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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

Ew. Hochwohlgeboren

haben mich die Zeit her mit so mancherlei Gutem heimgesucht, daß ich kaum zur Erinnerung bringe, wofür ich alles zu danken habe. Als Entschuldigung jedoch wäre gar Verschiedenes anzuführen.

Die Ausgabe meiner Werke gibt mir in diesem Augenblick viel Beschäftigung; die Sorge, ein würdiges[121] Exemplar dem Abdrucke zu bereiten, ist nicht gering, wenn sie mir schon von trefflichen Philologen und Grammatikern genugsam erleichtert wird. Die äußern Unterhandlungen in dieser wichtigen Angelegenheit und die Bemühung endlich die mir gnädigst von den teutschen Herrschern zugedachte Auszeichnung eines allgemeinen Privilegiums im Einzelnen bewirkt zu sehen, heischt gar mannichfache Schritte.

Oben an jedoch sollte ich unsere Festlichkeiten stellen, Feyertage, die der Mensch nur Einmal erlebt. Ein Regierungs-Jubiläum verknüpft mit einer goldnen Hochzeit beides ganz nahe vor dem 14. October gefeyert, wo die reinste, so lange im Stillen gehegte Dankbarkeit an's Licht zu treten sich nicht verwehren konnte. Lassen Sie die beykommenden metallenen Zeugnisse sich das Übrige andeuten. Auch habe ich deshalb nur Ihre Einleitung zu Brown lesen können, wofür ich von meiner Seite zum allerschönsten danke; in das Einzelne der Erfahrung wage ich keinen Blick, da Sie mich über die Richtung des Ganzen aufgeklärt haben. Und so erweitert sich denn das Wissen immer mehr, die Wissenschaft ordnet sich, Eins bietet dem Andern willig die Hand; hiernach werden denn fähige klare Geister in der Folge sich nicht über ihre Vorgänger zu beschweren haben. Ich wünschte nichts mehr, als daß wir unsere eignen Schüler seyn könnten.

Höchstmerkwürdig war mir vor einigen Wochen der Besuch von Herrn Professor Gruithausen. Auch[122] hier bewahrheitete sich die alte Lehre, daß ein ächtes Verhältniß nur persönlich seyn kann. Was in der Ferne meiner Vorstellung als Wahrheit oder Irrthum erscheint, zeigt die Gegenwart als in Einer Individualität vereinigt; wir wissen alles zurecht zu legen, oder vielmehr, es legt sich alles von selbst zurechte. Bey dem grundguten Gruithausen ward mir die Operation der Ausgleichung nicht schwer. Die makro- und mikromegischen Beobachtungen wichtiger Gegenstände, begünstigt durch ein scharfes Organ, unterstützt durch hochverbesserte Werkzeuge, sind aller Aufmerksamkeit, aller Schätzung werth. Man nehme die ältern Mondcharten vor sich und sehe die Stufenfolge der Deutlichkeit bis in das Einzelne der Zeichnungen und lithographirten Blätter des genannten Freundes, so wird man freudig erstaunen und ihm gern erlauben, sich Vorstellungen zu machen die ihm zu fernerem Streben Lust und Muth erneuen. Seine Beharrlichkeit am Gegenstande bewährt sich sodann auch noch an manchen andern erfreulichen Entdeckungen im großen Naturfelde; und da war ihm denn die Freude wohl zu gönnen, daß man in Jena, kurz vor seiner Ankunft, sie nicht ahnend, in einer academischen Schrift ihm die Priorität einer seiner frühern Entdeckungen wieder vindicirt hatte.

Und nun sollte ich Ew. Hochwohlgeboren für gar mannichfaltig bisher Gesendetes meinen schönsten Dank abtragen; doch geschehe dieß alles in freundlichster [123] Anerkennung des zuletzt anher Gesendeten, der weitern Behandlung der von mir angedeuteten regelmäßigen Verstäubung einer ablebenden Fliege.

Wir dürfen wohl so sagen, da man ja aus der Verwesung, auf seltsame Weise in Fort- und Fortleben abzuleiten getrachtet hat. Aber höchstmerkwürdig bleibt es hier, daß eben dieses Ableben diese eintretende Herrschaft der Elemente, die auf Zerstörung des Individuums hinausgeht, sich energisch durch Elasticität offenbart, und daß die sich entwickelnde aura sich wieder entschieden gestaltet! Eine solche abermalige Erscheinung möchte denn doch der Hylozoist zur Entschuldigung anführen.

Bey dieser Gelegenheit schien mir auch die Betrachtung merkwürdig, daß das Insect indem es seiner Zerstörung entgegengeht, sich an Fensterscheiben, oder auch erhellten Plätzen anheftet, da es sich sonst, indem es seiner Lebensentwickelung entgegenreift, immer in's düstere Dunkele zurückzieht und seine Vollendung erwartet.

Was mir hierbey leid thut, ist, daß mir unter gegenwärtigen Umständen den morphologischen Heft herauszugeben schwer würde. Manches dazu ist gesammelt, aber ich habe noch viel Anderes wegzuarbeiten. Sollten Sie es jedoch nicht in den Acten brauchen wollen, so lassen Sie mich es zu jenem Zweck aufheben.

Recht Schade ist es daß der schöne Gedanke, den Sie äußern, zu jener Festepoche nicht realisirt werden [124] konnte; ich wünschte es längst; denn fürwahr! es ist immer schön und schmeichelhaft, unter den Sternen der Erde (um mit den Spaniern zu sprechen) einen anmuthigen Platz zu finden. Es hat mich immer gefreut, den König Alfons unter den Mondringen zu treffen.

Übrigens bin ich leider, wie schon geklagt, in mehr als einem Sinne von der Naturanschauung getrennt. Schon zwey Sommer war ich vom Reisen abgehalten; die Unbequemlichkeit meiner jenaischen Wohnung und Studenteneinrichtung überträgt das Alter nicht mehr, und so entbehr ich der nothwendigsten Anregungen; sogar scheue ich mich vor den Belvedere'schen abwechselnden Climaten; doch kommen manchmal die merkwürdigsten Blumen durch die Gunst unsrer hohen Botanophilen mir auf's Zimmer.

In beyliegendem versiegelten Papiere finden Sie den leidigsten Beweis des Hylozoismus, ich sage Beweis, wenn man sich nicht scheuen sollte, etwas so Unerfreuliches zur Gewißheit zu bringen. Schließen Sie es an Ihre frühern Betrachtungen an und gönnen ihm einige mikroscopische Blicke.

(Vorstehendes, als mit gegenwärtiger Sendung unverträglich, erscheint nächstens begleitet von verwandten Dingen.)

Vorstehendes war schon vor einiger Zeit geschrieben und sollte fortgesetzt werden. Nun überfüllt mich der [125] 7. November unerwartet mit überschwänglicher Ehre und Freude. Ew. Hochwohlgeboren darf ich unter diejenigen zählen, die mir solches Glück von Herzen gönnen und die ich auch deshalb als gegenwärtige Theilnehmer gewünscht hätte. Erhalten Sie, in dieser für mich neuen Aera, die Gunst der, früheren und regen mich von Zeit zu Zeit auf damit ich meine Blicke in das Reich der Natur und in jene herrliche Fluß-Region mit neuem Antheil hinwende. Herrn d'Alton meine besten Grüße und Dank für das Übersendete; ich hoffe bald wieder so glücklich zu seyn, meine Wirkung in die Ferne richten zu können.

unwandelbar

Weimar den 13. November 1825.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E88-4