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An Carl Ernst Schubarth

Ihre liebe Sendung vom 10. May begrüßte mich bey meiner Rückkunft aus Carlsbad, zu Anfang Juni; da ich nun seit dieser Zeit her mich wieder eingerichtet, die Lücke meiner Abwesenheit hergestellt, Öffentliches und Eigenes zu beleben gesucht, so hab ich seit mehreren Abenden und Nächten mich Ihrem freundlich gesinnten Werk überlassen. Da geht es mir denn wunderlich genug, denn, als wenn ich durch einen Doppelspath hindurchsähe, werd ich zwey Bilder meiner Persönlichkeit gewahr, die ich kaum zu unterscheiden weiß, welches das ursprüngliche und welches das abgeleitete sey. Für jenes mögen meine Werke, für dieses Ihre Auslegung gelten.

Ich danke Ihnen gegenwärtig nur mit wenigen Worten: manchmal war ich aufgeregt, bey einzelnen Stellen meinen motivirten Beyfall aufzuschreiben; allein das führt zu weit, und mancher Brief ist bey mir liegen geblieben, weil ich zu weit ausgeholt hatte. Nehmen Sie also meine Beystimmung im Ganzen [99] freundlich auf; denn nicht allein coincidirt das Meiste mit meiner eigensten Vorstellung, sondern auch da, wo Sie an mir auszusetzen haben, wo Sie mir widersprechen, würde sich mit wenigen Worten eine Gleichförmigkeit herstellen.

Hie und da kömmt ein Periode vor, in den ich mich nicht zu finden weiß; einen haben Sie am Schlusse selbst umgeschrieben. Es ist schwer in einem solchen Falle sich selbst und andern durchaus genug zu thun: denn indem Sie, genau besehen, mit der Majorität Ihrer Zeitgenossen zu meinen Gunsten controvertiren, so haben Sie den schlimmen Stand, mit aller Einfalt abstrus zu seyn, indessen andere sich phrasenhaft bequem abzufinden wissen.

Wie viel Dank ich Ihrer Bemühung schuldig bin, werden Sie selbst immer mehr ermessen, je mehr Ihnen, bey Ihrer Neigung zu mir, nach und nach im letzten Detail deutlich wird, wie ich mein Leben aufgeben mußte, um zu seyn, wie ich den Augenblick aufgeben mußte, um nach Jahren des Guten zu genießen, was der Mensch so gern täglich von Hand zu Mund nehmen möchte, der Zustimmung mein ich, des Beyfalls.

Lassen Sie sich nicht entgehen, daß Mitlebende, von den verschiedensten Richtungen, unter sich Todfeinde, darin conspirirten, meine lebendige Wirkung im Augenblicke zu lähmen. Ich habe dabey nichts verloren, und meine jüngeren und künftigen Freunde[100] auch nichts; ich ward, in mich zurückgedrängt, immer intensiver, und so hab ich mich bis an den heutigen Tag gewöhnt, nur vorzuarbeiten, unbesorgt wie und wo das wirken könne.

Hieraus werden Sie leicht ermessen, daß ich Ihren zweyten Theil mit Ungeduld erwarte, damit er mich noch ganz von dem Interesse des ersten warm finde: denn der Fluß Lethe, der uns hinwegspülen soll, spült uns immer mehr an; weder günstige noch ungünstige Stimmung klingt so lange nach als in früheren Zeiten.


Nachschrift.

Daß Sie dem Fürsten Hardenberg Ihre Arbeit zusenden, find ich natürlich, ja nothwendig; ich stehe mit diesem wichtigen Manne, als alter Universitätsgeselle, in einem freundlichen Verhältniß und habe einige wohlmeinende Worte zu seinem erst jetzt gefeierten Geburtsfeste gesagt. Es wäre nicht unmöglich, daß ich gelegentlich irgend etwas zu Ihren Gunsten könnte einfließen lassen, ohne daß es eine directe Empfehlung wäre. Mit dem Ministerium des Innern steh ich in näherm Verhältniß und ergreife schon diese Tage eine Gelegenheit, Ihrer mit Antheil zu gedenken.

Meine Hefte Kunst und Alterthum und Zur Naturwissenschaft kommen Ihnen ja wohl in die Hand; gönnen Sie auch diesem Ihre Aufmerksamkeit, [101] ich hoffe, Sie werden nichts darinnen finden, was Ihrer früher gefaßten Ideen widerspräche. Schreiben Sie mir öfter: hora ruit!

treulichst

Jena den 9. Juli 1820.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Ernst Schubarth. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-74F1-6