1823, 25. 1 Februar.


Während Goethes Krankheit

Der heutige Tag war in bezug aus Goethe noch sehr beunruhigend, indem diesen Mittag die Besserung nicht erfolgte, wie gestern. In einem Anfall von Schwäche sagte er zu seiner Schwiegertochter: »Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwischen Leben und Tod beginnt.«

Doch hatte der Kranke am Abend sein volles geistiges Bewußtsein und zeigte schon wieder einigen scherzhaften Übermuth. »Ihr seid zu furchtsam mit Euern Mitteln,« sagte er zu Rehbein, »Ihr schont mich zu sehr! Wenn man einen Kranken vor sich hat, wie ich es bin, so muß man ein wenig Napoleonisch mit ihm zu Werke [212] gehen.« Er trank daraus eine Tasse eines Decocts von Arnica, welche gestern, im gefährlichsten Moment von Huschke angewendet, die glückliche Krisis bewirkt hatte. Goethe machte eine graziöse Beschreibung dieser Pflanze und erhob ihre energischen Wirkungen in den Himmel. Man sagte ihm, daß die Ärzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn sehe. »Wäre ich der Großherzog,« rief Goethe, »so würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben!«

In einem Augenblick, wo er sich besser befand und wo seine Brust freier zu sein schien, sprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiste, worauf Rehbein einem der Nahestehenden in's Ohr flüsterte: »Eine bessere Respiration pflegt eine bessere Inspiration mit sich zu führen.« Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: »Das weiß ich längst; aber diese Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!«

Goethe saß aufrecht in seinem Bette der offenen Thür seines Arbeitszimmers gegenüber, wo seine nähern Freunde versammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge schienen mir [Soret] wenig verändert; seine Stimme war rein und deutlich, doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. »Ihr scheint zu glauben,« sagte er zu seinen Kindern, »daß ich besser bin; aber ihr betrügt euch.« Man suchte ihm jedoch seine Apprehensionen scherzend auszureden, welches er sich denn auch gefallen zu lassen schien.


Note:

1 Die Angabe des 24. als Monatstag dürfte irrig, dagegen die des Wochentags – Dienstag – richtig sein.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1823. 1823, 25. 1 Februar. Während Goethes Krankheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6D7-6