353) Der Saalaffe zu Halle. 1

Der sogenannte Saalaffe, das zweite Wahrzeichen der Stadt, ist jetzt zwar von seinem uralten Standorte verschwunden, befindet sich aber in dem Locale des Thüringisch-Sächsischen Alterthumsvereins. Jener Ort, vielleicht auch nicht sein ursprünglichster Standpunkt, war aber an der sogenannten Zinnen- oder hohen Brücke vor dem Clausthore, welche 5 Bogen und einen langen Damm hatte, aber wegen ihrer Steilheit berüchtigt war und deshalb im Jahre 1840-41 durch die jetzige Elisabethbrücke ersetzt worden ist. Diese Brücke war schon im Jahre 1172, laut Urkunde, in Stein erbaut, jedoch vermuthlich nur die Pfeiler, weil andere Chroniken sagen, sie sei erst 1503 gewölbt worden. Dieses Bild befand sich nun aber 2 Ellen über dem gewöhnlichsten Wasserstande an der Stromseite des Pfeilers zwischen dem zweiten und dritten Bogen auf der Thalseite der Brücke eingemauert. Seiner ganzen Construction nach hat es wohl ursprünglich eine gewisse Bestimmung gehabt, vielleicht ist es ein Wasserspeier gewesen. Genau betrachtet entspricht es auch nicht seiner ursprünglichen Benennung »Saalaffe«, die nichts als eine ziemlich moderne Verstümmelung ist und später entstanden, als die erste Einwölbung der Brücke stattfand. Es stellt vielmehr eine Larve oder Maske vor, welche ein hinter dem Stein Verborgener mit beiden Armen hält, während die Zeige- und Mittelfinger der beiden Hände das Maul, aber keineswegs dabei, wie Einige bemerkt haben wollen, mit dem Daumen die Augen[313] aufreißen, eine häufig noch bei Gassenjungen vorkommende Fratze beim Gesichterschneiden. Ebensowenig kann es aber der Saalnix oder ein anderer Dämon dieser Art sein. Eher ist es wohl ursprünglich das Brückenzeichen der ersten Brücke, ebenso wie das Brückenmännchen zu Dresden, der angebliche Janus zu Grimma, der Affe zu Heidelberg oder der Bradaz (Bradacz) d.h. Langbart an der Prager Brücke, vielleicht ein Warnungszeichen für die dem Wasser zunächst Wohnenden bei Anschwellung des Flusses geworden. Wie bei vielen andern Wahrzeichen der Städte, so auch hier, hat sich das Volk bei denselben, wenn es sie nicht mehr verstand, selbst eine Erklärung dazu gemacht. Nach der allgemeinen Sage soll nämlich beim Bau der ersten Brücke der unmenschliche feindselige Saalnix, der Wodnymuz der alten Slaven, dadurch seine boshafte Gewalt geäußert haben, daß er allnächtlich das wieder zerstörte, was die Bauleute am Tage gefördert hatten. Wie überall bei dergleichen Spukereien im Mittelalter soll auch hier die Geistlichkeit das beste Mittel geboten haben, um die Tücke des Wassergeistes zu vereiteln. Dieses Präservativmittel war aber das Einmauern einer Reliquie in den Grund des Brückenpfeilers. Das Mittel half auch, der Nix ließ nicht nur ab von seinem nächtlichen Zerstörungsgeschäfte, sondern man fand ihn selbst auch bei Tagesanbruch in Stein verwandelt am Ufer liegen, und man hatte nichts Eiligeres zu thun, als den versteinerten Wassergeist zum abschreckenden Beispiel für andere seines Gleichen in den Pfeiler selbst einzumauern. Nach einer Variante derselben Sage 2 hätte jedoch der Nix nur am nächsten Morgen am Ufer sitzend seinen Aerger dadurch den Bauleuten kundgegeben, daß er ihnen ein in die Breite gezogenes Fratzengesicht machte und solches wäre zum Andenken in Stein gehauen und an dem Pfeiler angebracht worden.

Daß es Nixe in der Saale gegeben hat, dafür führt man eine große Menge Sagen an, es giebt sogar einen alten Volksspruch darüber, der so lautet:


Wißt Ihr wohl, wo Halle liegt?

Halle liegt im Thale!

Da sind schöne Jungfern drin,

Auch Nixe in der Saale.


Daß aber jenes fragliche Steinbild keine Aehnlichkeit mit einem Nix hat, wie man sich ihn gewöhnlich denkt, wird wohl Jedermann zugeben. Das Volk beschreibt ihn gewöhnlich als einen kleinen freundlichen Knaben in grünem oder rothem Röckchen mit hellfunkelnden Augen und oft mit langem grünen Haar und grünen Zähnen. Bisweilen aber gleicht er einem erwachsenen Manne, hat ein altes tückisches Gesicht und Krallen an den Händen. Er wohnt mit Frau und Kindern auf dem Grunde der Flüsse und Seen, einzelne Nixe hausen auch in Brunnen. Wo ganze Familien zusammen sind, führen sie Wirthschaft wie die Menschen; in den benachbarten Dörfern und Städten kaufen sie ein, was sie bedürfen, und in der Dölauer Haide sieht man die Nixe von Lettin oft Holz lesen. An den Weiden, die in verschiedenen Gegenden an der Saale und Elster stehen, trocknen die Nixe bei heiterem Wetter ihre Wäsche; sie setzen sich dann in den Wipfel der Weide, breiten die Hemden und Röcke an den Zweigen ringsumher aus und wenn Alles trocken ist, [314] nehmen sie es ab und steigen wieder ins Wasser. 3 Es giebt jedoch noch verschiedene andere Erklärungen, z.B. hat man bei dieser Figur an die im Mittelalter vorkommende schlimme Gewohnheit gedacht, Menschen, namentlich Kinder dazu zu verkaufen, um sie in der Absicht, einem Bauwerke größere Festigkeit zu verleihen, freiwillig zu opfern und in den Bau einzumauern. Daran schließt sich ein zweiter Aberglaube, daß nämlich bei jedem Brückenbau dem Wasser ein Opfer fallen müsse. Eine andere Ansicht macht aus dem Saalaffen einen »Soolaffen« und erkennt in dem Bilde den alten Hallgeist; dies bezieht sich auf den alten Hallorengebrauch, einmal im Jahre diesen schwarzen Geist auf einer Stange herumzutragen und ihn in den Brunnen zu werfen, ein Gebrauch, der aber mit dem bekannten Todaustreiben am Sonntage Lätare zusammenhängt und noch im 17. Jahrhundert zu Leipzig unter dem Namen des Todaustragens der Dirnen im Gebrauch war. Jedenfalls ist dieser Soolaff oder Soolalp, d.h. der Geist des Salzbrunnens 4, auf keine Weise mit diesem Brückenaffen in Beziehung zu bringen. Wahrscheinlich ist ebensowenig an die Benennung des Teufels: »Herrgottsaffe«, noch an die in der Heraklesmythe vorkommenden zerstörungssüchtigen, in Lydien hausenden Kerkopen der griechischen Mythologie, noch an die nach der Erzählung des Diodorus Siculus auf den Pithecusen göttlich verehrten Affen, noch an die symbolische Bedeutung des Affen, namentlich in seiner Zusammenstellung mit Schwein und Schaf, wie am Dome zu Münster zu denken. Nach der Ansicht W. Schäfer's müßte eher an die metaphorischen Bedeutungen des Wortes »Affe« im Deutschen selbst gedacht werden. Das Wort »Affe« wird nämlich im Mittelhochdeutschen oft für »Larve« (z.B. noch jetzt im Worte: Affenwurm, d.h. die Larve der Wassermücke), Maske und Fratze gebraucht, daher auch die alten Sprichwörter: »Einem einen Affen drehen, machen, verbinden.« Auch ist das Sprichwort: »Er hat sich einen Affen gekauft« d.h. er ist betrunken, vielfältig bekannt. Ebenso sind die Ausdrücke: »affen, äffen, äffern,« d.h. verspotten, zum Besten haben und das alte Wort: »Affenheit« statt Fratzenhaftigkeit noch heut zu Tage nicht ganz außer Gebrauch gekommen. Am Allerschlagendsten sind aber die schweizerischen Wörter: »äffen«, für: sich ärgern, erzürnen, verdrießlich werden (z.B. ich habe mich darüber geäfft), sowie »äffig« für: ärgerlich, und endlich »das Affenmännlein« für: zornmüthiger Mensch, für die Vermuthung, daß der Saalaffe soviel als Fratzengesicht bedeutet. Sonach würde der Saalaffe eine Fratzenlarve, vielleicht das Wasserhöhenzeichen bedeuten, welches die damaligen Steinmetzen an den Brücken anzubringen pflegten, wie man solches auch bei den romanischen Kirchenbauten, besonders an Kapitälern und Kragen häufig findet.

Fußnoten

1 Nach Schäfer in der Illustr. Ztg. 1858, Bd. I., S. 65, mit Abbildung.

2 S. Zacher in Herrig und Viehoff's Archiv 1847.

3 So Sommer S. 38. In meinem Sächsischen Sagenschatz S. 221 habe ich aber den Muldennix bei Grimma beschrieben, den ich als Nix daselbst gesehen zu haben glaube, der sieht anders aus.

4 Nach Förstemann c. Leo in den Neuen Mittheilungen des Thür.-Sächs. Vereins.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 353. Der Saalaffe zu Halle. 353. Der Saalaffe zu Halle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5CB3-D