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An Johann Jakob Riese

Leipzig, d. 30ten Octbr. 1765.
Lieber Riese.

Euer Brief vom 27ten der mich äuserst vergnügt hat, ist mir eben zugestellet worden. Die Versicherung daß ihr mich liebt, und daß euch meine Entfernung leid ist, würde mir mehr Zufriedenheit erweckt haben; wenn sie nicht in einem so fremden Tone geschrieben wäre. Sie! Sie! das lautet meinen Ohren so unerträglich, zumahl von meinen liebsten Freunden, daß ich es nicht sagen kann. Horn hat es auch so gemacht, ich habe mit ihm gekeift. Fast hatte ich Lust, mit euch auch zu keifen. Doch! Transeat! Wenn ihr es nur nicht wieder tuht. –

Ich lebe hier recht zufrieden. Ihr könnt es aus beiliegendem Briefe sehen, der schon lange geschrieben ist; ihr würdet ihn schon längst haben; wenn Horn nicht vergessen hätte mir eure Adresse zu senden. Die Beschreibung von Marpurg ist recht komisch.

Das beste Trauerspiel Mädgen sah ich nicht mehr. Wenn ihr nicht noch vor eurer Abreise erfahret was sie von Belsazar denkt; so bleibt mein Schicksal unentschieden. Es fehlt sehr wenig; so ist der Fünfte Aufzug fertig. In 5füßigen Jamben.


Die Versart, die dem Mädgen wohl gefiel
der ich allein, Freund zu gefallen wünschte.
[16] Sie Versart, die der große Schlegel selbst
und meist die Kritiker für's Trauerspiel
die schicklichste und die beqemste halten.
Die Versart, die den meisten nicht gefällt,
Den Meisten deren Ohr sechsfüßige
Alexandriner noch gewohnt. Freund, die,
die ist's die ich erwählt mein Trauerspiel
zu enden. Doch was schreib ich viel davon
Die Ohren gällten dir gar manchesmahl,
von meinen Versen wieder drum mein Freund,
Erzähl ich dir was angenehmres.
Ich schaute Gellerten, Gottscheden auch
und eile jetzt sie treu dir zu beschreiben.
Gottsched ein Mann so groß alß wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja so sieht er aus und seines Cörperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.
Wollt ich recht ihn beschreiben; so müßt ich mit einem Exempel
Seine Gestalt dir vergleichen, doch dieses wäre vergebens.
Wandeltest du geliebter auch gleich durch Länder und Länder
Von dem Anfang herauf biß zu den Untergang nieder,
Würdest du dennoch nicht einen der Gottscheden ähnlichte finden.
Lange hab ich gedacht und endlich Mittel gefunden
Dir ihn zu beschreiben doch lache nicht meiner, Geliebter.
Humano capiti, cervicem jungens equinam
Derisus a Flacco non sine jure fuit.
Hinc ego Kölbeliis imponens pedibus magnis,
Immane corpus crafsasque scapulas Augsti. 1
Et magna, magni, brachiaque manusque Rolandi,
[17] Addensque tumidum morosi Rostii 2 caput.
Ridebor forsan? Ne rideatis amici.
Dieß ist das wahre Bild von diesem großen Mann,
So gut als ich es nur durchs Beyspiel geben kann.
Nun nimm geliebter Freund die jetzt beschriebnen Stücke
So zeiget glaub es mir sich Gottsched deinem Blicke.
Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es dir gestehn.
Es ist sein Fürtag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er steets prahlend spricht.
Genug er sagte viel von seinem Kabinette
Wie vieles Geld ihn das und jen's gekostet hätte.

Und andre Dinge mehr, genug mein Freund. Ich muß schließen. Du weißt doch er hat eine Frau. Er hat wieder geheurathet, der alte Bock! Ganz Leipzig verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um.

Apropos. Hast du nicht gehört? Der Hofraht beklagt sich über den Mangel der Mädgen zu Göttingen.


Zu was will er ein Mädchen?

Um die retohrischen Figuren auszuüben
Und nach der neuesten Art recht hübnerisch zu lieben
Zu sehn ob die Protase ein hartes Herz erweicht.
Zu sehn ob man durch Reglen der Liebe Zweck erreicht
Zu sehn ob Mimesis, die Ploce, die Sarkasmen
So voller Reitzung sind wie Neukirchs Pleonasmen
Und ob er in dem Tohne, wie er den Ulfo singt,
Mit des Corvinus Versen, das Herz der Schönen zwingt.
[18] Und ob – Mein Blat ist voll ich werde schließen müssen.
Die Mädgen eurer Stadt und Kehren sollt ihr grüßen.
d. 6. Nov. 1765.

Goethe.


Note:

1 Du kennst ihn doch? den dicken Schornsteinfeger.

Note:

2 Du wirst dich noch des Fuchsens Vater erinnern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1765. An Johann Jakob Riese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-75B3-E