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An Carl Philipp von Martius

Wenn ich aufrichtig seyn soll, theuerster Mann, so würde ich sagen, wir haben die wenigen Stunden, die uns zusammen zu seyn so glücklich gegönnt waren, nicht genug, nicht würdig genug benützt. Scherzhafte Discussionen sind zwar auch nicht zu tadeln, noch zu schelten, denn es blickt immer Ernst und Absicht durch, vielleicht kommt man auch auf diese Weise über gewisse Differenzen eher hinweg; nur fühlt ich nach Ihrer Abreise allzu sehr, daß Sie mich mit der spiralen Tendenz des Pflanzenwachsthums, der Sie[212] eine so geistreiche Entwickelung gegeben, nicht genugsam bekannt gemacht. Nach Anleitung der kleinen zurückgelassenen Skizze bin ich indessen weiter geschritten und finde die merkwürdigsten Zeugnisse und liebenswürdigsten Analogien zu dieser Ansicht, habe manches notirt, einzelnes stehen lassen, anderes zusammengereiht. Nun aber wünscht ich zu Beschleunigung meiner Forschung, daß Sie mir die Entwickelung Ihrer Gedanken auf die Weise mittheilten, wie Sie es in Berlin gethan; läßt man ja nach Tausend Nächten noch die Eine gelten, und beglücken Sie nach dreyhundert Naturforschern auch mich, als einen, der in Liebe und Leidenschaft zu diesen ewig lebenden Gegenständen niemandem nachstehen möchte.

Herr Soret von Genf, an die Erziehung unseres jungen Erbfürsten berufen, übersetzt meine Metamorphose, angeregt durch seine Landsleute, welche wie die neusten Werke des Herrn De Candolle zeugen, auch mit uns in Anerkennung der originären Identität aller, in der Erscheinung noch so mannichfaltig hervordringenden Pflanzentheile sich vereinigen. Dadurch bin ich, bey meinem letzten Aufenthalte in Dornburg, wieder so in den Strudel dieser Gestalten hineingezogen worden, daß ich fast wie jener Taucher, bey zu oft wiederholtem Versuch unterzugehen fürchten muß. Überzeugt, daß Sie mir hiebey Ihre hülfreiche Hand nicht versagen werden, wiederhol ich meine eben ausgesprochene Bitte.

[213] Da auch hiebey von einem Modell die Rede war, so würde solches gut eingepackt mit dem Postwagen, unfrankirt, zu meiner höchsten Zufriedenheit je eher je lieber anlangen. Dieß soll mir mit Ihnen, mein Werthester, eine neue mentale Geselligkeit werden, wie es jetzt schon durch die übersendete brasilianische Reise geworden ist. Bey Durchlesung derselben bin ich Ihnen immer zur Seite und freue mich so über Ausbauer als Gewandtheit bey'm Verfolgen Ihrer Zwecke. Nicht geringe Aufopferungen, fast unerträglichen Entbehren auch der nächsten Bedürfnisse und unerläßlichen Forderungen des Lebens. Aber der reichliche Gewinn, den Sie davon zurückbrachten, der sich jetzt so fruchtreich aus einander faltet, kann nicht anders als mit dankbarer Bewunderung angesehen und aufgenommen werden.

Eiligst, in Hoffnung baldigen Erwiderns.

unwandelbar

verpflichtet und verbunden

Weimar den 28. März 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Philipp von Martius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8FFE-4