1815, 27. Juli.


Bei Gerhard Kunibert Fochem

Herr v. Stein und Goethe sind vierundzwanzig Stunden länger [in Köln] geblieben und haben auch mir, begleitet von Wallraf und Maler Fuchs, einen anderthalbstündigen Besuch geschenkt. Goethe raisonnirte beständig und predigte dem Minister vor. Von den alten Bildern sagten beide, daß sie überaus schön und mein Manuscript [aus dem fünfzehnten Jahrhundert] etwas Künstliches wäre. Bei nichts indessen verweilten [180] sie so, wie auf dem andern Zimmer bei einem Raphael. Sie nahmen Stühle, standen wieder auf, setzten sich wieder; Goethe schüttelte den Kopf und sagte endlich, dies wäre ein königliches Bild – und dies alles in Gegenwart von Wallraf und Fuchs. Beim Weggehen sprach Goethe viel vom Verdienste, das ich mir durch die Rettung dieser alten Werke gemacht hätte, und welches von oben belohnt werden müßte .... .... Herr Goedeke, ein Kaufmann von hier, der sie in seinem Wagen herumfahren ließ und mein Nachbar ist, sagte mir nachher, daß Goethe sich geäußert hätte, die Sammlung des Herrn Boisserée überträfe die meinige nur in der Menge und ich hätte mit sehr großer Auswahl und Sachkenntniß gesammelt!!! .... Ich meinerseits ließ es auch nicht an Complimenten fehlen. Ich äußerte sehr lebhaft: es sei mein Stolz und mein Glück, zwei Männer zu besitzen, von denen ich mit einem der berühmtesten Classiker sagen dürfte: Unus sufficit orbi – ein Compliment, welches Goethe fast außer sich brachte. Dieser letzte ist zwar ein schon alter, aber gesetzter, fester, sinniger, sublimer Mann ..... Goethe lobte unser Bestreben in der Herausgabe des »Taschenbuchs [für Freunde altdeutscher Zeit und Kunst«] und sagte: »Nun das ist brav! Das heißt doch etwas gethan. Es fängt an zu tagen, und Sie haben das Verdienst, die Nebel zu durchbrechen. Fahren Sie fort! etc.« Ich hätte mich beinahe erkühnt, ihn um einen Beitrag zu bitten. Beim Abschiede versprachen sie, im Zurückkommen wieder bei [181] mir anzusprechen. Nur ein Theil verarge ich ihnen: sie waren so unhöflich mit ihren beschmutzten Stiefeln auf meine seidenen Stühle zu steigen, um die Bilder, besonders die Gefangennehmung in der Nähe zu betrachten.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1815. 1815, 27. Juli. Bei Gerhard Kunibert Fochem. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9FBC-8