351. Begräbnißsitten zu Tuttlingen.

Bei Kindsleichen unter sechs Jahren.

Bei dem Leichnam brennt Nachts ein Licht, und es wird nur hie und da nachgesehen, ob es auch noch brenne. Zum Leichenzug werden nur die nächsten Verwandten eingeladen, die sich auch im Hause des todten Kindes einfinden. Beim Zuge selbst gehen die männlichen Personen linker und die weiblichen rechter Hand. Früher sangen Weiber oder Männer, denen es ihr Geschäft war und die hiefür bezahlt wurden, einige Choralverse; in vilen Fällen wird aber gar nicht gesungen und in der Stille ein Vaterunser gebetet. Bemittelte stellen hiebei einige Lehrer zum Singen an. Ganz kleine Kinder werden vom Todtengräber an einem Riemen getragen; sind sie aber etwas erstarkt, so wird der Sarg von vier Buben auf einer Bahre getragen.

Auf dem Gottesacker angekommen, stellen sich die nächsten Verwandten um das Grab herum. Ist der Sarg versenkt, so werden einige Choralverse gesungen, oder aber ein stilles [403] Vaterunser gebetet. Auf dem Heimwege gehen die Weibsleute voran.

Bei Schulkindern.

Hier findet blos der einzige Unterschid statt, daß der betreffende Lehrer mit seinen Kindern vor dem Hause und auf dem Gottesacker einen Choral absingt.

Stirbt ein Kind vor der Confirmation, so wird bei der Leiche nur das sog. Kleinkinderglöckle geläutet.

Bei Confirmanden und Erwachsenen.

So lange die Leiche im Haus lag, wurde hiebei von den nächsten Anverwandten gewacht, die mit Bier und Schnaps traktirt wurden und oft übermäßig davon tranken. Jezt stellen die Angehörigen des Hauses nur noch ein Licht zur Leiche und sind besorgt, daß es nicht ausgeht.

Etwa 16 bis 24 Schüler singen mit ihrem Lehrer vor dem Hause des Entschlafenen, bevor sich der Zug in Bewegung sezt, einen Choral, der vom Verstorbenen vilfältig selbst gewählt ist; auf dem Gottesacker aber wird nach Einsenkung des Sarges gesungen: »Ruhet wol, ihr Todtenbeine.«

Der Lehrer und die Singknaben werden für ihre Mühe je nach den Vermögensverhältnissen des Verstorbenen eigens belohnt; leztere erhalten in der Regel Schreibpapier etc.

Vom Gottesacker bewegte sich der Leichenzug in die Kirche, allwo eine Leichenrede gehalten wurde; die Weibsleute gingen zuerst aus der Kirche. – Seit neuerer Zeit nun wartet der Pfarrer am Gottesackerthor, schließt sich dem Leichenzug an und hält seine Rede am Grab.

Die Weibsleute, welche durch den Todesfall besonders berührt werden, die eigentlich Leidtragenden, tragen zum [404] Zeichen ihrer Trauer vierfach der Länge nach zusammengelegte weiße Nastücher in den Händen.

Dem Pfarrer, Messner und Todtengräber, sowie dem Lehrer, der den Gesang leitete, werden je nach den Verhältnissen oft das Doppelte ihrer Gebühr verabreicht. Den Schreiner fragt man nach der Schuldigkeit nicht, sondern es wird ihm eine den Verhältnissen angemessene ortsübliche Belohnung verabreicht.

Bei Leichen Confirmirter werden sämmtliche Glocken geläutet. – Sobald früher der Leichenzug an den Thorhäusern vorüber kam, so präsentirten die Thorwächter mit einem Gewehr, jezt nur noch mit einem schwarzen Fähnlein, wofür 12 Kreuzer Belohnung bezahlt wird. – Dem Leichenzug geht ein Polizeidiener voran.


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TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 351. Begräbnißsitten zu Tuttlingen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-0631-F