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Gesetze. A4 - Kommentar. Geschichte-MMB. Sebastian Schlund. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1BA-7