[101]

Die Geisterinsel.

Wüste Insel. Ein Kreis schwarzer Tannen.
Seesturm. Nacht. Das Ungewitter verzieht
sich. Blaue Flammen steigen aus dem Boden
und verschwinden. – Schauerliche Pause, in-
dem der Mond langsam und dunkel aufgeht,
und der Wind die Zweige erhebt.
Erste Stimme.
Unke ächzt.
Rabe krächzt.
Chor.
Krahrah!
Zweyte Stimme
(gegenüber)
Geyer hackt am Todtenbein,
Kautz und Felseneule schreyn.
Chor.
Uhui!
[102]
Dritte Stimme
(von einer Seite)
Leichenvogel singt,
Todtenglocke klingt.
Ting! Ting!
Chor.
Todtenchöre singen wir.
Todteswinde wehen hier!
Erste Stimme.
Schau den Hof um Mondenschimmer!
Zweyte Stimme
Horch des Leichhuhns Klaggewimmer!
Chor.
Wer den schwarzen Strand berührt,
Wird zum Opfer hergeführt.
Herbey!
Dritte Stimme.
Geisterchor!
Jach empor!
(Es donnert. Die Erde bebt.)
[103]
In dieser Nacht
Wird Blut gebracht.
Hihi!
Erste Stimme.
Blut’ger Regen fiel aufs Kraut –
Zweyte Stimme.
Felsen ist mit Blut bethaut –
Dritte Stimme.
Blutig, blutig, Kranz und Braut.
Horch! Sie naht – 
(Die Gegend wird von einem sanften Schim-
mer erhellt. Der Himmel entwölkt sich.)
Elfride
(tritt auf.)
Wo bin ich?
Wie? ich lebe,
Ich athme noch?
Wo bin ich? –
Oed’ scheint die Gegend,
Schauerfeste durchbeben mich –
[104]
Dumpf klatscht die Wooge
Ans schroffe Ufer,
Und Todtenstille
Umgiebt mich – –
Kaum wag’ ichs zu athmen –
Ich zittre – mein Busen
Hebt ängstlich sich!
Es hallen Schritte –
Es flüstern die Blätter –
Kaum wag’ ichs zu wandeln –
Es zittert die Luft!
Wo bin ich?
Welche Welle
Trug mich hierher?
Mich? – wehe mir!
Und er?
Vielleicht –
Ach, diese Welle
Riss ihn vielleicht hinab?
[105]
O, Schicksal!
Grausames Schicksal!
Warum mit ihm nicht mich?
Was soll ich hier?
Was soll allein
Ich leben?
Ich ohne ihn? –
Doch nein!
Nicht leben soll ich,
Nicht trotzdem ihn beweinen!
In dieser öden Wüste
Wird doch ein wilder Löwe.
Ein blutgier’ger Tiger.
Ein Meeresungeheuer
{Dieß} Quaalenleben enden! –
Erbarmen!
O! erbarmt euch über mich.
Erste Stimme.
Hihi!
Elfride.
Horch!
Was ist das?
[106]
Eine Stimme.
Wie hohnisches Gelächter?
Was ist das?
Es bebt durch alle Nerven! –
Sprich noch einmal, o Stimme!
Bist du ein Mensch,
Der Leidende verspottet?
Bist du ein Strandbewohner,
Gewohnt,
Die Landenden zu plündern,
Zu rauben und zu tödten?
Bist ein Wesen,
Das über Thränen jauchzt,
Das neidisch
Menschenglück zerrüttet?
Hier bin ich!
Nimm diess Leben!
Ich danke dirs!
Chor
(leise.)
Hihi!
Erste Stimme.
Stille! St!
[107]
Elfride.
Jetzt wieder?
Hier - und drüben?
So wunderbar,
So leis und schrecklich? –
Die Angst
Dringt kalt zum Herzen mir!
Mein Haar
Hebt starrend sich empor?
Wo bin ich?
Niemand seh’ ich
Und höre Stimmen,
Wie nimmer ich sie hörte.
Ists Flüstern
Der Bäume die sich regen?
Sinds Töne
Verborgner, mächt’ger Wesen?
Sind diese Ufer
Des Schattenreichs Gefilde?
Ists nur ein Traum,
Dass ich noch lebe?
[108]
Oder bin ich jetzt
Vom Schlaf erwacht?
Und träumte erst?
Erste Stimme.
Sey gegrüsset, Königin!
Bist der Geister Herrscherinn.
Chor.
Geister neigen sich vor dir!
Königin! wir dienen dir.
Elfride.
Ach gewiß –
Es ist ein Traum.
Ich zittre,
Und meine Kniee wanken.
Zweyte Stimme.
Zittre nicht, o Königin!
Ruf uns hier und her und hin!
Dritte Stimme.
Bist vom Schicksal auserlesen
Zur Monarchin mächt’ger Wesen,
Unter goldnem Stern gebohren –
[109]
Chor.
Uns zur Königin erkohren!
(Flammen steigen aus der Erde. Die
Bäume rauschen.)
Erste Stimme.
Auf! gebeut uns, Königin!
Chor.
Ruf uns hin und her und hin!
Elfride.
Nein!
So deutlich
Ist nicht das lustige Gewebe
Eines Traumes!
Erste Stimme.
Sprich, sollen wir Stürme erregen?
(Ein schreckliches Gebraus in der Luft.)
Zweyte Stimme.
Sprich, sollen die Wellen sich legen?
(Es wird ruhig. Der Wind weht sanft und
angenehm.)
[110]
Dritte Stimme.
Sprich, sollen wir Felsen zerschmettern
Und toben in brausenden Wettern?
(Heftiger Blitz und Donner.)
Vierte Stimme.
Sprich, sollen die Wolken zerspellen
Und Blitze die Schlünde erhellen?
(Noch heftigere Blitze. Unterirrdisches Ge-
heul und Krachen.)
Fünfte Stimme.
Soll lieblich die Luft
Mit Blumenduft
Um Busen und Wange dir spielen?
In süssen Liebesgefühlen
Die Nachtigallen dir singen?
Soll Sphärengelispel erklingen?
Und soll’n wir in goldnen Schalen
In rothen Rubinenpokalen
Dir Nektar und Götterkost bringen?
(Liebliche Musik in der Ferne. Eine Laube
mit Kränzen und rosenfarbnen Lampen
geschmückt steigt aus der Erde. Man sieht
auf prächtigen Teppichen goldne Frucht-
körbe, Trinkschaalen u. s. w.)
[111]
Chor
Auf! gebeut uns, Königin!
Ruf uns hin und her und hin.
(Die Laube verschwindet.)
Elfride.
Ihr mächt’gen Wesen!
Erbarmt euch mein. –
Wollt ihr mir dienen,
Ihr Unsichtbaren!
Wollt nicht des Unglücks,
Der Thränen spotten.
So treibt den Jüngling
Mit leiser Welle
Ans Ufer her:
Ihn, den ich liebe –
Ihn, der mich liebt
So fest, so zärtlich –
Der ach! vielleicht
Im Woogengrabe
Schon lange schläft – – 
Treibt seinen Leichnam
[112]
Mit sanften Lüften
Ans Ufer an,
Dass ich ihn küsse,
Mit Thränen bade
Und über ihn
Mein Leben ende.
Stimmen.
(leise.)
Hihi!
(Pause.)
Chor.
(feyerlich langsam.)
Schicksal! unerforschlich Wesen
Lass im ew’gen Buch uns lesen.
(Pause. Eine tiefe Höle öfnet sich im
Hintergrunde.)
Stimme aus der Höle
(dumpf und langsam.)
Der Strand will Blut!
(Es donnert.)
Chor.
Seel’ um Seel’, und Blut um Blut!
[113]
Elfride.
Wehe mir!
So bist du todt! –
Wo schläfst du?
Wo warf die schwarze Wooge
Dich an den harten Felsen? –
Erbarmt euch! mächt’ge Geister! –
Ach, er ist todt!
Mein Edward!
Erste Stimme.
Todt ist er nicht,
Er lebet nicht.
Noch schwebet er
Auf offnem Meer.
Willst retten ihn,
O Königin!
Gieb Blut um Blut.
Chor.
Gieb Blut um Blut!
[114]
Elfride.
Für ihn?
Wohl mir!
Ich soll, ich kann
Für ihn, den Liebling sterben.
Ich eile – ich fliege
Den Liebling zu retten.
Ihr brausenden Woogen!
Nehmt mich zum Opfer
Zum Opfer an!
Zweyte Stimme.
Halt ein!
Chor.
Halt ein!
Dritte Stimme.
Sollst sterben, Geisterkönigin!
Sollst sterben nimmer nicht für ihn!
Ritz’ dich in deine Lilienhand
Und wirf zum Opfer für den Strand
Den blut’gen Schleyer hin!
[115]
Elfride.
Ich folge euch,
Ihr Unerforschlichen!
(Sie zieht die Nadel aus ihrem Schleyer, ritzt
sich blutig, trocknet das Blut mit dem
Schleyer und wirft ihn an den Strand.)
Es ist gescheh’n
Chor.
Er ist gerettet, Königin!
Elfride.
O, Dank!
Ihr güt’gen Wesen!
Heissen Dank! –
Aber wo –
Wo find‘ ich ihn?
Erste Stimme.
Schon schwebt er auf silbernen Woogen,
Ans blumige Ufer daher,
Von kleinen Delphinen umzogen,
Geküsset von Nymphen und Meer.
[116]
Chor.
Geh linker Hand!
Am Felsenstrand
Erblickst du ihn,
O Königin!
(Elfride ab.)
Stimmen.
Hihi!
Chor.
Todtenchöre singen wir,
Todtenwinde wehen hier!
Erste Stimme.
Rabe krächzt.
Unke ächzt.
Dritte Stimme.
Leichenvogel singt.
Todtenglocke klingt.
Ting! Ting!
Erste Stimme.
Blut’ger Regen fiel aufs Kraut!
[117]
Zweyte Stimme.
Felsen ist mit Blut bethaut –
Chor.
Leichenvogel hat gesungen,
Unser Werk ist uns gelungen!
Dritte Stimme.
Ehe noch der Morgen graut,
Ist sie todt, die schöne Braut.
Chor.
Eh’ der schwarze Hahn erwacht
Ist das Opfer dargebracht!
Stimmen.
Horch! leise!
Chor.
Horch!
Edward.
(tritt auf.)
Elfride!
O, Elfride!
Wo bist du? –
[118]
Nur einen Laut! –
Elfride!
Verschönerst du
Noch diese Erde?
Halt dich
Einen Meeresgeist
In seinen Armen fest?
Hält dich gefangen
Im Pallast
Von Perlen und Korallen?
Oder irrt dein Geist
Um diese schwarzen Ufer?
Liegt unbegraben
Dein Leib auf einer Klippe –
Ein Raub der Vögel?
Oder schläfst
Du tief im Grund der See?
Elfride!
Nur einen Laut!
Erscheine mir im Todtenkleid,
Dass ich dir folge
Ins Schattenreich.
[119]
Stimmen.
Hihi!
Edward.
Was? –
Noch einmal! –
Erste Stimme.
Stimmet Todtenchöre an!
Zieht die Todtenglocken an!
Chor.
Todtenchöre singen wir,
Todtenglocken läuten wir.
Erste Stimme.
Ting! Ting!
Chor.
Tong! Tong!
Edward.
Was hör’ ich?
Welcher Ton
Dringt an mein Ohr? –
[120]
Wer seyd ihr,
Die ihr so dumpf
Und schauerlich
Mein Unglück mir verkündet? –
O, saget mir –
Ihr wisset es! –
Wo ist Elfride?
Sagt, lebt sie noch?
Sagt, ist sie todt?
Erste Stimme.
Geyer gierig fuhr herab,
Würgte Turteltäubchen ab.
Chor.
Mägdlein ist so blutigroth,
Gab für dich sich in den Tod!
Edward.
Für mich!
O Himmel!
Todt?
Elfride todt?
[121]
Chor.
Opfer heischt der schwarze Strand,
Bist in böser Geister Land.
Zweyte Stimme.
Liebchen hat um Mitternacht.
Sich zum Opfer dargebracht.
Gierig schlang das Ungeheuer –
Dritte Stimme.
Blutig ist der weisse Schleyer.
Purpurn floss die helle Flut –
Chor.
Seel’ um Seel’ und Blut um Blut!
(Es donnert.)
Edward.
Blut um Blut!
Ha! dieser Schleyer,
Elfridens Schleyer
Mit Blut benetzt –
Ha! meine Braut!
Für mich starbst du?
[122]
O wehe mir! – –
Herab, ihr Blitze!
Auf mich herab! –
Umsaust mich, ihr Stürme!
Umbrüllt mich, ihr Donner!
Umzischt mich, ihr Nattern
Des flammenden Abgrunds!
Und trinkt mein Blut
(ersticht sich.)
Stimmen.
Hihi!
Chor.
Seel’ um Seel’ und Blut um Blut!
Edward.
(sterbend.)
Umgebt mich, ihr Schatten! –
Dunkel – o dunkel – –
Vergieb mir, Elfride! –
Mein Tod versöhne –
Elfride!
(stirbt.)
[123]
Erste Stimme.
Unsre List ist uns gelungen –
Zweyte Stimme.
Leichenvogel hat gesungen –
Chor.
Einer ist von uns bethöret.
Rufet laut, dass sie es höret.
Erste Stimme.
Elfride!
Chor.
Elfride!
Zweyte Stimme.
Herbey!
Chor.
Herbey! herbey!
Elfride.
Wer ruft? –
Hier bin ich –
Schadenfrohe Geister!
Wo find’ ich ihn?
[124]
Dritte Stimme.
Mädchen, weiss und rosenroth!
Schlanker Bräutigam ist todt,
Dunkel ist des Auges Glut –
Chor.
Seel’ um Seel’ und Blut um Blut!
(Donner.)
Elfride
(stürzt sich über seinen Leichnam.)
Edward!
Ha! mein Edward!
Du kalt und starr –
Und blutig deine Locken? –
Ha! – dieser Dolch –
(Sie küsst den Dolch)
Mein Edward!
Diesen Kuss –
Und diesen –
Deine Braut
Sie folget dir!
(ersticht sich.)
[125]
Erste Stimme.
Geister, heult durch Sturm und Nacht!
Opfer ist nun dargebracht.
Chor.
Geister! trinkt das heisse Blut
Seel’ um Seel’ und Blut um Blut!

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