[1023] 1248. Karl der Große und die Friesen.

(S. Hansen a.a.O. S. 262 etc.)


Als Karl der Große nach Friesland kam, setzte er sich auf den Richterstuhl, forderte die Friesen vor sich und gebot ihnen Rechte zu küren (d.h. Gesetze zu wählen), die sie halten sollten. Da sprachen sie, sie wollten erst Fürsprecher wählen. Am folgenden Tage kamen sie wieder und wählten nun 12 Fürsprecher aus den sieben Seelanden. Diesen gebot Karl Rechte zu küren für das Volk. Am dritten Tage traten diese abermals vor den König und erklärten ihm, daß echte Noth (d.h. ein rechtliches Hinderniß) da sei, daß sie nicht neue Gesetze wählen könnten. Ebenso geschah es an dem vierten und fünften Tage. Am sechsten Tage befahl ihnen der König abermals, daß sie Rechte küren sollten, allein sie baten ihn, daß er ihnen gestatten wolle, bei ihren alten Rechten und Gewohnheiten zu bleiben. Da wurde der König zornig und sprach: »Nun, so will ich Euch dreierlei geben, worunter Ihr wählen könnt. Entweder sollt Ihr Sclaven oder getödtet werden, oder man soll Euch in ein Schiff ohne Ruder, Steuer und Taue setzen und Euch mit der Ebbe ins Meer treiben lassen.« Sie wählten das Letzte und fuhren mit der Ebbe so weit hinaus, daß sie kein Land mehr sehen konnten. Als sie nun in großer Angst waren, sprach einer von ihnen: »Ich habe gehört, daß der Christengott, als er auf Erden wohnte, 12 Jünger hatte, und selber der Dreizehnte war, daß er stets ihr Berather, Tröster und Helfer war. Lasset uns ihn anrufen, daß er auch uns der Dreizehnte sein, auch uns belehren und zu Lande führen wolle.« Da fielen alle 12 Männer auf die Kniee und beteten um die Hilfe Christi. Als sie wieder aufblickten, da saß der Dreizehnte am Steuerrande und lenkte vermittelst eines Beiles das Schiff dem Lande zu. Als sie das Ufer erreicht hatten, warf der Dreizehnte die Axt auf den Rasen und siehe es sprudelte eine Quelle voll süßen Wassers hervor. Alle setzten sich um die Quelle herum, schöpften aus derselben und der Dreizehnte begann sie zu belehren, welche Rechte sie küren sollten. Als er zu reden aufhörte, sahen sie nach ihm empor, allein er war plötzlich von ihnen verschwunden. Sie zweifelten aber nicht, daß es der Herr Jesus selber gewesen, dem sie ihre Rettung und Belehrung zu verdanken hatten. Sie traten nun freimüthig vor den König Karl, der sich nicht wenig verwunderte, daß sie noch am Leben waren, sagten, daß sie jetzt Rechte küren könnten und wollten, und wählten sich nach dem erhaltenen Rechte nun die sogenannten 17 Willküren und 24 Landrechte der Friesen, die der König Karl ihnen bestätigte und die sie halten sollten bis zum jüngsten Tage.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Schleswig-Holstein. 1248. Karl der Große und die Friesen. 1248. Karl der Große und die Friesen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4B4E-5