918. An Nanda Keßler

Am Vorabend von Rosens
Geburtstag.
Juni 1893.

Lauschend am Fenster sitzt der Poet.
Draußen die Blumen und Pflänzchen
Halten ihr Abendkränzchen
Auf dem Gartenbeet.
Der Mond in Silberlivrée,
Leise geschäftig,
Kredenzt den Thau, den Blüthenthee,
Anregend und kräftig;
Und von Kelch zu Kelche
Geht ein Geflüster:
Also Morgen ist er!
Frau Veronika Ehrenpreis.
Ja, Morgen feiert sie
Ihren werthen Entsprießungstag – –
Taubneßel (mit dem Hörrohr).
Hä, wie? Hä, welche?
[10]
Veronika (lauter).
Drüben im Garten die schöne Frau Rose – –
Taubneßel.
Ah, mit den zwei Knospen die!
Veronika.
Die tadel- und dornenlose – –
Distel (für sich).
Wer's glauben mag!
Veronika.
Von Duft und Glanz umwoben.
Distel (laut).
Man weiß, man weiß!
Die gute Frau Ehrenpreis
Muß immer loben.
Und doch hat unser Röschen, das feine,
Allerlei kleine
Grillen und Räupchen
Unter dem zierlichen Häubchen.
Gänseblümchen.
Oh, wie reizend!
Klatschrose.
Ja, reizend, das wollt ich meinen!
Drum sieht man auch häufig den Löwenzahn,
Den Rittersporn und den Baldrian
Dort wachsen und erscheinen.
Gänseblümchen.
Oh, wie reizend!
Klatschrose.
Ja, reizend, ganz recht!
Und dann dieser Musenknecht,
Dieser Dichter –
Distel.
Der Versetrichter –
Klatschrose.
Mit den langen Locken –
Distel.
Mit dem Loch im Socken –
Gänseblümchen.
Oh, wie reizend!
Klatschrose.
Alltäglich kläglich mit Gefühl
In ihrer Nähe
Entlockt er seinem Saitenspiel
Lieblich Getön
Und singt so schön – –
[11]
Distel.
Wie 'ne alte Krähe.
Klatschrose.
Zum Beispiel, noch gestern – –
Lilie (sanft unterbrechend).
Geliebte Schwestern! – –
Veronika.
Ihr Muster der Milde!
Ihr Tugendgebilde! – –
Lilie.
Wen sollte der festliche Tag nicht rühren!
Ich denke doch – – –
Levkoje, Tulpe, Päonie, Flox etc.
Ja ja, wir Alle gratuliren!!
Veronika.
Ein Schöngeist blüht in unsrer Mitte,
Ein hochgeschickter –
Fräulein Federnelke – –
Federnelke.
Oh, bitte!
Distel (für sich).
Blaustrumpf, verrückter!
Veronika (fortfahrend).
Federnelke, die wundersame,
So lautet ihr holder botanischer Name.
Vielleicht läßt sie sich freundlich erweichen
Und schreibt und dichtet ein Billet,
Duftend, geistvoll und nett.
Das möge dann die dienende Biene,
Unsere süße geflügelte Schleckerkatrine,
Hinschwebend im frühesten Morgenwind,
Dem hohen Geburtstagskind
Ehrfurchtsvoll sumsend überreichen.
Gänseblümchen.
Oh, wie reizend!
Federnelke (schreibt und liest).
"Veredelte Rose und Nachbarin!
Nehmet dies Brieflein gnädig hin,
Sintemalen daßelbe geschrieben
Von allerlei Pflanzen, welche Euch lieben.
Verleihe der Himmel Euer Gnaden
Beständig ein sanftes Sonnenlicht
Und frischen Thau und meinetwegen
Auch hie und da ein wenig Regen,
Nur Sturmwind nicht,
Denn dieser thut der Schönheit Schaden.
Ergebenst mit Herz und Honigmund
Das Blumenkränzchen: ›Tugendbund‹".
[12]
Gänseblümchen.
Oh, wie reizend!
Federnelke.
Ich denke, es macht sich so!
Alle.
Bravo bravißimo!! –
Der Mond.
Noch 'n Täßchen Thee gefällig?
Levkoje.
Ich trank schon drei –
Flox.
- – ich fünf –
Tulpe.
- – ich acht! –
Päonie.
Mein Mieder kracht!
Alle.
Gute Nacht, gute Nacht!!

(Die Blumen nicken ein. Der Mond geht unter. Der Poet, nachdem er noch einen Blick in die Nacht hinaus gebohrt, schließt leise das Fenster.)

W.B.


918. An Nanda Keßler: Faksimile: Letzer Absatz und Gruß

[13] Wiedensahl Juni 1893.


Meine liebe Nanda!

Die vorstehenden Zeilen sind mir von unserm gemeinsamen Freunde, dem närrischen Poeten übergeben zu deinem Geburtstage. Das Datum, natürlich, hat er sich nicht gemerkt, der alte Troddel; und daß Du dergleichen Scherze eigentlich nicht liebst, vergißt er auch immer wieder. Verzeih es ihm, denn Du kennst ihn ja.

Ich aber wünsche dir zu diesem Tage, wann er auch sei im Laufe des Juni, schlichtweg, daß es Dir gut gehen möge sammt deinen Kindern.

Sei recht herzlich gegrüßt von Deinem alten

Onkel Wilhelm.

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TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 918. An Nanda Keßler. 918. An Nanda Keßler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1E32-C