1813, Ende October.


Mit Friedrich de la Motte Fouqué

Die für das rechte Rheinufer siegreich entscheidende Leipziger Schlacht hatte uns bei Verfolgung des Feindes in die Nähe von Weimar geführt. Ich nahm Urlaub zu einem Ritt hinein, um meinem Dichterheros meine Verehrung zu bezeigen.

Da stand ich nun wiederum vor dem einfach schönen Hause. Etwa zehn Jahre waren darüber vergangen. Und welch ein Decennium! Auch für mich: welch eine völlige Umwandlung!

Auch im Hause freilich sah es gar anders aus: eine starke österreichische Einquartirung hatte nothgedrungen [91] alle vorderen Zimmer in Beschlag genommen; Ordonnanzen rannten auf und ab. Das schöne musivische Salve, vor dem Eingange zu den Gemächern den Boden schmückend, war im Staube der gestiefelten Tritte fast unsichtbar geworden. Mich befiel eine seltsame Wehmuth.

Dennoch schritt ich im ziemlich kecken Bewußtsein mannigfach errungener Selbstständigkeit dem mir noch aus jenem ersten Besuch wohl erinnerlichen, würdig aussehenden Kammerdiener nach, der mir sogleich auf meine erste bescheidene Anfrage versicherte, ich sei willkommen. Er ging nach einem Hinterzimmer, wohin der edle Hausherr zurückgedrängt war, und in einem kleinen Vorgemach beschied mich mein freundlich vorhinein gehender Begleiter, einpaar Augenblicke zu warten.

– – – – – – – – – – – – –

Unversehens ging die Zimmerthüre leise auf, und hervorblickte das noch ganz unvergessene Apollo-Antlitz, apollinischer noch, weil in häuslicher Bequemlichkeit die Halsbinde fortgeblieben war, und so die Heroenphysiognomie sich noch idealer hervorhob. »Treten Sie näher!« sprach die wohllautende Stimme ..... Voll tiefster Ehrerbietung mich neigend, trat ich über die Schwelle.

Goethe winkte mir sogleich, mich zu setzen, indem er mir gegenüber platznahm. Und ich hub meinen Spruch – möglich, daß die Stimme des sechsunddreißigjährigen [92] Kriegsmannes nicht ohne alle Bebung blieb – etwa folgendermaßen an: »Ich komme, Ew. Excellenz für etwas zu danken, das Ihnen muthmaßlich schon längst vergessen ist: für meine gastlich huldreiche Aufnahme in Ihrem Hause vor nun etwa zehn Jahren.« Und nun berührte ich noch einige nähere, jedoch nur äußerliche Umstände von damals, fest entschlossen, wenn Goethe nichts Literarisches anrege, auch meinerseits nicht im Mindesten irgend einen Schritt deshalb fürder zu thun, sondern mich bald nach einfach geselliger Sitte wiederum zu empfehlen. Er aber sagte voll unbeschreiblicher Anmuth des Blickes und der Stimme: »Meinen Sie denn, daß ich Sie aus den Augen verloren hätte seitdem?«

Es durchfuhr mich wie ein elektrischer Strahl, aber sanft, und ich fühlte mich neubelebt. Nun folgten ehrende Worte, vollkommen dichterisch anerkennende für mich und auch für meine... Gattin, Caroline Baronin de la Motte Fouqué, und am Schluß der holden Rede fügte er hinzu: »Während meines letzten Badeaufenthaltes in Karlsbad waren Sie beide mit Ihren Dichtungen mir gar liebe Gefährten.«

Was ich ihm antwortete hieß etwa so: »Ich hoffe, Ew. Excellenz sieht klar in mich herein und sieht demzufolge, was ich nicht aussprechen kann; aber es ist ein Gipfelpunkt meines Lebens.« Sein freundliches Auge bestätigte mir's: ja, er hatte in der That in mich hereingesehen und er war in diesem Augenblicke zufrieden [93] mit mir. Nun aber drängte uns der Moment auch auf die äußerliche Gestaltung der Zeit, und wir besprachen uns darüber, soweit es die Umstände vergönnten, mich nach dem Bivouac wieder hinausrufend, ihn an ohne Zweifel weit mannigfach wichtigeres und höheres Schaffen. Zunächst äußerte ich meine Zufriedenheit, daß nun die Dichterwohnung wieder bald der wackern, aber freilich sehr überfüllenden Gäste werde entledigt sein. »Wissen Sie das so gewiß?« fragte Goethe, »und woher?« – »Weil niemand von uns Kriegern jetzt Muße hat, in der Verfolgung des besiegten Weltbesiegers zu weilen.« – »Besiegt? Wird er sich nicht vorerst noch bei Erfurt stemmen?« – »Das wünsch' ich, aber ich hoff' es kaum.« – »Schlagen Sie seinen Widerstand dort so leicht an?« – »Ich schlage nichts leicht an, was Napoleon thut oder läßt, und eine Schlacht um Erfurt würde manchen Kopf kosten, sehr möglich unter anderen den meinigen mit; aber derweil er dort mit uns bataillirte, würden ihm andere große Heerhaufen den Rückzug vollends verrennen, und es wäre dann völlig aus mit ihm. Ich aber halte ihn für einen viel zu großen Feldherrn, als daß er solches nicht unermeßlich klarer einsehen sollte, als ich.« – »Also?« – »Also er wird eilen, an und über den Rhein zu kommen so gut es gehen will, oder so schlimm.«

Goethe sah nachdenklich eine Zeit lang vor sich nieder und sprach alsdann mit tiefernstem Blicke: »So [94] wäre er denn also wirklich schon vollständig geschehen, der entscheidende Schlag? Desto besser.«

Beim Abschiede mich aus der Thür geleitend, reichte er mir gütig die Hand mit den Worten: »Der Krieg bringt viel Störendes, aber auch Schönes: so, daß Sie jetzt zu mir kamen. Gutes Glück mit Ihnen! Und lassen Sie mich von Ihnen hören, wenn's sein kann.«

[95]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1813. 1813, Ende October. Mit Friedrich de la Motte Fouqué. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A702-5