1825.


Mit Ernst Förster

»Da hat mir« – sagte Goethe – »ein junger Maler aus Berlin, dessen Name ihn schon zu Anstrengungen für eine bedeutende Zukunft auffordert – er unterzeichnet sich Lessing – eine Landschaft mit einer Staffage zugesandt, welche ein entschiedenes Talent verräth, für poetische Erfindung wie für Composition und Ausführung, und dennoch befinde ich mich mit dem Künstler ebensowenig wie mit seinem Gemälde in Übereinstimmung. Weshalb verlassen wir unsere enge Studirzelle oder den lärmenden Gesellschaftssaal und eilen aus dem dumpfen Gewühle der Stadt vor[261] das Thor hinaus ins Freie? Wir suchen Erholung, Erheiterung, wollen einen frischen Athemzug thun. Wohin führt uns nun aber Ihr Berliner Maler? In eine Winterlandschaft, und nicht etwa in eine jener heitern holländischen, wo wir Damen und Herren sich lustig auf spiegelglatter Eisfläche schlittschuhlaufend umhertummeln sehen – o! ich selbst war zu meiner Zeit ein tüchtiger Schlittschuhläufer – nein! hier führt uns der Maler in eine Winterlandschaft, in welcher ihm Eis und Schnee nicht genug zu sein scheint; er überbietet, oder wir können sagen: er überwintert den Winter noch durch die widerwärtigsten Zugaben. Da sehen Sie einen, in warmen Tagen uns mit einem kühlen Labetrunk versorgenden Brunnen, aus dessen Löwen- oder Drachenrachen das festgefrorene Wasser wie eine Zunge von Eis heraushängt, fest an den Boden angefroren. Dann weiter: dunkle Tannen, deren Zweige unter der Last des Schnees brechen; ich sehe sie lieber auf dem Weihnachtstische mit hellen Lichtern besteckt, von frohen Kindergesichtern umgeben. Und nun die Staffage: ein Zug von Mönchen, noch dazu Barfüßer, im Schnee, giebt einem abgeschiedenen Bruder, der im Sarge liegend auf schwarzbehangener Bahre nach der Gruft in einem verfallenen Kloster getragen wird, das Geleit. Das sind lauter Negationen des Lebens und ›der freundlichen Gewohnheit des Daseins‹ – um mich meiner eignen Worte zu bedienen. Zuerst also die erstorbene Natur, Winterlandschaft: [262] den Winter statuire ich nicht; dann Mönche, Flüchtlinge aus dem Leben, lebendig Begrabene: Mönche statuire ich nicht; dann ein Kloster, zwar ein verfallenes, allein ein Kloster statuire ich nicht; und nun zuletzt, nun vollends noch ein Todter, den Tod aber statuire ich nicht.« – Als ich mir erlaubte an den berühmten Friedhof Ruysdael's in der Dresdner Galerie zu erinnern und bescheidentlich fragte: ob nicht auch die elegische Stimmung in der Landschaftsmalerei eine Berechtigung habe? entgegnete Goethe: »Zuverlässig! allein dann laßt die Marmortafeln der Gräber durch den Zauber der Mondbeleuchtung uns in eine wohlthuend rührende Stimmung versetzen, und die grünbelaubten Bäume und Gras und Blumen vergessen machen, daß wir uns auf einem Todtenacker befinden!«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. 1825. Mit Ernst Förster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6DC-B