1814, Mai (?).


Mit Karl Eberwein

Im Jahre 1814 bat ich auf Wolff's Anregung Goethe, mir zu erlauben, sein Monodram »Proserpina« zu componiren ..... In wenig Wochen schon, am 4. April, schrieb ich die Ouverture als Schlußstein des Ganzen. Nach Vollendung derselben ritt ich nach Berka an der Ilm, wo eben Goethe im Edelhof sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Mit Vergnügen vernahm er die Lösung meiner Aufgabe und bestimmte [132] einen andern Tag, an dem ich mich mit der Partitur zu einer Probe bei ihm einfinden möchte.

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Mit »Proserpina« an dem von Goethe bestimmten Tage angelangt, ließ er sich wegen dringender Geschäfte entschuldigen, daß er mich nicht sogleich empfangen könne; ich möchte indeß promeniren und mich zum Mittagessen wieder bei ihm einfinden .....

Der Geheimrath war allein; die Geheimräthin divertirte sich mit der Ulrich [nachmals verehel. Riemer] in der Residenz. Die beliebten Ilmforellen und Spargel, nach den Regeln englischer Kochkunst zubereitet, zierten das Mahl. Es befremdete mich, daß der Geheimrath seine Lieblingsspeisen nicht mit dem bekannten Wohlbehagen genoß. Die Mittheilungen über die Wirksamkeit des Theaters und was sich sonst seit seiner Entfernung in Weimar ereignet, gewannen ihm höchstens ein beifälliges Lächeln ab. Einige Fragen, die er leichthin an mich richtete, wurden ebenso von mir beantwortet. Meine Gedanken beschäftigten sich allein mit »Proserpina«. So saßen wir, jeder auf eigne Weise in sich versunken, wie es Künstlern in solcher Situation zu geschehen pflegt, als sich der Geheimrath erhob. Er führte mich in ein anderes Gemach, wo ein Pianoforte mich erwartete. Einen Sessel, den ich ihm anbot, lehnte er ab. Groß und erhaben stellte er sich mir zur Seite, blickte in die Partitur und half mir während der Ouverture beim [133] Umwenden der Blätter. Hierauf declamirte der vierundsechzigjährige Dichter »Proserpina« mit einer gewaltigen Tiefe der Empfindung, sodaß es mir bald warm bald kalt wurde. Wenn er an geeigneter Stelle in Leidenschaft gerieth, mußte ich, noch nicht die Hälfte seiner Jahre zählend, mich zusammennehmen, damit er mich, den Componisten, nicht überflügele. Der Unterschied der Jahre hielt ihn nicht ab, mir entgegenzukommen, nachzugeben und gefällig zu sein. Bei so inniger Vereinigung der Poesie mit der Musik konnte der Erfolg für mich nicht zweifelhaft sein. Am Schluß erklärte sich der Meister mit der Behandlung seines Gedichts, sowie der Musik vollständig einverstanden. »Proserpina«, fügte er hinzu, wolle er in einer Weise in Scene setzen, wie man noch nichts Ähnliches gesehen habe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, Mai (?). Mit Karl Eberwein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A087-A