6/1958.

An Charlotte von Stein

[Eisenach] d. 4. Jul. 84.

Schon vier Tage war ich genötigt meist Mittag und Nachts zu Tische zu seyn ein verdorbner Magen, und weniger heitre Sinne sind alles was ich davon habe, es geht zum Ende und ich will herzlich froh seyn wenn noch einige Sachen abgethan sind daß ich in die Gebürge gehn und alsdenn zu dir eilen kann.

Dein Nahme deine Briefe, iede Erinnerung lockt mich zu dir. Ich habe wenig gesellschafftlichen Sinn und du hast mich noch über dies von allem abgezogen, und wenn ich mit Frauens bin leb ich immer in Vergleichung. Jedes kleine Intresse wird verschlungen sobald ich meine Augen nach dir wende.


Abends.

Meine Feder versagt mir dir zu schreiben daß Osann so kranck ist, ich habe dirs in keinem Briefe sagen können du wirst es wissen. Ich kan in kein [320] Detail gehn. Heute Abend sieht es mißlicher aus als iemals. Es ist eine Verknüpfung von Umständen die fataler ist als ich einen Fall kenne.


d. 7. Jul.

Osann ist todt, du kannst dencken wie lahm uns dieser Fall macht. Die glücklichen Veränderungen seines Zustandes folgten zu schnell auf einander, sie haben ihn erdrückt. Seine übermäsige Praxis in Göttingen, seine Heurath, sein Ruf in unsre Dienste, sein Abschied von seinen Krancken, seine schnelle Forderung hierher! Er brachte eine kranke Anlage mit, genierte sich hier so lang es möglich war, wollte es zwingen und unternahm eine heftige Cur, das Hofleben, Hofessen hat ihm völlig den Garaus gemacht und so sind die Blüten unserer heilsamen Hoffnungen gepflückt und der alte verwaiste dürre Stock steht noch. Der arme Alte iammert mich. Wie sehr es mich auch um deintwillen schmerzt, er wollte noch an dich schreiben. Wir haben alle für uns und die unsrigen verlohren, die Herzoginn am meisten.

Ich erhalte deinen letzten Brief, er macht mich betrübt. Glaubst du daß meine Sehnsucht nach dir in der Ferne sich verlieren oder vermindern könnte. Wo ist irgend etwas zu finden, das deiner Liebe gleicht.

Die Artigkeit, Anmuth, Gefälligkeit der Frauen die ich hier sehe, selbst ihre anscheinende Neigungen, sie tragen alle die Zeichen der Vergänglichkeit an der[321] Stirne, nur du bist auf der beweglichen Erde bleibend und ich bleibe dir.

Wenn du diesen Brief erhältst; so schicke keine mehr an mich ab, allenfalls nur nach Weimar. Ich habe grose Lust gleich von Erfurt reitend zu dir zu kommen. weis aber noch nicht wie es am besten seyn wird.

Auch in der Art wie du die Hochberger Wirthschafft angreiffst lieb ich dich aufs neue. Was kannst du thun worinne nicht dein köstliches Wesen erscheine.

Der Geh. Leg. Rath Schmidt hat eine Stimme im geheimen Conseil bekommen wodurch ich auch sehr erleichtert werde, indessen ist das Leben für den der etwas vernünftiges und planmäsiges drinne sucht immer eine wunderliche Aufgabe.

Ich wünsche dir herzlich wohl zu leben. Erfreue mich des Wiedersehns, und wenn ich gleich diesen Sommer noch viel schwärmen muß; so wird uns doch der Winter wieder zusammenbringen und uns gute Tage bereiten.

Lebe wohl ich rede manchmal mit Stein von seiner Wirthschafft, und bin neugierig zu hören was du mir erzählen wirst.

Fritz ist sehr vergnügt sein Vater hat ihm wieder einmal die Haare abschneiden lassen das ihm ein albern Aussehn giebt.

Lebe wohl, balde balde erscheint mir der glückliche Tag da ich dich wiedersehe.

[322] Man hält mich hier und wird mich nicht halten.

Noch einmal Adieu, wie freu ich mich daß ich so bin daß du mich lieben kannst.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-847A-8