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An Friedrich Jacob Soret

Schloß Dornburg den 1. August 1828.

Vor allen Dingen wünscht ich, mein Theuerster, Sie überzeugten sich, wie großen Werth Ihre Briefe für mich haben müssen. Was kann mir angenehmer seyn, als gleichsam in einem magischen Spiegel die ereignisse in Wilhelmsthal zu sehen, wo die würdigsten und edelsten Personen in so bedeutenden Augenblicken [237] wesen und wandeln, wo sich diejenigen, auf die alle unsere Wünsche und Hoffnungen gerichtet sind, wiederfinden und so viele sonst sich begegnen, kreuzen und scheiden.

Lassen Sie mich aussprechen wieviel der Augenblick, auf diese Weise durch ein bezeichnendes Wort festgehalten, für die Ferne so wie in der Folge werth sey. Ich fühle diese alte Wahrheit jetzt recht lebhaft und bitte Sie, sich von dieser Überzeugung zu durchdringen und ja auf das genauste und umständlichste fortzufahren; ich werde mich deshalb höchlich verpflichtet erachten.

Sich selbst, besonders auch Gönnern und Freunden sagen Sie: daß ich mich mit dem hiesigen, mir gleichsam dämonisch angewiesenen Aufenthalt auf eine wunderbare Weise in einem wünschenswerthen Zustand befinde. Sendungen und Briefe legen mir vielerlei Pflichten auf, Studien aller Art, besonders unser Gemeinsames, beschäftigen mich dringend, ein ganzer langer Tag geht durchaus genützt vorüber. Sodann fehlt es auch nicht an Gesellschaft; die Meinigen haben drey Stunden Wegs, die Jenaischen nur eine, und so wird ich denn zu rechter Stunde öfters heimgesucht. Der Anlaß wodurch ich eigentlich hier bin tritt denn auch wieder einmal aus diesen Zerstreuungen hervor, und indem ich den hohen Abgeschiedenen vermisse, hat die Hoffnung, die Seinigen wiederzusehen und mich gleichem Wohlwollen zu empfehlen, auch wieder etwas höchst Erquickendes und [238] Tröstendes. Hier vergleichen Sie nun das Einfache, aus Geist und Gemüth Hervorgehende, gegen das Mannichfaltige wovon Sie mir so anmuthige Kenntniß geben.

Eben von dieser doppelten Betrachtung des Einfachen und Vielfachen wird ich in diesen Tagen durchaus hin und wider oder, wenn Sie wollen, im Kreise herumgeführt, und es ist gerade das gemeinsame Geschäft das hier die Anregung gibt.


Sonntag den 3. August.

Nach einer kleinen Unterbrechung fahre fort zu berichten: daß ich in unserm Geschäft ziemlich vorschritt; ich habe nämlich die beiden Theile der Orga nographie nunmehr völlig durchgelesen, die uns näher berührenden Capitel mehrmals, und habe denn endlich den Abschnitt über die Symétrie végétale, unsern Absichten zusagend, übersetzt. Das unternommene Werklein würde daher ohngefähr Folgendes enthalten:

1) Ein Vorwort, worin erzählt wird, wie ich auf den Gedanken gekommen, diesen Theil der Naturlehre zu erforschen und hervorzuheben.

2) Die Metamorphose selbst.

3) Eine kurze Geschichte wie seit Anno 1792 gedachte Lehre in Deutschland Einfluß gewonnen und auch in Frankreich sich entfaltet. Sämmtlich mit Ihrer Übersetzung an der Seite.

[239] 4) Das Capitel aus der Organographie: Sur la Symétrie des plantes, das heißt: Von der gesetzmäßigen Pflanzen-Bildung, im Original und mit meiner Übersetzung an der Seite.

Dazu noch einzelnes daher Bezügliche aus eben diesem Werke, vielleicht auch einiges was der Verfasser in der Théorie élémentaire hierüber ausgesprochen.

5) Hierauf wenige Noten zu Verständniß und Ausgleichung kleiner Differenzen, welche eigentlich nur aus der Verschiedenheit beider Sprachen entspringen.

6) Wunsch und Aussicht, was durch dieses alles auf das botanische Wissen zu wirken sey.

7) Wenn es räthlich befunden wird, wenige Worte aus der höheren Naturlehre; wo wir den Vortheil haben, daß wir beynahe ganz in der Terminologie sprechen können in welcher Herr Cousin seine jetzt abgeschlossenen Vorlesungen über Geschichte der Philosophie vorgetragen hat.

Alles diese bereit ich vor, damit wenn wir wieder zusammen kommen, unser Werk gefördert und abgeschlossen werde. Ich für mein Theil bin dieser glücklichen Veranlassung ein wünschenswerthes Resumé vieljähriger eigener und fremder Bemühungen schuldig.

Mit den treusten Wünschen

und frömmsten Hoffnungen,

mich allseits empfehlend

J. W. v. Goethe.


[240] Nun habe ich nächstens zu berichten von einer gestrigen sehr angenehmen Fahrt nach Großheringen, wo Ilm und Saale zusammentreffen, eine Beustische Saline steht und starker Holzhandel getrieben wird. gar verständige, wohlgesinnte und wohlhabende Leute hab ich kennen lernen. Nach meiner Rückkunft überraschte mich ein Besuch von Frau v. Löw mit ihrer anmuthigen Tochter; da denn manches frohen Vergangenen und tröstlichen Gegenwärtigen unter traurigen Erinnerungen gedacht ward. Der außerordentlich schöne Tag war diesen sämmtlichen Unternehmungen und Ereignissen höchst günstig.

Wie oben und immer
Dornburg den 3. August 1828.
G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Friedrich Jacob Soret. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7164-B