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An Carl Ludwig von Knebel

Weimar den 9. Novbr. 1814.

Unter denjenigen Vortheilen, welche mir meine letzte Reise gebracht, stehet wohl die Duldsamkeit oben an, die ich, mehr als jemals, für den einzelnen Menschen empfinde. Wenn man mehrere Hunderte näher, Tausende ferne beobachtet, so muß man sich gestehen, daß am Ende jeder genug zu thun hat, sich einen Zustand einzuleiten, zu erhalten, und zu fördern; man kann niemanden meistern, wie er dabey zu Werke gehen soll, denn am Ende bleibt es ihm doch allein überlassen wie er sich im Unglück helfen und im Glücke finden kann. In diesen Betrachtungen bin ich dieses Mal sehr glücklich durch die Welt gekommen, indem ich von niemand etwas weiter verlangte, als was er geben konnte und wollte, ihm weiter nichts anbot als was ihm gemäß war, und mit großer Heiterkeit [75] nahm und gab, als Tag und Umstände brachten; und so hab ich niemanden in seiner Lebensweise irre gemacht. Überzeugung, Sitte, Gewohnheit, Liebhaberey, Religion, alles erschien mir durchaus den Personen gemäß, die sich gegen mich äußerten, und so habe ich es auch in Ansehung des Geschmacks gefunden.

Jeder sucht und wünscht wozu ihm Schnabel oder Schnauze gewachsen ist. Der will's aus der enghalsigen Flasche, der vom flachen Teller, einer die rohe, ein anderer die gekochte Speise. Und so hab ich mir denn auch, bey dieser Gelegenheit, meine Töpfchen und Näpfchen, Flaschen und Krüglein gar sorgsam gefüllt, ja mein Geschirr mit manchen Geräthschaften vermehrt. Ich habe an der Homerischen, wie an der Nibelungischen Tafel geschmaust, mir aber für meine Person nichts gemäßer gefunden, als die breite und tiefe immer lebendige Natur, die Werke der griechischen Dichter und Bildner.

Das Höchste, was mir zu Theil geworden, sind einige Basreliefs von der Zelle des Parthenons, die Pallas Velletri, der unendlich schöne Rumpf einer Venus; sodann der Kopf eines Venetianischen Pferdes.

Von köstlichen Gemmen kann ich Abdrücke vorweisen; von der hohen italischen Schule habe ich köstliche Gemälde, Zeichnungen und Kupfer gesehen.

Soviel für dießmal. Ich lege eine Skizze meiner Reise-Chronologie bey, die ich mir bald wieder erbitte.

Vale fave. G. [76]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9920-1