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An Carl Friedrich von Reinhard

Die letzten Tage des Jahrs, wo wir des Sonnenlichtes so sehr entbehren, sind mir von jeher ungünstig[88] und drückend; was mir deshalb in solchen Stunden Gutes, Liebes und Erfreuliches zukommt, gewinnt einen doppelt- und dreyfachen Werth, sowohl in dem Augenblick als in einer nachherigen Erinnerung.

Dieses ist gegenwärtig anzuwenden auf eine centnerschwere Kiste, welche, eröffnet, mir die crystallisirten Bergschätze des Nordens, erst zum Erstaunen, dann zur Belehrung vorlegte, durchaus bedeutende Stufen, die Einzelheiten in mehreren ausgesuchten, sich einander aufklärenden Exemplaren, einige hundert an der Zahl! Ich sondere, vergleiche, ich ordne und überlege. So denn gehen, mit der angenehmsten Unterhaltung, die Tage und Abende hin, daß ehe ich mich's versehe, die Sonne ihren Rückweg zu uns wieder muß angetreten haben.

Aus soviel gehäuften Motiven werden Sie, mein Verehrtester, den Dank ermessen, zu welchem in dem Augenblick nicht genugsame Worte zu finden wären, da eine so bedeutende Vermehrung meines Kabinetts, wodurch eine bisher unangenehm empfundene Lücke reichlich erfüllt und ausgeglichen wird, mir meinem Sohn, allen Freunden und Beschauern immerfort zu lebendigem Antheil und Anregung gedeihen wird.

Schon diese Tage her wurden daran die bedeutendsten Forschungen mit Herrn Soret, einem vollendeten Crystallographen, angeknüpft, wobey sich gar wohl bemerken ließ: daß von hier aus eine gränzenlose Reihe von Untersuchungen, Kenntnissen und Bestimmungen [89] sich entwickeln müsse. Nehmen Sie daher die allerlebhafteste treuste Anerkennung.

unwandelbar

Weimar den 21. December 1828.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-978B-7