1815, 7. October.


Mit Sulpiz Boisserée

Goethe ist früh morgens unruhig, fürchtet eine Krankheit, will schon zu Mittag fort. Ich biete mich ihm zur Begleitung an, und bereite mich vor, ihm bis Weimar zu folgen. Trauriger, schwerer Abschied.

Im Wagen erholt sich der Alte allmählich. Die Sicherheit nicht mehr vom Herzog oder der Jagemann erreicht zu werden, beruhigt ihn sichtbar. Gespräch darüber. Deutsche Politik, Verhältnisse; die Forderungen des Adels und der Bürger hält er nicht für gefährlich. Ständische Verfassung; es sei keine Umwälzung zu befürchten, wenn nur die Fürsten halbwegs ihren Vortheil kennen, und einigermaßen den gerechten Wünschen entgegen kommen wollten. Die heftigen Volksmänner seien nichts weniger als beliebt. Aristokratismus im eigentlichen Sinne sei das einzige und rechte. Er spricht seine Freude darüber aus, daß ich mich in nichts verwickelt habe, trotz der vielen Lockungen und Gelegenheiten.

Goethe hat immer eine Scheu vor allen politischen Dingen gehabt. War auch einmal in einer Art Verschwörung durch seinen Herrn, damals, als man die[255] Übermacht Friedrichs des Großen fürchtete. Es bestand eine geheime Verbindung bei dem alten Fürsten von Dessau; der Kronprinz von Preußen war darin. Nachher wurde dieselbe Veranlassung zum Fürstenbund, obwohl es anfangs gegen Preußen ging. Herr von Dohm erhielt noch vor einiger Zeit, zur Geschichte des Fürstenbundes, Aufschlüsse hierüber von Goethe.

Neukatholiken. Spottgedicht auf sie. Kinderspiel. Messe. Katholiken und Protestanten friedlich durcheinander in einer Stadt. Auf einem Speicher hing ein Seil, das mußte statt der Glocke dienen, daran zogen sie um die Wette und schrieen: bim bam. Und so wiederholten sie ohne Schonen die sämmtlichen heiligen Funktionen. 1 Soll in die neue Ausgabe der Gedichte kommen; ich billigte es, er schien noch Zweifel zu haben.

Abends in Neckarelz. Kaltes Zimmer. Goethe war munter, vergaß die Kälte, indem er mir von seinen orientalischen Liebesgedichten vorlas. Wir schliefen in einer Stube. Es ist ihm lieb, daß ich bei ihm bin, er hatte wirklich eine Krankheit befürchtet.


Note:

1 »Pfaffenspiel.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1815. 1815, 7. October. Mit Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A492-E