10/2953.

An Christian Gottlob Voigt

Verdün d. 10. Octbr. 92.

Daß unser Kriegsstern rückgängig ist werden Sie wissen. Ihr Fragezeichen vor ?Chaalons war wohl angebracht, ich erhielt Ihren lieben Brief bey Dun auf unsrem Rückmarsche.

Es läßt sich viel über das alles sagen, es wird viel gesagt werden, und doch wird ein großer Theil dieser sonderbaren Geschichte ein Geheimniß bleiben.

Von den Hindernissen die durch Wittrung und Wege entstanden sind hat niemand einen Begriff als wer mitgelitten hat. Wir haben in diesen sechs Wochen mehr Mühseligkeit, Noth, Sorge, Elend, Gefahr ausgestanden und gesehen als in unserm ganzen Leben. Der Herzog ist recht wohl und ich habe mich auch gut gehalten.

Für Ihre Briefe dancke ich recht herzlich, sie haben mir in verdrüßlichen Stunden eine gute Unterhaltung gegeben, sie haben mich von dem Anteil der hinterlassnen Freunde überzeugt, sie haben mir die Geschäffte die mich interessiren gegenwärtig gehalten. Besonders hat mich der Ahndungs und Traumgeist unserer Freundinnen sehr gefreut und ich muß gestehen daß in Momenten wo soviel auf dem Spiele steht mancher selbst unter uns in dem Falle war von der Philosophie zum Glauben überzugehen. Der gemeine[32] Mann wenigstens konnte das üble Wetter nur einem französchen Daimon zuschreiben.


Luxenburg d. 15. Octbr.

Ich hatte mich ganz ruhig in Verdün niedergelassen und hoffte einige Tage auszuruhen, mich zu trocknen und die Krancken zu pflegen die ich mit mir hatte als wir auf einmal ausgeboten wurden und d. 11. früh Verdün verlassen mußten. Ich bedaure die unglücklichen Einwohner wenn sie ohne Capitulation wieder in die Hände der Patrioten kommen sollten. Die Chaussee von Verdün hierher ist meist so zu Grunde gerichtet, daß man nicht begreift wie Menschen und Wagen durchkommen wollen. Die Armee ist noch zurück, sie wird sich aus Franckreich ziehen, die Emigrirten sind meist schon heraus und werden Deutschland wieder überschwemmen. Die Prinzen waren in Arlon als ich durchging. Dieser Feldzug wird als eine der unglücklichsten Unternehmungen in den Jahrbüchern der Welt eine traurige Gestalt machen.

Ich hoffe Ihnen bald von Franckfurt zu schreiben und mit mehr Ruhe und Fassung, ich hoffe bald bey Ihnen zu seyn und mich mit Ihnen wie sonst zu unterhalten. Zum Ilmenauer Flöz können wir uns Glück wünschen wenn auch gleich das Geschäft gleichsam von vorne angeht. Ich hätte kaum geglaubt daß wir diesen Punckt eher als die Preußen Paris erreichen sollten.

[33] Der Herzog ist nicht abgeneigt Titeln einrücken zu lassen, es war nur nicht möglich in diesen Momenten etwas bestimmteres zu vernehmen. Wir sind alle gewiß vor Weynachten zu Hauße und da wird sich manches machen lassen.

Verzeichen Sie wenn ich so konfuses Nichts vorbringe. Jetzt da ich einige Tage geruht habe fühle ich erst wie ich an Leib und Seele zerschlagen und zerstoßen bin.

Helmershaußen ist ja wohl ausgezogen und die meinigen völlig im Bestitze des Quartiers. Haben Sie die Güte Ihre Hand nicht abzuziehen. Ich hoffe zu Ende dieses Monats in Franckfurt und in der Hälfte des nächsten in Weimar zu seyn.

Es wäre schön wenn es uns mit Lobeda reüissirte. Sie sollten Sich der ruhigen Wohnung oft genug mit mir freuen. Nach Empfang dieses Briefs schreiben Sie mir nicht eher biß Sie von Franckfurt einen erhalten. Empfehlen Sie mich den Ihrigen und Bohls. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft. Empfehlen Sie mich den Herrn Geheimeräthen und gratuliren Herrn v. Fritsch zu der Ehre die sich sein Herr Sohn erworben.

Noch ein Wort!

Ich habe mit Betrübniß gesehen daß das Geheime Conseil unbewunden diesen Krieg für einen Reichskrieg erklärt hat. Wir werden also auch mit der Heerde ins Verderben rennen – Europa braucht einen 30 jährigen [34] Krieg um einzusehen was 1792 vernünftig gewesen wäre.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1792. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7731-F