b.

Es wurde Goethen, der, von seiner frühen Jugend abgesehen, vielleicht jederzeit zur Bedächtigkeit und Umständlichkeit neigte, im höhern Alter ungemein schwer, Entschlüsse zu fassen. Er selbst war der Meinung, diese Eigenthümlichkeit, welche er geradezu als Schwäche ansprach, rühre daher, daß er niemals in seinem Leben rasch zu handeln genöthigt gewesen sei, und er pries den Stand eines praktischen Arztes gelegentlich auch deshalb, weil dem Arzte nie erlaubt sei, seine Resolutionen zu vertagen. Auf der andern Seite übertraf ihn aber wohl nicht leicht jemand an Beharrlichkeit und selbst Kühnheit im Ausführen des einmal Beschlossenen, wobei er als Geschäftsmann die päpstliche [208] Commissorialformel ›non obstantibus quibuscunque‹ gern im Munde führte und vorkommenden Falles darnach zu verfahren liebte. Waren schnelle Entschließungen nicht zu umgehen, häuften sich gar die Veranlassungen dazu in kurzer Zeit zusammen, so machte ihn das leicht grämlich. Dies war besonders der Fall, als er nach dem Ableben seines einzigen Sohnes die längst entwohnte Verwaltung seiner weitläuftigen Privatangelegenheiten von neuem übernehmen mußte. Arbeiten gingen ihm nicht mehr recht geläufig von der Hand. Er klagte in spätern Jahren nicht selten, daß er sich selbst zu solchen Geschäften, die ihm ehemals ein Spiel gewesen, jetzt häufig zwingen müsse. Nur der Sommer 1831 machte hierin eine Ausnahme, und Goethe Versicherte damals oft: er habe sich zur Geistesthätigkeit, zumal in productiver Hinsicht, seit dreißig Jahren nicht so aufgelegt gefunden. – Rühmte Goethe seine Productivität, so machte mich das stets besorgt, weil die vermehrte Productivität seines Geistes gewöhnlich mit einer krankhaften Affection seiner productiven Organe endigte. Dies war so sehr in der Ordnung, daß mich schon im Anfange meiner Bekanntschaft mit Goethe dessen Sohn darauf aufmerksam machte, wie, soweit seine Erinnerung reiche, sein Vater nach längerem geistigen Produciren noch jedesmal eine bedeutende Krankheit davongetragen habe.

Goethes Phantasie blieb bis zum letzten Moment empfänglich und wirksam. Das Schöne und Heitere[209] machte sein, das ganze Leben hindurch mit unablässigem Streben entwickeltes eigenstes Element aus; ihn verstimmte alles Häßliche und Düstere. »Es verdirbt mir die Phantasie auf lange Zeit,« pflegte er bei Ablehnung solcher Gegenstände entschuldigend zu äußern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. Zeitlich ungewiß. Zwischen 1825 und 1832.: Mit Karl Vogel. b.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6E5-6