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An Friedrich Schiller

Stäfe am 25. Sept. 1797.

Ihren erfreulichen Brief vom 7. Sept. habe ich vorgestern hier erhalten; da er länger ausblieb als ich hoffte, so mußte ich befürchten daß Ihr Übel sich vermehrt habe, wie ich denn nun auch aus Ihrem Briefe leider erfahre. Möchten Sie doch in Ihrer Stille einer so guten Gesundheit genießen, als ich bey meiner Bewegung! Ein Blatt das beyliegt, sagt Ihnen wie es mir seit Tübingen ergangen ist. Meyer, den ich nun zu unserer wechselseitigen Freude wiedergefunden [308] habe, befindet sich so wohl als jemals und wir haben schon was ehrliches zusammen durchgeschwätzt, er kommt mit trefflichen Kunstschätzen und mit Schätzen einer sehr genauen Beobachtung wieder zurück. Wir wollen nun überlegen in was für Formen wir einen Theil brauchen und zu welchen Absichten wir den andern aufheben wollen.

Nun soll es in einigen Tagen nach dem Vierwaldstädter See gehen. Die großen Naturscenen, die ihn umgeben, muß ich mir, da wir so nahe sind, wieder zum Anschauen bringen, denn die Rubrik dieser ungeheuern Felsen darf mir unter meinen Reise-Capiteln nicht fehlen. Ich habe schon ein paar tüchtige Actenfascikel gesammelt, in die alles, was ich erfahren habe, oder was mir sonst vorgekommen ist, sich eingeschrieben oder eingeheftet befindet, bis jetzt noch der bunteste Stoff von der Welt, aus dem ich auch nicht einmal, wie ich früher hoffte, etwas für die Horen herausheben könnte.

Ich hoffe diese Reisesammlung noch um vieles zu vermehren und kann mich dabey an so mancherley Gegenständen prüfen. Man genießt doch zuletzt, wenn man fühlt, daß man so manches subsummiren kann, die Früchte der großen und anfangs unfruchtbar scheinenden Arbeiten, mit denen man sich in seinem Leben geplagt hat.

Da Italien, durch seine frühern Unruhen, und Frankreich durch seine neusten, den Fremden mehr[309] oder weniger versperrt ist, so werden wir wohl, vom Gipfel der Alpen, wieder zurück dem Falle des Wassers folgen und, den Rhein hinab, uns wieder gegen Norden bewegen, ehe die schlimme Witterung einfällt. Wahrscheinlich werden wir diesen Winter am Fuße des Fuchsthurms vergnügt zusammen wohnen, ja, ich vermuthe sogar, daß Humboldt uns Gesellschaft leisten wird. Die sämmtliche Karavane hat, wie mir sein Brief sagt, den ich in Zürch fand, die Reise nach Italien gleichfalls aufgegeben, sie werden sämmtlich nach der Schweiz kommen. Der jüngere hat die Absicht sich in diesem, für ihn, in mehrern Rücksichten so interessanten Lande umzusehen, und der ältere wird wahrscheinlich eine Reise nach Frankreich, die er projectirt hatte, unter den jetzigen Umständen aufgeben müssen. Sie gehen den 1. October von Wien ab, vielleicht erwarte ich sie noch in diesen Gegenden.

Und nun wende ich mich in Gedanken zu Ihnen und Ihren Arbeiten. Der Almanach hat wirklich ein recht ordentliches Ansehen, nur wird das Publikum den Pfeffer zu den Melonen vermissen. Im allgemeinen wird nichts so sehnlich gewünscht als wieder eine Ladung Xenien und man wird betrübt seyn die Bekanntschaft mit diesen Bösewichtern, auf die man so sehr gescholten hat, nicht erneuern zu können. Ich freue mich daß durch meinen Rath der Anfang IhresIbykus eine größere Breite und Ausführung gewinnt; wegen des Schlusses werden Sie denn wohl [310] auch Recht behalten. Der Künstler muß selbst am besten wissen in wie fern er sich fremder Vorschläge bedienen kann. Der Phaeton ist gar nicht übel gemacht und das alte Märchen des ewig unbefriedigten Strebens der edlen Menschheit, nach dem Urquell ihres allerliebsten Daseyns, noch so ganz leidlich aufgestutzt. Den Prometheus hat Meyer nicht auslesen können, welches denn doch ein übles Zeichen ist.

Die Exemplare des Almanachs, die Sie mir bestimmen, haben Sie die Güte mir aufzuheben; denn wahrscheinlich werden Sie der regierenden Herzogin eins in Ihrem eignen Nahmen zusenden. Mich verlangt recht dieses Werkchen beysammen zu sehen.

Aus meinen frühern Briefen werden Sie gesehen haben daß es mir in Stuttgard ganz wohl und behaglich war. Ihrer ist viel und von vielen und immer auf's beste gedacht worden. Für uns beyde, glaub ich, war es ein Vortheil, daß wir später und gebildeter zusammentrafen.

Sagen Sie mir doch in dem nächsten Briefe wie Sie sich auf künftigen Winter einzurichten gedenken? ob Ihr Plan auf den Garten, das Griesbachische Haus, oder Weimar gerichtet ist. Ich wünsche Ihnen die behaglichste Stelle, damit Sie nicht bey Ihren andern Übeln auch noch mit der Wittrung zu kämpfen haben.

Wenn Sie mir nach Empfang dieses Briefes sogleich schreiben, so haben Sie die Güte den Brief [311] unmittelbar nach Zürch, mit dem bloßen Beysatz bey Herrn Rittmeister Ott zum Schwerdt zu addressiren. Ich kann rechnen, daß gegenwärtiges acht Tage läuft, daß eine Antwort ohngefähr eben so lange gehen kann, und ich werde ohngefähr in der Hälfte Octobers von meiner Bergreise in Zürch anlangen.

Für die Nachricht, daß mein Kleiner wieder hergestellt ist, danke ich Ihnen um so mehr als ich keine directe Nachricht schon seit einiger Zeit erhalten habe, und die Briefe aus meinem Hause irgendwo stocken müssen. Diese Sorge allein hat mir manchmal einen trüben Augenblick gemacht, indem sich sonst alles gut und glücklich schickte. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und erfreuen Sie sich der letzten schönen Herbsttage mit den Ihrigen, indeß ich meine Wanderung in die hohen Gebürge anstelle. Meine Correspondenz wird nun eine kleine Pause machen, bis ich wieder hier angelangt bin.

G.


Bald hätte ich vergessen Ihnen zu sagen daß der Vers: es wallet und siedet und brauset und zischt pp. sich bey dem Rheinfall trefflich legitimirt hat, es war mir sehr merkwürdig wie er die Hauptmomente der ungeheuern Erscheinung in sich begreift. Ich habe auf der Stelle das Phänomen in seinen Theilen und im ganzen wie es sich darstellt zu fassen [312] gesucht und die Betrachtungen, die man dabey macht, sowie die Ideen die es erregt abgesondert bemerkt. Sie werden dereinst sehen, wie sich jene wenigen dichterischen Zeilen gleichsam wie ein Faden durch dieses Labyrinth durchschlingen.

So eben erhalte ich die Bogen I. K. des Almanachs durch Cotta und hoffe nun auf meiner Rückkunft aus den Bergen und Seen wieder Briefe von Ihnen zu finden. Leben Sie recht wohl. Meyer wird selbst ein paar Worte schreiben. Ich habe die größte Freude daß er so wohl und heiter ist, möge ich doch auch dasselbe von Ihnen erfahren!

Herrliche Stoffe zu Idyllen und Elegien, und wie die verwandten Dichtarten alle heißen mögen, habe ich schon wieder aufgefunden, auch einiges schon wirklich gemacht, so wie ich überhaupt noch niemals mit solcher Bequemlichkeit die fremden Gegenstände aufgefaßt und zugleich wieder etwas producirt habe. Leben Sie recht wohl und lassen Sie uns theoretisch und praktisch immer so fortfahren.


Stäfe den 26. Sept. gegen Abend.

Ich hatte meinen Brief eben mit einem kleinen Nachtrag geschlossen, als Graf Burgstall uns besuchte, der mit seiner jungen Frauen, einer Schottländerinn, die er nicht lange geheirathet hat, aus England über Frankreich und die Schweiz nach Hause zurückkehrt. Er läßt Ihnen das schönste und beste [313] sagen und nimmt einen recht wahren Antheil an dem was sie sind und thun. Mir hat sein Besuch viel Freude gemacht, da seine frühere Tendenz zur neuern Philosophie, sein Verhältniß zu Kant und Reinhold, seine Neigung zu Ihnen, auch seine frühere Bekannschaft mit mir, gleich eine breite Unterhaltung eröffneten. Er brachte sehr artige Späße aus England und Frankreich mit, war gerade den 18. Fructidor in Paris gewesen und hatte also manche ernste und komische Scene mit erlebt. Er grüßt Sie auf's allerbeste und ich will nur schließen, damit die Briefe mit dem Schiffer, der unsern Postboten macht, noch fortkommen. Haben Sie etwa Gelegenheit Wielanden von Graf Burgstall zu grüßen so thun Sie es doch.

G.

[Beilage.]

Kurze Nachricht von meiner Reisevon Tübingen nach Stäfe.

Den 16. Sept. fuhr ich von Tübingen, über Hechingen, Balingen und Wellendingen nach Tuttlingen. Die Tagreise ist groß, ich machte sie von 4 Uhr des Morgens bis halb neun Uhr des Abends. Anfangs giebt es noch für's Auge angenehme Gegenden, zuletzt aber, wenn man immer höher in der Neckarregion hinaufsteigt, wird das Land kahler und weniger fruchtbar, erst in der Nacht kam ich in das Thal oder die Schlucht, die zur Donau hinunterführt, der Tag war trüb, doch zum Reisen sehr angenehm.

[314] Den 17. von Tuttlingen auf Schafhausen. Bey dem schönsten Wetter, fast durchgängig, die interessanteste Gegend. Ich fuhr von Tuttlingen um 7 Uhr, bey starkem Nebel aus, aber auf der Höhe fanden wir bald den reinsten Himmel, und der Nebel lag horizontal im ganzen Donauthal. Indem man die Höhe befährt, welche die Rhein- und Donau-Region trennt, hat man eine bedeutende Aussicht, sowohl rück- als seitwärts, indem man das Donauthal bis Doneschingen und weiter überschaut. Besonders aber ist vorwärts der Anblick herrlich, man sieht den Bodensee und dieGraubündner Gebürge in der Ferne, näher Hohentwiel und einige andere charakteristische Basaltfelsen. Man fährt durch waldige Hügel und Thäler bisEngen, von wo sich südwärts eine schöne und fruchtbare Fläche öffnet, darauf kommt man Hohentwiel und die andern Berge, die man erst von Ferne sah, vorbey und gelangt endlich in das wohlgebaute und reinliche Schweizerland. Vor Schafhausen wird alles zum Garten. Ich kam Abends bey schönem Sonnenschein daselbst an.

Den 18. widmete ich ganz dem Rheinfall, fuhr früh nach Laufen und stieg von dort hinunter, um sogleich der ungeheuern Überraschung zu genießen. Ich beobachtete die gewaltsame Erscheinung, indeß die Gipfel der Berge und Hügel vom Nebel bedeckt waren, mit dem der Staub und Dampf des Falles sich vermischte. Die Sonne kam hervor und verherrlichte das [315] Schauspiel, zeigte einen Theil des Regenbogens und ließ mich das ganze Naturphänomen in seinem vollen Glanze sehen. Ich setzte nach dem Schlößchen Wörth hinüber und betrachtete nun das ganze Bild von vorn und von weitem, dann kehrte ich zurück und fuhr von Laufen nach der Stadt. Abends fuhr ich an dem rechten Ufer wieder hinaus und genoß von allen Seiten, bey untergehender Sonne, diese herrliche Erscheinung noch einmal.

Den 19. fuhr ich, bey sehr schönem Wetter, überEglisau nach Zürch, die große Kette der Schweizergebürge immer vor mir, durch eine angenehme, abwechselnde und mit Sorgfalt cultivirte Gegend.

Den 20. einen sehr heitern Vormittag brachte ich auf den Zürcher Spaziergängen zu. Nachmittags veränderte sich das Wetter, Professor Meyer kam, und, weil es regnete und stürmte, blieben wir die Nacht in Zürch.

Den 21. fuhren wir zu Schiffe, bey heiterm Wetter, den See hinaufwärts, wurden von Herrn Escher zu Mittag, auf seinem Gute bey Herrliberg, am See, sehr freundlich, bewirthet, und gelangten Abends nach Stäfe.

Den 22., einen trüben Tag, brachten wir mit Betrachtung der von Herrn Meyer verfertigten und angeschafften Kunstwerke zu, so wie wir nicht unterließen uns unsere Beobachtungen und Erfahrungen auf's neue mitzutheilen. Abends machten wir noch [316] einen großen Spaziergang den Ort hinaufwärts, welcher von der schönsten und höchsten Cultur einen reizenden und idealen Begriff giebt. Die Gebäude stehen weit auseinander, Weinberge, Felder, Gärten, Obstanlagen breiten sich zwischen ihnen aus und so erstreckt sich der Ort wohl eine Stunde am See hin, und eine halbe bis nach dem Hügel ostwärts, dessen ganze Seite die Cultur auch schon erobert hat. Nun bereiten wir uns zu einer kleinen Reise vor, die wir nach Einsiedel, Schwytz und die Gegenden um den Vierwaldstädter See vorzunehmen gedenken.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller Kurze Nachricht von meiner Reisevon Tübingen nach Stäfe.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9B22-D