Hermann Sudermann
Die Ehre

[4]

Personen

Personen.

    • Kommerzienrat Mühlingk.

    • Amalie, seine Frau.

    • Curt,
    • Lenore, deren Kinder.

    • Lothar Brandt.

    • Hugo Stengel.

    • Graf von Trast-Saarberg.

    • Robert Heinecke.

    • Der alte Heinecke.

    • Seine Frau.

    • Auguste,
    • Alma, deren Töchter.

    • Michalski, Tischler, Augustens Mann.

    • Frau Hebenstreit, Gärtnersfrau,
    • Wilhelm, Diener,
    • Johann, Kutscher, bei Mühlingk.

    • Der indische Diener des Grafen Trast.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Frau Hebenstreit und Frau Heinecke.
Frau Heinecke ist eifrig beschäftigt, die Stube zu säubern.

FRAU HEBENSTREIT
durch die Tür rechts.
Es is also wahr? – Ihr Sohn ist da? –
FRAU HEINECKE.
Pst! Pst! – Um Jotteswillen! – Er schläft! –
FRAU HEBENSTREIT.
Dort in Alma'n ihre Kammer?
FRAU HEINECKE.
Ja doch! – Ick weeß nicht mehr, wat ick dhu'. – Mir ist janz wirblig vor lauter Freuden.

Läßt sich in den Schemel fallen.
FRAU HEBENSTREIT.
Weiß man's schon drüben ins Vorderhaus?
FRAU HEINECKE.
Er hat sich anmelden müssen, weil es doch die Herrschaft ist, und heute wird er eine Fisite machen.
FRAU HEBENSTREIT.
Wie lange ist er eigentlich weg gewesen?
FRAU HEINECKE.
Sieben – acht – neuneinhalb Jahr. – So lang hab ich mein Kind nicht gesehen.

Weint.
FRAU HEBENSTREIT.
Und haben Sie ihn gleich wieder erkannt?
FRAU HEINECKE.

I, wo werd ick denn! Jestern abend gegen Uhre achte ... Heinecke ist übern Lokalanzeiger eingedruselt, [5] und ick sitz nu da und näh für Alma'n 'nen Spitzensaum an'n Unterrock, denn wat das Mächen für Weißzeug braucht! ... kurz – da kloppt's und ein Mann kommt rein – was sag ich, ein Herr, ein feiner Herr in einem teuren Biberpelz – da hängt er – fassen Sie mal den Biber an – ick denk, es is einer von Alma'n ihre vornehmen Bekanntschaften, dem jungen Herrn Curt seine Herren Freunde – –

FRAU HEBENSTREIT
lauernd.
So, so. – –
FRAU HEINECKE.

– Denn die sind jar nich stolz und kommen sich nicht zu schad vor, mal bei uns arme Leute ins Hinterhaus vorzusprechen. – Also das denk ich mir, da hat er auch schon Rock und Hut an die Erde geworfen – einen pikfeinen Celinder einfach an die Erde – und is dicht vor mir uf die Knie gefallen. – Ick denke, mir rührt der Schlag, aber wie er nu ruft: Mutter, Vater, erkennt Ihr mich nich? ... ick bin's, Robert, Euer Sohn Robert ... ach, Frau Hebenstreit, es war zu schön. – Wie ich das überleben werd! ...


Weint.
FRAU HEBENSTREIT.

Ruhig Blut, Frau Nachbarin. Die Freud' wird sich schon legen. Jede Ratze hat'n Kopp und'n Schwanz, und der Ratzenschwanz ist mehrschtendeels voll Jift.

FRAU HEINECKE.
Wie können Sie so wat sagen? Mein Sohn ist ein juter Sohn und ein nobler Sohn.
FRAU HEBENSTREIT.

Zu nobel, Frau Heinecken! Wenn einer in so ville Herren-Ländern gewesen ist und auf lauter Sammet und Seide gelegen hat –

FRAU HEINECKE
auf die Sessel weisend.
Kann er auch bei uns, Frau Hebenstreit.
FRAU HEBENSTREIT
mit einer Grimasse.
Na, na. Ob er wird wollen!
FRAU HEINECKE.

Wird wollen, Frau Hebenstreit! Was ein Mutterherz is, kennt kenen Rang und kenen Stand. – Und Jeses – ich steh hier! Und – wo mein Heinecke nur steckt? – Haben Sie Heinecken nicht gesehen? – Wenn der das Humpeln kriegt mit seinen lahmen Bein!

[6]
FRAU HEBENSTREIT.

Der stand vorhin mit 'nen riesenjroßen Plakat bei drei Jrad Kälte in'n schönsten Morgensonnenschein, zum Trocknen, sagt er.

FRAU HEINECKE.

Lassen Sie dem ollen Mann sein Vergnügen. Die halbe Nacht hat er an des Dings rumgekleistert. Haben ja doch nich schlafen können – alle beid'. Denn so'ne Freude –

2. Szene
Zweite Szene
Die Vorigen. Heinecke.

HEINECKE
hinkend, mit steifem Arm, trägt ein sehr großes Plakat vor sich her.
Hurra. – Nu is der Kitt –
FRAU HEINECKE.
Biste stille!
HEINECKE
gedämpft.
»Willkommen, teurer Sohn, im Vaterhause.« Fein – was? –
FRAU HEBENSTREIT.
Die reene Schützenscheibe!
HEINECKE.
Und's brave Vaterherz ist Zentrum. – Sie olle –
FRAU HEINECKE.
Zieh dir die Hälschenstrippe runter. Sie wissen ja, wie er is, Frau Nachbarin.

Heinecke klettert mit Hammer und Nägeln auf einen Stuhl, um das Plakat an der Wand zu befestigen.
FRAU HEBENSTREIT.
Wo hat Ihr Sohn die Bildung und so das Feine eigentlich her? Aus dem seine Familie doch nich?
FRAU HEINECKE.

Und aus meine erst recht nich. Aber das sind nun so an die 17 Jahre – da bekam der aus dem Vorderhause, was unser Brotherr war, die Kommerzienratstitelatur. – Und darum gab's 'ne große Festivität und Eklipagen und Illemination und dergleichen und Freibier fürs janze Fabrikpersonal. – Nu mag mein Mann wol'n bisken angedudelt gewesen sind – und warum auch nich? – Vater, kloppe nich! – wenn's nischt kost't? – kurz, wie die Eklipagen gerad' im Abfahren sind, gerät er unter die Räder und bricht Arm und Bein.

[7]
HEINECKE
vom Stuhl her.
Meinste mir? Ja woll! Das war keine Kleinigkeit! Pfeift.
FRAU HEINECKE.

Pfeife nicht. Das hören nu die Herrschaften uf den Balkon und lassen sich erkundigen nach Familienverhältnisse und so dergleichen, und weil's Herz voll war von den neuen Titel, war die Hand ooch offen, und sie versprachen, für uns zu sorgen und unsern Ältesten auf eigne Kosten erziehn zu lassen.

FRAU HEBENSTREIT.
Und das haben sie gehalten?
HEINECKE.
Ha, Bande!

Arbeitet weiter.
FRAU HEINECKE.

Wie man's nehmen will. Uns loschierten sie hier ins Hinterhaus ein, wo wir ja – Jott sei Dank – noch sitzen, und den Robert schickten sie in die Erziehungsanstalt, wo er sich das Pli und so die Bildung anlernen tat. Und wenn er in den Ferien zu Hause kam, wurde er nach das Vorderhaus geladen zu Schakelade und Schlagsahne und überhaupt als Spielkamerad von's kleine jnädge Fräulein, denn der junge Herr Curt sog damals noch an'n Jummiproppen.

FRAU HEBENSTREIT.
Der war wohl überhaupt mehr vor die Alma? –
FRAU HEINECKE
gedämpft.
Was wollen Sie damit ...?
FRAU HEBENSTREIT.
Ick meene man so.
FRAU HEINECKE.

Und späterhin schickten sie ihn nach Hamburg in die Lehre – fürs ausländische Geschäft, wissen Sie – und als er 19 Jahre war, jing's auf die Reise gleich bis ins hinterste Indien rin, wo 'ne janz barbarische Hitze soll sind. Da hat der Kommerzienrat einen Brudersohn zu sitzen, der ist da, um Kaffee und Tee inzusammeln.

HEINECKE.
Das wächst da so rum, wie bei uns die Butterblumen – Steigt herab. – – Fein – was?
FRAU HEINECKE.
Dem sollt er 'n bisken zur Hand jehn. Und Jesus – nu is er wieder da – und ick steh und –
FRAU HEBENSTREIT.

Ick geh schon! Adjes! Adjes! Und denken Sie ans Jift in'n Ratzenschwanz. Beiseite. Nette Package! Ab.

[8]
3. Szene
Dritte Szene
Heinecke. Frau Heinecke.

HEINECKE.
Selbst 'n oller Jiftpilz! –
FRAU HEINECKE.
Der Neid, Vater, der Neid! –
HEINECKE.
Deibel, wo hast du den Nappkuchen her?
FRAU HEINECKE.
Die Köchin hat ihn gebracht mit 'n Jruß von's jnädige Fräulein.
HEINECKE
sich abwendend.

Was aus dem Vorderhause kommt, interessiert mich nicht. Der Herr Sohn könnten nu übrigens ausgeschlafen haben. In de Fabrik werden sie gleich zum zweiten Frühstück pfeifen. Liebäugelt mit dem Plakat. Willkommen, teurer – –

FRAU HEINECKE
ausbrechend.
Vater, er ist da!
HEINECKE.
Wer?
FRAU HEINECKE.
Der Junge.
HEINECKE
zeigt auf das Plakat.
Wissen wir schon!
FRAU HEINECKE.

Pst! Es hat sich was gerührt –Lauscht. Wahrhaftig, er zieht sich schon die Stiebeln an! Wenn ich denke, dahinter steht er und zieht sich die Stiebeln an, und durch diese Düre wird er gleich rinkommen – –

HEINECKE.

Dann sag ich nichts weiter als: Willkommen, teurer – hast du ihm ooch von Alma'n ihre feine französche Seife uf 'n Waschtisch gelegt?

FRAU HEINECKE.

Und wie oft hab ick hier gesessen und gedacht: ob er auch sein jutes Bette hat? Und ob die Wilden ihm noch nicht ufgefressen haben. Und nu is er mit ein Mal da, Vater, und wir haben ihn, Vater, – Vater, laß die Rosinen stecken!

HEINECKE.
Sieh mal da. – Wenn es mir paßt! –
FRAU HEINECKE.

Still! ... Er kommt! ... Die Strippe ist dir wieder vorgekrochen ... Man muß sich ja schämen ... Streicht die Schoner der Sessel zurück. Jeses, wie is mir angst ...

[9]
4. Szene
Vierte Szene
Robert. Heinecke. Frau Heinecke.

ROBERT
den Eltern entgegenstürzend, die steif und verlegen dastehen.

Guten Morgen, Vater ... Guten Morgen, Mutter! Umarmt die Mutter und küßt ihr wiederholt die Hand. Ich bin – ganz – unmenschlich – glücklich!

HEINECKE.

»Willkommen, teurer« – Da Robert sich auf seine Hand niederbeugt, wischt er sie rasch an den Beinkleidern ab. Du willst mir ooch die Hand küssen?

ROBERT.
Gewiß will ich das, wenn du sie mir gibst ...
HEINECKE
reicht sie ihm dar.
Da sieht man, was ein juter Sohn is ...
ROBERT
sich umschauend.

Da wär man also! ... Ich weiß noch gar nicht: Ist es denn möglich? ... Am Ende träum ich wieder mal bloß. Das wär 'ne schlimme Geschichte! ... Ach – und das Heimweh! – Herr des Himmels, das Heimweh! ... Denkt Euch mal, da sitzt man zur Nachtzeit in einem Winkel, und alles, was man verlassen hat, steht lebendig um einen rum, Mutter, Vater – der Hof, der Garten, die Fabrik – und mit einem Male sieht man einen langen, langen Palmenwedel über sich schwanken oder aus der Ferne kreischt ein Papagei, und man kommt zu sich und weiß, man sitzt einsam am andern Ende der Welt ... Brr!

HEINECKE.
Popejei? ... Das muß doch sehr hübsch sind? ... Das können bei uns bloß die reichen Leute haben.
ROBERT.

Ja, und wenn Ihr wüßtet, was ich für Angst ausgestanden hab die letzten Jahre hindurch und noch jetzt auf der Heimreise, daß ich alles so finden würde, wie ich es mir in meiner Sehnsucht ausgemalt hab!

HEINECKE.
Warum denn nich? –
ROBERT.

Da war einer – ah, sonst ein lieber Freund, mein liebster Freund, müßt Ihr wissen – der versuchte meine Erwartung herabzustimmen. – Du bist fremd geworden, hat er gesagt, und man soll nicht leimen wollen, was Zeit [10] und Schicksal längst zerbrochen haben – und weiß Gott, was sonst noch. – Da hab ich wirklich beinahe angst bekommen vor ihm und Euch und mir auch ... Na, Gott sei Dank, auch die Sorge ist von einem genommen. Alles und alles hat sich erfüllt. – Das ist wirklich und wahrhaftig, was ich mir zehn Jahre lang ausgemalt hab! ... Da ist Vater – da ist Mutter – lieb und schlicht und – – Zärtlich. ein bißchen klapprig geworden – na ja! ... Sich reckend. Aber wozu sind denn diese zwei jungen Arme auf der Welt? Paßt auf! ... Die haben das Goldmachen gelernt ... und die Schwestern werden auch bald da sein! ... Sieh – und hier steht Vaters alter Kleistertopf – ach je ...Streichelt den Topf. Und mein Einsegnungszeugnis – eingerahmt. – Und die Dampfmaschine daneben macht auch immer noch ihren lieben Skandal. –

FRAU HEINECKE.

Hast wohl keen Ooge zugemacht von wegen die olle Maschine ... die bumst ooch die janze Nacht hindurch ...

ROBERT.

Ein schöneres Wiegenlied, Mutter, hat mich noch nie in den Schlaf gesungen. Ich war schon halb hinüber, da sagt' ich mir noch immer: Pfauche nur, stampfe nur, altes Tier. Immer fleißig. Aber wenn du dich noch so anstrengst, fleißiger als ich, der ich hier liege, kannst Du am Glanze des Hauses Mühlingk auch nicht schaffen. Denn hier ist ein Hebel, mit dem man rechnen muß. – Ist das nicht ein stolzer Gedanke? ... Und da ist das Herz mir weit geworden für unsere Wohltäter. –

HEINECKE.
Hm!
ROBERT.
Du sagtest, Vater?
HEINECKE.
Ick? nischt!
ROBERT.
Und ich hab mir zugeschworen, nicht zu erschlaffen in ihrem Dienste bis zu meinem letzten Atemzug.
HEINECKE.
Ick denke, du hättst nu gerade genug für die getan.
FRAU HEINECKE.
Geschunden und abgerackert hast du dich zehn Jahre lang.
[11]
ROBERT.

Es war nicht so schlimm, Mutter. Aber nun sprechen wir lieber nicht mehr in diesem Ton! ... Das Mühlingksche Haus hat mir jeden Tag auf's neue Ursach zur Dankbarkeit gegeben. Die Briefe waren beinahe freundschaftlich zu nennen, die der Kommerzienrat und vor allem Curt, der ja jetzt Mitinhaber ist, an mich richteten.

HEINECKE.

Curt – Alabonheur, das is ein nobler Junge. Aber im übrigen wird's auch hier heißen: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, wie der Berliner sagt ... Lehr mich die Bande kennen!

ROBERT
verschluckt eine Erwiderung und wendet sich stirnrunzelnd hinweg.
HEINECKE.
Ja, Robertchen, sieh dich nur um! Siehste nischt? Er sieht nischt, Mutter! –
FRAU HEINECKE.
Ach, laß deinen Schnak!
HEINECKE.

Meinen Schnak – so! Wenn ick den teuren Sohn im Vaterhause willkommen heiße, so is dir das Schnak? Führt ihn zum Plakat. He ... Haste Worte?

ROBERT.
Das hast du gemacht, Vater, du mit deinem lahmen Arm?
HEINECKE.

Pah! Ick mach noch janz andere Dinge! Wenn ick armer Krüppel nicht mal zujriffe, wäre die werte Familie schon längst verhungert ... Wat stehste hier un jaffst, Mutter? Wo bleibt der Kaffee?

FRAU HEINECKE.
Na, na!

Wendet sich zum Gehen.
ROBERT
ihr nacheilend.
Mutter, es war gewiß nicht schlimm gemeint.
FRAU HEINECKE.
Schlimm? Er red't nur so, damit du denken sollst, er is der Herr im Haus! Ab.
[12]
5. Szene
Fünfte Szene
Robert. Heinecke. Später Frau Heinecke.
Robert und Heinecke schweigen.

ROBERT
die peinliche Stimmung niederkämpfend.
Die Schachteln klebst du auch noch, Vater?
HEINECKE.
Immerzu kleb ich se.
ROBERT.
Und der Arm hindert dich nicht?
HEINECKE.

Der Arm, hahaha, der Arm! Willst du sehen, wie ich klebe? Zuerst die Pappe – so – dann die Falze – so! Läßt mit großer Geschwindigkeit den Pinsel über ein paar Pappplatten gleiten, die er mit dem Ellbogen des linken Armes fest aneinanderstreicht. Wer macht mir armen Krüppel das nach?

ROBERT.
Du bist ein Tausendkünstler.
HEINECKE.

Bin ick ooch! Aber wer erkennt des an? Wer ästimiert mir? Keiner ästimiert mir! Natürlich, wo soll bei de Fräuleins – die eine ist ja nu Madam – die Achtung herkommen, wenn die eigne Mutter mit so schlechtem Beispiel vorangeht?

ROBERT
unwillig.
Vater!
HEINECKE.

Ja du, du bist weit vom Schuß! Aus de Ferne sieht sich das allens wunder wie schön an! Da heißt es: teures Mütterlein und holdes Schwesterlein! – Aber sähest du nur zu, was ich alles aus halten muß! Nicht einmal das Pferdebahngeld gibt sie mir, wenn ich in die Stadt zu Biere will.

ROBERT.
Vater, tust du ihr nicht Unrecht? Hegt sie dich nicht wie ihren Augapfel?
HEINECKE.
Jott, ick will ja nischt gegen sie gesagt haben, aber ... pscht, sie kommt!
FRAU HEINECKE
mit der dampfenden Kaffeekanne.

Nimm Platz, Robertchen! Ne, hier uf den Fotölch! – Wart ein biscken! Reißt die Überzüge herunter. So ein vornehmer Herr muß auf pure Seide sitzen.

ROBERT.
Himmel, was für 'ne Pracht!
[13]
FRAU HEINECKE.

Ja, und der andere is ebenso. Zwei Stück haben wir. Und hast du dir den Trimo schon angesehen? Lauter joldene Ranken und das Glas aus einem Stück. Aujustens Mann sagt, der kost't mindestens 200 Mark.

ROBERT.
Wo habt Ihr diese Herrlichkeiten her?
FRAU HEINECKE.
Vom Herrn Kommerzienrat.
ROBERT.
Der macht Euch solche Geschenke?
HEINECKE.
Na eigentlich –
FRAU HEINECKE
leise.

Pscht! Weißt du nich, daß Herr Curt nicht genannt sein will? Laut. Ja, vorigen Weihnachten gab's den Trimo und diesen Weihnachten gab's die Fotölchs. Vater, bohr nicht so im Napfkuchen rum.

ROBERT.
Aufrichtig! Diese Art der Freigebigkeit will mir nicht behagen.
FRAU HEINECKE
gießt Kaffee ein.

Für manchen passen so feine Sachen auch nicht. Aber wenn so noble Besuche einen beehren und man einen so vornehmen Herrn zum Sohne hat und eine Tochter, die so furchtbar talentvoll ist – –

ROBERT.
Alma?
HEINECKE.
Jawoll! Wir haben für unsere Tochter getan, was in unsern Kräften stand.
FRAU HEINECKE.
Und du hast ja auch immer fleißig geschickt –
ROBERT.

Damit sie eine gute Schule besuchen konnte und dann Putzmachen und Buchführung lernen, so war es ja bestimmt. –

FRAU HEINECKE.
Gewiß. Früher!
ROBERT.
Und jetzt? Hat sie ihre Stelle nicht mehr?
FRAU HEINECKE.
Schon seit sechs Monaten nich.
ROBERT.
Was treibt sie jetzt?
HEINECKE
stolz.
Sie bildet sich für den Jesang aus.
ROBERT.
Ich habe nie erfahren, daß Alma musikalisch ist.
HEINECKE.
Ungeheuer!

Man trinkt Kaffee.
FRAU HEINECKE.

Sie hat sich prüfen lassen bei eine italienische [14] Sängerin – Sinjohre oder so – die sagt, so was wär noch jar nicht dagewesen und sie würde sich's zur Ehre rechnen, Alma'n umsonst auszubilden.

ROBERT.
Aber sagt, wie habt Ihr mir das alles verschweigen können?
FRAU HEINECKE.

Jott, bis nach den heißen Indien is es so weit, da vergißt sich dies und jenes. Und dann haben wir dich überraschen wollen.

ROBERT
steht auf und geht erregt auf und nieder.
Auguste beschützt sie doch nach Kräften?
FRAU HEINECKE.

Natürlich. Sie läßt keen Ooge von ihr ab. Alma ißt bei ihr und übt bei ihr und wenn es abends zu spät wird für die Pferdebahn, schläft sie ooch bei ihr – wie eben diese Nacht.

ROBERT.
Und wenn sie abends fortbleibt, so beunruhigt Euch das nicht?
HEINECKE.
He, he! Großes Mächen!
FRAU HEINECKE.

Da wir sie bei Aujusten so gut ufgehoben wissen! Sie könnten übrigens schon da sein, denn der Milchwagen hat in der Früh' den Brief an sie mitgenommen. Das wird ein Jubel sein!

ROBERT.
Und Auguste lebt glücklich?
FRAU HEINECKE.
Wie man's nehmen will. Er sauft ein bißken und arbeeten möcht' er wohl ooch nich, aber –
HEINECKE.
Aber mucken und Schkandal machen – des kann er.
FRAU HEINECKE.

Im Janzen scheint es ihnen doch recht jut zu jehn. Aujuste hat zwei Zimmer hochherrschaftlich ausmöbliert und an einen feinen Herrn aus Potsdam vermietet, der manchmal dort absteigt, aber bezahlt fürs volle Monat. Das bringt manchen schönen Groschen. Für den Morgenkaffee allein gibt er 'ne Mark. Zum Fenster gehend. Dort kommt sie an, und den Mann hat sie ooch mitgebracht.

ROBERT.
Wie? Alma ist nicht mit ihr?
[15]
6. Szene
Sechste Szene
Auguste, Michalski treten ein.

AUGUSTE.

Na, da bist du ja! Sie küssen sich. Dir is es wohl immer sehr jut jejangen? – Aber wat frag ick? – Wer so nobel in Kleidern daherjeht! – Freilich is auch nich allens Jold, wat jlänzt. – Dies ist mein Mann.

ROBERT.
Lieber Schwager, geben Sie mir die Hand auf herzliche Verbrüderung.
MICHALSKI.
Viel Ehre. Passiert nicht häufig, daß eine schwielige Faust zu so viel Ehre kommt.
ROBERT.
Schwager, das klang nicht brüderlich.Zu Auguste. Wo ist Alma?
AUGUSTE.

Unsere Prinzessin kamen sich nicht schön genug vor für den fremden Bruder. – Mußten sich erscht die Stirnlocken brennen lassen.

ROBERT
steht betroffen.
AUGUSTE.
Wird wohl mit die nächste Pferdebahne nachkommen. Wo habt Ihr den Nappkuchen her?

Frau Heinecke reicht herum, Auguste und Michalski essen.
FRAU HEINECKE.
Iß auch noch ein Stückschen, Robertchen.

Robert lehnt ab; alle anderen essen. Pause.
HEINECKE.
Wat sagst de dazu, Michalski? »Willkommen, teurer Sohn im« –
MICHALSKI
essend.
Faxerei!
ROBERT
verwundert.
Schwager!
HEINECKE.
Wie? Wat ick mit diesen braven Herzen und mit diesen lahmen Arm –

Robert beruhigt ihn.
MICHALSKI.

Ick bin ein schlichter Mann und sag meine Meinung frei raus. Ick liebe die Kinkerlitzchen und das Getue nich. Denn wer so schwer arbeeten muß wie unsereins, wem der Hunger und die Peitsche ejal im Nacken sitzen –

[16]
HEINECKE.
Besonders, wenn man um elf Uhr vormittags spazieren jeht und Nappkuchen dazu ißt.
AUGUSTE.

Seid Ihr beede schon wieder aneinander?Zu Michalski. Könntest endlich Ruhe halten. Siehst doch, daß er in die Kinderjahre kommt.

HEINECKE.
Ick in die – sehr jut. – Da siehst du nun: so werd ich behandelt von meine eigene Kinder.
ROBERT
leise zu Auguste.
Verzeih, Schwester. – Ich hab es nie für möglich gehalten, daß sich dergleichen sagen läßt.
AUGUSTE.
Wat denn?

Es klopft, ein Diener in Livree mit einem
Blumenstrauß.
7. Szene
Siebente Szene
Die Vorigen. Wilhelm.

ALLE
außer Robert.
Der Wilhelm! Guten Tag, Wilhelm!

Die beiden Männer schütteln ihm die Hand.
FRAU HEINECKE.
Vor wem ist der scheene Strauß? Der jeht sicherlich in die Stadt.
WILHELM.

Nein, der kommt zu Ihnen. – – – Sind Sie der junge Heinecke? Robert bejaht. Kordial. Das freut mich ungemein, daß wir uns kennenlernen. Will ihm die Hand drücken.

ROBERT
lächelnd.
Sehr liebenswürdig.
WILHELM.

Die gnädigen Herrschaften lassen Ihnen ein freundliches Willkommen sagen und schicken Ihnen diese Blumen. Es ist das Rarste, was das Treibhaus hat. Aber im Vertrauen – die Blumen gab mir eigentlich das gnädige Fräulein und das gnädige Fräulein hat sich überhaupt sehr scharf nach Ihnen –

ROBERT
seine Bewegung verbergend.
Sind Sie beauftragt, mir dieses zu eröffnen?
WILHELM.
Ne, das nicht.
ROBERT.
So behalten Sie's für sich.

Diener wendet sich zur Tür.
[17]
FRAU HEINECKE.
Möchten Sie nich ein Stücksken Nappkuchen mit uns essen, Wilhelm? Es ist noch welcher da.
ROBERT.

Verzeih, Mutter! Gibt ihm ein Geldstück. Der Mann hat seine Belohnung. – Bestellen Sie dem Herrn Kommerzienrat, daß ich um zwei Uhr zusammen mit dem Grafen von Trast-Saarberg um die Ehre des Empfangs bitten werde. – Sie können gehn. Wilhelm ab.

FRAU HEINECKE.
Ein Jraf? – Was für ein Jraf? –
ROBERT.
Ein Freund von mir, Mutter, dem ich vielen Dank schuldig bin.
AUGUSTE
leise zu Michalski.
Hörst du, er will einen Jrafen zum Freunde haben.
MICHALSKI
leise.
Er denkt wohl, uns damit zu imponieren?
FRAU HEINECKE.

Wart, ich werd den Strauß in Wasser stellen! – Den Wilhelm hättst du aber nich so schlecht behandeln sollen, Robertchen. – Des is ein Freund von uns.

AUGUSTE.
Wir jemeinen Leute können keene Jrafens zu Freunde haben. –
MICHALSKI.
Wir müssen uns an die Levkaien halten.
FRAU HEINECKE.

Ja, mit dem Wilhelm mußt du dich auch gut stellen. Uns zu Gefallen, Robertchen. – Denn wir haben viel Jutes von ihm. Wie manches Stücksken Braten, wie manche Flasche Wein hat er uns schon zugesteckt. –

ROBERT.
Und das nahmst du an, Mutter?
FRAU HEINECKE.
Warum nich? – Wir sind arme Leute, mein Kind. – Wir müssen froh sein, wenn wir was kriegen.
ROBERT.

Mutter! Ich will meine Kräfte verdoppeln. Ich will Euch überlassen, was ich mir vom Munde nur absparen kann. Aber nicht wahr, das versprichst du mir – von jenem Bedienten nimmst du nichts mehr an? –

FRAU HEINECKE.

Das wäre ja Hochmut und Verschwendung! Eine jute Jabe soll kein Mensch nich zurückweisen. Und mit dir hat er es auch nur jut gemeint, als er dir die Geschichte von's jnädige Fräulein erzählte. Mit die hat es überhaupt 'ne eigentümliche Bewandtnis. Wenn ick ihr uf [18] den Hof begegnet bin, ist kein Mal vergangen, daß sie mich nicht ausgefragt hat, ob Nachrichten von dir da wären, wie dir die heiße Witterung bekäme und so. Und dabei hat sie immer so freundliche Augen gemacht. – Wenn du klug wärst, Robertchen – –

ROBERT.
Um Gotteswillen, Mutter, hör auf!
HEINECKE.
Das könnt' uns schmecken – zwei Milliönchens.
MICHALSKI.
Ob du mir dann was pumpen wirst, Schwager?
ROBERT
für sich.
Wie lange will man mich noch quälen?
8. Szene
Achte Szene
Die Vorigen. Alma.

ALMA
in gelbem Jaquet, mit kokettem Hütchen, sorgfältig frisiert, mit schwedischen Handschuhen, vielen Armbändern und extravagantem Regenschirm.
Durch die halbgeöffnete Tür. Wünsch einen schönen guten Morgen allerseits.
ROBERT
stürzt ihr entgegen und umarmt sie.
Alma! Gott sei gelobt!
MICHALSKI
zu Auguste.
Die beiden Feinen aus de Familie.
ROBERT
Alma liebkosend.

Hör mal, Schwesterchen, wenn man so häßlich wäre, wie man hübsch ist, brauchte man noch lange keine Angst zu haben, daß man dem großen Bruder nicht gefallen würde.

ALMA.
Auguste – pfui!
ROBERT.
Na, na, es war nicht bös gemeint! Sei auf der Stelle wieder gut!
ALMA
geziert.
Mein Herzensbrüderlein!
AUGUSTE
leise.
Jott, wie riehrend!

Frau Heinecke hilft Alma beim Ausziehen des Mantels.
HEINECKE.
Wat sagst de nu? – Streichelt ihr die Backe. Bist du mein Schätzeken oder nich?
ALMA
trällert.
Oui, cher papa, c'est Girofla!
HEINECKE.
Hörst de, wie se singt? Lauter italienisch.
[19]
ROBERT.
Ja, sag mal, was hör ich für Neuigkeiten? Du willst also partout eine große Sängerin werden?
ALMA.
Wenn sich's so macht, ich habe nichts dagegen.
FRAU HEINECKE.
Möchtest du nicht ein Stückschen Napfkuchen essen, Almachen?
ALMA.
Merci beaucoup!

Geht essend in der Nähe des Spiegels hin und her.
ROBERT.
Und Du studierst fleißig?
ALMA
bejaht mit vollem Munde.

Alle Nachmittag hab ich Stunde ... Do, re, mi, fa sol, la si – si, la, sol fa – Ach ja, diese Tonleiter! Gräßlich langweilig! ... Und das ewige Üben! ... Ich bin schon total nervös geworden.

FRAU HEINECKE.
Das arme Kind!
ALMA.

O yes, Ma! Ich hab nämlich auch englisch gelernt! Ich bin nämlich furchtbar gebildet! ... Was ich alles weiß!

HEINECKE.
Ja woll! Siehste!
ALMA.

Und überhaupt! ... Man lebt nur einmal ... Lustig sein ist die Hauptsache ... Bist du auch lustig, Brüderchen?

ROBERT.
Gewiß. Wenn ich Grund dazu habe.
ALMA.

Kunststück! Ohne Jrund muß man lustig sein. Wozu ist man jung? Ach, und das Leben ist ja so schön! ... Jeden Tag gibts was Neues! – Und Berlin ist so schön! ... Weißt du – so die Linden! Und das elektrische Licht! Hast du das schon geseh'n? – Das lieb ich über alles! ... Man ist so schön bleich, so interessant! ... Und die Restaurants haben auch schon alle elektrisches Licht! Fabelhaft! ... Da hab ich einen Kronleuchter gesehen, weißt du, in dem neuen Café auf dem Dönhoffsplatz – der war eine große Blumenguirlande, und in jeder Blume saß eine Flamme drin.

ROBERT.
Warst du denn in dem Café?
ALMA.
Ich? Ach wo! – Alles durch's Fenster! So was gibt's dort nicht – in dem Indien? Nicht wahr? –
ROBERT.
Nein, das freilich nicht.
ALMA.

Wir sind überhaupt sehr weit in der Kultur. – Einer [20] hat mir erzählt, daß es hier schon fast so schön ist, wie in Paris. Ist das wahr?

ROBERT.
Ich kenne Paris nicht, liebes Kind.
ALMA.
Pfui! Das ist schade. – Ein junger Mann muß doch Paris kennen.
ROBERT
zwischen Befremden und Entzücken kämpfend.
Du kleiner Dummkopf!
ALMA.

Hahaha! ... Ich bin drollig, nicht wahr? ... Hahaha! – Ja, so ist man! Hahaha! ... Geht lachend und sich wiegend zu Augusten hinüber und hält ihr ein Taschentuch unter die Nase, das sie dreieckig gefaltet im Gürtel getragen hat. Riech mal!

AUGUSTE
leise.
Au! Fein! Was ist denn das?
ALMA
leise.
Ixora, das Allerneueste aus Paris, ... hab ich heut gekriegt.
AUGUSTE
leise.
Kommst du heute raus?
ALMA
leise.
Weiß nicht. – Er wird mir's sagen lassen. – Aber morgen abend gehn wir auf den Maskenball – hahaha!
ROBERT.

Aber nun wollen wir wieder vernünftig sein, Kleine. Komm her ... Setz dich ... Mir gegenüber ... Hier – hier –

ALMA.
Jott, wie du bist! – Das wird ja das reine Kriminalgericht. –
ROBERT.
Wenigstens mit Fragen werd ich dich überschütten. –

Die Alten gruppieren sich hinter Alma's Sessel. Michalski sitzt auf dem Arbeitstisch. Auguste neben ihm auf dem Schemel.
ALMA.
Also los. – S'il vous plaît, Monsieur –
MICHALSKI
leise zu Auguste.
Das kann nett werden.
ROBERT.
Wie kam's, daß du dein Talent entdecktest?
ALMA.
Das kommt wie die Liebe – man weiß selbst nicht wie?
ROBERT
unangenehm berührt.
Hm ... Aber einer muß dir doch zuerst gesagt haben – Alma zuckt die Achseln.
[21]
FRAU HEINECKE.
Besinn dich, Kind. – Herr Curt war's – der –
ROBERT.
Der junge Chef?
HEINECKE.
Natürlich!
ROBERT.
Woher wußte er –?
FRAU HEINECKE.

Er hat sie singen gehört – durch's Fenster vom Hof aus. Und's nächste Mal meinte er, es wär 'ne Schand und ein Spektakel, daß so'ne Stimme –

ROBERT.
Aber warum läßt du die Mutter reden, Alma?
AUGUSTE
zu Michalski.
Se is so schichtern!
ALMA.

Daß so'ne Stimme hier im Hinterhaus verkümmern soll – und daß überhaupt ich hier im Hinterhaus verkümmern soll – denn Sie sind viel zu schade dazu, mein jnädiges Fräulein, sagte er.

FRAU HEINECKE.
Das hab ich gehört! Mein jnädiges –
HEINECKE.
Ja woll! Meine Tochter. Hö!
ROBERT.
Weiter, Alma!
ALMA.

Meine Eltern haben für Ihren Bruder gesorgt, sagte er, und ich will für Sie sorgen, sagte er. – Na, und darauf wählte er mir eine Lehrerin aus, die hält einen cercle musical – das heißt auf Deutsch »musikalischer Zirkel« – – da drin sind lauter junge Damen aus den feinsten Familien. – Eine ist sogar mit einem Husaren-Lieutenant verlobt.

ROBERT.
Wie heißt diese Lehrerin?
ALMA
mißtrauisch.
Weshalb willst du das wissen?
ROBERT.
Weil es unmöglich ein Geheimnis sein kann.
ALMA.
Sie heißt Signora Paulucci.
HEINECKE
begeistert.
Ganz italienisch.
ROBERT
das Notizbuch hervorziehend.
Und wohnt?
ALMA
rasch.
Du brauchst nicht hinzugehen. Es stimmt alles.
ROBERT.

Natürlich stimmt alles. Aber ich möchte gern auch aus dem Munde deiner Lehrerin hören, wie's um dich steht.


Alma sieht sich nach Augusten um.
AUGUSTE.
Du kannst sie ja morgen zur Stunde begleiten.
[22]
ALMA
rasch.
Ach ja, morgen!
ROBERT.

Gut! – Erhebt sich und geht erregt auf und nieder. Ich will dich nicht kränken, liebes Kind, aber ich muß Euch gestehn, daß ich Eure großen Hoffnungen noch lange nicht teile.

HEINECKE.
Nanu? –
ROBERT.

Wie manches junge Geschöpf ist nur durch Eitelkeit und Ehrsucht auf diesen Weg gelockt worden. Und der ist gefährlich! – Gefährlicher, als Ihr ahnt. – Ich bin ja fest überzeugt, daß die Motive des jungen Chefs die reinsten und edelsten sind, aber – – Nun, werd ich morgen aus berufenem Munde hören, daß meine Zweifel unnütz sind, so werde ich, ich selbst, weiter für dich sorgen und verspreche dir, keinen Augenblick zu ruhen, bis du in deiner Kunst des Höchste erreicht hast.

ALMA
nimmt die Vase vom Tisch und vergräbt ihr Gesicht in den Blumen.
ROBERT.

Und wie seltsam, daß wir alles, auch dieses unerhörte Glück, im Grunde dem Hause Mühlingk zu verdanken haben –


Michalski lacht höhnisch, Robert horcht auf, sagt aber nichts.
ALMA.
Mama, wer hat mir dieses kostbare Bouquet geschickt?
FRAU HEINECKE.
Das ist ein Willkommen für –Macht Zeichen. von's jnädige Fräulein.
ALMA.
Ach, von der!

Stellt die Vase zurück.
ROBERT.

Halt mal! Eine Frage! Ich mache die Erfahrung, daß, sobald ich das Vorderhaus oder einen seiner Insassen erwähne, irgendwer von Euch in ein Lachen ausbricht oder eine abfällige Bemerkung folgen läßt. Allenfalls Herr Mühlingk junior scheint Gnade vor Euren Augen gefunden zu haben. Ohne Umschweife! – Was habt Ihr gegen unsere Wohltäter? Worin haben sie Euch Grund zur Klage gegeben? Schweigen. Zum Beispiel dir, Schwager, der du soeben höhnisch auflachtest?Schweigen. Oder [23] dir, Alma, die du mit den Blumen des Fräuleins nichts zu tun haben wolltest? Mutter hat mir vorhin berichtet, daß sie immer gütig zu ihr gewesen ist.

ALMA.

Gütig, die? Eine aufgeblasene Person ist sie, die nicht weiß, wie weit sie den Kopf in den Nacken werfen soll, wenn sie mir begegnet. – Nie richtet sie ein Wort an mich, kaum daß sie sich herabläßt, meinen Gruß zu erwidern. O die!

AUGUSTE.
Mit mir macht sie's nich anderscht.
ROBERT
schmerzlich, für sich.
Das sah ihr sonst nicht ähnlich.
FRAU HEINECKE
zärtlich.
Laß sie nur erst mit meinen Sohn Robert verheiratet –
ROBERT
erschrocken ihr das Wort abschneidend.

Aber, Mutter! – Verzeih! Soeben fällt mir ein, daß ich jeder der Schwestern etwas mitzubringen habe. Auch Ihnen – dir, Schwager.

AUGUSTE
aufspringend, gierig.
Was is es? Wo hast es?
ROBERT.
In der Schlafkammer, auf dem Tische. Ein Zettel sagt jedem, was ihm gehört.

Die drei, Auguste voran, eilen zur Kammer.
HEINECKE.
Und für uns gibt's nischt?
ROBERT.

Für Euch, liebe Eltern, ist mir von dem fremdländischen Kram nichts gut genug erschienen. Sagt mir, was Ihr Euch wünscht.

FRAU HEINECKE.

Wenn ich's doch erlebte, daß einer mir das Kanapee, das zu die Fotölchs paßt, schenken tät – Da Robert vor sich hinstarrt. Aber du verstehst mir ja jarnich.

ROBERT
in schmerzlichem Vorwurf.
Nein, Mutter, ich verstehe dich nicht.
HEINECKE
trotzig.
Und ick wünsch mir – 'nen neuen Kleistertopp, den wirst du wohl noch erschwingen können.

Die dreie kehren zurück. Auguste mit einem bunten[24] Shawltuch, Alma mit einem Etui, Michalski mit einer Wasserpfeife, umringen ihn und bedanken sich.
AUGUSTE.
Wie schade, daß die indischen Shawls nich mehr gedragen werden.
MICHALSKI
an dem Schlauche ziehend.
Natürlich keene Luft!
ROBERT
zu Alma, die mit einem Schmucke spielt.
Bist du zufrieden, Alma? Sieh mal, die hellblauen Steine sind indische Saphire.
ALMA.
Janz nett! Ich liebe zwar die dunkeln Saphire mehr. Sie haben ein schöneres Feuer.
ROBERT.
Wie kommst du zu solcher Wissenschaft?
ALMA.
Ach – von de Schaufenster her. Unsereins steht gerne davor. –
ROBERT.
Und was hast du da Blitzendes in den Ohren?
ALMA.
Das? Simili. Nichts weiter. Zwei Mark das Paar.
ROBERT.

Mein Herz, das trägt man nicht – und versprichst du, es auf der Stelle abzulegen, so hab ich noch eine Extraüberraschung für dich im Kasten.

ALMA
löst schmollend die Ohrringe.
Also bitte!
ROBERT.

Es ist das Kleid einer Hindu-Prinzessin, das auf einem Kriegszuge von meinen Freunden erbeutet worden ist. Denk dir! Rosa und golddurchwirkt!

ALMA
jubelnd.
O Gott, wie himmlisch!
MICHALSKI
lachend.
Darauf habt Ihr sie wohl splitternackig an einen Boom gehängt? Robert sieht ihn groß an.
ALMA
ihn liebkosend.
Du bist ein herziger, kleiner Schatz.

Ein Kutscher in Livree pocht ans Fenster.
FRAU HEINECKE.
Jeh sehn, Vater, was der Johann will!
ALMA
zu Auguste.
So lange Gesichter werden sie machen vor Neid, wenn ich morgen auf dem Maskenballe –
AUGUSTE.
Pst!
HEINECKE
vom Fenster her.

Johann läßt dir sagen, Alma, daß Herr Curt um drei Uhr nach de Stadt will und ob du mitfahren willst?


Auguste und Alma wechseln einen Blick.
[25]
ROBERT.
Was bedeutet das?
AUGUSTE.

Janz einfach. Herr Curt hat seine Equipage, und da er ein gefälliger junger Mann ist, so hat er Alma'n ein für alle Male ufgefordert mitzufahren.

ROBERT.
Wie? Das duldet Ihr? Und du, Schwester, hast eingewilligt?
ALMA.
Ein armes Mädchen möchte auch einmal in einer Equipage fahren. –
FRAU HEINECKE.
Und man erspart das Pferdebahngeld.
ROBERT.
Um Gotteswillen! Was sagen die Damen des Vorderhauses dazu?
ALMA.

Oh, die wissen nichts. Wenn ich mitkomme, hält der Wagen am hintern Torweg, wo nur die Arbeiter aus- und eingehen.

ROBERT.

Um so schlimmer! Was für abscheuliche Deutungen muß diese Heimlichkeit – – Hast du denn das nicht gefühlt? – Alma, komm mal her! ... Sieh mir ins Auge.

ALMA
ihn groß ansehend.
Nun?
ROBERT
nimmt ihren Kopf in beide Hände.
Nein, diese Augen betrügen nicht! – Du bist rein, du bist – Küßt sie auf Stirn und Wangen.
HEINECKE.
Entschließt Euch. – Johann wartet.
ROBERT.
Sage dem Johann, Vater, daß ich mich vorher mit seinem Herrn besprechen werde.
ALMA.
Weshalb? Es ist ja alles besprochen.
ROBERT.

Du wirst die Equipage des jungen Herrn Mühlingk nicht mehr benutzen. Für Mädchen deines – unseres Standes ist die Trambahn da.


Alma bricht in ein trotziges Weinen aus.
FRAU HEINECKE.
Das arme Kind!
AUGUSTE.
Du scheinst hier alles von oberscht zu unterscht kehren zu wollen –

Auf dem Hofe erhebt sich Kindergeschrei.
HEINECKE
vom Fenster her.
Kommt her – schnell! – Ein Mohr! – Mit einem Turban.
ALLE
außer Robert, der ihnen kopfschüttelnd nachschaut, [26] laufen zum Fenster.
Ein Mohr! – Nein, das ist kein Mohr!
ALMA
noch kindisch weinend.
Robert ... ist das – ein Mohr?
ROBERT
finster.
Nein, mein Kind, das ist der indische Diener meines Freundes.
FRAU HEINECKE.
Dein Freund – ist das der Jraf?
ROBERT.
Ganz recht.

Der Diener tritt ein. Man umringt ihn.
ROBERT.
Ragharita, dein Herr ist in dem Hause meines Vaters willkommen.

Diener ab. – Große Erregung. – Frau Heinecke rückt an den Sesseln und wischt den Spiegel.
ALMA
vom Spiegel her.

Ist dein Graf jung oder alt?Robert antwortet nicht. Meine Augen sind rot – feuerrot, nicht wahr, Auguste? Und am Ende ist er jung!


Ab nach links.
MICHALSKI.
Komm, Auguste, wir wollen die hohen Herren nicht stören.

Beide ab.
HEINECKE.

Herr Jraf, werd ick zu ihm sagen, nehmen Sie Platz auf diesen Fotölch, werd ick sagen. – Oh, wir verstehen das.

FRAU HEINECKE.

Ein Baron is schon einmal hier gewesen, einer von Herrn Curt seine Herren Freunde. Weißt de noch, Vater? Hat sich nach Alma'n ihr Befinden erkundigt. – Aber ein Jraf noch nie.

ROBERT.
Wer ist hier gewesen, Mutter?
9. Szene
Neunte Szene
Die Vorigen. Graf Trast. (Mann mit ergrauendem Kopf und langem blonden Barte, zwischen 40 und 50, mit lässig-fremdländischer Eleganz gekleidet.)
Robert eilt ihm entgegen und drückt ihm die Hände.

TRAST
leise.

Was ist dir? – Hat das Heimatsfieber noch nicht nachgelassen? Laut. Also das sind die Langersehnten! [27] Schüttelt ihnen die Hände. Wissen Sie, meine Verehrten, daß hier auch so eine Art von Sohn vor Ihnen steht? Die Freundschaft meines lieben alten Kameraden gibt mir beinah ein Recht auf diesen Namen.


Heinecke drückt sich unter Kratzfüßen zur Tür hinaus.
FRAU HEINECKE.
Möchten der Herr Graf nicht ein Stückschen Napfkuchen essen? – Es ist noch welcher da.
TRAST.
Danke, ich esse – ich esse.

Frau Heinecke knixend ab.
10. Szene
Zehnte Szene
Trast. Robert.

TRAST.
Du bist blaß, mein Junge, und deine Hände zittern. Was ist dir geschehn?
ROBERT.
Ach nichts. Das Glück – weißt du – die Erregung. Das ist doch natürlich!
TRAST.

Ganz natürlich. – Beiseite. Er lügt! Laut. Sag mal, wie lange gedenkst du hier zu bleiben? Ich will meinen Aufenthalt in dem braven Europa darnach regeln.

ROBERT.
Unmöglich, lieber Freund! Unsere Wege trennen sich nun.
TRAST.
Ah Wetter!
ROBERT.

Ich werde meinen Chef bitten, mich von nun an im Lande zu beschäftigen. Das indische Klima – du verstehst.

TRAST.
Da haben wir die Bescherung! Es hängt sich wohl sehr lieblich an Mutters Schürzenband?
ROBERT.

Spotte nicht und frage auch nicht. Und da wir bald auseinandergehn – es muß ja einmal gesagt werden – hab Dank, du lieber, böser Mensch, für alle deine Wohltaten. Das war der gesegnetste Augenblick meines Lebens, als du mich im Club auf Buitenzorg fiebernd hinter meinem jungen Chef stehn sahst, der eine Hundert-Gulden-Note nach der andern auf den grünen Tisch warf.

TRAST.

Warum war ich so dumm, einen Narren an dir [28] zu fressen, wenn du mich jetzt – pfui, das ist nicht fein.

ROBERT.

Trast, tu mir nicht weh! Siehst du, dir verdank ich alles. – Als ich damals deinen Namen hörte, den Namen Trast und Compagnie, der allmächtig ist von Yokohama bis nach Aden, da war mir zumute, als stünd' ich vor dem Kaiser selber.

TRAST.
Ein Kaiser von Kaffeesacks Gnaden.
ROBERT.
Das Mühlingksche Unternehmen in Batavia war eben drauf und dran, elendig zugrunde zu gehn. –
TRAST.
Wunder auch, da es den größten Taugenichts im Archipel zum Leiter hatte.
ROBERT.

Vor mir standen Rückberufung und Entlassung. Da nahmst du den armen, landfremden Commis unter deine Fittiche, dein Name eröffnete mir Verbindungen in Fülle, an deinem Rat erwuchs ich zum Manne – während Herr Benno Mühlingk sein lustiges Leben weiterführte, glitt die Leitung der Geschäfte allgemach in meine Hände über –

TRAST.

Und das Ende vom Liede ist, daß das Haus Mühlingk samt seinem sauberen Vertreter durch uns um einige Hunderttausende reicher wurde. Schade! Hätt's dir selber gegönnt! Nun, ich werde deinem Ober-Chef die Augen über dich öffnen. Wenn er dich nicht mindestens zum Compagnon annimmt, so werde ich in meinem Zorne eine solche Kaffee-Hausse heraufbeschwören, daß die wackere Frucht der deutschen Eiche zu ungeahnten Ehren kommen soll. Aber ernsthaft gesprochen, warum kaprizierst du dich, im Dienste dieser Leute zu bleiben? Komm mit mir, mein Junge. Ich biete dir ein fürstliches Gehalt und jeden Weihnachten eine neue Hose.

ROBERT
lehnt kopfschüttelnd ab.
TRAST.

Die Dankbarkeit allein kann solchen Wahnwitz nicht zustande bringen. Oder sollte am Ende zum Inventar der Firma irgendeine deutsche Jungfrau gehören, die – Beiseite. Aha! Laut. Da wir gerade von Jungfrauen reden! – [29] Denke, was mir gestern abend passiert ist! Als wir uns getrennt hatten, schlenderte ich ziellos durch die Straßen. Ein Plakat von angenehmer Augenfälligkeit lud mich zum Maskenballe ein. Hundert Bajaderen werden ihre sinnberauschenden indischen Tänze aufführen, hieß es daselbst. Na, darin bin ich ja Fachmann. Also ich ging hin – Ach! – Alles das schien eigens dazu da, um angehende Mönche zur Ablegung ihrer Gelübde zu begeistern. Aber da kommt mir im Schwarm ein blutjunges Wesen entgegen, zart und flaumig wie ein halbreifer Pfirsich. Sie scheint gerade herrenlos. Ich attackiere sie. Sie, nicht blöde, bettelt mich mit süßer Kindesstimme um ein Spielzeug an, das an meiner Kette hing. Ein kleines, goldenes Götzenbild, darstellend meinen Schutzpatron Ganesa, den Gott des Erfolges, der, wie du weißt, auf einer Ratte reitet. Eine Ratte hatte die andere gewittert. Und als ich schwatzend neben ihr herging, du, was fand ich da? Unter dem Flaume kindlicher Unschuld was für eine naive Verdorbenheit! –

ROBERT
angstvoll.
Also dergleichen ist möglich?
TRAST.

Du hörst es ja. Nun pflegt mein Herz stets in dem Takte zu schlagen, welchen die Sitte des Landes verlangt, dessen Gastfreundschaft ich genieße. Denn ich mache mich gern zum Sklaven des Milieus. Im Orient halte ich mir einen Harem, in Italien steige ich bei Mondschein über Gartenmauern, in Frankreich bezahle ich die Schneiderrechnung und – Gott! – in Deutschland weise ich den Rückweg zur Tugend. – Ganz folgerichtig. Im Orient liebt man mit den Sinnen, in Italien mit der Phantasie, in Frankreich mit dem Geldbeutel, in Deutschland aber mit dem Gewissen. Also ich beschloß, dies kindliche Laster zur büßenden Magdalena umzuwandeln. Noch hatte ich mit den Anfangsgründen nicht begonnen, denn der Champagner sollte eben erst aufgekorkt werden, da kommt ein Herr – zur Hälfte Dämon, zur Hälfte Hampelmann – auf mich zugestürzt und reklamiert sie für sich.[30] – Ich ehrte die älteren Rechte und ging um eine gute Tat ärmer zu Bette. Aber ich gäbe viel darum, wenn mir der Zufall das süße Ding –

ROBERT
schlägt ächzend die Hände vors Gesicht.
TRAST.
Alle Wetter – was gibt's? – Pst –
11. Szene
Elfte Szene
Die Vorigen. Frau Heinecke.

FRAU HEINECKE.
Robertchen!
ROBERT.
Mutter?
FRAU HEINECKE.

Hast du vielleicht 'nen Proppenzieher bei dir? Zu Trast. Meine Tochter Alma wird sich erlauben, mit 'nen Fläschchen Wein aufzuwarten. Es is kein ordinärer Wein, sondern das Feinste, was man hat.

ROBERT.
Kommt wohl aus dem Vorderhause?
FRAU HEINECKE
stolz.
Ja wohl!
ROBERT.
Da!

Wirft sein Taschenmesser auf den Tisch.
FRAU HEINECKE.
Wie du aber auch bist!
ROBERT.
Ja ja. Du hast recht. Verzeih! Frau Heinecke ab.
12. Szene
Zwölfte Szene
Trast. Robert.

TRAST.
Nun beichte, mein Junge! Vertrau dich mir an!
ROBERT.
Ah – hätt' ich die Heimat niemals wiedergesehen!
TRAST.
Holla! Bläst der Wind aus dem Loche?
ROBERT.

Ich schäme mich des Standes, in dem ich geboren bin. – Die Meinigen gelten mir nichts mehr. – Mein ganzes Wesen zieht sich zusammen in der Berührung mit ihnen ... Ich traue meinem Gehirne nicht, denn ein verrückter Argwohn nach dem andern schießt mir durch den Kopf. – Trast, ich glaube beinah, ich achte den Schoß nicht mehr, der mich getragen hat.

TRAST.
Das ist kompletter Unsinn.
[31]
ROBERT.

Wenn ich dir schildern wollte, was ich gelitten habe. Jedes ernsthafte Wort erschien mir wie ein Faustschlag, und jeder Scherz wie eine Ohrfeige. Es schien, als wüßte man nichts zu reden, als was mich verwundete ... Ich glaubte, zur Heimat zurückzukehren und stehe einer fremden Welt gegenüber, in der ich kaum zu atmen wage. – Rate, was soll ich tun?

TRAST.
Deine Koffer packen.
ROBERT.
Das wäre feige und herzlose Flucht. Hat das die um mich verdient, die mich gebar?
TRAST.

Weißt du – lassen wir das hohe Pathos. Die Sache liegt so einfach wie möglich – für uns, die wir das Kastenwesen an der Quelle studiert haben. – Dieselben Kasten gibt's auch hier, nicht durch Speisegesetze, durch Eheverbote und Regeln religiöser Etikette von einander geschieden. Das wären nur Kleinigkeiten. Was sie unüberbrückbar trennt, das sind die Klüfte des Empfindens. – Jede Kaste hat ihre eigene Ehre, ihr eigenes Feingefühl, ihre eigenen Ideale, ja selbst ihre eigene Sprache. – Unglücklich deshalb derjenige, der aus seiner Kaste herausgefallen ist und nicht den Mut besitzt, sich mit seinem Gewissen von ihr zu lösen. Ein derart Deklassierter bist du, und du weißt, ich war es auch. – Ja, was du heute fühlst, habe ich vor Jahren am eigenen Leibe durchgemacht. Oder wie glaubst du, daß mir, dem flotten, blutjungen Kavallerie-Offizier zumute war, als ich eines Morgens beim Erwachen mich besann, daß ich in der Nacht das Sümmchen von 90000 Talern verspielt hatte, das binnen 24 Stunden bezahlt sein wollte? Was half's, daß ich nach Hause reiste, um mich meinem Vater zu Füßen zu werfen? Er hätte seine Haut verpfändet, um die Ehre meines, seines Namens zu retten, aber diese Haut war schon verpfändet. Und da er mir weiter nichts zu geben hatte, gab er mir wenigstens seinen Fluch.

ROBERT
vor sich hin brütend.
Daß du den Mut hattest, weiterzuleben.
[32]
TRAST.
Haha! Weißt du denn nicht, wie das geschah?
ROBERT
zerstreut und von Unruhe gequält.
Ich weiß nichts mehr – nichts – nichts –
TRAST.

So merk es dir. Es kann dir vielleicht nützen. Als meine Kameraden sich von mir verabschiedeten, erwiesen sie mir den letzten Liebesdienst, eine Pistole mit gespanntem Hahn schweigend neben mich auf den Tisch zu legen. Ich besah mir das Dings von allen Seiten. Daß ich als Ehrloser nicht eine Stunde länger leben könnte, war mir selbstverständlich. Da, als ich die Mündung gegen meine Schläfe drückte, kam mir plötzlich der Gedanke: Das ist brutal, das ist dumm. Was bist du weniger, als du vor drei Tagen warst? Vielleicht hast du die Rute verdient, da du als dummer Junge Summen versprachst, die du nicht besaßest, den Tod aber nicht. Es haben sich Jahrtausende lang Menschen der Sonne gefreut, ohne sie von dem Phantom der Ehre verdunkeln zu lassen, noch heute leben 999 Tausendstel der Menschheit auf dieselbe Art. Lebe wie sie, arbeite wie sie und freu dich der Sonne wie sie. – Als ich zwölf Jahre später – meine Schuld war selbstverständlich längst getilgt – nach Europa zurückkehrte, kam eine Art Versöhnung zwischen mir und meinem Vater zustande. Äußerlich nur. Hätte er mich als verlorenen Sohn auf seiner Schwelle liegend gefunden, er hätte mich mit seinen zitternden Händen aus dem Kot erhoben und an seine Brust gedrückt. Daß ich trotzig und frei den Kopf erhob, ja daß ich imstande war, ihm mit einer halben Million unter die Arme zu greifen, das verzieh er mir nie. Wenige Wochen später reiste ich ab. Der reiche Kaffeekrämer und der arme Standesherr hatten sich nichts mehr zu sagen. –

ROBERT.
Und nun ist er tot.
TRAST.

Friede werd ihm in dem Himmel, an den er glaubte! Doch nun die Nutzanwendung: Laß den Deinen ihre Weltauffassung, du wirst sie nicht mehr ändern. Gib, wo es not tut, gib im Überfluß und im übrigen – komm mit.

[33]
ROBERT.

Ich kann nicht. Höre weshalb. Ich hab es dir vorhin verschwiegen, denn ich – schämte mich. – Ich habe eine Lieblingsschwester. Sie war ein Kind als ich fortging. Oh, wie hab ich mich auf das Wiedersehn gefreut! – Und ich bin nicht enttäuscht, denn sie ist schöner und lieblicher aufgeblüht, als ich je hoffte. Aber meine Liebe zu ihr hat sich in Angst und Qual verwandelt. – Ich zittere vor tausend Gefahren, die ich nicht zu nennen wage. Denn was sie tut und mit sich tun läßt, – in aller Unschuld natürlich – widerspricht meinem Ehrgefühl auf Schritt und Tritt. Vorhin, als du von jenem unreifen Laster erzähltest, ein Schauder lief mir da kalt über den Leib, – denn – nein und tausendmal nein. Hier ist mein Platz, hier steh und fall ich!

TRAST.

Ich gebe zu, du hast Gründe, welche sich hören lassen. Aber du bist in überreizter Stimmung. Ich wette, du siehst zu schwarz.

ROBERT.
Wollt es Gott!

Stützt den Kopf in beide Hände.
TRAST.
Freilich, Humor müßtest du haben, dann ließe sich manches ertragen.
13. Szene
Dreizehnte Szene
Die Vorigen. Alma.
Alma mit einem Teebrett, worauf Weinflasche und zwei Gläser, von links. Der Graf fährt zusammen, sie stößt einen Schrei aus. Das Teebrett droht ihr zu entfallen.

TRAST
rasch gefaßt, eilt ihr zu Hülfe.
Fast gäb' es Scherben, mein Fräulein. Für sich. Es gibt Scherben.
ROBERT
die Schwester umfassend.

Sieh, lieber Trast, das ist sie. – Nicht wahr, sie ist ein Engel? So, jetzt geh zu ihm, gib ihm eine Patschhand und sag: Willkommen.

ALMA
leise.
Nicht ausplaudern – Sie.
TRAST
beiseite.
Unglücklicher. Wie schaff ich ihn fort?

Der Vorhang fällt.
[34]

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Herr und Frau Mühlingk. Curt links. Lenore im Schaukelstuhle rechts mit einem Buche. Man trinkt Kaffee, den ein Diener serviert. Ein anderer ist im Speisezimmer mit Aufräumen der Tafel beschäftigt.

CURT.
Wie gesagt, der Rappe ist famos!
MÜHLINGK.
Aber teuer!
CURT.
Teuer – ja lieber Gott!
FRAU MÜHLINGK.
Ich werde die fehlende Summe zulegen, damit diese Sache endlich zu Ende kommt.
CURT
küßt ihr die Hand.

Mein Compliment, Mama! ... Ich werde mich also hoch zu Roß meinen lieben Berlinern zeigen. – Du darfst mich auch bewundern, Lori!

LENORE.
Ja, lieber Curt!

Liest weiter.
CURT.

Lothar Brandt und Hugo Stengel wollten herauskommen, sich das Vieh anzusehen. Vielleicht interessiert dich das, Lori?

LENORE.

Die kommen wohl bald einmal. Zu tun haben sie ja nichts. Mit einem Blick nach der Uhr, für sich. Mein Gott, wie die Zeit schleicht!


Diener ab.
FRAU MÜHLINGK.
Du solltest nicht so hart über diese Herren reden, mein Kind, da Lothar sich um deine Hand bewirbt!
[35]
LENORE.
So?
FRAU MÜHLINGK.
Hast du nichts davon bemerkt?
LENORE.
Ich habe nicht aufgepaßt, Mama.
FRAU MÜHLINGK
halblaut.
Unerträglich, Theodor!
MÜHLINGK.

Wir kennen diesen Ton nun schon zur Genüge, mein Kind. Auch der Stolz auf die väterliche Kasse hat seine Grenzen.

LENORE
sich aufrichtend.
Der Stolz auf die väterliche Kasse?
MÜHLINGK.

Wie soll man die Art sonst nennen, die du seit zehn Jahren an dir hast, reiche und angesehene Bewerber heimzuschicken? ... Ich bin ein schlichter, bürgerlicher Mann ... Ich habe mich durch eigene Kraft aus kleinen Anfängen emporgearbeitet.

CURT
beiseite.
Das heißt – er hat eine gute Partie gemacht. –
MÜHLINGK.
Was sagtest du, Curt?
CURT.
Ein Ausruf der Bewunderung – weiter nichts, Papa!
MÜHLINGK.

Ja, ich hatte es nicht so leicht wie du, mein Sohn. – Nimm dir ein Beispiel! ... Ich liebe es nicht, den Protzen zu spielen und wünsche dies ebensowenig von meinen Kindern. Nur so lebt man geschmackvoll!

CURT
beiseite.
Und billig!
LENORE.
Dein Vorwurf trifft mich nicht, Papa ...
FRAU MÜHLINGK.
So laß dich herab, uns einen Grund zu nennen.
LENORE
vorwurfsvoll.
Mama!
FRAU MÜHLINGK
nervös.
O bitte!
LENORE
aufstehend.

Mein Gott, warum laßt Ihr mich mein Dasein nicht gestalten, wie meine Natur es von mir fordert. Ich bin ja bescheiden. – Ich bitte um nichts weiter, als mir selber leben zu dürfen.

MÜHLINGK.
Das nennst du bescheiden? ... Wo bliebe da die Heiligkeit der Familienbande?
FRAU MÜHLINGK
zu Mühlingk.
Siehst du's nun? Ich schließe seit langem kein Auge mehr.
LENORE.
Um meinetwegen, Mama?
[36]
FRAU MÜHLINGK.

Diese Bizarrerien jeden Tag. – Diese Unschicklichkeiten! Was bedeutet das nun wieder, daß du die Gewächshäuser plündern läßt, um einem heimgekehrten Commis Blumensträuße zu schicken.

LENORE.
Du meinst Robert?
FRAU MÜHLINGK.
Herrn Heinecke, den Jüngeren, meine ich.
LENORE.
Aber der ist doch kein Commis. – Er ist so gut wie ein Sohn unseres Hauses.
CURT.
Danke!
FRAU MÜHLINGK
milde.
Das heißt, wir haben ihn aus dem Kote gezogen.
2. Szene
Zweite Szene
Die Vorigen. Wilhelm.

MÜHLINGK.
Hä?
WILHELM.
Der junge Herr Heinecke aus dem Hinterhause läßt melden, daß er sich um 2 Uhr die Ehre geben wird. –

Lenore macht eine unwillkürliche Bewegung und blickt nach der Uhr.
MÜHLINGK.
Sieh da – wie ein großer Herr! ... Es ist gut. –
WILHELM.
Mit Erlaubnis – er nannte noch einen anderen, der mitkommen wollte – Graf Trast – oder so –
MÜHLINGK
aufspringend.
Wie? Der Graf Trast! Trast und Compagnie, Curt. – Der Kaffeekönig!Winkt dem Diener. Diener ab.
CURT.
Was so'n Commis für'n Glück hat.
MÜHLINGK.
Oh, den müssen wir ja einladen, Amalie.
FRAU MÜHLINGK.
Gut, morgen mittag.
LENORE.
Wie – und Robert Heinecke nicht?
CURT
beiseite.
Immer besser.
MÜHLINGK.

Hm! Eigentlich hast du recht. – Wenn man gelegentlich zu diesen Leuten herabsteigt, kettet man sie mit ihrem Gemütsleben an die Interessen der Firma. – So etwas bringt oft Tausende ein, Curt. – – Der junge [37] Mensch hat sich unter Bennos Führung ganz hübsch eingearbeitet und da ich ihn auf fernere zehn Jahre nach den Antillen schicken will –

LENORE
entrüstet.
So war es nicht gemeint, Papa.
MÜHLINGK.
Schadet nichts.
FRAU MÜHLINGK.

Und du, Curt, paßt ein wenig auf, daß der junge Mensch keine Fauxpas begeht. Er kommt aus dem Hinterhause. So was färbt ab. –

CURT
aufstehend.
Pardon. Ihr wünscht doch, daß ich auch meine Freunde einlade.
MÜHLINGK.
Gewiß, auch deine Freunde. Junggesellen haben immer Zeit.
CURT.

Ich möchte bitten, daß Ihr mir das erlaßt. Ich kann unmöglich junge Männer aus guter Familie mit dem Sohne des Weist nach hinten. Herrn Heinecke gesellschaftlich bekannt machen.

LENORE
leise zu ihm.
Solltest du nicht eher den Bruder des Fräulein Heinecke im Auge haben?
CURT
erschrocken, sich dann sammelnd.
Wie meinst du das?
LENORE.
Sei zufrieden, daß ich dir die Antwort schenke.
CURT.
Bitte!
LENORE.
Soll ich?
CURT.
Du drohst mir wohl?
MÜHLINGK.
Liebe Kinder, in diesem Hause gibt es keine Szenen.
FRAU MÜHLINGK.
Wir wollen nichts gehört haben, Theodor. Ich ziehe mich nun zurück, Auch du ruhst wohl ein wenig?

Mühlingk küßt sie zeremoniell auf die Stirn.
CURT
beiseite.
Die gute, alte Zeit! Laut. Mahlzeit!

Frau Mühlingk will nach dem Hintergrunde ab. Mühlingk klingelt.
LENORE
hinter Frau Mühlingk hereilend.
Mutter!
FRAU MÜHLINGK
sich umwendend, mit nervöser Freundlichkeit.
Es ist gut. Laß nur. Ab.

[38] Wilhelm tritt ein.
MÜHLINGK.
Besuch wird nach meinem Arbeitskabinett gemeldet. Ab.

Diener ab.
3. Szene
Dritte Szene
Curt. Lenore.
Curt will gleichfalls ab.

LENORE.
Mir scheint, daß wir miteinander zu sprechen haben, Curt.
CURT.
Wir? ... Hä? Nein.
LENORE.
Und du trägst kein Verlangen, mich zur Rechenschaft zu ziehn?
CURT.

Dir scheint es nicht zu passen, daß ich mich ein wenig in der Welt umsehe ... Weil du vier Jahre älter bist als ich und mich einmal gehn gelehrt hast, möchtest du mich noch immer am Gängelbande halten. Du – aber gehn kann ich nun ... Es gibt sogar Damen, welche behaupten, ich ginge zu weit ... Bitte, laß mir meine Façon, selig zu werden.

LENORE.

Ich habe dir nie einen Vorwurf gemacht. Spiele den Lebemann, so viel du willst. Aber habe den Mut, es zu bekennen.

CURT.
Würde mir schlecht bekommen!
LENORE.

Du spielst den gehorsamen Haussohn, um dich hinterher über die Eltern lustig zu machen. – Glaube mir Curt, so richtest du deinen Charakter zugrunde.

CURT
belustigt.
Ach?
LENORE.
Und um eines fleh ich dich an: Dies Haus und seinen Bezirk – die halte heilig.
CURT.
Da wären wir nun mit Gottes Hülfe.
LENORE.

Weißt du, was man zischelt und raunt hinten in den Höfen und Werkstätten? Daß du die Schwester Robert Heineckes mit deinen Aufmerksamkeiten verfolgst – daß du –

[39]
CURT
achselzuckend.
Ja, wenn du dir gestattest, den Klatsch der Hintertreppen herumzutragen!
LENORE.

Curt – nicht diesen Ton! Ich habe dich heut vor den Eltern geschont. Das nächste Mal tu ich es nicht ... Und vor allem eins: Robert ist zurückgekehrt ... Wenn er seine Schwester schuldig fände ... Sei still, ich fürchte es nicht ... ich würde nicht wagen, es zu fürchten ... Aber das Mädchen ist eitel und leichtsinnig ... Wenn es so wäre ... Und durch deine Schuld, Curt, nimm dich in acht! ... Er würde dich zerschmettern.

CURT.
Wer? Mein Commis? – Mit seinem Probenkoffer.
LENORE.
Ah! ... Und daß du dich dazu hergibst, diesen deinen Commis zu bestehlen, daran denkst du nicht?
CURT.
Was sind das für Ausdrücke? ... Bestehlen – um was denn?
LENORE.
Um seine Stellung vor der Welt! Um seinen guten Namen?
CURT.
Den Namen Heinecke. Pah!

Wilhelm bringt zwei Visitenkarten, die er Lenoren überreicht.
LENORE.
Besuch für dich!
CURT.
Wer denn?
LENORE.
Lies!
CURT.

Lothar Brandt ... Hugo Stengel ... Ach, ich lasse bitten. Wirft die Karte auf das Tischchen rechts. Diener ab.

LENORE
wirft sich in den Schaukelstuhl.
CURT.
Zeichen und Wunder. Du läufst ja heute nicht davon!
4. Szene
Vierte Szene
Die Vorigen. Hugo Stengel. Lothar Brandt.

LOTHAR.
Morgen, lieber Junge!
CURT
ihnen entgegengehend.
Ihr kommt meinen Rappen besehen. Das ist nett von Euch.
[40]
HUGO
mit einer Verbeugung gegen Lenoren.
Wir nahmen uns die Freiheit.
LOTHAR
gleichfalls.
Falls wir das gnädige Fräulein nicht stören.
LENORE
liebenswürdig.
Durchaus nicht. – Ich gehe nur selten nach den Ställen. Die beiden räuspern sich.
CURT.
Wollt Ihr also nicht Platz nehmen?
LOTHAR.
Wir erwarten die Erlaubnis des gnädigen Fräuleins.
LENORE
kühl.

Ich bitte! Nimmt ein Buch und blättert darin. Curt wirft ihr einen Blick des Unwillens zu. Setzen sich.

CURT.
Nun, wo stecktet Ihr denn gestern?
LOTHAR
posierend.

Gestern? – Was verlangst du für Leistungen von meinem Gedächtnis. – Ja, was war denn eigentlich gestern? Zuerst war ich im Tattersaal, dann hatte ich Konferenz mit Papa. – Der Kaffee sinkt wieder.

HUGO.
Beängstigend. – – Dreiundfünfzigeinhalb. –
LOTHAR.

Beängstigend, lieber Hugo, ist wohl nicht das richtige Wort. Er sinkt. Wir werden kämpfen. – Dann machte ich Besuche. Dann aß ich im Offiziersverein.

LENORE
aufblickend.
Ah – Sie sind Offizier?
LOTHAR
beleidigt.

Ich dächte, Sie wüßten das, mein gnädiges Fräulein. – Ich bin Lieutenant der Reserve im Kürassierregiment »Kronprinz«.

LENORE
lächelnd, mit einem Blick auf den Tisch.
Ach ja – siehe Visitenkarte.
CURT
ihm auf die Schulter klopfend.
Sonst auch hoch zu Roß auf Herrn Papas Comptoirschemel!
LOTHAR
schneidend.
Ich muß sehr bitten, mein Lieber!
LENORE.
Herr Lieutenant, das ist nicht der schlechteste Renner für eine Jagd nach dem Glück.
HUGO.
O wie fein! Wie fein!
CURT.
Aber ich suchte Euch des Abends!
LOTHAR.

Abends? – Da war man eben eingeladen. Wo? das ist mir nicht recht erinnerlich. Sprechen wir nicht darüber. Sie belieben zu lächeln, mein gnädiges Fräulein.

[41]
LENORE.
Wie dürfte ich?
LOTHAR.

Aber Sie in Ihrer stolzen Zurückgezogenheit haben keine Ahnung, was in unserem geliebten Deutsch das Wort »Saison« bedeutet.

HUGO.

Es sind zwei Monate her, mein gnädiges Fräulein, daß ich zum letzten Male, was man so nennt, geschlafen habe.

CURT.
Und das geschah auf einem Billard.
LOTHAR.

Nun, das hat unser verehrter Curt scherzhaft gemeint. Aber wenn Sie wüßten, was es heißt, Märtyrer des Vergnügens zu sein – Sie würden uns verstehn.

LENORE.
Ich bemühe mich so sehr, Sie zu verstehen, daß ich schon angefangen habe, Sie zu bedauern.
HUGO
leise zu Lothar.
Mir scheint, das Mädel macht sich lustig.
LOTHAR
leise, arrogant.
Ein jeder ist so kokett, wie er kann.
CURT
ist zu Lenore hinübergegangen, leise.
Du brauchtest nicht so unliebenswürdig zu sein!
LENORE
sich schaukelnd.
Hm? Liest weiter.
LOTHAR.
Darf man fragen, was die Aufmerksamkeit des gnädigen Fräuleins so sehr in Anspruch nimmt?
CURT
für sich.
Wenn er sie doch nur laufen ließe.
LENORE.

Etwas, was die Märtyrer des Vergnügens kaum interessieren wird, denn es dreht sich nur um die Märtyrer – der Arbeit.

LOTHAR.
So so!
HUGO
aufspringend.
Wollten wir nicht den Rappen besehen?
LOTHAR.

Ganz recht. – Geht Ihr nur vor. – Die Märtyrer der Arbeit interessieren mich mehr, als das gnädige Fräulein glaubt.

CURT
beiseite.
Ach, der Unglückliche!
HUGO.
Mein gnädiges – –
CURT
ihn hinausschiebend.
Komm, Stengelchen, komm!

Beide ab.

[42]
5. Szene
Fünfte Szene
Lothar. Lenore.

LENORE
sieht nach der Uhr, ungeduldig.
Mit welcher Auskunft kann ich dienen, Herr Brandt?
LOTHAR.

Mein gnädiges Fräulein, ich sehe mit Bedauern, wie sehr Sie mich verkennen, denn wenn mein Wert auch bescheiden ist ...

LENORE.
Und um mir das zu versichern, versäumen Sie ...
LOTHAR.
Noch einen Augenblick ... bitte ...
LENORE
beiseite.
Ein Antrag.
LOTHAR.
Meine Fehler mögen unzählige sein, aber, mein gnädiges Fräulein, ich bin ein Mann von Ehre.
LENORE.

Das scheint mir für einen Sohn aus guter Familie selbstverständlich, Herr Brandt. – Und so wenig verdienstvoll, wie daß er einen guten Rock auf dem Leibe trägt.

LOTHAR.
So gering schätzen Sie – –
LENORE.

Verzeihung. – Ich schätze selbst die Schlechtgekleideten nicht gering, nur in den Salon läßt man sie nicht hinein. Doch, Herr Brandt, ich habe Sie unterbrochen. Vielleicht verkenn ich Sie wirklich. Lassen Sie weiter hören.

LOTHAR.

Ich muß bekennen, mein gnädiges Fräulein, Sie haben mich eingeschüchtert. Und das will etwas sagen! Denn was wäre man, wenn man nicht den Mut besäße?

LENORE.

Ah, das ist schon mehr. – Vor dem Mute hab ich Achtung. Aber worin hat sich Ihr Mut bereits betätigt?

LOTHAR.
Fragen Sie meine Freunde. Er steht über jeden Zweifel erhaben.
LENORE.
Sie wollen mir sagen: Sie haben sich geschlagen.
LOTHAR.
Man spricht vor Damen nicht davon.
LENORE.

Und wir erfahren's doch. Wir sind ja dazu da, dem Sieger den Lorbeer zu reichen. Aber, sind Sie vielleicht einmal in der Lage gewesen, für eine übel berüchtigte [43] Ansicht, die Sie aber im Innersten als die Ihrige erkennen mußten, eine Lanze zu brechen?

LOTHAR
entrüstet.
Wie können Sie glauben? ... Derartige Ansichten habe ich nicht! –
LENORE.
Oder haben Sie vielleicht je eine unwürdige Verdächtigung schweigend ertragen?
LOTHAR.
Ich? Schweigend? ... Im Gegenteil.
LENORE.
Nie?
LOTHAR.
Nie, mein Fräulein.
LENORE.

Nun, dann weiß man auch über Ihren Mut nichts Gewisses, Herr – darf ich Lieutenant sagen? – Erst erproben Sie ihn, und dann vielleicht mehr davon.


Erhebt sich.
LOTHAR
will sie zurückhalten.
Mein Fräulein –
6. Szene
Sechste Szene
Trast. Robert. Wilhelm. Die Vorigen.

WILHELM
noch vor der Tür.
Wollen die Herren solange hier eintreten.
LENORE.
Ah! Endlich!

Eilt Robert mit ausgestreckten Händen entgegen.
TRAST
beiseite.

So stehen die Sachen! Zum Diener, der durch die hintere Tür rechts hinaus will. Sie, kommen Sie mal her.


Nimmt ihm eine der Karten aus der Hand und steckt sie in die Tasche.
LOTHAR.
Robert und Lenore beobachtend. Was bedeutet das?
TRAST.
Meine Karte genügt! Allons!

Diener ab.
ROBERT.
Lenore, hier bring ich Ihnen den Grafen Trast, meinen Gönner und liebsten Freund.
LENORE
sich besinnend.

Gestatten, die Herren, daß ich Ihnen Herrn Lothar Brandt vorstelle. – Herr Graf von Trast. Herr Robert Heinecke, mein Jugendfreund. Verbeugungen.

[44]
LOTHAR
für sich.

Sie stellt mich dem Bruder der Alma – – – das ist günstig! Laut. Die Herrschaften verzeihen, aber meine – Freunde –


Schnarrt und stottert.
TRAST.
Erwarten Sie – nicht wahr?
LOTHAR
in Positur, ihn messend.

Ganz recht! Im Abgehen. Was für 'ne Sorte von Graf ist das?Dreht sich in der Tür noch einmal um, grüßt, die Hacken zusammenschlagend, ab.

7. Szene
Siebente Szene
Lenore. Robert. Trast.

LENORE
platz anbietend.
Sie waren lange nicht daheim, Herr Graf?
TRAST.
Ich hause seit einem Vierteljahrhundert in den Tropen.
LENORE.
Zu Ihrem Vergnügen?
TRAST.

Soviel als möglich jedenfalls. Daneben bin ich Spekulant in Kaffee, Gewürznelken und Elfenbein, Elefantenjäger und bei Bedarf auch Elefant.

LENORE
lachend.
In welcher Ihrer Eigenschaften heiß ich Sie willkommen, Sie vielseitiger Mann?
TRAST.
Sie haben die Wahl, mein gnädiges Fräulein.
WILHELM
zurückkehrend.
Der Herr Kommerzienrat lassen bitten. Man steht auf.
ROBERT.
Ich muß nun –
TRAST.

Bleiben mußt du. Ich habe deinen Chef vorerst allein zu sprechen. Leise. Keinen Widerspruch. Die hast du mir verschweigen können? Laut. Er hat mir zehn Jahre lang in allen Tonarten Ihr Lob gesungen. Ist es nicht billig, daß ich Sie verurteile, zehn Minuten lang auch einiges Gute über mich zu hören?

LENORE
ihm mit dem Finger drohend.
Sie sind ein Schelm.
TRAST.
In Ihren Diensten selbst ein Schelm! Ab.
[45]
8. Szene
Achte Szene
Lenore. Robert.

LENORE
seine Hände ergreifend.
Endlich hab ich Sie wieder hier, Robert!
ROBERT.
Ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für jedes gute Wort, Lenore.
LENORE.

Hu, was sind Sie feierlich. – Meine guten Worte sind keine Almosen. Kommen Sie her!Führt ihn zum Kamin. Setzen Sie sich – hier ins Warme ... Mir gegenüber. Müssen Sie frieren in dem kalten Deutschland! – Warten Sie, ich fache das Feuer an. Bläst mit dem Blasebalg hinein. Man hat nämlich Kamine jetzt ... Sehr unpraktisch, aber plaudern läßt sich davor ... In Indien braucht man keine Kamine, nicht wahr? Für sich. Bin ich glücklich! Laut. Ach, bin ich froh, Robert! Und nun, da Sie das wissen, heraus mit dem »Aber«, das Sie im Hinterhalte liegen haben – ich pariere.

ROBERT.
Lenore, machen Sie mir das Herz nicht schwer.
LENORE.
Da sei Gott vor.
ROBERT.

Sie tun's, wenn Sie in dieser Weise fortfahren, mir den Schatten eines Glückes vors Auge zu zaubern, das für immer begraben ist.

LENORE.
O wenn Sie mir nur der Alte geblieben sind.
ROBERT.
Das bin ich, weiß Gott ... Aber, was hilft's – es liegen ja Abgründe zwischen uns.
LENORE
entmutigt.
Ja – dann!
ROBERT.

Mein Gott, verstehn Sie mich doch recht. Ich darf ja nicht reden, wie's mir ums Herz ist ... Wissen Sie noch, was Sie mir beim Abschiede ins Ohr sagten?

LENORE.
Nun?
ROBERT.
Bleibe mir gut, sagten Sie.
LENORE.
So sagte ich? Genau so?
ROBERT.
Ein solches Wort vergißt man nicht, Lenore.
LENORE.
Genau so? Man hatte uns doch verboten, uns du zu nennen?
[46]
ROBERT.
Aber da taten Sie's.
LENORE.
Und warum tun wir's heute nicht mehr?
ROBERT.
Lenore, Sie spielen mit mir.
LENORE.

Sie haben recht, mein Freund. Das schickt sich nicht. Es sieht aus wie Koketterie – und ist doch nur die Freude, Sie wieder zu haben. – Aber Sie zeigen mir deutlich genug, daß unser Kindertraum zu Ende ist.

ROBERT.

Es muß wohl sein. Ihr Vater hat mich in einer großmütigen Wallung aus der Niedrigkeit emporgehoben ... Was ich denke und fühle, verdank ich ihm. Damit hab ich das Recht der Selbstbestimmung verloren. Ich bin ein Höriger dieses Hauses ... Ich habe kein Recht, seiner jungen Herrin nahezustehen ... Die Form sei, wie sie wolle ...

LENORE.
Ihr eigener Stolz straft Sie Lügen.
ROBERT.
Vielleicht ist es gerade mein Stolz, der mich in dieses Joch zwingt.
LENORE.
Und von dem Sie mir kein Titelchen zu opfern bereit sind?
ROBERT.

Quälen Sie mich nicht. Es ist ja nicht das allein. Denken Sie, wie's mir ergeht. Erst in diesem Augenblick, da ich Ihnen gegenübersitze, find ich so etwas wie Heimat wieder. Aber ich wäre ein elender Egoist, wenn ich diesem Gefühle Raum geben wollte, denn dort hinten auf dem Hofe haust meine Familie ... Vater – Mutter – Schwester ... Und diese Familie ... Ach, Lenore, es geht dort im Hinterhause ein gut Stück anders zu, als Ihre Güte sich vorstellen mag.

LENORE.
Mein lieber Freund, man braucht nicht erst nach Indien zu gehen, um den Seinen fremd zu werden.
ROBERT.
Lenore, Sie auch?
LENORE.

Wir schwiegen besser darüber. Ich stehe tief beschämt vor Ihnen da. Ich bin ein gut Teil unbändiger als Sie. All mein Pflichtgefühl hat mich im Stich gelassen. Mit einer Art von dumpfem Groll, der fast Hochmut geworden ist, steh ich den Meinen und allem, was hier drum [47] und dran hängt, gegenüber, und ich bin sonst wirklich nicht hochmütig! Sagen Sie mir, was ist das, was in mir –

ROBERT.
Stille!

Mühlingk und Trast hinten rechts.
9. Szene
Neunte Szene
Mühlingk. Trast. Die Vorigen.

MÜHLINGK
von Trast Abschied nehmend.

Also auf morgen mittag, Herr Graf! – Da ist ja der junge Mann. – Willkommen, willkommen! Reicht ihm die Hand. Wollen Sie schon Abrechnung halten?

ROBERT.
Ich kam nur, mich Ihnen vorzustellen, Herr Kommerzienrat, die Papiere waren noch nicht ausgepackt.
MÜHLINGK.
Nun, nun, es eilt nicht! Was führt dich her, Lenore?
LENORE.
Sehr einfach, ich wollte Robert guten Tag sagen.
MÜHLINGK.

Hm. – Aber du weißt doch, daß Mama nach dir gefragt hat. Kommen Sie, junger Mann, ich habe Pläne mit Ihnen, Pläne! Herr Graf, Sie wissen, daß wir vor Ihnen keine Geheimnisse haben.

TRAST.
Sie werden ihn besser kennenlernen, wenn er mit Ihnen allein ist. – Ich erwarte dich hier.
LENORE.
Auf Wiedersehn, Robert.

Schüttelt ihm die Hand.
MÜHLINGK
strafend.
Hm!

Mühlingk, Robert ab.
10. Szene
Zehnte Szene
Lenore. Trast.

LENORE.
Herr Graf – Sie hörten – ich habe mich zu empfehlen!
TRAST.

Mein gnädiges Fräulein! Lenore geht zur Tür, er [48] sieht ihr nach, als sie sich noch einmal umdreht, droht er ihr lächelnd mit dem Finger.

LENORE
befremdet.
Was heißt das, Herr Graf?
TRAST.
Hm. Eigentlich heißt das –

Klatscht in die Hände.
LENORE.
Und was heißt das?
TRAST.
Das heißt: Durch die hohle Hand. Bravo!
LENORE
strenge.

Ich verstehe Sie nicht, Herr – ah.Lacht auf, geht resolut zurück und streckt die Hand aus. Doch – ich versteh Sie!

TRAST
mit seinen beiden Händen die ihre ergreifend.
So war's recht!
LENORE
wieder förmlicher.
Herr Graf!
TRAST.
Mein Fräulein!
LENORE
ab.
TRAST.
Das ist ja ein prächtiger Mensch, dieses Mädchen. Die gönn ich ihm. Die soll er haben.
11. Szene
Elfte Szene
Curt. Lothar. Hugo. Trast hinten links.

CURT
zu Hugo.
Nur Mut, Stengelchen. – Komm herein!
TRAST
ihn erkennend.
Dann freilich nicht!
CURT
erkennt auch ihn, erschrickt, tritt an ihn heran, mit gedämpfter Stimme.
Sie suchen mich, mein Herr.
TRAST.
Nein – aber es freut mich, daß ich Sie finde.
CURT.
Mit wem hab ich die Ehre?
TRAST.
Graf Trast.
CURT
befangen, sehr höflich.
Ah! – Wir verdanken Ihren Besuch unserem Herrn – wohl eine Reisebekanntschaft – unser Herr –
TRAST.
Sie sind der Sohn dieses Hauses?
CURT.

Pardon. Zu dienen. Natürlich. – Und, nicht wahr, Herr Graf, wir beide sind Lebemänner genug, um den Vorfall des gestrigen Abends zu vergessen? –

TRAST.
Glauben Sie?
CURT.

Das Mädchen ist niedlich, das weiß ich am besten. [49] Ihrem Geschmack, Herr Graf, alle Ehre. Aber Sie sehen ein, das Recht steht auf meiner Seite. Wir werden, hoff ich, nicht rivalisieren.

TRAST.
Um so weniger, als der Bruder des Mädchens der beste Freund ist, den ich besitze.
CURT
erschrickt, faßt sich, nach kleinem Schweigen.
Was gedenken Sie zu tun?
TRAST.

Das weiß ich noch nicht. Gelingt es mir, ihn von seinen eingebildeten Verpflichtungen gegen Ihr Haus loszulösen und find ich Sie bereit, Ihre Beziehungen auf der Stelle abzubrechen, so darf ich vielleicht schweigen –

CURT.
Und sonst!
TRAST.
Das ist dann Herrn Heineckes Sache.
CURT.
Glauben Sie etwa, daß ich mich mit meinem Commis schlagen werde?
TRAST.
Mit Ihrem – was? – Ah so!
CURT.
Herr Graf, tun Sie, was Ihnen beliebt.
TRAST.

Das ist meine Gewohnheit. Herr Heinecke befindet sich augenblicklich bei Ihrem Herrn Vater ... Gestatten Sie mir, mich noch einige Minuten hier aufzuhalten, um ein Begegnen zwischen Ihnen abzukürzen. Ich möchte vermeiden, daß Sie einander die Hand drücken. –

CURT.
Betrachten Sie dies Zimmer als das Ihre, Herr Graf.
TRAST.
Ich danke Ihnen. Sie trennen sich. – Trast dreht sich nach der Wand und besieht Bilder.

Curt geht aufgeregt nach dem Hintergrunde.
LOTHAR
zu Hugo.

Was hat er nur mit dem da? Wenn ich mich recht erinnere, gab's einmal bei meinem Regimente einen Grafen Trast, der – ein schlechtes Ende nahm. – Paß mal auf!

HUGO
ängstlich.
Willst du etwa mit ihm anbinden?
LOTHAR.
Warum nicht? Der Mensch intrigiert mich. – Näher tretend. Herr Graf lieben die Einsamkeit?
TRAST
sich umwendend.
Allerdings!
LOTHAR.
Das ist beinahe unhöflich.
[50]
TRAST
sieht ihn groß an.
Ah! Ihr Ehrgefühl scheint auf einer Messerschneide einherzugehen, Herr – Pardon!
LOTHAR.

Ich heiße Lothar Brandt und halte es für nötig, hinzuzufügen, daß ich Lieutenant der Reserve im Kürassierregiment »Kronprinz« bin. –

TRAST
sehr liebenswürdig.
Sonst nichts?
LOTHAR
drohend.
Sonst nichts, Herr Graf?
TRAST.

Vergebung. Man dient in der Reserve nur zu Kriegszeiten. Als ich hierher kam, hoffte ich im Frieden zu leben.

LOTHAR.
Sie irren, Herr Graf. Man dient in der Reserve auch bei einer Waffenübung.
TRAST.
Brauchen Sie mich zu einer Waffenübung? –
LOTHAR.
Gestatten Sie mir, Herr Graf, vorerst eine Frage.
TRAST.
Mit Vergnügen.
LOTHAR.

Bei dem Regimente, dem anzugehören ich die hohe Ehre habe, hat vor Jahren ein junger Offizier gestanden, der Ihren Namen trug.

TRAST.
So? Das kann ich wohl gewesen sein.
LOTHAR
scharf.
Derselbe wurde mit schlichtem Abschiede aus der Armee entlassen.
TRAST.

Stimmt, stimmt! Immer liebenswürdig. Und wenn Sie hiermit, mein werter Herr, den Wunsch ausdrücken wollen, mich auf der Straße nicht zu grüßen – ich entbinde Sie von Ihrem Gruße ... Ich kann ihn entbehren! Verbeugt sich und ergreift eine Mappe, um darin zu blättern.

HUGO
begeistert.

So elegant bin ich noch nie abgefertigt worden. Geht zu Trast mit tiefer Verbeugung. Gestatten – mein Name ist Stengel.

TRAST
sich umwendend.
Beliebt?
HUGO.
Stengel!

Trast verbeugt sich liebenswürdig – sie sprechen.
CURT
der inzwischen nach dem Vordergrunde gekommen ist, leise zu Lothar.

Mensch, was fällt dir ein? ... Das ist ja die allmächtige Firma Trast und Comp ... Willst du das Geschäft deines Vaters ruinieren? –

[51]
LOTHAR
bestürzt.
Warum hast du mir das nicht früher gesagt?
CURT.
Jedenfalls müssen wir die Geschichte auf der Stelle wiedergutmachen.
LOTHAR.
Falls du eine korrekte Form findest!
CURT.
Verzeihung, Herr Graf – Mein Freund bedauert ––
LOTHAR
laut.
Bedauern ist wohl nicht das richtige Wort, lieber Curt.
CURT
stotternd.
Nun – er – er –
TRAST.
Vielleicht wünscht Ihr Freund die kleine Diskussion als nicht gewesen zu betrachten?
LOTHAR.
So weit können wir allenfalls gehen, lieber Curt.
TRAST.
Ich muß versuchen in Hochherzigkeit gleichen Schritt zu halten und – habe denselben Wunsch. –
CURT.
Der Zwischenfall ist also erledigt.
LOTHAR.

Und ich gestatte mir, der Freude Ausdruck zu geben, einen Mann, den ich in seinem Wirken seit Jahren hochschätze, persönlich kennenzulernen.

TRAST
sehr liebenswürdig.

Sie sehen, Herr Lieutenant, es war nicht überflüssig, Sie nach dem »Sonst« zu fragen. In den Sphären der Bürgerlichkeit verstehen wir beide uns gleich. Meine Herren, Herr Brandt junior, der berufene Erbe der ehrenwerten Kolonialwarenhandlung Brandt und Stengel, – wie ich erfahre – mit welcher in Geschäftsverbindung zu stehen mir ein Vergnügen bereitet, hat mir soeben ein Privatissimum über das Thema »Ehre« gehalten. Gestatten Sie, daß ich ihm publice die Antwort gebe. Setzen sich rechts. Im Vertrauen gesagt: Es gibt gar keine Ehre! Erstaunen. Erschrecken Sie nicht. Es tut nicht weh. –

LOTHAR.
Und was wir Ehre nennen?
TRAST.

Was wir gemeinhin Ehre nennen, das ist wohl nichts weiter, wie der Schatten, den wir werfen, wenn die Sonne der öffentlichen Achtung uns bescheint. – Aber das Schlimmste bei allem ist, daß wir so viel verschiedene Sorten von »Ehre« besitzen als gesellschaftliche [52] Kreise und Schichten. Wie soll man sich da zurechtfinden?

LOTHAR
scharf.

Sie irren, Herr Graf. Es gibt nur Eine Ehre, wie nur Eine Sonne und Einen Gott. Das muß man fühlen oder man ist kein Kavalier.

TRAST.

Hm. – Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine ganz kleine Geschichte erzähle. Auf einer Reise durch Mittelasien kam ich in das Haus eines tibetanischen Großen. Ich war bestaubt und wegmüde. Er empfing mich, auf seinem Thronsessel sitzend. Neben sich sein junges, liebreizendes Weib. Ruhe aus, Fremder, sagte er, mein Weib wird dir ein Bad rüsten und hierauf wollen wir Männer uns zum Mahle setzen. Und er ließ mich in den Händen des jungen Weibes. – – Meine Herren, wenn ich je im Leben Gelegenheit hatte, meine Selbstbeherrschung zu erproben, so geschah es in jener Stunde. – Als ich die Halle wieder betrat, was fand ich da? Die Gefolgschaft in Waffen, dröhnende Stimmen, halbgezückte Schwerter. Du mußt sterben, ruft mein Gastfreund, du hast die Ehre meines Hauses tödlich beleidigt, denn du hast das Wertvollste, was es dir bot, verschmäht. – Sie sehen, meine Herren, ich lebe noch, denn schließlich entschuldigte man mich mit den mangelnden Ehrbegriffen der europäischen Barbaren. Man lacht. Wenn Sie einen unserer modernen Ehebruchsdichter sehn, grüßen Sie ihn von mir, und ich schenk ihm diesen Konflikt.


Alle lachen, man geht allgemach nach links hinüber.
TRAST.

Meine Herren, ich wünsche nicht für frivol gehalten zu werden. Den Rätseln der Gesittung nachzuspüren, ist sittlich an und für sich ... Sehen Sie, nun liegt es außerdem im Wesen der sogenannten Ehre, daß sie nur von wenigen, einem Häuflein Halbgötter besessen werden darf, denn sie ist ein Luxusgefühl, das in demselben Maße an Wert verliert, in dem der Pöbel wagt, es sich anzueignen.

CURT.
Das aber, Herr Graf, ist paradox. Es ist doch jedem erlaubt, ein Mann von Ehre zu sein?
[53]
TRAST.

Im Gegenteil. Dann könnte ja der erstbeste arme Teufel aus dem Hinterhause kommen und die Kavaliersehre für sich beanspruchen.


Curt ist betroffen.
LOTHAR.
Wenn er nach ihr handelt, so ist er ein Kavalier.
TRAST.

Hm? Ja? Darf ich Ihnen eine zweite, noch kleinere Geschichte erzählen? ... Aber ich fürchte, ich langweile Sie.

LOTHAR, HUGO lachend. Nein – nein!

TRAST.

Sie spielt irgendwo in Südamerika, – dort bilden die Spanier die Aristokratie, – die Hefe ist ein Gemisch von Negern, Indianern und allerhand weißem Gesindel. Ein Sprößling dieser unreinen Race – er hieß – hm – Pepe – hatte Gelegenheit, in das spanische Mutterland verpflanzt zu werden und dort an dem echt kastilianischen Ehrgefühl ein wenig Haucht über den linken Ellenbogen. abzufärben.

12. Szene
Zwölfte Szene
Die Vorigen. Robert.
Robert tritt unbeachtet aus Mühlingks Kabinett und hört zu.

TRAST.

Als er nach Jahren zurückkehrt, findet er seine eben erblühte Schwester mit einem jungen Aristokraten allzu innig befreundet ... Meine Herren, entrüsten wir uns nicht. Gemäß ihrer Herkunft war das des jungen Mädchens Bestimmung. Der junge Bursche aber untersteht sich, den Geliebten zur Rechenschaft ziehen zu wollen, wie wenn er nicht als Mestize, sondern als Hidalgo auf die Welt gekommen wäre.

CURT
leise.
Paßt auf, das geht auf mich. –
TRAST.

Sie sehn, meine Herren, das war Wahnsinn und wie einen Wahnsinnigen wies man ihn zurück. Nun erst entpuppt sich des Burschen wahre Natur. Wie ein Strolch lauert er dem jungen Edelmanne auf und knallt ihn nieder.[54] – Er wird verurteilt und noch unter dem Galgen behauptet der Tölpel – Pepe hieß er ja wohl – er sterbe für seine Ehre. Meine Herren, ist das nicht einfach lächerlich?

ROBERT.
Du irrst, lieber Freund. Dieser Tölpel war in seinem Rechte. Ich würde nicht anders gehandelt haben.

Alle stehen auf.
TRAST.

Ah, da bist du ja! Ihm rasch entgegengehend, leise. Du kennst hier niemand. Sieh dich nicht um und komm. Drängt ihn zur Tür.

ROBERT
leise.
Ist das dort nicht Curt?
TRAST.
Es sind Fremde. Komm. Laut. Sie verzeihn, meine Herren. Wir sind in Eile. Leben Sie wohl.
LOTHAR
zu Curt.

Jetzt faß ich ihn. – Laut. Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Graf ... Schneidend. Wenn Sie die Ehre aus der Welt zu schaffen belieben, was sollen Ehrenmänner an ihre Stelle setzen?

TRAST
sich hoch aufrichtend.
Die Pflicht, junger Mann. – Leicht. Freilich, das ist unbequem ... Meine Herren –
CURT.
Es war unserem Hause eine Ehre, Herr Graf. –
ROBERT.
Verzeihung! – Sind Sie Herr Curt Mühlingk?
CURT.
Das ist mein Name.
ROBERT
verwirrt.

Wie – und? – – – Ja, ich vergaß – Sie kennen mich ja gar nicht mehr ... Ich bin ...Will mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

TRAST
dazwischentretend.
Du gibst diesem Herrn nicht die Hand.
ROBERT
sieht sich wirr um, fixiert Curt, dann Trast, dann wieder Curt, schreit auf, dann sich fassend.
Ich bitte um eine Unterredung – Herr Mühlingk – unter vier Augen.
CURT.
Wie Sie sehn, hab ich Besuch, aber in einer Stunde steh ich zu Ihrer Verfügung. –
ROBERT.
In einer Stunde, Herr Mühlingk!
TRAST
für sich.
Er hat rasch begriffen. –

Trast und Robert zur Tür.
Der Vorhang fällt.
[55]

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
Frau Heinecke in Nachtmütze und wollenem Unterrock.

FRAU HEINECKE.

Guten Morgen, mein Sohn. Er antwortet nicht. Erbarmen, er is jar nich ins Bette gewesen! Tritt, sich die Augen wischend, zu ihm. Robertchen!

ROBERT
schrickt empor.
Was gibt's? – Was willst du?
FRAU HEINECKE.

Jeses, wie du mir anschreist! Und die Zähne klappern dir vor Frost! Willste Kaffee trinken? Er verneint heftig. Robertchen, nimm eine jute Lehre an von deine alte Mutter: Wenn der Mensch auch Kummer hat, schlafen muß der Mensch doch; denn das stärkt die Jlieder! Löscht die Lampe.

ROBERT.
Mutter, Mutter, was habt Ihr getan?
FRAU HEINECKE
weinend.
Wir haben keine Schuld, mein Sohn!
ROBERT.
Keine Schuld! Mutter!
FRAU HEINECKE.

Ick hab ihr ehrbar erzogen. In diesen Hause is ihr nie ein schlechtes Beispiel gegeben worden. – Ich hab sie zur Schule angehalten und auch Komfirmieren lassen, obgleich das nich mehr nötig is ... Vor den Altar is sie getreten in einen neuen schwarzen Ripskleide. Hab ick ihr gekauft aus 'nen billigen Ausverkauf, und mein eigenes Hochzeitstaschentuch hab ick ihr in die Hand jejeben, und der Herr Prediger sprach so rihrend, so rihrend –

[56]
ROBERT.
Aber wie hast du den Verkehr mit jenem – Menschen dulden können?
FRAU HEINECKE.
Vielleicht war es jar nich so schlimm!
ROBERT.

Was verlangst du noch für Beweise? ... Hat er mir mit brutalster Offenheit nicht alles eingestanden? Oder hat Alma etwa zu leugnen versucht? Zum Überfluß bin ich dann gestern abend noch im Hause der Michalski gewesen. – Alles war aufs Vortrefflichste geordnet. Deine liebe Tochter Auguste hat ihnen ein verschwiegenes Nest hergerichtet, mit Teppichen und Vorhängen und roten Ampeln – sie selbst stand Wache vor der Tür und wurde dafür – bezahlt – hahaha! – – Der Elende war gestern in meinen Händen! Hätt' ich's nur übers Herz gebracht!

FRAU HEINECKE.
Aber Robert!
ROBERT.

Sei still, er hat Genugtuung versprochen. Das wenigstens hab ich erreicht! Er sah, daß ich zu allem entschlossen war. – Da hat er mir beteuert, er werde bis heute Mittel und Wege finden, eine Genugtuung zu schaffen. Ihr selbst würdet damit zufrieden sein. Ich dachte an die Zukunft des unglücklichen Geschöpfes und ließ ihn laufen.

FRAU HEINECKE.
Na, ich hab mir nichts Schlimmes dabei gedacht.
ROBERT.
Du mußtest es kommen sehen. Was dachtest du dir, wenn er sie spät in der Nacht heimgeleitete?
FRAU HEINECKE.
Wer schläft, is froh, daß er nich zu denken braucht. Außerdem hatte sie den Hausschlüssel.
ROBERT.

Aber du konntest dir nicht verhehlen, daß sie, um an seiner Seite heimzufahren, irgendwo in der Stadt mit ihm zusammengetroffen sein mußte?

FRAU HEINECKE.
Na ja. – Ick dachte: Se jeht eben mit ihm.
ROBERT.
Ich verstehe dich nicht.
FRAU HEINECKE.
Se jeht mit ihm.
ROBERT.
Du sagtest schon – aber –
FRAU HEINECKE.
Wie ein junges Mächen eben mit einen jungen Manne – jeht.
[57]
ROBERT.
Geht? Wohin geht?
FRAU HEINECKE.

Ins Konzert oder ins Bierlakal – wenn's Jeld reicht, auch ins Theater, zur Sommerzeit in den Jrunewald oder nach Treptow! –

ROBERT.
Allein?
FRAU HEINECKE.
Allein! Schnalzt mit der Zunge. Ne – mit den jungen Manne! –
ROBERT.
Ich wollte sagen: Ohne Begleitung der Eltern?
FRAU HEINECKE.

Natirlich! Oder verlangste vielleicht von deine olle Mutter, dat sie auf ihre schwache Benekens hinter des junge Volk herzoddelt?

ROBERT.
Hm! Also du wußtest, daß sie mit ihm – ging?
FRAU HEINECKE.
Ne. Ich dachte es mir nur.
ROBERT.
Und wenn du sie fragtest?
FRAU HEINECKE.
Wozu fragen? Das gibt unnütze Rederei. Ein Mächen muß von alleine wissen, was es zu tun hat.
ROBERT.
So, so!
FRAU HEINECKE.

Aber daß sie – o wer hätte das gedacht! Jeses, wie du zitterst! – Ich muß dir jleich eine warme Stube machen!


Geht nach hinten zum Ofen.
ROBERT
für sich.
Kein Ausweg! Keine Rettung! Schande – ein Leben lang nichts wie Schande!
FRAU HEINECKE
zur Küche hin.
Vater, bring die Koaks rein.

Kniet vor dem Ofen nieder und scharrt Asche heraus.
ROBERT
für sich.

Was für eine Art Genugtuung kann er gemeint haben? Eine Heirat? Hahahaha! – und wenn ich mich ehrlich frage, ich weiß nicht einmal, ob ich sie wünschen darf. – Schließlich bleibt mir das Duell! ... Wenn er mich niederknallt, bin ich geborgen. Aber – was wird aus diesen hier?

[58]
2. Szene
Zweite Szene
Die Vorigen. Heinecke in zerrissenem Schlafrock, mit großen Filzschuhen an den Füßen, trägt einen Korb Kohlen herein.

HEINECKE
dumpf.
Guten Morgen.
ROBERT.
Guten Morgen, Vater.
HEINECKE
stumpfsinnig brütend.
Ja, ja.
FRAU HEINECKE.
Brumme nich, Vater! Hilf mir Feuer machen!
HEINECKE.
Ja, ja! Machen wir also Feuer.

Sie knien vor dem Ofenloch.
ROBERT
für sich.

Und wenn ich ihn töte? Freilich, das wär Erquickung! Aber die Frage bleibt: Was wird aus diesen hier? Ich fürchte, ich darf mir den Luxus nicht gestatten, so was wie eine Ehre zu haben. Aufschreiend. Ah, bin ich schmutzig!

HEINECKE.
Fehlt dir was, mein Sohn?
FRAU HEINECKE
leise.
Wegen die Alma! Er is jar nicht ins Bette gewesen.
HEINECKE.

Ja, ja, die Alma! Dazu ist man in Ehren jrau geworden! Aber ick hab's stets gesagt: Das Vorderhaus wird uns ins Unglück stürzen.

FRAU HEINECKE.
Vater, weine nicht.

Sie halten sich umschlungen.
ROBERT
für sich.
Daß einem das Herz nicht bricht!
HEINECKE.

Ah, ick weene nicht! Ick bin der Herr im Hause! Ick weeß, wat ich zu tun habe! – Armer Krüppel hält auch auf Ehre! Mir soll das passieren? Meine Dochter? Die soll wat erleben!Schwingt die Ofenkrücke. Meinen Fluch werd ick ihr jeben. Meinen väterlichen Fluch!

FRAU HEINECKE
welche die Betten aufräumt.
Na, na!
HEINECKE.

Ja du! Du verstehst von Ehre jar nischt.Schlägt sich auf die Brust. Da sitzt nämlich die Ehre. Auf die Straße wer' ick ihr stoßen in Nacht und Nebel hinaus.

ROBERT.
Soll sie da ganz verderben, Vater?
[59]
FRAU HEINECKE.
Laß ihn man reden. Er meint's nich so schlimm.
ROBERT.
Willst du nicht nach ihr sehn? Sie fürchtet sich wohl, uns vor die Augen zu treten.
FRAU HEINECKE.
Schlafen wird se.
ROBERT.
Oh!
FRAU HEINECKE
geht an die Kammertür.
Alma!Keine Antwort.
ROBERT.
Um Gotteswillen! Man hätte sie nicht allein lassen sollen.
FRAU HEINECKE
hat die Tür geöffnet.
Wie ick dir sagte, sie schläft.
ROBERT.
Sie kann schlafen!
FRAU HEINECKE.
Wirst du wohl aufstehn, du schlechtes Mädchen?
HEINECKE
hinter ihr.
Vorwärts, raus, sonst jibt's Wichse!
ROBERT.

Vater, Mutter, rasch noch, ehe sie kommt! Nehmt Euch in acht, zu strenge mit ihr zu sein. Das kann sie leicht verstockt machen.

FRAU HEINECKE.

Du bist viel klüger, mein Sohn, als deine olle Mutter, aber das versteh ich besser. Wie ins Korrektionshaus werd ich ihr halten, wenn mir das Herz auch bricht. – Schuhe putzen, Kartoffeln schälen, Stuben ausfegen, Treppe scheuern, alles muß sie.

ROBERT.
Und wenn sie Euch eines Nachts davonläuft?
HEINECKE.
Pah, eingeschlossen wird se! – Schlüssel steck ich in die Tasche! – Wie soll sie da davonloofen?
ROBERT.

Bedenkt, sie ist ja halb ein Kind! Und andere tragen mehr Schuld als sie! ... Die eigene Schwester! ... Ah! ... Wenn Ihr strenge sein wollt, so seid es gegen jene Kupplerin ... Ich hoffe, ja, ich kann's von Euch verlangen, daß Ihr Alma ein für allemal dem Einfluß ihrer Schwester entzieht und Augusten, wie ihrem Manne, die Türe weist.

HEINECKE.

Sehr richtig! Machen wir reinen Tisch mit die Gesellschaft. Michalski hat mich nu genug geuzt. Da siehst du's, Mutter: Robert muß aus Indien kommen, um [60] es Euch zu sagen. Aber Ihr habt ja kein Herz für mich alten, braven Mann.

ROBERT.
Verzeih, Vater! Um dich handelt es sich nicht.
HEINECKE.
Janz ejal. – Und Aujuste ist eine Tellerleckerin. Wat sie erraffen kann, sackt se in.
FRAU HEINECKE
die Schürze vor den Augen.
Aber sie ist auch mein Kind, und ich habe alle meine Kinder jleich lieb!
ROBERT.
Auch wenn sie deiner Liebe nicht würdig sind, Mutter?
FRAU HEINECKE.
Dann erst recht!
ROBERT.
Stille!
3. Szene
Dritte Szene
Die Vorigen. Alma.
Alma in weißer Nachtjacke und weißem Unterrock, mit aufgelöstem Haar, erscheint zögernd in der Kammertür und blickt mit scheuen Augen von einem zum andern.

HEINECKE.
Hoho!
FRAU HEINECKE
die Hände ringend.

Kind, Kind, ist das der Lohn? Hab ick dir nicht dausend jute Lehren gegeben? Ha' ich dir nich gehalten wie eine Prinzessin? Aber jetzt ist's aus damit! Wat stehste da? Hol den Besen! Feg die Stube aus!


Alma schleicht mit abwehrend erhobenem Ellenbogen an ihr vorbei in die Küche.
HEINECKE
der aufgeregt im Zimmer auf- und niederstelzt.

Ich bin dein greiser Vater, werd ick ihr sagen, ich hab dir in die Welt gesetzt. – Ja! ein alter, braver Mann bin ick! Bin ick ooch.


Alma erscheint mit Besen und Schaufel in der Küchentür.
ROBERT
für sich.
Wie rührend sieht sie aus in ihrer Reue! Und sie – –!
FRAU HEINECKE.
Nu, wird's bald?
[61]
HEINECKE
feierlich.
Alma, meine Tochter, hierher – janz dichte.
ALMA.
Bitte, bitte, schlag mich nicht!
HEINECKE.

Das ist das wenigste! Ich bin ein alter, braver Mann. Ja! Hier sitzt die Ehre. Weißt du, was ich jetzt jleich werde? – Verfluchen wer' ick dir. Wat sagste nu?

ALMA.
Geh – laß mich zufrieden!
HEINECKE.
Trotzen willste? Aber du sollst mir kennenlernen. Du!
FRAU HEINECKE.
Vater, halte Ruh – Sie soll arbeiten.
HEINECKE.
Wat? Ick soll meine ungeratene Dochter nich verfluchen dörfen?
FRAU HEINECKE.
Jeh – das kommt ja bloß in den Bichern vor.
HEINECKE.
Ha!
ROBERT.

Liebe Eltern. So geht es nicht weiter. Tut mir's zu Liebe und laßt mich eine Weile mit ihr allein. Zieht Euch unterdessen an, denn ich vermute, es gibt Besuch.

FRAU HEINECKE.
Komm, Vater!
HEINECKE.
Ick soll meine ungeratene Dochter nich – –! Na warte – Frau Heinecke zieht ihn mit sich. Beide ab.
4. Szene
Vierte Szene
Robert. Alma.

ROBERT
für sich.
Jetzt werd ich erfahren, wer sie ist ... Und was ich zu tun hab. Weich. Komm zu mir, Schwester.
ALMA.
Mutter hat befohlen, ich soll die Stube ausfegen.
ROBERT.

Das hat Zeit. Nimmt sie bei der Hand. Sie schrickt zurück. Brauchst keine Angst zu haben ... Ich werd dich nicht schlagen. Und verfluchen auch nicht ... Du sollst nur wissen, daß du von nun an einen guten Freund hast, der bei dir Wache hält ... treu und nachsichtig.

[62]
ALMA.
Du bist viel zu gut. – Viel zu gut. –

Sinkt schluchzend vor ihm nieder.
ROBERT.

Na, na – nur nicht knien! ... Setz dich auf die Fußbank ... so ... Setzt sich auf den Sessel. und richt dich auf, damit ich dir in die Augen sehn kann. Versucht ihren Kopf aufzuheben, sie verbirgt ihn widerstrebend in seinem Schoße. ... Du willst also nicht? ... So lieg meinetwegen und weine ... Ich werd dich von diesem Platz nicht wegweisen ... Und weinen wirst du noch manchen Tag und manche Nacht, wenn du erst recht begriffen hast, was man aus dir gemacht hat ... Sag mal, das siehst du doch ein, daß dein ganzes künftiges Leben nur der Reue gehören muß?

ALMA.
Ja! Das seh ich ein ...
ROBERT
nimmt ihren Kopf in beide Hände.

Ja, ja, Schwester, da hat man sich denn in der Fremde ein Glück für dich zurechtgebaut ... Zehn volle Jahre lang ... Und nun werden zwanzig kaum ausreichen, um nur dies Elend vergessen zu machen.

ALMA.
In zwanzig Jahren bin ich ja alt.
ROBERT.
Alt? – Was tut das? Für uns beide gibt es auch heute keine Jugend mehr!
ALMA.
O Gott!
ROBERT
in Erregung aufspringend.

Hab keine Furcht. Wir werden zusammenbleiben. Wir werden uns in irgendeinen Winkel verkriechen, wie's gehetzte Tiere machen. Ja, das sind wir ... Man hat uns lustig gehetzt und zerfleischt ... Alma sinkt mit dem Gesicht auf den leeren Sitz zurück. Siehst du, nur wir einander können uns heilen ... Du mich und ich dich. Für sich. Wie sie daliegt! Heiliger Gott, mir wird immer klarer, was zu tun ist. – Die Kinderseele, die er in den Schmutz getreten hat, kann er mir nicht wiedergeben, und andere Genugtuung brauch ich nicht! ... Alma!

ALMA
sich aufrichtend.
Was?
ROBERT.
Du liebst ihn wohl sehr?
[63]
ALMA.
Wen?
ROBERT.
Wen? Jenen!
ALMA.
O ja!
ROBERT.
Und wenn du ihn ganz verlierst, – fühlst du, daß du dran zugrunde gehen würdest?
ALMA.
O nein!
ROBERT.

So ist's recht ... Sei hübsch tapfer ... Man lernt vergessen ... Man lernt's ... Setzt sich. Vor allem wirst du wieder arbeiten. Daß es mit dem Singsang zu Ende ist, versteht sich von selbst. Du hast die Schneiderei gelernt ... Die nimmst du wieder auf. Nur in ein Geschäft gehst du nicht mehr zurück ... Dort gibt es Verführung und schlechtes Beispiel.

ALMA.
Ach ja, die Mädchen sind zu schlecht.
ROBERT.

Man soll niemand mit Steinen werfen. – Und am wenigsten du! Wohin wir ziehen, weiß ich noch nicht. – Ich bring's nicht über mich, unsere alten Eltern zu verpflanzen, sonst nähm' ich Euch mit mir – ganz egal wohin – bloß weit, weit weg, wo du nur mir gehörst. – Mir und der Arbeit. – Denn das kannst du mir glauben: Ein volles Müdewerden ist schon ein halbes Glücklichsein. – Die Eltern werden natürlich bei uns wohnen. Und du sollst mir helfen, für sie zu sorgen. – Neben der Schneiderarbeit wirst du waschen und kochen. – Wirst sie pflegen und ihre Launen ertragen. Willst du das?

ALMA.
Wenn du willst.
ROBERT.

Nein, du mußt wollen. – Mit freudigem Herzen. Sonst ist kein Segen dabei. – Ich frag dich noch einmal: Willst du?

ALMA.
Ja. – Von morgen ab will ich alles. –
ROBERT.
So ist's recht. – Aber warum erst von morgen ab und nicht schon heute?
ALMA.
Weil ich heute noch –
ROBERT.
Was denn?
ALMA.
Ach bitte, bitte!
ROBERT
freundlich.
Heraus damit!
[64]
ALMA.
Ich möchte – heute noch – gar zu gerne – auf den Maskenball gehen.

Langes Schweigen. Stummes Spiel ... Er steht auf und geht im Zimmer auf und nieder.
ALMA
aufstehend.
Ja, darf ich?
ROBERT.
Rufe die Eltern! –
ALMA.

Also ich darf nicht? Weinerlich. Nicht einmal das? Nicht einmal zum Abschied soll man ein kleines Vergnügen haben?

ROBERT.
Weißt du, was du sprichst? Du – – –
ALMA
trotzig.

Ich weiß janz jut, was ich spreche ... Ja, bin jar nicht so dumm! Ich kenn das menschliche Leben ... Warum haste dich so? ... Ist das nicht ein Unsinn, daß man hier sitzen soll wegen jar nicht? – Kein' Sonn', kein Mond scheint rin in so 'nen Hof. – Und rings um einen klatschen se und schimpfen! ... Und keiner versteht was von Bildung ... Und Vater schimpft und Mutter schimpft ... Und man näht sich die Finger blutig! ... Und kriegt fünfzig Pfennig pro Tag ... Das reicht noch nicht mal zu's Petroleum ... Und man ist jung und hübsch! ... Und möcht jern lustig sein und hübsch angezogen jehn ... Und möchte gern in andre Sphären kommen ... Denn ich war immer fürs Höhere ... Ja, das war ich ... Ich hab immer gern in de Bücher gelesen ... Und wegen's Heiraten! Ach, du lieber Gott, wen denn? – So einen Plebejer, wie sie da hinten in de Fabrik arbeiten, will ich jar nich ... Der versäuft doch bloß den Lohn und schlägt einen ... Ich will einen feinen Mann, und wenn ich den nicht kriegen kann, will ich lieber jar keinen ... Und Curt ist immer fein zu mir gewesen ... Da hab ich keine ruppigen Worte gelernt ... Die hab ich hier im Haus gelernt. Und ich will raus hier. Ich brauch dich überhaupt nicht mit deine Wachsamkeit ... Mädchen, wie ich, jeht nich unter!

ROBERT
will auf sie los, besinnt sich aber.
Rufe die Eltern!
ALMA.

Und jetzt frag ich Vatern, ob ich nicht ... Da er drohend auf sie zustürzt. Ja, ja, ich geh schon!Ab.

[65]
ROBERT
allein.

So. – Also das ist sie! Ah, was für ein weichlicher Narr ich war! ... Fing schon an, mir diese Gemeinheit mit Wehmut und Poesie zu überzuckern. – Das kann Verführung nicht! ... Das hat im Blut gelegen. So, jetzt heißt's handeln. Pietätlos – roh, meinetwegen. – Sonst ist alles verloren! –

5. Szene
Fünfte Szene
Robert. Heinecke. Frau Heinecke. Alma.
Frau Heinecke Alma vor sich herschiebend.

HEINECKE
mit vollen Backen.
Diese Unverschämtheit!
FRAU HEINECKE.
Maskenbälle kosten Jeld. Jetzt wird ze Hause geblieben.
HEINECKE.
Hast du meinen Fluch verdient oder nich? Ick verfluch dir doch noch mal, du Kröte!
ROBERT.
Alma, geh hinaus. Ich habe mit den Eltern zu reden.
FRAU HEINECKE.
Und schlampe nich so rum ... Zieh dir ein Kleid über. Das Jraue mit de Flicken.
ALMA.
Das Olle?
HEINECKE.
Raus!
FRAU HEINECKE.
Und daß du mir keinen Kaffee trinkst. Na, na, heule nich! Leise. Er steht auf 'n Herd!

Alma ab.
6. Szene
Sechste Szene
Heinecke. Frau Heinecke. Robert.

ROBERT.

Vater, Mutter – seid mir nicht böse – Ich muß Euch – in Euerm Leben muß – und wird – eine große Umgestaltung vor sich gehn.

HEINECKE.
Was is los?
ROBERT.

Ich habe mich überzeugt, daß Alma rettungslos [66] verderben muß, wenn sie nicht in Verhältnisse gebracht wird – die nicht einmal die Möglichkeit zu einer Rückkehr in ihr bisheriges Leben gestatten. – Aber was soll aus Euch werden? – Allein dürft Ihr hier nicht bleiben ... Sonst würdet Ihr der Gier der Michalskis zum Opfer fallen. – Kurz und gut ... Ihr müßt mit mir gehn ...

FRAU HEINECKE
entsetzt.
Nach Indien?
ROBERT.

Ganz egal, wohin. Vielleicht auch nach Indien. Der Einfluß Trasts reicht weit. Wir sind in der Lage, wählen zu können.

HEINECKE
trotzig.
Wenn schon, denn jleich nach Indien.
FRAU HEINECKE.
Mir geht der Kopf auseinander.
ROBERT.

Es wird Euch schwer ... Ich seh ja das ein. Aber verzagt nicht. Es scheint nur so schlimm. Man lebt in den Tropen tausendmal bequemer, als daheim. Ihr werdet Diener haben, so viel Ihr wollt.

HEINECKE.
Potz Dausend.
ROBERT.
Und Euer eigenes Haus!
HEINECKE.
Und Palmen?
ROBERT.
Mehr als Ihr brauchen könnt.
FRAU HEINECKE.
Und die schönsten Siedfrüchte pflückt man sich von de Bäume?
ROBERT.
Man läßt sie sich pflücken.
FRAU HEINECKE.
Und kosten nischt?
ROBERT.
So viel wie nichts.
HEINECKE.
Und die Popejeien fliegen so rum? Und die Affen – Wie im Zoolog'schen?
ROBERT.
Also Ihr willigt ein?
FRAU HEINECKE.
Wenn du meinst, Vater?
HEINECKE.
Na, also meinetwegen – wir kommen mit!
ROBERT.

Ich dank Euch! – Ich dank Euch! Beiseite. Gott sei gelobt, daß ich sie nicht zu zwingen brauchte! Laut. Und nun keine Zeit verloren! Wo ist Feder und Papier?


Heinecke kratzt nachdenklich den Kopf.
FRAU HEINECKE.
Alma hat sie wohl!

Sie geht in die Kammer.
[67]
HEINECKE.
Natürlich. Die schreibt ja immerzu Briefe.

Schließt die Ofentür.
ROBERT
für sich, mit einem Seufzer der Erleichterung.

Ah! – Nun bin ich doppelt begierig auf die Genugtuung, die er anbieten wird, und die ich – ablehnen werde. – Ablehnen, wie das Duell. – Sie werden mich feige und ehrlos schelten! Ach, was! Ich brauche ihre Ehre nicht, ich habe den Meinen Brot zu schaffen.

FRAU HEINECKE
zurückkehrend.
Auf 'n Tisch ist alles zurechtgelegt. – Oder willst du hier –?
ROBERT.
Nein, nein! Dort bin ich ungestört!
FRAU HEINECKE.
Du siehst müde aus. Du solltest ein Stündken ruhen.
ROBERT
schüttelt den Kopf.
Wenn Herr Mühlingk junior Nachricht sendet – oder sich selbst bemüht, so ruft mich. Ab.
7. Szene
Siebente Szene
Heinecke. Frau Heinecke.

FRAU HEINECKE
auf einen Stuhl sinkend.
Nach Indien!
HEINECKE.
Uns alte brave Leute rund um die Erdkugel zu schleppen.
FRAU HEINECKE
zum Fenster zeigend.
Herr Jeses!
HEINECKE.
Was jibt's?
FRAU HEINECKE.
Michalskis.
HEINECKE.
Was? Die! Knöpft den Rock zu. Die sollen mir kommen.

Es klopft.
BEIDE
leise.
Herein!
[68]
8. Szene
Achte Szene
Die Vorigen. Auguste. Michalski mit einem Päckchen.

MICHALSKI.
Morgen!
FRAU HEINECKE.
Pst!
HEINECKE
mit der Faust drohend.
Ihr seid mir! – Macht, daß Ihr raus kommt!
AUGUSTE
setzt sich.
Es ist recht frisch heute früh.
MICHALSKI
setzt sich und wickelt eine Flasche aus.
Hier den Likör ha' ick dir mitgebracht. – Was Extrafeines – Hol mal den Proppenzieher.
FRAU HEINECKE.
Ein anderes Mal! Wir sollen Euch ja vor de Türe setzen.
AUGUSTE.
Wer sagt das?
FRAU HEINECKE.
Pst! Robert!
AUGUSTE.
Was? In Eurem eigenen Hause laßt Ihr Euch Vorschriften machen?
HEINECKE
leise.
Pst! Er sitzt ja in de Kammer.
AUGUSTE
mitleidig.
Der arme Vater. Er zittert vor Angst.
MICHALSKI.
Olle, brave Leute so in Angst zu setzen. Der Schuft!
FRAU HEINECKE.
Er ist kein Schuft! Er is ein jutes Kind und sorgt für uns.
HEINECKE.
Wenn er uns ooch nach Indien schleppen will.
BEIDE.
Wa? Wohin!
FRAU HEINECKE.
Nach Indien!
AUGUSTE.
Warum denn?
FRAU HEINECKE.
Bloß, weil die Alma hat uf'n Maskenball jehen jewollt.
MICHALSKI.
Verrückt!
FRAU HEINECKE.
Seine paar Möbel, die einem das Heim so freundlich gemacht haben, muß man elendig im Stiche lassen.
AUGUSTE
sentimental.
Und mir Ärmste laßt Ihr nu ooch im Stiche! Werdet Ihr sie verkaufen?
FRAU HEINECKE.
Die Möbel? – Auguste nickt. Wir müssen!
[69]
AUGUSTE.

Auch den Spiegel und die Fauteuils?Frau Heinecke bejaht. – In Rührung. Ich an Eure Stelle, anstatt sie für ein Butterbrot zu verschleudern, würde sie Eurer einsam zurückbleibenden Tochter zum Andenken jeben. Da wäret Ihr doch sicher, daß man sie in Ehren hielte.

FRAU HEINECKE
mißt sie mit mißtrauischem Blicke, dann heimlich zum Alten.
Vater, se will schon die Fotölchs.
AUGUSTE
einlenkend.

Oder, wenn Ihr sie doch verkaufen wollt, so sind wir immer diejenigen, die Euch die höchsten Preise zahlen. Damit's in de Familie bleibt.

HEINECKE.
Aber noch sind wir nicht weg!
MICHALSKI.
Ich an Eurer Stelle –
FRAU HEINECKE.

Wat sollen wir tun? Wir sind nu janz von ihm abhängig. Wenn er befiehlt, müssen wir folgen, oder sollen wir Euch zur Last liegen?

AUGUSTE.
Wir haben alleine nich das Sattessen.

Es klopft.
9. Szene
Neunte Szene
Die Vorigen. Der Kommerzienrat.
Alle fahren erschrocken durcheinander.

MÜHLINGK.
Guten Tag, lieben Leute. Ist Ihr Sohn zugegen?
HEINECKE
devot.
Ja woll!
FRAU HEINECKE
öffnet die Tür.

Robert! Zärtlich. Liebes Jotteken, er ist auf 'n Stuhle eingeschlafen ... hat nämlich kein Auge geschlossen diese Nacht ... Robertchen, der Herr Kommerzienrat! ... Schläft janz fest.

MÜHLINGK
freundlich.
So? ... Um so besser! – Wecken Sie ihn nicht!
HEINECKE.
Mach die Düre zu!
FRAU HEINECKE
leise.
Aber hat er nicht gesagt – –
HEINECKE.
Wenn der junge Herr Mühlingk kommt, hat er gesagt –

Schließt leise die Tür.
[70]
AUGUSTE
zu Michalski, mit der Gebärde des Geldzählens.
Paß mal uf!
MÜHLINGK
der sich in der Stube umgeschaut hat.
Das sieht ja recht wohlhabend hier aus, lieben Leute!
HEINECKE
mit Würde.
Belieben der Herr Kommerzienrat Platz zu nehmen auf diesen Fotölch?
MÜHLINGK.
Ei ei, lauter Seide?
FRAU HEINECKE.
Ja, es is lauter Seide.
MÜHLINGK.
Wohl ein liebes Geschenk?
FRAU HEINECKE
zögernd.
Sozusagen!
MÜHLINGK
harmlos.
Von meinem Sohne?
HEINECKE.
Ja wohl!
FRAU HEINECKE.
Pst!
MÜHLINGK
beiseite.

Schlingel! Laut. Beiläufig: Ihr lieber Sohn hat sich nicht gerade gebührlich gegen den meinen benommen. Offen gesagt: Ich hatte anderen Dank erwartet! Sie können ihm mitteilen, daß er entlassen ist, und daß ich bis vier Uhr nachmittags seine Abrechnung erwarte.

FRAU HEINECKE.
Das wird ihm aber leid tun!
HEINECKE.
Er hat den Herrn Kommerzienrat geliebt wie seinen eigenen Vater.
MÜHLINGK.
So? Das freut mich. – Doch deshalb kam ich nicht, lieben Leute. Sie haben eine Tochter.
AUGUSTE
sich vordrängend.
Ufzuwarten!
MÜHLINGK.
Womit kann ich dienen?
AUGUSTE
devot.
Ick bin die Dochter!
MÜHLINGK.
So? – Sehr brav – sehr brav! Aber Sie mein ich nicht. Das Fräulein heißt Alma!
FRAU HEINECKE.
Janz richtig. Und ohne zu lügen, sie ist ein hübsches Mächen!
HEINECKE.
Und talentvoll! Wir lassen sie für den Jesang ausbilden.
MÜHLINGK.

Ah! Es ist immer erhebend zu sehn, wenn Kinder ihren Eltern Freude machen. Nur eins will mir nicht gefallen: Ihre liebe Tochter hat den Aufenthalt, den [71] ich Ihnen seit siebzehn Jahren in meinem Hause gewähre, dazu benutzt, um mit meinem Sohne zarte Beziehungen anzuknüpfen. Offen gesagt: Ich hatte andern Dank erwartet.

FRAU HEINECKE.
Aber Herr Kommerzienrat.
MÜHLINGK.

Um jedes Verhältnis zwischen Ihrem Hause und dem meinen aus der Welt zu schaffen, biete ich Ihnen ein Abstandsgeld, das Sie, mein wackerer Herr Heinecke, mit Ihrer Tochter Alma zu teilen haben würden, dergestalt, daß die eine Hälfte ihr als Heiratsgut zufällt, sobald sich jemand findet, der – Lächelt diskret. Nun, Sie verstehn mich wohl. Bis dahin würde die Nutznießung des Ganzen Ihnen verbleiben. Sind Sie einverstanden?

AUGUSTE
leise hinter ihm.
Sag ja – ja.
HEINECKE.
Ich – ich –
MÜHLINGK.

Ich habe die Summe ungewöhnlich hoch bemessen, um ein unbedachtes Versprechen einzulösen, das Ihr lieber Sohn gestern dem meinigen abzunötigen wußte ... Sie beläuft sich auf Zögert und schluckt. fünfzigtausend Mark.

HEINECKE
mit einem Aufschrei.
Jesus, Herr Kommerzienrat, ist das Ihr Ernst?
FRAU HEINECKE.
Mir wird schwach!

Sinkt in einen Stuhl, von Auguste unterstützt.
MÜHLINGK
beiseite.

Ich habe zu hoch taxiert! Laut. Ich frage Sie noch einmal, sind Sie mit vierzigtausend Mark zufrieden?

MICHALSKI.
Ich denke, es waren –
AUGUSTE
ihn stoßend, leise.
Sag ja – rasch – sonst zieht er noch mehr ab!
HEINECKE.

Ich kann's nicht glauben, Herr Kommerzienrat. Auch diese vierzig! So ville Jeld jibt's nicht ... Das ist Unsinn. Zeigen Sie mir das Jeld!

MÜHLINGK.
Es liegt an der Kasse für Sie angewiesen.
HEINECKE.

Und der Herr Kassierer wird nicht sagen: Setzt den alten Kerl vor die Düre – er ist übergeschnappt. – Oh, [72] er kann recht eklig sind gegen uns arme Leute, der Herr Kassierer.


Mühlingk hat ein Scheckbuch hervorgezogen, schreibt eine Ziffer und reißt das oberste Blatt ab, das er Heinecke überreicht. Alle studieren eifrig den Schein.
HEINECKE.
Vierzigdausend! Immer noch furchtbar nobel ... Herr Kommerzienrat! Geben Sie mir Ihre Hand.
MÜHLINGK
steckt die Hand in die Tasche.

Noch eins: Morgen abend wird ein Möbelwagen vor Ihrer Türe halten, und zwei Stunden später werden Sie freundlichst meinen Grund und Boden verlassen haben. Hernach hör ich wohl nichts mehr von Ihnen. –

HEINECKE.

Sagen Sie das nich, Herr Kommerzienrat! Wenn Ihnen der Besuch eines alten, braven Mannes nicht lästig fällt, so mach ich mir manchmal das Vergnügen. Ja, ein alter, braver Mann, das bin ich!

MÜHLINGK.
Natürlich! Adieu, liebe Leute! Beiseite. Pfui! Ab.
10. Szene
Zehnte Szene
Heinecke. Frau Heinecke. Auguste. Michalski.

HEINECKE.

Mutter! Vierzigdausend! Michalski will ihn umarmen. Drei Schritt vom Leibe, mein Sohn!Sucht in den Taschen, findet ein Schnupftuch, breitet es auf dem Knie aus, legt den Schein hinein, faltet das Tuch sorgfältig darüber und steckt es in die Brusttasche. So, jetzt kannste zärtlich sein!

FRAU HEINECKE.

Mir ist weh vor Freuden! Sie umarmen sich weinend. Wenn ick bedenke: Ich brauch nu nich mehr ohne Jeld uf'n Marcht zu gehen, und wenn mir friert, kann ich nachmittags ohne schlechtes Gewissen noch einmal einheizen – düchtig! – Und abends essen wir kalten Uffschnitt.

HEINECKE.
Und ick kann Pferdebahn fahren, so viel ick will.
[73]
MICHALSKI.
Genau vierhundertdausend Mal à zehn Pfennige.
FRAU HEINECKE.
Und das Kanapee schenkst du mir ooch!
AUGUSTE.
Nach Indien geht Ihr aber nu nich?
FRAU HEINECKE.
Um Jesuwillen!
HEINECKE.
Bist wohl doll!
AUGUSTE.
Und wat werden Herr Robert denn dazu sagen?
FRAU HEINECKE
freudig.
Ja, Robert! Will zur Kammertür.
AUGUSTE
hält sie zurück.
Ick rate dir, laß ihn schlafen. Der erfährt's zeitig genug.
FRAU HEINECKE
erschrocken.
Wie meinste das?
HEINECKE
zupft seine Frau am Rockschoß, zeigt nach der Küchentür.
Aber die da! ... He he!
FRAU HEINECKE.
Das arme, liebe Kind!
HEINECKE
geheimnisvoll.
Wir woll'n se iberraschen. – Pscht!

Alle schleichen auf Zehenspitzen zur Küchentür.
HEINECKE
der vorangeht, stößt die Tür auf – ein Schrei ertönt.
– Heinecke verdutzt, fährt zurück. Nanu? – Mutter, wat's nanu?
FRAU HEINECKE
schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Herr Jeses!
MICHALSKI
ihnen über die Schulter sehend.
Potz – Deibel!
HEINECKE
mit angenommener Strenge.
Nu kommste mal her!
ALMAS STIMME
ängstlich.
Ach bitte – nein!
HEINECKE.
Wird's bald?
11. Szene
Elfte Szene
Die Vorigen. Alma.
Alma erscheint in indischem Prachtkostüm, die Hände schamhaft vors Gesicht geschlagen. Alle laufen mit verstecktem Lachen und Ausrufen der Bewunderung um sie herum. Auguste befühlt den Stoff.

[74]
AUGUSTE.
Das indische Kleed!
MICHALSKI.
Von die splitternacktigte Prinzessin.
ALMA.
Ich – hab's – bloß – anprobieren wollen. – Ich werd's – gleich ausziehn.
FRAU HEINECKE
sie vorsichtig herzend.
Ach, Jotte – wie so'n Engelken!
ALMA.
Ihr seid mir nicht mehr böse?
HEINECKE.

Beese? Sich besinnend, strenge. Das heißt eigentlich sehr. Aber wir wollen noch eenmal Jnade vor Recht ergehn lassen. Sich umwendend. Das hab ich fein gemacht? Was?

FRAU HEINECKE
streichelt ihre Locken und führt sie nach rechts.
Komm! Setz dir nieder! Nein, hier auf'n Fotölch!
ALMA.
Auf dem – – Was ist geschehn? –
HEINECKE.
Hehe!

Alle setzen sich um sie herum.
ALMA.
Und darf ich heute auf den Maskenball?
HEINECKE.
Ja, du darfst auf den Maskenball!
AUGUSTE
ironisch.
Das arme Kind!
HEINECKE
aufspringend.
Ick muß mal sofort uf die Kasse!
MICHALSKI
der die Likörflasche aufkorkt.
Warte! Ein Glück will angefeuchtet sind, damit es kleben bleibt. Alma, hole Gläser!
FRAU HEINECKE
aufspringend.

Laß das liebe Kind sitzen. Das besorg ich! Geht zum Wäscheschränkchen und holt ein Gestelle mit Likörgläsern. Zu Auguste. Was meintest du vorhin mit Robert? –

AUGUSTE.
Wirst schon sehn!
FRAU HEINECKE.
Er kann doch uns armen, alten Leuten unser bisken Glück nich mißgönnen? –
MICHALSKI
singt, das Glas erhebend.
So leben wir, so leben wir –
FRAU HEINECKE.
Still! Um Gotteswillen!

In der Kammer poltert ein Stuhl.
MICHALSKI.

Meine Herrschaften, Fräulein Alma Heinecke, unser Glückskind, und vor allem das Haus, das sich immerhin nobel erwiesen hat –

HEINECKE.
Das Haus Mühlingk soll leben, hoch!
[75]
12. Szene
Zwölfte Szene
Die Vorigen. Robert erscheint in der Kammertür. Alle wiederholen das Hoch zweimal.

FRAU HEINECKE
erschrocken.
Da is er! Verlegenes Schweigen.
MICHALSKI
frech.
N' Morgen, Schwager!
ROBERT.

Willst du mir nicht erklären, Mutter, wie kommen diese beiden Leute dazu, sich an unsern ehrlichen Tisch zu setzen?

MICHALSKI.
Oho!
HEINECKE.
Sei nich so ungemietlich!
FRAU HEINECKE
geht zu ihm nach links.
Robertchen, der Mensch soll nich stolz sein, am wenigsten gegen sein Fleisch und Blut.
ROBERT.
Hm – Alma, was ist das? Wer hat dir gestattet –
HEINECKE.

Und damit du's weißt: Auf Indien mach dir keene Hoffnungen. Ich zieh es vor, meine Jelder in Deutschland zu verzehren.

ROBERT
fassungslos.
Was ist hier vorgegangen?
FRAU HEINECKE.
Rede du, Vater, denn dir ist der Schein gegeben worden.
ROBERT.
Welcher Schein?
HEINECKE
sich in Positur setzend.

Mein Sohn! – Man sieht es manchem Mann nich an, was er is ... Er trägt es gewissermaßen in sich ... Darum soll man Achtung vor ihm haben, denn man kann nie wissen, was unter so einem schlichten Rocke verborgen ist ... Biberpelze kann jeder tragen.

ROBERT.
Willst du mir nun endlich erklären – –
HEINECKE.

Erklären? – Wat is da viel zu erklären ... Sieh mir nich so an. Wat sieht er mir so an, Mutter ...? Das brauch ich mir nicht mehr gefallen zu lassen ...

FRAU HEINECKE.
Nu rede doch schon.
HEINECKE.
Also, wie gesagt, janz einfach: der Kommerzienrat war hier.
[76]
ROBERT.
Der – – Warum habt Ihr mich nicht geweckt?
HEINECKE.

So? ... Erstens: Weil's nicht der junge Herr Mühlingk war. Wenn dein Freund kommt, kannst du ihn ja in Empfang nehmen. Der alte Herr ist mein Freund ... Wir haben versprochen, uns künftig zu besuchen ... Und zweitens: Weil ick mir von meinen Sohne keine Vorschriften machen lasse ... Jetzt ist's aus damit! ... Verstanden?

FRAU HEINECKE.
Aber Vater!
HEINECKE.

Komm mir nich zu nahe, wenn ich meinem Sohne väterliche Ermahnungen gebe. Ick lasse jetzt nich mehr mit mir spaßen. –

MICHALSKI
hinter ihm.
So ist's recht!
ROBERT.
War von Alma die Rede?
HEINECKE.

Erstens war von dir die Rede. Du bist aus seinen Dienst entlassen – wegen ungebührlichen Benehmens. Offen gesagt, ich hatte andern Dank erwartet.

ROBERT.
Du?
HEINECKE
strenge.

Ja, ich, dein alter, braver Vater ... Mir ist es nicht ejal, wenn meine Söhne als stellenlose Commis in de Welt rumloofen. Und bis vier Uhr nachmittags sollst du ihm die Abrechnung schicken, sonst jeht's dir schlecht!

ROBERT
will auffahren, bezwingt sich aber.
Sprechen wir von Alma! Hat er uns Genugtuung angeboten? –
HEINECKE.
Natürlich! Vollständigste!
ROBERT
zögernd, wie einer, der fühlt, daß er eine Dummheit sagt.
Also – die Heirat?
HEINECKE.
Welche Heirat?
ROBERT.
Zwischen seinem Sohne – und –
HEINECKE.
Bist wohl doll!
ROBERT
auffahrend, angstvoll.
Was sonst?
HEINECKE
schlau, leise, nach seinem Ohre hin.
Volle 40000 Mark! Laut. Nobel – was?
ROBERT
mit gellendem Aufschrei.
Geld?
FRAU HEINECKE
erschrocken.
Jesus, ich hab's mir gedacht!
[77]
ROBERT.
Geld!
HEINECKE.
Jawohl! Hier steckt's! So gut wie bar.
ROBERT.
Wie? Du hast es genommen?
HEINECKE
verwundert.
Na?
ROBERT.
Er bot dir Geld an und du nahmst es?

Er dringt, außer sich, auf ihn zu.
MICHALSKI
springt dazwischen.
Ich rate dir, laß den alten Mann zufrieden.
ROBERT
taumelt zurück, ohne ihn zu beachten.
Mutter! Ihr nahmt?
FRAU HEINECKE
die Hände faltend.
Wir sind arme Leute, mein Sohn!

Robert sinkt mit verzweifeltem Lachen in den Arbeitsschemel. Michalski und Auguste um den Alten beschäftigt. Alma sitzt lächelnd, mit gefalteten Händen in dem Sessel.
FRAU HEINECKE
beiseite.

Jott steh ihm bei! Es ist nicht richtig bei ihm! Legt die Hand auf seine Schulter. Mein Sohn, nimm eine jute Lehre an von deine alte Mutter: Man soll sein Jlück nicht mit Füßen treten, denn Hoffart stirbt auf dem Stroh!

ROBERT.

Das wäre nicht das Schlimmste, Mutter! ... Auf dem Stroh ... am Grabenrand will ich sterben ... Verrecken will ich, wie ein Hund! – Nur gebt das Geld zurück! ... Seht mal, ich will ganz ruhig, ganz vernünftig mit Euch reden. – Ich will Euch an den zehn Fingern beweisen, daß Ihr es tun müßt. – Jene haben uns in Schande gebracht. – Gut. – Aber wir waren ohne Schuld. – Wir brauchten uns vor niemandem zu schämen. – Man kann mir meine Ehre stehlen, wie man mir mein Portemonnaie stiehlt. – Dagegen ist man wehrlos. – Aber wenn wir uns unser bißchen Ehre bezahlen lassen – mit barem Geld – dann sind wir ehrlos gewesen von jeher. Und dann geschieht uns recht –Heinecke dreht sich nach Michalski um, der zeigt mit dem Finger nach der Stirn. Mein Gott, ich seh ja alles ein. – Ich mach Euch keine Vorwürfe. Wahrhaftig nicht. – Ihr seid arm und wart es von jeher. – [78] So ein elendes Stück Leben, das nichts ist wie Angst ums tägliche Brot, macht Einsicht und Würde zuschanden. Und nun laßt Ihr Euch durch das bißchen Gold verblenden. – Aber das glaubt mir, Freude werdet Ihr nie daran haben. – Nichts wird Euch bleiben, wie der Ekel. – Würgend. Ach, der Ekel! – Man erstickt ja darin! –

FRAU HEINECKE.
Einem wird janz kalt bei diesem Gerede.
HEINECKE.
So is mein Sohn!
ROBERT.

Und glaubt doch nicht, daß es Euer Schade sein wird, wenn Ihr mir folgt. Seht mich an. Ich hab doch was gelernt, nicht wahr? ... Ich bin doch gesund, nicht wahr? ... Ich bin doch nicht verwahrlost, nicht wahr? Die paar Jahre, die Euch noch zu leben übrigbleiben, könnt Ihr mir doch ruhig anvertrauen, nicht wahr? Seht, ich will ja nichts, wie für Euch arbeiten! ... Reich will ich Euch machen! ... Reich! ... Ihr könnt mit mir tun, was Ihr wollt. Euer Sklave, Euer Packesel will ich sein. Aber gebt das Geld zurück!

HEINECKE.

Das ist allens janz schön und jut. Aber die Taube in de Hand ist mir lieber, als ... Wollt' ich sagen ...

MICHALSKI.
Stimmt schon, Vater.
HEINECKE.

Wahrhaftig, et stimmt! ... Also, mein Sohn, geh du hübsch auf die Sperlingsjagd, ick behalte meine Taube und werde ihr gleich versilbern jehn!

MICHALSKI.
Bravo!
ROBERT.

Und du, Mutter? ... Sie wendet sich ab. Auch du! ... Mein Gott, was kann ich noch? ... Alma, es handelt sich um dich! ... Ich will dir alles abbitten! Aber hilf du mir! Ergreift sie bei der Hand, sie sträubt sich, er zieht sie nach der Mitte. Du hast dich verschenkt! Meinetwegen denn! ... Mag das dein Recht sein. Aber du verkaufst dich nicht! ... Deine Liebe ist nicht dazu da, daß man damit auf die Märkte fährt! Alma, sag ihnen das!

ALMA
trotzig.
Laß mich los!
AUGUSTE.
Er bricht dem Kinde die Arme entzwee.
[79]
ALMA.
Du hast mir gar nichts mehr zu sagen!

Macht sich los.
ROBERT.
Schwester!
ALMA.
Und auf den Maskenball geh ich doch! Frag nur die Mutter!
ROBERT.
Mutter?
FRAU HEINECKE.
Warum soll das arme Kind nicht auch einmal ein kleines Vergnügen haben?
ROBERT
vernichtet.
Also so weit sind wir!
MICHALSKI
sich in den Sessel setzend, höhnisch.
Ja, so weit sind wir.
ROBERT.

Ah, du Kuppler. Auf von deinem Sitz. Da Michalski sich nicht rührt, packt er den Sessel an der Lehne. Auf, sag ich! Und hinaus mit dir! Hinaus Ihr alle beiden!

MICHALSKI
auf ihn eindringend.
Nu wird's mir aber zu bunt!
ROBERT
der den Sessel gepackt hält.
Wag's, dich an mir zu vergreifen!
FRAU HEINECKE
wirft sich dazwischen.
Du wirst mir noch den Fotölch zerschlagen.
ROBERT.
Der kommt ja wohl aus dem Vorderhause, da Ihr ihn so in Ehren haltet?
FRAU HEINECKE.
Natürlich!
ROBERT.
Von dem lieben Herrn Curt? Nicht wahr?
FRAU HEINECKE.
Nu ja doch!
ROBERT
mit wildem Lachen.

Da habt Ihr ihn! Stößt ihn auf den Fußboden, daß er zerschellt, wirft ihnen die Trümmer vor die Füße.

FRAU HEINECKE
weinend.

Mein schöner Fotölch!Kniet nieder und sammelt die Stücke, die sie nach links hinüberträgt. Dann sinkt sie auf den Schemel.

HEINECKE.
Nu wird's mir aber zu ungemietlich!

Will rechts hinaus.
ROBERT
verlegt ihm den Weg.
Gibst du den Sündenlohn zurück? Ja oder nein?
[80]
HEINECKE.
Fällt mir nicht ein!
ROBERT.

Dann bin ich fertig mit dir! Und auch mit dir, Mutter ... Da ist man also in die Welt gesetzt worden und hat die Ehrlosigkeit gleich mitbekommen wie ein Muttermal. Nun gut! ... Wenn ich durchaus geschaffen werden mußte, warum ließt Ihr mich nicht in dem Kote, in den ich hineingehöre? ... In dem ich mich wälzen muß mein lebelang, weil meine werte Familie es so verlangt?

AUGUSTE.
Hörst du, Mutter! – Das war ja immer dein Lieblingskind.
ROBERT.

Nein, Mutter, hör nicht! Neben ihr auf den Knieen. Ich habe nichts gesagt ... Wenn ich was sagte, war es Wahnsinn! Mir ist, als lös ich mich heute los von allem, was menschlich und natürlich ist. Mutter, erbarm dich ... Du kannst mich und dich retten! Komm mit mir mit! ...

FRAU HEINECKE
schluchzend.
Willst du mir in deine blinde Wut nicht auch den Spiegel zerschlagen? –
ROBERT
sendet einen irren Blick nach dem Spiegel hin, dann sich erhebend.
Wir reden zwei Sprachen ... Wir verstehen uns nicht ...
MICHALSKI
der leise mit dem Alten verhandelt hat, packt ihn an der Schulter.
Nu haste genug spektakelt ... Nu mach, daß du raus kommst.
ROBERT
stößt ihn von sich.

Zurück! Sieht den Alten und die Schwestern, die ihn mit zornigen Rufen umringen, bricht in gellendes Lachen aus. Ach so, man wirft mich hinaus!

MICHALSKI
öffnet weit die Tür.
Raus!
13. Szene
Dreizehnte Szene
Die Vorigen. Graf Trast steht auf der Schwelle.

TRAST
Michalski auf die Schulter klopfend.
Danke ergebenst für freundlichen Empfang!
[81]
ROBERT
ihn erkennend, stößt einen Schrei aus und streckt beide Arme abwehrend gegen ihn aus.

Was willst du hier? ... Hier ist eine Spelunke! ... Weißt du, wer wir sind? ... Wir verkaufen uns! ... Haha ... Sieh mich nicht an ... Das ertrag ich nicht!Verbirgt ächzend das Gesicht in den Händen.


Alma hat sofort bei Trasts Erscheinen voll Scham das Weite gesucht. Michalski und Auguste schleichen, von ihm fixiert, hinter ihr drein in die Küche.
TRAST.
Ermanne dich! Was ist geschehen?
HEINECKE
die Mütze in der Hand.

Er hat sich ungebührlich benommen, Herr Jraf! Erscht hat er uns nach Indien schleppen wollen. Dann sollten wir das Jeld nich nehmen ... Und nu jeh ich jrad nach de Kasse. – Volle vierzigdausend Mark, Herr Jraf. Habe die Ehre, Herr Jraf! Ab nach rechts.

14. Szene
Vierzehnte Szene
Trast. Robert. Frau Heinecke.

TRAST.
So, so. Ich verstehe! Legt die Hand auf Roberts Achsel. War etwa Herr Mühlingk hier?
ROBERT.
Mensch, das lohne dir Gott ... Den Namen brauchte ich!
TRAST.
Was hast du vor?
ROBERT.
Man verlangt Abrechnung von mir. Man soll sie haben.

Eilt nach hinten zum Koffer, den er öffnet und in dem er fieberhaft zu wühlen beginnt.
FRAU HEINECKE
weinend.
Danken Sie Gott, daß Sie unverheiratet sind, Herr Jraf. Es gibt recht undankbare Söhne.
TRAST
für sich.
Einfalt, du sprichst wie eine Mutter! ... Sich besinnend. Pfui, Trast, das war nicht schön.
FRAU HEINECKE.
Hab ich nich recht?
TRAST
ergreift mit seinen beiden Händen die ihre.

Eine [82] Mutter hat immer recht. Sie hat zuviel gelitten und geliebt, als daß es anders sein könnte. Nimmt ihre Hand.

FRAU HEINECKE.
Aber Herr Jraf, mir einfache Frau jeben Sie die Hand?
TRAST.

Ich hab mich an den Müttern versündigt und muß ihnen Abbitte tun. Nicht zum mindesten der meinigen. Es gibt nämlich noch schlechtere Söhne, als der dort, liebe Frau.

ROBERT
hat eine Mappe hervorgesucht, durchblättert und zur Seite gelegt.
– Dann nach nochmaligem Suchen hebt er einen Revolver hervor, den er prüft.
TRAST
beiseite.
Ah, mit dem Revolver! Auf die Art will er Abrechnung halten!
ROBERT
der sieht, daß er beobachtet wird, verbirgt den Revolver in der Brusttasche, greift nach seinem Hute und kommt mit der Mappe nach vorne.
So, jetzt bin ich fertig!
TRAST.
Ich begleite dich.
ROBERT.
Du?
TRAST.
Hab ich nicht das Recht dazu?
ROBERT
zögernd.
Gut – komm!
FRAU HEINECKE
zärtlich – unter Tränen.
Robert!
ROBERT
der versucht, seine Erregung niederzukämpfen.
Ich – komme – noch – Abschied nehmen, Mutter! Jetzt hab ich Nötigeres zu tun! Geht zur Tür.
FRAU HEINECKE
zu Trast, die Hände ringend.
Herr Curt und er, das gibt gewiß ein Unglück!
TRAST
halblaut zurück.
Stille! Stille! – – Nun – gehn wir?
ROBERT
zur Mutter in großer Erregung und mit hervorbrechender Zärtlichkeit.
Und wenn wir uns – – nicht mehr Sich fassend zu Trast. Gut – gehn wir! Die beiden zur Tür.

Der Vorhang fällt.
[83]

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Trast. Robert mit der Mappe unter dem Arm. Wilhelm.

WILHELM
leise zu Trast.
Ich habe strengen Befehl, Herrn Heinecke nie wieder vorzulassen.
TRAST.
Mich auch nicht?
WILHELM.
O mit dem Herrn Grafen ist das ganz was anders.
TRAST.

Danke für gütiges Vertrauen. Herr Heinecke ist in meiner Begleitung. Ich übernehme die Verantwortung. Wir werden den Herrn Kommerzienrat erwarten –

WILHELM.
Aber –
TRAST.

Was ziehn Sie vor, Courant oder Papier?Indem er nach einem Scheine sucht. Ist denn das ganze Haus leer?

WILHELM.

Herr Kommerzienrat ging nach der Fabrik hinüber, gnädige Frau haben Migräne, gnädiges Fräulein fuhr nach der Stadt – Herr Curt auch.

TRAST.
Zusammen?
WILHELM.
Oh, die fahren nie zusammen. – Herr Curt wollte die Einladungen abbestellen – von wegen –

Winkt nach Robert hinüber.
TRAST
gibt ihm Geld.
Es ist gut ... Ab.
WILHELM.
Wie befehlen?
TRAST.
Ab!

Wilhelm mit Verbeugung ab.

[84]
2. Szene
Zweite Szene
Trast. Robert.

TRAST.
Komm mal her, mein Junge!
ROBERT.
Was willst du?
TRAST.

Ich? Du weißt ja, ich will nie was. Ich lasse mich von den Ereignissen schaukeln. Aber die Frage ist: Was willst du hier – an diesem Platze?

ROBERT.
Ich will Abrechnung halten.
TRAST.

Natürlich ... Das wissen wir ... Da du aber auf den großmütigen Händedruck, der einem braven Arbeiter in solchen erhebenden Momenten zuteil wird, sowieso verzichten willst, so seh ich nicht ein, warum du die Bücher nicht einfach aufs Comptoir schickst – und basta.

ROBERT.
Freilich, das wäre sehr einfach.
TRAST.
Lieber Mensch, laß mich noch einmal als Freund mit dir reden.
ROBERT.
Rede nur, rede.
TRAST.
Du bist auf der Jagd hinter einem Phantom!
ROBERT.
So?
TRAST.
Deine Ehre hat niemand angetastet.
ROBERT.
So?
TRAST.
Weil niemand auf der Welt dazu imstande ist!
ROBERT.
So, so!
TRAST.

Das, was du deine Ehre nennst, dieses Gemisch aus – Scham, aus – Taktgefühl, aus – Rechtlichkeit und Stolz, das, was du dir durch ein Leben voll guter Gesittung und strenger Pflichttreue anerzogen hast, kann dir durch eine Bubentat ebensowenig genommen werden, wie etwa deine Herzensgüte oder deine Urteilskraft. Entweder sie ist ein Stück von dir selbst oder sie ist gar nicht ... Mit jener Sorte von Ehre, die schon der lässig geworfene Handschuh irgendeines fashionablen Rowdys zu zerschmettern vermag, hast du nichts gemein ... die ist gerade gut als Spiegel für die Laffen, als Spielzeug für die Müßiggänger und als Parfüm für die Anrüchigen.

[85]
ROBERT.
Du sprichst wie einer, der aus der Not eine Tugend macht.
TRAST.
Sehr möglich ... denn jede Tugend ist von der Not geschaffen worden.
ROBERT.
Und meine Familie?
TRAST.
Ich denke, du hast keine mehr?
ROBERT
von Schmerz überwältigt, birgt das Gesicht in den Händen.
TRAST.

Ich versteh dich wohl ... Das ist das Zucken des Nervenstrangs, dessen Zubehör man amputierte ... Laß dich nicht beirren ... Wenn auch die Zehe noch weh tut, das Bein ist weg.

ROBERT.
Du hast nie eine Schwester gehabt!
TRAST.

... Sag mal, muß ich, der Aristokrat, dich, den Plebejer, Duldung gegen die Niederen lehren? Mein Lieber, verachte die Deinen nicht. Sage nicht, daß sie schlechter sind als du und ich ... Sie sind anders, weiter nichts ... In ihren Herzen wohnt ein Empfinden, das dir fremd ist, in ihren Köpfen malt sich ein Weltbild, das du nicht verstehst. Sie darum verurteilen, wäre vorwitzig und beschränkt ... Und damit du's endlich weißt, mein Sohn, in dem Kampfe gegen die Deinen bist du von Anfang bis zu Ende im Unrecht gewesen.

ROBERT.
Trast, das sagst du?
TRAST.

Ich erlaube mir ... Du kommst aus fremden Ländern, wo du dich im Verkehr mit Gentlemen neunmal gehäutet hast, und verlangst von den Deinen, daß sie dir zu Liebe von heut auf morgen einfach aus der Haut fahren sollen, die ihnen von Anbeginn glatt und schlank auf dem Leibe gesessen hat ... Das ist unbescheiden, mein Junge ... Und deiner Schwester ist vom Hause Mühlingk tatsächlich die Ehre wiedergegeben worden, die Ehre nämlich, die sie gebrauchen kann. – Denn jedes Ding auf Erden hat seinen Tauschwert ... Die Ehre des Vorderhauses wird vielleicht mit Blut bezahlt – vielleicht, sage ich – die Ehre des Hinterhauses ist schon mit einem [86] kleinen Kapital in integrum restituieret. Da Robert zornig gegen ihn auffährt. Iß mich nicht auf ... Ich bin noch nicht fertig ... Welchen andern Sinn hätte die Jungfrauenehre, um die es sich hier handelt, als dem künftigen Gatten eine gewisse Mitgift von Herzensreinheit, von Wahrhaftigkeit und Neigung zu verbürgen? Denn nur zum Zwecke der Heirat ist sie da ... Nun frage gefälligst in der Sphäre nach, der du entstammst, ob deine Schwester mit dem Kapital, das ihr heut in den Schoß fiel, nicht eine weit begehrenswertere Partie geworden ist, als sie jemals gewesen.

ROBERT.
Trast, du bist roh, du bist grausam.
TRAST.

Roh, wie die Natur, grausam, wie die Wahrheit. Nur die Trägen und die Feigen bauen à tout prix Idyllen um sich herum. Du aber hast mit all dem nichts mehr zu tun, drum gib mir die Hand, schüttle den Staub der Heimat von deinen Füßen und sieh dich nicht mehr um.

ROBERT.
Erst muß ich persönlich meine Genugtuung haben.
TRAST.
Du willst dich also partout mit ihm schlagen?
ROBERT.
Ich hatte darauf verzichtet – aber jetzt, jetzt will ich.
TRAST.
Sei doch nicht so altmodisch!
ROBERT.

Altmodisch – mag sein ... Vielleicht gerade, weil ich als Plebejer zur Welt gekommen bin und mir die Ehrbegriffe äußerlich aufgeimpft wurden, hab ich nicht die Kraft, mich zu der Höhe deiner Anschauungen emporzuschwingen. Laß mich also an meiner Beschränktheit zugrunde gehn.

TRAST.
Wenn er nun aber nicht will?
ROBERT.
Ich werd ihn zu zwingen wissen.
TRAST.

Aha! Für sich. Dazu der Revolver! ... Noch eins, mein Junge. Wenn du durchaus willst, daß Herr Curt dir eine Kugel auf den Pelz brennen soll, so muß ihm doch erst jeder Vorwand genommen sein, dich zu refüsieren.

ROBERT.
Mein Gott ja – du hast recht.
TRAST
seine Brusttasche ziehend.
Genierst du dich etwa?
[87]
ROBERT.
Nein, du hast zuviel für mich getan, als daß ich's dürfte –
TRAST
ihm einen Scheck ausstellend.
Da!
ROBERT.
Und wenn ich das da niemals abarbeiten kann?
TRAST.

So schreib ich's in den großen Schornstein, in welchem das Konto der Freundschaft geführt wird! Seinen Kopf streichelnd. Na, es wird so schlimm nicht sein! Hm – mein Junge – eins, was du ganz vergessen hast.

ROBERT.
Wie?
TRAST.
Lenore!
ROBERT
zusammenzuckend.
Sprich nicht von ihr.
TRAST.
Du liebst sie.
ROBERT.
Ah – ich antworte dir nicht!
TRAST.
Soll sie an dich vielleicht als an den Mörder ihres Bruders denken?
ROBERT.
Besser, als daß sie an einen Ehrlosen denkt!
TRAST
sich hoch aufrichtend.

Bin ich nicht auch ein sogenannter Ehrloser? Und hast du mich nicht als wackern Kerl gekannt? Und trag ich nicht den Kopf so hoch wie irgendeiner auf der Welt? Schäm dich!

ROBERT
nach einem Schweigen.
Trast – vergib mir.
TRAST.
Vergeben – Unsinn! Ich habe dich lieb – basta.
ROBERT.
Trast – ich werde – mich nicht – schlagen.
TRAST.
Wort?
ROBERT.
Wort!
TRAST.
So komm!
ROBERT.
Wohin?
TRAST.
Was weiß ich! In die Welt!
ROBERT.
Verzeih. Soll ich es mir versagen, dem gütigen Geber sein Geld vor die Füße zu werfen?
[88]
3. Szene
Dritte Szene
Wilhelm tritt ein.

WILHELM.
Der Herr Kommerzienrat ist soeben in das Comptoir gegangen.
TRAST
beiseite.
Curt nicht daheim ... Das trifft sich gut.
ROBERT
nach der Mappe greifend.
Ich geh hinüber.
TRAST.
Gut. Erwarte mich dann.
ROBERT.
Was willst du hier noch?
TRAST.
Laß das meine Sorge sein. Komm mal her!Leise. Eh du gehst, gib mir doch deinen Revolver!
ROBERT
erschrocken.
Wie, du weißt?
TRAST.
Er zeichnet sich deutlich genug auf deiner Brusttasche ab.
ROBERT.
Ich bitte dich – laß ihn mir! – Oder bist du mißtrauisch?
TRAST.
Ich fürchte, mein Pepe spukt dir im Kopf. –
ROBERT.
Soll ein Ehrenwort zwischen uns Ehrlosen keine Geltung haben?
TRAST.
Gut – behalte ihn.
ROBERT UND WILHELM
ab.
TRAST
allein, will ihm erst nach, hält aber inne.

Es war doch vielleicht unvorsichtig! – Falls der Bengel heimkommt, fang ich ihn ab und halt ihn zu rück. – Aber jetzt handelt es sich um anderes. – Ist dieses Mädchen hier das, wofür ich sie taxier – – –

4. Szene
Vierte Szene
Trast. Lenore. Lenore im Winterkostüm, Hut, Mantel, Muff, von rechts.

TRAST.
Ah – das nenn ich Glück haben!
LENORE
ihm die Hand reichend, erregt.

Herr Graf, wissen Sie, woher ich komme? Von Ihnen ... Wirft ihre Sachen [89] ab. Sie entsetzen sich über meine Kühnheit. Aber nur von Ihnen kann ich erfahren, was hier vorgeht. – Daß mein Bruder auf dem Wege war, jenes junge Wesen ins Unglück zu stürzen, fürchtete und argwöhnte ich ... hat Ihr Freund das erfahren?

TRAST.
Wenn es nichts weiter wäre!
LENORE.
Was wär es sonst?
TRAST.
Ich gestehe, ich finde die Worte nicht, um einer jungen Dame –
LENORE.
Reden Sie nur!
TRAST.

Nun denn. Die Ihrigen haben es für nötig erachtet, jene armen Leute ihre Schande vergessen zu machen, und sie packten sie da, so sie am leichtesten zu packen waren, bei ihrer – Armut.

LENORE.

Versteh ich Sie recht? Man hat meinen Bruder von jenem Mädchen losge – kauft? Trast bejaht. O mein Gott!

TRAST.

Es versteht sich von selbst, daß ich mich jeder Kritik enthalte. Zudem ist das Mittel, dessen man sich bediente, das landläufige, um dergleichen Verbindungen aus der Welt zu schaffen. Aber ich fürchte für unsern Freund!

LENORE
das Gesicht in den Händen.
Wie kann ich das je an ihm gut machen!
TRAST.
Fühlen Sie die Verpflichtung dazu?
LENORE.

Ob ich sie fühle! Mein ganzes Wesen bäumt sich gegen die abscheuliche Praxis auf, die in meinem Elternhause herrscht. – Bezahlen – immer bezahlen – Ehre, Recht, Liebe – alles bezahlen! – Wir können's! Wir haben's ja dazu! ... Wirft sich in den Sessel, dann aufspringend. Vergeben Sie – ich bin außer mir ... Ich spreche von den Meinen, als ob sie Fremde wären.

TRAST.
Vielleicht sind Sie ihnen fremder, als Sie selbst ahnen!
LENORE
bestürzt.
Ah, wenn Sie recht hätten! – Da er hinaushorcht. Was haben Sie da?
TRAST.
War das nicht die Stimme Ihres Bruders?
LENORE
an der Tür.
Ja, er ist es – mit ein paar Freunden.
[90]
TRAST
für sich.
Ich hätt' ihm die Waffe nicht lassen sollen! Laut, nach seinem Hute langend. Geht er ins Comptoir?
LENORE.
Nein, man scheint eintreten zu wollen!
TRAST
den Hut wieder hinlegend.

Gut, so erwart ich ihn – Mein Fräulein, eine Bitte! ... Mein Freund verläßt heute mit mir dieses Haus, morgen die Stadt und, ich hoffe, bald auch Europa.

LENORE
für sich.
Oh, mein Gott!
TRAST.

Aber heute möchte ich ein Zusammentreffen zwischen ihm und Ihrem Herrn Bruder vermieden wissen. – Sollt' es doch dazu kommen, ohne daß ich dazwischentreten kann, so bitte, sein Sie in der Nähe!

LENORE
bejaht eifrig – Stimmen vor der Tür – sie eilt nach links – sich noch einmal umwendend.
Was soll ich tun, Herr Graf?
TRAST.
Sich selber treu bleiben.
LENORE.
Das will ich!

Ab.
TRAST.
Jetzt – der Bruder!
5. Szene
Fünfte Szene
Curt. Lothar. Hugo. Trast.

CURT
befremdet.
Herr Graf?
LOTHAR
leise.
Wie gut, daß wir mitkamen!
TRAST.
Ich bitte um eine Unterredung, Herr Mühlingk.
CURT.
Meine Zeit ist leider kurz gemessen, Herr Graf, mein Vater erwartet mich.
TRAST
beiseite.
Oho! Laut. Es handelt sich um eine Bitte!
CURT.
Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Freunden, Herr Graf!

Setzen sich.
TRAST.

Jemand, der mir befreundet ist, ist von Ihnen an seiner Ehre schwer gekränkt worden. – Auf meinen Rat und mir zuliebe verzichtet er darauf, eine Genugtuung von Ihnen zu fordern.

CURT.
Sie irren, Herr Graf, Herr Heinecke hat seine Genugtuung erhalten.
[91]
LOTHAR.
Eine andere wären wir nicht in der Lage gewesen, ihm zukommen zu lassen.
TRAST
sieht ihn von oben bis unten an.

Lassen wir diese Frage fallen, Herr Mühlingk. Mein Freund befindet sich in diesem Augenblicke, wie ich vermute, bei Ihrem Herrn Vater, weil er darauf bestand, seine Abrechnung mit Ihrem Hause persönlich ins reine zu bringen.

CURT.
Wenn ihm das Vergnügen macht!
TRAST.
Er suchte bei dieser Gelegenheit auch eine Unterredung mit Ihnen!
CURT.
Die kann er haben, Herr Graf!
TRAST.

In einer Stunde wird mein Freund dieses Etablissement verlassen haben ... In Anbetracht der begreiflichen Erregung, in der er sich befindet, wäre es zweckmäßig für beide Teile, wenn während dieser Zeit ein Begegnen zwischen Ihnen vermieden würde.

LOTHAR.
Herr Graf, ein Appell an die Feigheit hat in deutschen Herzen noch nie einen Widerhall gefunden.
TRAST
ruhig.

Herr Lieutenant, ich habe mir nicht erlaubt, das Wort an Sie zu richten. – Herr Mühlingk, überlegen wir genau. Sie sprechen zu jemandem, dem in diesem Augenblicke Ihr Wohl – nicht aus Sympathie, wie ich freimütig bekenne – von hohem Werte ist ... Ich darf darum wie ein Freund zu Ihnen sprechen. Lassen Sie sich von diesen Herren nicht einschüchtern –

HUGO.
Nein, laß dich von uns nicht einschüchtern!
TRAST.

Und geben Sie dem Gefühle Raum, das Ihnen sagt: Ich darf auf das Unrecht nicht trotzen, das ich jenem Manne angetan habe. Sie schweigen. Nicht wahr – Sie erfüllen meine Bitte?

LOTHAR
hinter ihm, leise.
Nun aber korrekt!
CURT.

Ich schweige, Herr Graf, weil ich nach Worten suche, um Ihnen mein Erstaunen über Ihr seltsames Auftreten gebührend zu kennzeichnen.


Alle stehen auf.
LOTHAR
hinter ihm, leise.
Ganz gut! Ganz gut!
[92]
CURT.
Und ich frage hiermit, was berechtigt Sie, in meinem Hause eine solche Forderung an mich zu stellen?
TRAST.
Eine Forderung, die Sie ablehnen?
CURT.
Zweifeln Sie daran, Herr Graf?
LOTHAR
leise.
Etwas schneidiger – schneidiger.
TRAST
beiseite.

Also ein Gewaltsmittel! Laut. Ja, ich zweifelte daran, denn ich hegte noch eine leise Hoffnung, es mit einem Ehrenmanne zu tun zu haben ... Pardon – ich täuschte mich.

CURT.
Herr – das ist – –
TRAST.
Eine Beschimpfung – ja wohl!
CURT.
Für die Sie mir Rechenschaft geben werden!
TRAST.
Ich verlange nichts Besseres!
CURT.
Sie werden morgen von mir hören!
TRAST.

Morgen? Schläft man bei Ihnen mit – dergleichen? Ich bin gewohnt, einen Schimpf auf der Stelle zu sühnen.

CURT
würgend.
Auch das!
TRAST
beiseite.
Gott sei Dank! Laut. Gehn wir also!
LOTHAR
dazwischentretend.

Immer korrekt, lieber Curt! Du als Kontrahierender hast mit dem Herrn nichts mehr zu verhandeln! Scharf. Erstens, Herr Graf, verlangt der Ehrenkodex, daß der Forderer sowohl wie der Geforderte vierundzwanzig Stunden Frist erhält, um seine Angelegenheiten zu ordnen. – Wir – mein Mandant und ich – würden von diesem Rechte Gebrauch machen, wenn wir nicht – und nun komme ich zum zweiten Punkte – auf das Vergnügen verzichten müßten, so etwas wie eine Genugtuung zu verlangen, denn Sie, geehrter Herr, haben uns nicht beleidigt ...

TRAST.
Ah!
LOTHAR.
Sie gehören nicht zu denjenigen, die uns beleidigen können.
TRAST
belustigt.
So, so!
LOTHAR.

Erinnern Sie sich gefälligst, daß der Graf von Trast-Saarberg am 25. Juni 1864 – wie ich nunmehr aus den Registern ersehen habe – wegen nicht bezahlter Spielschulden [93] mit schlichtem Abschied entlassen wurde. – Und hiermit – Verneigt sich nachlässig. Herr Graf! – –

TRAST
bricht in ein helles Gelächter aus.

Meine Herren, ich danke Ihnen herzlich für die empfangene Lektion ... Ich habe sie vollauf verdient ... denn das größte Verbrechen auf Erden ist die Inkonsequenz ... Und vor allem lern ich eins. Man mag sich über die moderne Ehre noch so erhaben wissen, man muß ihr Sklave bleiben, und sei's allein, um einem armen Teufel von Freund aus der Patsche zu helfen. – Meine Herren, ich habe die Ehre! ... Pardon, ich habe sie nicht! ... Sie sprechen sie mir ab ... So bleibt mir also nur das ganz gemeine Vergnügen, mich Ihnen zu empfehlen – doch das ist um so größer. Verbeugt sich lachend – ab.

6. Szene
Sechste Szene
Curt. Lothar. Hugo.

HUGO.
Nun sitzen wir da mit unserer Ehre und sind wieder die Blamierten.
LOTHAR.
Wir benahmen uns ganz korrekt.
HUGO.
Aber, Lothar, der Kaffee, der Kaffee!
LOTHAR.

Man muß sich seine Ehre etwas kosten lassen, mein Lieber. Es freut mich, daß ich dir diesen Dienst habe leisten können, lieber Curt ... Was hättest du ohne mich wohl angefangen? – Auf heute abend also!

CURT.
Wollt Ihr schon nach der Stadt zurück?
LOTHAR.
Ja wohl.
CURT.
Ich begleite Euch.
LOTHAR.
Oh! Das sähe ja aus, als wolltest du dem saubern Herrn Bruder aus dem Wege gehen!
CURT.
Was fällt dir ein?
LOTHAR.

Soll sich der Graf ins Fäustchen lachen? – Jetzt ist es sogar deine Pflicht, eine Begegnung herbeizuführen.

CURT.
Das nun wohl nicht.
[94]
LOTHAR.
Deine Pflicht, sage ich, falls du nicht das Odium eines Feiglings auf dich nehmen willst.
7. Szene
Siebente Szene
Mühlingk mit Pelz und Hut von hinten. Hinter ihm Wilhelm.

MÜHLINGK
Wilhelm den Pelz zuwerfend.

Was fällt dem Menschen ein, mich in meinem Comptoir zu belagern? – Guten Tag, meine Herren ... Lassen Sie ihm die Bücher abfordern und sagen Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren! ... Wilhelm ab. Curt, warum weichst du mir aus? ... Wir haben ein Hühnchen zu pflücken, das weißt du doch!

CURT
leise zu den Freunden.
Jetzt krieg ich meine Pauke ... Rettet Euch!
HUGO.
Herr Kommerzienrat – unsere Zeit ist leider –
MÜHLINGK.
Adieu, meine Herren, bedaure unendlich – adieu!
LOTHAR
leise.
Du wirst uns von der Begegnung erzählen.

Lothar und Hugo ab.
8. Szene
Achte Szene
Mühlingk. Curt.

MÜHLINGK.

Ich habe diesmal die Angelegenheit noch glücklich ins reine gebracht. – Mit welchen Opfern, weiß der Himmel! Ich werde damit dein Konto belasten. – Nun zu der moralischen Seite der Sache!

[95]
9. Szene
Neunte Szene
Die Vorigen. Frau Mühlingk von hinten. – Später Lenore von links.

CURT
für sich.
Da kommt auch noch die Alte ... Das kann schön werden.
FRAU MÜHLINGK.
O Curt, Cutt!
CURT.
Ja, Mama!
FRAU MÜHLINGK
setzt sich.

Du hast deinen Eltern viel Kummer bereitet, mein Sohn. Daß dein alter Vater gezwungen war, mit solchem Gesindel zu unterhandeln, Lenore von links. wie ist das schmutzig, wie ist das erniedrigend für uns! Zu Lenoren. Was willst du hier?

LENORE.
Ich muß mit Euch sprechen.
MÜHLINGK.
Wir haben jetzt keine Zeit. – Geh auf dein Zimmer.
LENORE.

Nein, Papa. Ich kann die Rolle der schweigenden Haustochter in diesem Falle nicht spielen. – Bin ich ein Mitglied der Familie, so will ich auch zu Rate gezogen werden.

MÜHLINGK.
Was bedeutet diese Feierlichkeit?
LENORE.
In unserem Hause hat sich heut ein unglückseliger Vorfall abgespielt.
MÜHLINGK.
Daß ich nicht wüßte! –
LENORE.

Ihr braucht mir nichts zu verheimlichen. Es schickte sich wohl nach den Gesetzen der Heuchelei, die man uns sogenannten jungen Mädchen auferlegt, daß ich die Augen niederschlage und die Nichts-Verstehende spiele. Aber das geht in diesem Falle nicht an. Ich habe alles erfahren.

FRAU MÜHLINGK.
Und du schämst dich nicht ...?
LENORE
bitter.
Ja, ich schäme mich.
MÜHLINGK.
Weißt du, mit wem du sprichst? Du bist von Sinnen.
LENORE.

Hab ich mich im Ton vergriffen, so vergebt mir. Ich will Euch ja weich stimmen und nicht erzürnen ... [96] Vielleicht bin ich wirklich eine schlechte Tochter gewesen ... Vielleicht habe ich wirklich nicht das Recht, einen eigenen Gedanken zu fassen, so lang ich nicht das eigene Brot esse ... Wenn es so ist, versucht mir zu vergeben ... Ich will tausendfach wiedergutmachen. – Aber habt Einsicht, gebt ihm seine Ehre wieder. –

MÜHLINGK.

Ich will dich gar nicht einmal fragen: was geht dich der Mensch eigentlich an? aber sag mal – was verstehst du darunter: die Ehre wiedergeben?

LENORE.

Mein Gott, wenigstens den guten Willen müßt Ihr haben, wiedergutzumachen, dann werden wir Mittel und Wege schon finden.

MÜHLINGK.

Meinst du? Setze dich mal nieder, mein Kind. – Ich will meiner Gewohnheit gemäß auch diesmal Milde walten lassen und dich mit Gründen zur Vernunft zu bringen suchen, wiewohl ein strenger Verweis vielleicht mehr am Platze wäre ... Sieh dir einmal diesen grauen Kopf an. Darauf hat sich viel Ehre zusammengehäuft, und doch habe ich mich mit dem sogenannten Ehrgefühl niemals abgegeben ... Ach, was muß man alles im Leben einstecken und darf nicht »Hum« sagen, wenn man in die Höhe kommen will. Da ist nun ein junger Mensch, dem ich, wie du sagst, die Ehre genommen habe. Nehmen wir an, du hättest recht ... Ich beklage tief den Leichtsinn deines Bruders ... Aber, wer heißt dem jungen Menschen eine Ehre haben? Wo hat er sie her? Etwa aus seiner Familie? Oder aus meinem Geschäft? ... Meine Commis sind keine Malteserritter ... Gut, du sagst, er hatte sie ... und ich soll sie ihm wiedergeben ... Wodurch? Etwa dadurch, daß ich das Mädchen zu meiner Schwiegertochter mache?

FRAU MÜHLINGK.
Ich muß dich bitten, Theodor, auch im Scherze solche Dinge nicht in den Mund zu nehmen ...
MÜHLINGK.

Dadurch würde ich mich und mein Haus ins Unglück stürzen. Der junge Mann hat's dagegen in seiner Hand, sich über die Geschichte hinwegzusetzen. Tut er's [97] nicht und tritt die Frage an mich heran: Wer soll unglücklich werden, wir oder er? So antwort ich: Er soll unglücklich werden, ich spüre keine Lust dazu. – So habe ich's mein Lebtag gehalten, und ein jeder kennt mich als Ehrenmann.

LENORE
aufstehend.
Vater, ist das dein letztes Wort?
MÜHLINGK.
Mein letztes Wort. Jetzt komm, gib mir einen Kuß und bitte deine Mutter um Verzeihung.
LENORE
weicht schaudernd zurück.
Laß mich. Ich kann dich nicht belügen!
MÜHLINGK.
Was heißt das?
LENORE.

Vater, ich fühle, daß ich in allem Unrecht habe, ich fühle, daß ich Unmögliches von Euch verlange. Ich müßte die Welt ganz anders kennen, um dir gewachsen zu sein – aber – Hält plötzlich inne und lauscht hinaus – Stimmen auf dem Korridor.

MÜHLINGK.
Aber? –
LENORE
für sich.
Da ist er! – Aber – – – o ich kann nicht mehr.
10. Szene
Zehnte Szene
Die Vorigen. Wilhelm.

WILHELM.
Der junge Herr Heinecke aus dem Hinterhause ist wieder da.

Curt erschrickt.
MÜHLINGK.
Haben Sie nicht bestellt, was ich ihm sagen ließ?
WILHELM.
Ja wohl, Herr Kommerzienrat, aber er ist mir vom Comptoir hierher gefolgt.
MÜHLINGK.
Das ist ja eine unerhörte Dreistigkeit ... Wenn er nicht auf der Stelle –
CURT.
Verzeih, Papa. – Vielleicht will er sich nur bedanken ... Ich glaub, er hat alle Ursache dazu.
MÜHLINGK.
Solches Volk bedankt sich nie.
CURT.
Er hat ja wohl auch Geldbeträge abzuliefern.
MÜHLINGK.
Natürlich.
[98]
CURT.
Am Ende hapert hinterher was – und dann ist er über alle Berge.
MÜHLINGK.
Meinetwegen also – er soll kommen.

Wilhelm ab.
FRAU MÜHLINGK.
Wir ziehen uns zurück, Lenore!
LENORE
rasch gedämpft.
Curt!
CURT.
Beliebt?
LENORE.
Nimm dich in acht!
CURT
der seine Ängstlichkeit zu verstecken sucht.
Pah!

Frau Mühlingk und Lenore ab.
MÜHLINGK.
Setze dich. – Das macht sich besser.
11. Szene
Elfte Szene
Curt. Mühlingk. Robert. Robert scheinbar ganz ruhig, in gemessen dienstlicher Haltung, die Mappe unter dem Arm.

MÜHLINGK.

Sie waren etwas dringlich, lieber Herr ... Nun, ich tadle Pflichteifer nie, am allerwenigsten, wenn er noch in der letzten Minute eines Dienstverhältnisses vorhält ... Setzen Sie sich nur.

ROBERT.
Wenn Sie gestatten, so bleib ich stehen! ...
MÜHLINGK.

Ganz wie Sie wollen ... Von meinem Neffen ist mir schon gestern berichtet worden. – Es geht ihm gut ... er amüsiert sich ... ein wenig zu sehr, wie Graf Trast mir sagte ... Nun, das Kavaliertum liegt den Herren aus guter Familie im Blute ... Sie haben die Jahresabschlüsse hoffentlich schon mitgebracht?

ROBERT.
Ja wohl. –
MÜHLINGK.
Und?
ROBERT
sucht in der Mappe und reicht ihm ein Blatt über den Tisch.
Ich bitte.
CURT
der den Unbefangenen spielt.
Darf ich mit hineinsehen, Papa?
MÜHLINGK.
Ja, ja. – Oder vielleicht haben Sie eine Kopie bei sich.
[99]
ROBERT.
Ja wohl.
MÜHLINGK.
Bitte, geben Sie sie meinem Sohne.
CURT
geht ihm entgegen.
Die beiden stehen sich einen Augenblick gegenüber und messen sich mit den Augen.
MÜHLINGK.
Soviel ich auf den ersten Blick sehe, macht sich das ganz nett. Der Reingewinn beträgt – –
ROBERT
in die Mappe sehend.
116227 Gulden.
MÜHLINGK.
Der holländische Gulden zu 1 Mark 70 macht ... Curt, rechne mit.
ROBERT.
197585 Mark.
MÜHLINGK.
8 – 1 – 3 – 5 – 8. Ganz recht ... 197585 Mark und 90 Pfennig. Curt, du rechnest ja nicht mit?
CURT.
Und 90 Pfennige. Ja wohl Papa.
MÜHLINGK.
Hm ... Und beim Kaffee ein so winziger Ertrag. Was bedeutet das?
ROBERT
ihm ein Blatt überreichend.

Hier das Spezialconto. Ich war in der Lage, die Kaffeekrisis, die durch die brasilianische Konkurrenz hervorgerufen worden ist, vorhersehen zu können und habe infolgedessen 5/6 des Areals mit Tee bebaut.

MÜHLINGK.
Sie?
ROBERT.
Ja, Herr Kommerzienrat, ich!
CURT.
Merkwürdig.
MÜHLINGK.
Und wie steht die Chinarinde?
ROBERT.
Hier das Konto

Reicht ihm wiederum ein Blatt.
MÜHLINGK.
Auch nicht hervorragend. Wo liegt also die Unterlage der günstigen Bilanz?
ROBERT.

Als gewinnbringend haben sich erwiesen die Versuche mit Sumatratabak Reicht ein Blatt hinüber. und vor allem der Übergang zur Teekultur.

MÜHLINGK.
Sie haben dieses Wagestück nach eigenem Gutdünken unternommen?
ROBERT.
Nicht so ganz. Ich folgte einem Winke, den mir mein Freund, Graf Trast, gegeben hatte.
MÜHLINGK.
Und mein Neffe hat diese Operation gebilligt?
ROBERT.
Nachträglich – gewiß.
[100]
MÜHLINGK.
Du hast recht, lieber Curt – das ist sehr merkwürdig.
ROBERT.
Haben die Herren noch andere Fragen an mich zu richten?
MÜHLINGK.

Nach der Art und Weise, wie Sie sich hier benehmen, scheint es, oder soll es scheinen, als ob Sie auf Java die Geschäfte meines Hauses selbständig geführt haben. Wie verhält sich das?

ROBERT.
Da ich Prokura hatte, Herr Kommerzienrat –
MÜHLINGK.
Und wo war mein Neffe unterdessen?
ROBERT.
Auf diese Frage in ihrer Allgemeinheit weiß ich nichts zu antworten, Herr Kommerzienrat.
MÜHLINGK.
Kam mein Neffe denn nicht täglich aufs Comptoir?
ROBERT.
Nein, Herr Kommerzienrat.
MÜHLINGK
immer erregter.
Wann kam er also?
ROBERT.
Wenn die Hamburger Post fällig war und wenn er Geld erhob.
CURT.
Wollen Sie damit sagen, daß mein Vetter seine Pflichten vernachlässigte?
ROBERT.
Ich will nichts damit sagen, als ich gesagt habe.
MÜHLINGK.
So erklären Sie mir gefälligst –
ROBERT.

Über das Privatleben meines bisherigen Vorgesetzten Auskunft zu erteilen, fühl ich mich nicht berufen.

CURT.
Aber, ihn anzuschwärzen, dazu fühlen Sie sich berufen?
ROBERT
will gegen ihn auffahren, bezwingt sich aber.
Wünschen die Herren noch weitere Fragen an mich zu richten?
MÜHLINGK.
Was haben Sie an Geldern mitgebracht?
ROBERT.
Ich habe Wechsel auf verschiedene Banken im Betrage von 95000 Gulden. Hier sind sie.
MÜHLINGK.
Curt – prüfe das ...

Die beiden stehen sich wiederum gegenüber. – Stummes Spiel. – Curt nimmt die Wechsel aus
Roberts Hand und sieht sie durch.
[101]
ROBERT.
Sind Sie nun fertig, Herr Kommerzienrat?
MÜHLINGK.
Warten Sie ein wenig.

Pause.
CURT.
Es stimmt.
MÜHLINGK.

Also, mein lieber Herr – Heinecke, ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihren ferneren Lebensweg ... Bleiben Sie ein tüchtiger Mensch und vergessen Sie nicht, was Sie meinem Hause schuldig sind.

ROBERT.

Nein, Herr Kommerzienrat, das vergesse ich nicht. Hier sind 40000 Mark, die Sie die Güte hatten, meinem Vater zu übergeben.

MÜHLINGK.
Diese 40000 Mark waren ein Geschenk und kein Darlehn ...
ROBERT.
Trotzdem fühl ich mich für die Rückerstattung verantwortlich.
MÜHLINGK.
Sind Sie von Ihrem Vater beauftragt, mir das Geld zurückzugeben?
ROBERT.
Nein, das bin ich nicht.
MÜHLINGK.
Das Geld ist also Ihr eigenes?
ROBERT.
Jawohl.
MÜHLINGK.
So, so.
CURT.

Findest du es nicht interessant, Papa, daß unser Herr Heinecke Ersparnisse in dieser Höhe hat machen können?

ROBERT
besinnt sich eine Weile, faßt die Bedeutung des Wortes, schreit auf und stürzt, die Pistole hervorreißend, auf Curt los, ihn an der Kehle packend.
Schurke – widerrufe – widerrufe!
MÜHLINGK.
Zu Hülfe! Zu Hülfe! –
12. Szene
Zwölfte Szene
Die Vorigen. Lenore. Dann Frau Mühlingk.

LENORE
vorstürzend.
Robert, haben Sie Erbarmen!

Robert läßt bei ihrem Anblick die Pistole fallen und taumelt, das Gesicht in den Händen, zurück. Curt sinkt, nach Luft ringend, auf das Sofa.
[102]
FRAU MÜHLINGK
durch die Mitteltür.
Was gibt es? Curt! Eilt zu ihm. Hülfe, Mörder, Mörder! – So klingle doch, Theodor!
MÜHLINGK.
Stille, stille. Es ist keine Gefahr mehr. – Was wollen Sie noch! Gehn Sie!
ROBERT.

Als Dieb, nicht wahr? Bewegung Lenorens. Ja, Lenore, damit Sie's wissen: Ersparnisse hab ich gemacht! Ein Dieb bin ich!

LENORE.
Vater! Um Gotteswillen – was habt Ihr getan?
ROBERT.

Gut. Dies ist der Tag der Abrechnung. Machen wir also das Konto klar ... Das Konto zwischen den Vorder- und den Hinterhäusern. Wir arbeiten für Euch ... wir geben unsern Schweiß und unser Herzblut für Euch hin ... Derweilen verführt Ihr unsere Schwestern und unsere Töchter und bezahlt uns ihre Schande mit dem Gelde, das wir Euch verdient haben ... Das nennt Ihr Wohltaten erweisen! – Ich habe mit Nägeln und Zähnen um Euern Gewinnst gerungen und nach keinem Lohne gefragt. – Ich habe zu Euch emporgeschaut, wie man zu Heiligen emporschaut ... Ihr wart mein Glaube und meine Religion ... Und was tatet Ihr? – Ihr stahlt mir die Ehre meines Hauses, denn ehrlich war es, wenn's auch Euer Hinterhaus war. – Ihr stahlt mir die Herzen der Meinigen, denn ob sie auch schmutzige Bettler sind, lieb hatt' ich sie doch – Ihr stahlt mir das Kissen, auf dem ich mein Haupt niederlegen wollte, um auszuruhn von der Arbeit für Euch – Ihr stahlt mir den Heimatsboden – Ihr stahlt mir die Liebe zu den Menschen und das Vertrauen zu Gott – Ihr stahlt mir Frieden, Schamgefühl und gutes Gewissen – die Sonne vom Himmel habt Ihr mir herabgestohlen – Ihr seid die Diebe – Ihr!

MÜHLINGK
nach einem Schweigen.
Soll ich Sie durch die Dienerschaft vor die Türe werfen lassen?
LENORE
tritt dazwischen.
Das wird nicht geschehen, Vater!
MÜHLINGK.
Was? du?
LENORE.

Er wird freiwillig und ungekränkt von dannen [103] gehn. Oder, Vater, du läßt mich auch vor die Türe werfen.

ROBERT.
Lenore, was wollen Sie tun?
LENORE.
Vater, hast du nicht ein Wort der Abbitte für ihn? Nicht ein einziges Wort?
MÜHLINGK.
Du bist wahnsinnig!
ROBERT.

Lassen Sie, Lenore! ... Ich werde mit – Dankbarkeit an Sie denken, solange ich lebe ... Ich laß in Ihnen das zurück, was man Heimat nennt ... Seien Sie gesegnet für alles ... Und nun leben Sie wohl! ...


Geht zur Tür.
LENORE
mit leidenschaftlichem Aufschrei ihm nachstürzend und ihn umklammernd.
Geh nicht! ... Geh nicht! ... Und wenn du gehst, so nimm mich mit!
ROBERT.
Lenore!
MÜHLINGK.
Was be –?
LENORE.

Laß mich nicht allein! Mich friert zwischen diesen Wänden! ... Du bist meine Heimat auch! ... Du bist sie immer gewesen! ... Sieh, ich hab mich dir an den Hals geworfen! Du kannst mich nicht mehr von dir stoßen!

MÜHLINGK.
Ach – was für ein Skandal!
LENORE.

Lieber Vater, wir wollen nicht auf einander wüten. Ich liebe diesen Mann. Für das, was Ihr ihm nahmt, biet ich ihm zum Ersatz das an, was ich habe. Halb zu Robert. Ich habe zwar nichts mehr, als mich selbst. – Will er das – – –

ROBERT.
Lenore!
13. Szene
Dreizehnte Szene
Die Vorigen. Trast.

TRAST.
Was ist hier vorgegangen?
LENORE
eilt ihm entgegen.

Ich danke Ihnen, mein verehrter Freund, Sie haben mir den rechten Weg gewiesen. Robert, schaffen wir uns eine neue Heimat, eine neue Pflicht!

ROBERT
mit einem Blick auf Curt, der wie betäubt dasitzt, [104] in nachklingender Erbitterung.
Und eine neue Ehre!

Er umfängt sie.
FRAU MÜHLINGK.
Das ist also unser Dank, Theodor.
LENORE.

Vater, Mutter, ich bitt Euch nicht um Verzeihung, denn was ich tue, muß ich tun. Ich fühl's, das kann kein Unrecht sein. Aber ich fleh Euch an: Denkt in Frieden an mich.

MÜHLINGK.
So? Und du meinst, du wirst dieses Haus verlassen, ohne daß man dir sagt, wer du bist? ... du –

Erhebt wie zum Fluche die Arme.
TRAST
tritt neben ihn.

Nicht doch, Herr Kommerzienrat. – Warum wollen Sie sich mit Fluchen strapazieren? Leiser. Und übrigens im Vertrauen: Ihre Tochter macht keine so schlechte Partie. Der junge Mann da wird mein Sozius und da ich keine Anverwandten habe, auch mein Erbe!

MÜHLINGK.
Aber – Herr Graf, – warum haben Sie das nicht – – –
TRAST
rasch drei Schritte zurücktretend, die Hände abwehrend erhoben.
Ihren geehrten Segen erbitte schriftlich!

Folgt den beiden zur Tür.
Der Vorhang fällt.

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TextGrid Repository (2012). Sudermann, Hermann. Dramen. Die Ehre. Die Ehre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-397B-3