1825, 6. November.


Mit Ernst Förster

Am 5. November kam ich in Weimar an, meldete mich am 6. früh schriftlich und mit Übersendung des d'Alton'schen Briefes bei Goethe und erhielt die Einladung, um 12 Uhr bei ihm zu sein. Ich nahm eine von mir gefertigte Zeichnung nach dem Frescogemälde der Theologie, das ich mit Hermann und einem andern Schüler von Cornelius ausgeführt, zu mir und ging über die geweihte Schwelle. Mit einer namenlosen Empfindung, gemischt aus höchster Freude und hochgesteigerter [236] Angst, die selbst durch das Salve des Eingangs nur wenig gemindert wurde, trat ich in das große Empfangszimmer. Wußte ich doch, daß der erhabene Dichter des »Faust« zugleich der kühle Beurtheiler des Cornelius'schen Faust war, der diesen mit dem von Retzsch, ja fast mit dem von Delacroix auf Eine Stufe gestellt, und der an den Nibelungen meines großen Meisters nur »den alterthümlich tapfern Sinn und die unglaubliche technische Fertigkeit« zu rühmen gewußt! Und doch war er der große, von tausend und abertausend Zungen gepriesene und von mir in tiefster Ehrfurcht bewunderte Dichterfürst. Ich hatte erwartet, ihn auf einem Stuhle, wie den König auf einem Throne, sitzend zu finden und war darauf gefaßt, in bescheidener Stellung an der Thür stehen bleiben zu müssen. Wie war ich überrascht und plötzlich aller Sorgen ledig, als er mit offenen Armen mir entgegenkam, mich mit beiden Händen erfaßte und auf das Herzlichste willkommen hieß. Nach den Vorfragen über d'Alton's Befinden ging er sogleich auf die Kunstunternehmung in Bonn über und war hocherfreut, daß ich meine Antwort mit einer Zeichnung begleiten konnte .....

Ich setzte ihm nun den von Cornelius angeregten, von der preußischen Regierung genehmigten Plan, die Universitätsaula in Bonn mit historischen Darstellungen der vier Facultäten – Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medicin – in Fresco auszuschmücken, auseinander, berichtete, wie mit der Theologie der Anfang [237] gemacht worden, die Cornelius dem Maler Karl Hermann aus Dresden übertragen, wobei er mich und noch einen seiner Schüler jenem als Gehülfen beigegeben in der Art, daß uns in der Ausführung einzelner Gruppen eine Art Selbständigkeit gewahrt blieb, ein Umstand, den Goethe mit einem fragenden »So?« anhörte. Darauf gab ich, zuweilen von Goethe durch ein »Hm!« oder »So, so!« unterbrochen, die Erklärung der Zeichnung, wie die allegorische Figur auf dem Postament in der Mitte die Theologie vorstellt mit den Genien des Forschens und Glaubens; wie neben ihr gleich Säulen die Evangelisten ständen, an die sich in zwei Reihen sitzend die Kirchenväter anschlossen, die ich, wie alle dargestellten Personen, namentlich bezeichnen mußte. Dann zeigte ich auf die hervorragenden Erscheinungen in der älteren Kirchengeschichte, auf Sectirer, auf Ordensstifter, die Repräsentanten der Hierarchie (Gregor VII. und Innocenz III.), auf die scholastischen Theologen und den frommen Thomas a Kempis; dann auf der andern Seite auf die Verbreiter des Christenthums, auf die Vertreter der Kirchenreformation von Petrus Waldus, Huß und Wiklef bis auf Luther und seine Zeit- und Kampfgenossen, und die Theologen des 17. Jahrhunderts. Endlich machte ich auf die beiden Gruppen im Vordergrunde aufmerksam, in welchen die Richtung der Gegenwart auf eine Ausgleichung katholischer Gläubigkeit und protestantischen Forschersinns ausgesprochen sein sollte, wozu [238] der alte Herr die allerfreundlichste, aber auch allerungläubigste Miene machte.

»Ein rühmliches Unternehmen,« sagte nun Goethe, »und mit Eifer und ernstem Studium angefaßt. Man wird sich um die Kirchengeschichte bekümmern müssen, um Sie zu verstehen. Ich habe aber noch mehr Bedenken.« Und damit wandte er sich, um im Saal auf- und abgehend weiter zu sprechen. »Die Allegorie ist in der bildenden Kunst nicht zu entbehren, sowenig, wie in der Dichtkunst; es fragt sich aber doch, ob sie hier an der rechten Stelle, oder wenigstens, ob sie in der rechten Form aufgeführt ist. Ist sie farbig, d.h. mit dem Schein des wirklichen Lebens dargestellt?« Und als ich dies bejahte, fuhr er fort: »Das würde mich stören. Eine Marmorgruppe an diesem Platze würde den Gedanken aussprechen, ohne in Conflict zu gerathen mit der Gesellschaft wirklicher Personen, die sie umgeben. Auch bei der Gegenwart habe ich einige Scrupel. Das Werdende entzieht sich der unbefangenen Wahrnehmung; nur das Gewordene fällt in die verläßlichere Anschauung: die Gruppe der ausgesöhnten Confessionen gleicht mehr einem frommen Wunsche, als einer Thatsache.«

Wohl über eine Stunde war im Sehen, Sprechen und Hören vergangen, als Goethe das Zeichen der eingetretenen Eßzeit und damit der Besuch sein Ende erhielt. Freundlich reichte er mir zum Abschied die Hand und fügte hinzu: »Morgen erlebe ich mein [239] funfzigjähriges Dienstjubiläum: ich weiß nicht, was die Freunde vorhaben, und will es denn in aller Bescheidenheit erwarten. Ich werde mich freuen, Sie unter ihnen zu sehen.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. 1825, 6. November. Mit Ernst Förster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A52B-1