[428] 485) Die Sage von der Göttin Lohra. 1

Vom Ohmgebirge zieht sich ein Arm gegen Osten und bildet bei Elende den einen Pfeiler der Porta Eichsfeldica. Den gegenüberliegenden Pfeiler aber formirt ein anderer Gebirgszug, das Düngebirge, an dessen nördlichem Fuße Münchenlohra liegt, ein ehemaliges, wahrscheinlich von den alten Grafen von Lohra gestiftetes, erst von Benedictinermönchen, dann von Nonnen bewohntes Kloster. In der Nähe desselben liegen die Dörfer Groß- und Kleinwerder und von hier führt ein Waldweg, welcher der Burgstieg heißt, den hohen Berg hinan, auf welchem das Schloß Lohra selbst liegt. Hier soll die uns schon bekannte Göttin Lohra oder Lara verehrt worden sein, welche jedoch vermuthlich keine deutsche, sondern eine slavische Gottheit gewesen ist, wie denn überhaupt hier die Sorbenwenden gehaust haben. Dieselbe war der Sage nach eine Beschützerin treuer Liebenden, die jedoch umgedreht auch den Verrath und die Untreue hart bestrafte. So soll sie einst in der Nähe des Schlosses ein Ritterfräulein, welches einst ihrem Geliebten Treue geschworen und sich dem Zorne der Göttin geweiht, wenn sie ihm untreu werde, nachdem sie doch ihr Wort gebrochen, in der Gestalt eines Hirsches zum Tode erschreckt, und als das Mädchen sich aus dem hier befindlichen Walde geflüchtet, durch aus der Erde hervorbrechendes Feuer zu Asche verbrannt haben.

Einst lebten in der Nähe des Berges zwei Brüder, die an Gesinnung einander sehr unähnlich waren. Der Aeltere strebte nur nach Reichthum und Ehrgeiz war die Triebfeder aller seiner Handlungen; der Jüngere dagegen liebte nur häusliches Stillleben und häusliches Eheglück war das Ziel seines Strebens. Er hatte eine Braut, die aber sehr arm war, und deshalb gab sich sein Bruder alle nur mögliche Mühe, ihn von derselben abwendig zu machen. Einst ging er in dem Walde, welcher den Berg der Lohra bedeckt, sinnend auf und ab, als er plötzlich vor einer Felsenspalte stand, die er sich nie gesehen zu haben erinnern konnte. Er trat näher, doch ehe er dieselbe noch ganz erreicht hatte, trat aus derselben ein wunderschöner engelhafter Zwerg heraus, der ihn aufforderte ihm zu folgen, ihn bei der Hand faßte und in die Höhle hineinzog. Ueberrascht folgte er ihm und ließ sich von ihm wie ein willenloses Kind leiten. Nach kurzem Gange gelangten sie an eine Thüre von glänzendem Metall; der Zwerg zog einen goldenen Schlüssel heraus und öffnete dieselbe. Der junge Mann stand wie verzaubert, denn er schaute in einen Garten, in welchem bei sonniger Helle die herrlichsten Blumen mit den brennendsten Farben und fremdartigsten Gerüchen dufteten und wo sich Vögel mit goldiggrünen Schwingen auf den Bäumen wiegten und mit menschenähnlichen Stimmen mit einander plauderten. Der Zwerg ließ ihm aber nicht lange Zeit, diese Herrlichkeiten zu bewundern, sondern schritt auf eine Rosenlaube zu, in welcher sich die Göttin Lora, ein Ideal weiblicher Schönheit, befand. Mit strahlenden Augen betrachtete sie den Jüngling und reichte ihm dann eine dunkelrothe Blume, welche sie eben in der Hand hielt, mit den Worten: »Du liebst aufrichtig und treu ein armes Mädchen und wirft von ihr wiedergeliebt; hier nimm diese Blume und bewahre sie wohl, so wirst Du das höchste und reinste häusliche Glück genießen, das [429] sich auf Erden nur denken läßt. In Eintracht und Heiterkeit werdet Ihr Euere Tage verleben, blühende Kinder werden Euch umspielen und spät am Abend Eueres Erdenlaufs werdet Ihr vereint mit einander ins Grab sinken. Gehe und sei glücklich!« Der Jüngling nahm dankbar das Geschenk an und entfernte sich auf das Zeichen der Göttin unter Leitung desselben Zwerges, der ihn hierhergeführt. »Du betrachtest die Früchte dieses Gartens so neugierig«, sprach derselbe mit feiner Stimme, »warte ein wenig, daß ich Dir einige pflücke, die Du Deiner Braut mitnehmen kannst.«

Schnell waren die schönsten Früchte von einigen Bäumen herabgelangt und des Jünglings Taschen damit angefüllt, der sich mit herzlichem Danke entfernte und erfreut zu seiner Geliebten eilte. Athemlos erzählte er ihr, was ihm begegnet sei, und da sie ihn ungläubig anblickte, griff er in die Tasche, um sie durch den Anblick der wunderbaren Früchte, die er erhalten, zu überzeugen, aber wie erstaunten Beide, als sich inzwischen Alles in Gold und Silber verwandelt hatte. Die Freude der Liebenden war ohne Grenzen, dankbar priesen sie die theilnehmende Göttin, kauften sich für das Geld, welches sie für die kostbaren Früchte erhielten, ein schönes Besitzthum und fanden in ihrem gegenseitigen Besitze ihr schönstes Glück.

Der Bruder des jungen Ehegatten, der sich früher in seinem Stolze um seinen Bruder fast gar nicht gekümmert hatte, hörte verwundert, daß derselbe sich ein schönes Landgut gekauft habe und hier im besten Wohlstand lebe. Da er sich nun auf keine Weise entziffern konnte, auf welche Art und Weise sein Bruder zu solchem plötzlichen Reichthum gekommen sei, so machte er sich selbst auf den Weg, um ihn zu besuchen und sich auf diese Weise zugleich von der Wahrheit dessen, was er gehört hatte, zu überzeugen. Er fand auch Alles bestätigt, was er vorher erfahren hatte und verlor keinen Augenblick, sich hierüber von demselben Aufklärung zu erbitten. Sein Bruder, dem von der Göttin kein Stillschweigen auferlegt worden war, theilte ihm natürlich auch sofort Alles mit, was ihm begegnet war.

Der Geldgierige, der eben im Begriff war, aus Noth ein altes häßliches, zanksüchtiges, aber sehr reiches Weib heimzuführen, dachte natürlich gleich, das Glück möge ihm vielleicht ebenso günstig sein, wie seinem Bruder, und wenn dies geschehe, dann werde er natürlich seine häßliche Braut sitzen lassen und sich ein Mädchen nach seinem Gefallen aussuchen können. Er stärkte sich also vorerst durch Speise und Trank und machte sich dann auf den Weg nach der Höhle, die er endlich auch, jedoch erst nach langem Suchen fand. Vor derselben auf dem Rasen saß ein häßlich gestalteter, dickköpfiger Zwerg. Auf seine Bitte erhob sich derselbe auch und führte ihn in den Berg hinein, allein der Gang war so dunkel und holprig, daß er mehrere Male mit dem Kopfe gegen die Felsenzacken stieß, bald sogar stolperte und zu Boden fiel. Endlich gelangten sie in den Garten und er sah bald mit lachendem Herzen die Laube, in welcher die Göttin saß; kühn trat er vor sie hin und begrüßte sie, allein wie ward ihm, als dieselbe ihn hart mit folgenden Worten anließ: »Elender, Du wagst es, mit unreinem Herzen frech und dünkelhaft vor mir zu erscheinen? Du, der Du die heilige Liebe mißbrauchst und unter ihrem Namen nur Deine Geldgier zu befriedigen strebst, Du hoffst von mir, der Beschützerin treuer, aufrichtiger und uneigennütziger Liebe, Schätze zu erhalten? Auf, Ihr meine dienstbaren Geister, ergreift ihn, straft ihn [430] für seinen frechen Uebermuth und werft ihn hinaus aus meinem Gebiete!« Und es rauschte aus allen Büschen wie ein Sturmwind, und eine Schaar von Zwergen hing sich wie ein Schwarm ergrimmter Katzen an ihn, sie stießen, schlugen und kneipten ihn, zogen ihn durch den dunkeln Gang in's Freie, warfen ihn den Berg hinab und mit donnerähnlichem Krachen schloß sich der Eingang zu der Höhle hinter ihm zu.

Voll von ohnmächtiger Wuth eilte der Getäuschte von dannen und hielt nicht eher an, bis er schweißtriefend daheim anlangte. Schreck und Zorn warfen ihn auf's Krankenlager und mehrere Wochen war er nicht im Stande, dasselbe zu verlassen. Als endlich seine Gesundheit zurückgekehrt war, sah er sich genöthigt, seiner häßlichen Braut sein Wort zu halten. Zwar ward die Hochzeit mit großem Prunk gefeiert, allein es war kein Glück in seiner Ehe, an Vertrag mit dem bösen Weibe war nicht zu denken, das Vermögen, welches er erheirathet hatte, schwand ihm unter den Händen und zuletzt hatte er von allen Besitzthümern, die sie ihm zugebracht hatte, nur noch sie selbst übrig, die ihm zur Last war und sein Leben durch ihre Vorwürfe zur Hölle machte.

Fußnoten

1 S. Thüringen und der Harz Bd. VII. S. 22 etc.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 485. Die Sage von der Göttin Lohra. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5027-9