Johann Wolfgang Goethe
Die Aufgeregten
Politisches Drama in fünf Akten

[168]

Personen

Personen.

    • Die Gräfin

    • Friederike, ihre Tochter

    • Karl, ihr Söhnchen

    • Der Baron, ein Vetter

    • Der Hofrat

    • Breme von Bremenfeld, Chirurgus

    • Karoline, Bremens Tochter

    • Luise, Bremens Nichte

    • Der Magister, Hofmeister des jungen Grafen

    • Der Amtmann

    • Jakob, junger Landmann und Jäger

    • Martin,
    • Albert,
    • Peter, Landleute

    • Georg, Bedienter der Gräfin

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder, eines bürgerlichen Mannes und seiner Frau, in der Tracht, wie sie vor funfzig oder sechzig Jahren zu sein pflegte. Nacht.
Luise, an einem Tische, worauf ein Licht steht, strickend. Karoline, in einem Großvatersessel gegenüber, schlafend.

LUISE
einen eben vollendeten gestrickten Strumpf in die Höhe haltend.

Wieder ein Strumpf! Nun wollt' ich, der Onkel käme nach Hause, denn ich habe nicht Lust, einen andern anzufangen. Sie steht auf und geht ans Fenster. Er bleibt heut' ungewöhnlich lange weg, sonst kommt er doch gegen eilf Uhr, und es ist jetzt schon Mitternacht. Sie tritt wieder an den Tisch. Was die französische Revolution Gutes oder Böses stiftet, kann ich nicht beurteilen; so viel weiß ich, daß sie mir diesen Winter einige Paar Strümpfe mehr einbringt. Die Stunden, die ich jetzt wachen und warten muß, bis Herr Breme nach Hause kommt, hätt' ich verschlafen, wie ich sie jetzt verstricke, und er verplaudert sie, wie er sie sonst verschlief.

KAROLINE
im Schlafe redend.
Nein, nein! Mein Vater!
LUISE
sich dem Sessel nähernd.

Was gibt's, liebe Muhme? – Sie antwortet nicht! – Was nur dem guten Mädchen sein [168] mag! Sie ist still und unruhig; des Nachts schläft sie nicht, und jetzt, da sie vor Müdigkeit eingeschlafen ist, spricht sie im Traume. Sollte meine Vermutung gegründet sein? sollte der Baron in diesen wenigen Tagen einen solchen Eindruck auf sie gemacht haben, so schnell und stark?Hervortretend. Wunderst du dich, Luise, und hast du nicht selbst erfahren, wie die Liebe wirkt, wie schnell und wie stark!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Georg.

GEORG
heftig und ängstlich.
Liebes Mamsellchen, geben Sie mir geschwinde, geschwinde –
LUISE.
Was denn, Georg?
GEORG.
Geben Sie mir die Flasche.
LUISE.
Was für eine Flasche?
GEORG.

Ihr Herr Onkel sagte, Sie sollen mir die Flasche geschwinde geben; sie steht in der Kammer, oben auf dem Brette rechter Hand.

LUISE.
Da stehen viele Flaschen; was soll denn drinne sein?
GEORG.
Spiritus.
LUISE.
Es gibt allerlei Spiritus; hat er sich nicht deutlicher erklärt? wozu soll's denn?
GEORG.
Er sagt' es wohl, ich war aber so erschrocken. Ach, der junge Herr –
KAROLINE
die aus dem Schlaf auffährt.
Was gibt's? – Der Baron?
LUISE.
Der junge Graf?
GEORG.
Leider, der junge Graf!
KAROLINE.
Was ist ihm begegnet?
GEORG.
Geben Sie mir den Spiritus.
LUISE.

Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet ist, so weiß ich wohl, was der Onkel für eine Flasche braucht.

GEORG.

Ach, das gute Kind? was wird die Frau Gräfin sagen, wenn sie morgen kommt! wie wird sie uns ausschelten!

KAROLINE.
So red' Er doch!
GEORG.

Er ist gefallen, mit dem Kopfe vor eine Tischecke, [169] das Gesicht ist ganz in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Auge gelitten hat.

LUISE
indem sie einen Wachsstock anzündet und in die Kammer geht.
Nun weiß ich, was sie brauchen.
KAROLINE.
So spät! wie ging das zu?
GEORG.

Liebes Mamsellchen, ich dachte lange, es würde nichts Gutes werden. Da sitzt Ihr Vater und der Hofmeister alle Abend beim alten Pfarrer und lesen die Zeitungen und Monatsschriften, und so disputieren sie und können nicht fertig werden, und das arme Kind muß dabei sitzen; da drückt sich's denn in eine Ecke, wenn's spät wird, und schläft ein, und wenn sie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit, und heute – nun sehen Sie – da schlägt's eben zwölfe – heute bleiben sie über alle Gebühr aus, und ich sitze zu Hause und habe Licht brennen, und dabei stehen die andern Lichter für den Hofmeister und den jungen Herrn, und Ihr Vater und der Magister bleiben vor der Schloßbrücke stehen und können noch nicht fertig werden –

LUISE
kommt mit einem Glase zurück.
GEORG
fährt fort.

Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzünden, wie ich immer tue, und wie ich schlaftrunken bin, lösche ich das Licht aus. Indessen tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf dem Vorsaal stehen die Stühle und Tische, die wir morgen früh in die Zimmer verteilen wollen; das Kind weiß es nicht, geht gerade zu, stößt sich, fällt, wir hören es schreien, ich mache Lärm, ich mache Licht, und wie wir hinauf kommen, liegt's da und weiß kaum von sich selbst. Das ganze Gesicht ist blutig. Wenn es ein Auge verloren hat, wenn es gefährlich wird, geh' ich morgen früh auf und davon, eh' die Frau Gräfin ankommt; mag's verantworten, wer will!

LUISE
die indessen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade genommen, gibt ihm die Flasche.

Hier! geschwind! trage das hinüber und nimm die Läppchen dazu, ich komme gleich selbst. Der Himmel verhüte, daß es so übel sei! Geschwind, Georg, geschwind! Georg ab. Halte warmes Wasser bereit, wenn der Onkel nach Hause kommt und Kaffee verlangt. [170] Ich will geschwind hinüber. Es wäre entsetzlich, wenn wir unsere gute Gräfin so empfangen müßten. Wie empfahl sie nicht dem Magister, wie empfahl sie nicht mir das Kind bei ihrer Abreise! Leider hab' ich sehen müssen, daß es die Zeit über sehr versäumt worden ist. Daß man doch gewöhnlich seine nächste Pflicht versäumt! Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Karoline. Hernach der Baron.

KAROLINE
nachdem sie einigemal nachdenkend auf und ab gegangen.

Er verläßt mich keinen Augenblick, auch im Traume selbst war er mir gegenwärtig. O wenn ich glauben könnte, daß sein Herz, seine Absichten so redlich sind, als seine Blicke, sein Betragen reizend und einnehmend ist! Ach, und die Art, mit der er alles zu sagen weiß, wie edel er sich ausdrückt! Man sage, was man will, welche Vorzüge gibt einem Menschen von edler Geburt eine standesmäßige Erziehung! Ach, daß ich doch seinesgleichen wäre!

DER BARON
an der Türe.
Sind Sie allein, beste Karoline?
KAROLINE.

Herr Baron, wo kommen Sie her? entfernen Sie sich! wenn mein Vater käme! Es ist nicht schön, mich so zu überfallen.

BARON.

Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein Fürsprecher bei Ihnen sein, angebetete Karoline. Er will sie umarmen.

KAROLINE.
Zurück, Herr Baron! Sie sind sehr verwegen. Wo kommen Sie her?
BARON.

Ein Geschrei weckt mich, ich springe herunter und finde, daß mein Neffe sich eine Brausche gefallen hat. Ich finde Ihren Vater um das Kind beschäftigt, nun kommt auch Ihre Muhme; ich sehe, daß es keine Gefahr hat, es fällt mir ein: Karoline ist allein – und was kann mir bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke sind kostbar, schönes, angenehmes Kind! Gestehen Sie mir, sagen Sie mir, daß Sie mich lieben. Will sie umarmen.

KAROLINE.
Noch einmal, Herr Baron! lassen Sie mich, und verlassen Sie dieses Haus!
[171]
BARON.
Sie haben versprochen, mich so bald als möglich zu sehen, und wollen mich nun entfernen?
KAROLINE.

Ich habe versprochen, morgen früh mit Sonnenaufgang in dem Garten zu sein, mit Ihnen spazieren zu gehen, mich Ihrer Gesellschaft zu freuen. Hieher hab' ich Sie nicht eingeladen.

BARON.
Aber die Gelegenheit –
KAROLINE.
Hab' ich nicht gemacht.
BARON.
Aber ich benutze sie; können Sie mir es verdenken?
KAROLINE.
Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll.
BARON.
Auch Sie – lassen Sie es mich frei gestehen –, auch Sie erkenne ich nicht.
KAROLINE.
Und warum bin ich mir denn so unähnlich?
BARON.
Können Sie noch fragen?
KAROLINE.
Ich muß wohl, ich begreife Sie nicht!
BARON.
Ich soll reden?
KAROLINE.
Wenn ich Sie verstehen soll.
BARON.

Nun gut. Haben Sie nicht seit den drei Tagen, die ich Sie kenne, jede Gelegenheit gesucht, mich zu sehen und zu sprechen?

KAROLINE.
Ich leugne es nicht.
BARON.
Haben Sie mir nicht, so oft ich Sie ansah, mit Blicken geantwortet? und mit was für Blicken!
KAROLINE
verlegen.
Ich kann meine eignen Blicke nicht sehen.
BARON.

Aber fühlen, was sie bedeuten – Haben Sie mir, wenn ich Ihnen im Tanze die Hand drückte, die Hand nicht wieder gedrückt?

KAROLINE.
Ich erinnere mich's nicht.
BARON.

Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als wir unter der Linde drehten und ich Sie zärtlich an mich schloß, damals stieß mich Karoline nicht zurück.

KAROLINE.
Herr Baron, Sie haben sich falsch ausgelegt, was ein gutherziges unerfahrnes Mädchen –
BARON.
Liebst du mich?
KAROLINE.
Noch einmal, verlassen Sie mich! Morgen frühe –
BARON.
Werde ich ausschlafen.
KAROLINE.
Ich werde Ihnen sagen –
[172]
BARON.
Ich werde nichts hören.
KAROLINE.
So verlassen Sie mich.
BARON
sich entfernend.
O, es ist mir leid, daß ich gekommen bin.
KAROLINE
allein, nach einer Bewegung, als wenn sie ihn aufhalten wollte.

Er geht, ich muß ihn fortschicken, ich darf ihn nicht halten. Ich liebe ihn, und muß ihn verscheuchen. Ich war unvorsichtig, und bin unglücklich. Weg sind meine Hoffnungen auf den schönen Morgen, weg die goldnen Träume, die ich zu nähren wagte. O, wie wenig Zeit braucht es, unser ganzes Schicksal umzukehren!

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Karoline. Breme.

KAROLINE.
Lieber Vater, wie geht's? was macht der junge Graf?
BREME.

Es ist eine starke Kontusion; doch ich hoffe die Läsion soll nicht gefährlich sein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der Herr Graf wird sich künftig, so oft er sich im Spiegel besieht, bei der Schmarre mit Achtung seines geschickten Chirurgi, seines Breme von Bremenfeld, erinnern.

KAROLINE.
Die arme Gräfin! wenn sie nur nicht schon morgen käme.
BREME.

Desto besser! und wenn sie den übeln Zustand des Patienten mit Augen sieht, wird sie, wenn die Kur vollbracht ist, desto mehr Ehrfurcht für meine Kunst empfinden. Standespersonen müssen auch wissen, daß sie und ihre Kinder Menschen sind; man kann sie nicht genug empfinden machen, wie verehrungswürdig ein Mann ist, der ihnen in ihren Nöten beisteht, denen sie wie alle Kinder Adams unterworfen sind, besonders ein Chirurgus. Ich sage dir, mein Kind, ein Chirurgus ist der verehrungswürdigste Mann auf dem ganzen Erdboden. Der Theolog befreit dich von der Sünde, die er selbst erfunden hat; der Jurist gewinnt dir deinen Prozeß und bringt deinen Gegner, der gleiches Recht hat, an den Bettelstab; der Medikus [173] kuriert dir eine Krankheit weg, die andere herbei, und du kannst nie recht wissen, ob er dir genutzt oder geschadet hat: der Chirurgus aber befreit dich von einem reellen Übel, das du dir selbst zugezogen hast oder das dir zufällig und unverschuldet über den Hals kommt; er nutzt dir, schadet keinem Menschen, und du kannst dich unwidersprechlich überzeugen, daß seine Kur gelungen ist.

KAROLINE.
Freilich auch, wenn sie nicht gelungen ist.
BREME.

Das lehrt dich den Pfuscher vom Meister unterscheiden. Freue dich, meine Tochter, daß du einen solchen Meister zum Vater hast: für ein wohldenkendes Kind ist nichts ergetzlicher, als sich seiner Eltern und Großeltern zu freuen.

KAROLINE
mit traurigem Ton, wie bisher.
Das tu ich, mein Vater.
BREME
sie nachahmend.

Das tust du, mein Töchterchen, mit einem betrübten Gesichtchen und weinerlichen Tone. – Das soll doch wohl keine Freude vorstellen?

KAROLINE.
Ach, mein Vater!
BREME.
Was hast du, mein Kind?
KAROLINE.
Ich muß es Ihnen gleich sagen.
BREME.
Was hast du?
KAROLINE.

Sie wissen, der Baron hat diese Tage her sehr freundlich, sehr zärtlich mit mir getan; ich sagt' es Ihnen gleich und fragte Sie um Rat.

BREME.
Du bist ein vortreffliches Mädchen! wert, als eine Prinzessin, eine Königin aufzutreten.
KAROLINE.

Sie rieten mir, auf meiner Hut zu sein, auf mich wohl achtzuhaben, aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, aber auch ein Glück, wenn es mich aufsuchen sollte, nicht von mir zu stoßen. Ich habe mich gegen ihn betragen, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen habe; aber er –

BREME.
Rede, mein Kind, rede!
KAROLINE.
O, es ist abscheulich. Wie frech, wie verwegen! –
BREME.

Wie? Nach einer Pause. Sage mir nichts, meine Tochter, du kennst mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, ein alter Soldat; ich würde mich nicht fassen können, ich würde einen tollen Streich machen.

KAROLINE.

Sie können es hören, mein Vater, ohne zu zürnen; ich darf es sagen, ohne rot zu werden. Er hat meine [174] Freundlichkeit übel ausgelegt, er hat sich in Ihrer Abwesenheit, nachdem Luise auf das Schloß geeilt war, hier ins Haus geschlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl sagen: seit diesem Augenblick haben sich meine Gesinnungen gegen ihn geändert. Er schien mir liebenswürdig, als er gut war, als ich glauben konnte, daß er es gut mit mir meinte; jetzt kommt er mir vor, schlimmer als jeder andere. Ich werde Ihnen alles, wie bisher, erzählen, alles gestehen und mich Ihrem Rat ganz allein überlassen.

BREME.

Welch ein Mädchen! welch ein vortreffliches Mädchen! O ich beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, wartet nur! Die Hunde werden von der Kette loskommen und den Füchsen den Weg zum Taubenschlag verrennen. Ich will nicht Breme heißen, nicht den Namen Bremenfeld verdienen, wenn in kurzem nicht alles anders werden soll.

KAROLINE.
Erzürnt Euch nicht, mein Vater.
BREME.

Du gibst mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort, deinen Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner vortrefflichen Urgroßmutter, der seligen Bürgemeisterin von Bremenfeld. Diese würdige Frau war durch Sittsamkeit die Ehre ihres Geschlechts und durch Verstand die Stütze ihres Gemahls. Betrachte dieses Bild jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde verehrungswürdig wie sie! Karoline sieht das Bild an und lacht. Was lachst du, meine Tochter?

KAROLINE.

Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem Guten folgen, wenn ich mich nur nicht anziehen soll wie sie. Ha, ha, ha! Sehn Sie nur, so oft ich das Bild ansehe, muß ich lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen habe, ha, ha, ha! Sehn Sie nur das Häubchen, das wie Fledermausflügel vom Kopfe lossteht.

BREME.

Nun, nun! zu ihrer Zeit lachte niemand darüber, und wer weiß, wer über euch künftig lacht, wenn er euch gemalt sieht; denn ihr seid sehr selten angezogen und aufgeputzt, daß ich sagen möchte, ob du gleich meine hübsche Tochter bist: sie gefällt mir! Gleiche dieser vortrefflichen Frau an Tugenden und kleide dich mit besserm Geschmack, so[175] hab' ich nichts dagegen, vorausgesetzt, daß, wie sie sagen, der gute Geschmack nicht teurer ist als der schlechte. Übrigens dächt' ich, du gingst zu Bette; denn es ist spät.

KAROLINE.
Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? das Wasser siedet, er ist gleich gemacht.
BREME.

Setze nur alles zurechte, schütte den gemahlenen Kaffee in die Kanne, das heiße Wasser will ich selbst darüber gießen.

KAROLINE.
Gute Nacht, mein Vater! Geht ab.
BREME.
Schlaf wohl, mein Kind.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
BREME
allein.

Daß auch das Unglück just diese Nacht geschehen mußte! Ich hatte alles klüglich eingerichtet, meine Einteilung der Zeit als ein echter Praktikus gemacht. Bis gegen Mitternacht hatten wir zusammen geschwatzt, da war alles ruhig; nachher wollte ich meine Tasse Kaffee trinken, meine bestellten Freunde sollten kommen zu der geheimnisvollen Überlegung. Nun hat's der Henker! Alles ist in Unruhe. Sie wachen im Schloß, dem Kinde Umschläge aufzulegen. Wer weiß, wo sich der Baron herumdrückt, um meiner Tochter aufzupassen. Beim Amtmann seh' ich Licht, bei dem verwünschten Kerl, den ich am meisten scheue. Wenn wir entdeckt werden, so kann der größte, schönste, erhabenste Gedanke, der auf mein ganzes Vaterland Einfluß haben soll, in der Geburt erstickt werden. Er geht ans Fenster. Ich höre jemand kommen; die Würfel sind geworfen, wir müssen nun die Steine setzen; ein alter Soldat darf sich vor nichts fürchten. Bin ich denn nicht bei dem großen unüberwindlichen Fritz in die Schule gegangen?

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Breme. Martin.

BREME.
Seid Ihr's, Gevatter Martin?
MARTIN.

Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich habe mich ganz stille aufgemacht, wie die Glocke zwölfe schlug, und bin hergekommen; aber ich habe noch Lärm gehört [176] und hin und wider gehen, und da bin ich im Garten einigemal auf und ab geschlichen, bis alles ruhig war. Sagt mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, daß wir so spät bei Euch zusammenkommen, in der Nacht; konnten wir's denn nicht bei Tag abmachen?

BREME.
Ihr sollt alles erfahren, nur müßt Ihr Geduld haben, bis die andern alle beisammen sind.
MARTIN.
Wer soll denn noch alles kommen?
BREME.

Alle unsere guten Freunde, alle vernünftigen Leute. Außer Euch, der Ihr Schulze von dem Ort hier seid, kommt noch Peter, der Schulze von Rosenhahn, und Albert, der Schulze von Wiesengruben; ich hoffe, auch Jakob wird kommen, der das hübsche Freigut besitzt. Dann sind recht ordentliche und vernünftige Leute beisammen, die schon was ausmachen können.

MARTIN.

Gevatter Breme, Ihr seid ein wunderlicher Mann; es ist Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter.

BREME.

Ja, wenn das auch nicht so wäre, könnte nichts Rechts werden. Wachen oder Schlafen, das ist mir auch ganz gleich. Es war nach der Schlacht bei Leuthen, wo unsere Lazarette sich in schlechtem Zustande befanden und sich wahrhaftig noch im schlechteren Zustande befunden hätten, wäre Breme nicht damals ein junger rüstiger Bursche gewesen. Da lagen viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und verdrossen, aber Breme ein junger tüchtiger Kerl, Tag und Nacht parat. Ich sag' Euch, Gevatter, daß ich acht Nächte nacheinander weg gewacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich aber auch der alte Fritz, der alles wußte, was er wissen wollte. Höre Er, Breme, sagte er einmal, als er in eigner Person das Lazarett visitierte, höre Er, Breme, man sagt, daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege. – Ich merkte, wo das hinaus wollte, denn die andern stunden alle dabei; ich faßte mich und sagte: Ihro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade auf mich werfen werden.

[177]
MARTIN.
Ei, ei! wie nahm denn das der König auf?
BREME.

Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, daß es ihm wohlgefiel. Breme, sagte er, womit vertreibt Er sich denn die Zeit? Da faßt' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke an das, was Ihro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnt' ich Methusalems Jahre erreichen und immer fort wachen und könnt's doch nicht ausdenken. Da tat er, als hört' er's nicht, und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre darnach, da faßt' er mich bei der Revue wieder ins Auge. Wacht Er noch immer, Breme? rief er. Ihro Majestät, versetzt' ich, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh als im Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran zu Schanden denkt.

MARTIN.
So habt Ihr mit dem König gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm reden?
BREME.

Freilich durfte man so und noch ganz anders, denn er wußte alles besser. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm am mehrsten am Herzen. Ich weiß wohl, sagte er zu seinen Ministern, wenn sie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viel Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich.

MARTIN.
Wenn ich ihn doch nur auch gesehen hätte!
BREME.
Stille, ich höre was! es werden unsere Freunde sein. Sieh da! Peter und Albert.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Peter. Albert. Die Vorigen.

BREME.
Willkommen! – Ist Jakob nicht bei euch?
PETER.
Wir haben uns bei den drei Linden bestellt; aber er blieb uns zu lang' aus, nun sind wir allein da.
ALBERT.

Was habt Ihr uns Neues zu sagen, Meister Breme? Ist was von Wetzlar gekommen, geht der Prozeß vorwärts?

BREME.

Eben weil nichts gekommen ist, und weil, wenn was gekommen wäre, es auch nicht viel heißen würde, so wollt' ich euch eben einmal meine Gedanken sagen: denn ihr wißt wohl, ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht [178] öffentlich an, bis jetzt nicht öffentlich; denn ich darf's mit der gnädigen Herrschaft nicht ganz verderben.

PETER.
Ja, wir verdürben's auch nicht gern mit ihr, wenn sie's nur halbweg leidlich machte.
BREME.

Ich wollte euch sagen – wenn nur Jakob da wäre, daß wir alle zusammen wären, und daß ich nichts wiederholen müßte und wir einig würden.

ALBERT.

Jakob? Es ist fast besser, daß er nicht dabei ist. Ich traue ihm nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er auch wegen der Zinsen mit uns gleiches Interesse hat, so geht ihn doch die Straße nichts an, und er hat sich im ganzen Prozeß gar zu lässig bewiesen.

BREME.
Nun so laßt's gut sein. Setzt euch und hört mich an. Sie setzen sich.
MARTIN.
Ich bin recht neugierig, zu hören.
BREME.

Ihr wißt, daß die Gemeinden schon vierzig Jahre lang mit der Herrschaft einen Prozeß führen, der auf langen Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt ist und von dort den Weg nicht zurück finden kann. Der Gutsherr verlangt Fronen und andere Dienste, die ihr verweigert, und mit Recht verweigert: denn es ist ein Rezeß geschlossen worden mit dem Großvater unsers jungen Grafen – Gott erhalt' ihn! –, der sich diese Nacht eine erschreckliche Brausche gefallen hat.

MARTIN.
Eine Brausche?
PETER.
Gerade diese Nacht!
ALBERT.
Wie ist das zugegangen?
MARTIN.
Das arme liebe Kind!
BREME.

Das will ich euch nachher erzählen. Nun hört mich weiter an. Nach diesem geschlossenen Rezeß überließen die Gemeinden an die Herrschaft ein paar Fleckchen Holz, einige Wiesen, einige Triften und sonst noch Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrschaft viel nutzten; denn man sieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch ein guter Herr. Leben und leben lassen, war sein Spruch. Er erließ den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen und –

ALBERT.
Und das sind die, die wir noch immer leisten müssen.
[179]
BREME.
Und machte ihnen einige Konvenienzen –
MARTIN.
Die wir noch nicht genießen.
BREME.

Richtig, weil der Graf starb, die Herrschaft sich in Besitz dessen setzte, was ihr zugestanden war, der Krieg einfiel und die Untertanen noch mehr tun mußten, als sie vorher getan hatten.

PETER.
Es ist akkurat so; so hab' ich's mehr als einmal aus des Advokaten Munde gehört.
BREME.

Und ich weiß es besser als der Advokat, denn ich sehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verstorbene gnädige Herr, wurde eben um die Zeit volljährig. Das war, bei Gott! ein wilder böser Teufel, der wollte nichts herausgeben und mißhandelte euch ganz erbärmlich. Er war im Besitz, der Rezeß war fort und nirgends zu finden.

ALBERT.

Wäre nicht noch die Abschrift da, die unser verstorbener Pfarrer gemacht hat, wir wüßten kaum etwas davon.

BREME.

Diese Abschrift ist euer Glück und euer Unglück. Diese Abschrift gilt alles vor jedem billigen Menschen, vor Gericht gilt sie nichts. Hättet ihr diese Abschrift nicht, so wäret ihr ungewiß in dieser Sache. Hätte man diese Abschrift der Herrschaft nicht vorgelegt, so wüßte man nicht, wie ungerecht sie denkt.

MARTIN.

Da müßt Ihr auch wieder billig sein. Die Gräfin leugnet nicht, daß vieles für uns spricht; nur weigert sie sich, den Vergleich einzugehen, weil sie, in Vormundschaft ihres Sohnes, sich nicht getraut, so etwas abzuschließen.

ALBERT.

In Vormundschaft ihres Sohnes! Hat sie nicht den neuen Schloßflügel bauen lassen, den er vielleicht sein Lebtage nicht bewohnt, denn er ist nicht gern in dieser Gegend.

PETER.
Und besonders, da er nun eine Brausche gefallen hat.
ALBERT.

Hat sie nicht den großen Garten und die Wasserfälle anlegen lassen, worüber ein paar Mühlen haben müssen weggekauft werden? Das getraut sie sich alles in Vormundschaft zu tun, aber das Rechte, das Billige, das getraut sie sich nicht.

BREME.

Albert, du bist ein wackrer Mann; so hör' ich gern [180] reden, und ich gestehe wohl, wenn ich von unserer gnädigen Gräfin manches Gute genieße und deshalb mich für ihren untertänigen Diener bekenne, so möcht' ich doch auch darin meinem König nachahmen und euer Sachwalter sein.

PETER.
Das wäre recht schön. Macht nur, daß unser Prozeß bald aus wird.
BREME.
Das kann ich nicht, das müßt ihr.
PETER.
Wie wäre denn das anzugreifen?
BREME.

Ihr guten Leute wißt nicht, daß alles in der Welt vorwärts geht, daß heute möglich ist, was vor zehn Jahren nicht möglich war. Ihr wißt nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird.

MARTIN.
O ja, wir wissen, daß in Frankreich jetzt wunderliches Zeug geschieht.
PETER.
Wunderliches und abscheuliches!
ALBERT.
Wunderliches und gutes.
BREME.

So recht, Albert, man muß das Beste wählen! Da sag' ich nun: Was man in Güte nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen.

MARTIN.
Sollte das gerade das Beste sein?
ALBERT.
Ohne Zweifel.
PETER.
Ich dächte nicht.
BREME.
Ich muß euch sagen, Kinder: jetzt oder niemals!
ALBERT.

Da dürft Ihr uns in Wiesengruben nicht viel vorschwatzen; dazu sind wir fix und fertig. Unsere Leute wollten längst rebellern; ich habe nur immer abgewehrt weil mir Herr Breme immer sagte, es sei noch nicht Zeit, und das ist ein gescheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe.

BREME.
Gratias, Gevatter, und ich sage euch: jetzt ist es Zeit.
ALBERT.
Ich glaub's auch.
PETER.

Nehmt mir's nicht übel, das kann ich nicht einsehen; denn wenn's gut aderlassen ist, gut purgieren, gut schröpfen, das steht im Kalender, und darnach weiß ich mich zu richten; aber wenn's just gut rebellern sei, das, glaub' ich, ist viel schwerer zu sagen.

BREME.
Das muß unsereiner verstehen.
[181]
ALBERT.
Freilich versteht Ihr's.
PETER.
Aber sagt mir nur, woher's eigentlich kommt, daß Ihr's besser versteht als andere gescheite Leute?
BREME
gravitätisch.

Erstlich, mein Freund, weil schon vom Großvater an meine Familie die größten politischen Einsichten erwiesen. Hier dieses Bildnis zeigt euch meinen Großvater Hermann Breme von Bremenfeld, der, wegen großer und vorzüglicher Verdienste zum Burgemeister seiner Vaterstadt erhoben, ihr die größten und wichtigsten Dienste geleistet hat. Dort schwebt sein Andenken noch in Ehren und Segen, wenngleich boshafte, pasquillantische Schauspieldichter seine großen Talente und gewisse Eigenheiten, die er an sich haben mochte, nicht sehr glimpflich behandelten. Seine tiefe Einsicht in die ganze politische und militärische Lage von Europa wird ihm selbst von seinen Feinden nicht abgesprochen.

PETER.
Es war ein hübscher Mann, er sieht recht wohlgenährt aus.
BREME.
Freilich genoß er ruhigere Tage als sein Enkel.
MARTIN.
Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters?
BREME.

Leider, nein! Doch muß ich euch sagen: die Natur, indem sie meinen Vater Jost Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre Kräfte zusammen, um euren Freund mit solchen Gaben auszurüsten, durch die er euch nützlich zu werden wünscht. Doch behüte der Himmel, daß ich mich über meine Vorfahren erheben sollte; es wird uns jetzt viel leichter gemacht, und wir können mit geringern natürlichen Vorzügen eine große Rolle spielen.

MARTIN.
Nicht zu bescheiden, Gevatter!
BREME.

Es ist lautre Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der Monatsschriften, der fliegenden Blätter so viel, aus denen wir uns unterrichten, an denen wir unsern Verstand üben können! Hätte mein seliger Großvater nur den tausendsten Teil dieser Hilfsmittel gehabt, er wäre ein ganz anderer Mann geworden. Doch Kinder, was rede ich von mir! Die Zeit vergeht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der Hahn macht uns aufmerksam, daß wir uns kurz fassen sollen. Habt ihr Mut?

ALBERT.
An mir und den Meinigen soll's nicht fehlen.
[182]
PETER.

Unter den Meinigen findet sich wohl einer, der sich an die Spitze stellt; ich verbitte mir den Auftrag.

MARTIN.

Seit den paar letzten Predigten, die der Magister hielt, weil der alte Pfarrer so krank liegt, ist das ganze große Dorf hier in Bewegung.

BREME.

Gut! so kann was werden. Ich habe ausgerechnet, daß wir über sechshundert Mann stellen können. Wollt ihr, so ist in der nächsten Nacht alles getan.

MARTIN.
In der nächsten Nacht?
BREME.

Es soll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr sollt wieder haben alles, was euch gebührt, und mehr dazu.

PETER.
So geschwind? wie wäre das möglich?
ALBERT.
Geschwind oder gar nicht.
BREME.

Die Gräfin kommt heute an, sie darf sich kaum besinnen. Rückt nur bei einbrechender Nacht vor das Schloß und fordert eure Rechte, fordert eine neue Ausfertigung des alten Reverses, macht euch noch einige kleine Bedingungen, die ich euch schon angeben will, laßt sie unterschreiben, laßt sie schwören, und so ist alles getan.

PETER.
Vor einer solchen Gewalttätigkeit zittern mir Arm und Beine.
ALBERT.
Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern.
MARTIN.

Wie leicht können sie uns aber ein Regiment Dragoner über den Hals ziehen. So arg dürfen wir's doch nicht machen. Das Militär, der Fürst, die Regierung würden uns schön zusammenarbeiten.

BREME.

Gerade umgekehrt. Das ist's eben, worauf ich fuße. Der Fürst ist unterrichtet, wie sehr das Volk bedrückt sei. Er hat sich über die Unbilligkeit des Adels, über die Langweiligkeit der Prozesse, über die Schikane der Gerichtshalter und Advokaten oft genug deutlich und stark erklärt, so daß man voraussetzen kann: er wird nicht zürnen, wenn man sich Recht verschafft, da er es selbst zu tun gehindert ist.

PETER.
Sollte das gewiß sein?
ALBERT.
Es wird im ganzen Lande davon gesprochen.
PETER.
Da wäre noch allenfalls was zu wagen.
BREME.

Wie ihr zu Werke gehen müßt, wie vor allen Dingen der abscheuliche Gerichtshalter beiseite muß, und auf wen [183] noch mehr genau zu sehen ist, das sollt ihr alles noch vor Abend erfahren. Bereitet eure Sachen vor, regt eure Leute an und seid mir um sechse beim Herrenbrunnen. Daß Jakob nicht kommt, macht ihn verdächtig; ja es ist besser, daß er nicht gekommen ist. Gebt auf ihn acht, daß er uns wenigstens nicht schade; an dem Vorteil, den wir uns erwerben, wird er schon teilnehmen wollen. Es wird Tag; lebt wohl und bedenkt nur, daß, was geschehen soll, schon geschehen ist. Die Gräfin kommt eben erst von Paris zurück, wo sie das alles gesehn und gehört hat, was wir mit so vieler Verwunderung lesen; vielleicht bringt sie schon selbst mildere Gesinnungen mit, wenn sie gelernt hat, was Menschen, die zu sehr gedrückt werden, endlich für ihre Rechte tun können und müssen.

MARTIN.
Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt sechse bin ich am Herrenbrunnen.
ALBERT.
Ihr seid ein tüchtiger Mann! Lebt wohl.
PETER.
Ich will Euch recht loben, wenn's gut abläuft.
MARTIN.
Wir wissen nicht, wie wir's Euch danken sollen.
BREME
mit Würde.

Ihr habt Gelegenheit genug, mich zu verbinden. Das kleine Kapital zum Exempel von zweihundert Talern, das ich der Kirche schuldig bin, erlaßt ihr mir ja wohl.

MARTIN.
Das soll uns nicht reuen.
ALBERT.
Unsere Gemeine ist wohlhabend und wird auch gern was für Euch tun.
BREME.

Das wird sich finden. Das schöne Fleck, das Gemeindegut war und das der Gerichtshalter zum Garten einzäunen und umarbeiten lassen, das nehmt ihr wieder in Besitz und überlaßt mir's.

ALBERT.
Das wollen wir nicht ansehen, das ist schon verschmerzt.
PETER.
Wir wollen auch nicht zurückbleiben.
BREME.

Ihr habt selbst einen hübschen Sohn und ein schönes Gut; dem könnt' ich meine Tochter geben. Ich bin nicht stolz, glaubt mir, ich bin nicht stolz. Ich will Euch gern meinen Schwäger heißen.

PETER.
Das Mamsellchen ist hübsch genug; nur ist sie schon zu vornehm erzogen.
[184]
BREME.

Nicht vornehm, aber gescheit. Sie wird sich in jeden Stand zu finden wissen. Doch darüber läßt sich noch vieles reden. Lebt jetzt wohl, meine Freunde, lebt wohl!

ALLE.
So lebt denn wohl!

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Vorzimmer der Gräfin. Sowohl im Fond als an den Seiten hängen adelige Familienbilder in mannigfaltigen geistlichen und weltlichen Kostümen.
Der Amtmann tritt herein, und indem er sich umsieht, ob niemand da ist, kommt Luise von der andern Seite.

AMTMANN.

Guten Morgen, Demoiselle! Sind Ihro Exzellenz zu sprechen? Kann ich meine untertänigste Devotion zu Füßen legen?

LUISE.

Verzeihen Sie einigen Augenblick, Herr Amtmann Die Frau Gräfin wird gleich herauskommen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und das Schrecken bei der Ankunft haben einige Ruhe nötig gemacht.

AMTMANN.

Ich bedaure von ganzem Herzen! Nach einer so langen Abwesenheit, nach einer so beschwerlichen Reise ihren einzig geliebten Sohn in einem so schrecklichen Zustande zu finden! ich muß gestehen, es schaudert mich, wenn ich nur daran denke. Ihro Exzellenz waren wohl sehr alteriert?

LUISE.

Sie können sich leicht vorstellen, was eine zärtliche sorgsame Mutter empfinden mußte, als sie ausstieg, ins Haus trat und da die Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und aus unserm Stocken und Stottern leicht schließen konnte, daß ihm ein Unglück begegnet sei.

AMTMANN.
Ich bedaure von Herzen. Was fingen Sie an?
LUISE.

Wir mußten nur geschwind alles erzählen, damit sie nicht etwas Schlimmeres besorgte; wir mußten sie zu dem Kinde führen, das mit verbundenem Kopf und blutigen [185] Kleidern dalag. Wir hatten nur für Umschläge gesorgt und ihn nicht ausziehen können.

AMTMANN.
Es muß ein schrecklicher Anblick gewesen sein.
LUISE.

Sie blickte hin, tat einen lauten Schrei und fiel mir ohnmächtig in die Arme. Sie war untröstlich, als sie wieder zu sich kam, und wir hatten alle Mühe, sie zu überführen, daß das Kind sich nur eine starke Beule gefallen, daß es aus der Nase geblutet und daß keine Gefahr sei.

AMTMANN.
Ich möcht' es mit dem Hofmeister nicht teilen, der das Kind so vernachlässigt.
LUISE.

Ich wunderte mich über die Gelassenheit der Gräfin, besonders da er den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in dem Augenblick geziemte.

AMTMANN.
Sie ist gar zu gnädig, gar zu nachsichtig.
LUISE.

Aber sie kennt ihre Leute und merkt sich alles. Sie weiß, wer ihr redlich und treu dient; sie weiß, wer nur dem Schein nach ihr untertäniger Knecht ist. Sie kennt die Nachlässigen so gut als die Falschen, die Unklugen sowohl als die Bösartigen.

AMTMANN.

Sie sagen nicht zu viel, es ist eine vortreffliche Dame, aber eben deswegen! Der Hofmeister verdiente doch, daß sie ihn geradezu wegschickte.

LUISE.

In allem, was das Schicksal des Menschen betrifft, geht sie langsam zu Werke, wie es einem Großen geziemt. Es ist nichts schrecklicher als Macht und Übereilung.

AMTMANN.
Aber Macht und Schwäche sind auch ein trauriges Paar.
LUISE.
Sie werden der gnädigen Gräfin nicht nachsagen, daß sie schwach sei.
AMTMANN.

Behüte Gott, daß ein solcher Gedanke einem alten treuen Diener einfallen sollte! Aber es ist denn doch erlaubt, zum Vorteil seiner gnädigen Herrschaft zu wünschen, daß man manchmal mit mehr Strenge gegen Leute zu Werke gehe, die mit Strenge behandelt sein wollen.

LUISE.
Die Frau Gräfin! Tritt ab.
[186]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Die Gräfin im Negligé. Der Amtmann.

AMTMANN.

Euer Exzellenz haben zwar auf eine angenehme Weise, doch unvermutet Ihre Dienerschaft überrascht, und wir bedauern nur, daß Dieselben bei Ihrer Ankunft durch einen so traurigen Anblick erschreckt worden. Wir hatten alle Anstalten zu Dero Empfang gemacht: das Tannenreisig zu einer Ehrenpforte liegt wirklich schon im Hofe; die sämtlichen Gemeinden wollten reihenweis an dem Wege stehen und Hochdieselben mit einem lauten Vivat empfangen, und jeder freute sich schon, bei einer so feierlichen Gelegenheit seinen Festtagsrock anzuziehen und sich und seine Kinder zu putzen.

GRÄFIN.

Es ist mir lieb, daß die guten Leute sich nicht zu beiden Seiten des Wegs gestellt haben; ich hätte ihnen unmöglich ein freundlich Gesicht machen können, und Ihnen am wenigsten, Herr Amtmann!

AMTMANN.
Wieso? wodurch haben wir Eurer Exzellenz Ungnade verdient?
GRÄFIN.

Ich kann nicht leugnen, ich war sehr verdrießlich, als ich gestern auf den abscheulichen Weg kam, der gerade da anfängt, wo meine Besitzungen angehen. Die große Reise hab' ich fast auf lauter guten Wegen vollbracht, und eben da ich wieder in das Meinige zurückkomme, find' ich sie nicht nur schlechter wie vorm Jahr, sondern so abscheulich, daß sie alle Übel einer schlechten Chaussee verbinden. Bald tief ausgefahrne Löcher, in die der Wagen umzustürzen droht, aus denen die Pferde mit aller Gewalt ihn kaum herausreißen, bald Steine ohne Ordnung übereinander geworfen, daß man eine Viertelstunde lang selbst in dem bequemsten Wagen aufs unerträglichste zusammengeschüttelt wird. Es sollte mich wundern, wenn nichts daran beschädigt wäre.

AMTMANN.

Euer Exzellenz werden mich nicht ungehört verdammen; nur mein eifriges Bestreben, von Eurer Exzellenz Gerechtsamen nicht das mindeste zu vergeben, ist Ursache an diesem üblen Zustande des Wegs.

GRÄFIN.
Ich verstehe –
[187]
AMTMANN.

Sie erlauben, Ihrer tiefen Einsicht nur anheim zu stellen, wie wenig es mir hätte ziemen wollen, den widerspenstigen Bauern auch nur ein Haarbreit nachzugeben. Sie sind schuldig, die Wege zu bessern, und da Euer Exzellenz Chaussee befehlen, sind sie auch schuldig, die Chaussee zu machen.

GRÄFIN.
Einige Gemeinden waren ja willig.
AMTMANN.

Das ist eben das Unglück. Sie fuhren die Steine an; als aber die übrigen, widerspenstigen sich weigerten und auch jene widerspenstig machten, blieben die Steine liegen und wurden nach und nach, teils aus Notwendigkeit, teils aus Mutwillen, in die Gleise geworfen, und da ist nun der Weg freilich ein bißchen holprig geworden.

GRÄFIN.
Sie nennen das ein wenig holprig?
AMTMANN.

Verzeihen Euer Exzellenz, wenn ich sogar sage, daß ich diesen Weg öfters mit vieler Zufriedenheit zurücklege. Es ist ein vortreffliches Mittel gegen die Hypochondrie, sich dergestalt zusammenschütteln zu lassen.

GRÄFIN.
Das, gesteh' ich, ist eine eigne Kurmethode.
AMTMANN.

Und freilich, da nun eben wegen dieses Streites, welcher vor dem Kaiserlichen Reichskammergericht auf das eifrigste betrieben wird, seit einem Jahre an keine Wegebesserung zu denken gewesen und überdies die Holzfuhren stark gehen, in diesen letzten Tagen auch anhaltendes Regenwetter eingefallen, so möchte denn freilich jemanden, der gute Chausseen gewohnt ist, unsere Straße gewissermaßen impraktikabel vorkommen.

GRÄFIN.
Gewissermaßen? ich dächte, ganz und gar.
AMTMANN.
Euer Exzellenz belieben zu scherzen. Man kommt doch noch immer fort –
GRÄFIN.
Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab' ich an der Meile sechs Stunden zugebracht.
AMTMANN.

Ich, vor einigen Tagen, noch länger. Zweimal wurd' ich glücklich herausgewunden, das drittemal brach ein Rad, und ich mußte mich nur noch so hereinschleppen lassen. Aber bei allen diesen Unfällen war ich getrost und gutes Muts: denn ich bedachte, daß Eurer Exzellenz und Ihres Herrn Sohnes Gerechtsame salviert sind. Aufrichtig gestanden, ich wollte auf solchen Wegen lieber von hier [188] nach Paris fahren, als nur einen Fingerbreit nachgeben, wenn die Rechte und Befugnisse meiner gnädigsten Herrschaft bestritten werden. Ich wollte daher, Euer Exzellenz dachten auch so, und Sie würden gewiß diesen Weg nicht mit so viel Unzufriedenheit zurückgelegt haben.

GRÄFIN.

Ich muß sagen, darin bin ich anderer Meinung, und gehörten diese Besitztümer mir eigen, müßte ich mich nicht bloß als Verwalterin ansehen, so würde ich über manche Bedenklichkeit hinausgehen, ich würde mein Herz hören, das mir Billigkeit gebietet, und meinen Verstand, der mich einen wahren Vorteil von einem scheinbaren unterscheiden lehrt. Ich würde großmütig sein, wie es dem gar wohl ansteht, der Macht hat. Ich würde mich hüten, unter dem Scheine des Rechts auf Forderungen zu beharren, die ich durchzusetzen kaum wünschen müßte und die, indem ich Widerstand finde, mir auf lebenslang den völligen Genuß eines Besitzes rauben, den ich auf billige Weise verbessern könnte. Ein leidlicher Vergleich und der unmittelbare Gebrauch sind besser als eine wohl gegründete Rechtssache die mir Verdruß macht und von der ich nicht einmal den Vorteil für meine Nachkommen einsehe.

AMTMANN.

Euer Exzellenz erlauben, daß ich darin der entgegengesetzten Meinung sein darf. Ein Prozeß ist eine so reizende Sache, daß, wenn ich reich wäre, ich eher einige kaufen würde, um nicht ganz ohne dieses Vergnügen zu leben. Tritt ab.

GRÄFIN.
Es scheint, daß er seine Lust an unsern Besitztümern büßen will.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Gräfin. Magister.

MAGISTER.
Darf ich fragen, gnädige Gräfin, wie Sie sich befinden?
GRÄFIN.
Wie Sie denken können, nach der Alteration, die mich bei meinem Eintritt überfiel.
MAGISTER.

Es tat mir herzlich leid; doch, hoff' ich, soll es [189] von keinen Folgen sein. Überhaupt aber kann Ihnen schwerlich der Aufenthalt hier so bald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genossen haben.

GRÄFIN.
Es hat auch große Reize, wieder zu Hause bei den Seinigen zu wohnen.
MAGISTER.

Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, gegenwärtig zu sein, als die größten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat, Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine große Nation in dem Augenblick ergriff, als sie sich zum erstenmal frei und von den Ketten entbunden fühlte, die sie so lange getragen hatte, daß diese schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken Körpers geworden.

GRÄFIN.
Ich habe wunderbare Begebenheiten gesehen, aber wenig Erfreuliches.
MAGISTER.

Wenngleich nicht für die Sinne, doch für den Geist. Wer aus großen Absichten fehlgreift, handelt immer lobenswürdiger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Absichten gemäß ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen – –

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Luise.
Durch die Ankunft dieses vorzüglichen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des Gesprächs erst gemildert und sodann die Unterredung von dem Gegenstande gänzlich abgelenkt. Der Magister, der nun weiterhin kein Interesse findet, entfernt sich, und das Gespräch unter den beiden Frauenzimmern setzt sich fort, wie folgt.

GRÄFIN.
Was macht mein Sohn? ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen.
LUISE.

Er schläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder herumspringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beschädigung mehr übrig sein.

GRÄFIN.

Das Wetter ist gar zu übel, sonst ging ich in den Garten. Ich bin recht neugierig, zu sehen, wie alles gewachsen ist und wie der Wasserfall, wie die Brücke und die Felsenkluft sich jetzt ausnehmen.

[190]
LUISE.

Es ist alles vortrefflich gewachsen; die Wildnisse, die Sie angelegt haben, scheinen natürlich zu sein, sie bezaubern jeden, der sie zum erstenmal sieht, und auch mir geben sie noch immer in einer stillen Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muß ich gestehen, daß ich in der Baumschule unter den fruchtbaren Bäumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde. Ich kann säen, pfropfen, okulieren; und wenngleich mein Auge keine malerische Wirkung empfindet, so ist mir doch der Gedanke von Früchten höchst reizend, die einmal und wohl bald jemanden erquicken werden.

GRÄFIN.
Ich schätze Ihre guten häuslichen Gesinnungen.
LUISE.

Die einzigen, die sich für den Stand schicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkür erlaubt ist.

GRÄFIN.

Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe tat? können Sie sich entschließen, meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen, als Freundin, als Gesellschafterin mit ihr zu leben?

LUISE.
Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin.
GRÄFIN.

Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu tun. Die wilde und unbändige Gemütsart meiner Tochter macht ihren Umgang unangenehm und oft sehr verdrießlich. So leicht mein Sohn zu behandeln ist, so schwer ist es meine Tochter.

LUISE.

Dagegen ist ihr edles Herz, ihre Art, zu handeln, aller Achtung wert. Sie ist heftig, aber bald zu besänftigen, unbillig, aber gerecht, stolz, aber menschlich.

GRÄFIN.
Hierin ist sie ihrem Vater – –
LUISE.

Äußerst ähnlich. Auf eine sehr sonderbare Weise scheint die Natur in der Tochter den rauhen Vater, in dem Sohne die zärtliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben.

GRÄFIN.

Versuchen Sie, Luise, dieses wilde, aber edle Feuer zu dämpfen. Sie besitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Nähe, durch Ihr Beispiel wird sie gereizt werden, sich nach einem Muster zu bilden, das so liebenswürdig ist.

[191]
LUISE.

Sie beschämen mich, gnädige Gräfin. Ich kenne an mir keine Tugend als die, daß ich mich bisher in mein Schicksal zu finden wußte, und selbst diese hat kein Verdienst mehr, seitdem Sie, gnädige Gräfin, so viel getan haben, um es zu erleichtern. Sie tun jetzt noch mehr, da Sie mich näher an sich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und dem Umsturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht gesitteten und verständigen Umgang.

GRÄFIN.
Bei Ihrem Onkel müssen Sie von dieser Seite viel ausstehen.
LUISE.

Es ist ein guter Mann; aber seine Einbildung macht ihn oft höchst albern, besonders seit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben glaubt, nicht nur über die großen Welthändel zu reden, sondern auch darin mitzuwirken.

GRÄFIN.
Es geht ihm wie sehr vielen.
LUISE.

Ich habe manchmal meine Bemerkungen im stillen darüber gemacht. Wer die Menschen nicht kennte, würde sie jetzt leicht kennen lernen. So viele nehmen sich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit an, nur um für sich eine Ausnahme zu machen, nur um zu wirken, es sei, auf welche Art es wolle.

GRÄFIN.
Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn Sie mit mir in Paris gewesen wären.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Friederike. Der Baron. Die Vorigen.

FRIEDERIKE.

Hier, liebe Mutter, ein Hase und zwei Feldhühner! Ich habe die drei Stücke geschossen, der Vetter hat immer gepudelt.

GRÄFIN.
Du siehst wild aus, Friederike; wie du durchnäßt bist!
FRIEDERIKE
das Wasser vom Hute abschwingend.
Der erste glückliche Morgen, den ich seit langer Zeit gehabt habe.
BARON.
Sie jagt mich nun schon vier Stunden im Felde herum.
FRIEDERIKE.
Es war eine rechte Lust. Gleich nach Tische wollen wir wieder hinaus.
[192]
GRÄFIN.
Wenn du's so heftig treibst, wirst du es bald überdrüssig werden.
FRIEDERIKE.

Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! wie oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unsern Revieren gesehnt. Die Opern, die Schauspiele, die Gesellschaften, die Gastereien, die Spaziergänge, was ist das alles gegen einen einzigen vergnügten Tag auf der Jagd, unter freiem Himmel, auf unsern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt sind. – Wir müssen ehester Tage hetzen, Vetter.

BARON.
Sie werden noch warten müssen, die Frucht ist noch nicht aus dem Felde.
FRIEDERIKE.

Was will das viel schaden? es ist fast von gar keiner Bedeutung. Sobald es ein bißchen auftrocknet, wollen wir hetzen.

GRÄFIN.

Geh, zieh dich um! Ich vermute, daß wir zu Tische noch einen Gast haben, der sich nur kurze Zeit bei uns aufhalten kann.

BARON.
Wird der Hofrat kommen?
GRÄFIN.
Er versprach mir, heute wenigstens auf ein Stündchen einzusprechen. Er geht auf Kommission.
BARON.
Es sind einige Unruhen im Lande.
GRÄFIN.

Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man sich nur vernünftig gegen die Menschen beträgt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt.

FRIEDERIKE.
Unruhen? Wer will Unruhen anfangen?
BARON.
Mißvergnügte Bauern, die von ihren Herrschaften gedrückt werden und die leicht Anführer finden.
FRIEDERIKE.

Die muß man auf den Kopf schießen.Sie macht Bewegungen mit der Flinte. Sehen Sie, gnädige Mama, wie mir der Magister die Flinte verwahrlost hat! Ich wollte sie doch mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich sie dem Jäger aufzuheben geben. Da bat mich der Graurock so inständig, sie ihm zu lassen: sie sei so leicht, sagt' er, so bequem, er wolle sie so gut halten, er wolle so oft auf die Jagd gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er so oft auf die Jagd gehen wollte, und nun, sehen Sie, find' ich sie heute in der Gesindestube hinterm Ofen. Wie das aus sieht! sie wird in meinem Leben nicht wieder rein.

BARON.

Er hatte die Zeit her mehr zu tun; er arbeitet mit [193] an der allgemeinen Gleichheit, und da hält er wahrscheinlich die Hasen auch mit für seinesgleichen und scheut sich, ihnen was zuleide zu tun.

GRÄFIN.

Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten brauchen. Sobald der Hofrat kommt, wollen wir essen. Ab.

FRIEDERIKE
ihre Flinte besehend.

Ich habe die französische Revolution schon so oft verwünscht, und jetzt tu' ich's doppelt und dreifach. Wie kann mir nun der Schaden ersetzt werden, daß meine Flinte rostig ist?

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Saal im Schlosse.
Gräfin. Hofrat.

GRÄFIN.

Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewissen, teurer Freund. Denken Sie nach, wie wir diesem unangenehmen Prozesse ein Ende machen. Ihre große Kenntnis der Gesetze, Ihr Verstand und Ihre Menschlichkeit helfen gewiß ein Mittel finden, wie wir aus dieser widerlichen Sache scheiden können. Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man unrecht hatte und im Besitz war: je nun, dacht' ich, es geht ja wohl so hin, und wer hat, ist am besten dran. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meistenteils nur persönlich sind und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit Augen gesehen habe, daß die menschliche Natur auf einen unglaublichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann: so habe ich mir fest vorgenommen, jede einzelne Handlung, die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden und unter den Meinigen, in Gesellschaft, bei Hof, in der Stadt über solche Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen, und wenn [194] ich auch unter dem verhaßten Namen einer Demokratin verschrien werden sollte.

HOFRAT.

Es ist schön, gnädige Gräfin, und ich freue mich, Sie wiederzufinden, wie ich Abschied von Ihnen genommen, und noch ausgebildeter. Sie waren eine Schülerin der großen Männer, die uns durch ihre Schriften in Freiheit gesetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zögling der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was der wohldenkende Staatsbürger wünschen und verabscheuen muß. Es ziemt Ihnen, Ihrem eignen Stande Widerpart zu halten. Ein jeder kann nur seinen eignen Stand beurteilen und tadeln. Aller Tadel heraufwärts oder hinabwärts ist mit Nebenbegriffen und Kleinheiten vermischt, man kann nur durch seinesgleichen gerichtet werden. Aber eben deswegen, weil ich ein Bürger bin, der es zu bleiben denkt, der das große Gewicht des höheren Standes im Staate anerkennt und zu schätzen Ursache hat, bin ich auch unversöhnlich gegen die kleinlichen neidischen Neckereien, gegen den blinden Haß, der nur aus eigner Selbstigkeit erzeugt wird, prätentios Prätentionen bekämpft, sich über Formalitäten formalisiert und, ohne selbst Realität zu haben, da nur Schein sieht, wo er Glück und Folge sehen könnte. Wahrlich! wenn alle Vorzüge gelten sollen, Gesundheit, Schönheit, Jugend, Reichtum, Verstand, Talente, Klima, warum soll der Vorzug nicht auch irgendeine Art von Gültigkeit haben, daß ich von einer Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Väter entsprungen bin! Das will ich sagen da, wo ich eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhaßten Namen eines Aristokraten zueignete.


Hier findet sich eine Lücke, welche wir durch Erzählung ausfüllen. Der trockne Ernst dieser Szene wird dadurch gemildert, daß der Hofrat seine Neigung zu Luisen bekennt, indem er sich bereit zeigt, ihr seine Hand zu geben. Ihre frühern Verhältnisse, vor dem Umsturz, den Luisens Familie erlitt, kommen zur Sprache, so wie die stillen Bemühungen des vorzüglichen Mannes, sich und zugleich Luisen eine Existenz zu verschaffen.

Eine Szene zwischen der Gräfin, Luisen und dem Hofrat gibt Gelegenheit, [195] drei schöne Charaktere näher kennen zu lernen und uns für das, was wir in den nächsten Auftritten erdulden sollen, vorläufig einigermaßen zu entschädigen. Denn nun versammelt sich um den Teetisch, wo Luise einschenkt, nach und nach das ganze Personal des Stücks, so daß zuletzt auch die Bauern eingeführt werden. Da man sich nun nicht enthalten kann, von Politik zu sprechen, so tut der Baron, welcher Leichtsinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorschlag, sogleich eine Nationalversammlung vorzustellen. Der Hofrat wird zum Präsidenten erwählt, und die Charaktere der Mitspielenden, wie man sie schon kennt, entwickeln sich freier und heftiger. Die Gräfin, das Söhnchen mit verbundenem Kopfe neben sich, stellt die Fürstin vor, deren Ansehen geschmälert werden soll und die aus eigenen liberalen Gesinnungen nachzugeben geneigt ist. Der Hofrat, verständig und gemäßigt, sucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemühen, das jeden Augenblick schwieriger wird. Der Baron spielt die Rolle des Edelmanns, der von seinem Stande abfällt und zum Volke übergeht. Durch seine schelmische Verstellung werden die andern gelockt, ihr Innerstes hervorzukehren. Auch Herzensangelegenheiten mischen sich mit ins Spiel. Der Baron verfehlt nicht, Karolinen die schmeichelhaftesten Sachen zu sagen, die sie ihren schönsten Gunsten auslegen kann. An der Heftigkeit, womit Jakob die Gerechtsame des gräflichen Hauses verteidigt, läßt sich eine stille, unbewußte Neigung zu der jungen Gräfin nicht verkennen. Luise sieht in allem diesen nur die Erschütterung des häuslichen Glücks, dem sie sich so nahe glaubt, und wenn die Bauern mitunter schwerfällig werden, so erheitert Bremenfeld die Szene durch seinen Dünkel, durch Geschichten und guten Humor. Der Magister, wie wir ihn schon kennen, überschreitet vollkommen die Grenze, und da der Baron immerfort hetzt, läuft es endlich auf Persönlichkeiten hinaus, und als nun vollends die Brausche des Erbgrafen als unbedeutend, ja lächerlich behandelt wird, so bricht die Gräfin los, und die Sache kommt so weit, daß dem Magister aufgekündigt wird. Der Baron verschlimmert das Übel, und er bedient sich, da der Lärm immer stärker wird, der Gelegenheit, mehr in Karolinen zu dringen und sie zu einer heimlichen Zusammenkunft für die Nacht zu bereden. Bei allem diesen zeigt sich die junge Gräfin entschieden heftig, parteiisch auf ihren Stand, hartnäckig auf ihren Besitz, welche Härte jedoch durch ein unbefangenes, rein natürliches und im tiefsten Grunde rechtliches weibliches Wesen bis zur Liebenswürdigkeit gemildert wird. Und so läßt sich einsehen, daß der Akt ziemlich tumultuarisch und, insofern [196] es der bedenkliche Gegenstand erlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglich geendigt wird. Vielleicht bedauert man, daß der Verfasser die Schwierigkeiten einer solchen Szene nicht zur rechten Zeit zu überwinden bemüht war.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Bremens Wohnung.
Breme. Martin. Albert.

BREME.
Sind eure Leute alle an ihren Posten? Habt ihr sie wohl unterrichtet? Sind sie gutes Muts?
MARTIN.
Sobald Ihr mit der Glocke stürmt, werden sie alle da sein.
BREME.

So ist's recht! Wenn im Schlosse die Lichter alle aus sind, wenn es Mitternacht ist, soll es gleich angehen. Unser Glück ist's, daß der Hofrat fort geht. Ich fürchtete sehr, er möchte bleiben und uns den ganzen Spaß verderben.

ALBERT.

Ich fürchte so noch immer, es geht nicht gut ab. Es ist mir schon zum voraus bange, die Glocke zu hören.

BREME.

Seid nur ruhig. Habt ihr nicht heute selbst gehört, wie übel es jetzt mit den vornehmen Leuten steht? Habt ihr gehört, was wir der Gräfin alles unters Gesicht gesagt haben?

MARTIN.
Es war ja aber nur zum Spaß.
ALBERT.
Es war schon zum Spaße grob genug.
BREME.

Habt ihr gehört, wie ich eure Sache zu verfechten weiß? wenn's Ernst gilt, will ich so vor den Kaiser treten. Und was sagt ihr zum Herrn Magister, hat sich der nicht auch wacker gehalten?

ALBERT.

Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt, es würde Schläge setzen; und unsere junge gnädige Comtesse – war's doch, als wenn ihr seliger Herr Vater leibhaftig da stünde.

[197]
BREME.

Laßt mir das gnädige weg, es wird sich bald nichts mehr zu gnädigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe schon fertig, die schick' ich in die benachbarten Gerichtsdörfer. Sobald's hier losgeht, sollen die auch stürmen und rebellieren und auch ihre Nachbarn auffordern.

MARTIN.
Das kann was werden.
BREME.

Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebührt! euch, meine lieben Kinder. Ihr werdet als die Befreier des Landes angesehn.

MARTIN.
Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob davon tragen.
BREME.
Nein, das gehört sich nicht; es muß jetzt alles gemein sein.
MARTIN.
Indessen habt Ihr's doch angefangen.
BREME.

Gebt mir die Hände, brave Männer! So standen einst die drei großen Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staubbach, Fürst von Uri, die standen auf dem Grütliberg beisammen und schwuren den Tyrannen ewigen Haß und ihren Mitgenossen ewige Freiheit. Wie oft hat man diese wackern Helden gemalt und in Kupfer gestochen! Auch uns wird diese Ehre widerfahren. In dieser Positur werden wir auf die Nachwelt kommen.

MARTIN.
Wie Ihr Euch das alles so denken könnt.
ALBERT.

Ich fürchte nur, daß wir im Karrn eine böse Figur machen können. Horcht! es klingelt jemand. Mir zittert das Herz im Leibe, wenn sich nur was bewegt.

BREME.

Schämt Euch! ich will aufziehen. Es wird der Magister sein, ich habe ihn herüber bestellt. Die Gräfin hat ihm den Dienst aufgesagt; die Konteß hat ihn sehr beleidigt. Wir werden ihn leicht in unsere Partei ziehen. Wenn wir einen Geistlichen unter uns haben, sind wir unserer Sache desto gewisser.

MARTIN.
Einen Geistlichen und Gelehrten.
BREME.

Was die Gelehrsamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und besonders hat er weit weniger politische Lektüre als ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem seligen Großvater geerbt habe, waren in meiner Jugend schon durchgelesen, und das Theatrum Europäum kenn' ich in- und auswendig. Wer recht versteht, was geschehen ist, der[198] weiß auch, was geschieht und geschehen wird. Es ist immer einerlei; es passiert in der Welt nichts Neues. Der Magister kommt. Halt! wir müssen ihn feierlich empfangen. Er muß Respekt vor uns kriegen. Wir stellen jetzt die Repräsentanten der ganzen Nation gleichsam in Nuce vor. Setzt euch.


Er setzt drei Stühle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere einen Stuhl. Die beiden Schulzen setzen sich, und wie der Magister hereintritt, setzt sich Breme geschwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitätisches Wesen an.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Der Magister.

MAGISTER.
Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, sagten Sie.
BREME.

Etwas sehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie sich. Magister will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken. Nein, bleiben Sie dort, sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht, ob Sie an unserer Seite niedersitzen wollen.

MAGISTER.
Eine wunderbare Vorbereitung.
BREME.

Sie sind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenkender, ein geistlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie sind ehrwürdig, weil Sie geistlich sind, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei sind. Sie sind frei, weil Sie edel sind, und sind schätzbar, weil Sie frei sind. Und nun! Was haben wir erleben müssen! Wir sahen Sie verachtet, wir sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, daß wir Ihre Freunde sind, so glauben Sie auch, daß sich unser Herz im Busen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein freier Mann und bedroht, ein geistlicher Mann und verachtet, ein treuer Diener und verstoßen! Zwar verhöhnt von Leuten, die selbst Hohn verdienen, verachtet von Menschen, die keiner Achtung wert sind, verstoßen von Undankbaren, deren Wohltaten man nicht genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen – das scheint freilich nicht viel [199] zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, daß dieses Mädchen kein Mädchen, sondern ein eingefleischter Satan ist, daß man sie Legion nennen sollte – denn es sind viele tausend aristokratische Geister in sie gefahren –, so seht Ihr deutlich, was uns von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seid, so nehmt Ihr Eure Maßregeln.

MAGISTER.

Wozu soll diese sonderbare Rede? wohin wird Euch der seltsame Eingang führen? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um meine aufs Äußerste getriebene Empfindlichkeit noch mehr zu reizen? schweigt stille! wahrhaftig, ich wüßte nicht, wozu mein gekränktes Herz jetzt nicht alles fähig wäre. Was! nach so vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich vor die Türe zu setzen! und warum? wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder lustig auf und davon springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht, die Großen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn haben.

BREME.

Dieser edle Zorn ergetzt mich, und so frage ich Euch denn im Namen aller edlen, freigebornen, der Freiheit werten Menschen, ob Ihr diese Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freiheit völlig widmen wollt?

MAGISTER.
O ja, ich will, ich werde!
BREME.

Daß Ihr keine Gelegenheit versäumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt?

MAGISTER.
Ich gebe Euch mein Wort.
BREME.
So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Männern.
MAGISTER.

Einem jeden; aber was haben diese armen Leute, die wie Sklaven behandelt werden, mit der Freiheit zu tun?

BREME.

Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit, als die Schwelle des Gefängnisses ist, an dessen eröffneter Türe sie stehen.

MAGISTER.
Wie?
BREME.
Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen werdet!
MAGISTER.
Ich gebe es.
BREME.

Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer Stunde sind sie hier. Wir überfallen das [200] Schloß, nötigen die Gräfin zur Unterschrift des Rezesses und zu einer eidlichen Versicherung, daß künftighin alle drückenden Lasten aufgehoben sein sollen.

MAGISTER.
Ich erstaune!
BREME.

Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid schwören und sich davon entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, daß ein gezwungener Eid nichts gelte.

MAGISTER.

Dafür will ich Rat schaffen. Diese Menschen, die sich über alles wegsetzen, ihresgleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hineinleben, solange sie mit Menschen zu tun haben, die sie nicht schätzen, solange sie von einem Gott sprechen, den sie nicht erkennen: dieses übermütige Geschlecht kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kräfte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig miteinander bleiben. Laßt sie einen feierlichen Eid tun.

MARTIN.
Sie soll in der Kirche schwören.
BREME.
Nein, unter freiem Himmel.
MAGISTER.

Das ist nichts. Diese feierlichen Szenen rühren nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt sie, laßt sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei diesem geliebten Haupte ihr Versprechen beteuern und alles Übel, was einen Menschen betreffen kann, auf dieses kleine Gefäß herabrufen, wenn sie unter irgendeinem Vorwande ihr Versprechen zurücknähme oder zugäbe, daß es vereitelt würde.

BREME.
Herrlich!
MARTIN.
Schrecklich!
ALBERT.
Entsetzlich!
MAGISTER.
Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden.
BREME.
Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schärfen.
MAGISTER.

An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil; nur sagt mir, wie wird man es in der Residenz ansehen? Wenn sie euch Dragoner schicken, so seid ihr alle gleich verloren.

[201]
MARTIN.
Da weiß Herr Breme schon Rat.
ALBERT.
Ja, was das für ein Kopf ist!
MAGISTER.
Klärt mich auf.
BREME.

Ja, ja, das ist's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten nicht sucht. Er hat Konnexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur sagen, und es wissen's diese Leute, daß der Fürst selbst eine Revolution wünscht.

MAGISTER.
Der Fürst?
BREME.

Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beiden Monarchen, welche alle wahren Demokraten als ihre Heiligen anbeten sollten. Er ist erzürnt, zu sehen, wie der Bürger- und Bauernstand unterm Druck des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst legitimiert, dann setzt er sich an unsere Spitze, und seine Truppen sind zu unsern Diensten, und Breme und alle braven Männer sind an seiner Seite.

MAGISTER.
Wie habt Ihr das alles erforscht und getan und habt Euch nichts merken lassen?
BREME.

Man muß im stillen viel tun, um die Welt zu überraschen. Er geht ans Fenster. Wenn nur erst der Hofrat fort wäre, dann solltet ihr Wunder sehen.

MARTIN
auf Bremen deutend.
Nicht wahr, das ist ein Mann!
ALBERT.
Er kann einem recht Herz machen.
BREME.

Und, lieber Magister, die Verdienste, die Ihr Euch heute nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fürs ganze Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen. Wer hätte das gedacht!

MAGISTER.
Befürchtet Ihr keinen Widerstand?
BREME.

Dafür ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg, die paar Bedienten wollen nichts sagen, und der Baron ist nur der einzige Mann im Schlosse; den locke ich durch meine Tochter herüber ins Haus und sperre ihn ein, bis alles vorbei ist.

MARTIN.
Wohl ausgedacht.
MAGISTER.
Ich verwundere mich über Eure Klugheit.
[202]
BREME.

Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt, sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr sehen, besonders was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabei ein geschickter Barbier ist. Das unverständige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört jemanden zu barbieren, eben daß es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Exkremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer glattwangigen Frau, einem zarten liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu machen. Komme ich dereinst dazu, mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will.

MAGISTER.
Ihr seid ein originaler Kopf.
BREME.

Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten und wenn sie, albern genug, glaubten mich zum besten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, daß, wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiß, wer mit Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen, den sprödesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiß, daß ein frisch abgezognes Messer ebenso gut rauft als ein stumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären sie gar nicht dagewesen; wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehörige Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefälligkeit verrichtet und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt – das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muß alle Eigenschaften besitzen, die einem Minister Ehre machen.

ALBERT.
Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier.
MARTIN.
Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust.
BREME.

Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bei der ganzen [203] Kunst nichts Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art, die Gerätschaften zu halten, ihn unterm Arm zu tragen – ihr sollt Wunder hören und sehen. Nun wird's aber Zeit, daß ich meine Tochter vorkriege. Ihr Leute, geht an eure Posten! Herr Magister, halten Sie sich in der Nähe.

MAGISTER.

Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen lassen, als man mir im Schlosse übel begegnete.

BREME.

Wenn Sie stürmen hören, so soll's Ihnen freistehen, sich zu uns zu schlagen oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht zweifle.

MAGISTER.
Ich werde nicht fehlen.
BREME.
So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen acht.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
BREME
allein.

Wie würde mein sel'ger Großvater sich freuen, wenn er sehen könnte, wie gut ich mich in das neue Handwerk schicke. Glaubt doch der Magister schon, daß ich große Konnexionen bei Hofe habe. Da sieht man, was es tut, wenn man sich Kredit zu machen weiß. Nun muß Karoline kommen. Sie hat das Kind so lange gewartet, ihre Muhme wird sie ablösen. Da ist sie.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Breme. Karoline.

BREME.
Wie befindet sich der junge Graf?
KAROLINE.
Recht leidlich. Ich habe ihm Märchen erzählt, bis er eingeschlafen ist.
BREME.
Was gibt's sonst im Schlosse?
KAROLINE.
Nichts Merkwürdiges.
BREME.
Der Hofrat ist noch nicht weg?
KAROLINE.
Er scheint Anstalt zu machen. Sie binden eben den Mantelsack auf.
BREME.
Hast du den Baron nicht gesehen?
[204]
KAROLINE.
Nein, mein Vater.
BREME.
Er hat dir heute in der Nationalversammlung allerlei in die Ohren geraunt?
KAROLINE.
Ja, mein Vater.
BREME.
Das eben nicht die ganze Nation, sondern meine Tochter Karoline betraf?
KAROLINE.
Freilich, mein Vater.
BREME.
Du hast dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewußt?
KAROLINE.
O gewiß.
BREME.
Er hat wohl wieder stark in dich gedrungen?
KAROLINE.
Wie Sie denken können.
BREME.
Und du hast ihn abgewiesen?
KAROLINE.
Wie sich's ziemt.
BREME.

Wie ich es von meiner trefflichen Tochter erwarten darf, die ich aber auch mit Ehre und Glück überhäuft und für ihre Tugend reichlich belohnt sehen werde.

KAROLINE.
Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen.
BREME.

Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen großen Anschlag auszuführen, wozu ich deine Hilfe brauche.

KAROLINE.
Was meinen Sie, mein Vater?
BREME.
Es ist dieser verwegenen Menschenrasse der Untergang gedroht.
KAROLINE.
Was sagen Sie?
BREME.
Setze dich nieder und schreib.
KAROLINE.
Was?
BREME.
Ein Billet an den Baron, daß er kommen soll.
KAROLINE.
Aber wozu?
BREME.
Das will ich dir schon sagen. Es soll ihm kein Leids widerfahren, ich sperre ihn nur ein.
KAROLINE.
O Himmel!
BREME.
Was gibt's?
KAROLINE.
Soll ich mich einer solchen Verräterei schuldig machen?
BREME.
Nur geschwind.
KAROLINE.
Wer soll es denn hinüber bringen?
BREME.
Dafür laß mich sorgen.
KAROLINE.
Ich kann nicht.
[205]
BREME.

Zuerst eine Kriegslist. Er zündet eine Blendlaterne an und löscht das Licht aus. Geschwind, nun schreib, ich will dir leuchten.

KAROLINE
für sich.

Was soll das werden? Der Baron wird sehen, daß das Licht ausgelöscht ist; er wird auf das Zeichen kommen.

BREME
zwingt sie zum Sitzen.
Schreib! »Luise bleibt im Schlosse, mein Vater schläft. Ich lösche das Licht aus, kommen Sie.«
KAROLINE
widerstrebend.
Ich schreibe nicht.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Der Baron am Fenster.

BARON.
Karoline!
BREME.
Was ist das? Er schiebt die Blendlaterne zu und hält Karolinen fest, die aufstehen will.
BARON
wie oben.

Karoline! sind Sie nicht hier? Er steigt herein. Stille! wo bin ich? daß ich nicht fehlgehe. Gleich dem Fenster gegenüber ist des Vaters Schlafzimmer, und hier rechts an der Wand die Tür in der Mädchen Kammer. Er tappt an der Seite hin und trifft die Tür. Hier ist sie, nur angelehnt. O wie gut sich der blinde Cupido im Dunkeln zu finden weiß! Er geht hinein.

BREME.

In die Falle! Er schiebt die Blendlaterne auf, eilt nach der Kammertüre und stößt den Riegel vor. So recht, und das Vorlegeschloß ist auch schon in Bereitschaft. Er legt ein Schloß vor. Und du, Nichtswürdige! so verrätst du mich?

KAROLINE.
Mein Vater!
BREME.
So heuchelst du mir Vertrauen vor?
BARON
inwendig.
Karoline! Was heißt das?
KAROLINE.
Ich bin das unglücklichste Mädchen unter der Sonne.
BREME
laut an der Türe.
Das heißt: daß Sie hier schlafen werden, aber allein.
BARON
inwendig.
Nichtswürdiger! Machen Sie auf, Herr Breme, der Spaß wird Ihnen teuer zu stehen kommen.
BREME
laut.
Es ist mehr als Spaß, es ist bitterer Ernst.
[206]
KAROLINE
an der Türe.
Ich bin unschuldig an dem Verrat!
BREME.
Unschuldig? Verrat?
KAROLINE
vor der Türe knieend.

O, wenn du sehen könntest, mein Geliebter, wie ich hier vor dieser Schwelle liege, wie ich untröstlich meine Hände ringe, wie ich meinen grausamen Vater bitte! – Machen Sie auf, mein Vater! Er hört nicht, er sieht mich nicht an. – O mein Geliebter habe mich nicht in Verdacht, ich bin unschuldig!

BREME.

Du unschuldig? Niederträchtige feile Dirne! Schande deines Vaters! Ewiger schändender Flecken in dem Ehrenkleid, das er eben in diesem Augenblicke angezogen hat. Steh auf, hör' auf zu weinen, daß ich dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe, die du, ohne zu erröten, nicht wieder betreten solltest. Wie! in dem Augenblick, da Breme sich den größten Männern des Erdbodens gleichsetzt, erniedrigt sich seine Tochter so sehr!

KAROLINE.
Verstoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er tat mir die heiligsten Versprechungen.
BREME.

Rede mir nicht davon, ich bin außer mir. Was! ein Mädchen, das sich wie eine Prinzessin, wie eine Königin aufführen sollte, vergißt sich so ganz und gar? Ich halte mich kaum, daß ich dich nicht mit Fäusten schlage, nicht mit Füßen trete. Hier hinein! Er stößt sie in sein Schlafzimmer. Dies französische Schloß wird dich wohl verwahren. Von welcher Wut fühl' ich mich hingerissen! Das wäre die rechte Stimmung, um die Glocke zu ziehen. – Doch nein, fasse dich, Breme! – Bedenke, daß die größten Menschen in ihrer Familie manchen Verdruß gehabt haben. Schäme dich nicht einer frechen Tochter und bedenke, daß Kaiser Augustus in eben dem Augenblick mit Verstand und Macht die Welt regierte, da er über die Vergehungen seiner Julie bittere Tränen vergoß. Schäme dich nicht, zu weinen, daß eine solche Tochter dich hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, daß der Endzweck erreicht ist, daß der Widersacher eingesperrt verzweifelt und daß deiner Unternehmung ein glückliches Ende bevorsteht.

[207]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Saal im Schlosse, erleuchtet.
Friederike mit einer gezogenen Büchse. Jakob mit einer Flinte.

FRIEDERIKE.

So ist's recht, Jakob, du bist ein braver Bursche. Wenn du mir die Flinte zurechtbringst, daß mir der Schulfuchs nicht gleich einfällt, wenn ich sie ansehe, sollst du ein gut Trinkgeld haben.

JAKOB.

Ich nehme sie mit, gnädige Gräfin, und will mein Bestes tun. Ein Trinkgeld braucht's nicht, ich bin Ihr Diener für ewig.

FRIEDERIKE.
Du willst in der Nacht noch fort? es ist dunkel und regnicht, bleibe doch beim Jäger.
JAKOB.
Ich weiß nicht, wie mir ist, es treibt mich etwas fort. Ich habe eine Art von Ahnung.
FRIEDERIKE.
Du siehst doch sonst nicht Gespenster.
JAKOB.

Es ist auch nicht Ahnung, es ist Vermutung. Mehrere Bauern sind beim Chirurgus in der Nacht zusammengekommen; sie hatten mich auch eingeladen, ich ging aber nicht hin; ich will keine Händel mit der gräflichen Familie. Und jetzt wollt' ich doch, ich wäre hingegangen, damit ich wüßte, was sie vorhaben.

FRIEDERIKE.
Nun, was wird's sein? es ist die alte Prozeßgeschichte.
JAKOB.

Nein, nein, es ist mehr! lassen Sie mir meine Grille; es ist für Sie, es ist für die Ihrigen, daß ich besorgt bin.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Friederike. Nachher die Gräfin und der Hofrat.

FRIEDERIKE.

Die Büchse ist noch, wie ich sie verlassen habe; die hat mir der Jäger recht gut versorgt. Ja, das ist auch ein Jäger, und über die geht nichts. Ich will sie gleich laden und morgen früh bei guter Tageszeit einen Hirsch schießen. Sie beschäftigt sich an einem Tische, worauf ein Armleuchter steht, mit Pulverhorn, Lademaß, Pflaster, Kugel, Hammer und lädt die Büchse ganz langsam und methodisch.

[208]
GRÄFIN.

Da hast du schon wieder das Pulverhorn beim Licht, wie leicht kann eine Schnuppe herunterfallen. Sei doch vernünftig, du kannst dich unglücklich machen.

FRIEDERIKE.

Lassen Sie mich, liebe Mutter, ich bin schon vorsichtig. Wer sich vor dem Pulver fürchtet, muß nicht mit Pulver umgehen.

GRÄFIN.

Sagen Sie mir, lieber Hofrat, ich habe es recht auf dem Herzen: könnten wir nicht einen Schritt tun, wenigstens bis Sie zurückkommen?

HOFRAT.
Ich verehre in Ihnen diese Heftigkeit, das Gute zu wirken und nicht einen Augenblick zu zaudern.
GRÄFIN.

Was ich einmal für Recht erkenne, möcht' ich auch gleich getan sehn. Das Leben ist so kurz, und das Gute wirkt so langsam.

HOFRAT.
Wie meinen Sie denn?
GRÄFIN.
Sie sind moralisch überzeugt, daß der Amtmann in dem Kriege das Dokument beiseitegebracht hat –
FRIEDERIKE
heftig.
Sind Sie 's?
HOFRAT.
Nach allen Anzeigen kann ich wohl sagen, es ist mehr als Vermutung.
GRÄFIN.
Sie glauben, daß er es noch zu irgendeiner Absicht verwahre?
FRIEDERIKE
wie oben.
Glauben Sie?
HOFRAT.

Bei der Verworrenheit seiner Rechnungen, bei der Unordnung des Archivs, bei der ganzen Art, wie er diesen Rechtshandel benutzt hat, kann ich vermuten, daß er sich einen Rückzug vorbehält, daß er vielleicht, wenn man ihn von dieser Seite drängt, sich auf die andere zu retten und das Dokument dem Gegenteile für eine an sehnliche Summe zu verhandeln denkt.

GRÄFIN.

Wie wär' es, man suchte ihn durch Gewinst zu locken? Er wünscht seinen Neffen substituiert zu haben; wie wär' es, wir versprächen diesem jungen Menschen eine Belohnung, wenn er zur Probe das Archiv in Ordnung brächte, besonders eine ansehnliche, wenn er das Dokument ausfindig machte? Man gäbe ihm Hoffnung zur Substitution. Sprechen Sie ihn noch, ehe Sie fortgehen; indes, bis Sie wiederkommen, richtet sich's ein.

HOFRAT.
Es ist zu spät, der Mann ist gewiß schon zu Bette.
[209]
GRÄFIN.

Glauben Sie das nicht. So alt er ist, paßt er Ihnen auf, bis Sie in den Wagen steigen. Er macht Ihnen noch in völliger Kleidung seinen Scharrfuß und versäumt gewiß nicht, sich Ihnen zu empfehlen. Lassen wir ihn rufen.

FRIEDERIKE.
Lassen Sie ihn rufen, man muß doch sehen, wie er sich gebärdet.
HOFRAT.
Ich bin's zufrieden.
FRIEDERIKE
klingelt und sagt zum Bedienten, der hereinkommt.
Der Amtmann möchte doch noch einen Augenblick herüberkommen!
GRÄFIN.

Die Augenblicke sind kostbar. Wollen Sie nicht indes noch einen Blick auf die Papiere werfen, die sich auf diese Sache beziehen? Zusammen ab.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Friederike allein, nachher der Amtmann.

FRIEDERIKE.

Das will mir nicht gefallen. Sie sind überzeugt, daß er ein Schelm ist, und wollen ihm nicht zu Leibe. Sie sind überzeugt, daß er sie betrogen, ihnen geschadet hat, und wollen ihn belohnen. Das taugt nun ganz und gar nichts. Es wäre besser, daß man ein Exempel statuierte. Da kommt er eben recht.

AMTMANN.

Ich höre, daß des Herrn Hofrats Wohlgeboren noch vor ihrer Abreise mir etwas zu sagen haben. Ich komme, dessen Befehle zu vernehmen.

FRIEDERIKE
indem sie die Büchse nimmt.
Verziehen Sie einen Augenblick, er wird gleich wieder hier sein. Sie schüttet Pulver auf die Pfanne.
AMTMANN.
Was machen Sie da, gnädige Gräfin?
FRIEDERIKE.
Ich habe die Büchse auf morgen früh geladen, da soll ein alter Hirsch fallen.
AMTMANN.

Ei, ei! schon heute geladen und Pulver auf die Pfanne, das ist verwegen! wie leicht kann da ein Unglück geschehen.

FRIEDERIKE.

Ei was! Ich bin gern fix und fertig.Sie hebt das Gewehr auf und hält es, gleichsam zufällig, gegen ihn.

[210]
AMTMANN.

Ei, gnädige Gräfin, kein geladen Gewehr jemals auf einen Menschen gehalten! Da kann der Böse sein Spiel haben.

FRIEDERIKE
in der vorigen Stellung.

Hören Sie, Herr Amtmann, ich muß Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen: – daß Sie ein erzinfamer Spitzbube sind.

AMTMANN.
Welche Ausdrücke, meine Gnädige! – Tun Sie die Büchse weg.
FRIEDERIKE.

Rühre dich nicht vom Platz, verdammter Kerl! Siehst du, ich spanne, siehst du, ich lege an! Du hast ein Dokument gestohlen –

AMTMANN.
Ein Dokument? ich weiß von keinem Dokumente.
FRIEDERIKE.

Siehst du, ich steche, es geht alles in der Ordnung, und wenn du nicht auf der Stelle das Dokument herausgibst oder mir anzeigst, wo es sich befindet, oder was mit ihm vorgefallen, so rühr' ich diese kleine Nadel, und du bist auf der Stelle mausetot.

AMTMANN.
Um Gottes willen!
FRIEDERIKE.
Wo ist das Dokument?
AMTMANN.
Ich weiß nicht – Tun Sie die Büchse weg – Sie könnten aus Versehen –
FRIEDERIKE
wie oben.
Aus Versehen oder mit Willen bist du tot. Rede, wo ist das Dokument?
AMTMANN.
Es ist – verschlossen.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Gräfin. Hofrat. Die Vorigen.

GRÄFIN.
Was gibt 's hier?
HOFRAT.
Was machen Sie?
FRIEDERIKE
immer zum Amtmann.
Rühren Sie sich nicht, oder Sie sind des Todes! wo verschlossen?
AMTMANN.
In meinem Pulte.
FRIEDERIKE.
Und in dem Pulte! wo?
AMTMANN.
Zwischen einem Doppelboden.
FRIEDERIKE.
Wo ist der Schlüssel?
AMTMANN.
In meiner Tasche.
[211]
FRIEDERIKE.
Und wie geht der doppelte Boden auf?
AMTMANN.
Durch einen Druck an der rechten Seite.
FRIEDERIKE.
Heraus den Schlüssel!
AMTMANN.
Hier ist er.
FRIEDERIKE.
Hingeworfen!
AMTMANN
wirft ihn auf die Erde.
FRIEDERIKE.
Und die Stube?
AMTMANN.
Ist offen.
FRIEDERIKE.
Wer ist drinnen?
AMTMANN.
Meine Magd und mein Schreiber.
FRIEDERIKE.

Sie haben alles gehört, Herr Hofrat. Ich habe Ihnen ein umständliches Gespräch erspart. Nehmen Sie den Schlüssel und holen Sie das Dokument. Bringen Sie es nicht zurück, so hat er gelogen, und ich schieße ihn darum tot.

HOFRAT.
Lassen Sie ihn mitgehen; bedenken Sie, was Sie tun.
FRIEDERIKE.
Ich weiß, was ich tue. Machen Sie mich nicht wild und gehen Sie. Hofrat ab.
GRÄFIN.
Meine Tochter, du erschreckst mich. Tu das Gewehr weg!
FRIEDERIKE.
Gewiß nicht eher, als bis ich das Dokument sehe.
GRÄFIN.
Hörst du nicht? deine Mutter befiehlt's.
FRIEDERIKE.
Und wenn mein Vater aus dem Grabe aufstünde, ich gehorchte nicht.
GRÄFIN.
Wenn es losginge!
FRIEDERIKE.
Welch Unglück wäre das?
AMTMANN.
Es würde Sie gereuen.
FRIEDERIKE.

Gewiß nicht. Erinnerst du dich noch, Nichtswürdiger, als ich vorm Jahr im Zorn nach dem Jägerburschen schoß, der meinen Hund prügelte, erinnerst du dich noch, da ich ausgescholten wurde und alle Menschen den glücklichen Zufall priesen, der mich hatte fehlen lassen, da warst du's allein, der hämisch lächelte und sagte: Was wär' es denn gewesen? ein Kind aus einem vornehmen Hause! das wäre mit Geld abzutun. Ich bin noch immer ein Kind, ich bin noch immer aus einem vornehmen Hause; so müßte das wohl auch mit Geld abzutun sein.

[212]
HOFRAT
kommt zurück.
Hier ist das Dokument.
FRIEDERIKE.
Ist es? Sie bringt das Gewehr in Ruh.
GRÄFIN.
Ist's möglich?
AMTMANN.
O ich Unglücklicher!
FRIEDERIKE.
Geh! Elender! daß deine Gegenwart meine Freude nicht vergälle!
HOFRAT.
Es ist das Original.
FRIEDERIKE.

Geben Sie mir's. Morgen will ich's den Gemeinden selbst zeigen und sagen, daß ich's ihnen erobert habe.

GRÄFIN
sie umarmend.
Meine Tochter!
FRIEDERIKE.

Wenn mir der Spaß nur die Lust an der Jagd nicht verdirbt. Solch ein Wildpret schieß' ich nie wieder!

5. Akt

Fünfter Aufzug

Nacht, trüber Mondschein.


Das Theater stellt einen Teil des Parks vor, der früher beschrieben worden. Rauhe steile Felsenbänke, auf denen ein verfallenes Schloß. Natur und Mauerwerk ineinander verschränkt. Die Ruine sowie die Felsen mit Bäumen und Büschen bewachsen. Eine dunkle Kluft deutet auf Höhlen, wo nicht gar unterirdische Gänge.

Friederike, fackeltragend, die Büchse unterm Arm, Pistolen im Gürtel, tritt aus der Höhle, umherspürend. Ihr folgt die Gräfin, den Sohn an der Hand. Auch Luise. Sodann der Bediente, mit Kästchen beschwert. Man erfährt, daß von hier ein unterirdischer Gang zu den Gewölben des Schlosses reicht, daß man die Schloßpforten gegen die andringenden Bauern verriegelt, daß die Gräfin verlangt habe, man solle ihnen aus dem Fenster das Dokument ankündigen und zeigen und so alles beilegen. Friederike jedoch sei nicht zu bewegen gewesen, sich in irgendeine Kapitulation einzulassen, noch sich einer Gewalt, selbst nach eigenen Absichten, zu fügen. Sie habe vielmehr die Ihrigen zur Flucht genötigt, um auf diesem geheimen Wege ins Freie zu gelangen und den benachbarten Sitz eines Anverwandten zu erreichen. Eben will man sich auf den Weg machen, als man oben in der Ruine Licht sieht, ein Geräusch hört. Man zieht sich in die Höhle zurück. [213] Herunter kommen Jakob, der Hofrat und eine Partei Bauern. Jakob hatte sie unterwegs angetroffen und sie zu Gunsten der Herrschaft zu bereden gesucht. Der Wagen des wegfahrenden Hofrats war unter sie gekommen. Dieser würdige Mann verbindet sich mit Jakob und kann das Hauptargument, daß der Originalrezeß gefunden sei, allen übrigen Beweggründen hinzufügen. Die aufgeregte Schar wird beruhigt, ja sie entschließt sich, den Damen zu Hilfe zu kommen.

Friederike, die gelauscht hat, nun von allem unterrichtet, tritt unter sie, dem Hofrat und dem jungen Landmann sehr willkommen, auch den übrigen durch die Vorzeigung des Dokuments höchst erwünscht.

Eine früher ausgesendete Patrouille dieses Trupps kommt zurück und meldet, daß ein Teil der Aufgeregten vom Schlosse her im Anmarsche sei. Alles verbirgt sich, teils in der Höhle, teils in Felsen und Gemäuer.

Breme mit einer Anzahl bewaffneter Bauern tritt auf, schilt auf den Magister, daß er außen geblieben, und erklärt die Ursache, warum er einen Teil der Mannschaft in den Gewölben des Schlosses ge lassen und mit dem andern sich hieher verfügt. Er weiß das Geheimnis des unterirdischen Ganges und ist überzeugt, daß die Familie sich darein versteckt, und dies gibt die Gewißheit, ihrer habhaft zu werden. Sie zünden Fackeln an und sind im Begriff, in die Höhle zu treten. Friederike, Jakob, der Hofrat erscheinen in dem Augenblicke, bewaffnet, sowie die übrige Menge.

Breme sucht der Sache eine Wendung durch Beispiele aus der alten Geschichte zu geben und tut sich auf seine Einfälle viel zugute, da man sie gelten läßt; und als nun das Dokument auch hier seine Wirkung nicht verfehlt, so schließt das Stück zu allgemeiner Zufriedenheit. Die vier Personen, deren Gegenwart einen unangenehmen Eindruck machen könnte: Karoline, der Baron, der Magister und der Amtmann, kommen nicht mehr zum Vorschein.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Dramen. Die Aufgeregten. Die Aufgeregten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5EF5-7