1823, 20. bis 22. Februar.


Während Goethes Krankheit

Donnerstags bis Sonnabends wechselten Besserung und Verschlimmerung immerfort ab .... Er war öfters betäubt, phantasirte mitunter halb und halb, doch immer dazwischen ganz theilnehmend und verständig sprechend. Donnerstag gab er sich noch sehr mit seinem älteren Enkel ab, sang ihm sogar ein Liedchen aus dem »Spiegel von Arkadien« vor. Er fragte oftmals nach Personen, die ihm sonst gleichgültig waren, z.B. Graf Keller, Graf Marschall u.s.w. Dazwischen sagte er einmal: »Mischt sich der Großherzog noch immer in meine Kur?« Und als man, seine Intention mißverstehend, mit »Nein« antwortete, äußerte er: »Es wird ihm wol zu langweilig werden.« Er wiederholte öfters sein Bedauern, um Stroganoff's Besuch gekommen zu [112] sein und in der Fortsetzung von »Kunst und Alterthum« gehemmt zu werden. »Und doch ist die Anzeige der Boisserée'schen neuesten Lieferungen so dringend; die muß ich ja rühmen und beloben.« Zu seinem Diener Stadelmann sprach er einmal leise: »Du glaubst nicht, wie elend ich bin, wie sehr krank!« Den Ärzten gab er öfters auf, sich ernstlich über seinen Zustand zu bedenken, indem er einigen Unglauben an ihrer Kunst merken ließ. »Treibt nur Eure Künste! Das ist alles recht gut, aber Ihr werdet mich doch wol nicht retten.« Mehrmalen verlangte er ein warmes Bad, das man jedoch für zu gewagt hielt. Einmal, als die Ärzte sich leise miteinander beredet hatten, sagte er: »Da gehen die Jesuiten hin! Berathen können sie sich wol, aber nicht rathen und retten.« Er jammerte, daß jeder ihm willkührlich verfluchtes Zeug zu schlucken gebe, und daß man die guten Kinder Ottilie und Ulrike mißbrauche, es ihm beizubringen. Sobald er sich momentan erleichtert fühlte, wollte er alsobald, daß seine Schwiegertochter ihrer gewohnten, geselligen Weise nachgehe, den Hof oder das Theater besuchen sollte. Jede Dienstleistung erwiederte er durch ein dankbares, artiges Wort oder durch einen verbindlichen Gestus. »Nun, Ihr Seidenhäschen, was schleicht Ihr so leise herbei?« sagte er Sonnabends morgens zu Ottilien, als sie an sein Bett trat. Er saß fast beständig auf dem Bette oder in dem Großvaterstuhl der Oberkammerherrin v. Egloffstein, den er sehr anpries und hinzusetzte: [113] durch diese Sendung habe sie sich eine Staffel in den Himmel verdient. Sonnabend Mittag ließ man ihn ein Glas Champagner trinken, ohne sichtliche Wirkung. Mit großem Behagen aß er eine Bergamottenbirne und Annanas gelée. Einmal sprach er halblaut zu sich selbst: »Mich soll nur wundern, ob diese so zerrissene, so gemarterte Einheit wieder als neue Einheit wird auftreten und sich gestalten können?« Zu Ulriken sagte er: »Ach Du glaubst nicht, wie die Ideen mich quälen, wie sich durchkreuzen und verwirren!«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1823. 1823, 20. bis 22. Februar. Während Goethes Krankheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A1A7-9