1813, 27. Mai.


Mit Heinrich von Heß
und Philipp(?) von Neumann

Baron Neumann und ich verließen das Gasthaus, um uns vor Tische noch im Orte [Teplitz] etwas umzusehen, als uns die freundliche Wirthin zurief: da drüben im Gartenhäuschen befinde sich der große Dichter Goethe aus Weimar, ob wir nicht vielleicht gesonnen wären, ihn zu besuchen. Einige Augenblicke besannen wir uns, da wir nicht das Vergnügen hatten, von dem Herrn Geheimen Rath gekannt zu sein, allein die Versuchung war zu groß und andererseits der Ruf auch von der Mission des [Feldmarschalllieutenant] Grafen Bubna [wegen Friedensverhandlungen mit Napoleon] in der Gegend so bekannt geworden, daß wir – derselben angehörend – vielleicht auf einen freundlichen Empfang hoffen durften. Und so traten wir denn [320] getrost dem Pförtchen zu und zogen an dem bescheidenen Glöcklein. – Ein älterer Diener öffnete die Gartenthüre; wir frugen, ob Herr v. Goethe zu Hause und sichtbar wäre und erhielten die Antwort: Hier geht er eben im Laubengang auf und nieder; wen darf ich anmelden? Wir annoncirten uns als aus dem Gefolge des Grafen Bubna angehörend und von dem Wunsche beseelt, auf schneller Durchreise die Bekanntschaft des hochberühmten Dichters zu machen. In wenigen Augenblicken kehrte der brave Mann zurück und, ihm in gemessenen Schritten folgend, in seiner aufgerichteten hohen Gestalt, mit blauem einfachen Überrocke angethan, stand einer der größten Geister unseres Jahrhunderts mit seinem durchforschenden Auge vor unseren Blicken.

Ich, als der vorderste von uns beiden ergriff nun das Wort, um Vergebung bittend, ihn durch unseren Überfall belästigt oder vielleicht doch gestört zu haben, wohl wissend, was dem Dichter und Gelehrten die Zeit werth wäre, allein zu groß wäre auch der Drang gewesen, unsere Mission sogleich mit dem Glückssterne beginnen zu lassen und die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, dem jeder Deutsche und daher auch jeder Osterreicher den innersten Kern seiner Bildung verdanke. – Freude und Jugend leuchtete dabei aus meinen Blicken; er schien an uns Gefallen zu finden, und so folgte meinem treuherzigen Ergusse die freundlichste Aufnahme, wie sie mir jetzt nach vollen fünfzig [321] Jahren noch deutlich vor Augen schwebt. Wechselseitige allgemeine Beziehungen begannen ein Gespräch, das – sich über alle Gegenstände des Tages, von seiner Seite sinnvoll verbreitend und durch uns mit manchem ihm Neuen und Unbekannten ausgestattet, – beinahe eine halbe Stunde dauerte. Es war nämlich der Krieg noch kein eigentlicher europäischer geworden, sondern der Kampf nur ein vereinzelter von Preußen und Russen mit Frankreich, der abwechselnd gefochten wurde und gegenwärtig mit einem Rückzuge der ersteren verbunden war. Osterreich bemühte sich, dessen Ende durch Unterhandlungen herbeizuführen, allein die Wolken thürmten sich auch für das letztere Reich schon am fernen Horizonte; denn ein Unterhandeln mit Napoleon war schon der Vorbeginn des Krieges, weil es dadurch ein Hinneigen zu den Gegnern des Kaisers zeigte. Dies alles und der mehr als zweifelhafte Ausgang der Unterhandlungen mit einer so herrischen Riesennatur, wie jene des Kaisers, war der Hauptinhalt unseres Gespräches. Die gewaltige Zeit nun, der Kriegsgeist, der sie belebte, und die ebenso gewaltige Reaction, welche den erst erfolgten Brand von Moskau nun wahrscheinlich zum allgemeinen Weltbrande anzufachen drohte, und das Unglück, welches dadurch über die einzelnen so blühenden Länder Deutschlands und besonders über die unteren Volksklassen, die an allem so unschuldig waren, kommen müsse, schienen den in diesen Gedanken ganz versunkenen edlen Mann tief zu durchdringen. Er [322] sagte: »Sie sind zwar Kriegsmänner, oder noch Höhergestellte im Staatsleben, und die Welt bildet sich nach dem Ergebniß Ihrer Thaten, allein wenn ich des Morgens so erwache und mit der dampfenden Sonne auf meinen schönen Schloßberg gehe, wie ich denn jetzt davon herkomme, und mir denke, daß in diesem gottgesegneten stillen Thale nur allein die Herzen der Kinder noch ruhig schlagen, während die Cultur von Jahrhunderten, möchte ich sagen, sowie die Ruhe und der Friede aller anderen Bewohner schon jetzt bedroht und gestört sind, so möchte ich gerne dem gigantischen Helden unseres Säculums, um ihm Friedensgedanken einzuhauchen, auch nur den hundertsten Theil jener Empfindungen eingeben können, welche mich jeden Morgen für die Menschen in diesem Paradiese durchströmen.«

Unser Gespräch drehte sich um die Tagesereignisse und ließ uns gänzlich uns selbst vergessen, bis wir endlich durch den Zuruf der Wirthin, daß unser Chef bereits mit dem Mittagsmahle unserer harre, aus diesem Genusse geweckt wurden. Herr v. Goethe richtete noch folgende Worte an uns: »Ich erlaube mir noch vor dem Abschiede einen Wunsch zu äußern: mein Herzog erwartet mich nach vollendeter Badecur an demselben Orte, wohin Sie jetzt so eilig ziehen. Sie werden gewiß dort länger verweilen und ich Sie somit noch daselbst finden, da auch ich in vierzehn Tagen in Dresden sein will. Ich werde versuchen, Ihnen dort[323] Ihren freundlichen Besuch zurückzugeben und Ihnen, wenn Ihre Geschäfte es gestatten und ich Ihnen in dieser Stadt der schönen Künste, die Sie, wie Sie sagen, noch nicht kennen, vielleicht zur Besichtigung von Galerien und Kunstsammlungen behülflich sein könnte, mit besonderem Vergnügen zu Diensten stehen.«

Seinen gütigen Antrag annehmend, dankten wir gerührt dem mir in so kurzer Zeit werth gewordenen Manne für das Interesse, welches er uns bezeugte, und schieden von ihm voll von dem Eindrucke seines hohen Geistes, seiner imponirenden Persönlichkeit und seines ebenso tiefen als edlen Gemüths.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1813. 1813, 27. Mai. Mit Heinrich von Heß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A764-9