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An Carl Friedrich Zelter

Wenn ich dir, mein Guter, vermelden kann, daß ich die beiden artigen Blättchen tirolischen, mit schicklichen Bildern geschmückten Gesanges gleichfalls besitze, so kann ich noch hinzufügen: daß derselbige junge Künstler, Namens Neureuther, mehrere meiner Balladen gleichfalls mit solchen anmuthigen Randglossen geschmückt hat. Diese Nachricht wird dir angenehm seyn, angenehmer aber dereinst die Beschauung jener Arbeiten, welche das Geistreichste und Gehörigste sind, was mir seit langer Zeit vorkam.

Er ist durch die Handzeichnungen Albrecht Dürers zu jenem münchenischen Gebetbuche, welche dir durch Strixners Lithographie wohl bekannt geworden, auf diesen Gedanken gekommen, hat sich aber der hier geltenden Verfahrungsweise zum Erstaunen bemächtigt und bedient sich derselben mit bewunderndswürdiger Freyheit und Reinheit.

Ich sende so eben die Zeichnungen zurück und wünsche nun, daß sie so zart, bedeutend und zierlich mögen auf den Stein übertragen werden. Herr v. Cotta übernimmt den Verlag, wie ich weiß, sehr gern, und so werden dir diese erquicklichen Bilder zu guter Stunde auch wohl die Augen kommen.

Daß ein wackerer Enkel eine Familienlücke so glücklich ausfüllt, freut mich gar sehr. Das kleine[36] Volk im zweyten Grade hat etwas eigen Anmuthiges und Gefälliges. Unseres Mädchens erster Jahrestag ward heute gefeyert. Es scheint auch recht weiblich einzuschlagen. Sie ist hübsch und mit Eigenheiten genugsam begabt.

Ich beschäftige mich nun mit den Wanderjahren, welche zunächst zum Drucke hineilen, indem sie zur fünften Lieferung gehören; sie werden euch zu denken geben, und das ist's doch eigentlich, worauf es ankommt. Die vierte Lieferung, welche im Laufe des Monats November ausgegeben wird, enthält nichts Neues für meine alten Leser und Gönner; indessen wird der Inhalt manchen, dem das alles noch unbekannt war, erreichen und hoffentlich festhalten. Zwar ist die Lesewelt so zerstreut, abgestumpft und selbstthätig, daß man mehr als jemals Ursache hat auf die Nachwelt zu vertrauen.

Da du doch einmal das Theater nicht los wirst, so ergetze dich daran, wie es gehen will, aber werde ja nicht mild im Urtheil. Was ist das Herrliche der Vorzeit, wenn sich das Richtige des Tages aufdringen will, weil es für dießmal das Privilegium hat gegenwärtig und lebendig zu seyn.

Dieser gute Öhlenschläger hat mir persönlich viel Noth gemacht; er wollte mir ein und allemal, aus Italien zurückekehrend, diesen Correggio vorlesen, welches ich hartnäckig verweigerte, dagegen mich erbot, das Stück für mich, im Stillen vorzunehmen; worüber[37] er so außer sich gerieth, daß er sich am Schluß noch ganz verrückt betrug. Wie ich denn überhaupt von diesem Gezücht viel auszustehn hatte.

Er ist einer von den Halben, die sich für ganz halten und für etwas drüber. Diese Nordsöhne gehen nach Italien und bringen's doch nicht weiter, als ihren Bären auf die Hinterfüße zu stellen; und wenn er einigermaßen tanzen lernt, dann meynen sie, das sey das Rechte.

Übrigens kommt mir von allen Seiten mancherley Gutes zu, obgleich weniges, was so rein aus der Quelle flösse als Neureuthers Arabesken. Es sind wieder Tiroler hier; ich will mir doch jene Liedchen vorsingen lassen, ob ich gleich das beliebte Jodeln nur im Freyen oder in großen Räumen erträglich finde.

Das offenbare Geheimniß einer bevorstehenden Vermählung wird noch immer bey uns gehegt und verpflegt, indessen es doch bald in's helle Tageslicht hervordringen.

Von den zurückkehrenden Naturforschern habe ich manche bedeutende Unterhaltung genossen. Genau aber besehen bleibt es immer eine entschiedene Wahrheit: was ich recht weiß, weiß ich eigentlich nur mir selbst; sobald ich damit hervortrete, rückt mir sogleich Bedingung, Bestimmung, Widerrede auf den Hals. Dieß begegnet dir mehr als mir, da du mit Menschen aller Art umgehst und in Verhältniß kommst; und doch besucht mich die Widerrede im eignen Hause eben [38] so gewiß, als wenn ich sie auf dem Markt aufsuchte. Das Sicherste bleibt immer, daß wir alles, was in und an uns ist, in That zu verwandeln suchen; darüber mögen denn die andern, wie sie wollen und können, reden und verhandeln. Mit 8 bis 9 Linien über 27 Zoll Barometerstand ging in der Nacht ein recht ordentlicher Schnee nieder und blieb liegen. Vermelde doch, ob dergleichen auch bey euch vorkam.

Weimar den 30. October 1828.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7384-2