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An Friedrich Schiller

Iffland fährt fort seine Sache trefflich zu machen und zeichnet sich als ein wahrhafter Künstler aus. An ihm zu rühmen ist die lebhafte Einbildungskraft, wodurch er alles was zu seiner Rolle gehört zu entdecken weiß, dann die Nachahmungsgabe wodurch er das gefundene und gleichsam erschaffne darzustellen weiß, und zuletzt der Humor, womit er das Ganze von Anfang bis zu Ende lebhaft durchführt. Die Absonderung der Rollen von einander, durch Kleidung, Gebärde, Sprache, die Absonderung der Situationen und die Distinction derselben wieder insensible kleinere Theile, ist fürtrefflich. Von allem übrigen was wir schon im einzelnen kennen will ich jetzt schweigen.

Indem er als ein wirkliches Natur- und Kunstgebilde vor den Augen des Zuschauers lebt, so zeigen sich die übrigen, wenn sie auch ihre Sache nicht ungeschickt machen, doch nur gleichsam als Referenten, welche eine fremde Sache aus den Acten vortragen. man erfährt zwar was sich begiebt und begeben hat, man kann aber weiter keinen Theil daran nehmen.

Sehr wichtig war mir die Bemerkung daß er die reinste und gehörigste Stimmung beynah durchaus vollkommen zu Befehl hat, welches denn freylich nur durch das Zusammentreffen von Genie, Kunst und Handwerk möglich ist.

[130] Das Publikum ist sich in seiner Assiduität ziemlich gleich. Die Anzahl schwankte bisher zwischen 380 und 430 und es läßt sich voraussehen daß wir keine so starke und keine so geringe Vorstellung haben werden als das vorige mal. Der erhöhte Preis hat nur einen gewissen Zirkel von Zuschauern eingeschlossen. Wir können mit der Einnahme zufrieden seyn und ich freue mich, über den ungläubigen Hofkammerrath gesiegt zu haben.

Übrigens habe ich, außer einer ziemlich allgemeinen, reinen Zufriedenheit, nichts tröstliches von einem besondern Urtheil gehört. Wie wenige verhalten sich gegen den Künstler auch wieder productiv! Dagegen habe ich mitunter einige sehr alberne Negationen vernommen. Morgen erleben wir noch den Tauben Apotheker und dann will ich mich der eintretenden Ruhe wieder freuen, ob ich gleich nicht leugnen will daß mir sein Spiel diesmal, mehr als das vorige mal, Bedürfniß geworden ist. Er hat in jedem Sinne gut auf mich gewirkt und ich hoffe, wenn ich zu Ihnen hinüber komme, sollen der May und Juni gute Früchte bringen.

Ich habe heute keinen Brief erhalten und wünsche nur daß kein Übel Ursache an Ihrem Stillschweigen seyn möge.

Freund Böttiger brütet, wie ich merke, an einer Didaskalie über Pygmalion. Es wird wahrscheinlich wieder ein sauber Stückchen Arbeit werden.

[131] Eine der lustigsten Begebenheiten unseres Zeitalters kann ich vorläufig nicht verschweigen. Wielanden ist durch ein heimlich demokratisches Gericht verboten worden die Fortsetzung seiner Gespräche im Merkur drucken zu lassen, das nächste Stück wird zeigen ob der gute Alte gehorcht.

Der arme Verfasser des goldnen Spiegels und des Agathons, der zu seiner Zeit Königen und Herren die wundersamsten Wahrheiten sagte, der sich auf die Verfassungen so trefflich verstand, als es noch keine gab, der edle Vorläufer des neuen Reiches muß nun, in den Zeiten der Freyheit, da Herr Posselt täglich den bloßen Hintern zum Fenster hinausreckt, da Herr Gentz mit der liberalsten Zudringlichkeit einem neuen Könige eine unbedingte Preßfreyheit abtrutzt, die Schooßkinder seines Alters, die Produkte einer Silberhochzeit, gleich nahmenlosen Liebeskindern, verheimlichen.

Vor 14 Tagen ohngefähr kam er nach Weimar, um für diese Productionen, mit denen er sich im Stillen beschäftigt hatte, einiges Lob einzuerndten; er las sie in allen Etagen unsers Geschmacks- und Gesellschaftshauses vor und ward mit mäßiger Gleichgültigkeit aufgenommen, so daß er für Ungeduld bald wieder aufs Land flüchtete. Indessen hielt man Rath und jetzt, hör' ich, ist ihm angekündigt diese Mestizen eines aristo-demokratischen Ehebandes, in der Stille, zu erdrosseln und im [132] Keller zu begraben, denn ausgesetzt dürfen sie nicht einmal werden.

Weimar am 2. May 1798.

G.


Vorstehendes war geschrieben als ich Ihren lieben Brief erhielt. Möge das gute Wetter Sie bald in den Garten locken und Sie draußen aufs beste begünstigen.

Über Pygmalion wollen wir methodisch zu Werke gehen, denn wenn man, bey der großen Einigkeit in Grundsätzen, einmal über Beurtheilung einer Erscheinung in Opposition ist, so kommt man gewiß auf schöne Resultate, wenn man sich verständigt.

Ich glaube wir werden bald einig seyn, denn man kann von diesem Monodram nur in so fern sprechen als man die Manier des französischen Tragischen Theaters und die rhetorische Behandlung eines tragischen, oder hier eines sentimentalen Stoffs, als zulässig voraussetzt; verwirft man diese völlig, so ist Pygmalion mitverworfen, läßt man sie aber, mit Ihrem Werthe oder Unwerthe, gelten, so kann auch hier Lob und Tadel eintreten. Man kann jeden Manieristen loben und das Verdienst das er hat auseinandersetzen, nur muß ich ihn nicht mit Natur und Styl vergleichen. Das wäre ohngefähr, wovon ich ausgehen würde. Ich werde Ihnen erzählen was ich auf die Zweymal gesehen habe, am liebsten aber wünsche ich daß Sie Meyern drüber hören, doch wird die ganze Untersuchung[133] vor der Erscheinung der Didaskalie nicht geschlossen werden können.

Wegen Schröders kann ich Ihnen weiter nichts sagen. Er hat sich in dieser Sache koket betragen, ohnaufgefordert einen Antrag gethan und wie man zugreifen wollte zurückgezogen. Ich nehm' es ihm nicht übel, denn jedes Handwerk hat eigne Methoden, ich kann nun aber keinen Schritt weiter thun.

Wahrscheinlich bin ich in Tagen bey Ihnen, es sollte mir lieb seyn Cotta wieder zu sehen.

Die Stelle in der Odysse scheint sich freylich auf eine der unzähligen Rhapsodien zu beziehen, aus denen nachher die beyden überbliebenen Gedichte so glücklich zusammengestellt wurden. Wahrscheinlich sind jene eben deswegen verloren gegangen weil die Ilias und Odysse in ein ganzes coalescirten. So haben wir unzählige Epigramme verloren, weil man eine Epigrammensammlung veranstaltete, so sind die Werke der alten Rechtslehre zu Grunde gegangen, weil man sie in die Pandecten digerirte u.s.w. Verzeihen sie mir diese etwas chorizontische Äußerung, doch scheint mir täglich begreiflicher wie man aus dem ungeheuren Vorrathe der rhapsodischen Genieprodukte, mit subordinirtem Talent, ja beynah blos mit Verstand, die beyden Kunstwerke die uns übrig sind zusammen stellen konnte; ja wer hindert uns anzunehmen daß diese Continuität schon durch die Forderung des Geists an den Rhapsoden im allerhöchsten [134] Grade vorbereitet gewesen, sogar will ich einmal annehmen daß man nicht alles in die Ilias und Odysse was wohl hineingepaßt hätte aufgenommen habe, daß man nicht dazu sondern davon gethan habe.

Doch das sind Meinungen über einen Gegenstand über den alle Gewißheit auf ewig verloren ist, und die Vorstellungsart die ich äußere ist mir bey meiner jetzigen Production günstig, ich muß die Ilias und Odysse in das ungeheure Dichtungsmeer mit auflösen aus dem ich schöpfen will.

Noch ein Wort wegen Schröders: nach meiner Überzeugung steht Ihr Wallenstein und seine Hierherkunft in solcher Correlation, daß man eher sagen könnte: schreiben Sie ihn so wird er kommen, als: wenn er kommt, so machen Sie ihn fertig.

Und hiermit leben Sie wohl. Es geht wieder zu einem Frühstück, morgen ist das letzte bey mir, wozu Ihre liebe Frau eingeladen ist, wenn sie zeitig kommt.

Die englische Übersetzung meiner Dorothea welche Herr Melish unternommen hat ist, wie er mir gestern sagte, fertig, er will mir die vier ersten Gesänge zeigen die er mit hat. Ich selbst kann so was gar nicht beurtheilen, ich will veranlassen daß Schlegel sie zu sehen kriegt, der das Verhältniß beyder Sprachen mehr studirt hat. Ich schließe obs gleich noch viel zu sagen giebt.

Weimar d. 2. May 1798.

G. [135]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-917A-E