319) Marienborn im Magdeburgischen. 1

Der ehemalige Klosterort Marienborn ist jetzt ein schönes Dorf nahe der Wasserscheide der Elbe und Weser. In dem ehemaligen Klostergarten führt eine Vertiefung im Erdboden nach einer Grotte, in welcher der Marienborn entspringt. Fast das ganze Thal, dessen einfacher Mittelpunkt eine Vertiefung bildet, schließt den Klostergarten ein. In frühern Zeiten hatte aber dieses Thal den Namen des Mordthales, weil sich hier Räuber aufhielten, welche die Gegend umher unsicher machten.

Einst weidete ein alter Hirte in diesem Mordthale seine Heerde, da kam es ihm vor, als wenn ein Chor von Jungfrauen mit Fackeln in den Händen friedlich gegen die Quelle heranwandele und sich gegen einen über derselben befindlichen Baum verneigte. Dann träumte ihm, die Jungfrau Maria habe sich von ihrem göttlichen Sohn diese Stätte erbeten, um hier einen Altar und ein Gotteshaus zu stiften, welches bis ans Ende der Welt bleiben solle. Bald darauf erkrankte er und sagte seinem Beichtvater, er habe gesehen, daß sich ein Bild der heil. Jungfrau aus den Wolken des Himmels in den Born des Mordthales bis auf den Grund niedergesenkt habe und daß zwei Engel dabei das heilige Kreuz darüber gehalten hätten. Diese Aussage des Sterbenden ward bald in der ganzen Gegend bekannt, Alles eilte herzu und wollte den wunderbaren Born sehen und aus ihm trinken, ja bald verbreitete sich das Gerücht, daß Kranke, die aus demselben getrunken, durch sein Wasser geheilt worden seien. Durch diese zahlreichen Besucher wurden überdem die Räuber genöthigt das Thal zu verlassen. Mittlerweile erzählten Hirten, daß wenn sie jetzt in dem Thale ihre Heerden weiden wollten, so tränke ihr Vieh nicht mehr aus demselben, es möge noch so durstig sein, sondern sänke vor demselben auf seine Kniee. Auf diese Erzählung veranstaltete die Geistlichkeit der Umgegend eine feierliche Prozession dahin, man hielt dabei eine stille Andacht und untersuchte den Grund desselben und siehe, man fand daselbst ein kleines niedliches, aus Holz geschnitztes Bildniß der heil. Jungfrau, man zeigte es den Andächtigen und legte es dann unter frommen Gesängen bei dem über dem Born stehenden Baume nieder. Nun benützten einige fromme Bauerntöchter, welche bisher einzeln in dunkeln Bergschluchten jener Gegend sich einem beschaulichen und frommen Leben ergeben hatten, diesen Ort, um sich zu vereinigen, und erbauten, ohne sich an eine Regel oder durch Gelübde zu binden, an demselben eine Klause, wo sie als Büßende von ihrer Hände Arbeit und den Wohlthaten frommer Herzen lebten. Allein nach und nach erhielten sie so viel, daß sie im Stande waren, sich selbst hier eine Kapelle zu bauen, und das war der Ursprung des nachherigen Klosters Marienborn.

Fußnoten

1 Nach Pröhle S. 68 etc.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 319. Marienborn im Magdeburgischen. 319. Marienborn im Magdeburgischen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-536D-2