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An Carl Friedrich von Reinhard

Carlsbad den 22. July 1810.

Da mein hiesiger Aufenthalt sich nach und nach zu Ende neigt, und ich wahrscheinlich bald nach Töplitz gehe; so will ich ein ruhiges Wort vernehmen lassen und für den lieben Brief danken, den ich vor einiger Zeit erhalten.

Zuerst will ich Sie ersuchen, den jungen Freund in Heidelberg hinreichend aufzuklären, damit er deutlich erfahre, wie ich es meine. Es würde sonst, wenn er uns besucht, leicht ein verdrießliches Verhältniß geben, wenn er erst alsdann erführe, wie ich denke. Das was er mit seinen Künstlern geleistet hat, kann man ohne Bedingung loben. Die Behandlung des Gegenstandes ist trefflich: der Gegenstand selbst aber, für uns, nur an seiner Stelle schätzenswerth, als ein Document einer Stufe menschlicher Cultur. Betrachteten freylich diese guten jungen Leute nicht einen solchen Mittelzustand als den obersten und letzten, wo sollten sie den Muth zu einer so unendlich mühsamen Arbeit hernehmen. Wenn der Ritter seine Schöne nicht für die schönste und einzige hielte, würde er Drachen und Ungeheuer um ihrentwillen bekämpfen?

Ich habe schon oft genug in meinem Leben ähnliche Fälle mit jungen Leuten gehabt, so daß ich neulich mich ganz und gar auch von den bessern enthalte.

[360] Einfluß gestehen sie uns, Einsicht trauen sie sich zu, und die erste zu Gunsten der letzten zu nutzen, ist eigentlich ihre stille Absicht. Ein wahres Zutrauen ist nicht in der Sache. Ich nehme es ihnen nicht übel; aber ich mag mich weder gutmüthig selbst betrügen, noch fremde Zwecke gegen meine Überzeugung befördern.

Müllers Werk habe ich in diesen Tagen mit Ruhe, und manche Abtheilung wiederholt gelesen. Es ist ein höchst dankenswerthes Buch. Schon das ist für uns wichtig, mit einem Zeitgenossen, den wir kannten, die Weltgeschichte nach seiner Art zu durchlaufen. Freylich verbirgt sich ein jedes Individuum schwer hinter der Maske des von ihm hervorgebrachten Buches; vielmehr erkennt man den Autor aus der Schrift vielleicht deutlicher als aus dem Laben: denn es schneidet sich doch Jeder die Welt ziemlich nach seiner Taille. So ist es auch hier; und ich liebe dieß Werk besonders, weil es die Tugenden und die Mängeln des Verfassers so deutlich ausspricht. Das große Studium, das zum Grunde liegt, ist respectabel, und diejenigen Theile, wo das Metall recht durchgeschmolzen, gereinigt und flüssig in eine wohlausgesonnene Form lief, sind vortrefflich zu nennen. Für die größere Masse von Menschen ist das Buch gewiß auch wohlthätig. Mir, auf meiner einzelnen Warte, ist abermals aufgefallen, daß man aus dem moralischen Standpunct keine Weltgeschichte schreiben [361] kann. Wo der sittliche Maaßstab paßt, wird man befriedigt, wo er nicht mehr hinreicht, bleibt das Werk unzulänglich und man weiß nicht was der Verfasser will.

Zu wie vielen hieraus fließenden und anknüpfenden Betrachtungen fand sich nicht Anlaß, besonders da ich kurz vorher den Tacitus gelesen.

Haben Sie aufrichtigen Dank, daß Sie sich wieder von Zeit zu Zeit mit meiner Farbenlehre beschäftigen mögen. Mit einiger Geduld, mit wiederholten Versuchen sich des Gegenstandes zu bemächtigen, wird es Ihnen gewiß gelingen. Denn so stark das Werk ist, und so wunderlich es im Einzelnen aussehen mag: so ist es doch durchaus consequent, und das was es eigentlich bringt und will, läßt sich sehr kurz fassen, ja es wiederholt sich gewissermaßen selbst auf jedem Bogen.

Sobald ich nach Hause komme, will ich sehen, ob irgend ein Mechanicus anzuregen ist, einen kleinen Apparat, zu dem ich schon früher den Gedanken gehegt, zusammenzustellen und in einem Kästchen, das etwa so groß wäre wie Göttlings chemische Cabinette, zu Bequemlichkeit der Liebhaber einzurichten. Es würde sich leicht thun lassen, wenn man Bestellung auf eine Anzahl solcher Apparate erhielte, weil man das dazu Gehörige, Dutzend- ja schockweise, auf den großen Glashütten bestellen müßte, die sich sonst mit solchen Dingen nicht befassen. Trübe, gefärbte, [362] weiße und in den nöthigen Formen geschliffene Gläser würde man, wie ich erst vor kurzem Erkundigung eingezogen habe, auf den böhmischen Glashütten, nach Belieben erhalten können; nur, wie gesagt, in größern Portionen. Vielleicht wird eine solche Forderung laut, und ich will wenigstens das Nöthige vorbereiten, auch allenfalls sorgen, daß Freunde wenigstens mit einem Theil des Nothwendigen versehen werden. Es wird mich freuen, wenn Sie Ihre theilnehmende Fürstinn tiefer in die Sache führen. Jedem, der sich damit abgeben will, rathen Sie, besonders sich mit den Phänomenen der ersten Abtheilung recht bekannt zu machen. Hiezu bedarf es fast gar keines Apparates. Bis man aber ein Auge, dem diese Erscheinungen noch nicht deutlich geworden sind, daran gewöhnt, sie überall zu sehen, dazu gehört ein aufmerksames Wollen; und doch liegt hier der Grund der ganzen Farbenlehre, der Grund aller Harmonie und ästhetischen Anwendung. Auch kommt man dadurch am geschwindesten von dem Trug der alten Beschränkung los.

Es freut mich recht sehr, mein Bild bey Ihnen zu wissen. Kügelgen ist geschickt, und man war mit den bey uns verfertigten Portraits gar wohl zufrieden. Ich bin überzeugt, daß er zu seiner eigenen Ehre sich auch bey den Copieen keine Mühe verdrießen lassen.

Leider ist mir erst in diesen Tagen der Brief, welchen Willmanns überbringen sollte, hier in die Hände gekommen. Ich glaube nicht, daß der gute [363] Mann sehr zufrieden von uns weggegangen ist. Wäre ich auch da gewesen, so hätte es nicht viel besser werden können: denn es wäre mir doch auch nichts übrig geblieben, als in Rücksicht auf Ihre Empfehlung, durch eine persönliche gute Aufnahme, das Unangenehme einer abschläglichen Antwort zu mildern.

Können Sie mir gelegentlich sagen, ob Villers mit meiner chromatischen Arbeit sich befreunden mag. Er ist eine wichtige Person durch seinen Standpunct zwischen den Franzosen und Deutschen, und es wäre mir bedeutend, zu erfahren, wie er die Sache nimmt, da er wie eine Art von Janus bifrons herüber und hinüber sieht. Was Frankreich selbst betrifft, daran denk' ich, aufrichtig zu sagen, nicht. Etwas Unfreundliches von dorther läßt sich immer erwarten; etwas Freundliches würde überraschen.

Doch habe ich für die Zukunft eine wunderbare Aussicht zu Vereinigung deutscher und französischer Vorstellungsarten dadurch gewonnen, daß mir ein Auszug von Degerando's Discours, der sich bey seiner Geschichte der Philosophie befinden soll, in die Hände fiel. Ich bin neugierig, das ganze Buch zu sehen: denn in diesen wenigen Blättern habe ich nichts gefunden, was meiner Art zu denken, widerspräche. Die Differenz des Ausdrucks ist nicht größer, als man von einer Sprache zur andern voraussetzen muß. Ich werde, sobald ich zurückkomme, diesem Manne, seinen Werken und ihrem Einfluß eine besondere Aufmerksamkeit [364] schenken. Können Sie mir dabey behülflich seyn, und mir einige besondre Nachrichten von ihm geben; so werden Sie mich sehr verbinden. Überhaupt bin ich nunmehr im Fall, da jene beengende Arbeit vollbracht ist, mich etwas mehr in der Breite des Alten und Neuen wieder umzusehen.

In Wien ist ein kleines Heft von mir, unter dem Titel: Pandora, ein Taschenbuch, gedruckt worden. Eigentlich ist es nur ein Theil eines Drama's von wunderbarem Inhalt und seltsamer Form. ich empfehle es Ihnen. Vielleicht kostet es einige Mühe sich hinein zu lesen, die aber nicht ganz ohne Frucht bleiben wird. Ein herzliches Lebewohl!

G.


Ich lege noch ein Blättchen bey um wegen jenes chromatischen Apparats ein Wort zu sagen. Ganz unentbehrlich ist dazu das große aus Spiegelglastafeln zusammengesetzte Prisma, wovon die letzte Platte meiner Tafeln eine Abbildung lieferte, wie denn auch die nähere Beschreibung davon sich unter den Erklärungen befindet. Jeder Tischer und Glaser kann es verfertigen. Will man einem Mechanicus den Auftrag geben, so thut man besser, weil noch manches zur Verbesserung gethan werden kann, z. E., wenn man unten an der Spitze einen Hahn anbringt, um das Wasser abzulassen und das Gefäß leichter zu reinigen. Übrigens kann man dieser sehr einfachen Vorrichtung alle objectiven und subjectiven [365] Versuche im großen und kleinen nach Belieben darstellen, ja wenn man ein kleines gutes solides Glas-Prisma daneben hat, so lassen sich auch die complicirtesten Versuche wie z.B. die wahre Darstellung des Experimentum Crucis und andere auf das beste vollbringen und darstellen. Es gehört freylich hierzu wie zu allen solchen Dingen eine gewisse Übung und Gewandtheit, um mit wenig Mitteln viel zu leisten; gerade aber dadurch thut man viel, indem man zeigen kann, wie einfach alles ist; eine edle Wahrheit, die sich leicht verbirgt, wenn man Vorrichtung und Instrumente häuft oder damit unnöthiger Weise wechselt. Mögen Sie mir anzeigen, wie und wo das hauptsächlichste Bedürfniß empfunden wird, und was die nächsten Forderungen und Wünsche sind, die entspringen, so werde ich gern auszuhelfen suchen.

Carlsbad d. 22. July 1810.

G. [366]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-94FA-5