6/1942.

An Charlotte von Stein

Eisenach d. 7. Jun. 84.

In Gotha ist es mir recht gut gegangen, und es hat mir sehr wohl gethan meine Seele auch nur auf einige Tage ausgespannt zu haben. Einigemal überfiel mich ein recht schmerzliches Verlangen nach dir, und nahm mir den Genuß des gegenwärtigen Guten.

[287] Hier habe ich's gefunden wie es zu erwarten war. Die Hofleute klagen über Langweile, über stehen, geben, fahren, Staub, Hitze, Berge u.s.w. Loben die Gegend auserordentlich und haben keinen Genuß davon. Die Herzoginn sieht munter und ist von den Menschen sekkirt. Der Herzog streicht in der Gegend herum pp.

Ich bin mit der grösten Gelassenheit angelangt und werde alles eben so gleichmütig abwarten. Wie unterschieden von dem Törigen dunckeln Streben und Suchen vor vier Jahren, ob ich gleich manche anmuthige Empfindung voriger Zeiten vermisse.

Die Berge und Klüffte versprechen mir viel Unterhaltung, sie sehen mir zwar nicht mehr so mahlerisch und poetisch aus, doch ist's eine andre Art Mahlerey und Poesie womit ich sie ietzt besteige.

Voigt ist hier und macht meinen Vorläufen damit ich nur interessante Stellen besuche.

Die Fürsten haben sich besprochen auf dem Inselsberg zusammen zu kommen, ich werde mich mit einer besondern kleinen Gesellschafft gleichfalls dort einfinden.

Zu meiner grosen Freude ist der Elephanten Schädel von Cassel hier angekommen und was ich suche ist über meine Erwartung daran sichtbar. Ich halte ihn im innersten Zimmergen versteckt damit man mich nicht für toll halte. Meine Hauswirthinn glaubt es sey Porzellan in der ungeheuren Kiste.

Wir sind sehr schön und bequem einquartirt. Fritz[288] ist sehr vergnügt und wohl. Die Prinzen haben ihm in Gotha einen grosen Drachen geschenckt den wir in dem Wagen mit nahmen.

Zum Schrecken aller wohlgesinnten geht die Rede als sollten die Memoires des Voltaire von denen ich schrieb gedruckt werden, mir macht es ein groses Vergnügen damit du sie lesen kannst. Ich soll eins der ersten Exemplare erhalten und ich schicke dir es gleich.

Du wirst finden, es ist als wenn ein Gott (etwa Momus) aber eine Canaille von einem Gotte, über einen König und über das Hohe der Welt schriebe. Dies ist überhaupt der Charackter aller Voltairischen Witz Produckte, der bey diesen Bogen recht auffällt. Kein menschlicher Blutstropfe, kein Funcke Mitgefühl, und Honettetät. Dagegen eine Leichtigkeit, Höhe des Geistes, Sicherheit die entzücken. Ich sage Höhe des Geistes nicht Hoheit. Man kan ihn einem Luftballon vergleichen der sich durch eine eigne Luftart über alles wegschwingt und da Flächen unter sich sieht, wo wir Berge sehn.

Lebe wohl liebe Lotte. einige Stunden werden nun aus Pflicht verdorben dann hoffe ich gegen Abend einen anmutigen Spaziergang, wo ich dein mehr gedencken werde als mir gut ist.

Du fühlst doch wie ich dich liebe.

Jeder Buchstabe dieses Briefs wird dir es sagen.


[289] Abends.

Ein Tag vorbey! Wie? das wirst du fühlen wenn du dich der letzten glücklichen Zeiten erinnerst, die wir nie so schön zusammen zubrachten. Gute Nacht.


d. 7. Jun. Nachts.

Eh ich zu Bette gehe muß ich mich noch einige Augenblicke mit dir unterhalten ob ich dir schon auf dem vorigen Blatte gute Nacht gesagt habe. Es thut mir so ungewohnt daß ich dir nicht alle meine Gedancken entdecken und mittheilen kann.

Einige Neuigkeiten.

Osann fordert nicht weniger als 800 rh., eine Pension für seine Frau auf den Fall seines Ablebens von 200 rh., für den iungen Hufland auch etwas pp. In so fern es wieder über die Caffe geht ärgerts mich, wenn ich's gleich im Grunde billigen muß, denn ein alter Leibmedikus wäre Streiche werth wenn er nicht wüßte daß man zur rechten Zeit keine Bedingungen machen, das Eisen schmieden muß wenn es warm ist. Bleiben sie auf ihren Forderungen; so werden sie ihnen wahrscheinlich zugestanden, überlassen sie es der Diskretion und gehn auf ein unbedingt Versprechen von künftiger Verbesserung ein; so findet sich nie, oder doch so leicht nicht der Terminus a quo da man glaubt es ihnen geben zu können.

Gegen Abend fing ich einen Spaziergang nach alter Art an, gerade zu über Zäune Hohlweege, [290] Thäler und Felsen, ein Regen hies mich abbrechen, ich that es gern da er der Erde so erwünscht kommt.

Ein schön Mineralienkabinet bey Appelius habe ich gesehn! Nur einen Teil. Es sind schöne Sachen darinne die ich noch nicht kannte. Es wird mich noch manchmal unterhalten.

Sodann habe ich den grosen Schädel zu studiren angefangen und finde mehr als mir lieb ist, wieder neues und neues, und doch studirt man darum die Natur. Nun im Ernste gute Nacht du beste einzige.


d. 8. Jun. Abends.

Deine lieben Briefe sind angekommen, und ach ich bin deiner Gegenwart so gewohnt daß sie mir kalt vorkamen, daß ich erst wieder mich gewöhnen musste deiner Handschrifft eben den Sinn zu geben den die Worte von deinen Lippen haben.

Schreibe mir ia recht fleisig und viel.

Wir haben einen Improvisatore hier gehabt, den ich nur kurz gehört habe, er macht seine Sachen recht gut, ich hätte gewünscht ihn länger und in seinem Glanze zu sehen.

Deinen Ring hatte ich in Gotha angesteckt, und die Leute konnten glauben ich freute mich darüber als Kleinod. Es war dein lieber Buchstabe meine Lotte der meine Lust und mein Stolz war. Hier muß ich ihn verborgen halten und mein alter gewohnter Gefährte fehlt mir auch.

[291] Wenn ich dich in Kochberg dencke wie sehr wünsche ich bey dir zu seyn! Wie sehr würde ich mich freuen dich zu unterhalten und dir tausend Gedancken mitzutheilen.

Sehr wohl habe ich auf unsern letzten Spaziergängen gefühlt wie schlecht ich deine Abwesenheit würde ertragen können. Schon heute hab ich Projeckte gemacht ob es nicht möglich sey dich auf einen Tag zu besuchen. Dann habe ich mich gescholten daß ich dich nicht beredet mit hierher zu gehn und finde daß es so schön angegangen wäre, daß es so natürlich gewesen wäre.

Tausendmal Adieu. Ich bin mehr als iemals dein.

Fritz streift herum. Dieser Aufenthalt wird ihn sehr bilden helfen, nochmals lebewohl, du weist wie ich nicht von dir kann. Mein Herz lässt keinen Augenblick von dir. Adieu

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7916-0