Zwischen 1827 und 1831.


Mit Karl von Holtei u.a.

Ich habe nichts, was ich von ihm erzähle, von andern vernommen, sondern lediglich von seinen Lippen .....

Man hatte die Schriftstellerin Sophie Mereau, nachherige Brentano, genannt. Goethe lobte sie sehr bedingt und gedachte sogleich ihres Gatten. »Ja,« sagte er spöttisch lächelnd, »der Brentano, das war auch so einer, der gern für einen ganzen Kerl gegolten hätte. Er stieg vor Sophiens Wohnung am Weinspalier bis an's Fenster hinauf bei nächtlicher Weile, um die Leute glauben zu machen, es wäre viel dahinter. Aber es war und wurde nichts. Zuletzt warf er sich in die Frömmigkeit, wie denn überhaupt die von Natur Verschnittenen nachher gern überfromm werden, wenn sie endlich eingesehen haben, daß sie anderswo zu kurz kamen, und daß es mit dem Leben nicht geht. Da lob' ich mir meine alten ehemaligen Kapuziner: die fraßen Stockfisch und – – – in einer Nacht. So war auch der Werner ein schönes Talent. Ich habe mich seiner von Herzen angenommen und ihn redlich zu fördern gesucht auf alle Weise, aber wie er nachher aus Italien zurückkam, da las er uns gleich am ersten Abend ein Sonett vor, worin er den aufgehenden Mond mit einer Hostie verglich. Da half ich genug und ließ ihn laufen.«

[230] Es war von Fouquè die Rede. Goethe wurde warm in Lobpreisungen der ›Undine‹. »Das ist ein anmuthiges Büchlein und trifft so recht den Ton, der einem wohlthut.« Später wollte es dem armen Fouqué mit nichts mehr so gut gelingen. Und das merkte er nicht, aber es ist nicht anders. Der liebe Gott giebt dem Dichter einen Metallstab mit zu seinem Bedarf. Von außen sieht solches Ding aus wie eine Goldbarre; bei manchen ist es auch Gold, mindestens ein tüchtiges Stück lang; bei vielen ist es das liebe reine Kupfer, nur an den Polen des Stabes etwas Gold. Da bröckelt nun der Anfänger los, giebt aus, wird stolz, weil sein Gold im Course gilt, und wähnt, das müsse so fort gehn. So bröckelt er immer lustig weiter; hernach, wenn er schon längst beim Kupfer ist, wundert er sich, daß die dummen Leute es nicht mehr für Gold annehmen wollen.

Von Jean Paul: »Wie ihm die Phantasie ausging und ihm nichts Großes mehr einfallen wollte, da quält' er sich um Kleinigkeiten ab und trieb Wortklauberei. So hatt' er seine ewige Angst und seinen Ärger wegen der s des Genitivs. Mir, der ich selten selbst geschrieben, was ich zum Druck beförderte und, weil ich dictirte, mich dazu verschiedener Hände bedienen mußte, war die consequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an, sondern darauf, daß die Leser verstehen, was [231] man damit sagen wollte. Und das haben die lieben Deutschen bei mir doch manchmal gethan.«

Von Tieck: »Als er sie vollendet hatte, las er mir im alten Schlosse in Jena seine ›Genovefa‹ vor. Nachdem er geendet, meint' ich, wir hätten zehn Uhr, es war aber schon tief in der Nacht, ohne daß ich's gewahr geworden. Das will aber schon etwas sagen, mir so drei Stunden aus meinem Leben weggelesen zu haben!«

Von der Bibliothek in Jena: »Es war eine Lebensaufgabe unseres Großherzogs, die Universitätsbibliothek mit [der Büttner'schen]... zu verbinden. Dazu fehlte im bisherigen Locale der Raum, und wir wollten den daran gränzenden anatomischen Saal dafür haben. Dagegen erhob sich großer Protest und veranlaßte langes Hin- und Herschreiben, wobei mir die Zeit lang wurde. Ich bestellte mir also Maurer und Handlanger und lies ohne weiteres durchbrechen. Nun hatten gerade die Herren vom Senate eine Sitzung, um sich über diese Angelegenheit zu berathen, und als sie das Spektakel in der Mauer vernahmen, hielten sie er schreckt inne und erhoben lauschend ihre Köpfe. Da stürzte der Pedell in die Sitzung und schrie: Hochweise Herren! Er kommt schon von der andern Seite herein! – Die Stadtmauer, welche sich vor den Fenstern des Gemaches hinzog, wo die Manuscripte aufbewahrt werden, hab' ich, weil sie weder Licht noch Lust zuließ und die Pergamente modrig wurden und beschlugen, gleichfalls [232] ex propriis niederreißen lassen. Nachher, als es geschehen, war es gut.«

Wir waren eines Tages vorzugsweise vergnügt bei Tische, und auch die ernsteren Genossen wurden gesprächig. Da rollte ein Wagen dumpf und langsam über den Platz vor Goethes Hause. Ein Wagen auf dem Plan [jetzt Goetheplatz] ist an und für sich nichts Gewöhnliches, und dieser rollte gar ungewöhnlich. Goethe sah, daß ich aufmerksam hinhorchte und zum Präsidenten v. Schwendler, welcher an seiner Rechten saß, gewendet, sprach er: »Es war einmal ein Römer, – zwar weiß ich in diesem Augenblicke nicht, wie der verdammte Kerl hieß, und es ist auch nichts daran gelegen – der pflegte, wenn er seine Gäste gut tractirt hatte, plötzlich und unerwartet ein künstlich zusammengefügtes Todtengerippe quer über der Tafel vor ihnen aufzurollen, um sie daran zu mahnen, daß auch sie sammt allen Delicatessen, die sie bei ihm gefressen, zu Staub und Moder werden müßten. Da ich nun auf dergleichen Moralpredigten nicht verfallen bin, so sorgt hier unser Polizeidirector dafür und läßt den Leichenwagen, der sonst einen andern Weg verfolgte, jetzt bei uns vorbeifahren. Und weil die guten Leute es lieben, sich um die Stunde begraben zu lassen, wo ich speise, so ist das in seiner Art immer ein sehr hübsches Memento mori.« –

»Es war einmal in dem kleinen Landstädtchen Weisseritz ein braver Prediger, der wohl andere Geschäfte [233] haben mochte, als für jeden Sonntag eine neue Predigt zu machen. Er fand es angemessen, Jahr aus Jahr ein dieselbe zu halten, die er denn auch sehr brav vortrug, und an der sich seine Kirchkinder stets erbauten. Nun wollte der Himmel, daß ein Theil des Städtchens und mit diesem das Haus des Herrn in Flammen aufgehen sollte, sodaß am nächsten Sonntage die Gemeinde genöthigt war, sich in einer großen Scheune zu versammeln. Das Außerordentliche dieser Versammlung regte unsern Pastor auf, und er hielt sich Verpflichtet, diesmal aus dem alten Geleise zu biegen und eine neue, auf diesen feierlich traurigen Tag eigens geschriebene Predigt zu halten. Er fing mit tiefer Rührung an: So lasset uns heute, meine andächtigen Zuhörer! miteinander betrachten das, durch Gottes unerforschlichen Ratschluß in die Asche gelegte Weisseritz. – Greise, Männer, Weiber und Kinder sahen sich fragend an und harrten hoch erstaunt der Dinge, die da kommen sollten. Aber unser Pastor fühlte sich unfähig, seinen alten Grundsätzen treulos zu werden, und mit frommer Zuversicht fuhr er fort: Im ersten Theile werden wir hören, wie die Sadducäer ihn verführen wollten, und im zweiten, wie er ihnen das Maul stopfte. Worauf sich denn die Gemeinde sogleich wieder beruhigte.«

»Als seine Majestät Friedrich Wilhelm III. vor Jahren bei unserer Herrschaft in Weimar zum Besuche anwesend waren, hatte sich eine Menge Volks aus der [234] Umgegend eingefunden, welches, ihn womöglich zu sehen, das Schloß umstand. Ich, der ich in jener Zeit bei extravaganten Gelegenheiten noch zu Hofe ging, begegnete auf dem Heimwege einem alten thüring'schen Leineweber, welcher früher, wo ich eine kleine ländliche Besitzung gehabt, dort mein Nachbar gewesen war. Nun, mein Alter! – sprach ich ihn an – Ihr seid denn auch hereingekommen, den König zu sehen? – ›Ja, Herr Geheemrath‹, antwortete der Weber; ›aber das iss ja nischt! Ich dachte, 's sollte der alte Fritze sein.‹« –

Excellenz Gräfin Henckel hatte einen Ball gegeben, bei welchem Jung-Alt-England natürlich wieder obenauf gewesen war und sich zumtheil recht unnütz gemacht hatte. Sämmtliche Herren waren indignirt, sämmtliche Damen entschuldigten vermittelnd, wie immer – mit vorherrschendem Geiste, aber auch mit unverkennbarem Parteigeist – Goethes Schwiegertochter, die ihrer Parteilichkeit gar nicht hehlhaben wollte und sich selbst den britischen Consul in Weimar zu nennen pflegte. Mich liebten die Antianglomanen als Tirailleur vorauszuschicken, wenn es galt, irgend ein Mittags- oder Theetischgefecht gegen die englische Colonie zu unternehmen. Ich war denn auch beim Diner nach jenem Balle redlich vorangegangen und hatte durch mein kühnes Beispiel zur Nachfolge ermuthigt. Hofrath Vogel, des alten Großherzogs und Goethes Hausarzt,... stürzte sich nach mir in's Treffen; er citirte [235] als Beleg für meine allgemein gehaltene Anklage das besondere Beispiel, wie einige Söhne Albions sich in den Tanzpausen der Länge lang auf den Sophas herumgeräkelt, während ihre Tänzerinnen vor ihnen gestanden. Das schien freilich sehr schlagend, aber Frau Ottilie ließ sich nicht irre machen. »Schon längst« – erwiederte sie – »hab' ich's der Großmama gesagt, daß die Canapees in den Ecken des Saales völlig unbrauchbar sind; sie stecken so tief in der Mauer und sind so breit, daß, um einigermaßen bequem zu sitzen, man unwillkürlich in eine liegende Stellung kommt.« – »Nun, ich weiß doch nicht!« entgegnete Vogel sehr bescheiden: »ich habe mit Frau v. X.« (nebenbei erwähnt – eine recht häßliche Dame) »dort gesessen, und« – – »Und« – unterbrach ihn Goethe – »Ihr bekamt keine Lust, Euch zu legen? O, ihr guten Kinder!«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. Zeitlich ungewiß. Zwischen 1827 und 1831. Mit Karl von Holtei u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A5B0-2