1800, 26. Februar (?).


Mit W. G. Gotthardi

Ein glückliches Ohngefähr wollte es, daß ich die persönliche Bekanntschaft dieses Goethe zu machen gewürdigt wurde.

Ja, nicht bloß unzähligemal hab' ich ihn gesehen[209] außer und in dem Theater; er machte mich zu seinem »kleinen Freund«, wie er mich zuweilen scherzend nannte. Sie vermittelte sich, diese Freundschaft, als ich eines schönen Abends in ebendemselben Theater, wo ich außer dem »Rochus Pumpernickel« auch manche andere heitere und ernste Stücke aufführen sah, und von derselben breiten einfach breternen Brüstung der Loge des alten Herrn, auf welcher ich in der erstgenannten Posse zum ersten Mal gesessen hatte, wohlgemuth und spannungsvoll auf die Breter da vorn lugte, welche die Welt bedeuten. Es wurde, um diplomatisch zu erzählen, die Salieri'sche Oper »Tarare« (»Axur«, Text von Beaumarchais) gegeben. Da, als der zweite Act begonnen hatte, die Jagemann (Astasia) in ihrem großen verzweiflungsvollen Recitativ begriffen war und mir Thränen jammervollen Mitleids abzwang, – da plötzlich knarrt die Logenthür in den Angeln und öffnet sich ..... Goethe trat in die Loge. In so nahen Gesichtskreis war der »Geheimrath« mir noch nie gekommen ..... Goethe erblicken und zitternd zum Sprung herunter mich anschicken war eins. Da erfaßt meinen Arm eine starke Hand – die seine. Entsetzen erfaßt mich »Bleib getrost, mein Sohn! Wir beide haben Raum genug. Wer wird den andern ohne Noth verdrängen!« tönt – noch heute hör' ich sie – alsbald eine volle ruhige Stimme mir ins Ohr – die seine. .... Und als ich mich jäh umwandte, ruhete sein großes, dunkles, wundervolles Auge liebreich und [210] warm auf dem bepurpurten Antlitz des bewegten Knaben. Den Blick werde ich nie vergessen, nie jene Worte; keine hab' ich fester behalten wie sie. .... Er reichte mir sein Textbuch zum Mitnachlesen und bald entspann sich eine Unterhaltung, in deren Verlauf er, der große Mensch, dem kleinen seine winzig kleine Lebensgeschichte antheilvoll entlockte. .. Wer war glücklicher, als der Knabe? Und noch oft nahm er den Platz ein, noch oft in unmittelbarer Nähe des Eigners, der ihn, neben steter freundlicher Ansprache mit Erkundigung nach den Fortschritten in den Schulwissenschaften, auch materiell mit manch Stücklein Kuchen, hin und wieder auch einem Glas Wein aus seinem Flaschenkorb erquickte. Denn Goethe liebte es, zuweilen einen Vorrath kalter Speise und Weins in seiner Loge bereit zu halten, mehr für andere, deren – Einheimische und Fremde von Bedeutung – er nicht selten auch dort empfing.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1800. 1800, 26. Februar (?). Mit W. G. Gotthardi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A551-7