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An Josephine O'Donell

Die seit geraumer Zeit zwischen meiner verehrten Freundin und mir unterbrochene Communication thut sich endlich wieder auf und ich versäume nicht mit wenigem von meinem Zustande Nachricht zu geben.

Nachdem uns ein zwar gehofftes aber doch immer schweres Geschick lange gedroht, so brach es endlich am 21. und 22. October über uns herein, und wir hatten von den rohen losgelassenen Gewalt alles zu fürchten und vieles zu ertragen. Wenn Sie sich vorstellen daß wir in acht und vierzig Stunden die ganze Stufenleiter vom Schreckbarsten bis zum Gemeinsten durchgeduldet haben, so werden Sie gewiß Ihres Freundes mit Antheil gedenken. Das erste liebreiche was mir alsdann entgegenklang war der Name O'Donell, der allein schon hinreichend gewesen wäre mich in eine andere Welt zu versetzen. Da aber der Mann der ihn trägt unter die vorzüglichsten gehört die ich in meinem Leben gekannt habe, so war die Unterhaltung mit ihm Erquickung ja Wiederherstellung, und [22] ich freue mich nur daß mein Sohn gegenwärtig gewesen, um einen Begriff von so hoher Bildung zu fassen, und sich darüber mit mir jetzt und in der Folgezeit fruchtbar zu unterhalten. Eben so engelartig erschien mir Fürst Moriz Liechtenstein welcher mehr als er selbst wissen kann mir hülfreich gewesen. Die edle Theilnahme des Fürsten Louis der mit eigener und der Seinigen Gefahr die Verwüstungen, womit uns wilde Horden überzogen, abzulehnen trachtete mußte rühren und unsere Hoffnungen beleben. Erfreulich war die ritterlich angenehme Gegenwart des Fürsten von Windisch Grätz, wozu sich ein Graf Clam, ein von Pfeil und andere junge so brave als wohldenkende Männer gesellten. Von mehreren ist mir der Name entfallen, aber ihre Gestalt sowohl als ihr Gespräch bleibt mir unvergeßlich.

So lebten wir bedrängt und getröstet, aufgeregt und beruhigt unsere Tage, bis endlich die Gegenwart und besondere Gunst des Herrn Grafen Metternich mich völlig aufrichtete und mir einen frohen Eindruck hinterließ: denn es ist freilich geist- und herzerhebend an den Ansichten solcher Männer Theil zu nehmen, die das ungeheure Ganze leiten von dessen kleinstem Theil wir andern uns gedrückt, ja erdrückt fühlen.

Und so sey denn der erste freye Athemzug der mir vergönnt ist meiner geliebten Freundin gewidmet. Übernehme Sie wie sonst die schöne Pflicht mich und mein Geschick allerhöchsten Orts zum angelegentlichsten [23] zu empfehlen. Die hoch und heilig gehaltenen Namenszüge blicken mich in diesen Stunden der Verwirrung, wie glückbringende Sterne, freundlich an, als ich sie statt aller übrigen Schätze zu flüchten und zu retten suchte. Leben Sie tausendmal wohl und lassen Sie mich in Hoffnung eines fröhlichen Wiedersehens bald den theuren Namen erblicken, der mir nun doppelt werth geworden.

Weimar d. 30. October

ewig verbunden

1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C83-D