1823, 10. Juni.


Mit Johann Peter Eckermann

Vor wenigen Tagen bin ich hier angekommen; heute war ich zuerst bei Goethe. Der Empfang seinerseits war überaus herzlich, und der Eindruck seiner Person auf mich der Art, daß ich diesen Tag zu den glücklichsten meines Lebens rechne.

Er hatte mir gestern, als ich anfragen ließ, diesen Mittag zwölf Uhr als die Zeit bestimmt, wo ich ihm willkommen sein würde. Ich ging also zur gedachten Stunde hin und fand den Bedienten auch bereits meiner wartend und sich anschickend mich hinaufzuführen.

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Es währte nicht lange, so kam Goethe, in einem blauen Oberrock und in Schuhen; eine erhabene Gestalt! Der Eindruck war überraschend. Doch verscheuchte er sogleich jede Befangenheit durch die freundlichsten Worte. Wir setzten uns auf das Sopha. Ich war glücklich verwirrt in seinem Anblick und seiner Nähe, ich wußte ihm wenig oder nichts zu sagen.

Er fing sogleich an, von meinem Manuskript [»Beiträge zur Poesie«] zu reden. »Ich komme eben von Ihnen her,« sagte er; »ich habe den ganzen Morgen in Ihrer Schrift gelesen; sie bedarf keiner Empfehlung, sie empfiehlt sich selber.« Er lobte darauf die Klarheit der Darstellung und den Fluß der Gedanken, und daß[231] alles auf gutem Fundament ruhe und wohl durchdacht sei. »Ich will es schnell befördern,« fügte er hinzu; »heute noch schreibe ich an Cotta mit der reitenden Post, und morgen schicke ich das Packet mit der fahrenden nach.« Ich dankte ihm dafür mit Worten und Blicken.

Wir sprachen darauf über meine fernere Reise. Ich sagte ihm, daß mein eigentliches Ziel die Rheingegend sei, wo ich an einem passenden Ort zu verweilen und etwas Neues zu schreiben gedenke. Zunächst jedoch wollte ich von hier nach Jena gehen, um dort die Antwort des Herrn von Cotta zu erwarten.

Goethe fragte mich, ob ich in Jena schon Bekannte habe; ich erwiederte, daß ich mit Herrn von Knebel in Berührung zu kommen hoffe, worauf er versprach, mir einen Brief mitzugeben, damit ich einer desto besseren Aufnahme gewiß sei.

»Nun, nun,« sagte er dann, »wenn Sie in Jena sind, so sind wir ja nahe beieinander und können zueinander und können uns schreiben, wenn etwas vorfällt.«

Wir saßen lange beisammen, in ruhiger liebevoller Stimmung. Ich drückte seine Knie, ich vergaß das Reden über seinem Anblick, ich konnte mich an ihm nicht satt sehen. Das Gesicht so kräftig und braun und voller Falten, und jede Falte voller Ausdruck. Und in allem solche Biederkeit und Festigkeit, und solche Ruhe und Größe! Er sprach langsam und bequem, so[232] wie man sich wohl einen bejahrten Monarchen denkt, wenn er redet. Man sah ihm an, daß er in sich selber ruht und über Lob und Tadel erhaben ist. Es war mir bei ihm unbeschreiblich wohl; ich fühlte mich beruhigt, so wie es jemand sein mag, der nach vieler Mühe und langem Hoffen endlich seine liebsten Wünsche befriedigt sieht.

Er kam sodann auf meinen Brief, und daß ich recht habe, daß, wenn man eine Sache mit Klarheit zu behandeln vermöge, man auch zu vielen andern Dingen tauglich sei.

»Man kann nicht wissen, wie sich das dreht und wendet,« sagte er dann; »ich habe manchen hübschen Freund in Berlin, da habe ich denn dieser Tage Ihrer gedacht.«

Dabei lächelte er liebevoll in sich. Er machte mich sodann aufmerksam, was ich in diesen Tagen in Weimar alles noch sehen müsse, und daß er den Herrn Sekretär Kräuter bitten wolle, mich herumzuführen. Vor allem aber solle ich ja nicht versäumen, das Theater zu besuchen. Er fragte mich darauf, wo ich logire, und sagte, daß er mich noch einmal zu sehen wünsche und zu einer passenden Stunde senden wolle.

Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen, und ich fühlte, daß er es überaus gut mit mir im Sinn habe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1823. 1823, 10. Juni. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2F7-B