6/1964.

An Samuel Thomas von Sömmerring

Daß ich Ew. Wohlgeb. so lange nicht geantwortet, daran sind die überhäuften Geschäfte Schuld, in die ich, nach meiner Rückkunft von Eisenach, versenkt gewesen. In einigen Tagen werde ich mit Durchl. dem Herzoge nach Braunschweig verreisen, und will vorher nur noch mit wenigem mich bei Ihnen in Erinnerung bringen.

Die Camperischen Tafeln haben mir viel Vergnügen gemacht, und haben mir gedient, den Elephantenschädel bei dem Abzeichnen, besonders im Profil[328] recht zu richten. Doch muß ich sagen, daß der Schädel (ich meine, der ganz von allen Muskeln und Fleisch entblößt ist), wie ihn Camper gezeichnet, wenig instructives hat; denn man bleibt über die Suturen, welche doch die Grenzen der Knochen bestimmen, in völliger Ungewißheit, und also kann man sich auch keine richtige Idee von dem einzelnen Knochen machen. Da seine Hauptabsicht die Muskeln und einige Nerven gewesen, so brauchte er freilich in dem Knochenbau nicht ganz ausführlich zu sein. Der größte Elephantenkopf, den das Museum zu Jena besitzt, ist nun schon von zwei Seiten gezeichnet, der Ihrige ist nun auch gehörig aufgestellt, und wir haben das abgesägte obere Stück so gut als möglich gewesen wieder darauf befestigt. Der junge Künstler, von dem ich Ihnen geschrieben, ist nun drüber und wird ihn in meiner Abwesenheit von vorne und von der Seite zeichnen. Ich hoffe, daß ich ihn noch einige Zeit behalten darf, um nichts zu übereilen und nach meiner Rückkunft die Vergleichung der beiden Schädel mit Muse anstellen zu können. Von den Suturen, die am äußerlichen Schädel erscheinen, fehlen mir nur noch wenige, die übrigen habe ich schon ausgekundschaftet. Wenn ich ihn, von so viel Seiten als nöthig sein will, gezeichnet besitzen werde, wird es alsdann darauf ankommen, welche zu Ihrer Absicht am meisten taugt. Gegenwärtig lasse ich ihn zu einem Viertel verkleinert zeichnen, eine Größe, in welcher sich noch[329] alles recht deutlich erkennen läßt. Die Zeichnungen werden nach der Camperischen Methode gemacht, deren Vortheile in wissenschaftlichen Nachbildungen ganz besonders sind, wenn man sich nur erst darin zu schicken weiß.

Soll ich von denen mir mitgetheilten Sachen einen öffentlichen Gebrauch machen, so werde ich es gewiß auf die Weise thun, welche Sie wünschen und ich für gerecht und billig halte. Wollten Sie mir ein Verzeichniß der Schädel schicken, die Sie mir zum Vergleichen könnten zukommen lassen so geschähe mir ein großer Gefallen. Ich habe selbst schon eine ganz hübsche Sammlung woran denn doch noch freilich manches abgeht. An dem Schädel einer Myrmekophaga, Manis, eines Dasypus wäre mir viel gelegen. Den letzten habe ich besessen, er ist mir aber verlegt worden, und ich weiß nicht wohin er gekommen. Merck muß nun wohl wieder zu Hause sein. Ich habe zwei Briefe von ihm, die er unterwegs geschrieben hat und die voll von Verehrung gegen Campern sind. Er hat nicht Worte genug sein Entzücken über diesen vortrefflichen Mann auszusprechen. Leben Sie wohl, behalten mich in gutem Andenken und geben mir ja Nachricht, wenn eine Veränderung mit Ihrem Schicksale vorgehen sollte.

Weimar den 5. Aug. 1784.

Goethe. [330]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Samuel Thomas von Sömmerring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A9A-E