[357] [356] 916. *


Mit Frau Dutitre aus Berlin. 1

Die Ihnen [dem Herausgeber] gewordene Mittheilung meiner [des Freiherrn v. Czettritz-Neuhauß] genauen [356] Bekanntschaft mit Herrn v. Goethe ist nicht ganz richtig, da meine äußere Stellung zu der seinigen so verschieden war und Herr v. Goethe stolz und abstoßender Natur war. Von dem Spätjahre 1798 bis 1808 habe allerdings diesen Dichterfürst öfter gesehen, da der damalige Herzog Karl August mir ein gnädiger Herr war, sodaß, wenn in Weimar, derselbe mich öfterer zu seinen kleinen Soupers befahl, bei welchen Goethe nie fehlte .....

Doch... erlaube ich mir Ihnen eine Erzählung des Herrn v. Goethe, die er allerliebst humoristisch vortrug, in meiner trocknen Manier mittheilen.

Bei einem so kleinen Souper, zu welchem ich befohlen, kam Goethe spät, und der Herzog rufte ihm zu: »Warum so spät? Aber es muß Dir heute etwas besonderes begegnet sein: das lese ich auf Deinem Gesicht.«... Worauf derselbe Nachstehendes mittheilt.

Eine reiche Bürgerfrau aus Berlin, enthusiastische Verehrerin Goethes, entschloß sich, die damals lange Reise bei schlechten Wegen nach Weimar zu unter nehmen, um den großen Mann wie Dichter von Angesicht zu sehen. Glücklich an Ort und Stelle angekommen, läßt sie sich bei Goethe melden und bittet um Audienz, die ihr abgeschlagen wird. Trostlos und voller Schmerz läuft sie zu dem Geheimrath v. Müller, intimen Freund Goethes – wie sie dessen Bekannte gewesen, berührte Goethe in seinem Vortrage nicht – und bittet um dessen Vermittlung, der er sich unterzieht, und diesen [357] endlich dahin bringt, ihm zu sagen: Laß Deine Clientin wissen, daß ich sie morgen früh 11 Uhr empfangen will. Spät Abends erhält die Supplicantin diese sie beglückende Nachricht, welche ihr eine schlaflose Nacht macht, sowie sie mit frühem Morgen sich schon in höchsten Glanz wirft und ihr der Zeiger der Stadtuhr eine säumige Schnecke dünkt. Endlich zeigt er 3/4 auf 11, und sie eilt nach der Wohnung des großen Mannes, wo sie von einem Diener empfangen und in den Empfangsalon eingeführt wird .... Im höchsten Grade aufgeregt, durchmißt die gute Frau den Saat auf und ab, bis endlich der Ersehnte erscheint, sie auf ihn zustürzt; auf die Knie wirft und pathetisch declamirt:

Fest gemauert in der Erde
Steht das Haus aus Thon gebrannt 2!
worauf Goethe ihr sagt: Es freut mich, daß Sie meinen Freund Schiller ehren! – und fortgeht.

Note:

1 Obschon in der nachstehenden Mittheilung eines Neunzigjährigen Irrthümer unterlaufen, so giebt sie doch eine quellenmäßige Nachricht über den bekannten Besuch der Berliner Bäckersfrau.

Note:

2 Ob absichtlich falsch?

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. Zeitlich ungewiß. 916. * Mit Frau Dutitre aus Berlin. 1. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A347-2