1825, 26. Januar.


Mit Friedrich von Müller

Ich traf ihn in den vordern Zimmern und brachte ihm Hiob 1 zum Geschenk von Umbreit. »Es ist ein schwer zu verstehendes Buch, man wird nie darüber einig werden; einige setzen es sogar vor Moses. Ich habe meine eigenen Gedanken darüber, die ich aber nicht aufdringen will.«

Von mir an die Herausgabe der Fortsetzung vom ›Diwan‹ erinnert, erwiederte er, sie müsse bis zur Herausgabe seiner sämmtlichen Werke verschoben bleiben, die er durchaus noch bei Lebzeiten besorgen und daher Bedacht [139] nehmen müsse, daß täglich etwas zu diesem Zwecke Förderliches geschehe und geleistet werde.

Seine ›zahmen Xenien‹ lagen im Manuscript vor ihm. In einer derselben kommt vor: ›Auch den Verdruß müsse man sich zu Nutze machen, denn er sei ja auch ein Theil und zwar ein großer des Lebens.‹

Er commentirte viel hierüber, entfernte sich dann und ließ mich nach einer kleinen Weile ins hintere Zimmer rufen, da es ihm um diese Abendzeit in dem kleinen stillen Raume wohnlicher sei. Und auch mir war es so. Ich las ihm aus einem Briefe des Grafen Reinhard vor, worin eine Stelle über Jacobi vorkommt.

Dies gab zu den herrlichsten Schilderungen von Jacobi's Persönlichkeit und zu höchst wichtigen Aufschlüssen über ihn und sein Verhältniß zu Goethe Anlaß, die ich immer noch mehr durch Vorlesung anschlagender Stellen aus Jacobi's Briefsammlung hervorzurufen bemüht war.

»Die Speculation, die metaphysische,« sagte er, »ist Jacobi's Unglück geworden: war er doch eigentlich nicht dazu geboren noch erzogen. Ihm haben die Naturwissenschaften gemangelt, und mit dem bischen Moral allein läßt sich doch keine große Weltansicht fassen. Er war mehr zu einem liebenswürdigen, seinen Hof- und Weltmann geboren, zumal bei unverkennbarer Eitelkeit, die man ihm jedoch nicht verargen muß. Es kommt nur darauf an, ob sie sich nach außen oder[140] nach innen richtet. Von stattlicher Figur, edler Haltung, seinen Manieren und würdigem Ernst, wüßte ich nicht leicht mir eine liebenswürdigere Erscheinung zu denken als eben Jacobi.

Ihm starb aber seine heitere, lebensfrohe, tüchtige Gattin, die eine echt niederländische Figur, wie wir sie in Rubens besten Gestaltungen finden, viel zu früh.

Bei seinem Bedürfniß nach weiblicher Pflege und Anregung fiel er dann bald unter die Tutel seiner Schwestern, die sich die Herrschaft über ihn anmaßten und ihn verweichlichten. Die jüngere, klar, voll Verstand und Character, aber auch voll Einseitigkeit und bitterer Schärfe, ist für ihn und andere zu einem wahren Reibeisen geworden.«

Wir kamen auf den Hofrath Wilhelm Müller aus Dessau zu sprechen, der uns dieser Tage besucht hatte. »Es ist mir eine unangenehme Personnage, sagte er, suffisant, überdieß Brillen tragend, was mir das Allerunleidlichste ist. Frau von Varnhagen und die Arnim haben mir Müllers Gattin ganz richtig geschildert, die wirklich recht liebenswürdig ist. Die Arnim ist übrigens jetzt selten mehr redlich, sondern erzschelmisch. Was sie in früheren Jahren sehr gut gekleidet, die halb Mignon- halb Gurli-Maske, nimmt sie jetzt nur als Gaukelei vor, um ihre List und Schelmerei zu verbergen. Das italienische Blut in ihr hat freilich die Mignon auf's lebhafteste auffassen müssen. Solche problematische Charactere aber interessiren mich immer, um so mehr, [141] je schwieriger es mir wird, sie zu erklären und zu entziffern.

Ich muß gestehen, ich wüßte auch nichts mit der ewigen Seligkeit anzufangen, wenn sie mir nicht neue Aufgaben und Schwierigkeiten zu besiegen böte. Aber dafür ist wohl gesorgt, wir dürfen nur die Planeten und Sonnen anblicken, da wird es auch Nüsse genug zu knacken geben.«

Seine Monita zu meinem Brief an den König von Bayern wollte er auch heute nicht kund geben.

»Mit der Farbenlehre ist es wie mit dem Whistspiel; man lernt nie aus, muß es aber beständig spielen, um weiter zu kommen. Es läßt sich nur darin thun, nicht überliefern, nicht lehren.

Jede Hoffnung ist eigentlich eine gute That.«


Note:

1 Übersetzung und Auslegung von Fr. W. Umbreit. Heidelberg 1824.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. 1825, 26. Januar. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A1E6-A