607) Die Ersteigung des Hübichensteins. 1

Auf dem Försterhause in Grund wohnte vor alten Zeiten einmal ein Förster, der hatte seine Frau früh verloren und nur noch einen einzigen Sohn. Der soll ein recht geschickter und auch recht guter Bursche gewesen sein, nur ein Bischen zu vorwitzig, wie nun die Jugend ist. Einmal geht der Förstersohn mit seinen guten Freunden in's Holz spazieren. Wie sie nach dem Hübichenstein kommen, kommt das Gespräch auf diesen Felsen, wie hoch er ist, und Einer sagt, den wolle er sehen, der da hinaufsteigen könne. Da sagt der Förstersohn, das wäre nichts und er wage es, die Andern aber riethen ihm ab. Denn wenn einer hinaufgestiegen ist, hat er nicht wieder herabgekonnt und am andern Tage zerschmettert unten gelegen. Aber der Förstersohn glaubte nicht daran, lachte und sagte, nun wolle er es erst recht thun. Er ließ sich nicht halten, was die Andern auch angeben mochten, und stieg hinauf. Mag ihm wohl sauer genug geworden sein. Denn was man jetzt den kleinen Hübichenstein nennt, der ist vor alten Zeiten viel höher gewesen als der, den man jetzt den großen Hübichenstein nennt, und hat deshalb auch der große geheißen. Wie er oben steht, lacht er seine guten Freunde aus und spottet und sagt, sie wären so klein wie die Zwerge. So hat er eine ganze Weile gestanden. Da fängt der Wind an zu gehen, und er denkt: sollst nun wieder heruntersteigen. Er hat aber nicht wieder hinuntergekonnt, [556] hat nicht einmal die Füße regen können; und unten die Leute konnten ihm nicht helfen, und zuletzt bat er seine guten Freunde, sie möchten ihm doch nur die einzige Gnade erweisen und ihn herunterschießen, daß er nicht lebendig hinunterstürzen müßte. Aber das mochte doch auch Keiner thun. Nun hört auch sein Vater davon, weil alle Leute aus Grund hinausrennen und sehen wollen, ob's wahr ist, und Andere kommen wieder und sagen: es ist wahr. Da geht der alte Förster auch hinaus und sieht mit seinen eigenen Augen seinen Sohn auf dem großen Hübichenstein stehen und kann ihm auch nicht helfen und weint und rauft sich die Haare und ist fast von Sinnen vor Betrübniß, aber das half Alles nicht. Am Ende, wie es Abend wird, wird der Himmel voll Wolken und der Wind hebt an zu pfeifen und es regnet, daß kein Mensch davor bleiben kann. Da haben die Leute den alten Förster mit Gewalt nach Hause weggeführt. Wieder zu Hause, denkt er: »Was kann's helfen? Du bist doch einmal ein geschlagener Mann und du erweisest deinem Kinde nur eine Wohlthat und der liebe Gott wird dir's vergeben.« Da nimmt er sein bestes Gewehr und macht sich auf den Weg nach dem Hübichenstein. Wie er aus Grund hinaus ist, hört auf einmal der Regen auf, nur über Grund regnet's in Strömen. Sonst ist Alles hell und der Mond scheint recht klar. Auf dem Wege zum Hübichenstein hebt er an zu weinen und zu beten und ist ganz hin vor Herzensangst und Betrübniß. Da ist auf einmal ein kleines Männlein bei ihm mit einem eisgrauen Bart, das geht an einem Tannenzweig. Das Männlein sagt: »Glück auf!« und fragt, ob er denn noch so spät ins Holz müßte? Der Förster erschreckt, hat aber nicht Lust zu sagen, wohin er will und was er vorhat. Da fragt ihn das kleine Männlein, warum er denn immer seufze und was ihm denn fehle, daß ihm die Thränen immer über die Wangen liefen? er sollte doch nur sein Herz aufschließen, es könnte ja noch Alles gut gehen. Darüber wird der Förster zutraulich und sagt: wenn er's noch nicht wüßte, er wäre der Mann, dessen Sohn jetzt auf dem Hübichenstein stehen müßte. Der Satan hätte ihn verführt, daß er hinaufgestiegen sei. Und sein Sohn hätte alle Menschen um Gottes Willen gebeten, sie möchten ihn doch herunterschießen, aber Keiner wäre so barmherzig gewesen. So wollte er's thun. Denn das, meinte er, würde ihm doch Gott nicht als Sünde anrechnen. Ob er denn warten sollte, daß sein leiblich Kind lebendig herunterstürzen und elendiglich seinen Geist aufgeben sollte? So käme er doch schneller und ohne Schmerzen von der Welt. Und darauf fängt et wieder an zu jammern und sagt, er hätte das doch nicht um seinen Sohn verdient, er hätte ihn mit saurer Mühe aufgezogen und zu Kirchen und Schulen gehalten, und er wäre doch auch sonst so gottesfürchtig gewesen und hätte kein Kind betrübt und nicht einmal das Würmchen zertreten mögen. So wollte er doch lieber, daß er mit seiner Frau gestorben wäre, als daß er das Unglück erleben müsse, nun so verlassen zu sein im Alter und keinen Sohn zu haben, der ihm einmal die Augen zudrücke. Das ist dem Männlein zu Herzen gegangen, aber wie der Förster noch spricht, ist auf einmal das Männlein verschwunden. Da sieht nun der Vater die Spitze des Hübichensteins, steht unten und legt an auf seinen Sohn. Der ruft und bittet ihn, er möchte nur zuschießen; et fürchte sich nicht, wenn er nur gleich von der Welt käme. Der Förster denkt, er will losdrücken, da kommen mit einem Male tausend kleine Männlein [557] aus allen Hecken und Büschen hervorgesprungen. Die machen sich an ihn und werfen mit Tannenzapfen auf ihn und schneiden ihm Gesichter zu und schlagen ihn mit Heckbüscheln und Dornsträuchern um die Beine. Und wie er sich wehren will, wird's immer ärger und fangen kann er keinen, sie sind zu flink. Und mitten dazwischen steht das kleine Männlein mit dem eisgrauen Bart und treibt die andern an. Endlich sieht der Förster, daß er nichts ausrichten kann und muß umkehren nach Hause.

Wie er fort ist, da wird's auf einmal laut am Hübichenstein hinauf, und es kommen allenthalben am Gestein viel kleine Männlein herauf, alle auf eisernen Fahrten, die gehen von unten bis oben hin und Jeder hat ein messingnes Grubenlicht in der Hand, einige sind jung, andere alt und rauh von Haar wie ein Bär. Der Erste, der heraufkommt, ist ganz alt, mit eisgrauem Bart, der geht ihm bis an die Brust, in der Hand hat er ein silbernes Grubenlicht, das scheint wie die helle Sonne, und auf dem Haupte eine goldene Krone, und der hat den Andern befohlen und ist der König. Das ist der Gübich gewesen. Der spricht oben zum Förstersohn: »Wer hat Dich geheißen auf meinen Stein steigen? Eigentlich müßte ich Dich herunterstürzen lassen und einem Andern sollte es nicht so hingehen. Aber Dein Vater dauert mich, weil er ein braver Mann ist.« Darauf bannt ihn der Gübich wieder los und sagt, er solle nur auf der Fahrt da hinuntersteigen. Dem Förstersohn brechen fast die Kniee. Da ruft der Gübich ein anderes Männlein heran, dem muß er sich auf die Schultern setzen, das trägt ihn ganz säuberlich hinunter, daß der Förstersohn sich wundern muß über die Kraft des Männleins. Wie sie unten angekommen sind und der Zwerg hat den Förstersohn abgesetzt, faßt ihn der Gübich bei der Hand und führt ihn in sein Schloß unter dem Hübichenstein. Da kommen sie in ein Zimmer, darin blitzen die Wände von Stuferz, die Decke ist von einem Stück Schwerspath weiß wie Schnee, und von der Decke hängt ein großer Kronleuchter herab, ganz von Krystallen und Edelgestein, größer als im Goslarschen Zehnten, und der Fußboden ist mit grünen Tannenzweigen überstreut und die Paneele glänzen nur so von Gold und Edelgestein. Und mitten in der Stube steht ein Tisch von Glaskopf und ein silberner Stuhl davor. Darauf setzt sich nun der Zwergkönig, sagt zu dem Förstersohn, er solle sich auch setzen und schlägt mit dem silbernen Schlägel gegen den Tisch von Glaskopf. Der giebt einen Ton von sich, so köstlich, wie man's in der Welt nicht hört. Da kommen tausend kleine Frauenbilder herein, die tragen Erdbeeren und Himbeeren auf, und der Gübich sagt zu dem Förstersohn, er solle davon nehmen. Also sprechen sie zusammen, und die andern Frauenbilder und Männlein machen Musik dazu. Wie die Mahlzeit zu Ende ist, schlägt der Gübich wieder mit dem silbernen Fäustel an den Tisch von Glaskopf, und wie der köstliche Ton wieder erklingt, da tragen die kleinen Frauensbilder Krüge herein von lauterm Silber; und der Gübich sagt zu dem Förstersohn, er solle Bescheid thun. Der sagt: »Glück auf!« und thut seinen Zug. Aber so Herrliches hat er im Leben nicht getrunken. Wie nun der Förstersohn sich so erquickt hat, führt ihn der Gübich in eine andere Stube. Da steht eine große Braupfanne voll lauter Wildemännergulden, blitzblank, als wenn sie erst aus der Münze gekommen wären.

Der Gübich sagt, das wäre sein Reichthum, den müßten ihm seine [558] Unterthanen verschaffen, und er hätte ja schon manchem Armen davon Gutes gethan und wäre nicht der Menschen Feind. Aber in Frieden müsse man ihn lassen; und dergleichen hat er ihm noch viel gesagt. »Willst Du mir nun einen Gefallen thun«, sagt er, »so soll's Dich nicht gereuen. Nämlich so lange wie der große Gübichenstein (sonst hat man ihn den Hübichenstein geheißen) der große bleibt, habe ich mein Recht daran und darf auch auf der Erde walten gehen (d.h. umgehen), wenn aber der große Gübichenstein zum kleinen wird, so kostet's mich die Krone und dann darf ich blos unter der Erde herrschen. Da schießen nun immer die Leute nach Krimmern und Falken oben auf dem Gübichenstein und das darf ich nicht leiden; denn trifft's den Stein, so bröckelt etwas ab. Wenn er, der Förstersohn, also dafür sorgen wolle, daß Keiner seinen Stein beschädige, so solle er zum reichen Manne werden und könne sich aus der Braupfanne nehmen so viel er wolle.« Der Förstersohn verspricht's und giebt ihm die Hand darauf. Dann nimmt er sich aus der Braupfanne so viel er will, füllt alle Taschen und häuft auch seine Mütze voll. Wie das geschehen ist, führt ihn der Gübich in ein anderes Zimmer, da ist ein Bett von Moos recht artig bereitet. Der Gübich sagt, er will seinen Gast morgen zeitig wecken und er wünscht ihm gute Nacht. Der Förstersohn hat noch nicht lange geschlafen, da weckt's ihn auf, und wie er die Augen aufschlägt, graut der Morgen, und wie er sich besinnt ('s ist so kalt gewesen), liegt er unten am Hübichenstein und seine Mütze mit den Wildemännergulden liegt noch bei ihm und die Taschen sind gepfropft voll. Das hat er Alles der Obrigkeit erzählt und eine Kirche bauen lassen im Grund, wo vorher keine gewesen. Und die Obrigkeit hat ein Gesetz ausgehen lassen, daß Keiner auf den Hübichenstein steigen dürfe und Keiner da nach Krimmern schießen solle und nach Falken und Raben. Und so lange wie der große Hübichenstein ist unversehrt gewesen, hat der Gübich da sein Wesen gehabt und viel Gutes gethan und manchen Bösen gestraft und es hat ihn auch Mancher gesehen. Aber im dreißigjährigen Kriege da haben die Kaiserlichen die Spitze des großen Hübichenstein aus Muthwillen mit Karthaunen heruntergeschossen und von der Zeit an hat kein Mensch den Gübich mehr gesehen.

Fußnoten

1 S. Harrys Th. II. S. 38 etc. Etwas verschieden bei Pröhle, Harzsagen S. 58 etc. Sehr kurz bei Kuhn und Schwarz S. 193.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Der Harz. 607. Die Ersteigung des Hübichensteins. 607. Die Ersteigung des Hübichensteins. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-59F7-9