[524] 498. Der Ursprung der Preußen und ihr Name.

(S. Waissel, Chronica v.d. Lande Preußen S. 10. Hartknoch Th. I. S. 72 etc. Voigt, Gesch. Preußens Bd. I. S. 607 etc.)


Als die Gothen zum größten Theile aus dem heutigen Lande Preußen fortgezogen waren, sind die Preußen ins Land gekommen. Diese haben dereinst um die Riphäerberge gewohnt, da wo sich dieselben nach Mitternacht hin erstrecken, nicht weit von dem Flusse Tanais (Don). Weil dort aber immer ewiger Schnee ist, sind sie bewogen worden, sich einen andern Wohnsitz zu suchen und sind in dies Land gekommen, welches ihnen sehr gefallen hat, und nicht weitergezogen wegen seiner Fruchtbarkeit an Aeckern, Weide und Gewässern, haben es für sich und ihre Kinder zur Wohnung erwählt und nach ihrem Volke Poreußen genannt, woraus dann mit Weglassung eines einzigen Buchstabens Preußen geworden ist. Porussi oder Borussi bedeutet nämlich eigentlich die unter den Russen Wohnenden (von po [altpreußisch] oder pod [polnisch] = unterhalb).

Es giebt jedoch noch eine andere Sage hierüber. Es sollen nämlich die Masovier, welche früher als ihre Nachbarn, die Brutener, das Christenthum annahmen, letztere um ihrer Trunksucht und Rohheit halben die Bruten (v. lat. brutus) die Unvernünftigen oder Dummen genannt haben. Darüber wurden dieselben aber so aufgebracht, daß sie mit einem starken Heere gegen dieselben aufbrachen und bei Neidenburg mit ihnen zusammenstießen. Endlich aber wurden die Masovier des Kampfes müde und schickten Abgesandte an sie, wie sie könnten besänftigt werden. Darauf antworteten ihnen die Brutener, sie müßten ihre Götter mit verehren und den Schimpfnamen nicht mehr brauchen. Die Masovier aber entgegneten, ihre Götzen könnten sie nicht verehren, wenn sie aber das Bild Christi auf die heilige Eiche setzen wollten, so wollten sie derselben ihre Verehrung bezeigen, den Schimpfnamen aber wollten sie gern zurücknehmen, denn sie sähen ein, daß die Brutener nicht unvernünftige (bruti), sondern vorwissende (praescii) Leute wären. Dies nahmen die Brutener auch an und so ist aus praescii durch Verdrehung Prussi (Preußen) entstanden, wie denn auch das altpreußische Wort prussia soviel bedeutet als: er wird verstehen. 1

Ueber diesen Namen hat nun aber ein Edelmann zu Bromberg, ein mächtiger Herr einmal gespottet und gesagt: »Wenn meine Hunde Rehe würden, so möchten sie solche praescii auch werden«; allein dies haben die Brutener sehr übel genommen, sind in Polen eingefallen und haben den frechen Spötter, als er ihnen entgegenzog und um Vergebung bat, festgenommen, auf sein Pferd gebunden und sammt diesem ihren Göttern lebendig verbrannt.

Fußnoten

1 Ueb. and. Ableitungen d. Namens s. Eckermann, Lehrb. d. Mythol. Bd. IV. S. 350.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. West- und Ostpreußen. 498. Der Ursprung der Preußen und ihr Name. 498. Der Ursprung der Preußen und ihr Name. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4176-E