133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler

[83] 133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler


An
Johanna, Nanda und Letty!
Wo ich auch sei – ich denke immer
An die bewußten Frauenzimmer! –
Als ich vor etwa tausend Jahren
Von Frankfurt schnell hinweggefahren
Und im Coupée der Eisenbahn
Den ersten Dämmerschlaf gethan,
Da war es Nacht, und an den Wagen
Hört ich die scharfen Schloßen schlagen,
Und wie bei Kaßel der Morgen graute
Und wie ich hinaus zum Fenster schaute,
Da lag im Thal und auf der Höh
Viel weißer, kalter Winterschnee. –
Doch weiter fuhr ich, immer weiter;
Die Sonne ging auf, der Himmel ward heiter;
Und als ich im alten Wolfenbüttel
Bei Seit gestellt den Wanderknittel
Und mir so Alles rings besah –
Schau schau! da war auch der Frühling da. –
Drei Katzen saßen im Sonnenschein
Und blinzten so in den Tag hinein.
Zwei Füllen sprangen kreuz und queer,
Hopphopp, auf dem weiten Hofe umher.
Die Hähne krähten kikerikih!
Es gackert und schnattert das Federvieh,
Enten und Hühner weiß, roth und bunt.
Und vor der Thür stand Hektor der Hund
Und war vergnügt und boll und boll,
Daß es von allen Wänden scholl. –
Auch kleideten bald sich weit und breit
Die Bäume in Blüthenherrlichkeit,
Darinnen sangen viel Nachtigallen
Zu meinem besonderen Wohlgefallen
Ihre erbauliche Melodie.
Ging ich zur Ruh, so hört ich sie,
Und am Morgen erwacht ich wieder
Bei dem Klange der süßen Lieder. –
Dann währt's nicht lang, so thät mir winken
Die Frühstückszeit mit Wurst und Schinken.
Zu Mittag gab es Spargelsproßen,
Welche bei Nacht hervorgeschoßen.
Aber beim Abendsonnenschein
Trug man den guten Wein herein. –
Es war recht schön. – Auch dacht ich immer
An die bewußten Frauenzimmer! –
So waren denn die drei, vier Wochen
Schnell und lustig vorbei gekrochen.
Ich ging spatzieren wieder mal
Im lieben, alten Wiedensahl,
Aus dem guten, wohlbekannten Haus
Durch den Garten in's Feld hinaus.
Ich sah den Wind in Wellen ziehn
Über die grünen Saaten hin.
Ich ging gemach den schmalen Steig
Bis in die Wiesen blüthenreich
[84]
Und legte mich in's bunte Kraut,
Da wo man zum Dorf hinüber schaut,
Und sah grad wie in Kindertagen
Aus den Bäumen die Kirche ragen,
Um's rothe Pfarrhausdach daneben
Die weißen Flattertauben schweben,
Derweil die Fenster röthlich blinken;
Denn eben will die Sonne sinken.
Es fällt der Thau, und still erhöht
Der Vollmond über'm Walde steht,
So wie er oft so hell und schön
Von Nachbars Garten hergesehn
Durch's Fenster in das Boudoir
Auf der gestopften Strümpfe Schaar
Bis hinten in das liebe Ecki
Auf den Calas von Chodowiecki. –
Ja, blinke nur! – Ich denke immer
An die bewußten Frauenzimmer! –
Oft bin ich durch die hohen Bogen
Des Buchenwaldes hingezogen,
Am Ilsbach hin, der murmelnd schleicht,
Bis ich des Waldes Rand erreicht.
Da liegt, vom Horizont umschloßen,
Die Haide fernhin ausgegoßen.
Hier Föhren ernst und dunkelgrün,
Hier Wiesen, welche lustig blühn,
Und kleine Teiche, Schilfbewachsen –
Der Kibitz schreit, die Frösche quacksen –.
Dort dehnen sich die braunen Matten;
Es weht der Wind; die Wolkenschatten
Und Wandellichter malen bunt
Im Wechselspiel den Haidegrund. –
Und aus der Haide öder Breite
Wend ich den Blick nach jener Seite
Stets ferner hin und immer ferner
Bis zum Gebirg, wo Alpenhörner
Von Fels zu Felsen wiederklingen,
Wo Hirten fromme Lieder singen;
Wo, wie man sagt, die Gemsen lauschen,
Die Bäche von den Felsen rauschen,
In Farbengluth der Alpenrosen
Des Berges frische Lüfte kosen,
Wo man sich Herz und Beine stärkt,
Wo man das Alpenglühn bemerkt,
Wo Hugo in des Halses Schlot
Versenkt das große Butterbrod; –
Da hüllt die Lina sich in Schweigen,
Doch innen tönt der Alpenreigen;
Und Bertha wandelt ihr zur Seite
Im grünen – ja, im grünen Kleide –
Ach, hört ich nur ein ganz klein Weilchen
Dies liebe, gute Plappermäulchen! –
Und Sie, Madam, da hint aus Schwaben –
Was muß ich sehn – ei ei, Sie haben
Mit kaltem Waßer sich vermischt?
Ob's wohl noch zischt??
Zisch oder nicht! – Ich denke immer
An die bewußten Frauenzimmer! –
[85]
Nun kommt der Herbst. – Der Sonne Kraft
Erlischt; schon wird es nebelhaft.
Gen Süd wird sich die Schwalbe schwingen,
Von Norden her der Winter dringen;
Am Fenster wird das Eis erblühn,
Die Kohlen glühen im Kamin – –
Drei liebe, freundliche Gestalten
Seh ich des Feuers Gluth erhalten – –
– –
Wo ich auch sei – Ich denke immer
An die bewußten Frauenzimmer!!

W. Busch


Wiedensahl im August 1872

133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler: Faksimile Seite 1
133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler: Faksimile Seite 2
133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler: Faksimile Seite 3
133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler: Faksimile Seite 4

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. Briefe. 133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler. 133. An Johanna, Nanda und Letty Keßler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1965-4