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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

[8. März 1824.]

Nun ist Ottilie wieder zurück und hält Vorlesungen über ihr Tagebuch; sie hat freylich soviel herumgetrieben, viel gesehen und nach ihrer Weise Gutes genossen; haben Sie herzlichen Dank für alles, was Sie diesem lieben wunderlichen Wesen an Aufmerksamkeit und Neigung gegönnt haben; sie ist von dem Strudel hingerissen worden, der eigentlich das Element der Frauen zu seyn scheint, und dann ist doch eine so große bedeutende Stadt mit acht Wochen nicht abgethan. Sie wird eine Zeitlang Nachgenuß haben und uns daran Theil nehmen lassen.

[65] Wie oft denk ich nicht an Sie, verehrter Freund, an das was Sie in diesen Zeiten zu leisten und zu leiden haben; sagen Sie mir etwas von Ihrer theuren Gesundheit; ich halte mich still und mäßig so hin und dennoch bin ich seit Ihrer Abreise doppelt angefochten worden. An meinen Heften wird fortgedruckt, nehmen Sie Beykommendes indessen freundlich auf und lassen sich irgend einen Theil des Inhalts gefallen.

Eckermann schleppt, wie eine Ameise, meine einzelnen Gedichte zusammen; ohne ihn wäre ich nie dazu gekommen; es wird aber gar artig werden; er sammelt, sondert, ordnet und weiß den Dingen mit großer Liebe etwas abzugewinnen.

Die Zeichnung des Exeternsteins, die mir Ottilie mitbringt, ist mir ein großes Geschenk; gleich die Vorstellung im Eisenguß gewann meine Neigung, das Bild interessirte, intriguirte mich; ein kleiner Aufsatz ist geschrieben, der freylich jetzt erst Gestalt erhält. Kann man sich nicht erwehren zu glauben, daß etwas Zarteres in der Ausbildung dem Künstler des neunzehnten Jahrhunderts angehöre, so ist die Anlage doch vortrefflich und bewundernswerth, deren Verdienst dem Alterthum nicht abgesprochen werden kann.

Den meteorologischen Dingen bin ich eifrig im Geiste gefolgt; unser junger Mathematiker hat gleichfalls auf seinem Wege fortgearbeitet, er nimmt keine Notiz von meinem Grundsatz und ich benutze um desto lieber und desto besser sein über alle Begriffe sorgfältiges [66] Bemerken und Zusammenstellen, und so hoffe ich weniges aber Bedeutendes im nächsten Hefte vorzulegen. Erhalten Sie auch in diesem Bemühen eine aufmerksame Gunst.

Ein kleines Schauspiel von Immermann las ich in berlinischen Taschenkalender, überschrieben: die Brüder. Ich will es meinen jungen Leuten übergeben; denn ich weiß mich in solche Dinge nicht mehr zu finden. Es spricht ein eigenes Naturell aus dieser Production, dann aber spürt man so viele äußere Einwirkung bis auf die modernste; Iffland und Kotzebue spuken denn doch durch's Ganze. Es ist mit allen Künsten und besonders auch mit dieser ein wunderlicher Zustand. Nur durch meine Kinder vernehm ich noch etwas vom Theater und Ottilie hat von Berlin her manches wohlgesehene Gute mitgebracht.

Nun aber zu dem A und Ω das ich Ihnen ewig verdanke. Mehrere Wochen war ich nicht in das große und durchkältete Zimmer gekommen, und als ich wieder hineintrat erstaunt ich zum Erschrecken, so trat mir das erhabene einzige Götterbild entgegen. Nun seh ich es wieder täglich und immer wieder mit neuem Eindruck.

so auch immergleich der Ihrige Goethe. [67]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-923E-E