III.

Es begab sich einst, daß eine arme Frau auf dem Löbauer Berge die Thüre des Goldkellers gewahrte, wie sie offen stand. Die Zeit aber, wo solches geschah, war an einem Charfreitag Morgens früh, als man eben vom Chore die Passion absang. Neugierig und hoffend, einen Schatz und somit ihr Glück darin zu finden, so wie schon mancher Anderer vor ihr, ging sie hinein, obschon sie einen größern Schatz, nämlich ihr einziges Kind, auf den Armen trug. Ueberall glänzten ihr gleich hellen Karfunkeln, die Gold-, Silber- und Schaustücke entgegen, die in großen mächtigen Braupfannen links und rechts aufgehäuft dastanden. Niemand aber und nirgend wo war ein Wächter dieser Schätze zu sehen, ein runder Tisch nur stand unfern vom Eingange, und einige Aepfel, so frisch, wie sie nur in Herbstzeit auf den fruchttragenden Bäumen prangen mögen, lagen darauf. Auf diesen Tisch nun setzte sie das Kindlein nieder, damit es spielen möge mit den herrlichen Früchten, sie aber scharrte und sammelte so viel des blanken Geldes und Goldes in ihre Schürze, als sie nur ertragen konnte und trug es fürbaß aus dem Keller hinaus. Alsbald nun kehrte sie wieder um, daß sie auch ihr Kindlein sich nachholen möge, was sie versäumt hatte über dem unterirdischen Mammon. Aber o Jammer! nimmer und nirgends konnte sie jetzt die Thüre des Kellers wieder gewahren, zu der sie doch nur eben hinausgetreten war, und weder Weinen noch Greinen, noch Klagen und Zagen mochten ihr helfen, denn schier nicht eine einzige Spur konnte sie noch wahrnehmen. Gar gern hätte sie nun all' ihre blanken [180] Schätze, die sie gewonnen, dahin gegeben für den einzigen Schatz, den sie verloren. Und ob sie auch ihr gehabtes Unglück denen anzeigte, die zu Rathe sitzen, so konnten sie ihr doch nicht rathen und helfen, ja alles Nachforschen und Suchen und Graben war sonder Nutzen, so viel dessen auch auf gemeiner Stadt Kosten veranstaltet und vorgenommen werden mochte. Was aber jene schmerzlich betrübte Mutter durch alle ihre Sorgfalt und Mühe nicht zu erlangen vermochte, das konnte Geduld und Zeit ihr gewähren, denn als nun endlich wieder die Zeit der Ostern herbeigekommen war und die Stunde, wo man vom Chore herab die Passion absang, ging das Weib abermals hinaus, die Stelle zu suchen, wo sie vor einem Jahr so glücklich und doch so unglücklich gewesen, und siehe, da öffnete sich mit einem Male wieder jene unterirdische Pforte mit ihren Karfunkeln gleich blitzenden Schätzen. Sie aber, thränend und sehnend, sieht nichts denn ihr Kindlein, das immer noch auf jenem runden Tische sitzend, wohin sie es einst gesetzt, munter spielte mit den frischen Aepfeln und freundlich die Arme ihr entgegenstreckte. Gar gern wählte sie diesmal für alle die todten Schätze den lebenden, doch als sie mit ihm das Sonnenlicht erblickte, erblich das Kind ihr in den Armen 1. Nach einem andern Berichte hätte jedoch das Kind nur eine dreitägige Ohnmacht befallen, und da ein Jeder an dem Schicksale der unglücklichen Mutter Theil nahm, so habe auch ein wunderthätiger Mann der Gegend davon gehört, es sei ihm gelungen, dem Kinde wiederum Leben und Gesundheit zu schenken und zwar mittelst heilsamer Kräuter, die nicht weit von jenem Goldkeller wuchsen, weshalb auch eine Stelle daselbst bekanntlich der Kräutergarten heißt. Der darauf munter gewordene Knabe war aber nie mehr auf den Berg zu bringen, mochten seine Gespielen auch noch so fröhlich dahin eilen, und als er zum Jüngling herangewachsen und [181] die Mutter verstorben war, ging er in die weite Welt und hat da durch Fleiß und Rechtschaffenheit sein Glück gemacht, mochte aber nie von dem Glück etwas wissen, welches nur durch Schätze in den Geisterbergen und auf ähnliche Art leicht zu erwerben sei.

Fußnoten

1 Ganz ähnliche Sagen knüpfen sich an den vermeintlichen Goldkeller im Kottmarberger und im Falkenberge bei Neustadt bei Stolpen, an die Landskrone bei Görlitz und an den Meisengrund bei'm Tollenstein in Böhmen.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 3. [Es begab sich einst, daß eine arme Frau auf dem Löbauer Berge die]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5481-A