[229] Der Vogel Phönix.

Es war einmal ein König und der war krank und alle Aerzte kamen darin überein, daß er nicht zu retten sei, als wenn er den Vogel Phönix singen hörte. Der König hatte aber drei Söhne, die rief er vor sich und sprach zu ihnen: ›Wer von euch mir den Vogel Phönix bringt, dem schenke ich das ganze Königreich.‹ Da zogen sie alle drei aus und blieben zusammen, bis sie an einen Baum kamen, der an einem Kreuzwege stand. In den Baum schnitten sie alle drei ihre Namen hinein und verabredeten sich, wer zuerst zurückkehre, der solle an dem Baum warten, bis die andern kämen und sie alle zusammen zu ihrem Vater heim ziehen könnten. Dann ging jeder seines Wegs.

Als der erste ein Stück gegangen war, begegnete ihm ein Bär, der frug ihn: ›Wohin geht die Reise?‹ – ›Was geht das dich an,‹ sprach der Prinz und zog seines Wegs weiter, aber der Bär brummte und ließ ihn gehn.

Der zweite war noch nicht weit, als ihm derselbe Bär begegnete und ihn frug: ›Wohin geht die Reise?‹ – ›Kümmere dich um dich,‹ sagte der Prinz, ließ den Bären stehn und ging seines Wegs weiter. Der Bär brummte etwas in den Bart und ließ ihn laufen.

[230] Dem dritten, welcher der Jüngste war, begegnete der Bär ebenfalls und frug auch ihn: ›Wohin geht die Reise?‹ Da antwortete der Jüngling: ›Mein Vater ist krank und kann nicht gesund werden, wenn er nicht den Vogel Phönix singen hört. Ich bin mit meinen Brüdern ausgezogen, ihn zu holen.‹ ›Laß die andern gehn,‹ sprach der Bär, ›und verlaß dich auf mich und setze dich auf meinen Rücken.‹ Das that er und der Bär fing an zu laufen, daß dem Jüngling fast Hören und Sehen verging; so lief er zwölf ganzer Stunden und kam gegen die Mitte der Nacht in einer schönen Stadt an. Da blieb der Bär stehn und sprach: ›In dieser Stadt wohnt der König, der den Vogel Phönix hat. Geh nun in das Schloß hinein, such dir einen Dienst und sieh, daß du in das Vogelhaus dringest; da steht der Vogel Phönix in einem hölzernen Käfig und darin mußt du ihn wegtragen. Setze ihn nur ja nicht in einen andern, sonst bekommt es dir schlecht.‹ Der Prinz that, wie der Bär gesagt hatte. Er suchte sich am folgenden Morgen Dienst im Schloß und das Glück wollte ihm wohl und er wurde zum untersten Käfigputzer in dem Vogelhaus ernannt. Weil er aber seinen Dienst sehr gut versah, so rückte er schnell vorwärts und bekam immer höhere Stellen, bis er endlich nach dem Tode des obersten Vogelraths zum ersten Vogelrath ernannt wurde. Da dachte er, es sei nun Zeit, den Vogel Phönix zu rauben und als der König einmal auf der Jagd war, da ging er in das Vogelhaus, um sein Vorhaben auszuführen. Als er aber den schönen Vogel schon in der Hand hatte, da meinte er, der hölzerne Bauer sei doch zu schlecht, ein so kostbares Thier [231] müsse auch in einem kostbaren Käfig wohnen und er nahm einen der prächtigsten goldnen Käfige, setzte den Vogel hinein und floh mit ihm. Kaum war er aber vor dem Thor, als der Vogel Phönix anfing, aus Leibeskräften zu schreien, als sei ihm einer mit einem Messer am Halse. Da liefen die Schloßdiener alle zusammen – der Prinz Ferdinand wurde gefaßt und in's Gefängnis geworfen. Da hatte er Zeit, über seinen tollen Streich nachzusinnen! Er bereute ihn aus Herzensgrund und rief ein über das anderemal: ›Ach lieber Bär, hätte ich dir doch gefolgt!‹ Da stand plötzlich der Bär vor ihm und machte ihm Vorwürfe über seinen Ungehorsam. Ferdinand bat ihn, er möge es doch verzeihen und ihm noch einmal helfen, er wolle es ja nicht wieder thun und ihm in allen Stücken folgen. ›Wir wollen sehn,‹ sprach der Bär. ›Wenn du morgen vor den König geführt wirst, dann sage ihm aufrichtig, daß du deinem kranken Vater den Vogel Phönix hättest bringen wollen und wenn er dir ihn gebe, dann würdest du ihm die Schönste unter der Sonne holen.‹ Das that Ferdinand, der König war's zufrieden und der Prinz wurde losgelassen.

Als er vor das Thor des Schlosses kam, stand der Bär schon da, Ferdinand setzte sich auf seinen Rücken und fort ging's, wie der Sturmwind so schnell und wieder zwölf Stunden lang ohne Aufhören weiter. Da standen sie vor einer andern Stadt, die war noch größer und schöner als die erste. Es war aber halbe Nacht, als sie ankamen. Da stieg Ferdinand von des Bären Rücken und der sprach: ›In dieser Stadt wohnt ein König, der [232] hat drei Töchter und die Jüngste davon ist die Schönste unter der Sonne. Suche nun in das Zimmer zu dringen, wo die Prinzessinnen schlafen; du erkennst die rechte daran, daß sie die schlechtesten Kleider an hat. In diesen Kleidern sollst du sie forttragen, aber ja ihr keine schönen anziehn, denn sonst ist es um dich geschehn.‹ Der Prinz ging in das Schloß, verdingte sich als Knecht und stieg von Stelle zu Stelle, bis er Kammerherr der Prinzessinnen wurde. Da dachte er, jetzt sei es Zeit, die Schönste unter der Sonne zu rauben, drang Nachts in ihr Zimmer, nahm sie auf seinen Arm und wollte mit ihr weggehen. Da fiel das Licht der Nachtlampe auf ihr holdseliges Gesicht und es that dem Prinzen leid, daß das schöne Mädchen so schlecht angezogen sei. Er ging hin und nahm sich prächtige goldne und silberne Kleider, die in Menge an der Wand hingen, zog die der Prinzessin an und wollte fliehn. Indem erwachte aber die Schönste unter der Sonne, und als sie sich in den Armen des Kammerherrn fand, schrie sie laut auf. Alsbald kamen ihre Schwestern und der König und die Königin, die in dem Zimmer daneben schliefen – der Prinz wurde wieder gefangen und in einen tiefen Thurm geworfen. Nun wo das Kind ertrunken war, hätte er gerne den Brunnen zugedeckt, aber das war zu spät. ›Ach lieber Bär!‹ rief er, ›wer dir doch gefolgt hätte!‹ – ›Ja, das sagst du schon wieder und du folgst doch nie!‹ rief der Bär, der im selben Augenblicke vor ihm stand. ›Jetzt helf ich dir noch einmal und dann ist's am Ende. Wenn du morgen vor den König kommst, dann erzähle ihm Alles aufrichtig und sage ihm, wenn er dir die Schönste unter der Sonne [233] gäbe, dann wolltest du ihm das schnellste Pferd verschaffen.‹ Der Prinz that, wie gesagt, und der König sprach, das solle ein Wort sein und gab ihn frei. Vor dem Thor des Schlosses stand der Bär schon wieder und der Prinz setzte sich auf seinen Rücken und fort ging's, schneller als eine Kugel fliegen kann.

Als sie zwölf Stunden älter waren, standen sie gegen Mitternacht vor einer Stadt, die war zweimal so groß als die vorige. Da sprach der Bär: ›Geh in die Stadt und in das Schloß, da wohnt der König, der das schnellste Pferd hat, das steht im Stall bei den andern und du kannst es daran erkennen, daß es einen hölzernen Sattel auf dem Rücken hat, da die andern goldene und silberne Sättel haben. Laß ihm aber den hölzernen Sattel auf und mache keine dummen Streiche mit den andern schönen Sätteln, sonst wirst du sehn, was es gibt und dann helf ich dir nicht mehr.‹ Ferdinand versprach Alles, was der Bär haben wollte, ging in die Stadt und suchte am folgenden Morgen Dienst bei dem König. Der hatte aber gerade einen Stalljungen nöthig und der Prinz ließ sich den Dienst schon gefallen. Er war auch so fleißig und fegte den Stall so schön rein, daß ihn der König bald darauf zum Stallmeister machte und da war er weit genug. Eines Abends, wo der König gerade ein großes Gastmahl hielt, ging er in den Stall und band das schnellste Pferd los. Als er aber den hölzernen Sattel auf dem schönen Thiere sah, dachte er wieder, das sei doch Jammer und Schande, der König habe noch goldene Sättel genug und zudem könne das Pferd ja nicht sprechen; und er band den hölzernen Sattel ab und schnallte einen goldnen [234] auf. Kaum war er aber mit dem Pferde vor der Thür, da machte es mannshohe Sprünge und schrie: ›Diebe! Diebe! Der Stallmeister will mich stehlen!‹ Und da lief gleich das ganze Schloß zusammen – der Prinz wurde gepackt und in den Thurm gesperrt. Das hatte er nun davon. Er fing aber sein altes Spiel wieder an und weinte und rief: ›Ach lieber Bär, hätte ich doch gefolgt!‹ aber der Bär hatte sich Baumwolle in die Ohren gestopft und wollte nichts hören. Als Ferdinand nun die ganze Nacht und den ganzen Tag hindurch lamentirt hatte, da stand der Bär wieder vor ihm und sagte unwirsch: ›Habe ich dir's nicht gesagt? Aber wer nicht hören will, der muß fühlen, und wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen; morgen kannst du Hochzeit halten mit des Seilers Tochter!‹ Da fiel Ferdinand dem Bären um den Hals und sprach: ›Ach du goldiger Bär, ich bitte dich, sei mir wieder gut und verzeih mir nur dießmal noch, ich will ja gern Alles thun, was du haben willst.‹ ›Das plaudere du den Gänsen vor, aber mir nicht,‹ sprach der Bär und wollte gehn, aber der Prinz weinte so jämmerlich, daß es der gute Bär nicht übers Herz bringen konnte und sagte: ›Nun, ich will's denn noch einmal versuchen, aber ich sage dir, es ist das allerletztemal. Wenn du vor Gericht kommst, dann sage dem König, wenn er dir das schnellste Pferd gebe, dann wolltest du ihm den kostbarsten Stein bringen.‹ Da ward Ferdinand wieder froh und dankte dem guten Bären aus Herzensgrund. Als er am folgenden Tag vor Gericht kam, that er, wie der Bär ihn geheißen und es ging gut, denn der König hätte schon lange gern den kostbarsten [235] Stein gehabt und ließ ihn darum gerne los. Vorm Schloß aber erwartete der Bär ihn, der Prinz setzte sich auf seinen Rücken und weg war er.

Nachdem sie sich zwölf Stunden lang Bewegung gemacht hatten, hielt der Bär vor einem hohen Berge an und sprach: ›Der Berg wird sich gleich öffnen und eine Stunde lang offen bleiben. Geh dann hinein und habe keine Furcht, wie viel Löwen und Tiger auch auf dich zustürzen mögen, denn sie können dir nichts anhaben. Am Ende der Höhle, in die du kommst, findest du den kostbarsten Stein auf einem kleinen hölzernen Stühlchen; nimm ihn schnell, komme gleich wieder und halte dich nur ja nicht bei den Haufen anderer Edelsteine auf, denn sonst ist es um dich geschehen und ich kann dir nicht mehr helfen, wenn du auch nur eine halbe Minute länger, als eine Stunde ausbleibst.‹ Ferdinand gelobte, dem Bären in allen Stücken zu folgen, einige Augenblicke später aber öffnete sich die Höhle und er ging hinein. Da kam zuerst ein Löwe auf ihn zugestürzt, aber er ließ sich das nicht anfechten und der Löwe lief an ihm vorbei. Dann kamen Tiger, Wölfe, Bären und allerlei Ungeheuer, aber er ging seines Wegs weiter bis an das hölzerne Stühlchen, da nahm er den kostbarsten Stein und stekte ihn schnell in die Tasche. Jetzt wollte er eilends wieder zurück, aber da lagen überall auf seinem Wege so viele Edelsteine, daß er der Versuchung nicht widerstehn konnte und sich immer wieder bückte und alle Taschen vollstopfte. So war er bis fast an den Eingang der Höhle gekommen und da lag noch ein großer Haufen der schönsten Edelsteine. Als er sich [236] aber hinzu bückte, bekam er von unsichtbarer Hand eine so gewaltige Ohrfeige, daß er bis fünfzig Schritt vor die Höhle flog und ohnmächtig liegen blieb. Als er erwachte, saß der Bär neben ihm und sprach: ›Nun bedanke dich bei mir für die Ohrfeige, denn wenn ich dir die nicht gegeben hätte, dann säßest du in der Höhle, die sich noch in derselben Minute geschlossen hat. Theile nun die Edelsteine und gib dem König den kostbarsten und von jeder Sorte die Hälfte, dann bekommst du das schnellste Pferd.‹

Das that der Prinz und der Bär trug ihn zurück bis an das Schloß. Da ging Ferdinand hinein und gab dem Könige die Edelsteine, der König übergab ihm dafür das Pferd und der Prinz flog darauf wie ein Pfeil durch die Luft und zu dem König, unter dessen Töchtern die Schönste unter der Sonne war. Als er vor dem Königsschloß ankam, ließ er sein Pferd draußen stehn, trat hinein und sprach: ›Herr König, ich habe das schnellste Pferd mitgebracht; kommt mit euren Töchtern heraus und seht es; ich will euch eine Probe von seiner Schnelligkeit geben.‹ Da freute sich der König und kam mit seiner ganzen Familie heraus, aber die Töchter standen zu seiner Seite auf dem Schloßhof. Ferdinand sprang auf das schnellste Pferd und ritt mit ihm an dem König vorbei und zu den Prinzessinnen, die es streichelten und liebkosten. Als aber die Schönste unter der Sonne das auch thun wollte und ganz nahe bei dem Pferde stand, da faßte Ferdinand sie schnell, hob sie zu sich auf das Roß – fort waren sie und der König hatte das Nachsehn. Anfangs sträubte sich die Prinzessin gegen Ferdinand, als er ihr aber sagte, wie lieb er sie [237] habe, gab sie sich zufrieden und sagte, sie wollte keinen andern Mann, als ihn.

So kamen sie zu dem König, der den Vogel Phönix hatte und waren schon miteinander eins, wie sie es machen wollten, um zusammen zu bleiben. Sie ritten vor des Königs Schloß und als der sie kaum sah, eilte er gleich heraus und begrüßte sie freundlich. Da übergab ihm Ferdinand die Schönste unter der Sonne und bekam den Vogel Phönix dafür. Kaum hatte er ihn aber, da sprang die Schönste unter der Sonne herauf zu ihm auf das schnellste Pferd; er aber sprach: ›Wohl bekomm's Herr König!‹ und weg waren sie.

Als sie ein Stück Wegs weiter waren, begegnete ihnen der Bär und der sprach: ›Das hättest du gut gemacht, aber eile dich, daß du nach Hause kommst und halte dich unterwegs nicht auf, es mag kommen, was will, sonst bist du verloren.‹ Ferdinand versprach's, bedankte sich bei dem Bären und ritt weiter in Lust und Vergnügen; er hatte ja auch Alles, was er nur wünschen konnte: die Schönste unter der Sonne, Edelsteine von unermeßlichem Werth, das schnellste Pferd und den Vogel Phönix, wodurch er das ganze Königreich seines Vaters erhielt.

So gelangte er an den Baum und sah an den Namen, daß noch keiner seiner Brüder zurückgekehrt sei. Weil es aber ein so sehr heißer Tag war, übermannte ihn die Müdigkeit und er wollte sich schlafen legen. ›Thu das nicht,‹ sprach die Schönste unter der Sonne. ›Du weißt ja, was der Bär gesagt hat!‹ [238] ›Ei, was kann das ausmachen, ob ich ein wenig schlafe, oder nicht,‹ sagte er, und legte sich hin.

Als er aber so da lag, kamen seine Brüder zurück, die hatten gar nichts mit zurückgebracht und waren bettelarm. Als sie ihn sahen und den Vogel Phönix bei ihm und das schöne Pferd und die Schönste unter der Sonne neben ihm, da fraß der Neid in ihr Herz und sie nahmen ihm Alles und banden ihn und warfen ihn in eine Löwengrube; dann theilten sie die Dinge unter sich und zogen heim und brachten ihrem Vater den Vogel Phönix.

Unterdessen lag Ferdinand in der Löwengrube und wußte jetzt, was das Schlafengehen auf sich hatte. Keine Rippe war ihm mehr ganz am Leibe. ›Ach, lieber Bär, hätte ich dir nur dießmal noch gefolgt!‹ rief er, und da stand der Bär im selben Augenblick oben an der Löwengrube und sprach heimlich mit den heimkehrenden Löwen, sie sollten dem Prinzen nichts thun. Dann rief er hinab: ›Nun, was hab ich dir gesagt? Jetzt bist du Löwenfutter. Gesegnete Mahlzeit, ihr Herren Löwen!‹ Da wurde es Ferdinand kalt und heiß und er rief: ›Ach, liebster, bester Bär, ich war ja so müd! Ach verzeih mir's noch einmal! Du hast ja ein so gutes Herz! Ach denk nur, die Schönste unter der Sonne stirbt vor Leidwesen und du wirst doch nicht dulden können, daß ein so groß Unrecht geschehe und meine Brüder triumphiren!‹ – ›Ach was, das ist gerechte Strafe,‹ sagte der Bär und that, als ob er fortgehn wollte, aber er that es doch nicht, und als Ferdinand wieder recht bat, ließ er sich erweichen, brachte [239] ihm Speise und Trank und verpflegte ihn, so daß er in Zeit von vier Wochen wieder gesund wurde. Dann setzte sich Ferdinand auf seinen Rücken und der Bär eilte fort mit ihm bis an das Schloß, wo Ferdinands Vater wohnte. Da setzte er ihn ab und sprach: ›Nun geh hinein und sieh, wie du fertig wirst; ich rathe dir nicht mehr.‹ Da ging Ferdinand hinein und frug, ob kein Dienst frei sei? ›Doch wohl,‹ sagte der Schloßmeister; ›ich habe gestern meinen Stallknecht fortgeschickt und dessen Stelle kannst du haben.‹ ›Gut,‹ sprach Ferdinand, und ging mit ihm in den Stall und da stand das schnellste Pferd und ließ den Kopf hängen und war ganz mager und hager, denn es hatte noch gar nichts fressen wollen. Als Ferdinand es sah, ging er zu ihm, streichelte es und sprach mit ihm. Aber kaum hörte das Thier seine Stimme, als es lustig sprang und fraß und ganz munter wurde. Das wunderte den Schloßmeister und er ging zum König, der noch immer krank war, und erzählte es ihm. ›Den Menschen muß ich sehn!‹ sprach der König. Da führte der Schloßmeister den Prinzen zu ihm. Der König erkannte ihn nicht, weil Ferdinand so sehr bleich und abgezehrt aussah; aber er sprach zu ihm: ›Da du das Pferd so schnell geheilt hast, kannst du auch den Vogel Phönix heilen, der dort im Bauer sitzt und nicht singen will, und die Schönste unter der Sonne, die am Fenster sitzt und nicht sprechen will. Wenn du das fertig bringst, dann bekommst du tausend Gulden.‹ Da ging Ferdinand zu dem Vogel Phönix und sagte: ›Hänschen, sing mir ein Stückchen!‹ Und da fing der Vogel an so wunderschön zu singen, daß der König aus dem [240] Bett sprang und ganz gesund war. Dann ging der Prinz auch zur Schönsten unter der Sonne und sprach: ›Erzähle du dem König, wer ich bin und wer du bist.‹ Da fing die Schönste unter der Sonne an und erzählte Alles und als der König hörte, daß der Stallknecht sein jüngster Sohn sei, fiel er ihm um den Hals und da war seiner Freude kein Ende. – ›Jetzt sage mir auch, was mit deinen Brüdern geschehn soll?‹ sprach der König. ›Sie sollen aus dem Lande,‹ sprach Ferdinand. Da wurden sie alsbald des Landes verwiesen, aber Ferdinand hielt Hochzeit mit der Schönsten unter der Sonne und bekam das ganze Königreich.

Nach einiger Zeit schenkte ihm seine Frau ein sehr schönes Söhnchen und da fehlte ihm nichts mehr zu seinem Glück. Als er nun eines Tages mit ihr und dem Kinde am Fenster stand, da sahen sie in der Ferne den Bären kommen. Ferdinand hatte darüber große Freude, ging ihm bis in den Schloßhof entgegen und führte ihn herauf und ließ eine köstliche Mahlzeit anrichten. Der Bär aber sprach: ›Das Alles mundet mir nicht.‹ ›Sag nur, was du haben willst und es wird gleich da sein,‹ sprach Ferdinand. ›Willst du mir gewiß geben, was ich verlange?‹ frug der Bär, und das wurde ihm fest versprochen. ›Gut,‹ sprach der Bär, ›dann gib mir dein Kind, aber hau es mit deinem Schwert in zwei Theile, damit ich es besser verschlingen kann.‹ Da meinte Ferdinand und seine Frau, die Erde thäte sich vor ihnen auf; sie fielen dem Bären zu Füßen und baten ihn, doch etwas anderes zu wünschen, aber der Bär blieb bei seinem Begehren. ›Wenn du [241] nicht anders willst, dann müssen wir wohl,‹ sprach Ferdinand, ›denn wir sind dir zu viel Dank schuldig,‹ und seine Frau stimmte unter Thränen ein. Da holte er das Kind und legte es auf den Tisch, wandte die Augen ab und hob das Schwert; aber im selben Augenblick fiel dem Bären die Haut ab und er stand als ein schöner Prinz da. ›Jetzt bin ich erlöst,‹ sprach er, und da hatten sie Alle erst rechte Freude, und um so mehr, je größer ihr Herzeleid gewesen war. Der Prinz blieb noch einige Tage bei ihnen, dann ging er nach Haus, verkaufte sein Königreich, kam bald wieder und baute sich ein großes Schloß neben dem von Ferdinand, und da lebten sie in Frieden und Einigkeit und da kam eine Maus und das Mährlein ist aus.

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TextGrid Repository (2012). Wolf, Johann Wilhelm. Märchen. Deutsche Hausmärchen. Der Vogel Phönix. Der Vogel Phönix. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AA3A-6