Gesetzblatt

der Deutschen Demokratischen Republik

Berlin, den 31. Dezember 1951

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Erste Durchführungsbestimmung zu § 28 des Gesetzes der Arbeit.
- Einhezichung der Schwerbeschädigten in den Produktionsprozeß -
Vom 18. Dezember 1951

Auf Grund des § 28 des Gesetzes der Arbeit vom 19. April 1950 (GBI. S. 349) wird im Einvernehmen mit dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes folgende Durchführungsbestimmung erlassen:

Verpflichtung
zur Beschäftigung von Schwerbeschädigten

§ 1
  • Die Leiter von Betrieben und Verwaltungen und die Betriebsinhaber sind verpflichtet, Schwerbeschädigten einen ihren Körperschaden, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden und zumutbaren Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
§ 2
  • (1) Die Leiter von Betrieben und Verwaltungen und die Betriebsinhaber sind verpflichtet, durch laufende Überprüfung der vorhandenen Arbeitsplätze festzustellen, welche Arheitsplätze für die Beschäftigung von Schwerbeschädigten geeignet sind.
  • (2) Die Zahi der zu beschäftigenden Schwerbeschädigten muß mindestens im Verhältnis 1 : 10 zur Zahl der Belegschaft des Betriebes oder der Verwaltung stehen.
  • (3) Freie oder frei werdende Arbeitsplätze, die sich für die Beschäftigung von Schwerbeschädigten eignen, sind, sofern die Verhältniszahl 1:10 nicht erfüllt ist, der Abteilung für Arbeit bei dem Rat des Stadt- oder Landkreises (nachfolgend Ahteilung für Arbeit genannt) , unverzüglich anzuzeigen.
  • (4) Bei der Arbeitskräfteplanung oder bei der Anmeldung des ArbeitskräftebedarIs ist die voraussichtliche Zahl der Arbeitsplätze, an denen Schwerbeschädigte beschäftigt werden können, anzugeben.
§ 3
  • Die Leiter der Betriebe und Verwaltungen und die Betriebsinhnber sind je nach Lage der Verhältnisse in den Betrieben und Verwaltungen verpflichtet, Arbeitsstätten, Betriebsanlagen und Betriebseinrichtungen so zu gestalten, zu verbessern und zu unterhalten sowie Arbeitsverrahren an Maschinen so einzurichten, daß Schwerbeschädigte bei voller Entfallung ihrer Arbeitskraft beschäftigt werden können und ihnen die Arbeit erleichtert wird.

Befreiung von der Verpflichtung zur Beschäftigung von Schwerbeschädigten

§ 4
  • (1) Eine teilweise Befreiung von der Verpflichtung, Schwerbeschädigte in einem Verhaltnis gemäß § 2 Abs. 2 zu beschäftigen, kann erfolgen, wenn auf Grund der Eigenart des Betriebes oder der in bestimmten Betriebsabteilungen zu verrichtenden Arbeiten nicht 10% aller vorhandenen Arbeitsplätze für die Beschäftigung von Schwerbeschädigten geeignet sind.
  • (2) Eine solche teilweise Befreiung erfolgt für volkseigene oder ihnen gleichgestellte Betriebe und Verwaltungen, die von einem Fachministerium der Deutschen Demokratischen Republik unmittelbar geleitet und verwaltet werden, durch das Ministerium für Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik. Für alle anderen Betriebe und VerwalLungen erfolgt eine teilweise Befristung durch die zuständige Abteilung für Arbeit.
  • (3) Gegen die Entscheidung der Abteilung für Arbeit ist die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Zugang bei der Hauptabteilung Arbeit des zuständigen Ministeriums des Landes zulässig.
  • (4) Die Entscheidung der Hauptabteilung Arbeit des zuständigen Ministeriums des Landes ist endgültig.

Beschäftigung von jugendlichen Schwerbeschädigten

§ 5
  • Jugendlichen Schwerbeschädigten, insbesondere solchen, die von der Schule abgehen, sind im Rahmen des Nachwuchsplanes geeignete Ausbildungsplätze entsprechend ihren Kenntnissen und Fähigkeiten bevorzugt bereitzustellen und nachzuweisen.

Ausbildung für einen neuen Beruf

§ 6
  • (1) Schwerbeschädigte, die ihren erlernten Beruf oder ihre vorher ausgeübte Tätigkeit auf Grund des Körperschadens nicht mehr ausüben können, sind für einen neuen Beruf auszubilden oder für eine andere Tätigkeit zu qualifizieren.
  • (2) Die Ausbildung für einen neuen Beruf oder die Qualifizierung für eine andere Tätigkeit erfolgt auf Veranlassung der Abteilung für Arbeit in einem geeigneten Betrieb oder einer Verwaltung. In besonderen Fällen können auf Veranlassung der Abteilung für Arbeit Schwerbeschädigte in Lehrgängen der Landesumschulungswerkstätten für Schwerbeschädigte vorgebildet werden.
  • (3) Die Abteilung für Arbeit veranlaßt die Ausbildung für einen neuen Beruf oder die Qualifizierung für eine andere Tätigkeit erst dann wenn durch die zuständige Abteilung Gesundheitswesen des Kreises oder einem ermächtigten Arzt festgestellt wurde, daß der Schwerbeschädigte nach Art und Grad seines Körperschadens die neue Tätigkeit ausüben kann.

Gesundheitliche Betreuung

§ 7
  • (1) Die Leiter von Betrieben und Verwaltungen und die Betriebsinhaber sind verpflichtet, die Art der Beschäftigung der Schwerbeschädigten in Zusammenarbeit mit der Betriebsgewerkschaftsleitung und der Arbeitsschutzkommission zu überwachen und für die Abstellung von Mängeln Sorge zu tragen.
  • (2) Desgleichen ist für eine ständige gesundheitliehe Betreuung der Schwerbeschädigten Sorge zu tragen; ärztliche Feststellungen sind zu berücksichtigen.

Kontrolle der Abteilung für Arbeit

§ 8
  • (1) Den Abteilungen für Arbeit obliegt die Kontrolle über die Durchführung dieser Bestimmungen.
  • (2) Wird festgestellt, daß in Betrieben oder Verwaltungen die Beschäftigung von Schwerbeschädigten nicht in dem festgesetzten Verhältnis zur Gesamtzahl der Belegschaft erfolgt, obwohl geeignete Arbeitsplätze vorhanden sind, so sind die Abteilungen für Arbeit berechtigt, eine angemessene Frist zur Einstellung von Schwerbeschädigten zu bestimmen und geeignete Schwerbeschädigte nachzuweisen.

Wahrnehniung der besonderen Interessen

§ 9
  • (1) Die Wahrnehmung der besonderen Interessen der Schwerbeschädigten in den Betrieben und Verwaltungen erfolgt durch die Betrriebsgewerkschaftsleitungen.
  • (2) Zur Förderung der Einbeziehung von Schwerbeschädigten in den Produktionsprozeß können von den Abteilungen für Arbeit im Einvernehmen mit den Organen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachverständige herangezogen werden.

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

§ 10
  • (1) Das Arbeitsvertragsverhältnis eines Schwerbeschädigten kann nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Abteilung für Arbeit unter Einhaltung einer Frist von einem Monat gekündigt werden.
  • (2) Die Zustimmung der Abteilung für Arbeit hat zu erfolgen, wenn dem Schwerbeschädigten ein anderer angemessener Arbeitsplatz nachgewiesen oder dem Betrieb eine Weiterbeschäftigung aus einem in der Person des Schwerbeschädigten liegenden Grunde nicht zugemutet werden kann.
  • (3) Für dIe fristlose Entlassung eines Schwerbeschädigten ist unter Mitteilung der Gründe die Zustimmung der Abteilung für Arbeit innerhalb einer Woche nachzuholen.
  • (4) Für die Beendigung eines Arbeitsvertragsverhältnisses eines Schwerbeschädigten gelten im übrigen die Bestimmungen der Verordnung vom 7. Juni 1951 über Kündiglmgsrecht (GBI. S. 550).
§ 11
  • Beendet ein Schwerbeschädigter sein Arbeitsvertragsverhäitnis ohne Zustimmung der Abteilung für Arbeit oder weist er einen ihm zumutbaren Arbeitsplatz ohne ausreichenden Grund zurück, so verliert er für die darauffolgendcn drei Monate den Anspruch darauf, dnß ihm ein Arbeitsplatz als Schwerbeschädigter bevorzugt nachgewiesen wird.

Feststelhmg der Behinderung und Schwerbeschädigtenausweis

§ 12
  • (1) Schwerbeschädigte im Sinne dieser Durchführungsbestimmung sind alle Personen im Alter über 14 Jahre, die durch einen dauernden Körperschaden von 50% oder darüher behindert und im Besitz eines amtlichen Schwerbeschädigtenausweises sind.
  • (2) Die Ausfertigung und Ausgabe der Schwerbeschädigtenausweise erfolgt nach besonderen Anweisungen des Ministeriums für Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik.
§ 13
  • (1) Art uno Grad des Körperschadens werden durch von der Gesundheitsverwaltung ermächtigte Ärzte festgestellt.
  • (2) Wird bei einer Überprüfung der Grad des Körperschadens eines Schwerbeschädigten auf weniger als 50% herabgesetzt, so steht dem Beschädigten der Schutz dieser Durchführungsbestimmung für die Dauer von sechs Monaten nach der Neufestsetzung zu.

Anweisungen über ärztliche FeststeIlungen und gesundheitliche Betreuung

§ 14
  • (1) Die erforderlichen Anweisungen für die Durchführung der ärztlichen Feststellungen und für die gesundheitliche Betreuung im Sinne dieser Durchführungsbestimmung erläßt das Ministerium für Gesundheitswesen der Deuischen Demokratischen Republik.
  • (2) Die ärztlichen Feststellungen werden gebührenfrei durchgeführt.

Strafbestimmungen

§ 15
  • (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig als Leiter eines Betriebes, einer Verwaltung oder als Betriebsinhaber gegen die Vorschriften dieser Durchführungsbestimmung verstößt, wird vom Rat des Stadt- oder Landkreises mit einer Ordnungsstrafe bis zu 300,- DM bestraft.
  • (2) Gegen den Ordnungsstrafbescheid steht dem Betroffenen innerhalb von zwei Wochen die Beschwerde an die Hauptabteilung für Arbeit des zustaudigen Ministeriums des Landes zu. Die Entscheidung der Hauptahteilung Arbeit des zuständigen Ministeriums des Landes ist endgültig.

Allgemeine Bestimmungen

  • (1) Gemäß § 59 Abs. 3 des Gesetzes der Arbeit vom 19. April 1950 (GBI. S. 349) sind insbesondere
    • die Verordnung vom 2. Sep!ember 1946 über die Beschäftigung Schwerbeschiidigter
    • die Verordnung vom 3. Oktober 1946 über die Beschäftigung von Schwerbeschädigten des Landes Sachsen,
    • das Gesetz vom 5. November 1947 über die Beschäftigung Schwerbeschädigter des Landes Sachsen-Anhalt
    nicht mehr anzuwenden.
  • (2) Befreiungen von der Einstellungspflicht durch die Abteilung für Arbeit gegen Bezahlung einer Ausgleichsabgabe, die auf Grund des § 5 des Gesetzes vom 5. November 1947 über die Beschäftigung Schwerbeschädigter des Landes Sachsen-Anhalt erfolgt sind, verlieren am 31. Dezember 1951 ihre Gültigkeit.
§ 17
  • Diese Durchführungsbestimmung tritt mit ihrer Verkündung in Kraft.

Berlin, den 18. Dezember 1951

Ministerium für Arbeit
Chwalek
Minister

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Gesetze. A8 - Transkript. Geschichte-MMB. Gemeinfrei. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1AF-4