Karoline Pichler
Agathokles

[3]

1. Calpurnia an Sulpicien

1. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im December 300.


Welcher Einfall von Sulpicien, in diesen Tagen auf's Land zu gehen, und den Zeitpunkt, worin die Hauptstadt der Welt in ihrem glänzendsten Lichte erscheint, auf einer einsamen Villa am Ufer der See zuzubringen, die in dieser Jahreszeit von Stürmen gepeitscht und mit Nebeln bedeckt ist! Was, um aller Götter willen, kann sie dort halten? Wie ist es möglich, allen Freuden und Herrlichkeiten der Saturnalien 1 zu entsagen, um in der abgeschiedensten Einsamkeit sich selbst zu leben?

Sich selbst! nicht doch. Wer das nicht besser wüßte! Laß immerhin die Welt ist jene Ausrufungen ausbrechen, und vergebens rathen, was dich jetzt in jene Stille lockt: sie soll und darf die heimlichen Reize nicht kennen, die deine Verborgenheit verschönern. Das ist recht und in der Ordnung. Aber daß du auch mir ein Geheimniß daraus machen willst, das kann ich dir nicht verzeihen. Ich [4] darf ja nur Einen Namen nennen, um dein Gesicht mit dem schönsten Purpur zu überziehen, und dich, falls du den Brief in Gegenwart einer gewissen Person liefest, noch reizender zu machen! Aber da würde dir ja ein Dienst damit geschehen, und das will ich in diesem Augenblicke nicht. Es sey dir genug, zu wissen, daß ich von Allem unterrichtet bin, und deine Zurückhaltung dir nichts nützt. Wahrlich, du machst deine Sachen schlau und gut! Unter dem Verwande der Sorgfalt für deine Landwirthschaft erhältst du von deinem Manne die Erlaubniß, und einen großen Dank obendrein, jetzt auf deine Villa zu gehen, um den nachlässigen Verwalter zu überraschen, und – während der gute Ehemann in Rom die Emsigkeit seiner Frau nicht genug rühmen kann, hat sie sich nur Gelegenheit verschafft, ihren Liebling ganz ungestört und nach Gefallen zu sehen.

Doch Scherz bei Seite, liebe Freundin! Die Sache hat eine viel zu ernste Seite, als daß ich länger in jenem Tone fortfahren könnte. Wie war es dir möglich, diesen Schritt zu wagen, und die Augen ganz vor den Folgen, die er wahrscheinlich haben wird, zu verschließen? Tiridates ist liebenswürdig, tapfer, edel, seine königliche Abkunft, sein und seiner Familie Unglück macht ihn anziehend, und ich begreife wohl, daß er einem feinfühlenden gebildeten Weibe, besonders einem, das leider in seinem Hause nichts solches aufzuweisen hat, gefährlich werden kann; ich begreife, daß du ihn liebst: und daß er dich, die schöne geistreiche Frau, dafür anbetet, ist nicht mehr als seine Schuldigkeit. Aber muß man darum so halsbrechende Dinge wagen? Du konntest ja den armenischen Prinzen täglich in deinem Hause sehen. Dein[4] Mann, ich weiß es, schätzt sich's zur Ehre, den Liebling des Cäsar Galerius 2 seinen Freund nennen zu können. Er prahlt damit, er gibt sich das Ansehen, die Absichten des Prinzen durch sich und seine Freunde an den Höfen von Mailand und Nikomedien zu unterstützen, und wenn einst Tiridates den Thron seiner Väter besteigt – gib Acht – dein Serranus läßt dann nicht undeutlich merken, [5] daß ohne ihn das Alles wohl nicht geschehen wäre. Was trieb dich denn also fort? Was bewog dich, jetzt nach Bajä zu gehen, wo dein Umgang mit Tiridates weit mehr auffallen muß, als in Rom, und deine häusliche Ruhe, deinen Ruf vor der Welt auf's Spiel zu setzen? Wenn dein Mann, der, wie alle eitle Menschen, eifersüchtig ist, erfährt, was auf seiner Villa vorgeht, (und wie leicht ist das nicht, da deine Leute darum wissen müssen?) wird er nicht toben, rasen und ein Aufsehen machen, das dich dem boshaftesten Gelächter der Stadt Preis geben, dir die Herrschaft über ihn, die allein deine häusliche Ruhe sichert, entreißen, und dir den Aufenthalt bei ihm vollends unerträglich machen wird? Willst du dich dann von ihm trennen? Wird das dein Vater zugeben, der in die Verbindung mit der Anicischen Familie seinen Stolz setzt? Und was steht dir dann für ein Leben bevor?

Es ist wahr, du kannst in Nom deinen Tiridates weder so oft noch so ungestört sehen, als dein Herz wünschen mag. Dein Mann, die Freunde deines Mannes, deine Verwandten, die dich besuchen, sind öfters zugegen. Das ist aber auch das Einzige, was du zu ertragen hast, und – aufrichtig gesprochen – liegt nicht selbst in dieser Störung, in diesen Entbehrungen ganz eigentlich die Würze der Liebe, die wohl ohne sie gewiß nicht halb so warm und reizend seyn würde?

Du nennst mich immer die Leichtsinnige, die Epikuräerin; aber du kennst entweder die Lehren dieses Weisen nicht in ihrem ganzen Umfange, oder du schließest die Augen absichtlich vor ihrem Werth. Kluges Maaß, sparsamer Genuß der Freude, Kraft zur Entbehrung des Liebsten, wenn es die Vernunft fordert, das ist es, was man [6] in seiner Schule lernt, die bei weitem nicht so leicht, so locker ist, als du glaubst. Ich an deinem Platze, zum Beispiel, würde nicht nach Bajä 3 gegangen seyn, ich würde mir den Genuß der Freuden, die mich dort erwarteten, aus Grundsätzen versagt haben, und meinen Geliebten lieber seltner, und mit minderer Freiheit sehen, um ihn immer sehen zu können; den großen Vortheil abgerechnet, daß unsre gegenseitige Liebe dann viel länger neu und anziehend geblieben, und mit dem großen Reize der Heimlichkeit gewürzt gewesen wäre.

Du siehst, meine Sulpicia, daß ich besonnener und klüger bin, als du glaubst, und jener Leichtsinn, jene Kälte, die du mir so oft vorwirfst, ist nichts als Ausübung wohl überdachter Grundsätze. Sogar die Lehren der strengen Stoa, die du einst so warm behauptet, und jetzt so arg verlassen hast, verwerfe ich nicht. Ich erkenne z.B. ganz die tiefe Wahrheit des Satzes, daß man alle Güter der Erde an einen solchen Ort stellen soll, woher sie das Schicksal nehmen kann, ohne das Gebäude unserer Ruhe zu erschüttern 4. An diesen Platz nun würde ich, wenn ich je liebte (und das könnte sich denn wohl ereignen), auch meinen Geliebten stellen; denn der gehört ja, wie dein Beispiel mich lehrt, ganz vorzüglich zu den edelsten Gütern des Lebens.

Doch was helfen alle diese Vorstellungen! Was hälfe die Beredtsamkeit eines Cicero, gegen die Macht einer Leidenschaft, deren zerstörende Wirkungen ich mit Bedauern [7] an meinen Freunden erfahre, und vor denen mich die gütigen Götter bewahren mögen! Ohne also nur im Geringsten zu hoffen, daß mein Brief dich bekehren werde, will ich blos hiemit die Pflicht der Freundschaft erfüllt und dich gewarnt haben, zugleich aber dich versichern, daß, was auch der Ausgang der Begebenheiten seyn möge, mein Herz, meine Liebe zu dir unverändert bleiben wird, und daß ich meinen Stolz darein setzen werde, wenn – was die Götter verhüten – die Sache schlimm abläuft, dich nie zu verlassen, und aus allen meinen Kräften dein böses Schicksal entweder abzuwehren, oder redlich mit dir zu tragen. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Die Saturnalien waren eines der glänzendsten und allgemeinsten Feste in Rom, beinahe das, was jetzt der Carneval ist, und wurden im December gefeiert. Zum Andenken des goldenen Zeitalters, unter Saturns Herrschaft, schien Alles während jener Tage in den Zustand ursprünglicher Gleichheit zurückzutreten; die Sclaven aßen mit ihren Gebietern, und aller Unterschied der Stände hörte auf.

2 Zu der Zeit, in welcher dieser Roman spielt, hatte Rom bereits aufgehört, der Sitz der römischen Kaiser zu seyn. Diocletian, der sich aus dem Sclavenstande zur Würde eines der vornehmst n Offiziers, zum Befehlshaber der k. Leibwache, und nach dem Tode des Kaisers Numerius auf den Thron desselben geschwungen hatte, hatte sich in seinem ehemaligen Waffengenossen und Landsmann Maximian einen Gefährten der Regierung erwählt, und das römische Reich so zwischen ihm und sich getheilt, daß Maximian die Abendländer von Mailand aus, wo er residirte, Diocletian hingegen den östlichen Theil des Reichs in Nikomedien, wohin er seinen Sitz verlegte, beherrschte. Bald darauf fand er nöthig, noch zwei Mitregenten zu erwählen. Maximian gesellte sich den Constantius Chlorus als Cäsar zu, und Diocletian nahm den Galerius in dieser Würde zu sich. Beide Cäsaren standen zu ihren Augusten in dem Verhältniß von Söhnen zu ihren Vätern, auch mußten beide sich von ihren vorigen Gemahlinnen trennen. Maximian gab dem Constantius seine Tochter zur Ehe, und Diocletian vermählte dem Galerius die seinige, Valeria.

Diese vier Beherrscher theilten sich in den weiten Umfang des römischen Reichs. Constantius besaß Gallien, Spanien, Brittannien; Galerius die Ufer der Donau und die illyrischen Provinzen; Maximian Italien und einen Theil von Afrika; Diocletian selbst, Aegypten, Thrazien, und die asiatischen Provinzen. Jeder dieser vier Monarchen war unumschränkt in seinem Bezirke, aber ihr vereinigtes Ansehen erstreckte sich über die ganze Monarchie.

Man sehe Gibbons Geschichte des Verfalls des römischen Reichs, 2ter Theil, woraus überhaupt fast alle geschichtlichen Notizen und Züge in diesem Buche genommen sind.

3 In Bajä, einer der reizendsten Gegenden von Italien, auf dem Wege zwischen Rom und Neapel, hatten die meisten römischen Großen ihre Landhäuser, die sie Villa nannten.

4 Seneca de consolatione.

2. Sulpicia an Calpurnien

2. Sulpicia an Calpurnien.

Bajä, im December 300.


Du liebst nicht, Calpurnia, du wirst nie lieben. – In diesen Worten liegt der Aufschluß zu deinem ganzen Betragen, und zugleich die Antwort auf Alles, was mir deine Freundschaft, die ich mit innigstem Danke erkenne, so wohlmeinend, so vernünftig vorstellt. Glaube nicht, meine geliebte Jugendgespielin, meine warme treue Freundin, daß ich den Werth deiner Grundsätze mißkenne, oder deinem schönen Gemüth auch nur um einen Grad weniger Wärme und Eifer für's Gute zutraue. Du hast Recht – vollkommen – unbestreitbar; aber ich, meine Freundin, obwohl ich das Widerspiel von dir scheine, ich habe auch nicht Unrecht. Und warum? Wir sehen Beide uns selbst, die Welt um uns, und unsere Verhältnisse zu ihr aus einem andern Gesichtspunkte an; wir handeln nach den Regeln, die dieser uns an die Hand gibt; kurz – wir thun Beide, nicht was wir wollen, sondern was wir [8] eben nicht lassen können. Last uns doch, liebe Calpurnia, den eiteln Stolz auf Grundsätze und Systeme aufgeben, in welchen wir ohne Verdienst, blos dem Antriebe der Natur folgen! Wir sind nichts, als was die Umstände aus uns machen wollen. Dich haben sie mit einem leichten Blute, mit vielem Verstande, und einer so glücklichen Proportion deiner Leibes- und Seelenkräfte ausgestattet, daß das Gleichgewicht unter ihnen selten gestört, und gestört, leicht wieder hergestellt wird. Zudem hat dich das Glück in einer großen reichen Familie geboren werden lassen. Die Pisonen bedürfen keiner fremden Unterstützung. Dein Vater hat außer zwei hoffnungsvollen Söhnen – dem Stolz, und den Stützen seines edeln Hauses – nur dich, das Ebenbild einer geliebten längst entschlafenen Gattin. In dir lebt ihm seine Sempronia wieder auf, in dir liebt er Tochter und Weib zugleich, dich wird er nie zu einem Eheband zwingen, das dein Herz verwirft, und ob er gleich wünscht, durch dich einen dritten Sohn zu erhalten, drängt er dich doch nie zu diesem Schritt, und wendet nicht einmal die Waffen der Ueberredung gegen dich an. Du bist also von Natur und Glück zur Epikuräerin bestimmt, ja du bist die geborne Schülerin dieses Weisen.

Mich leitete ein düsteres Temperament, das Unglück eines herabgekommenen Hauses, der Kummer einer geliebten Mutter, die ihr häusliches Leiden standhaft trug, der harte Zwang, unter welchem mein Vater nach alt römischer Sitte das ganze Haus hielt, zu einer ernsteren Schule. Ich glaubte in den Lehren der Stoa die Kraft zu finden, die mich mein Loos ertragen machen sollte. Ich suchte meinen Stolz darin, den Göttern das Schauspiel [9] eines starken, mit seinem feindlichen Schicksal ringenden Gemüthes zu geben 1, und so folgte ich mit keinem besondern Widerwillen dem Befehle meines Vaters, als er, ohne mich zu fragen, laus Rücksichten für seine übrigen Kinder, meine Hand einem Sohne des Anicischen Hauses verhieß. Serranus Anicius wurde mein Gemahl, und ich glaube, ich hatte ihn vorher kaum dreimal, und nie anders als in Gegenwart unserer Verwandten gesehen. Ich fühlte keine besondere Abneigung gegen ihn, aber eine große Neigung, meine Pflichten auf's strengste zu erfüllen. Die Matronen des alten Roms, jene würdigen großen Gestalten der Vorwelt, waren meine Vorbilder: ihnen suchte ich zu gleichen. Wie sie, lebte ich nun in meinem Gynecäum 2, versammelte meine Sclavinnen um mich, arbeitete mit ihnen, und ich kann mit Wahrheit behaupten, daß in den drei Jahren unserer Ehe mein Mann und ich kein anderes Gewand trugen, als was durch meine Hände, oder unter meiner Aufsicht gesponnen, gewoben, genäht oder gestickt wurde. Die volle Zufriedenheit meines Vaters, die unbegränzte Achtung des Serranus war der Lohn meiner Anstrengungen. Die Eitelkeit, seine einzige Leidenschaft, war durch den Gedanken geschmeichelt, eine Frau von ächt römischer Sitte zu besitzen, die sich vor den Meisten ihrer Zeitgenossinnen auszeichnete. Ich war zufrieden – aber bei weitem nicht glücklich.

Da kam Tiridates in unser Haus. Laß mich von dem Eindrucke schweigen, den seine Gestalt, sein Schicksal auf [10] mich gemacht haben. Du weißt es ohne dies, du warst größtentheils Zeugin jener Begebenheiten. Nur das laß mich sagen, daß seit jenem Augenblicke mein ganzes Wesen verändert und umgestaltet war. Laß mich das Gleichniß brauchen, das meine Empfindungen am besten erklärt. In mir war es, wie in einer düstern Nachtgegend, wenn auf einmal Aurora die Pforten des Tages öffnet, und Licht und Wärme durch die kalte Dunkelheit sich ergießt. In mir ward es Licht. Ich wußte, was ich wollte, was mir so lange gefehlt hatte, wozu ich eigentlich auf der Welt war. Diese Leidenschaft hat das Räthsel meines bis dahin zwecklosen Daseyns gelöset – und was hindert mich, mit frommem Glauben der Meinung des göttlichen Plato beizupflichten, und überzeugt zu seyn, daß ich jetzt die zweite Hälfte meines Ichs gefunden habe? Was thut's zur Sache, daß Tiridates an den Ufern des Arares und ich in Rom geboren wurde? Die Seelen, die sich vor ihrer Herabkunft auf die Erde kannten und liebten, haben sich wieder gefunden, und nichts als der Tod kann sie scheiden.

In diesem festen – Glauben? – nein, in dieser unumstößlichen Ueberzeugung wird und kann mich nichts irre machen, und nichts bewegen, auch nur um einen Grad kälter, oder besonnener, wie du es nennst, zu handeln. Tiridates oder den Tod! Es gibt kein Glück, kein Leben, keine Tugend ohne ihn. Mag die Welt sagen, was sie will – mag Serranus durch Argwohn oder Verrath mein Geheimniß entdecken, mag er und mein Vater dann über mich verhängen, was sie wollen – es gilt mir gleich. Achtet der Taucher, der sich in's Meer stürzt, um eine köstliche Perle zu holen, achtet er der Wogen, [11] die über ihn zusammenschlagen? Muß er sie nicht über sich ergehen lassen, wenn er seinen Zweck erreichen will?

Und dann endlich – was kann Serranus von mir fordern, das ich nicht bereit wäre, ihm immer fort so zu leisten, wie bisher? Sein Hauswesen will ich fortan mit pünktlicher Treue besorgen, seine Sclaven und Sclavinnen zur Arbeit anhalten, auf die Wirthschaft, auf seinen Nutzen sehen, wo und wie ich's vermag. Mehr fordert er nicht – mehr bedarf er nicht. Liebe hat er nie verlangt – ich nie gegeben – ihm nie geben können. Sein Herz hat keine Bedürfnisse. Worin wäre er also verkürzt? Ich verletze keine Pflicht gegen ihn, und bin sicher, nie eine zu verletzen; denn dafür, daß mein Umgang mit Tiridates in den Schranken der Tugend bleiben soll – bürgt mir meine Denkart. Uebrigens glaube nicht, daß ich so tief herabsinken würde, ihn zu betrügen. Die Reise nach Bajä war weder mein Vorwand, noch mein Plan. Sie war sein Wunsch – er ersuchte mich darum, weil die Anwesenheit eines von uns jetzt schlechterdings auf der Villa nothwendig war, und er sich nicht entschließen konnte, Rom während der Saturnalien zu verlassen. Er schickt mich – ich gehe gern – denn Tiridates hält sich seiner Geschäfte wegen in Puteoli auf. Ich mache mir kein Verdienst aus dieser Reise, ich will nicht, daß Serranus sie dafür ansehe – es bleibt Alles klar und würdig zwischen ihm und mir.

Doch genug von mir. Jetzt auch ein Weilchen von dir, meine Freundin. Wir haben noch eine kleine Rechnung mit einander abzuthun. Ist es wohl recht von dir, während ich, die Aeltere von uns Beiden, die Matrone, dir, dem Mädchen, meine Geheimnisse aufdecke, so verschlossen [12] gegen mich zu seyn? Woher weißt du meine Zusammenkünfte mit Tiridates? Woher kömmt dir diese Allwissenheit? Soll ich glauben, du könntest wie eine thessalische Zauberin das Verborgene errathen? O halte mich nicht für leichtgläubig, weil ich so offenherzig bin. Soll auch ich dir einen Namen nennen, um dein Gesicht mit Purpur zu überziehen? Agathokles? – Nicht? Er, der Freund des armenischen Prinzen, der Sohn des Hegesippus, der Gastfreund deines Hauses, ist jetzt in Rom, täglich in eurem Hause, ja ich glaube, er wohnt bei euch. Er ist edel, verständig, und ein düster glühender Schwärmer für Alles, was ihm Größe und Tugend scheint. Wie könnte es anders seyn, als daß die schöne blühende Römerin, mit allen Vorzügen, die Natur und Fleiß einem weiblichen Wesen geben können, geschmückt, den Beifall des feinen Kenners alles Schönen und Guten erhalten mußte, daß der liebenswürdige Sonderling zuerst Achtung, und dann vielleicht auch eine wärmere Empfindung für diese seltne Erscheinung fühlte. Erröthe nicht, Calpurnia! Agathokles ist deiner würdig. Wenn ich wieder in Rom seyn werde, werde ich dir viel Schönes und Schätzbares von ihm erzählen, das ich durch Tiridates von ihm erfuhr, das aber für einen Brief viel zu lang wäre. Leb' wohl, liebe Calpurnia, und zürne mir nicht, daß ich nicht wollen kann, weise und besonnen seyn. Bald hoffe ich bei dir in Rom zu seyn, denn ich denke mit meinen Geschäften hier nicht sehr lange zu thun zu haben. Ich habe die Villa in einem sehr zerrütteten Zustande angetroffen – wie es denn bei der gänzlichen Abwesenheit der Gebieter, wo Alles dem Gesinde überlassen wurde, nicht anders zu vermuthen war. Indessen [13] habe ich mancherlei Anstalten und Einrichtungen getroffen, mit denen Serranus, wie ich glaube, zufrieden seyn wird, und die künftigen Unordnungen vorbeugen sollen. Sobald Alles in gehörigem Gange ist, eile ich in deine Arme.

Fußnoten

1 Seneca de Providentia.

2 So hieß der Ort des Hauses, in welchem die Frauen abgesondert wohnten.

3. Calpurnia an Sulpicien

3. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im Jänner 301.


Bald hätte mich dein Brief böse gemacht, wenn ich dir überhaupt jemals zürnen könnte, und wenn mich nicht die feinen Schmeicheleien am Ende wieder besänftiget hätten. Von dir sage ich also nichts mehr. Du scheinst es nicht zu wollen – und kannst auch jetzt nicht hören. Dir darzuthun, daß die Leidenschaft, die dich beherrscht, deine gesunde Vernunft gefangen halt, und dich Alles durch das gefärbte Glas ihrer Eingebungen ansehen läßt, würde eben so vergeblich seyn, als wenn ich mich jetzt an's Ufer des Meeres hinstellte, um den Fischen den Homer vorzulesen. Alles, was ich hinzufügen will, ist der fromme und gewiß herzliche Wunsch, daß die Bezauberung, in der ich dich zu meiner Betrübniß sehe, eher aufhören möge, als es für deine Ruhe zu spät ist.

Nun also von mir und unserm Gastfreunde. Wie kannst du glauben, daß ich dir etwas verschweigen wollte? Gewiß, der Gedanke kam nicht in meine Seele. Ich schrieb dir nicht von ihm, weil – weil ich nicht an ihn dachte, weil deine Angelegenheit mich zu sehr beschäftigte, um andern Gedanken Raum zu lassen. Du nennst ihn einen Sonderling, darin hast du vollkommen Recht – aber auch einen liebens würdigen? O da fehlt noch viel! Erstlich ist seine Gestalt, obwohl edel und bedeutend, doch [14] nichts weniger als schön. Zweitens ist seine Art, sich zu kleiden, viel zu einfach, ja beinahe nachlässig, und er wird nie zwischen allen den schöngelockten, geschmückten, von Salben duftenden Jünglingen, die uns umschwärmen, einen vortheilhaften Eindruck machen. Drittens ist mir seine Tugend und Philosophie zu rauh, zu düster. Er kömmt auch mit Niemand besser aus, als mit deinem Vater. Ich wünschte, du wärst einmal gegenwärtig, wenn diese zwei glühenden Republikaner, diese geschwornen Feinde der Tyrannei, mit einander eifrig reden. Der Contrast der Wirklichkeit mit ihren Ideen erhitzt ihre Einbildungskraft noch mehr, sie ergießen sich in bittern Tadel der jetzigen Zeit und Sitte, und erheben die Vergangenheits mit den ungemessensten Lobsprüchen. Dann bekömmt die Haltung unsers Gastfreundes etwas so hohes, edeltrotztges, sein dunkles Aug' sprüht Funken, sein sonst bleiches Gesicht überzieht eine so feine Röthe, und um seinen Mund, der überhaupt nicht unangenehm ist, bildet sich ein so lieblicher Zug, daß man in solchen Augenblicken versucht wäre, den begeisterten Redner für hübsch, und das, was er sagt, für nicht ganz so abenteuerlich und überspannt zu halten, als sonst. Aber das sind nur Augenblicke, und so, wie er schweigt, und man Zeit hat, über seine Behauptungen nachzudenken, sieht man ihre Unstatthaftigkeit ein. Ich weiß übrigens wenig – beinahe nichts von ihm; denn mit mir spricht er nicht viel. Ich stehe viel zu tief unter den hohen Idealen der Lucretien, Portien u.s.w., die seinem Geiste vorschweben. Schon der erste Eindruck, den ich auf ihn machte, muß höchst ungünstig für mich gewesen seyn. Mein Vater führte ihn zu mir, als ich eben – ich muß gestehen – ziemlich nachlässig [15] gekleidet, und ein milesisches Mährchen 1 in der Hand, auf meinem Ruhebette lag. Welch ein Abstand von jenen Matronen! Welche Versündigung an seinen Grundsätzen! Wie könnte ein so leichtfertiges Ding vor so strengen Augen Gnade finden! Du wirst dein Glück bei ihm machen – und ich – werde dich sicher nicht beneiden.

Eins habe ich an ihm bemerkt, und es sollte mir leid thun, wenn ich richtig gesehen hätte; denn bei allen seinen Sonderbarkeiten halte ich ihn für einen achtungswürdigen Mann. Er scheint einen geheimen Kummer zu haben. Diese trübe Ansicht des Lebens, diese strenge Abneigung von allen Freuden der Welt und der Jugend ist bei einem geistvollen, im Schooße des Glückes gebornen jungen Manne sonst nicht zu erklären. Auch bestätigen manche seiner Aeußerungen diese Vermuthung. Wenn sie gegründet wäre – wie gesagt – es würde mir sehr leid thun. Erkundige dich doch darüber bei Tiridates, und schreibe mir noch, ehe du Bajä verlässest. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Milesische Mährchen hießen die kleineren Erzählungen und Romane jener Zeiten, deren Gegenstand die Liebe, und nicht immer die platonische war.

4. Agathokles an Phocion

4. Agathokles an Phocion.

Rom, im Jänner 301.


Ich bin in Rom. Daß ich dir seit meinem Aufenthalte von vierzehn Tagen noch nicht geschrieben, mag die Neuheit der Dinge, die mich umgibt, und ihre Einwirkung auf mich entschuldigen. Daß ich aber hier jene Heiterkeit und Fröhlichkeit nicht gefunden habe, und nicht finden werde, die man sich in Nikomedien für mich versprach[16] – das fühle ich. Auch ist Rom vielleicht unter allen Orten der Welt gerade derjenige, wo ich am wenigsten genesen werde. – Bin ich denn aber krank? Man bildet es sich ein, weil ich nicht leben kann, wie die Uebrigen um mich herum. Ihre Verkehrtheit macht mich seltsam – ihre Thorheiten mich streng und unverträglich erscheinen. Nicht, daß ich das Ungeheure, das Unmögliche fordere; aber daß Wahrheit und Tugend, Zucht und Sitte ihnen unmöglich scheint, das ist der eigentliche Grund unseres Streites. Das Jahrhundert ist krank, nicht der, der kühn genug ist, mit voller Kenntniß der bessern Vergangenheit es so zu nennen. Wie soll ich es unter diesen Menschen aushalten!

Mit der Beschreibung meiner Reise zu Wasser und zu Land will ich dich, aus Achtung für deine Zeit, verschonen. Dir genügt zu wissen, daß ich gesund und mit recht heitern offenen Sinnen in der Hauptstadt der Welt ankam. Der Genuß der unbeschränkten Natur, die Unendlichkeit des Meeres, die Freiheit meiner Muße hatte mich froh und für jeden guten Eindruck empfänglich gestimmt. Dir, dem Lehrer meiner Jugend, dem keine meiner Empfindungen fremd ist, darf ich gestehen, daß ein seltsames Gefühl mich ergriff, als unser Schiff in die Mündung der Tiber einlief, und nun bald der Schauplatz jener großen würdigen Scenen, die mein Gemüth von Kindheit an ergriffen hatten, vor mir erscheinen sollte. Es glühte in mir, meine Brust schlug stärker. So kam ich in Rom an. Von der Höhe des Kapitols schienen die Manen der großen Vorfahren herabzuschweben. Rund umher war heiliger Boden. Ueberall Erinnerung, – Würde, – Hoheit. Durch die menschenvollen Straßen [17] führte mich mein Wegweiser in das Haus unsers Gastfreundes Lucius Piso. An manchem Denkmal ehrwürdiger Vergangenheit, an manchem Weiser auf einen hellen Punkt der Geschichte, ging ich mit hochschlagendem Herzen vorüber, mit dem festen Vorsatz, sie alle nächstens zu besuchen. Am Vorhofe empfing uns eine Schaar reich gekleideter Sclaven. Man führte mich in's Atrium 1. Die Bildsäulen des Pisonischen Hauses, viel merkwürdige Gestalten, dem Geschichtskundigen wohlbekannt, standen hier. Ihre erhebende Gegenwart hatte die Länge der Zeit getäuscht. Ich sah erst am Sonnenzeiger im Hofraume, daß man mich eine ziemliche Weile hatte warten lassen. Jetzt erschien ein zierlicher Sclave, der vorzüglich schön griechisch sprach – und führte mich durch viele kostbar geschmückte Gemächer, voll Vasen, Gemälden, Bildsäulen – zum Lucius Piso. Er ist ein würdiger Mann – an der Gränze des Greisenalters, kräftig, verständig, edel – weit edler aber ohne den Prunk, der ihn umgibt, und seinen innern Werth verhüllend mindert. Der Vater gefiel mir – minder die Söhne. Es sind Jünglinge, nicht ganz so von allen Vorzügen entblößt, wie die übrigen, die ich hier und zu Hause kennen gelernt habe; aber die Farbe des Zeitalters hat sich ihnen zu stark mitgetheilt, um sie wahrhaft achtungswerth zu lassen. Vor dem Abendessen stellte mich Piso seiner Tochter vor. Bei den Göttern, ein reizendes Geschöpf! Das Gerücht hatte mich bereits auf sie aufmerksam gemacht – ich fand dennoch in jedem Sinne mehr, als ich erwartet [18] hatte. So viel Schönheit, so viel unaussprechliche Anmuth des Körpers und Umgangs, und so viel Leichtsinn und Verkehrtheit der Gesinnungen! Die Tochter eines der ersten römischen Häuser – die Abkömmlingin so edler Matronen, im Anzug und den Umgebungen einer griechischen Hetäre 2, und dennoch in Reden und Handlungen vollkommener Anstand und edle Weiblichkeit!

Besser als alle übrigen Menschen, die ich in Rom kennen gelernt habe, würde mir Sectus Sulpicius, ein Römer aus einem altadeligen Geschlechte, gefallen, wenn nicht ein Zug von Härte, und ich fürchte zu sagen, Eigennutz, diesen Charakter befleckte. Eine liebenswürdige Tochter hat er, ohne auf ihr Glück Rücksicht zu nehmen, seinen Planen geopfert. Sulpicia soll schön, tugendhaft, und in der Verbindung mit einem armseligen Weichling aus dem Anicischen Hause sehr unglücklich seyn. Ich freue mich, sie bald kennen zu lernen. Unser Freund Tiridates ist auch der ihrige. – Ob er ihr noch mehr ist, mag ich nicht erforschen, weil ich mir die Achtung für sie gern rein erhalten möchte.

Meinem Vater habe ich bereits zweimal – einmal aus Corinth mit einem zurückgehenden Schiffe, und vor mehreren Tagen aus Rom geschrieben. Die Ehrfurcht, die ich ihm als Sohn schuldig bin, will ich wissentlich nie verletzen. Uebrigens kann ich leider von dem, was er wünscht, nichts thun. Ich kann nicht leben und handeln wie er; denn ich kann nicht denken und fühlen wie er, und eines festen Gemüthes gänzliche Umstimmung ist nicht das [19] Werk der Ueberredung oder des Zwanges. Umstände, Zeit, Verlockung könnten etwas thun; aber wo die Ueberzeugung des Rechts so unerschütterlich gegründet ist, wie in mir, ist auch von dieser nichts für mich zu fürchten, für ihn nichts zu hoffen. Er hat mich aus Nikomedien fortgeschickt, um in andern Ländern durch Erfahrung zu lernen, daß meine Denkart abenteuerlich, meine Forderungen an die Menschheit überspannt, meine Begriffe von öffentlichem Wohl thöricht seyen. Ich habe ihm gehorcht. Laß mich gestehn, daß mich dieser Gehorsam nichts kostete; denn in meinem Innern war eine Stimme, die mir sagte, daß Vater und Sohn nicht so von einander denken, und wenn sie so denken, nicht beisammen leben sollten. Meine Ansicht aber wird ewig dieselbe bleiben. Rom wenigstens wird nichts daran ändern. Wie widerlich mir diese Stadt mit ihren Einwohnern ist, kann ich dir nicht sagen. Auch glaube ich gern, was schon Tiridates (mit dem ich allein hier in diesem Sammelplatze von Lastern und Thorheiten leben und reden mag) gegen mich behauptete, daß gerade der scharfe Gegensatz des Einst und Jetzt, der in diesen verächtlichen Nachkommen würdiger Väter so grell in die Augen springt, meine Abneigung gegen sie noch vergrößert. Nein, wahrlich, Phocion! mein Vater hätte mich nicht nach Rom schicken sollen!

Indeß bin ich, im Ganzen genommen, doch nicht ungern hier. Ich lerne viel, sammle Erfahrungen, sehe manches Denkmal der Kunst und bessern Zeit, und gehe mit vielen unterrichteten Männern um. Meine Stunden sind regelmäßig unter Geistes- und Körperübungen, Genuß und Anstrengung getheilt. Du weißt, ich brauche nur Muße, und Freiheit, um zufrieden zu seyn. Zufrieden! [20] Mehr kann und soll ja der Mensch nicht verlangen. Und ist nicht jeder nur so glücklich, als er sich selbst dafür hält? Wenn auch manchmal trübe Gedanken in meiner Seele aufsteigen, so ist es Uebung der innern Kraft, sie zu bekämpfen. Der Mensch ist nicht zum Glück geboren, seine Bestimmung ist, gut zu seyn. Zur Güte führt die Weisheit, zur Weisheit Freiheit von Bedürfnissen. Das laß uns nie vergessen, daran laß uns festhalten, und was dann über uns ergehen mag, mit muthigem Sinn und heiterer Stirn erwarten.

Fußnoten

1 Atrium war eine Art Vorhaus oder Vorsaal, in welchem bei den adeligen Familien die Bildnisse der Vorfahren aufgestellt waren.

2 Hetäre, ein griechisches Wort, das so viel als Freundin oder Gefährtin bedeutet, und eine anständige Benennung für eine unanständige Lebensart war.

5. Derselbe an Denselben

5. Derselbe an Denselben.

Rom, im Februar 301.


Mein Vater war krank, schreibst du mir, aber er ist wieder auf dem Wege der Besserung. Dank den himmlischen Mächten, die unser Schicksal leiten! Es würde Mich sehr geschmerzt haben, ihn in den letzten Augenblicken nicht gesehen, und seinen Segen, seine volle Verzeihung nicht erhalten zu haben. Er ist doch mein Vater, und was auch zwischen uns obwaltet, so behauptet die Natur in ernsten Momenten ihre vollen Rechte, und ich fühle an der Freude, welche mir seine Genesung verursacht, was für Bitterkeit sein entfernter einsamer Tod durch mein Leben gegossen haben würde.

Sein Betragen während der Krankheit ist dir so sehr aufgefallen? Mir nicht. Seine Philosophie ist, wie bei vielen Menschen unsrer Zeit, nie Wirkung von Grundsätzen, sondern Folge der Bequemlichkeit gewesen. Er hat dem Tempel zu Delphi einen Dreifuß gelobt, und dem Aesculap einen Hahn geopfert 1, er, der sonst Götter [21] und Götterdienst als leere Schattenbilder verachtete, hingestellt, um einen blinden Pöbel in Hoffnung und Furcht zu erhalten? Was er gethan hat, werden Tausende thun. Das ist das Verderben der Zeit, daß sie in den Staub tritt, was der Vorwelt heilig war, und nichts hat, den ungeheuren Verlust zu ersetzen. Was auch die Meinung des Pöbels von seinen Göttern ist – laß sie ihm, wenn du ihm nichts Besseres zu geben hast. Und wer hat das? Das Licht, das uns in den eleusinischen Geheimnissen leuchtete, ist Etwas; aber immer wenig für den dürstenden Geist, der hier an der Quelle zu trinken sich sehnt und ängstet. Es ist kein kleiner Theil des Kummers, der oft meine einsamen Stunden verdunkelt, hier so ganz in Nacht zu tappen. Ich sinne und strebe und kämpfe meinen Geist müde; und versinke ich in eine Art von Betäubung, dann ist der Gedanke, daß so viele große Männer der Vorzeit nicht mehr wußten, dem ermatteten Sinn Beruhigung, bis eine neue Anregung meine Zweifel auf's Neue stürmisch emportreibt, und die Stille meiner Seele stört.

Wenn nur irgend eine Leidenschaft, ein würdiger Gegenstand des Ehrgeizes, der Liebe oder Freundschaft meinem unstäten Willen eine bestimmte Richtung, meinen Kräften einen angemessenen Zweck darböte! Du bist entfernt, du, der allein mich versteht. Hier bin ich ganz [22] einsam. Tiridates ist unstreitig liebenswürdig, und ich glaube – hätten wir uns jünger gekannt – wir wären vielleicht Freunde geworden. Das, was uns jetzt trennt, und unsre vollkommene Vereinigung hindert, liegt nicht sowohl in unserm Innern, als es von Außen angebildet worden ist. Denn über Alles, was dem Menschen, als solchem werth, unschätzbar, heilig ist, denken wir ganz gleich. Aber der frohmüthige Königssohn, am orientalisch-prächtigen Hof Diocletians, in der Gunst des Cäsar Galerius, in Hoffnungen auf den Thron seiner Väter erzogen, kann niemals mit dem unberühmten Sohn des Privatmannes, den Erziehung und Umstände auf einen ganz andern Standpunkt gestellt haben, die Dinge der Welt in einem gleichen Lichte sehen. Wir lieben uns, das ist viel, aber nicht genug für mein Herz, nicht genug für seines, das außer mir noch Manches bedarf, und auch gesucht und gefunden hat. Er liebt Sulpicien, das unglückliche – aber bis dahin tugendhafte Weib eines Andern.

Calpurnien lerne ich täglich näher kennen, und täglich entfaltet sich ihr Charakter mehr der ersten Ansicht gemäß, unter der er mir sogleich erschienen war. Sie ist nicht ohne Verdienst, aber sie ist unbeschreiblich leichtsinnig, und das Größte und Würdigste muß, wenn sie die Laune anwandelt, ihrem Witze eben sowohl zum Spielwerk dienen, als das Gemeine und Lächerliche. Wir sind in ewigem Streite mit einander, wir scheinen uns zu hassen, doch weiß ich wohl, daß wir uns im Grunde Beide achten, aber nie – nie nähern werden.

Ehrenstellen zu suchen, bei dieser Entartung des Gemeinwesens, bei dieser Auflösung aller heiligen Bande, kann nur Eigennutz oder Ruhmsucht anreizen. Vaterlandsliebe [23] ist ein leerer Schall, und Wirken zum Besten des Ganzen, ein kindischer Traum geworden, seit ein Einziger mit unausweichbarer Gewalt alle Macht in Händen hat, und Senat, Patricier und Volk eine folgsame Heerde Sclaven ist, dieser Senat, der mit derselben Bereitwilligkeit die Mörder des Caligula belohnt, und die Vergötterung eines Caracalla 2 unterzeichnet! – O Tiber hat ihn wohl gekannt und verachtet! Und wie tief unter jenem steht noch der jetzige, dieses willenlose Spielwerk der Laune eines Einzigen, oder des rohen Uebermuths der Prätorianer!

Ich hasse die Tyrannei, ich fühle mit Schmerz, daß mich das Schicksal um vier oder fünf Jahrhunderte zu[24] spät geboren werden ließ. Dennoch muß ich Diocletian bewundern, dessen Riesengeist und vorzügliche Herrschergaben nicht allein den ganzen Erdkreis, so weit ihn gebildete Nationen bewohnen, sondern, was noch mehr ist, die Leidenschaften derjenigen im Zaum hält, denen Nähe des Throns und oft wiederholtes Beispiel eine ewige Anreizung zu kühnen Versuchen seyn könnte. Doch scheint mir, die Würde der römischen Macht, die der außerordentliche Geist dieses Mannes aus zerfallenden Trümmern herrschend hervorrief, wird wohl mit diesem Geiste stehen und sinken. Nicht Maximians rohe Kraft, nicht Galerius düsteres Gemüth, nicht der weiche Constantius sind der ungeheuren Last gewachsen. Jetzt behauptet Jeder, von des Herrschers Klugheit wohl gewählt, den angewiesenen Platz mit Ehre, und benagt sich leicht und kräftig in seinem Kreis. Doch das ist Täuschung. Es sind nicht sowohl zwei Auguste und zwei Cäsaren, die die römische Welt theilend regieren: es ist ein gewaltiges Genie, das durch die Andern, wie die Seele durch Organe, wirkt. Was entstehen wird, wenn einst diese Seele entweicht, liegt im Dunkel der Zukunft verborgen. Erfreulich kann es auf keinen Fall seyn.

Sieh, das ist unser Unglück, daß wir – Bewohner eines Freistaates – so weit gekommen sind, den Tod eines Alleinherrschers fürchten zu müssen; daß an Einem Geiste das Schicksal der Welt hängt, und in dem von Grund aus verderbten Volke, das einst den ganzen Erdkreis durch seine Helden eroberte, durch seine Staatsmänner regierte, ein solcher Verlust unersetzlich ist. Sein Tod wird das künstliche Band zerreißen, womit er die zerfallenden Glieder des Riesenkörpers wider den Geist [25] der Zeit und der Umstände gewaltsam zusammenhielt, und den Barbaren, die neidisch und gierig unsere Grenzen umlauern, scheue Ehrfurcht gebot. Trüb und düster liegt die Zukunft vor mir, die Gegenwart ist schaal, die Vergangenheit ohne Freuden; denn meine Kindheit und erste Jugend schwand unter feindlichen Umgebungen hin. Wo soll mein Geist sich hinwenden?

Phocion! Ich bin nicht glücklich, und mit unendlichem Schmerze fühle ich, daß die Quelle meines Unglücks nicht sowohl in der Welt um mich, sondern in nur selbst liegt. Tausende an meinem Platze würden vergnügt seyn, sind es wirklich. Ich trage Begriffe, Forderungen, Gestalten in meiner Brust, die nimmermehr zu dem passen, was um mich vorgeht. Ich bin in ewigem Kampfe mit der Wirklichkeit, und sie rächt sich nur zu bitter an dem, der ihre Freuden verschmäht. Und wie soll ich's ändern? Kann ich mich umgestalten? O warum ward mir nicht ein kleiner Theil des holden Leichtsinns zum Loose, der die reizende Calpurnia so sanft über alle Unannehmlichkeiten des Lebens hinwegführt?

Dem trüben Geist, in quälenden Gedanken versunken, erscheint nur zuweilen ein einziges Bild aus der Nacht der Vergangenheit, das ihn sanft und freundlich anlächelt, dann schnell verschwindet, und den brennenden Schmerz in süße Wehmuth löset.

Als ich ein Kind war – lange ehe mein Vater mich deiner Leitung übergab – wohnte dicht an unserm Hause Timantias, ein edler Nikomedier, der eine der ersten Würden im Staate bekleidete. Mein Vater und er waren Freunde, wenigstens was man gewöhnlich so nennt, seine Kinder unsre Spielgefährten. Mich hielt ein schwächlicher [26] Körperbau, das Erbtheil einer früh verblichenen Mutter, und meine Gemüthsstimmung von wildern Spielen ab, in denen meine früh verstorbenen Brüder mit Timantias Söhnen die Jugendkräfte freudig übten. Larissa, Timantias Tochter, blieb dann bei mir, ihr sanftes Gemüth fand Vergnügen darin, mich nicht zu verlassen. Wir spielten zusammen, oder sie beredete mit der unwiderstehlichen Macht der Güte die Uebrigen, ein Spiel ruhigerer Art zu wählen. So sorgte sie für mich, liebte mich, und erfüllte mein Herz mit süßen Empfindungen. Wir wuchsen heran, unsere Neigungen wuchsen mit uns. Da trat das Schicksal kalt und feindlich zwischen uns. Timantias wurde eines Verbrechens wegen angeklagt. Ob wirkliches Vergehen, oder feine großen Reichthümer (eine mächtige Versuchung für den habsüchtigen Proconsul Sisenna Statilius) daran Ursache waren, ist nie bekannt worden. Er wurde in's Gefängniß geworfen. Mein Vater brach allen Umgang mit der geächteten Familie ab. Ich und Larissa sahen uns nur verstohlen, und mit desto größerer Sehnsucht an den Hecken, die unsre Gärten schieden. Endlich nach vierzehn Monden gefänglicher Haft wurde Timantias – aus Schonung, wie es hieß, indem er des Todes schuldig befunden worden – mit seiner Familie verbannt, seine großen Güter eingezogen. Sisenna Statilius brachte sein Haus, das neben dem unsern lag, um einen geringen Preis an sich, und mein Vater unterhielt dieselbe Freundlichen mit ihm, die er mit Timantias gepflogen hatte. Ich war nicht zu bereden, das Haus wieder zu betreten, wo mir die Geister der Vertriebenen Rache fordernd zu schweben schienen. Dieser Eigensinn des achtzehnjährigen Jünglings war eine [27] von den Hauptquellen des ewigen Zwistes zwischen meinem Vater und mir. Acht Jahre sind verstrichen, keine Spur von Timantias Schicksal ist mehr zu erforschen gewesen. Ob Larissa glücklich, ob sie vermählt, ob sie überhaupt noch am Leben sey – so wichtig mir diese Fragen oft erscheinen, – Niemand weiß sie zu beantworten. Alle Nachforschungen, die ich anstellte, waren fruchtlos. Doch lebt ihr Andenken in meiner Brust, als der einzige helle Punkt in meinem Schicksale. Und auch der mußte verschwinden? – Leb' wohl.

Fußnoten

1 In Delphi war der berühmteste Tempel des Apoll, und ein Orakel. Die Dreifüße waren eine Art von Gefäß oder Schaale, welche auf drei Füßen stand, und dazu diente, um Rauchwerk darin anzuzünden. Es war eines der gewöhnlichsten Opfer, das die Frömmigkeit, die Furcht oder die Prachtliebe den Göttern brachte. Dem Aesculap, dem Gott der Aerzte, pflegte man bei der Genesung einen Hahn zu opfern.

2 Valerius Asiaticus, dessen Werk vorzüglich der Tod des Caligula war, rühmte sich seiner That im Senat, und forderte eine Belohnung dafür Caracalla wurde von Macrin getödtet, und die Soldaten, welche unter seiner grausamen Regierung sich alle Ausschweifungen erlauben durften, und seinen Verlust betrauerten, trotzten dem Senat seine Vergötterung ab Ueberhaupt war die Macht des Reiches in jenen Zeiten in der Hand der Armee, oder vielmehr der Prätorianer, der k. Leibwache, welche von dem Zelte des Imperators, Prätorium genannt, das sie zu bewachen bestimmt waren, ihren Namen hatten. Wer ihre ungeheuren Forderungen an Ausgelassenheit und Geld zu stillen versprach, oder ihnen geneigt schien, wurde von ihnen auf den römischen Thron gesetzt, und durch sie ermordet oder herabgestoßen, wenn er jene Versprechungen nicht erfüllen konnte oder wollte. Der Senat, diese einst so ehrwürdige und mächtige Versammlung, war zu einem bloßen Schattenbild und Werkzeug der Tyrannei und Anmaßung herabgesunken. Der Präfekt Prätorianer, ihr Anführer oder Kapitän, war die wichtigste Person im Staate, und sehr oft der Cand dar zur Kaiserwürde, wie denn auch Diocletian von diesem Posten auf den Thron stieg.

6. Calpurnia an Sulpicien

6. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im Februar 301.


Nach gerade wird mir dein Aufenthalt in Bajä und deine lange Abwesenheit unerträglich. Ich hätte dir so viel zu sagen, so viel zu erzählen, und muß mich mit Schreiben, diesem armseligen Behelf für ein volles Herz, begnügen. Auch Serranus fängt an, über dein Außenbleiben unmuthig zu werden. Zwar weiß er wohl, daß du weit mehr Geschäfte gefunden hast, und der Zustand eurer Villa weit zerrütteter ist, als ihr anfänglich glaubtet: dennoch, meint er, könntest du jetzt fertig seyn, oder was allenfalls noch zu thun übrig ist, auf ein andermal lassen. Es ist doch ein gutes Wesen, dieser Serranus, und dir von Herzen zugethan. Er weiß, daß du den Prinzen oft in Bajä gesehen hast, und – es scheint, er freuet sich darüber, daß du doch in deiner Einsamkeit nicht ohne Umgang warst. Auch schätzt er dich viel zu sehr, um nicht den Gedanken, dein Verhältniß zu Tiridates könnte etwas mehr als Freundschaft seyn, für Hochverrath an dir zu halten. Wir haben gestern, als er zu mir kam [28] um sich mit mir über deine Abwesenheit zu berathen und zu beklagen, recht viel mit einander von dir gesprochen. Er wird dir nächstens schreiben, und dich recht dringend bitten, nach Hause zu kommen; denn seine Sulpiciola, wie er dich nennt, mangelt ihm überall.

Auch mir mangelst du recht sehr. In mir ist eine Art von Veränderung vorgegangen, über die ich gern mit dir sprechen möchte. Es ist nicht mehr Alles, wie es war. Ich ärgere mich darüber, und kann doch nicht wünschen, daß es nicht geschehen seyn möchte. Ich bin jetzt manchmal sehr ernst, ich kann stundenlang über tiefsinnige Dinge recht tiefsinnig sprechen. Ich lache seltener, und finde sogar Vergnügen an manchen Ideen, die ich sonst, als ich noch ganz Calpurnia war, als excentrisch und überspannt verspottete. Das macht blos der Umgang. Man achte ja diese leise und langsame Gewalt, eben weil sie unbemerkt wirkt, nicht für gering; man glaube nur ja nicht, sich vor ihrem stillen Einflusse bewahren zu können. Wie der Bewohner der einen Provinz, in eine andere verpflanzt, nach und nach, ohne es selbst zu wissen, seine Sitte, seine Tracht, sogar seine Sprache nach dem Gebrauche und Dialect dieses Landes modelt, und so unvermerkt mit den Eingebornen sich verschmelzt, so nehmen wir auch leicht und unmerklich die Gedankenreihe, die Ansichten, ja bis auf die Redensarten unserer Freunde an, und sehen erst nach einiger Zeit mit Erstaunen die Aenderung, die mit uns vorgegangen ist.

Agathokles – wie komme ich eben jetzt auf ihn? – ist recht viel bei mir. Wir plaudern recht oft – recht lange – recht anziehend mit einander, und meine Eitelkeit müßte mich ganz schrecklich irre führen, wenn ich nicht [29] glauben sollte, er finde wenigstens eben so viel Vergnügen an meinem Umgang, als ich an dem seinen. Vielleicht eben des grellen Abstandes wegen, der im Anfange zwischen unsern Charakteren zu seynschien? Schien! sage ich mit Vorbedacht; denn es zeigt sich immer deutlicher, daß wir im Grunde über die meisten und wichtigsten Dinge, ziemlich gleich denken. Zuweilen entsteht wohl ein kleiner Streit, aber das dient nur, den Umtausch der Gedanken zu befördern, und die Unterhaltung zu beleben. Uebrigens schadet es unserer Einigkeit nicht. Agathokles ist, wenn er bei genauerer Bekanntschaft die spröde Außenseite ablegt, ein sehr angenehmer Gesellschafter. Unter andern lieset und declamirt er vortrefflich, und es ist einer meiner köstlichsten Genüsse, mir von ihm die besten Stellen, aus unsern Dichtern, die er fast alle auswendig weiß, vorsagen zu lassen. Zuweilen löse ich ihn auch wohl ab. Du weißt, es war von jeher eine Lieblingsübung von mir. Und dann, liebe Sulpicia, unter uns gesagt, geht meine Eitelkeit nicht leer aus. Ich sehe, oder eigentlich, ich fühle wohl, daß die Leserin ihn weit mehr anzieht, als der Dichter selbst: und je strenger der Mann gewöhnlich ist, je süßer, schmeichelt es, dieses. Eis am Strahle der Freundschaft schmelzen zu sehen. Freundschaft! Merke das Wort wohl, liebe Sulpicia! keine Liebe; denn ich bin seine Vertraute, und weiß, daß sein Herz, wie es einem ächten Schwärmer geziemt, theils der ganzen Menschheit angehört, theils mit seinen, feineren Neigungen einem schönen Schattenbilds zugewandt ist, das noch aus den rosigen Tagen der Kindheit in himmlischem Lichte vor seiner Seele schwebt, und ihn für alle irdischen Reize unempfindlich macht. Du [30] siehst, ich weiß schon Manches, und habe damit nicht auf deine Ankunft warten dürfen. Nein, ich habe ihm einen Theil seiner Geheimnisse mit freundlicher Herzlichkeit abgefragt, ich habe den Kummer bemerkt, der dies edle Herz drückt, und ihn zu erforschen gesucht, und er hat sich der ungeheuchelten Theilnahme wahrer Freundschaft nicht verschlossen. Seine Unzufriedenheit mit dem Zeitalter, seine Besorgnisse für die Zukunft, seine Trauer um die bessere Vergangenheit – ist jetzt nicht mehr Gegenstand unsers Streites, und die Zielscheibe meines Scherzes. Seit ich weiß, wie tiefen Antheil mein Freund an ihnen nimmt, wird über diese Materien ernst und würdig gesprochen, und mit Vergnügen sehe ich denn am Ende eines solchen Gesprächs die Gewitterwolken, die im Anfange seine Stirn umzogen, verschwunden, und seinen Blick mir freundlich und dankbar strahlen. Sogar sein gespanntes Verhältniß zu seinem Vater hat er – freilich nur leise – berührt, und ich achte seine Zurückhaltung in diesem Punkte, und dringe nicht weiter in ihn. Scheint es doch, er hätte willig Alles, worüber er Herr war, der Freundin mitgetheilt, und halte nur mit dem zurück, was er nicht ganz sein nennen kann!

Gekannt möchte ich das Mädchen wohl haben, das seine Kindheit und erste Jugend verschönerte. Schön ist sie nicht gewesen, das sagt er selbst, aber gut und höchst liebenswürdig. Nun das versteht sich von selbst, wenn ein Liebhaber, sie schildert. Bis in sein achtzehntes Jahr ist er mit ihr umgegangen, seitdem hat er sie nicht wieder gesehen. Ob nun gleich die folgenden acht Jahre für seine Entwickelung sicher die bedeutendsten waren, so ist doch ein Jüngling, wie Agathokles, mit achtzehn Jahren reif [31] genug, um einen solchen Eindruck auf Zeitlebens fest zu halten. Das kann ihm bei der Wahl seiner künftigen Gattin immer schaden, oder auch nützen – wie du willst; denn es wird ihn behutsam und ekel machen. Ich finde es nicht übel, wenn ein Jüngling ein idealisches Bild von Würde, Größe, Tugend in seiner Brust trägt, und die Welt um ihn her an diesem großen Maaßstabe mißt. Er und sie gewinnen dabei, denn er wird nichts Gemeines und nichts gemein thun. Mag das Ideal nun die Gestalt irgend eines berühmten Mannes, eines großen Helden, wie Miltiades dem Themistokles 1 war, oder eines holden Weibes tragen; das ist in Rücksicht der Wirkung einerlei.

Du siehst, Liebe, wie gelassen, wie wahrhaft philosophisch ich die Sache betrachte. Hörst du wohl? Philosophisch! Du mußt mir das Wort gelten lassen. Es bezeichnet ganz eigentlich das, was ich andeuten will. Philosophie ist Liebe zur Weisheit. Und ist der nicht weise zu nennen, der sich bemüht, mit klarer ruhiger Ueberlegung alle Dinge auf der Welt in den gehörigen Beziehungen und Abständen von sich zu stellen – und zu erhalten? Das allein führt zur Gemuthsruhe, und nur bei Gemüthsruhe kann Weisheit wohnen. Nach dieser Definition, die mir ziemlich richtig scheint, käme es nun darauf an, zu bestimmen, wer eher Anspruch auf den Titel eines Philosophen machen kann – Ihr leidenschaftlichen Seelen, die ihr Alles mit düsterem Ernst betrachtet, die Welt als einen ewigen Kampfplatz der Tugend mit dem [32] Unglück oder Laster anseht, und Alles schwer ertraget, weil ihr eben Alles recht schwer nehmt – oder wir andern frohmüthigen Geschöpfe, die wir uns von keiner Sache tiefer bewegen lassen, als sie es verdient, vor allen Dingen den Erscheinungen in dieser Welt die trügerische Maske abziehn, die ihnen Vorurtheil, Leidenschaft, Phantasie anlegen, und dann, wenn wir den schrecklichen Riesen auf seine wahre Zwerggestalt herabgebracht haben, zusehen, wie wir mit ihm fertig werden wollen. Jetzt will ich dir auch eine Stelle aus deinem ersten Briefe, die mich damals fast ein wenig verdroß, parodirend zurückgeben. »Laß uns den eiteln Stolz auf Systeme aufgeben,« schreibst du. »Wir sind nicht, was wir wollen, sondern was wir können.« Laß uns, sage ich dir, nicht hinter Entschuldigungen des Unvermögens flüchten, wo wir thätig seyn, und handeln sollen! Wie oft – ich gebrauche mich der Waffen deines großen stoischen Lehrers – wie oft istNichtwollen die Ursache, Nichtkönnen der Vorwand! 2

Sieh, Sulpicia, ich fühle, daß Agathokles mehr Bedeutung für mich bekommen könnte, als nach der Kenntniß, die ich von seinem Herzen und unsern gegenseitigen Verhältnissen habe, mit meiner Ruhe bestehen kann. Ich sage es aufrichtig; denn warum sollte ich mich der Neigung zu einem der edelsten Sterblichen schämen? Aber eben darum werde ich mich und ihn strenge bewachen – und nie soll Leidenschaft und ausschließende Liebe die schöne Stille stören, in der allein mir so wohl ist. Freundschaft, Achtung, zwangloser gebildeter Umgang, das ist Alles, [33] wessen ich bedarf, um glücklich zu. bleiben. Das wollte ich suchen, das habe ich gefunden, und will es mir erhalten. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Themistokles hat bei der Statue des Miltiades, der die Perser überwand, als Jüngling Thränen des Ehrgeizes geweint, und dann später die Perser, wie jener, geschlagen.

2 Seneca in seinen Episteln: Nolle in causa est, non posse praetenditur.

7. Sulpicia an Calpurnien

7. Sulpicia an Calpurnien.

Bajä, im Februar 301.


Was soll ich sagen, Calpurnia? Soll ich mehr das Glück deines frohen Sinnes bewundern, oder deine ungeheure Anmaßung bedauernd anstaunen? Du fängst an zu lieben, ja du liebst bereits, du bleibst in der Gegenwart des geliebten Gegenstandes, und darfst es wagen, deinen Gefühlen so nahe, oder überhaupt nur einige Grenzen setzen wollen? Entweder du irrest schrecklich, und wirst nur zu früh aus deinem sorglosen Schlummer erwachen, oder – du bist die glücklichste Sterbliche, die jemals gelebt hat, und leben wird. Aber du, die du unsre Tragiker auswendig weißt, kennst du die Stelle nicht: Ich fürchte die Götter, wenn sie allzugünstig sind? 1

Daß du und Agathokles einander näher kommen, daß ihr euch, trotz des Contrastes, oder eben um des Contrastes eurer Gemüther wegen, wechselseitig anziehen würdet, das habe ich vorgesehen, als Tiridates mir nebst der Schilderung seines Freundes, die Nachricht brachte, daß er als Gastfreund in eurem Hause lebe. Daß du aber auch mit dieser Empfindung, mit der Neigung zu einem Agathokles, wie bisher mit allen übrigen, nach Gefallen zu spielen, sie zu' lenken und zu drehen hoffen kannst – das hatte ich nicht er wartet. Was denkst du denn von der Liebe? Welche Begriffe machst du dir von ihr? O daß [34] die Stimme einer unglücklichen Freundin die Kraft hätte, dich zu warnen, da es noch Zeit ist! Ja, die Liebe ist die schönste, die seligste Empfindung, deren das menschliche Herz fähig ist; sie ist es, die den armen Sterblichen auf Augenblicke seiner dürftigen Existenz vergessen läßt, und ihn in den Aufenthalt der seligen Götter zu ihren Freuden entzückt. Aber – diese Freuden sind nicht für den Sohn der harten Erde, für das zu Mühe und Sorgen bestimmte Geschlecht des Deucalion 2 gemacht! Die Götter strafen den Eingriff in ihre Rechte, und stoßen den Frevler, der in dieser sterblichen Hülle sich an ihren Tisch drängen wollte, in den Tartarus hinab. Sieh hier den wahren Sinn der Fabel des Tantalus, oder Prometheus, der den himmlischen Funken stahl, um die Gebilde seiner Hand damit zu beleben! Nicht das stolze, kalte Vorrecht der Vernunft, die Seligkeit der Liebe, die ganz eigentlich das Glück des denkenden Wesens ausmacht, war es, womit er seine Geschöpfe weit glücklicher zu machen dachte; aber die Himmlischen straften den Raub, und Prometheus büßte durch unendliche Martern, was er in einem schönen Augenblick verbrach.

Ja, unendliche Martern liegen unter den reizenden Blumen der Liebe verborgen! Das fühle ich, das wirst auch du fühlen, und darum möchte ich warnen, rufen, flehen: Ziehe dich zurück, so lange es noch Zeit ist, wenn du nicht die größte, Wahrscheinlichkeit eines glücklichen. [35] Erfolges hast; siehst du aber den, liebt dich Agathokles, wie du ihn, stellt sich eurer Verbindung kein anderes Hinderniß in den Weg – o dann gehe hin, du Liebling der Götter, genieße deines Glückes, unbeneidet von der trauernden Freundin, der kein so schönes Loos fiel, die aber an deiner Freude sich mit freuen wird! Genieße es, aber gedenke der Nemesis 3, und laß die heilige Scheue, die Furcht, es zu verlieren, dir seine Dauer versöhnend sichern!

O meine Calpurnia! Wie will ich mich freuen, wenn ich dich glücklich weiß! Du bist edel, gut, schön, liebenswürdig: vielleicht haben die Götter dich zu dem höchsten Glück bestimmt, das ihre Huld dem Menschen geben kann. Sein Abglanz soll meine Nacht erhellen. Tiridates ist seit vorgestern von hier fort, um nach Rom zu gehen, und sich auf eine lange Reise zu bereiten. Cäsar Galerius hat ihn nach Nikomedien beschieden. Es sollen neue Versuche gemacht werden, vom Kaiser und Senat seine Einsetzung auf den Thron seiner Väter zu bewirken 4. [36] Es soll ein Heer gerüstet werden, den Persern ist der Krieg angekündigt, in Armenien sind wichtige Dinge vorgefallen, Verschwörungen für und wider das Geschlecht der Arsaciden. Welche Blitze aus den Wolken brechen werden, die sich von allen Seiten an unserm Horizont herauf ziehen, wissen nur die Götter. Wir müssen in geduldiger Ergebung zitternd erwarten, wen und wie der Schlag treffen soll. O welches traurige Loos, wenn die Liebe eines unglücklichen Paares, in das Schicksal der Reiche und Nationen verwebt, von ihm stürmisch fortgerissen wird, und nichts thun kann, als sich blind dem unwiderstehlichen Zuge hingeben! Calpurnia! Wie bist du auch in diesem Stücke glücklich! Eure Liebe wird kein Monarch stören, euer Bündniß wird nicht auf der beweglichen Welle der Volksgunst getragen! Kein ernster Wille einer Nation entscheidet über euer Loos! Ihr dürft euch im stillen Schatten des Privatlebens lieben, und mit einander leben, bis der Tod diese Bande sanft löset, und eines nach dem andern in das dunkle Reich der Nacht führet. O wie gern würde ich der schimmernden Aussicht [37] auf den Thron der Arsaciden entsagen, wie gern – wenn nur einmal die welken Bande, die mich an Serranus binden, durch das Machtwort des Augustus gelöset wären – mich mit Tiridates in irgend einem stillen Winkel der Wett verbergen! Aber darf ich wohl diese Wünsche laut werden lassen? Darf ich den zum Thron gebornen, den der heiße Wunsch der bessern Mehrheit seines Volkes, den die Stimme der Weisen unter den Römern, den endlich sein hohes Gemüth mehr als Alles das zum Herrschen ruft, von seiner erhabenen Bestimmung ablenken, und ihn um meinet willen in niedriges Dunkel begraben? Könnte ich diesen Verrath an der Welt, an seinem Volke verantworten, und endlich, könnte ich hoffen, daß ein Herz, wie Tiridates, in dieser stillen Beschränktheit, dieser ruhmlosen Abgeschiedenheit, glücklich seyn würde?

Und so muß ich schweigen, dulden, tragen, das, was das Aergste für liebende Herzen ist, Trennung, und Ungewißheit der Zukunft. Seit gestern – wie stille, wie unendlich einsam ist es um mich her! Nirgends höre ich mehr die Stimme des Geliebten, nirgends begegnet mir mehr die hohe theure Gestalt in der kalten, beziehungslosen Umgebung. Von Allem, was uns bevorsteht, kenne ich nur die Gefahren, die Hindernisse, die Schrecken mit Gewißheit. O meine Liebe! Das sind Schmerzen, von denen du keinen Begriff hast. Mögen die Götter dich vor ihrer Kenntniß bewahren! Was ist der Tod im Arm des Geliebten gegen diese Qual? Mit jedem Augenblicke sterbe ich einmal, denn jeder Augenblick rückt die lange, gefahrvolle Trennung näher, und so habe ich tausendmal den Tod gefühlt, ehe er kommen wird, sich meiner wirklich zu erbarmen.

[38] Calpurnia! Ich bin sehr gebeugt, und zu den Leiden eines zerrissenen Gemüthes gesellt sich seit einigen Tagen ein körperliches Uebelbefinden, ob blos Zuwachs des erstern, ob Folge desselben und der vielen Verdrüßlichkeiten, die ich hier mit unsern Leuten und besonders mit Novius, unserm Verwalter, einem durchaus bösen Menschen hatte, weiß ich nicht. Genug, jetzt, da ich nach mehr als zwei Monaten wieder in deine Arme zurückkehren, und den Geliebten vor der unendlichen Trennung vielleicht noch einmal in Rom sehen könnte, scheint meine zerrüttete Gesundheit mir auch diesen letzten Trost verweigern zu wollen. Ich habe an Serranus geschrieben, und eine wohlgeschlossene Sänfte bestellt. Vielleicht kömmt er selbst, oder sendet einen seiner Vertrauten, mich abzuholen. Das wäre mir sehr angenehm, denn ich fürchte mich, krank und allein zu reisen. Von den hiesigen Leuten mag ich Niemand mitnehmen, ich habe sie auf einer viel zu schlechten Seite kennen gelernt. Wäre jene Hoffnung nicht, ich würde ohne weiteres die Rückkehr meiner Gesundheit und der bessern Jahreszeit hier erwarten. Aber diese Aussicht ist auch auf ein bloßes Vielleicht nicht aufzugeben, und zwei Tage, mit dem Geliebten vor einer langen – ach wer bürgt dafür? – vielleicht ewigen Trennung zugebracht, sind mit keiner Krankheit, mit keinen Schmerzen, ja selbst mit dem Tode nicht zu theuer erkauft.

Fußnoten

1 Aus Seneca's Tragödie: Die Trojanerinnen.

2 Deucalion und Pyrrha waren die einzigen Menschen, die nach einer Wasserfluth, in der die übrigen Sterblichen zu Grunde gingen, übrig blieben. Auf Befehl der Götter warfen sie mit verhülltem Angesichte Steine hinter sich, aus welchen Menschen entstanden, und die Erde auf's Neue bevölkerten.

3 Nemesis war die Göttin des rechten Maaßes, die Richterin des Uebermuthes. Man sehe hierüber des verklärten Herders unübertrefflich schönen Aufsatz: Nemesis, im zweiten Bande seiner zerstreuten Blätter

4 Armenien war lange Zeit ein unabhängiges Reich, in welchem Könige aus dem Geschlechte der Arfaciden regierten. Endlich wurde es von den Persern überwältigt, ihr letzter König Chosroes getödtet, und sein einziger Sohn Tiridates, als Kind, nur mit Mühe und durch die Treue der Diener seines Vaters an den römischen Hof gerettet. Hier wurde der Prinz in Hoffnungen auf das Reich seiner Ahnen erzogen, und zeichnete sich bei jeder Gelegenheit durch persönliche Tapferkeit und Edelmuth aus Nachdem Armenien sechsundzwanzig Jahre lang das persische Joch getragen hatte, erschien Tiridates, der rechtmäßige Erbe, von den Römern unterstützt, in seinem Vaterlande. Alles eilte zu seinen Fahnen, und er war bereits wieder Herr seines Reichs, als die Zwistigkeiten in Persien, die seine Fortschritte bisher begünstigt hatten, sich zu seinem Schaden in einen Frieden auflösten, und er nun nicht mehr im Stande war, das Erbe seiner Väter gegen die ungerechte Uebermacht der Perser zu vertheidigen. Er floh zum zweitenmale aus seinem Vaterlande aber die Römer, welche wohl einsahen, wie wichtig und nützlich es ihnen seyn würde, Armenien von Persien zu trennen, und ihm einen eigenen, ihnen ergebenen Bundesgenossen zum König zu geben, nahmen sich seiner gerechten Ansprüche auf's Neue an, und der Krieg wurde an Narses, König von Persien, erklärt.

8. Calpurnia an Sulpicien

8. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im Februar 301.


Ich habe deiner Ueberkunst wegen gestern mit Serranus sprechen wollen. Ich sandte zu ihm, aber er ist krank, [39] und wirklich sehr bekümmert, daß er, wie sein erster Vorsatz beim Empfange deines Briefes war, dich nicht selbst abholen kann. Es waren wirklich schon alle Anstalten zu seiner Reise getroffen, als er krank wurde. Jetzt also komme ich, dich abzuholen, mein Vater hat es mir erlaubt, unser alter treuer Phödo, der Freigelassene meines Vaters, begleitet mich. Leb' wohl! in vier Tagen bin ich bei dir.

9. Agathokles an Phocion

9. Agathokles an Phocion.

Rom, im Februar 301.


Tiridates geht nach Mailand zum Cäsar Maximian, von da nach Nikomedien. Zum persischen Kriege werden eifrige Zurüstungen gemacht, in ihnen sieht Tiridates den Keim seiner künftigen Größe, die Hoffnung unumschränkter Herrschaft über das Reich seiner Väter. Galerius scheint ihn zu lieben, wenn Menschen, wie er, oder Cäsarn überhaupt, lieben können. Auch Diocletian ist ihm nicht abgeneigt. Sein schlauer Geist sieht in des Tiridates gegründeten Ansprüchen einen schönen Vorwand, den Uebermuth der Perser, die ihm sein Reich vorenthalten, zu demüthigen. Narses trotzt auf ungeheure Heere, auf seines Ahnherrn Saphor allzugünstiges Glück, und die Cäsarn, eingedenk Valerians 1 schimpflicher Gefangenschaft, und seines entehrenden Todes, brennen, die alte Schmach in Perserblut abzuspühlen. So stehen[40] beide Völker einander gegenüber; und nach der vorigen Niederlage des Galerius ist das Auge der Welt auf diesen entscheidenden Kampf gleicher Kräfte ängstlich geheftet. Auch meines, Phocion! und höher schlägt mein Herz bei dem Bilde künftiger Schlachten, großer Ereignisse, verhängnißvoller Thaten, die für das Vaterland so wichtig werden können.

Aber nicht allein des Vaterlandes Schicksal, auch das Schicksal des Freundes ist's, was mich diesmal lebhafter als je für diesen Krieg bewegt. Tiridates Glück hängt davon ab. Ich liebe ihn, seine Ansprüche sind gerecht, der Ausgang kann mir nicht gleichgültig seyn. Er gründet noch manche andre Hoffnung auf den Fortgang seiner Waffen, die ihm wohl sehr theuer, nach meiner Meinung aber nicht eben so gerecht ist. Sulpicien, die er mit unaussprechlicher Heftigkeit liebt, denkt er durch eine Scheidung, die er durch die Einwirkung des Galerius zu erhalten hofft, ihrem Manne zu entziehen, und dann auf den armenischen Thron zu erheben. Es ist Alles unter ihnen verabredet und sicher bestimmt, nur Zeit und Gelegenheit wird erwartet. Mir ist diese Sache widerlich, und ich würde einen vorzüglicheren Ruhm darin finden, gar nicht im Geheimnisse zu seyn, wo abrathen vergebens, und zustimmen wider meine Denkart ist. Nicht viel besser, als der Plan zu einem Raube, scheint mir diese Verabredung, durch überdachte Maaßregeln einem Manne daß zu nehmen, was rechtmäßig sein ist. Mag immer Serranus Sulpiciens schätzbaren Eigenschaften kein gleiches Verdienst entgegen zu setzen haben, und mit eben so viel Leichtsinn als Schwäche über Gebühr an armseligen Vergnügungen hängen – sie ist nach den Rechten der [41] Väter, nach ihres Vaters Willen, mit ihrer eigenen Zustimmung sein Weib geworden, und soll es bleiben, bis gegenseitige Uebereinkunft beider Gatten ein Band, zu lösen für gut findet, das nicht länger mit ihrem Wohl bestehen kann. Tritt einst dieser Fall ein, dann mag sie aus seinem Hause in das eines Andern übergehn.

Was noch mehr als diese heimliche Falschheit mich innerlich verdrießt, ist der Leichtsinn, mit welchem Calpurnia in diesen Plan eingeht, und ihn, so viel sie kann, unterstützt. Was könnte dieses Mädchen seyn, wenn nicht allzugroße Leichtigkeit der Denkart, und ihr Hauptgrundsatz, daß Behaglichkeit und Vergnügen der einzige und letzte Zweck unsers Daseyns sind, sie über manches Erhabne und Ernste so spielend wegführte. Sie hat viele achtungswerthe Vorzüge, sie ist eines hohen Grades vom Menschenliebe, von Freundschaft fähig, manches Opfer sogar bringt sie mit festem Willen und heiterm Sinn, und mitten in dieser würdigen Stimmung geht sie mit unbegreiflichem Leichtsinn zu Thorheiten und Aeußerungen über, die mein Gefühl tief verwunden. Aber sie ist schön, Phocion! Sie ist das schönste Weib, das ich je gesehen habe. Das fühle ich, und zürne mir selbst, daß ich es so tief fühle. – Wenn sie, hingegossen auf ihr Ruhebett, die goldne Leier im Arm, durch Ton und Gesang meiner Sinne bezaubert, oder in begeisterter Stellung, noch unendlich reizender durch den seltenen Ernst, der ihre Züge erhebt, schöne Stellen aus unsern Dichtern declamirt, oder endlich, was ich zwar nur ein einziges Mal sah, im pantomimischen Tanz, wie eine Luftgestalt, daherschwebt, und in jeder Bewegung tausend namenlose Grazien entfaltet; o Phocion! wie schön ist sie dann! Nur einmal, wie ich [42] dir sagte, sah ich sie so; denn trotz ihrer epikuräischen Grundsätze hat sie ein sehr seines Gefühl für Schicklichkeit und weibliche Würde. Es war ein stiller traulicher Abend, kein fremder Zeuge außer mir gegenwärtig, als sie auf vieles Bitten ihres ältern Bruders Lucius, der ihr Liebling zu seyn scheint, ihrem Vater, den Brüdern und mir bei verschlossenen Thüren dies unendlich reizende Schauspiel gab. Sie tanzt vortrefflich, noch anziehender aber sind die Bewegungen ihrer Arme, ihr Mienenspiel, ihre Geberden, womit sie sprechend und unverkennbar dem Zuseher die Fabel des Stückes vergegenwärtigt. Ja, Phocion! dieser Eindruck, wird nie aus meiner Seele schwinden.

Ist das aber recht? Soll ein Spiel unsrer Sinne, eine angenehme Einwirkung auf äußere Organe, denen kein deutlicher Begriff zum Grunde liegt, vermögend seyn nicht allein mächtig auf den edlern Theil unseres Selbst zu wirken, sondern sogar diesen Theil wider seine Ueberzeugung mit sich fortzureißen, und zu Handlungen zu bestimmen, die vor der prüfenden Vernunft nicht bestehen können? Was ist der Mensch für ein armes, schwaches Geschöpf! Ein Spiel, nicht allein des Schicksals, der allgewaltigen Natur, der Leidenschaften – auch ein weit verächtlicheres seiner Sinne, die selbst bei besseren Menschen sich gegen die Vernunft empören.

Unbegreiflicher Zauber der Schönheit! Was bist du! Ein Phantom, ein conventioneller Begriff, abgeändert nach Clima und Zeit, weder aus der Natur der Menschen bestimmbar, noch überhaupt unter Regeln zu bringen! An den schönsten Gestalten Griechenlands geht der Bewohner der beißen Zone ungerührt vorüber, und was [43] uns widrig erscheinet, entzündet seine Einbildungskraft, und bezwingt sein Herz. Und was ist endlich Schönheit oder Reiz? Diese oder jene unwillkührliche Gestaltung des Körpers, die Lage irgend einiger Muskeln, das zartere oder gröbere Gewebe der Haut, eben so eine bloße Wirkung physischer Kräfte, jedem Einfluß der Vernunft entzogen, als die Bildung eines Grases, einer Blume, und eben so ohne Folge für den inneren Werth, der doch allein den Menschen zum Menschen macht! Tausendmal, Phocion, habe ich mir dies gesagt, tausendmal, wenn Calpurnia in ihren Reizen vor mir schwebte, mich bemüht, die Natur und Quelle des mächtigen Eindrucks zu zergliedern, und so die Wirkung des Ganzen aufzuheben. Es gelang auf einen Augenblick, im nächsten verschwand alle Speculation vor der allgewaltigen Macht der Schönheit.

Phocion! ich fange an, mit mir selbst sehr unzufrieden zu werden. Ich weiß bestimmt, daß Calpurnia ihres Charakters wegen mich nie wahrhaft glücklich machen kann, und trotz dieser festen Ueberzeugung – – Wie kann ich Tiridates tadeln, der auch nichts anders thut, als dem Eindrucke nachgeben, dem zu widerstehn, ihm Kraft und Wille fehlt?

Wille? Fehlt mir dieser? Nein, Phocion! diese Gerechtigkeit darf ich mir widerfahren lassen. Ich will widerstehn, und ich hoffe, ich werde es. Ist kein Schild wider diese Reize in Vernunft und Grundsätzen zu finden: so übrigt die Flucht, die keinem, der ernstlich will, entstehen kann.

Calpurnia hat in diesen Tagen einen Beweis gegeben, daß sie nicht allein liebenswürdig sey, daß sie auch mit Kraft einen edlen Vorsatz auszuführen vermöge. Sulpicia [44] lag krank in Bajä. Häusliche Verdrüßlichkeiten, Einfluß der Witterung, mehr als dies, verzehrende unglückliche Leidenschaften hatten ihre Gesundheit erschüttert. Sie fürchtete, allein in bloßer Begleitung ihrer Sclaven nach Rom zurückzukehren. Serranus war selbst krank und konnte sie nicht abholen. Da entschloß sich Calpurnia, die Freundin nicht zu verlassen. Des Vaters abgeneigter Wille ward durch Bitten und Flehen bestürmt, und unter dem Schutze eines treuen Freigelassenen reisete sie im ungünstigsten Wetter, Tag und Nacht, nach Bajä, und brachte der kranken Freundin Hülfe und Trost. Am folgenden Morgen kehrte sie in kleinen Tagereisen mit ihr nach Rom zurück. Ich war zugegen, als sie anlangten. Tiridates, der kurz vorher wenig Hoffnung gehabt hatte, seine Geliebte noch vor seiner Abreise zu sehen, harrte ihrer mit Sehnsucht und Angst. Sie traten ein. Phocion! Welche Gewalt auf der Erde kann sich mit der Allmacht der Liebe messen? Fordre nicht, daß ich dir das Wiedersehen dieser seligen Unglücklichen beschreibe, dieses Entzücken, diesen Schmerz diese Götterwonne, diese Verzweiflung! Sie müssen sich trennen, und ihre Zukunft liegt in tiefem Dunkel. Entzündet und tief erregt von dem Auftritte, dessen Zeuge ich war, gerührt von Calpurniens Edelmuth, wiederholte ich es doch noch einmal: ich will ihrem Zauber widerstehen, und ich hoffe, ich werde es.

Ein hohes Bild schwebt in ätherischer Klarheit vor meiner Seele. Larissa erscheint mir oft, hier in Rom, seit ich um Calpurnien lebe, öfter als sonst, im Wachen, in Träumen – und nicht vergebens! An dieser reinen Flamme verzehrt sich jede unlautere Begierde, läutert [45] sich der Wille, stählt sich die Kraft. Ich habe alle Hoffnung verloren, sie wieder zu sehen; dennoch kann ich in manchen Augenblicken einem heißen Wunsch, einer Ahnung künftiger Vereinigung nicht widerstehen. Auch das ist einer der Widersprüche in meinem Innern, die mich beschämen und quälen. Soll ich denn zu keiner Ruhe des Gemüths gelangen? Soll meine Brust ewig streitenden Neigungen zum Kampfplatze dienen? Oft vertröstet mich die Hoffnung, die doch keinen Menschen, wie elend er sey, verläßt, auf meine spätern Jahre; Manneskraft und kälteres Blut wurden bewirken, was jetzt. Vernunft und Ueberlegung fruchtlos versuchen. Vielleicht hat diese Stimme recht! Manchmal ist mir aber auch, als wäre, dies Alter zu erreichen, mir nicht bestimmt, als sollte ein frühzeitiger Tod gewaltsam den Kampf endigen. Ich würde nicht darüber trauern. Auch hierin kann ich ohne Anmaßung und Stolz mit dem Weisen sagen: Ich gehorche den Göttern nicht, ich stimme ihnen bei 2.

Denn, was ist das Leben, Phocion? Die Bedingung unserer Bestimmung auf Erden. Wir sind hier, weil wir etwas zu thun, zu schaffen, zu hindern haben, das in den Plan des großen Ganzen gehört. Haben wir das verrichtet, so können wir abtreten. Hierzu ist kein Maaß der Jahre bestimmt. Die Vorsicht setzt das Werkzeug ihrer Absicht in der gehörigen Zeit und den erforderlichen Umständen in Bewegung. Ist die Wirkung vollbracht, dann zerbricht sie das unnütze Geräthe, und wo wir dann hinkommen? Phocion, das ist das schauerliche Räthsel, das kein Sterblicher lösen kann. Tartarus, [46] Elysium sind artige Mährchen. Doch hangen Viele daran, die nichts Höheres zu denken wagen. Darum sollen sie uns öffentlich heilig seyn! Und auch! – es wäre ein schöner Gedanke, die vorangegangenen Geliebten in stillen Auen des Friedens wieder zu findend! Dort würde ich auch meine Larissa sehen! Ach wer daran glauben könnte!

Wie unglücklich ist es, diesen seligen Wahn aufgegeben zu haben, und in allen Schulen der Philosophen, in allen ihren Büchern nichts zu finden, das diesen Verlust ersetzt! Ach wer an Elysium glauben könnte! sage ich noch einmal.

Es ist gar zu traurig, welche düstre entnervende Vorstellungen von unserm Fortwähren im Hades 3 sich die meisten, selbst vernünftigen Menschen machen. Wenn Hadrian sein Seel'chen bleich und nackt in unbekannte Orte hinwankend denkt, wo kein Scherz, keine Freude, mehr ist: wenn Achill im Homer lieber Tagelöhner auf der Oberwelt, als König im Reiche, der Schatten seyn [47] möchte; wenn Mäcenas es wünschenswerth findet, unter allen erdenklichen Schmerzen, selbst am Kreuze zu leben, nur um zu leben – wie müssen die Begriffe der Menschen von ihrem Zustande nach dem Tode gewesen seyn!

Wer aber gibt uns bessere, die einen Grad von Wahrscheinlichkeit hätten? Schlafen? Nichts von sich wissen? Was sind das anders, als schonende Namen für die grauenvolle Idee der Vernichtung, vor der das denkende Wesen zurückschaudert? – Plato hat schöne Ideen, aber sie befriedigen nicht, sein Phädon vermag keinen Zweifler zu beruhigen. Die Stoiker und alle übrigen Philosophen geben Vermuthungen. Wer gibt dem dürstenden Geiste Gewißheit? Und vor Allem, wer gibt dem rohen sinnlichen Volke, das durch losen Spott und unberufene Lehrer auf die Nichtigkeit seiner Götter aufmerksam geworden ist, und Ehrfurcht und Scheu als lästige Bande abzuwerfen strebt, einen neuen Zaum? Es ist schrecklich, sage ich dir, wie weit die Verachtung alles Heiligen und Ehrwürdigen in Rom nicht blos in den höhern Ständen, sondern auch unter dem niedrigsten Pöbel geht. Diese alte Religion sinnlicher, leidenschaftvoller, diebischer, ehebrecherischer Götter kann nicht mehr den Zauber ausüben, den sie, unbegreiflich genug, so manches Jahrhundert ausgeübt hat. Die Welt in ihrer jetzigen Verfeinerung, Ueberverfeinerung und Verderbtheit, braucht einen stärkeren Zaum und würdigere Begriffe von ihrer Bestimmung und von der Gottheit selbst.

Es ist unmöglich, bei den Folgen dieses Mißverhältnisses der Religion zum Zeitalter, gleichgültig zu bleiben. Die Zukunft scheint mir schrecklich, ich fürchte traurige Ereignisse für die Mit- und Nachwelt. Ich kann mich [48] dieser Gedanken nicht entschlagen, wenn sie mich oft recht peinlich fassen. So leide ich doppelt. Das ist das unselige Loos von Gemüthern, wie das meine, daß das künftige Uebel sie schon quält, ehe noch das gegenwärtige seine Macht über sie verloren hat. Beklage mich, Phocion, nur entzieh dem düstern Träumer, den du schon oft vergebens ermahnt hast, deine Nachsicht und Liebe nicht. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Der Kaiser Valerianus wurde bei Edessa von den Persern geschlagen, und zum Gefangenen gemacht. Saphor, ihr mächtiger König, hielt ihn bis an seinen Tod in schimpflicher Gefangenschaft, und setzte, wenn er sein Pferd bestieg, immer den Fuß auf den Nacken des unglücklichen Monarchen.

2 Seneca de Tranquillitate.

3 Hades, Tartarus, Namen für die Unterwelt. Die Stellen auf welche weiterhin angespielt wird, sind folgende:

Animula vagula, blandula,

Hospes, comesque corporis

Quae nunc abibis in loca

Pallidula, rigida, nudula,

Nec ut soles dahis jocos.

–– –– ––

Debilem facito manu

Debilem pede, coxa:

–– –– ––

–– –– ––

Vita dum superest, bene est,

Hanc mihi, vel acuta

Si sedeam cruce, sustine.

10. Sulpicia an Calpurnien

10. Sulpicia an Calpurnien.

Rom, im März 301.


Daß du, statt meines Besuchs, einen Brief von mir erhältst, daß es mir, drei Straßen weit von dir, nicht möglich ist, dich zu besuchen; ist das Werk niedriger harter Menschen, an deren Spitze Serranus, und – ich schaudre es zu sagen – mein Vater steht. Novius, der Nichtswürdige, der unsre Villa so unverantwortlich vernachlässigt hat, rächt die Entdeckung seiner Schandthaten durch niederträchtige Verläumdung an mir, indem er Serranus und meinen Vater von meinem Verhältnisse zu Tiridates unter dem Gesichtspunkte unterrichtet, aus welchem ein feiles Gemüth, wie das seinige, eine solche Verbindung zu betrachten im Stande ist! Um die Gunst seiner alten Gebieter zu gewinnen, hat er nichts unterlassen, was den Prinzen und mich in ein verhaßtes Licht setzen kann, und aus dem eignen schändlichen Gemüth noch recht viel Abscheuliches und Entehrendes hinzugesetzt. Was mir aber unbegreiflich bleibt, ist, daß er, die Götter wissen woher? von Allem weiß, was für die Zukunft zwischen Tiridates, mir und dir verabredet ist. Mein[49] Vater wüthet. Der Gedanke einer Scheidung, einer Verbindung mit einem barbarischen Tyrannen 1, wie er Tiridates nach alter Römersitte nennt, macht ihn aller Schonung, aller väterlichen Liebe vergessen. Calpurnia! Ich würde trotz des Kummers und der Kränkungen, die ich ausstehen muß, dennoch diese Ausbrüche seines Zorns mit kindlicher Ergebung tragen, wenn ich sie als Folgen wirklicher Schwachheiten und eingewurzelter Vorurtheile, die nicht mehr in die Zeiten passen, ansehen könnte; aber ich fürchte, es liegt dieser unverhältnißmäßigen Wuth etwas anders zum Grunde, das vielleicht nicht so edel, so verzeihlich, – – o laß mich darüber hingleiten! Das Geschlecht der Anicier ist mächtig, ihr Einfluß am Hofe bedeutend. Mein Vater ist ehrgeizig, er hat drei Söhne zu versorgen, die zum Theil schon in Hofämtern (wie wenig stimmt das mit ächtem Republikanismus überein!) dienen, die er gern weiter bringen möchte! Das empört mich, das macht mir meine hülflose Lage unter diesen Händen unerträglich!

Serranus würde sich nicht unterstehen, mich mit bittern Vorwürfen, mit niederm Verdacht, so wie er thut, zu verfolgen, wenn nicht die Aufreizungen meines Vaters und sein Ansehn dies schwache unselbstständige Gemüth zu einer ihm selbst unerreichbaren Härte und Kraft aufregten. So aber stützt sich seine Armseligkeit auf jenen festen Grund, und er peinigt mich um so mehr, je weher [50] es thut, sich von Jemand mißhandelt zu sehen, den man nicht achten kann, der alle Augenblicke die gelernte Rolle vergißt, und die Inconsequenz seines Innern durch unzusammenhängendes Betragen äußert, jetzt schilt, jetzt trauert, in dieser Stunde mich durch niedrigen Verdacht herabsetzt, in der nächsten die alte Liebe wieder hervorbrechen läßt, und mich mit Klagen, Bitten und Vorwürfen ärger als mit Scheltworten martert. Seit acht Tagen währt diese Qual, die im Anfange noch erträglich, jetzt jeden Tag peinlicher wird, seitdem Serranus, gewiß auf Anstiften oder Befehl meines Vaters, so weit geht, mich durch meine Sclavinnen beobachten zu lassen, seitdem ich – o ich erröthe, indem ich es schreibe – wie ein Kind behandelt, nicht einmal allein ausgehen darf, wenigstens nicht zu dir. Dich hält man für meine Mitverschworne. Man weiß, daß du des Tiridates und meine Vertraute bist, und man traut dir und mir und dem Prinzen Dinge zu, die zu wiederholen, mir Stolz und Achtung verbieten. Genug, ich soll dich nicht sehen, wenigstens nicht allein. Lucia 2, die Amme meines Gemahls, oder er selbst begleiten mich bei jedem Ausgang. Seit ich das fühle, verlasse ich den Umkreis meiner Wohnung nicht mehr. Ich erkenne meines Vaters unbeugsamen Sinn in diesen Anstalten, der vor der Verbindung mit dem Prinzen zu erröthen vorgibt, aber nicht erröthet, seine Tochter vor ihren Sclaven zu erniedrigen! Calpurnia! [51] Fühlst du ganz, wie tief ich gesunken, wie elend ich bin? und Tiridates ist fern, und dein Umgang mir versagt! Ich bin einsam und hülflos, den Händen meiner Peiniger überlassen! O welcher Gott gibt mir Kraft, dies zu ertragen, oder Muth und List, meine Ketten zu zerbrechen.

Fußnoten

1 Die Römer nannten voll Nationalstolz alle fremden Völker Barbaren, und Tyrann war im Alterthume der Name eines jeden Monarchen, ohne daß man eben den gehässigen Begriff damit verband, den wir bei diesem Worte denken.

2 Die Ammen der Vornehmen jener Zeit blieben meistens bis an ihren Tod in den Häusern ihrer Pfleglinge, und spielten manchmal die Rollen der Vertrauten und Gehülfinnen bei heimlichen Verhältnissen, wie man in den Theaterstücken der Alten findet.

11. Agathokles an Phocion

11. Agathokles an Phocion.

Rom, im März 301.


Dieser Brief ist der letzte, den du aus Rom erhältst. Ich verlasse es in wenig Tagen, um Kriegsdienste zu nehmen, und jetzt, wo das Auge der Welt auf die große Entscheidung geheftet ist, mit und für Tiridates zu streiten. Zeihe mich keiner Unbeständigkeit, wenn du mich, nach dem, was ich dir unlängst geschrieben habe, doch diesen Stand, der so viel von seiner ursprünglichen Würde und Zweckmäßigkeit verloren hat, ergreifen siehst! Ich brauche Beschäftigung, bestimmte, unnachlässige Thätigkeit; denn ich fühle, daß in meiner jetzigen Lage jene Muße, in der sich sonst meine Seele so wohl befand, Gift für mich wäre. Calpurnia ist zu reizend und zu leichtsinnig. Um sie zu seyn, und sie nicht zu lieben, ist unmöglich; sie zu besitzen und glücklich zu seyn, noch unmöglicher. So sehr sie mich anzieht, so tief fühle ich, daß wir nicht für einander geboren sind. Darum ist es Pflicht gegen mich, gegen sie, daß dieser Zauber zerstört werde, und das kann und wird er sicher durch Entfernung. Weniger als je widert mir diesmal der Zweck und die Art des angefangenen Krieges. Es gilt keine neue Eroberung, kein prunkendes Hinzufügen neuer Provinzen zu dem ungeheuern [52] Staatskörper, um sie eben so zu vernachlässigen und auszusaugen, wie die vorigen. Dem rechtmäßigen Beherrscher soll der Thron seiner Väter erstritten, und die Schmach vergangener Jahre an übermüthigen Barbaren gerochen werden. So ehrt der Zweck die Mittel, und ich erröthe nicht, ich freue mich vielmehr, in diesem Kriege auch meine Kräfte zu versuchen, und eine edle Absicht mit Aufopferungen befördern zu helfen. Tiridates ist nach Mailand zum Augustus Maximian. Ich folge ihm bald, wir schiffen uns in Ravenna ein, und in ein paar Wochen denke ich in Nikomedien zu seyn. Daß ich dich nicht mehr dort treffen soll, war eine schmerzliche, eine niederschlagende Nachricht für mich, die ich aus dem Briefe meines Vaters vernahm. Du bist als Lehrer in der Akademie nach Athen berufen, du verlässest deine Vaterstadt, vielleicht in dem Augenblicke, wo ich mich anschicke, sie wieder zu sehen. Wie hätte ich mich gefreut, dich noch dort zu finden! Es sollte nicht seyn. So will ich denn auch diese fehlgeschlagene Hoffnung, wie so viele andere, woran mich mein Geschick von Jugend an gewöhnte, gelassen ertragen. Mein Vater hat mir geschrieben, so väterlich, so gütig, wie seit langer Zeit nicht. Ich weiß wohl, und fühle es dankbar, daß diese Milderung seiner Gesinnungen gegen mich dein Werk, daß es das schöne Vermächtniß ist, das du scheidend mir im väterlichen Hause zurücklässest. Habe Dank dafür, jenen innigen aber wortarmen Dank, den du weder verkennst, noch verschmähst! Ich hoffe endlich meinen Vater, auch in dieser Hinsicht, mit mir zufrieden zu sehen. Ich habe ihm meinen Entschluß, Kriegsdienste zu nehmen, geschrieben, und ihn um seine Verwendung gebeten. Er wünschte längst, mich [53] in irgend einer Laufbahn thätig zu sehen; und so fällt sein Wunsch mit meinen Absichten zusammen. Trifft dich dieser Brief noch in seinem Hause, so schildere ihm meine kindliche Dankbarkeit für seine Güte, und sage ihm, daß ich es nächstens selbst thun werde. Leb' wohl, theurer, väterlicher Freund!

12. Calpurnia an Sulpicien

12. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im März 301.


Zum erstenmal in meinem Leben setze ich mich mit rothgeweinten Augen, erschöpft von einer halbdurchwachten Nacht, nieder, um deinen Brief zu beantworten, den mir deine treue Chromis gestern in der Dämmerung verstohlen brachte, dein Schicksal mit dir zu beklagen, und, was mich selbst schmerzt, in deinen mittheilenden Busen auszugießen. Arme, unglückliche Freundin! Und durch wen unglücklich, als durch das boshafte Geschlecht, das, zu unserer Qual geschaffen, uns durch seine Fehler und Tugenden gleich empfindlich martert! O glaube mir, Sulpicia, ich fühle mit dir. Die Aussicht, einen Freund zu verlieren, dessen Vorzüge mich eine Weile verblendeten, zeiget mir, was es seyn muß, einen Geliebten zu vermissen. Agathokles ist im Begriffe fortzureisen. Du staunst? – So plötzlich, so unerwartet, so – wie soll ich sagen? ohne alle hinlängliche Veranlassung! Sein Eifer für die gute Sache deines Tiridates wurde auf einmal so brennend, und seine Pflicht, dem Wunsche seines Vaters entgegen zu kommen, so dringend, daß er sich auf der Stelle entschloß, Kriegsdienste zu nehmen, und den Feldzug wider, die Perser mitzumachen. Er, dessen [54] Charakter, dessen Denkart nie diesem Beruf günstig oder gemäß war, er, der in so Manchem, fast in allen Stücken von seinem Vater verschieden denkt; er hat nun nichts Angelegeneres zu thun, als sich zur Reise anzuschicken, und einen Ort bald zu verlassen, wo ihn nichts auf der Welt zurückhält. O! Er hat vollkommen Recht; aber diejenigen, die sich über seine Entfernung grämen wollten, hatten eben so vollkommen Unrecht.

Das weiß ich, das fühle ich, und doch, Sulpicia – wie muß ich mich meiner Schwachheit schämen – doch, gestern, als er es mir ankündigte! Ich war nicht vermögend, ihm sogleich zu antworten. Meine Kniee wankten, mein Blut schien auf einen Augenblick stille zu stehen, und ich empfand, daß auch meine Gesichtsfarbe, wenigstens zum Theil, die Bewegung verrathen mußte, die in meinem Innern vorging. Indessen – er war ja so gefaßt, so ruhig, so aus freiem Willen entschlossen! Was hätte ich für ein verworfenes Geschöpf seyn müssen, wenn ich mich nicht an dieser Kälte abgekühlt, an dieser bewunderungswürdigen Kraft gestärkt hätte! Ich wurde auch stark! Ich fand in ein paar Secunden, ja indeß er noch, ich weiß nicht mehr was, sagte – denn zum Verstehen war ich zu sehr, o gegen dich darf ich ja den Ausdruck brauchen! zu sehr betäubt – ich fand die Kraft wieder, ihm mit Gelassenheit, ja sogar scherzhaft zu antworten. Schnell, mit einer leichten Wen dung drehte ich das Gespräch auf Nebensachen, auf die Anstalten zu seiner Reise, die günstige Witterung u.s.w. Mein Vater und meine Brüder waren gegenwärtig. Es ward mir leicht, unter einem Vorwande das Zimmer zu [55] verlassen, und in der Einsamkeit die mühsam zurückgehaltne Erschütterung meines ganzen Wesens austoben zu lassen. Gern hätte ich auch den Thränen, die Schmerz und Zorn unaufgehalten hervorriefen, freien Lauf gegeben; aber das durfte ich nicht wagen, denn die Stunde des Abendessens war nahe, und Agathokles, wie immer, bei uns. Ich wendete also blos die einsame Viertelstunde an, um eine leidentliche Haltung anzunehmen; dann kam ich in's Speisezimmer zurück. Die Abreise, welche mein Vater und die Brüder recht aufrichtig bedauerten, war, wie du denken kannst, der Gegenstand aller Gespräche. Ich that mir Gewalt an, so viel Gewalt, daß mein Herz heimlich aus allen Tiefen zu bluten anfing; aber ich erstaunte selbst über meine Kraft, und schien von Allen die Ruhigste, die Kälteste, sogar kälter als er, und das wollte Viel sagen! Da bemerkte ich denn – o was sind diese Männer für schwache Geschöpfe! Wie reizt sie so gar nichts, als was ihnen verwehrt ist! Wie wird die unbedeutendste Sache ihnen, wie den kleinen Kindern, nur dann lieb, wenn sie sich ihnen entzieht! – ich bemerkte deutlich, daß Agathokles in eben dem Maaße stiller, nachdenkender, mißmuthiger schien, je heiterer und fröhlicher ich wurde. Das verdoppelte meine Kraft; denn es flößte mir ein Gefühl von Spott ein, und so gelang es mir, bis zu Ende der Mahlzeit die Rollen ganz umzutauschen. Wir schieden scherzend auseinander. Ich ging auf mein Zimmer – ich hoffte ruhig bleiben zu können. Da trat deine Chromis ein, und ich las deinen Brief. Auf einmal fiel die Erinnerung an meine Lage, vermischt mit dem, was ich für dich empfand, wie eine [56] Centnerlast auf mein Herz. An deinen Schmerzen erneuerten sich die meinigen, und meine Thränen fingen an so heftig zu fließen, daß der Morgen bereits zu dämmern begann, als endlich ein mitleidiger Schlaf meine Augen schloß. So sind es denn Männer, und immer Männer, die die höchsten Qualen über unser Leben ausgießen, sie mögen uns lieben oder hassen! Serranus liebt dich, dein Vater, so hart er scheint, nimmt doch gewiß innigen Theil an dir, und Agathokles? O wie oft las ich das Geständniß seiner Liebe in seinen Augen, seinen entschlüpften Worten! Und doch, doch können sie uns so grausam peinigen, so aller Rücksichten vergessen, und in der rohen wilden Kraft ihres Wesens auch nicht von fern ahnen, wie ein Weib fühlt, und was unsre Herzen bei diesen rauhen Berührungen leiden müssen!

Was ist es bei Agathokles? Philosophischer Stolz, keiner Leidenschaft zu unterliegen? Spiel mit einer wachsenden Empfindung, oder lächerliche Treue gegen ein Schattenbild? Was es immer sey – er befolgt seinen Plan, weil er ihn einmal entworfen hat, ohne Rücksicht auf die, die Antheil an seinem Schicksal nehmen, die ihn in jedem Zimmer, bei jedem einsamen Mahle, bei jeder reizlosen Freude schmerzlich vermissen werden. Er denkt nicht daran. Er will reisen, und so thut er es. Und ich sollte ihm nachweinen? Nein, Sulpicia, diesen Triumph soll der kalte ernste Censor 1 nicht erleben. [57] O! ich will fröhlich und heiter seyn, und lächeln, wenn er sein Pferd besteigt, und zum letztenmal aus dem Thore unsers Hauses sprengt. Ich will – denn er verdient es nicht anders!

Sieh doch, Sulpicia, was Stolz und Unmuth für eine Gewalt über den Menschen haben! Ich habe mit Thränen zu schreiben angefangen, sie sind während des Briefes noch häufig geflossen; jetzt sind sie getrocknet. Ich weine nicht mehr, denn ich zürne, und finde in meinem Zorn eine Stütze gegen die unzeitige Weichheit meines Herzens. O man tadle mir den Zorn nicht! er ist eine erhebende, eine heldenmüthige Empfindung, er hält der lähmenden Wehmuth das Gleichgewicht, und stärkt uns, wenn mir zu unterliegen befürchten müssen.

Mit deinen zwei Peinigern wollen wir schon auch noch fertig werden. Sie sollen uns nicht über die Köpfe wachsen. Sind sie hart, wir wollen es noch härter; sind sie schlau, wachsam, wir wollen es noch mehr seyn. Es soll ihnen nicht gelingen, uns zu trennen. Wir sehen uns bald und ungestört wieder. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Censor war eine obrigkeitliche Person in Rom, unter deren Aufsicht die Sitten und das Vermögen der römischen Unterthanen standen.

13. Sulpicia an Tiridates

13. Sulpicia an Tiridates.

Rom, im März 301.


Aus einer düstern Einsamkeit, von keinem Trost, von keinem heitern Gedanken erhellt, nur von den Manen meines ehemaligen Glückes umschwebt, dessen Erinnerung die Stacheln meiner Leiden schärft, schreibe ich an dich, Tiridates! Bald vielleicht ist mir auch dieses letzte Gut geraubt. Härte und niedere Selbstsucht umgibt mich mit hundert feilen Argusaugen. Unser Verhältniß ist [58] auf eine unwürdige Art vom Unwürdigen entheiligt dem Serranus und meinem Vater verrathen worden. Alles, was strenge, von trüben Ansichten geleitete Härte, was engherzige Kleinlichkeit und niedrige Eifersucht von Qual und Lasten auf ein zerrissenes Herz wälzen können, erdulde ich. Man hat gesucht, mich von Calpurnien zu trennen. Ihre treue Liebe und schlaue Kühnheit hat dies gedrohte Unglück von mir abgewandt. Sie hat Serranus rufen lassen. Ihr Verstand, ihre wohlangewandte Freundlichkeit hat ihn gewonnen. Das Geschlecht, aus dem sie stammt, und ihres Vaters Einfluß hat dem meinigen, Ehrfurcht geboten, und man wehrt ihr jetzt nicht, mit mir umzugehen. Nur fühle ich wohl, daß mich selbst in ihren Armen Verdacht und Argwohn umlauert. Man läßt uns selten allein. Immer weiß man es zu veranstalten, daß noch ein Besuch zu gelegener Zeit kömmt, oder ein Mitglied der Familie sich etwas in unserm oder den anstoßenden Gemächern zu schaffen macht. Wie klein, wie armselig, wie verächtlich mir das erscheint, brauche ich dir das wohl zu schildern? O wenn ich hier je hätte lieben können, die leiseste Empfindung wäre mit der letzten Wurzel durch ein solches Betragen vertilgt! Und vollends nun – da ich nie liebte, nicht einmal achtete! Man lauert auf meine Briefe. Diese besorgt Calpurnia selbst, und auch ihre Briefe müssen durch Umwege an mich gelangen. Wenn nichts mich zum Haß, zur Rache berechtigte, wäre es nicht schon die fürchterliche Nothwendigkeit, in die man mich setzt, mich zu solchen Schritten herablassen zu müssen?

Ich bin unaussprechlich unglücklich. Mein Leben ist eine grauenvolle Nacht, in der bewußtlos hinzuschlummern, [59] jetzt der höchste Wunsch meines gepeinigten Wesens wäre! Tiridates! Warum mußte ich dich kennen lernen? Warum mußte dein Anblick die stille Fassung, worein Gleichgültigkeit und Ueberlegung mein Herz gebracht hatten, so gewaltsam stören? Warum mußte mir das mögliche Ideal männlicher Vollkommenheit, das bisweilen in einsamen Stunden meine Seele, wie ein schöner Traum, beschäftigte, in dir auf einmal wirklich erscheinen, in dir, den Geburt, Vaterland und Verhältnisse mir ewig fremd halten mußten? Welches grausame Vergnügen findet das Schicksal darin, in den Gebirgen Armeniens und im glänzenden Rom zwei Seelen ganz für einander zu bilden, sie sich finden zu lassen, und sich gewaltsam zu trennen? Doch nein, ich klage nicht. Ich habe dich gefunden, ich habe dich geliebt, das kann mir keine Macht der Erde rauben: und wenn auch das Glück, daß ich dich kennen gelernt habe, mich von diesem Augenblicke an ewig elend machen müßte, ich könnte es nicht bedauern, nicht bereuen; denn ich war selig – selig wie die Götter!

Und ist denn jede Hoffnung verschwunden? Liegt hinter der grauenvollen Gegenwart keine bessere Zukunft? Tiridates! ich bin sehr schwach. Es gibt Augenblicke, wo mein Herz in seinen unendlichen Schmerzen versunken, ihn heftig ergreift, und von keiner Hoffnung etwas wissen will; wo es sich jeder Aussicht möglicher Verbesserung verschließt, und eine Art von dumpfer Beruhigung darin findet, daß es nie aufhören wird, zu leiden. Dann ist mir, als wäre meine Rechnung mit dem Schicksal abgeschlossen. Mein Leben, auch das noch kommende, liegt [60] hinter mir, wie ein vollbrachter Tag. Die Zukunft ist vorüber, ich fürchte nichts, ich hoffe nichts, nicht einmal den Tod. Ich fühle nur, daß ich elend, daß ich von dir getrennt bin.

Und was wird, indessen ich hier leide, dein Schicksal seyn? Vielleicht kämpft dein Schiff mit Sturm und Wogen – ein Blitz trifft es – es sinkt – du bist im Abgrunde des Meeres begraben! Oder ich sehe dich späterhin im Schlachtgewühl – ein Pfeil durchbohrt dein Herz, für das zu leben meine einzige Bestimmung ist! Was soll ich denn auf der Welt? O laß mich dir nacheilen! Laß mich mit dir in's öde Reich der Nacht hinabsteigen, oder an deiner Seite liegen und schlafen! Beneidenswerthes Loos, wenn uns im Reiche des Lichtes und fröhlichen Wirkens kein Glück mehr beschieden ist! O schreibe mir bald, Tiridates! Reiß mich aus dieser Angst, die oft bis zur Verzweiflung steigt! Nur dies, daß du lebst, daß ich hoffen kann, dich noch einmal zu sehen, macht es mir möglich zu leben.

Auch Agathokles hat uns verlassen. Er eilte dir bald nach, um sich mit dir einzuschiffen. Ich vermisse seinen Umgang, seine thätige warme Freundschaft recht sehr, obwohl wir über viele und wichtige Punkte nicht gleich dachten. Aber ich war die Geliebte seines Freundes, und das war genug, ihn für mich zu gewinnen. Er hat Manches für mich gethan, das ihm mein Herz nie vergessen wird. Er ist sehr edel, aber ich fürchte, er wird nie glücklich werden; denn seine Begriffe passen nicht in sein Zeitalter Calpurnia hat sicher einen starken Eindruck auf ihn gemacht; dennoch erlaubte er sich – die Götter mögen [61] wissen warum – nicht, diesem sanften Zuge zu folgen. Man sah die Gewalt, mit der er dieser Einwirkung widerstand. Er ist ein sonderbarer Mensch! Bei ihm gilt nicht, was in ähnlichen Fällen Calpurnien vor heftigen Eindrücken bewahrt – Leichtigkeit des Sinnes, und ein fröhliches Temperament. Seine Kälte ist Gewalt über sein Gemüth, seine Gelassenheit die Frucht eines schmerzlichen Kampfes. Die glückliche Calpurnia! Agathokles war ihr sehr werth. Sie war wohl zu stolz, es ihm zu zeigen, da sie die strenge Entfernung bemerkte, in der er sich geflissentlich von ihr hielt. Ich weiß aber, daß sie ihn sehr geliebt hat. Viele und bittere Thränen sind über seine Abreise in meinen Schooß vergossen worden. Ich hatte sie noch nie gesehen, als am Tage nach seinem Abschiede. Dennoch nach drei Tagen kam sie zu mir, ihre Thränen floßen noch bei jeder Erwähnung des theuren Namens, und – sie hoffte schon auf die Linderung, die ihr die wohlthätige Zeit bringen würde, auf die allmählige Schwächung jedes heftigen Eindrucks, auf die Kraft der Zerstreuung, der sie sich zu überlassen recht ernstlich vornahm! O wie glücklich ist sie!

Soll ich – darf ich sie beneiden? Nein, Tiridates! Ich kann nicht, wenn ich auch dürfte. Nein, daß ich dich liebe, und so innig, so unaustilgbar, so mit aller Kraft meines Wesens, ist mein Glück, und wenn es mich auch verzehrt. Du aber, der du weißt, daß deine Briefe jetzt mein einziger Trost, der einzige helle Strahl in der Nacht meines Kummers sind: schreibe mir bald, oft, Alles, was dich betrifft, jede Kleinigkeit, jeden Gedanken, jeden Wunsch. Bedenke, was mir diese Briefe zu ersetzen haben, [62] für was sie mich entschädigen sollen – und laß mich nicht verzweifeln.

14. Agathokles an Phocion

14. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Mai 301.


Nach einer ziemlich beschwerlichen Seereise, wo unstäte Winde, und ein empörtes Meer uns beinahe auf immer von dem Ziele unserer Reise, dem holden Vaterlande, getrennt hätten, langten Tiridates und ich vor acht Tagen in Nikomedien an. Süßer Zauber der heimathlichen Gefilde! Wie sanft bewegst du unser Herz! Wie lieblich erscheint die Küste des Vaterlandes nach langer Abwesenheit! Zwar wirst du mir sagen, nach einer gefahrvollen Seereise wäre uns jedes Ufer erwünscht erschienen? Doch es ist nicht ganz so. Bei Erblickung dieser Hügel, die ich als Knabe bestieg, dieses Gestades, an dem ich so oft lag, um Aug' und Gemüth an der Unermeßlichkeit des Meeres zu stärken, und endlich des väterlichen Hauses, seiner nächsten Umgebungen, wo so Manches vorgefallen war, das noch jetzt süß und schmerzlich meine verödete Brust bewegt – ich fühle mich ergriffen, und ich schäme mich nicht, zu gestehen, daß ich die theuren Gegenstände mit einigen Thränen grüßte, die unwillkührlich über meine Wangen floßen. Auch Tiridates, obwohl noch fern von seinem Vaterlande, war durch den Anblick des asiatischen Ufers des Schauplatzes großer noch unentschiedener Thaten, nicht weniger bewegt, als ich. Wir umfaßten uns, und schwuren ernst und heiter, uns selbst und dem treu zu bleiben, was wir für gut und recht erkannten. So sprangen wir an's Land, so eilten wir in [63] die Stadt, in meines Vaters Haus. Er kam uns sehr freundlich entgegen. Die Gesellschaft des Prinzen, des Lieblings zweier Cäsaren, schielt ihm angenehm für sich, und ehrenvoll für mich. Ich gab mich, ohne weiter zu grübeln, dem Gefühl des Augenblicks hin, und genoß die Freude, meinen Vater so zuvorkommend und gütig zu sehen, mit vollen Zügen. Ich durchlebte einen frohen Tag. Am zweiten ging es schon anders. Wir sollten zum Diocletian. Mein Vater wollte mich ihm vorstellen. Auch Tiridates billigte diesen Schritt, und schien ihn nothwendig zu finden. Mir widerte das Ansehen von Aufwartung und Unterthänigkeit, das er durch die Umwege und feierlichen Anstalten bekam, die jetzt nöthig sind, um sich dem Imperator zu nähern. Ich dachte an das alte Rom, an die Hof- oder Haushaltung der ersten Cäsarn, wie selbst der schlaue Octavian, der edle Marc-Aurel, der tugendhafte Pertinar, aus Biedersinn oder List des Volkes Meinung schonend, nichts anders als Roms erste Bürger schienen – und mein Inneres empörte sich. Was mußte da herumgeschickt, angefragt, gebeten, zubereitet werden! Selbst an unserer Kleidung wurde gemustert. Endlich schien meinem Vater Alles würdig und gehörig bestellt, und wir traten in sehr kostbaren Gewändern, von vielen Sclaven gefolgt, unsern Weg nach dem Palast an. Ich glühte vor Schaam und Unwillen. Ich glaubte in den Mienen jedes Vorübergehenden den verächtlichen Spott über unsere eigennützige Erniedrigung zu lesen. Mir war's, als schwebten in dem Augenblicke die Schatten der Ahnen um uns, und sehen verachtend auf die entarteten Enkel nieder, die sich [64] knechtisch vor dem zu bücken gingen, den sie in ihren Zeiten als einen ihres Gleichen behandelt hatten. Tiridates nahm es viel gelassener auf. An orientalische Sitte gewöhnt, bewegte ihn unsere Lage nur zu seinem Spott, mit dem er sich selbst nicht schonte. So kamen wir in den Palast. Durch eine Reihe Gemächer geführt, in denen asiatische Wollust und Pracht um den Vorrang stritten, ließ man uns endlich in einem der Innersten unter einer Menge schimmernder Sclaven und Clienten warten – warten – drei tödtlich lange Stunden, und – schickte uns in der vierten unverrichteter Dinge nach Hause, weil der Augustus nicht für gut fand, uns vorzulassen. Nur der ausdrückliche Befehl meines Vaters, und mein fester Vorsatz, unser scheinbar gutes Einverständniß, so lange ich in Nikomedien bleiben mußte, nicht zu stören, brachte mich dazu, am andern Morgen den erniedrigenden Versuch zu erneuern. Diesmal dankte ich's dem Einfluß des Tiridates, daß wir ziemlich bald vorkamen. Aber, o mein Phocion! Welche Wunden schlug meinem Herzen der blendende Schimmer, die empörende Eitelkeit, das lächerlichsteife Ceremoniel 1 am Hofe dieser gekrönten Sclaven! Aus dem Staube der Dienstbarkeit durch eignen Genius, noch mehr durch Umstände [65] und eine Denkart, der kein Mittel zu schlecht war, auf den Thron erhoben und befestigt, herrscht er mit einem Trotz und Uebermuth über die zitternde Welt, der mit nichts als dem ungeheuren Glücke zu vergleichen ist, das ihn in seiner Laune erhob, und mit bisher beispielloser Treue hegt und pflegt. Nicht daß ich seine wahrhaft großen Geistesanlagen, verkennte, nicht daß ich ihm die Stille nicht dankte, die während seiner Regierung das erschöpfte Menschengeschlecht genießt: aber sehen – sehen muß man so etwas nicht in der Nähe, wenn man unparteiisch bleiben soll!

Er empfing uns ziemlich anständig; aber die Thiara, die von seinem Haupte strahlte, der Thron, auf dem er hoch erhoben, saß, verengten meine Brust, und schloßen meine Lippen. Mein Vater führte das Wort. Er stellte mich ihm vor, er bat ihn um einen Platz unter den Truppen für mich. Ich ließ Alles geschehen, ohne eine Sylbe zu sprechen. Mag mich der Tyrann für einfältig oder störrisch halten, mir gilt es gleich. Doch hat er mich zum Centurio ernannt, und übermorgen gehe ich mit Tiridates zum Heere ab. Hier brennt der Boden unter meinen Füßen. So ungewohnt meiner Denkart das wilde Leben im Lager seyn wird, so wird mir doch dort im Freien, im Getümmel, besser seyn, als hier.

Sisenna Statilius hat das Haus neben dem unsrigen wieder verkauft, es gehört einem unbedeutenden Bürger. Unter einem Vorwande war ich gestern dort. Es ist noch Vieles unverrückt, wie es vor acht Jahren war. Mir war sehr weh und sehr wohl zu Muthe. Ich erkundigte mich nach seinen ehemaligen Bewohnern. Die [66] Meisten in Nikomedien erinnerten sich ihrer kaum mehr doch wollen einige gehört haben, daß Timantius in Syrien, unbekannt, unter einem fremdem Namen gelebt habe, und vor ein paar Jahren gestorben sey. Die Söhne sind zerstreut, die Tochter – o Phocion! wie schlug mein Herz – soll geheirathet haben! Geheirathet!! Also bin ich vergessen! Kann ich es ihr verdenken? Und doch schmerzt es mich! Vielleicht ist sie auch schon todt! Ich weiß nicht, in welchem Gedanken mehr Qual liegt.

Sie zu finden ist wohl jede Hoffnung verloren, und nichts ist, was mir Ersatz gewähren könnte! Calpurnia nun gewiß nicht! Ich habe mich in Rom seltsam von ihr getrennt. Als ich ihr meine Abreise ankündigte, schien sie – nicht bewegt, nicht wie eine Freundin betrübt; sie schien beleidigt, gereizt. Ihre Eitelkeit war gekränkt. Der Sclave, den sie sicher an ihrem Triumphwagen gekettet glaubte, war noch stark genug, sich loszureißen. Das war ihr unerhört, unverzeihlich. Sie behandelte mich nun beständig so, bis zum Tage meiner Abreise, und ich ward sehr ernst durch die Entdeckung dieser Falte in ihrem Gemüthe. So ist auch sie, die so weit über den meisten Weibern steht, von dieser allgemeinen Schwäche nicht frei, und keiner Freundschaft fähig, wenn Eitelkeit sich in's Spiel mischt! Nur Ein Weib habe ich gekannt, in deren reinem mildem Gemüth nichts als Liebe, holde Demuth und Selbstvergessenheit war! Nur Eine! Und wo ist sie? Beim wirklichen Abschiede schien indeß Calpurniens besseres Selbst die Oberhand zu gewinnen. Sie entließ mich, wie die Freundin den werthen Freund, theilnehmend, gütig, gerührt. Wir haben uns zu schreiben [67] versprochen. Die Erinnerung an ihren Liebreiz, an ihre hohen Vorzüge wird mich, wie die Erinnerung an einen froh durchlebten Tag, freundlich begleiten: aber ich glaube versprechen zu können, daß sie meine Freiheit nie stören wird. Dazu sind wir zu unähnlich. Mögen gute Götter sie beschützen, und bald ein würdiger Gatte ihre Vorzüge erkennen und mit Liebe vergelten!

Ich schreibe dir heute nicht mehr. Die Anstalten zu meiner Reise, die ich mit großer Eile betreibe, rauben alle meine Muße. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Diocletian war der erste römische Kaiser, der, vielleicht aus sehr guten Ursachen, in diesem verderbten Zeitalter jene Popularität ablegte, die längst aufgehört hatte, mehr als Maske und eine kluge Schonung alter Volksbegriffe von Republikanismus zu seyn. Er führte persisches Ceremoniel ein, trug eine Thiare, eine mit Perlen besetzte Binde im Haar, und umgab sich mit einer blendenden Hülle von Pracht, Gefolge und Unzugänglichkeit.

15. Calpurnia an Sulpicien

15. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im Mai 301.


Mein treuer Phädo bringt dir diesen Brief sammt dem Einschlusse, der dir freilich lieber seyn wird, als Alles, was der meinige enthält. Ich will dir's auch nicht übel nehmen; denn ich würde im umgekehrten Falle eben die Nachsicht, von dir fordern, wenn ich ihrer bedürfte. Ich bin aber so glücklich, oder so unglücklich, wenn du willst, daß die Briefe, die ich bekommen soll, ganz frei und ungehindert zu mir gelangen können, ohne des Einschlusses einer dienstfertigen Freundin zu bedürfen, die die mir unbemerkt in die Hände spielt. Vielleicht sind sie aber auch aus dieser Ursache so beschaffen, daß die ganze Welt sie unbedenklich lesen dürfte. Es ist nun einmal eine Eigenheit des männlichen Herzens, daß es nur durch das heftig gereizt wird, was ihm verwehrt ist, und einen Gegenstand nur nach dem Maaße des Kraftaufwandes schätzt, den ihm sein Besitz kostete. Sie können nicht[68] dafür, die armen Herren der Schöpfung; die Natur hat diese Triebe in ihr Herz gelegt. Wir wollen sie auch darum nicht verdammen, aber in Acht sollen und werden wir uns vor ihnen nehmen.

Wende mir nicht ein, Sulpicia, daß das überhaupt eine Eigenheit des menschlichen Herzens, und eine Anstalt des Schicksals sey, um unsre Fähigkeiten zu wecken und zu entwickeln. Ich weiß wohl, daß die Mutter manchmal auch das schwächliche Kind, das ihr viel Sorgen und Mühe gemacht hat, mehr liebt, als die übrigen; und wie manche Frau sehen wir nicht in seltsamer Verirrung mit unauslöschlicher Zärtlichkeit an einem Mann hängen, der ihr durch Leichtsinn und Untreue nichts als Kummer macht? Doch nie – gewiß nie wendet ihr Gemüth sich launisch von einem Gegenstande ab, blos darum, weil es ihr leicht war, ihn zu erhalten, oder erkaltet in der Dauer und Sicherheit des Genusses. Nein, vielmehr stärken Gewohnheit und Zeit unsre Neigungen. Was wir lange haben, wird uns darum werther, und in der Rechtmäßigkeit und Würde seiner Gefühle findet das Weib seinen Stolz und sein stärkstes Band.

Der Brief von Tiridates an dich war in einem eingeschlossen, den mir Agathokles bei seiner Rückkunft nach Nikomedien geschrieben hat – ein sehr verbindliches Danksagungsschreiben für alle Gefälligkeiten, die er in unserm Hause empfangen, eine kurze Beschreibung seiner Reise, Nachrichten von Tiridates, Grüße an dich, an seine übrigen römischen Bekannten u.s.w., ein Brief, den ich im Forum hätte können anschlagen lassen!

[69] Und das schreibt Agathokles mir? Es ist also vollkommene Ruhe in seinem Herzen, und von Allem, was ihn hier so tief zu bewegen schien, jede Spur auf der glatten Oberfläche seiner Seele verschwunden? Ich muß dir gestehen, daß es mich überrascht hat, auch mitunter ein Bischen verdrossen. Aber das ist schon vorüber. Solche Stürme verwehen schnell bei mir, und es bleibt nichts davon zurück, als die weise Lehre, künftig vorsichtiger zu seyn, und vor allen Dingen kein Wesen auf der Welt in einem andern als dem klaren Tageslichte der Wirklichkeit anzusehen. Traue nur Niemand den Gestalten, die die Phantasie uns statt der Dinge an sich unterschiebt. Sie haben meistens nichts von ihren Originalien, als die äußere Form, und wir würden oft sehr erstaunen, wenn wir auf einmal statt des idealisirten Phönix den gemeinen Haushahn sehen könnten, der wirklich vor uns steht: wir würden klüger und demüthiger werden. Denn, laß es uns aufrichtig gestehen, unsere Eitelkeit hat an dergleichen Apotheosen wohl eben so viel Theil, als unser Herz und unsere Phantasie. Wir möchten gar zu gern von einem Heros geliebt seyn, mit Göttergestalten umgehen, und so nach und nach selbst zur Göttin werden. Aber es kömmt die liebe Zeit in ihrem Alltagsschritte, und die gemeine Wirklichkeit. Sie nähern sich dem schönen Phantom, das vor uns steht. Vor ihrer kräftigen Berührung verschwindet der Nimbus, der es umgab, die Göttergestalt selbt sinkt zur gewöhnlichen Erdengröße herab, und die arme Sterbliche, die sich schon eine Heroin glaubte, ist wieder auf die platte Menschheit reducirt. Das thut nun freilich weh im ersten Augenblick – [70] im zweiten verschmerzt man's um den Gewinn an Menschenkenntniß und Erfahrung, und küßt, wie ein wohlgezogenes Kind, die Ruthe, die uns für den verwegenem Versuch auf die Finger klopft.

Sieh, Liebe, aus diesem gemeinen, aber sehr wahren Lichte sehe ich die Geschichte zwischen Agathokles und mir an. Auch er ist ein gewöhnlicher Mann, jedem ersten Eindruck offen, schwach gegen die Macht der Schönheit, achtlos für weiblichen Werth, leichtsinnig und flatterhaft. Das erkenne ich nun deutlich, und bin auch seit dieser Erkenntniß wieder ganz in den Besitz der seligen Ruhe gelangt, die seine Anwesenheit, sein Scheiden gestört haben, und in der doch allein mir eigentlich wohl ist.

Könnte ich nur in deine Brust einen Tropfen dieser friedlichen Stille, dieser behaglichen Gleichgültigkeit übertragen! Könnte ich dich nur ein einzigesmal die Welt und die Menschen so betrachten machen, wie ich sie ansehe! Glaube mir, es würden noch Schönheiten genug an der ersten, und Tugenden an den letztern übrig bleiben, um ihnen recht gut zu seyn, und seines Lebens froh zu genießen; aber was unsre Leidenschaften in so stürmische Bewegung bringt was uns das kurze Daseyn so oft verbittert, würde wegfallen. Wir würden von Umständen und Menschen nicht mehr erwarten, als sie leisten können, kein Wesen mehr schätzen, als es verdient, und jedes nach seiner Art benützen, ohne über die Uebel, die wir ja zu berechnen wußten, zu klagen.

Ich meine, mit dieser Art zu denken, hätte ich auch mit deinem Serranus nichts unglücklich seyn wollen! Er [71] kömmt zuweilen zu mir, und ich glaube beinahe, er hat Lust, mich zur Vertrauten seines beklemmten Herzens zu machen! Ich kann eben nicht sagen, daß mich das sehr freuen würde, aber die Achtung, die er mir zeigt, freut mich. Er ist im Grunde ein guter Mensch, nur leichtsinnig und schwach, durch Erziehung und Beispiel verdorben, und hätte wohl vielleicht, unter vernünftiger Leitung, ein ganz annehmliches Wesen werden können. Er liebt dich aufrichtig. Der Verlust deiner Neigung – der arme Mann wiegt sich in den süßen Traum, sie vor Tiridates Ankunft besessen zu haben – thut ihm sehr weh. Im Ernst, Sulpicia! glaube mir, so ein Mann ist trotz seiner prosaischen Denkart weit brauchbarer für's alltägliche Leben, als jene idealisirten Geschöpfe. In Verbindung mir einem vernünftigen Weibe übernimmt sich so ein Mensch nicht leicht, überläßt der klügeren Frau die Leitung ihres gemeinschaftlichen Besten, stört ihre Ruhe durch keine wilden Flüge der Einbildungskraft, reißt sie nicht, ihrer besseren Vernunft zum Trotz, in überirdische Welten fort, liebt sie aufrichtig und dankbar – und bleibt ihr treu! O ich lobe mir die Prosa des Lebens!

Darum, liebe Sulpicia, um dieser neuen Erfahrungen willen, überhöre die Stimme der Freundschaft, die schon so oft vergeblich an dein Herz drang, nicht länger, suche jetzt, da Entfernung und andere Umstände diesen Entschluß begünstigen, eine Neigung zu besiegen, die dich gewiß unglücklich machen muß: nicht, weil du mit Anicius vermählt bist – Ehen können getrennt werden, – nicht, weil deiner Verbindung mit Tiridates Hindernisse im Wege stehen – Muth und Standhaftigkeit werden sie [72] besiegen – nein, darum, weil kein Mann der Liebe eines Weibes würdig ist, darum, weil sie Alle, mehr oder minder flatterhaft, sinnlich, selbstsüchtig sind. Was sie an uns lockt, ist Sinnenreiz, was sie eine Weile festhält, Phantasie, Eitelkeit, Eigensinn. Hören diese Triebfedern auf zu spielen, so erschlafft die Begierde, mit ihr die Liebe, und wir sind ihnen nichts mehr.

Nenne mich nicht grausam, wenn ich dir jetzt etwas sage, das dich hart dünken wird. Schilt den Arzt nicht, der in Ueberzeugung des Bessern dir bittere Arznei reicht. Glaubst du wohl, daß ohne deine Schönheit und die ungeheuren Hindernisse Tiridates Liebe so feurig und treu seyn würde? Laß nur den Krieg glücklich enden, deine Verbindung mit Anicius durch die Macht des Cäsars getrennt werden, den Prinzen im ruhigen Besitz seines väterlichen Throns und deiner Hand seyn, und dann sieh, wie lange die Flamme noch matt fortglimmen wird, die jetzt so ungestüm lodert!

So denken sie Alle – Alle – und diejenige, die einen Einzigen ausnehmen will, ist betrogen. Was sie aber betrügt, ist nicht der Mann – denn der Bösewichter, die aus Absichten Liebe heucheln, sind wenige – sondern ihr eigenes Herz, ihre aufgereizte Einbildungskraft, die es ihr unmöglich macht, den allgemeinen Geschlechtsbegriff auf den Einzelnen anzuwenden, die Eitelkeit, die ihr zuflistert, daß sie eine Ausnahme würde gefunden haben, weil – sie eine zu finden verdiente u.s.w.

Verzeih, Sulpicia! wenn dich mein Brief schmerzt; verzeih es der 'Freundschaft, die dich so gern vom Abgrund zurückreißen möchte; verzeih es den Erfahrungen, die ich [73] gemacht habe, und liebe mich darum nicht weniger. Leb' wohl, theure Freundin! Wir sehen uns nächstens.

16. Tiridates an Sulpicien

16. Tiridates an Sulpicien.

(Im vorigen eingeschlossen.)


Nikomedien, im Mai 301.


Meere und Länder trennen uns! Zwei unendliche Monate dehnen sich zwischen dem letzten glücklichen Augenblicke meines Lebens, und den unerträglichen Stunden, die ich hier Pflanzen gleich verträume! Was ist das Daseyn ohne dich? Was ist das bedeutungslose Athmen einer Luft, in der dein Hauch nicht schwimmt, der langweilige Verkehr mit Menschen, von denen Keiner dich kennt, Keiner deine Göttergestalt gesehen, Keiner je das Glück gefühlt hat, den Ton deiner Stimme zu hören? Sulpicia! Nur die Aussicht auf das Ziel, das meine angestrengtesten Kräfte jetzt zu erreichen streben, die Hoffnung auf die Befriedigung der edelsten Leidenschaften, deren die menschliche Brust fähig ist, gibt mir Stärke, hier auszuhalten. Was sonst als dies kann mich hindern, zurückzueilen, und in deinen Armen, an deiner Brust die Wonne der Götter zu fühlen? O der Anblick deiner Reize, der Wohllaut deiner Stimme wird mit dem Leben nicht zu theuer bezahlt!

Und all' diese Fülle von Seligkeit wird mein seyn! Keine Macht der Welt, keine unwürdigen Bande, kein Bestreben niederer Eifersucht wird mir deinen Besitz streitig machen. Mein Arm wird den Thron meiner Väter erkämpfen, und ich werde ihn nur besitzen, um ihn [74] mit dem schönsten Weibe der Erde zu theilen. Dann, Sulpicia! dann wird dein Geist seinen angebornen Platz behaupten, und dein königlicher Sinn in königlichem Wirken sich beglückt und beglückend fühlen. O eilt, eilt ihr Stunden! Steige früher, Titan, aus dem Flammenmeere, stürze dich früher in Thetis Arme, und beflügle den trägen Gang der Zeit, bis der helle Augenblick naht, der allein den Namen des Lebens verdient!

Ich schwärme, Sulpicia! meine Pulse fliegen, mein Blut kocht, mein ganzes Wesen entzündet sich bei dem Gedanken dieses Glücks. Dann bist du mein! und all' der unendliche Liebreiz deiner Gestalt, diese zauberischen Formen, diese anmuthigen Bewegungen, dieser Ton der Stimme, der in den innersten Tiefen meines Herzens wiederhallt, sind mein – mein ausschließliches, unbestreitbares Eigenthum! Laß mich abbrechen, laß mich ruhiger werden, sonst kann ich unmöglich den Brief endigen, und dir sagen, was du zu wissen brauchst!

Ich habe deinen Brief erhalten. Welche düsteren Bilder, welche quälenden Vorstellungen beunruhigen dich, meine Geliebte! Fürchte nichts, nichts für unsere Liebe, nichts für mein Leben! Den Gefahren der See reise bin ich glücklich entgangen. Mehr als einmal drohte der Sturm unser Schiff an Felsen zu zerschellen, er durfte nicht. Der Glückliche, der zur Wonne der Götter in deinen Armen bestimmt ist, durfte sein Grab nicht in den dunkeln Fluthen finden, und kein Pfeil wird diese Brust treffen, in der dein Bildniß lebt. Diese Zuversicht steht fest in mir; mir ist, als könnte ich den Zufall [75] kühn herausfordern, und versichert seyn, daß seine ganze Tücke nichts gegen mein Glück vermögen wird. Du liebst mich, Sulpicia! du hast mich gewählt. Aus fernen Weltgegenden hat uns das Schicksal zusammengeführt, unsre Wege, die so verschieden lagen, vereinigt, mir in Cäsar Galerius einen Freund geschenkt, der das einzige Hinderniß unserer Vereinigung, deine Verbindung mit dem schwachen Serranus, zu heben vermag. Diocletians Politik macht ihn meinen Absichten geneigt, die Armee ist voll des besten Willens, in Armenien sind meine Freunde thätig gewesen, mein Volk liebt mich, es liebt nicht mich allein um meiner selbst willen, es segnet und ehrt noch die Wohlthaten und weise Regierung einer langen Reihe von Vätern in dem letzten Sprößling des edlen Stammes. Das persische Joch hat auch den Nacken der einst Mißvergnügten nun wund gedrückt, sie werden sich mit meinen Freunden vereinigen, sie werden viel – Alles wagen. Sage mir, Sulpicia! wo ist nun ein Grund zur Furcht für uns? Muthig, meine Geliebte! O laß mich die freudige Zuversicht, die meine Brust erfüllt, auch in deinen zarten Busen gießen, und dir Kraft ertheilen, das Einzige, was wir zu fürchten und zu tragen haben, die Qualen einer langen Trennung, standhaft zu erdulden.

Agathokles ist nun auch mit mir in den Strudel des geschäftigen Lebens hineingezogen. Ich glaube, es ist sehr gut für ihn; denn die Muße ließ seinem kräftigen Geiste zu viele Freiheit, in sich hinein mit verderblicher Gewalt zu wirken. Er hat Calpurnien mehr geliebt, als sie vielleicht glaubt; dennoch hat er in der Ueberzeugung, [76] daß er nie glücklich mit ihr werden könnte, die Kraft gehabt, sich von ihr loszureißen. Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, diese Standhaftigkeit oder jene Grille. Genug, es hat ihn einen schweren Kampf gekostet, aus dem sein besseres Ich, wie er es nennt als Sieger hervorging. Das hat er mir auf der Reise gestanden, so wie auch das, daß die Erinnerung an seine erste Geliebte in den gewohnten alten Umgebungen wieder lebhafter geworden ist. Er hat von Neuem Nachforschungen nach ihr angestellt, und der Eifer, mit dem er diesem Phantom nachstrebt, und die schöne Wirklichkeit von sich stößt, scheint mir ein neuer Beweis, wie nöthig ihm Zerstreuung und thätige Geschäftigkeit ist, die ihn aus den Regionen der Phantasie in die Gegenwart einführt. Dennoch liebe ich ihn herzlich, und fürchte mich auf unsre nahe Trennung; denn ich gehe zum Cäsar Galerius, der das Centrum kommandirt, und Agathokles als Centurio zu Demetrius, auf unsern linken Flügel.

Du aber, meine Geliebte, meine unaussprechlich theure Freundin! beruhige dich, entferne die düstern Bilder, die dein schönes Gemüth quälen! Die Götter werden, sie können uns nicht trennen. Was auch niedrige Menschen beginnen mögen, was sie ersinnen, um unsre Verbindung zu hindern, laß es dir keinen trüben Augenblick machen. Ich werde den Cäsar in wenig Tagen sprechen. Sein Machtwort beschwört jeden Sturm, der sich gegen uns erhebt, und mein Arm wird den Zufluchtsort, von dem aus unsere Liebe der ganzen Welt sicher Trotz bieten kann, erkämpfen. Diese schöne Hoffnung steht lebhaft [77] vor mir, befeuert meinen Muth, und macht es mir möglich, ohne dich zu leben. Leb' wohl!

17. Agathokles an Phocion

17. Agathokles an Phocion.

Edessa, im Junius 301.


Wenn du dir einen Begriff von der verzweiflungsvollen Lage des Verbannten machen kannst, der nach langem Irren endlich die Küsten des Vaterlandes erblickt, und im Begriff, das Ende seiner Leiden zu finden, sich auf einmal von einem furchtbaren Sturm zurückgeworfen, und an das unwirthbare Gestade eines Felsen getrieben sieht, wo er die heiß ersehnte Gegend, das Ziel seiner Wünsche beständig im Auge, vor Hunger und Elend umkommen muß, so kannst du dir ein Bild von meinem Zustande machen. Phocion! Welches unerbittliche Spiel treibt das Schicksal mit meinen Wünschen? Was hat es mit mir vor, daß es mich durch solche Prüfungen führt? Ich habe sie gefunden – ich habe Larissen gesehen! Ich lebe mit ihr unter einem Dache – und habe sie auf ewig verloren! Fassest du den Jammer, der in diesen Worten liegt? Ich bin zu bewegt, um ordentlich zu schreiben. Laß mir Zeit, mich zu fassen.

Ich habe gekämpft, ich habe auf Minuten den Sturm besänftigt, der in meinem Innern wüthet, um dir erzählen zu können. Diese Uebung meiner Seelenkräfte steht mir jetzt noch oft bevor, ich kann nicht genug eilen, um mich daran zu gewöhnen. Höre also: Vor acht Tagen kam ich nach dem Befehl des Diocletian zu Edessa bei dem Demetrius 1 an. Das Hauptquartier unsers Flügels [78] ist bei dieser Stadt auf der Villa eines reichen Bürgers. Zu diesem Feldherrn hatte mich der Wunsch meines Vaters, die Genehmigung des Augustus bestimmt.

Alter Kriegsruhm, strenge Zucht und unbescholtene Redlichkeit haben ihn Beiden empfohlen, damit ich von ihm in Allem unterwiesen, würdig unter eines würdigen Mannes Anleitung meine erste Schlacht kämpfen sollte. Demetrius empfing mich, wie ich es erwartet hatte, rauh, trocken, aber mit Anstand. Die Zerstreuungen und Geschäfte meines neuen Berufs halfen mir in den ersten Pagen vergessen, was mir öfters schmerzlich einfiel, daß ich allein, von jedem theuern Wesen losgerissen unter fremden Menschen, in einer ganz ungewohnten Lage lebte. Die Gemahlin des Feldherrn, die ihren Gemahl aus Gefälligkeit und Achtung für seinen Willen begleiten sollte, wurde erwartet. Nach drei Tagen langte sie an. Ihre Gegenwart im Hause wurde durch nichts anders bemerkbar, als eine ehrerbietige Stille auf dem Flügel, den sie bewohnte, und den öftern Anblick weiblicher Sclaven die hin und her gingen. Sonst blieb sie im Gynecäum verschlossen. An der Tafel, wo sie mit ihrem bejahrten Gatten speiste, waren nur wenige Vertraute zugelassen, und selbst in den Gärten, die weitläufig um die Villa herumliegen, schien sie eigne Plätze zu wählen, die Düsternheit, Einsamkeit und ihre Gegenwart die Uebrigen vermeiden machte.

Vorgestern führten mich meine Träume in eine der wildesten Partien des Gartens, wo hohe Tannen, mit Epheu umwebt, eine finstre Laube bildeten. Die Stille, die Düsternheit des Orts lud mich ein. Ich trat in die [79] Laube, in der ich Niemand sah, und war im Begriff, mich auf die Rasenbank zu werfen, als ein Korb mit vielen Knäueln von Goldfaden, und einigen Spindeln von Purpurwolle, der auf dem Tische stand, mir in die Augen fiel. Dieser Anblick, die Einsamkeit der Scene ließ mich vermuthen, daß die Gebieterin des Hauses diesen Platz gewählt habe, und schon wollte ich mich entfernen, als ein zweiter Blick auf den Korb mich festhielt. Eine dunkle wehmüthige Erinnerung, süße halbverwischte Bilder, die immer lebhafter wurden, wachten in meiner Seele auf. Ich konnte die Augen nicht von dem Korbe wenden, es war mir, ich hätte ihn schon irgendwo gesehen, er war mir nicht fremd, und an sein Bild kettete sich eine Reihe von seltsamen Gedanken und Empfindungen, bis auf einmal die Gewißheit – es war derselbe Korb, den ich vor mehr als zwölf Jahren selbst geflochten, und Larissen am Geburtstage voll Blumen gebracht hatte – hell und erschütternd vor mir stand. In der heftigsten Bewegung ergriff ich den Korb, besah ihn einmal, und war im Begriff, ihn an meine Lippen zu drücken, als ein kleines Geräusch mich aufmerksam machte. Ich sah mich um. Eine schlanke weibliche Gestalt, in lange fließende Gewänder gekleidet, das Haupt mit einem Schleier bedeckt, trat in den Eingang der Laube, und schien vor Erstaunen gefesselt stehen zu bleiben. Auf einmal drang eine Stimme, die mein Innerstes aufregte, in mein Ohr: »Ist's möglich, sehe ich den Sohn des Hegesippus wieder? Bist du's, Agathokles?« Die Gestalt näherte sich, und schlug den Schleier zurück. O Götter, allmächtige Götter! Es war Larissa! Wir flogen einander in die Arme, wir vermochten nicht zu sprechen, wir [80] fühlten nur das Glück, uns nach acht hoffnungslosen Jahren wieder zu sehen. Auf einmal richtete sich Larissa in meinen Armen auf, ich sah ihr Gesicht mit einer tödtlichen Blässe überzogen, sie trat einen Schritt zurück, und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich bin die Frau des Demetrius!« Ich erstarrte – mehr über ihren Anblick, als den verhängnißvollen Inhalt ihrer Worte. »Meine Larissa!« hob ich von Neuem an, und wollte mich ihr nähern. Nein! nein! rief sie, und machte mit der Hand eine Bewegung, als wollte sie mich entfernen. In dem Augenblicke wurde sie noch bleicher, ihre Kniee zitterten, sie wankte, ich umfaßte sie, und sie glitt aus meinen Armen auf die Rasenbank. »Ach Agathokles!« rief sie schmerzhaft, »warum haben wir uns jetzt gefunden?« Ich sah, daß sie einer Ohnmacht nahe war, ich strebte ihr zu helfen, ich wollte ihre Frauen rufen; »Laß,« rief sie, mit kaum hörbarer Stimme! »Laß uns allein.« Hier brach ihr Blick und Stimme, und sie sank ganz bewußtlos an meine Brust. O ihr Götter, welch ein Augenblick! Nach so vielen Leiden, so langer Entbehrung schien sie im Augenblicke des Wiedersehens an meiner Brust zu vergehen! Was ich gethan, um sie wieder zu erwecken, weiß ich selbst nicht mehr, kaum daß ich es damals wußte. Endlich schlug sie die Augen auf, sie sah mich an. – O Phocion! Was ist die Liebe, wenn sie nicht aus diesen Blicken sprach! Und doch –

Ich schloß sie fest an meine Brust, ich sagte ihr Alles, was mir mein Herz eingab. Sie hörte mich stumm aber ohne Widerstreben an, ihr Auge hing unverwandt an den meinigen. Endlich brach sie in Thränen aus. »Du hast mich nicht vergessen, meine Larissa! du liebst [81] mich noch,« rief ich entzückt. Ihr Blick wurde auf einmal finster, sie hob ihren Kopf von meiner Schulter auf, sie zog sich zurück, drückte mich mit dem Arm weg, und sagte mit dumpfer Stimme: »Nein, ich darf nicht – ich bin verheirathet.« Das Gewicht dieser Worte fiel auf mein Herz! Ich sah unser Unglück, den Abgrund, an dem wir standen. Aber Tiridates Hoffnungen strahlten durch die dunkle Nacht meiner Seele, ich näherte mich ihr wieder: Sollte denn keine Hoffnung zur Vereinigung seyn, keine Möglichkeit? sagte ich mit neuem Muthe. »Keine, keine,« rief sie gewaltsam, und ihre Thränen verdoppelten sich. Ich drang heftig in sie, sich zu erklären. Sie schluchzte, daß ihre Brust bebte. Nach einer Weile erhob sie sich. »Agathokles,« sagte sie mit himmlischer Güte, »verlaß mich, dringe jetzt nicht in mich, ich bin unfähig, mit dir zu sprechen. Wenn du mich liebst, Freund meiner Jugend! so gönne mir Ruhe. Geh', ich werde mich zu fassen suchen. Sende mir in einer Weile meine Sclavinnen, daß sie mich zurückbegleiten. Ich fühle es, ich bin nicht im Stande, das Haus zu erreichen.« Ich wollte sprechen, ich wollte sie unterstützen. Mit gerungenen Händen und einem Blicke, der mehr sagte, als ihr bang geschlossener Mund, drang sie auf meine Entfernung. Ich verließ sie, und fand mich nach einiger Zeit in meinem Zimmer wieder. Erst lange darnach vermochte ich den Begebenheiten, die mir wie ein Traum vorkamen, nachzudenken. Wenig tröstlich war, was Vernunft und Ueberlegung mir sagten; dennoch schien es mir weder möglich noch nöthig, jede Hoffnung aufzugeben. Wie viele Ehen sind mit Einwilligung beider Theile getrennt worden! Es ist nicht der Fall Sulpiciens, [82] die jung und schön den jungen Gatten, dem sie freiwillig die Hand gab, der sein Glück in ihr findet, verlassen will, um dem später Geliebten zu folgen. Es ist die Jugendfreundin des Wiedergefundenen, der heilige Rechte an sie hatte, ehe Demetrius sie kennen lernte: es ist die junge Gemahlin des kalten Greisen, der unempfindlich für ihre Vorzüge und Tugenden, vielleicht nur seine Haushälterin in ihr schätzt. Mehr scheint ihm Larissa ja nicht zu seyn, und wie bald ist so ein Platz in einem Hause ersetzt, wo die Frau keinen Platz im Herzen des Mannes behauptet! So dachte ich, so denke ich noch, und glühte vor Verlangen, mit ihr zu sprechen, ihr diese Gründe an's Herz zu legen, über unser Schicksal mich mit ihr zu berathen. Phocion! Welch unbegreifliches Betragen! Welche erstarrende Kälte! Seit vorgestern habe ich sie, die mit mir in Einem Hause lebt, die mich einst so sehr liebte, die mich noch zu lieben schien, die wissen muß, welchen Qualen sie mein Herz preisgibt, mit keinem Auge mehr gesehen! Ich weiß, daß sie sogar die Gärten, sonst ihren Lieblingsaufenthalt, seitdem nicht mehr betreten hat, um mir nicht zu begegnen! Wie ist dies Benehmen zu erklären, wie zu vertheidigen? Verdiene ich nicht einmal, daß man mit mir spricht, daß man sich die Mühe nimmt, die dunkeln Räthsel unsers Verhältnisses zu lösen, und nur wenigstens zu sagen: Lieber Freund! meine Liebe ist erstorben; das, was mich im ersten Augenblick erschütterte, war Ueberraschung, übrigens haben wir nichts mit einander zu besprechen, du nichts zu hoffen. Wie ist sie dazu ge kommen, einem Greise, den sie nicht lieben kann, die Hand zu reichen? Was ist aus ihrer Familie geworden? Man gibt doch dem gleichgültigsten Bekannten[83] aus der Vaterstadt, den man in der Fremde trifft, freundlichen Bescheid um alte Verhältnisse und Freunde. Ich will ja nichts mehr, ich will ja nichts mehr von Larissen, der Frau des Demetrius; nur die Tochter des Timantius, die Nachbarin soll mir erzählen, was aus der Gespielin meiner Kindheit, aus ihren Eltern, ihren Brüdern geworden ist. Das kann doch ihre Pflicht gegen Demetrius nicht verletzen. Sie thut es nicht: also will sie nicht – also bin ich ihr nichts, gar nichts mehr! – O Phocion! Das ist denn nun die ersehnte Entwicklung lange verwirrter Schicksale! Leb' wohl!

Fußnoten

1 Edessa, eine Stadt in Mesopotamien.

18. Larissa an Junia Marcella

18. Larissa an Junia Marcella.

Edessa, im Junius 301.


Mit schwacher, unsichrer Hand, kaum fähig meine Gedanken zu ordnen, schreibe ich dir, geliebte Freundin! Vielleicht wirst du Mühe haben, die Züge meiner Schrift zu lesen; aber ich finde eine Art von Beruhigung darin, dir zu sagen, was in mir vorgeht, und dich in diesen trüben Stunden um Rath und Trost zu bitten. Dies, und heiße Gebete, unbedingte Unterwerfung unter die Hand desjenigen, der züchtigt, weil er liebt, ist für jetzt Alles, was mir übrigt, um nicht zu unterliegen.

Fünf traurige Jahre der Trennung und mannigfacher Leiden, unter Mangel, häuslichem Zwist und Härte fremder Menschen waren vergangen, ohne daß es meinen glühenden Wünschen, meinem heißen Gebete gelungen wäre, das vom Himmel zu erlangen, was allein mein höchstes Gut ausmachte. Warum es nicht geschah, welche [84] Leidenschaften, welche Zufälle sich in's Spiel mischten, um das stille Glück eines armen Herzens zu zerstören, weißt du. Laß mich schweigen! Das Grab bedeckt unsre Tugenden und unsre Fehler mit gleich dichter Hülle. Genug, es war nicht Gottes Wille! Da reichte ich am Sterbebette eines unglücklichen Vaters dem Demetrius meine Hand. Auf Glück und Liebe hatte ich alle Ansprüche aufgegeben. Warum sollte ich nicht, mit dem Opfer meines verödeten Herzens, meiner verlassenen Familie eine Stütze, dem sterbenden Vater den letzten Trost, mir selbst einen anständigen Wirkungskreis für meine Bestimmung als Weib erkaufen? Drei Jahre lebe ich an der Seite dieses Mannes, drei Jahre erdulde ich schweigend, was ein herrisches Gemüth und kriegerische Sitten einer Frau von so verschiedener Denkart Schweres auflegen können. Ich hatte errungen, was ich suchte – die Achtung meines Gemahls. Ich opferte Gott meine Leiden auf, ich erhielt von ihm Kraft und Geduld zu meinem Berufe, ich war ruhig; denn in mir war Friede.

Vier Tage sind es nun, als ich eines Nachmittags einsam in einer dunkeln Laube des Gartens saß, der die Villa umgibt, in welcher das Hauptquartier unsers Heeres, und für jetzt mein Aufenthalt ist. Ich war mit Zurechtmachung der Wolle 1 zu einem Waffenmantel für [85] Demetrius beschäftigt. Jenes Körbchen, das du kennst, das einzige Ueberbleibsel einer bessern Zeit, stand neben mir auf dem Tische, und meine Gedanken irrten in weiten Fernen, als man mich eines Geschäftes wegen in's Haus zurück rief. Nach einer Weile kam ich wieder, und ging auf die Laube zu. Der Anblick eines fremden Mannes, der am Tische stand, und meinen Arbeitskorb betrachtete, machte mich stutzen. Ich ließ den Schleier nieder, und trat näher. O meine Freundin! Wie soll ich dir meine Ueberraschung, meinen Schrecken, und mein Entzücken schildern, als jeder Blick, jedes nähere Betrachten mich überzeugte, daß ich Agathokles vor mir sähe! Seine Aufmerksamkeit auf das Körbchen, das er erkannt haben mochte, hinderte ihn, mich sogleich zu bemerken. Im ersten Taumel der Freude war ich unfähig, Ueberlegungen anzustellen. Ich folgte dem Zuge, der mich gewaltsam zu ihm riß, ich rief ihn beim Namen, er erkannte mich, und ich fühlte in seinen Armen, an seinem sprachlosen Entzücken, daß mich meine Hoffnungen nicht getäuscht hatten, daß ich noch eben so sehr in seinem Herzen lebte, wie zu jener Zeit, da wir, als schuldlose Kinder, ungestört, ungetrennt von ernsten Verhältnissen, mit einander spielten. Ich weiß nicht, wie lange der glückliche Rausch währte, in welchem ich, Alles um mich her vergessend, an seiner Brust lag, und kein anderes Gefühl, [86] als des namenlosen Glückes kannte, den Gegenstand meiner unaussprechlichen Liebe wieder gefunden zu haben. Warum konnte ich nicht in diesem Augenblicke sterben? Warum mußte ich zum Bewußtseyn meines Unglücks erwachen? Demetrius Bild, das Bild meiner Pflicht stieg schreckend vor mir empor. Dieser plötzliche Uebergang, und vielleicht die heftige Erschütterung einer so fremden Empfindung, als mir die Freude ist, schlug meine Kraft nieder, ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Von ihm unterstützt, von ihm bedauert, an seiner Brust sank ich bewußtlos hin, und wäre so glücklich, so gern in seinen Armen vergangen! Seine Stimme, dieser süße wohlbekannte Klang, rief mich in's Leben zurück. O meine Junia! in welches Leben! Die erste Regung des wiederkehrenden Bewußtseyns mußte ich anwenden, um ihm zu sagen, daß wir auf ewig getrennt sind. Er verstand mich nicht, ich glaube es wohl, seine Begriffe sind wahrscheinlich hierin von den meinigen sehr verschieden. Ich bat ihn, mich zu verlassen, er konnte sich nicht entschließen. Ich zitterte vor seinem längern Bleiben, vor der Schwäche meines Herzens, vor dem Verlöschen des Ueberrestes von Kraft, den ich in mir fühlte. Doch gelang es mir. Sein schönes Gefühl verstand mich. Er verließ mich. Als er fort war, als ich das Ende seines Mantels hinter den Hecken verschwinden sah: da – da fühlte ich erst die ganze Größe meines Verlustes, mein ganzes Unglück und seines! Meine Thränen floßen von Neuem so unaußhaltsam, daß, als meine Frauen kamen, sie mich beinahe zurücktragen mußten. Aber, o meine Junia! wie gern wollte ich leiden, Alles, was Gott über mich zu verhängen für gut fände, wenn ich sein edles Herz von dieser [87] Last befreien könnte! Der Gedanke, noch so treu, so warm von dem Besten aller Menschen geliebt zu seyn, war in dem ersten Augenblicke mir eine Quelle unaussprechlicher Freuden – ist's noch manchmal in einer schwachen Stunde: aber ich kann es vor Gott bezeugen, daß den größten Theil der Zeit, die seitdem verflossen ist, mein zerrissenes Gemüth mit inniger Ueberzeugung wünscht, daß er mich vergessen, daß er seine Ruhe wieder finden, und so glücklich werden möchte, als sein Herz verdient!

Was kann – was soll ich jetzt thun? Mein Gewissen ruft mir oft genug zu, daß jeder leidenschaftliche Gedanke an ihn eine Verletzung meiner Pflichten gegen Demetrius ist, dem ich vor Gottes Angesicht Treue und Liebe bis an den Tod geschworen habe. Nun – Liebe konnte ich nicht geben, und Demetrius in seinen Jahren verlangte sie auch nicht; aber die Treue bin ich verpflichtet zu halten, und diese bricht nicht blos das äusserste Vergehen, zu dem ein Weib herabsinken kann, es bricht sie auch die allzuzärtliche Neigung für einen Andern. Diese Ueberzeugung und die Achtung für meine Pflicht war bis jetzt lebendig genug, um mir Kraft zur Befolgung des Weges zu geben, den ich mir als den einzig richtigen vorgezeichnet habe. Ich habe Agathokles seitdem nicht mehr gesehen. Die Erschöpfung, in welcher ich mich seit jener Scene befinde, und die wahrscheinlich an Krankheit grenzt, hat mir bis jetzt zum schicklichen Vorwand gedient, nirgends zu erscheinen, wo ich ihn treffen könnte. Was das mich kostet, weiß nur Gott, vor dessen Vaterblicke ich mein wundes Herz enthülle, der allein Zeuge meiner einsamen Thränen ist. Aber wie werde ich es in der Länge behaupten können? Agathokles dient [88] unter den Truppen, die dem Befehl meines Mannes gehorchen; er ist seit einigen Tagen zu seinem Legaten ernannt worden, er wohnt in unserm Hause, ich kann es in die Länge nicht vermeiden, ihn zu sehen, und mit ihm umzugehen. Demetrius Gemüthsart, die sich langsam und schwer an neue Gegenstände gewöhnt, machte ihn im Anfange auch gegen Agathokles rauh. Du kannst aus meiner Unwissenheit über seine Gegenwart in unserm Hause schließen, wie wenig Aufmerksamkeit ihm Demetrius schenkte. Das fängt an sich zu verlieren. Ich höre meinen Mann oft, und immer mit größerer Achtung von den Fähigkeiten, den vorzüglichen Sitten, der Entschlossenheit u.s.w. seines neuen Legaten sprechen. So wohl mir dieses Zeugniß für Agathokles Tugenden aus dem Munde eines so strengen Richters thut, so sehe ich doch den Augenblick herannahen, wo er ihn in den Kreis der Wenigen ziehen wird, die er mit seinem Vertrauen beehrt, und gern und oft um sich hat. Was bleibt mir dann für eine Zuflucht übrig! Welche Kämpfe stehen mir, welche Leiden dem Unglücklichen bevor, dem ich so gern jedes unangenehme Gefühl ersparen möchte! Es wird nicht dabei stehen bleiben, es wird zu Fragen, zu Erklärungen kommen, die ich nicht vermeiden, und eben so wenig ganz nach der Wahrheit geben kann. Das ist's, wovor ich zittere, wovor mein Innerstes sich entsetzt.

Ich habe eine Weile angestanden, ob ich Demetrius sagen sollte, daß Agathokles und ich uns schon als Kinder gekannt hätten. Ich wog die Grunde dafür und dawider, endlich siegte der Wunsch, kein Geheimniß vor dem Manne zu haben, dem das erste Recht auf Alles, [89] was mich betrifft, zukömmt, und die Besorgniß, daß eben die Verheimlichung, wenn ein Zufall uns verriethe, ihm Verdacht einflößen könnte. Ich erzählte ihm Alles offenherzig, und verschwieg nur den Grad der Empfindung, der uns damals belebte. Das war, glaube ich, eben so sehr meine Pflicht, besonders bei dem festen Vorsatz des muthigsten Kampfes wider diese Empfindung. Er nahm diese Entdeckung nach seiner Art recht freundlich auf, und ich fürchte nur, daß eben diese Kenntniß ihm den Jugendgespielen seiner Frau noch näher bringen, und den Augenblick des Wiedersehens beschleunigen wird. Dies ist nun aber nach der Lage der Umstände nicht zu vermeiden, und Gott wird mir die Kraft geben, eine Last zu tragen, die er mir selbst aufgelegt hat. Er fordert ja nicht mehr von uns, als wir leisten können. Meine Junia! Nun habe ich dir Alles treulich erzählt, und es ist mir, als ob ich meinen Kummer leichter trüge, seit ich ihn dir vertraut habe, seit ich weiß, daß du ihn, wenn du den Brief wirst gelesen haben, mir tragen helfen wirst. Bete für mich, daß Gott mich nicht verläßt. Auf ihm allein steht meine Hoffnung, meine Zuversicht. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die ehrbaren und wirthlichen Frauen jener Zeit folgten noch dem Beispiele der vergangenen Jahrhunderte, wo die vornehmsten Matronen, ja selbst Fürstinnen und Kaiserinnen die Wolle zu den Kleidern und Mänteln ihrer Gatten und Söhne selbst zum Weben zubereiteten, auch wohl selbst webten. So verfertigte Livia die Gewänder des Octavianus Augustus als er bereits Herr der Well war. Jeder kennt aus dem Homer den listigen Fleiß der frommen Penelope, und das Körbchen mit Spindeln von Purpurwolle, das Helena bei sich stehen hatte, wie Telemachos ihren Hofbesuchte, um Kunde von seinem entfernten Vater einzuziehen. So ein Körbchen hieß Calathos oder Calathiskos und war oft ein Gegenstand des Luxus bei vornehmen Frauen.

19. Agathokles an Phocion

19. Agathokles an Phocion.

Edessa, im Junius 301.


Das Räthsel ist gelöset. Ich sehe deutlich in die Tiefe des Abgrunds der vor mir liegt. Ich weiß, daß ich nichts mehr zu fürchten habe, denn ich habe nichts mehr zu hoffen. Larissa ist unwiederbringlich für mich verloren. Die heiligsten Gefühle, die zu bestreiten Vermessenheit und Verbrechen wäre, stehen scheidend zwischen uns. Mein Urtheil ist gesprochen.

[90] Als ich dir das letzte Mal schrieb, regte sich noch mancher Funke von Hoffnung in meiner Brust. Selbst der Unmuth über ihr wunderbar kaltes Betragen flößte mir Kraft und Willen ein, einen kühnen Schritt zu wagen. Ich kannte Larissens Lage – ich kannte die Größe ihrer Gesinnungen, die heiligen Triebfedern nicht, die sie handeln machen. Ich entwarf einen Plan, der uns langsam, aber sicher, an's Ziel geführt hätte; meine Phantasie entzündete sich an den schimmernden Bildern des Glücks, das ich in der Zukunft erblickte. Ich brannte vor Begierde, mit Larissen zu sprechen, ihr meine Entwürfe mitzutheilen, und mit ihr Alles zu überlegen, was uns zu thun erlaubt und möglich sey. Unfähig zu allen übrigen Geschäften und Gedanken, nur auf diesen Punkt, auf diese einzige Hoffnung festgeheftet, brachte ich noch drei ängstliche Tage zu. Ich durchstrich hundertmal die Gärten, ich lauschte in den langen Gängen des Hauses auf ihre Tritte, ich fuhr auf bei dem Anblicke jeder weiblichen Gestalt; denn jedesmal hoffte ich, sie zu erblicken. Sie kam nicht, sie ließ sich nirgends sehen. Endlich erfuhr ich, daß sie die ganze Zeit über krank gewesen war, und ihr Zimmer nicht verlassen habe. O Phocion! Ich sage dir nicht, wie mir damals zu Muthe war! War es Wahrheit, Folge der Erschütterung, Zufall, Vorwand? Tausend Gedanken bestürmten und zerrißen meine Brust. Ich konnte mich nicht länger halten. Meine Seele war von Kummer gebeugt, mein Herz drohte zu zerspringen. Ich schrieb ihr; du findest den Brief in der Abschrift beigelegt. Ein alter Diener des Hauses, der mich liebgewonnen hatte, übernahm die Bestellung. Wahnsinniger! Ich dachte in dem Augenblick nicht an die Gefahr, [91] der ich sie und mich blosstellte. Ich dachte, ich fühlte nichts, als daß ich ihr sagen mußte, was in mir vorging, was ich gehofft hatte, für mich, für sie – wenn ihr Herz noch dasselbe war.


Abschrift des Briefes von

Agathokles an Larissen.


Sechs Tage sind nun verflossen, seit ein unglaublicher Zufall nach acht Jahren uns wieder vereinigte! Die Art unsers Wiedersehens ließ mich auf einen Augenblick die Täuschung nähren, Entfernung und Zeit hätten die Gesinnungen der Freundin – der Geliebten meiner Jugend nicht verändert. Es war nur ein Augenblick! – Sechs lange Tage haben mich vom Gegentheil überzeugt. Larissa vermag diese ganze Zeit über mich in ihrer Nähe, in demselben Hause zu wissen – zu ahnen, welche Unruhe meine Brust erfüllt – und sich mir gänzlich zu entziehen. Kein Gedanke an meine Qual, kein Wunsch, sie zu lindern, kommt in ihre streng verschlossene Seele, und in der tiefen Ruhe, deren sie genießt, wird des Freundes zerstörender Schmerz nicht geachtet. Nicht einmal das Verlangen der Neugier, was in acht Jahren mit dem Allbekannten geschehen, oder das leichte Gefühl der Freude, das des Landsmannes Anblick in der Fremde erweckt, regt sich in ihrem Busen. Sie ist nichts als die Frau des Demetrius. Nikomedien, ihre Jugend – Agathokles sind todt für sie. Ist's möglich, Götter! ist's möglich? O warum habe ich so ein unseliges Gedächtniß! Warum ist nur diese Brust schwach genug, einen schmerzlichen Eindruck durch acht lange Jahre so unauslöschlich zu bewahren! Larissa hat mich vergessen, der Zeiten vergessen, [92] wo sie mir Alles – wo auch ich (die Frau des Demetrius zürne dem kühneren Ausdruck nicht) ihrem Herzen viel war. Das ist vorbei – so ganz vorbei, wie die Welle des Stroms, die vor acht Jahren vorübergleitete, nun und nimmer wiederkehrt, und spurlos verschwunden ist.

In den ersten Stunden, als die täuschende Hoffnung auf Larissens treueres Gedächtniß mich belebte, war ich thöricht genug, Wünsche zu hegen, und Plane zu entwerfen, die sie hören, theilen, genehmigen, von denen sie und ich unser Glück erwarten sollten. Demetrius Jahre, seine Gemüthsart, seine wenige Empfänglichkeit für zartere Gefühle, gaben mir Hoffnung und Muth. Ich wollte ihm unser Verhältniß gestehen, ich wollte – o ich rechnete damals auf Larissens Liebe! Kann ich, darf ich denn, ohne mich einer Raserei schuldig zu machen, jetzt noch auf eine solche Möglichkeit rechnen? Laß mich aufhören – du liebst mich nicht mehr! Wozu alles Weitere?

Leb' wohl! Dein künftiges Betragen, deine Antwort auf meinen Brief, wenn du den Vergessenen einer würdigest, wird mein Schicksal bestimmen. Dein Gatte zeigt mir Zutrauen genug, daß ich es wagen kann, ihn um eine Anstellung auf einem fernen Posten zu bitten. Ich werde dich wenig, vielleicht nicht mehr sehen – nicht, um dich von meinem Anblick zu befreien, der dir wohl keine Unruhe verursacht, sondern um mir, bei dem Bewußtseyn deiner Denkart, den Schmerz des Wiedersehens zu ersparen. Leb' wohl!


[93] Dies hatte ich ihr geschrieben. Einen martervollen Tag, zwei schlaflose Nächte brachte ich zu, in gespannter Erwartung des Ausganges meines unüberlegten Schrittes, dessen ganze Thorheit ich erst einsah, als es zu spät war. Heute endlich, am Morgen des dritten Tages erschien der alte Sclave, und brachte mir ihre Antwort: sie folgt hier. Lies sie, Phocion, und dann fühle mit mir das rettungslose Unglück meiner Lage, den unendlichen Verlust eines solchen Herzens!

[94][3]

Larissa an Agathokles

Larissa an Agathokles.

(Im vorigen eingeschlossen.)


Wenn ich dem Zuge meines Herzens hätte folgen wollen, das mich durch die natürlichen Triebe der Selbstachtung, der Eitelkeit, wenn du willst, anreizte, mich in den Augen eines schätzbaren Freundes zu rechtfertigen, und meine Vertheidigung so warm und eifrig zu unternehmen, als seine Vorwürfe waren: so hättest du bereits gestern Antwort von mir bekommen. Da es mir aber nicht blos darum zu thun ist, für den gegenwärtigen Angenblick, sondern auch für die Zukunft Alles zwischen uns so klar und bestimmt auszumachen, daß auf keiner Seite ein Zweifel oder eine Furcht vor Rückfällen möglich wäre: so mußte ich zuerst in die Tiefe meiner, nicht erfreulichen Vergangenheit hinabsteigen, und Begebenheiten hervorrufen, deren Andenken meiner Seele zu unangenehm ist, als daß ich sie ohne inneren Kampf betrachten, und dir, mein Freund, ordentlich erzählen könnte. Es ist nothwendig, daß du meine Geschichte kennst, um mein Betragen zu beurtheilen, und das deinige darnach einzurichten.

Als vor acht Jahren mein Vater, an dessen etwas starken Hang zu Pracht und Wohlleben du dich noch [3] erinnern wirst, durch einen ungerechten Richterspruch seine [3] bürgerliche Ehre, sein Vermögen, sein Vaterland verlor, und sich arm, hülflos, verachtet, mit drei unerzogenen Kindern in die weite Welt hinausgestoßen sah; da goß dieses Unglück eine solche Bitterkeit in sein Herz, und veränderte seine Sinnesart so gänzlich, daß er fast in allen Dingen das Widerspiel von dem zu seyn schien, was er ehemals war. Finster, unfreundlich, oft sogar hart, flüchtete er mit uns in die Gebirge von Armenien, wo ihm ein alter Verwandter lebte, der ihm eine Zuflucht im Unglücke versprochen hatte. Man nahm uns auf, wie unempfindliche Reiche die Armuth aufzunehmen pflegen, die bei ihnen Hülfe sucht – nicht in das Haus meines Groß-Oheims, nicht an seinen Tisch, viel weniger in sein Herz. Gnadenbrod zu essen, dazu war mein Vater zu stolz, er wurde also auf ein Landgut des Vetters, als Aufseher, Verwalter, mit vieler Arbeit und kargem Lohne gesetzt. Hier in einer rauhen Gebirgsgegend, in einer schlechten Hütte, mit kaum mehr als Sclavenkost genährt, in Sclaventracht gehüllt, mußte der Mann leben, der einst unter dem schönsten Himmelsstrich von Kleinassen, in einer glänzenden Stadt, ein Leben, durch alle Reize der Kunst und Pracht verschönert, geführt hatte. Der Abstand war zu grausam. Die letzte Spur von Gleichmuth entfloh aus der Brust meines unglücklichen Vaters. Mißverständniß, Unverträglichkeit, Ungeduld, Mutlosigkeit zogen in unsere Hütte ein, und es begann ein Leben für uns, das nicht viel von dem Zustande derjenigen verschieden war, die, wie unsere Vorältern glaubten, die Strafen ihrer Sünden im Tartarus abbüßen. Laß mich schnell über den trübsten Zeitpunkt meines Lebens hingleiten! Mein Aufenthalt in den Gebirgen von Armenien [4] ist ein grauenvoller nächtlicher Abgrund, in den zu blicken mir noch jetzt schauderhaft ist.

Endlich nach drei Jahren schien der Himmel, von welchem wir uns gänzlich vergessen glaubten, sich unser zu erbarmen. Obwohl in der Einsamkeit seiner Berge, hatte meines Vaters Geist doch Mittel gefunden, allerlei Bande zwischen sich und der Welt, die ihn ausgestoßen hatte, wieder anzuknüpfen. Er führte lange Zeit einen geheimen Briefwechsel mit einem Freunde, der in Syrien lebte. Eines Tages trat er mit einer Miene, die wir lange nicht so freundlich gesehen hatten, in unsre Hütte. Packt eure Sachen zusammen, rief er, morgen reisen wir aus diesem Orte des Elends ab. Wohin? wie? warum? das waren Fragen, die, so sehr sie uns auch drängten, Keines sich zu wachen traute. Es wurde gepackt – die Armuth ist bald fertig – und den andern Tag machten wir uns, mein Vater und die Brüder abwechselnd auf dem einzigen Maulthier, das wir besaßen, meine Mutter und ich in einem schlechten Fuhrwerke auf den Weg. Die Beschwerlichkeiten der Reise, die Leiden meiner Mutter laß mich ebenfalls übergehen. Genug, wir langten in Apamäa 1 an. Hier miethete mein Vater ein kleines, aber nicht unbequemes Haus, und aus Quellen, die mir damals unbekannt waren, die ich aber späterhin nicht ohne Grund der Thätigkeit seiner Freunde in Nikomedien, die die Ueberbleibsel seines Vermögens gerettet hatten, zuschrieb, floßen uns nach und nach immer mehr Bequemlichkeiten, und endlich einiger Wohlstand zu. Mein Vater führte einen fremden Namen, galt für einen Kaufmann aus Armenien, und Tracht und Sprache, die er sich während jener drei Jahre ganz eigen gemacht hatte, ließen keinen [5] Verdacht entstehen. Er trieb Handelsgeschäfte, wie es schien; denn wissen durften wir nichts von seinen Verhältnissen. Uebrigens wäre unsere häusliche Lage, besonders für mich, deren Wünsche nie groß waren, recht erträglich gewesen; hätten nur mit der Erweiterung unsers Haushalts sich auch unsere Gemüther gegen einander aufgeschlossen, Liebe und Eintracht zugleich mit dem Wohlstand unter uns gewohnt.

An dich hatte ich im ersten Jahre unserer Verbannung oft, sehr oft geschrieben, mit banger Ungeduld auf Antwort geharrt – und immer vergebens. Endlich hörte ich auf zu schreiben, und in der Tiefe meines Kummers blieb mir nur die leise Hoffnung übrig, daß Briefe aus einem so abgelegenen Winkel der Erde wohl leicht den Weg verfehlen, und den nicht erreichen konnten, für welchen sie bestimmt waren. Sobald wir in Apamäa angekommen waren, erneuerte ich meine Versuche, Nachricht von dir zu erhalten. Ich schrieb wieder, theils gerade an dich, theils unter verschiedenen Aufschriften an alle alten Bekannten in Nikomedien, auf deren Wohlwollen und Verschwiegenheit ich zählen konnte. Es war fruchtlos. Ein ganzes Jahr verging unter steter Abwechslung von Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Ich bekam keine Antwort. Dein Tod oder eine gänzliche Vergessenheit, das waren die zwei einzigen Möglichkeiten, zwischen denen meinem bangen Geiste die Wahl blieb, und in beiden lag keine Aufmunterung für ein tiefgebeugtes Herz. Mit stiller Ergebung, deren ich schon gewohnt war, gab ich auch diese letzte Aussicht auf, und lebte, in mich gekehrt und geduldig, mein freudenloses Daseyn hin.

Es kamen immer mehr Fremde in unser Haus, die[6] theils meines Vaters Geschäfte, theils sein wieder erwachender Hang zum geselligen Leben an uns zog. Für mich waren die Meisten gar nichts – unbedeutende Gestalten, die höchstens durch Handelsverhältnisse irgend einen Werth bekamen. Nur zwei Männer unterschied ich allmählig unter der ziemlich großen Anzahl Bekannten. Der Eine war ein ehrwürdiger Greis, der Andere ein Mann von mittleren Jahren, aber in allem Feuer, aller Kraft der Jugend. Ein angenehmer Umgang, ein vielseitig gebildeter Verstand und Menschenkenntniß mußten sie Jedem, der mit ihnen umging, werth machen; für mich hatten sie noch etwas Anziehenderes. Es lag eine sanfte Heiterkeit, eine schöne Gelassenheit m ihrem Wesen, die bei dem Greise Theophron die Bitterkeit des Alters milderte, und bei Apelles, dem jüngern, die feurig aufstrebende Kraft in strengen Schranken hielt. Beide waren mir unendlich schätzbar, und wenn Apelles Erzählungen von Allem, was er auf weiten Reisen gesehen und erlebt hatte, die Lebhaftigkeit seines Geistes mich belehrte und unterhielt, so flößte Theophrons ruhige Weisheit, sein himmelwärts gewendeter Sinn mir süße Ruhe und Trost ein. Bald hatte ich auch Gelegenheit zu bemerken, daß ihre Tugend nicht blos in schönen Gesinnungen bestand, sondern sich wirksam durch Menschenliebe, Wohlthätigkeit und rastlosen Eifer für die Unglücklichen, die bei ihnen Hülfe oder Trost suchten, zeigte. Ich war bemüht, mir den Umgang dieser beiden Männer so viel als möglich zu Nutze zu machen; und nach vier freudenlosen Jahren, wo, ich kann es mit Wahrheit bezeugen, der Tag mir glücklich schien, an dem keine neue Ursache meine Thränen fließen gemacht hatte, empfand ich zum erstenmal die [7] Regungen eines erheiternden Gefühls, und wagte es, den würdigen Greis zum Vertrauten, nicht meiner Schicksale, denn die mußten aus Familienabsichten verschwiegen bleiben, sondern meiner muthlosen gedrückten Seele zu machen. Agathokles! O daß ich jedem leidenden Herzen die himmlische Wohlthat der Tröstungen verschaffen könnte, die von den Lippen dieses Mannes in meine wunde Brust strömten! Solche Beruhigungen, solche Aussichten, solche Stärkungen kann nur der ertheilen, der in den erhabenen Geheimnissen unterrichtet ist, woraus Theophron die seinigen schöpfte. Er leitete meinen Geist vom Irdischen weg, und eröffnete mir eine Aussicht in die Zukunft jenseits des Grabes, von einer Art, wie man sie weder in den Begriffen der herrschenden Volksreligion, noch in den Systemen der Philosophen findet. Er ließ die unglücklich Verbannte, die auf dieser Erde nichts mehr zu hoffen hatte, in eine schönere Welt des Lichts und unvergänglicher Freuden schauen, die dem milden Dulder offen stand. Dort sollte ich die hier verlorenen Lieben wieder finden, dort von keinem feindlichen Geschicke mehr getrennt, sollte im Angesichte des Allmächtigen in verklärten Leibern, in Betrachtung seiner unendlichen Eigenschaften, seiner bewundernswürdigen Werke ein Leben beginnen, dessen Gränze nur die Ewigkeit war. O Freund meiner Jugend! Welche Bilder, welche Hoffnungen! Wie wäre es möglich, daß ein zerrißenes Herz, das seine Freude nur jenseits des Grabes finden konnte, sich solchen Lehren hatte verschließen können? Ich nahm sie freudig, gläubig an. Bald ging ich weiter. Jetzt von Theophrons sanfter Weisheit geleitet, und von Apelles feuriger Beredtsamkeit hingerissen, machte ich große Fortschritte in [8] Erkenntniß der neuen Wahrheit, der tröstlichen Lehren und erhabenen Geheimnisse, worin sie mich unterrichteten. Ich lernte, wie sie, die Menschen als meine Brüder, als Kinder eines gemeinschaftlichen Vaters ansehen, ich lernte sogar meine Feinde lieben, und für die beten, die mich unglücklich gemacht hatten. Mein Herz erweiterte sich, meine Ansichten der Menschheit und ihrer Schicksale erhoben sich, die Truggestalten niedriggesinnter Gottheiten, denen ich längst nicht mehr aus Ueberzeugung, nur aus Gehorsam geopfert hatte, verschwanden vor meinem aufgehellten Blicke. Ein einziger, allweiser, allmächtiger, allgütiger Geist erschuf, erhielt, und beherrschte die Welt. Tartarus und Elysium waren nicht mehr – aber dieser große Geist lohnte und strafte als vergeltender Richter nach dem Tode. Diese und noch viele andere Lehren, die dir mitzutheilen nicht erlaubt ist, enthüllten mir Theophron und Apelles, und ich ward eine Christin! Du wirst ohnedies schon längst errathen haben, daß die beiden Männer zu jener Secte gehörten, welche seit ein Paar hundert Jahren von Palästina und Syrien aus, wo ihr göttlicher Stifter, unbekannt und verfolgt, gelebt und gelehrt hatte, und endlich als Opfer seiner Feinde fiel, sich über die Welt zu verbreiten angefangen hat. Ja, Agathokles! Ich ward eine Christin! Die Lehren, die, ehe ich sie kannte, mich mit Schauer erfüllten, machten jetzt mein Entzücken aus! Ich ergriff sie mit heißer Begierde. O mein Freund! Das Christenthum ist die Religion der Unglücklichen! In ihren Schooß soll jeder Leidende sich flüchten; sie hat Balsam für alle Wunden, die keine Menschenhand zu heilen vermag; und wenn sie uns gleich schwere Pflichten auferlegt, so gibt sie uns doch selbst [9] durch die Größe ihrer Forderungen ein erhebendes Gefühl unserer Würde, ein Vertrauen auf unsere Kraft, und bietet uns durch den Gebrauch mancher ihrer geheimnisvollen Ceremonien so sanfte Tröstungen, so überirdische Stärkungen an, daß der wahre Christ gewiß auch immer im Stande seyn wird, die Lasten zu tragen, die seine Religion ihm auferlegt.

Doch genug von den Beweggründen, die mich zur Annahme meiner Religion bestimmten, und den Veränderungen, die sie in meiner Denkart machte. Ich wollte ja nicht dich zum Proselyten machen, ich wollte blos dir Alles treu und deutlich vortragen, woraus du dir meine Handlungsweise erklären sollst. Meine Mutter ward meine Vertraute. Die Ursachen, die mich in den Schooß der Christenheit riefen, äußerten bald dieselbe Gewalt über sie; auch sie suchte Trost und Stärkung, und fand sie, wie ich. Wir empfingen Beide von Theophron, der einer von den Aeltesten der Gemeinde war, die heilige Traufe, und wurden in den Bund der Kinder Gottes aufgenommen. Dem Vater, der zwar nicht eigentlich am Götterdienst hing – denn dazu war er zu aufgeklärt – der aber, nach dem Beispiel des Hofs und der Welt, die christliche Religion als eine Religion der Armen und Unglücklichen verachtete, mußte der Schritt verborgen bleiben. Er konnte es um so leichter, da mein Vater meist nicht zu Hause war, und sich im Ganzen, wenn nur seine Befehle vollzogen wurden, wenig um uns bekümmerte. Wir besuchten heimlich die Versammlungen unserer Kirche, und wohnten den Agapen bei, einer schönen Sitte, die deinem Herzen gewiß theuer werden wird, wenn ich dir sage, daß die ganze Gemeinde ohne Unterschied der [10] Stände hier mit einander öffentlich speiset, die Reichen die Speisen bringen, die Armen Theil daran nehmen lassen, und bei solchen Gelegenheiten überhaupt Collecten gemacht, und Einrichtungen und Veranstaltungen zum Besten der Armen und Leidenden aus derselben oder einer andern Gemeinde, getroffen werden.

Bei diesen Versammlungen lernte ich zuerst eine andere Christin, Junia Marcella, eine angesehene Frau in Apamäa, kennen. Mit achtundzwanzig Jahren Wittwe eines angebeteten Gemahls und Mutter von sechs unerzogenen Kindern, widmete sie im Bewußtseyn ihrer Kraft sich und ihr großes Vermögen der Erziehung ihrer Waisen und den Bedürfnissen und Sorgen ihrer Gemeinde. An diesem reichen Herzen, das Raum genug für die Leiden und Freuden aller seiner Mitmenschen hatte, an diesem milden und richtigen Verstande erhob sich mein gebeugtes Wesen, und ich fand endlich, was mir so lange gefehlt hatte, eine weibliche Seele, die mich ganz verstand, der ich auch jene Gefühle enthüllen konnte, die Verschiedenheit der Jahre und des Geschlechts mich vor Theophron, vor Apelles, selbst vor meiner Mutter verbergen hieß. O wie wohl ward mir in Juniens Umgange! Wie erweiterte sich meine gepreßte Brust! Wie erschien die erhabene Religion, zu der auch sie sich bekannte, in ihrem Wesen und Handeln auf eine ganz eigene und verehrungswürdige Weise! In ihrem Hause sah ich Demetrius zuerst, der ebenfalls ein Christ war, und zu jener Zeit mit seinen Truppen in Syrien stand. Junia, obwohl nicht mehr in der Blüthe der Jugend, besaß Reize genug, um den bejahrten Helden zu fesseln. Er warb um ihre Hand. Fest entschlossen nur ihrer Pflicht zu leben, [11] schlug sie diesen Antrag aus. Jetzt richtete Demetrius sein Auge auf mich, mein Aeußerliches schien ihm die Eigenschaften zu versprechen, die er von seiner Gattin verlangte. Er fing an unser Haus zu besuchen. Mein Vater ward um diese Zeit kränklich. Langes Unglück und heftige Leidenschaften hatten seine Kräfte aufgerieben, er erholte sich nicht, und welkte vor der Zeit dahin. Die Sorgfalt, mit der mein Vater gepflegt wurde, ließ den Demetrius vielleicht für sein herannahendes Alter gleiche Treue erwarten; er entschloß sich, und ließ durch Apelles um mich werben. Meinem unglücklichen Vater, der seinen Zustand und die Verlassenheit seiner Familie nach seinem Tode kannte, erschien dies Anerbieten als das höchste Glück, das er hiernieden noch zu erwarten hatte. Er willigte sogleich ein, und nur, nachdem Alles zwischen ihm und Demetrius richtig geworden war, ließ er mich rufen, und verkündigte mir mein Schicksal. Ich erschrak, ich beschwor meinen Vater, sein Wort zurückzunehmen. Nie gewohnt, unsern Bitten zu weichen, war es auch diesmal vergebens, und nur die Heiligkeit und Unauflöslichkeit des Ehebandes unter den Christen konnte mich bestimmen, diesen letzten Versuch zu machen, von dem ich mir im Voraus wenig versprach. Ich wurde krank. Junia und Theophron besuchten mich treulich, ihnen vertraute ich meine Leiden. Junia, eingedenk der Seligkeit ihrer Ehe, und fest überzeugt, daß sie mir in einer so ungleichen Verbindung nicht werden könnte, bot sich an, mit meinem Vater zu sprechen; auch Theophron und Apelles verhießen mir ihren Beistand. Sie thaten, was sie konnten – nie wird es ihnen mein Herz vergessen. Es war fruchtlos. Nun, da jedes Mittel, meinen Vater [12] umzustimmen, versucht, und vergeblich befunden war, unternahm es Junia, mein Herz auf den wichtigen Schritt, den ich zu thun hatte, mit Kraft und Entschlossenheit vorzubereiten; und der würdige Theophron goß so viel Beruhigung in meine zagende Seele, daß ich nach einigen Tagen gefaßt genug war, den Willen meines sterbenden Vaters zu vollziehen, und mich für die Meinigen zu opfern. So wurde ich Demetrius Frau, und habe noch bis jetzt keine Ursache gehabt, einen Schritt zu bereuen, den mir die vergeltende Vorsicht durch das emporsteigende Glück meiner beiden Brüder, und die Beruhigung meiner Eltern, die mit frohen Aussichten für ihre Kinder ruhig starben, belohnt hat. Nach meines Vaters Ableben, als man seine Schriften durchsuchte, fanden sich alle meine Briefe an dich, die er durch den Freigelassenen, der mein Vertrauter war, aber den Zorn meines Vaters fürchtete, in die Hände bekommen, und nie abgesandt hatte. So wie nun dieser Mann mir mit Thränen gestand, war ein tiefer Haß Schuld an diesem Verfahren, den der Entschlafene gegen deinen Vater trug, indem er ihm, wo nicht einen Theil an seinem Unglück selbst, doch eine unverzeihliche Läßigkeit im Abwenden desselben, beimaß. Nun wußte ich auch, warum ich durch fünf Jahre nichts mehr von dir gehört hatte!

Zwar beruhigte mich der Gedanke, daß du keinen von den Vorwürfen verdientest, die ich dir oft in bittern Stunden gemacht hatte: aber desto deutlicher sah ich ein, daß eine so lange Trennung und gänzliche Unwissenheit über mein Schicksal auch das kleinste Band gelöset haben mußte, das dich vielleicht noch an mich band. Ueberdies war ich die Gattin eines Andern, und eine Christin. Bei [13] uns sind die Ehen keine bürgerlichen Verträge, es sind heilige Bündnisse, durch hohe Eide vor dem Altar des Ewigen versiegelt, durch Priestershand geschlossene Verbindungen für's ganze Leben, ein heiliges Versprechen, sich nie zu verlassen, Glück und Unglück mit einander zu theilen, und keine Scheidung findet Statt, als nur durch den Tod. Hier ist nicht blos förmliche Untreue, hier ist auch jede zärtliche Empfindung für einen andern Gegenstand Verbrechen, und in der Brust einer christlichen Gattin darf kein anderes Bild leben, als das des Gatten, den ihr der Himmel gegeben hat. Das Alles mußte ich dir sagen, Agathokles! damit du mein Betragen seit dem ersten Augenblicke unsers Wiedersehens verstehen, und richtig beurtheilen könnest. Dein Brief hat mich gerührt und erschüttert. Glaube nicht, Freund meiner Jugend! daß es mir gleichgültig ist, ob der edelste Sterbliche, den ich je kannte, mich noch seiner Liebe werth hält oder nicht: aber eben so sehr muß es mir am Herzen liegen, mich sowohl in seinen Augen zu rechtfertigen, als jeden Versuch zu machen, den Schmerz, der ein so edles Gemüth ergriffen, zu mindern, und die Kräfte, die in ihm liegen, hervorzurufen, damit es ein unabänderliches Schicksal gelassen ertrage. Denke, mein Freund! an die Lehren der weisen Heiden, die wir einst mit einander bewunderten; erinnere dich der Vorsätze, die du damals oft mit glühender Seele faßtest, alle äußerlichen Zufälligkeiten, aber zuerst dich selbst zu besiegen. O, daß ich dir noch dringendere Aufforderungen, die meine Religion mir bietet, sagen dürfte!

Wenn es einen Theil deiner Beruhigung ausmachen kann, über meine Lage unbesorgt zu seyn, so wisse, daß du [14] dir von meinem Loose, als Frau des Demetrius, falsche Begriffe machest. Ich bin nicht unglücklich verheirathet, mein Gemahl achtet und ehrt mich; das wird dir die Art bezeugen, wie man mir im Hause begegnet. Liebe kann ich nicht fordern; glaube aber meiner Erfahrung, sie ist zu unserem Glücke nicht nothwendig, und ich bin mit meinem Schicksale zufrieden. Nur Ein Wunsch bleibt mir jetzt übrig, der – auch dich ruhig zu wissen. Glaubst du dies durch deine Entfernung bewirken zu können, so thue die nöthigen Schritte. Geh, mein Freund! – Verlaß einen Ort, der zu vielen Anlaß zur Unruhe, zu quälenden Erinnerungen für dich enthält! Laß mich dann, wenn es dir gelungen ist, deine Ruhe herzustellen, aus der Ferne diese tröstliche Nachricht vernehmen, und sey versichert, daß sie nicht wenig zu meiner Zufriedenheit beitragen wird. Leb' wohl! Antworte mir nicht auf diesen Brief. Es ist weder nöthig, noch gut, daß wir oft von unsern Gefühlen mit einander reden. Gott, der unser Schicksal auf so unbegreifliche Weise geführet, und unser Wiedersehen gewiß aus weisen Absichten veranstaltet hat, wenn wir es gleich jetzt nicht einsehen, wird dich auf deinen Wegen leiten und schützen. Auch mein heißes Gebet wird dir überall folgen, und wenn einst der höchste, der einzige Wunsch, dessen mein Herz noch fähig ist, erfüllt werden sollte, wenn die Lehren der Kirche, in denen ich Beruhigung gefunden habe, auch in deiner Seele Eingang finden könnten: o Agathokles! wie wollte ich den schmerzlichen Augenblick unsers Wiedersehens preisen, und die Leiden segnen, die er mich kostete! Leb' wohl!


Das ist Larissens Brief. Es war mir eine süße, eine[15] traurige Beschäftigung, ihn für dich abzuschreiben; es war mir ein Trost, aus so manchen Stellen zu ahnen, zu errathen, daß sie mich nicht vergessen hat; daß sie mich vielleicht eben so heiß liebt, als ich sie! – aber antworten darf und kann ich nicht. Was sollte ich ihr auch sagen? Ich kann nichts, als meinen unendlichen Verlust fühlen, der in jeder Zeile, in der sich dieser reine Sinn, diese himmlische Güte abmalt, mir schrecklicher erscheint. Aber welche Religion muß das seyn, die dem Menschen solche Begriffe von Pflicht, und einer zarten weiblichen Seele so viel Kraft, ihr treu zu bleiben, ertheilt? Ich verabscheue sie in diesem Augenblicke; denn sie raubt mir jede Hoffnung – und ich muß sie im nächsten bewundern. Leb' wohl, Phocion! Wenn ich mich gesammelt habe, wenn ich wieder klar zu denken vermag und erst eine weite Strecke zwischen mir und der Ewigverlornen sich ausdehnt, schreibe ich dir wieder.

Fußnoten

1 Apamäa, eine Stadt in Syrien.

20. Larissa an Junia Marcella

20. Larissa an Junia Marcella.

Edessa, im Junius 301.


Es hat dem Himmel gefallen, meine Junia! mich auf eine schwere Prüfung zu setzen. Ich darf nicht klagen; denn die Begebenheiten sind zu außerordentlich, als daß ich nicht deutlich die Spuren seiner Führung darin erkennen sollte. Es ist sein Wille, diese Leiden über mich zu verhängen, diese strengen Pflichten von mir zu fordern. Ich darf nicht fragen, warum? Ich muß nur still tragen, kämpfen, und leisten, was ich kann. Soll ich in dem Streit bestehen, so wird Gott mir Kräfte dazu geben. Soll ich untergehen: o dann willkommen, du letzte süße Stunde! die so vielen Schmerzen ein Ende machen, und [16] mir eine schönere Welt eröffnen wird, wo es kein Verbrechen ist, die reine Tugend zu lieben, und ein schwaches Herz nicht aus alt gewohnten süßen Banden reissen zu können!

Als ich dir das letzte Mal geschrieben hatte, nahm ich mir vor, die Gegenwart desjenigen, den ich weder lieben durfte, noch vergessen konnte, so viel möglich zu vermeiden. Ich hielt den schweren Vorsatz treu durch fünf Tage. Am Morgen des sechsten brachte mir der treue Anicetas, der mir noch aus meines Vaters Haus gefolgt ist, sehr geheimnißvoll einen Brief. Ich stand eine Weile an, ob ich ihn nehmen sollte. Endlich erkannte ich, wie aus dunkler Erinnerung, die Züge der theuern Schrift. Er war von ihm! Ich bebte – noch einmal drang der Zweifel, ob ich auch von ihm einen Brief annehmen dürfte, in mein Herz. Aber der Gedanke an die tiefe Kränkung, der ich ihn aussetzte, und, laß es mich dir gestehen, Junia, das heiße Verlangen, zu wissen, was er mir sagen würde, überwog jede Bedenklichkeit. Ich nahm den Brief, ich verschloß mich in mein geheimstes Zimmer, und las, und fand, was sich mit Flammenzügen in mein Herz grub, was weder Thränen, noch Kämpfe, noch Zeit je verlöschen werden, die feste Ueberzeugung, von dem edelsten aller Menschen mit eben der Treue und Wärme, wie vor acht Jahren, geliebt zu seyn, aber auch die Gewißheit, daß er durch diese Liebe und unser Schicksal unaussprechlich unglücklich sey. Er schmeichelte sich mit Hoffnungen, er suchte sie auch meiner Brust einzuflößen, er zürnte über meine Kälte, er wollte fliehen. O meine Junia! Welch ein Brief! Wenn die Gewißheit, geliebt zu seyn, mich mit süßen Gefühlen überströmte, so beugte [17] der Gedanke an seine Leiden meine Seele bis zur Verzagtheit nieder. Agathokles unglücklich! Was kann die Tugend für Lohn hienieden hoffen, wenn er leidet? Aber soll sie denn überhaupt ihren Lohn hier finden, oder auch nur erwarten? Nirgends auf der ganzen Erde sehen wir eine Veranstaltung, die dem Tugendhaften den Lohn seiner edlen Thaten zusicherte. Nur das Christenthum lehrt uns, an eine Einrichtung glauben, die die Vorsehung ganz rechtfertiget. Sie öffnet uns eine andere Welt, einen würdigen Schauplatz, wo die verschlungenen Knoten unsers Schicksals entwirret, und die anscheinenden Mißverhältnisse zwischen Tugend und Glück in die schönste Harmonie aufgelöst werden. Dorthin, o du Freund meiner Jugend; dorthin muß ich dich verweisen, dort werden wir uns finden, dort dürfen wir – Was bin ich im Begriffe zu sagen? O Junia! Darf ich denn auch nur diesen Gedanken und Wünschen Raum geben? Darf ich, die Frau eines Andern, fremde Flammen in meiner Brust nähren? O Junia, Junia! Ich bin tief gesunken, ich sündige immer fort, ich erkenne meine Strafbarkeit, und habe doch nicht Kraft, mich zu besiegen!

Aber ich wollte dir ja erzählen. Sieh, meine Geliebte! so zerrüttet ist mein Gemüth, daß es mir Mühe macht, meine Gedanken in Ordnung zu halten, und bei dem zu bleiben, was ich mir vorgesetzt hatte. Als ich den Brief gelesen hatte, fühlte ich die Nothwendigkeit zu antworten; aber was? und in welchem Ton? Ich durfte auf keine Weise ihn in mein Herz blicken lassen, und doch konnte ich unmöglich mit der Kälte antworten, die die Vernunft von mir gefordert hätte. Ach! konnte ich denn so gleichgültig und vorsetzlich ein Herz verletzen, das so [18] warm und treu für mich schlug, das so edel war, und ohnedies so tief verwundet?

Lies die Abschrift des langen Briefes, den ich nach zehn mißlungenen Versuchen endlich in der zweiten Nacht nach Empfang des seinigen mühsam und unter tausend Thränen zu Stande gebracht habe. Ich glaube, er ist zweckmäßig, er soll ihm die ganze Rettungslosigkeit unserer Lage, aber auch meine und seine Pflicht vorstellen, und ihn auffordern, stark – ach Junia! stärker zu seyn, als seine unglückliche Larissa.

Ich habe mir vorsetzlich keine Klage über meine häuslichen Verhältnisse erlaubt, vielmehr habe ich gesucht, den Gedanken in ihm zu nähren, daß ich zufrieden sey. Ich glaube, das ist überhaupt meine Schuldigkeit. Demetrius kann diese Schonung von mir fordern, und dann denke ich auch, es wird den Freund meiner Jugend beruhigen, es wird ihn trösten, wenn er mich, nicht unglücklich weiß. Aber, was ist es, Junia! daß diese Rücksicht mich weit mehr antreibt als jene? Daß der Gedanke, pflichtmäßig zu handeln, mir weniger süß ist, als der, ihm Freude zu machen? Ist das auch recht? Soll mir meine Pflicht nicht das Heiligste und Erste seyn?

Ach, es ist leider nicht! Rebellisch empört sich mein Herz gegen die vereinten Stimmen der Vernunft und der Religion. Ich liebe, ich liebe mit glühender Seele; ich habe, so lange ich lebe, nie ein anderes Bild in meiner Brust getragen, nie für einen andern Mann eine zärtliche Regung empfunden, als nur allein für ihn, für ihn, dem mein ganzes Wesen gehört – und ich bin die Frau eines Andern. O schrecklich, schrecklich! Was soll ich thun, Junia? Wer, hilft mir, mich vor mir selbst zu retten?


[19] Am Abend desselben Tages.


Als ich heut Morgens so weit gekommen war, mußte ich abbrechen, weil mein Gemüth zu zerrüttet war, als daß ich weiter hätte schreiben können. Seitdem hat anhaltende Arbeit und Gebet meinen Geist ein wenig beruhigt, und ich setze meine Erzählung fort. Den Tag darauf, als ich die Antwort an Agathokles abgesandt hatte, und mit schwerem Herzen hoffte – ach, daß ich das hoffen muß! – er würde Gelegenheit finden, seinen Vorsatz auszuführen, und sich zu entfernen, kündigte mir Demetrius meinen Landsmann, als Gast, zur Tafel an. Die wenige Achtsamkeit, die er auf seine häuslichen Umgebungen, und auch auf mich zu richten gewohnt ist, war diesmal mein Glück; sie entzog seinen Augen den Schrecken, den mir seine Nachricht verursachte, und ich hatte Zeit, mich zu fassen, und hielt mich für ziemlich vorbereitet, als er ein paar Stunden darauf, mit Agathokles an der Hand, in den Speisesaal trat. Ach, es war ein Wahn! Der Anblick des Gegenstandes so vieler Liebe, so vieler Leiden, raubte mir beinahe die Besinnung – wenigstens im ersten Augenblicke, das Vermögen, zu sprechen. Agathokles feste Stimmung beschämte mich. Er nahte sich mir mit aller Ruhe und Freundlichkeit eines alten geschätzten Bekannten, und sprach heiter und gesetzt mit mir. Mein Mann schien nach seiner Art vergnügt über unser Zusammentreffen, er war gesprächiger als gewöhnlich, man brachte die Speisen, und wir legten uns zu Tische 1. Agathokles zeigte eine Selbstbeherrschung, [20] eine Kraft, die nach dem, was vorgefallen war, nach den Briefen, die wir gewechselt hatten, meine höchste Verwunderung erregte, an der meine Schwäche sich stärkte. Ich erhob mich endlich so weit, daß ich im Stande war, an den leichten Gesprächen der Geselligkeit Theil zu nehmen. O Junia! Was ist das für eine Heldenseele! Sie war mein – und ich habe sie auf ewig verloren!

Von nun an werde ich Agathokles vielleicht noch öfters sehen müssen. Ob er sich entfernen kann, oder wird, ist mir jetzt unmöglich zu erfahren; denn ich kann und wollte auch um Alles in der Welt nicht, mit ihm darüber sprechen. – Und Demetrius, der, trotz seiner rauhen Außenseite, für wahres Verdienst nicht unempfindlich ist, zeichnet ihn vor allen seinen Offizieren aus, er gibt seiner Entschlossenheit, seinem Eifer öffentlich das schönste Zeugniß, und zieht ihn in den engen Kreis seiner Vertrauten, der so beschaffen ist, daß jeder seine Berufung dazu wohl als eine Ehre betrachten kann. Das ist nun der schwerste Theil meiner Prüfung, das ist's, worüber ich dir im Anfange meines Briefs so bitter klagte. Ach, ich wollte ja gern Alles anwenden, was in meiner Macht steht, um mein Herz zu beruhigen, und es nach und nach in das verlassene Geleise seiner Pflichten zurückzuführen; aber sehen – sehen muß ich ihn dann nicht immer, nicht aus jedem Munde sein Lob hören, nicht den Ton seiner Stimme, die Schönheit seiner Seele, die sich in jedem Worte, jedem Zuge malt, täglich im Innersten meines Herzens fühlen. Er ist stark, unbegreiflich stark; das kann ich nicht! Ach wir Weiber sind in dieser Rücksicht gar unglückliche Geschöpfe. Wenn der Mann [21] im Waffengetümmel, im Geschwirre des Gerichtssaals, im Drange der Geschäfte Augenblicke genug findet, wo seine Leidenschaft schweigt, weil sie schweigen muß; wenn eben diese anstrengenden Geschäfte, alle seine Geisteskräfte auffordernd, seiner Phantasie keinen Spielraum lassen, und alle auf ein würdig großes Ziel gerichtet, durch diese Thätigkeit ihn ergötzen, und zerstreuen, was bleibt uns übrig? In der Einsamkeit des Gemachs, nur von dienenden Geschöpfen umringt, schweift am Webstuhl und Spindel, der Geist ungehindert umher, und jedes schmerzliche Gefühl hat recht lange und ungehindert Zeit, sich in unsere Brust einzugraben. Selbst Gebet und Lesen beschäftigt, nur halb, und mitten im würdigen Fluge der Andacht, oder auf dem Fittige eines schönen Gedankens entflieht der verwirrte Sinn zu dem Gegenstand, auf den alles Würdige und Schöne eben erst recht hinweiset.


Einige Tage später.


Wenn ich nur eine Freundin, einen Rathgeber hier um mich hätte, der meinem Herzen das wäre, was du und Theophron mir in Apamäa waren! An deiner Stärke würde ich mich halten; sein himmlischer Sinn würde den meinigen von der Erde und den irdischen Gegenständen, an denen er strafbar hängt, abziehen, ich würde Kraft zu meiner Pflicht, und in der Ausübung derselben die Beruhigung finden, die meine jetzige Stimmung unmöglich gewähren kann. O sollte denn der Ewige ein Wohlgefallens daran haben, mich Arme ganz sinken zu lassen, und mir in einer Lage, wo ich so gar nichts zu meiner Rettung thun kann, auch alle fremde Hülfe entziehen?

Meine erste Hoffnung auf Agathokles Entfernung ist [22] ganz verschwunden. Demetrius Zuneigung zu ihm, und mehrere militärische Verhältnisse haben sie unmöglich gemacht. Dann hoffte ich auf die Zufälle des Kriegs, auf die Nothwendigkeit, daß mich Demetrius vom Schauplatz der Waffen werde entfernen müssen. Auch dies schlug bis jetzt fehl. Zwar sind mehrere kleine Gefechte vorgefallen, zweimal, sind die Unsrigen vorgerückt, aber im Ganzen bleibt die Lage der Dinge immer dieselbe, und jeder Vorfall trägt auf's Neue nach seiner Art bei, meine Kämpfe zu erschweren. So war die Scene, die gestern vorfiel. Agathokles kam mit Demetrius aus einem kleinen Gefechte zurück; beide waren leicht verwundet, und mir wurde die Sorge auferlegt, sie zu verbinden und zu pflegen. Wie mir da zu Muthe war, das verlange nicht von mir zu hören. Hier versagte auch seine Stärke, und sein dunkel glühender Blick, der, während ich vor ihm stand, mein thränenvolles Aug' entdeckte, und erschütternd in mein Innerstes drang, enthüllte auch mir die ganze Tiefe seines Herzens. Ich fing an zu zittern, ich war so außer mir, daß ich mich setzen mußte. Mein Mann schalt mich; der Anblick des Blutes, glaubte er, habe diese Erschütterung hervorgebracht. »Du mußt, dich überwinden lernen,« rief er; »eine Soldatenfrau muß Blut sehen können: komm, verbinde meine Wunde.« Ich stand auf, ich entschuldigte mich, und knieete gefaßter hin, um seinen Fuß zu verbinden. Ich mochte meine Sachen ziemlich geschickt gemacht haben: denn er lobte mich zuletzt. Wie es aber war, das wüßte ich in jenem Augenblicke der Verwirrung selbst nicht.

Als ich aufstand, und mich nach Agathokles umsah, sah ich ihn am Fenster stehen, die Stirn fest daran gedrückt. [23] Er hörte meine Annäherung nicht, ich hatte den Verband um seinen Finger noch nicht vollendet, und das mußte ich doch. Ich redete ihn an. Wie erschrocken fuhr er empor, und, ach Junia! ich glaubte eine Thräne in seinem Auge zittern zu sehen. Die meinigen fingen sogleich an hervorzuquellen. »Komm, Agathokles! sagte ich so gefaßt als möglich, ich muß deine Hand ganz verbinden.« Er folgte mir zu dem Tische, auf dem das Geräthe lag, er setzte sich wieder vor mir hin, ich ergriff seine Hand, sie zitterte wie die meinige. Jetzt schlug er seine Augen auf mich, ich hatte nicht die Kraft, diesem Blicke zum zweitenmale auszuweichen. Ich wandte mein Auge nicht ab, ich ließ es ihm in Thränen schwimmend sagen, was in meinem Herzen vorging. Er faßte meine Hand, und drückte sie an seine Brust. Jetzt brachen meine Thränen so ungestüm hervor, daß ich nicht mehr sehen konnte, was ich machte! Er schlug den Arm um mich, und sagte leise: O meine Larissa! wie ist es möglich, dir zu entsagen? Ich zitterte, daß mir die Sprache versagte. Der Gedanke an Demetrius Gegenwart, an die Möglichkeit, daß er uns gesehen haben könnte, fiel schreckend auf mich. Ich sah mich um, er stand zum Glücke abgewendet, aber Agathokles verstand meine Bewegung. Er zog seinen Arm schnell zurück, sein Blick sank nieder, er hielt mir still die wunden Finger hin, und ich endigte mein Geschäft. Schmerzt es dich noch sehr? fragte ich ihn, als ich fertig war, und hielt seine Hand in meinen Beiden. Jetzt nicht, antwortete er, und sein Blick erklärte mir den Sinn dieser Worte. Er drückte meine Hand noch einmal, und ging schnell aus dem Zimmer. Auch ich raffte mein Geräthe zusammen, und eilte [24] durch die andere Thüre fort in mein Gemach, wo heiße Thränen dem schmerzlichen und seligen Andenken dieser Scene floßen.

Und solche Auftritte stehen mir noch unzählige bevor! Ich sehe keine Rettung; denn Demetrius, der sehr strenge Begriffe von den Pflichten einer Gattin hat, und an tausend kleine häusliche Bequemlichkeiten gewohnt ist, fordert durchaus, daß ich ihn begleite, so lange als es mit meiner persönlichen Sicherheit bestehen kann. Ich habe von Weitem versucht, ihn von diesem Vorsatze abzubringen; aber die Heftigkeit, mit der er sich äußerte, zeigte, wie sehr ein offenbarer Widerspruch ihn aufbringen würde. Das darf ich denn nicht wagen; denn ich kenne aus Erfahrung die Wirkungen seines Zornes, und auch, dies abgerechnet, ist es meine Pflicht, ihn zu begleiten, so lange er es fordert; denn ich habe es ihm vor Gott geschworen. Indessen fallen öfters auch schreckende Ereignisse vor. Schon zweimal wurde ich – und zwar das eine Mal mitten in der Nacht von einem gräßlichen Lärmen geweckt. Ein Offizier trat unangemeldet in mein Zimmer, und kündigte mir auf Demetrius Befehl an, daß ich mich fertig machen sollte, in einer Stunde mit allen meinen Leuten aufzubrechen; denn der Feind nähere sich, Demetrius sey ihm schon mit den Truppen entgegengegangen, da man aber den Ausschlag des Gefechtes nicht wissen könne, so fordere es meine Sicherheit, mich zu entfernen. Ich war so erschrocken, daß ich mich kaum fähig fühlte, die nöthigen Befehle zu geben. Ach, waren nicht Demetrius und Agathokles in Todesgefahr? Und konnte nicht jeder Augenblick mir einen von ihnen entreißen? Nachdem aber Alles in Bereitschaft war, und ich [25] nur auf den letzten Befehl harrte, verkündigte mir ein fröhlicher Tumult, und der Schall unserer Tuben 2, die Rückkehr der Sieger. So ging diesmal die drohende Gefahr an mir vorüber. Aber wird es immer so seyn? O Junia! Es ist kein kleiner Zusatz zu meinem Leiden, beständig für das zittern zu müssen, was mir das Liebste auf der Welt ist.

Fußnoten

1 Die Alten saßen nicht, sondern lagen auf Ruhebetten um ihre Tische herum, und meistens drei und drei auf einem Lager, so, daß drei Seiten des Tisches besetzt, die vierte für den Vorschneider offen blieb.

2 Tuba war eine Art von Blasinstrument, wie unsere Posaunen oder Trompeten, deren sich die Römer im Felde bedienten.

21. Agathokles an Phocion

21. Agathokles an Phocion.

Lager vor Nisibis, im Aug. 301.


Es ist eine lange Zeit verflossen, seit mein letzter Brief dich von der wunderbaren und traurigen Wendung meines Schicksals unterrichtet hat. Seitdem sind viele schmerzhafte Stunden vergangen, und in durchwachten Nächten ist mancher fruchtlose Versuch zur Bekämpfung einer Leidenschaft gemacht worden, die mit jedem Tage neu genährt, und allzu reizend unterhalten, endlich jedes ohnmächtigen Widerstandes spottet. Feindselig hat das Geschick sich wider mich verschworen; von allen Seiten umstellt es mich mit unausweichbaren Netzen, in denen ich mich verwirren, in denen ich fallen muß. Habe ich denn irgend eine verborgene Schuld meines eigenen Herzens, oder eine alte meines Geschlechtes abzubüßen, daß, wie in den Dichtungen der Tragiker, die Eumeniden mich rächend verfolgen, und das Fatum sein Opfer zürnend fordert? Nur zwei Auswege sehe ich offen, wie mein verworrenes Schicksal sich lösen kann – nur zwei –[26] und Einer ist finsterer, als der Andere. Aber, wenn hier das Bewußtseyn verlorner Unschuld, zertretener Pflicht den Gefallenen für kurze Seligkeit endlos foltert: so öffnet dort nach wenig durchkämpften Stunden sich hinter dem finstern Vorhang eine hoffnungsreiche Aussicht in eine lohnende Welt. Schuld oder Tod! Wie kann das denkende Wesen zweifelnd anstehen?

Von allen Seiten umgeben mich hier Menschen und Grundsätze aus einer Sekte, die ich bisher, angesteckt von den Vorurtheilen unserer Schulen, und unsers öffentlichen Lebens, als ängstlich, die Kraft des Menschen lähmend und lächerlich schwärmend verachtete. Ich lebe unter Christen, ich lerne ihr System, ihre Lehrsätze genauer kennen, und es liegen Begriffe, Ansichten, Hoffnungen darin, die nicht blos dem blinden Glauben, die selbst der vorurtheilfreien Vernunft groß, edel, und höchst Wahrscheinlich erscheinen müssen. Tief aus der Natur des Menschen geschöpft, auf seine mächtigsten Triebe gebaut, und mit seinen edelsten Kräften wirkend, steht ihr System da, und scheint, so weit ich es kenne, nichts als das deutlich ausgesprochene Resultat dessen, was unsere Weisen seit Jahrhunderten, zweifelnd und ahnend, in unzusammenhängenden Sätzen vortrugen. Wo diese in Dämmerung irrten, zeigt jene ihren Anhängern volles Licht; lehrt jene sie mit kindlicher Zuversicht glauben, und wer auch nicht von den Ihrigen ist, fühlt sich hingerissen und versucht, den Trost zu ergreifen, den sie anbietet. Es ist eine Zukunft, eine Vergeltung nach dem Tode, und unser Schicksalsgewebe wird erst dort entwirret. Was zaudre ich, der Auflösung schneller zu nahen? Im Schlachtgetümmel ist der Tod in tausend Gestalten [27] vorhanden, und auf dem Bette der Ehre, indem ich die Pflicht gegen mein Vaterland erfüllte, zerreißt ein mitleidiges Feindesschwert die Netze, die mich gefangen halten, und gibt meinem Geiste die Freiheit, ohne Widerstand glücklich zu seyn! Dann hört der Zwiespalt in meinem Innern auf, das Gefühl des unheilbaren Schmerzens entströmt mit dem Leben der durchstoßenen Brust, das stille Herz schlägt nicht mehr widerspenstig gegen seine Schranken, aller Streit ist geendet, aller Kampf Friede geworden! Und ich soll zaudern?

Wir haben Edessa verlassen. Ein paar Vortheile, die wir über den Feind errangen, öffneten uns den Weg bis hierher. Wir stehen vor Nisibis, das die Perser noch besetzt halten. Demetrius belagert es, und denkt es bald einzunehmen, besonders da er auf eine Verstärkung rechnet, die ihm Galerius sicher versprochen hat. Auch hierher mußte ihm Larissa folgen, muß alle Gefahren und Beschwerlichkeiten mit ihm theilen, und nicht immer, o nur selten ersetzt ihr Schonung und Liebe die Ungemächlichkeiten, die wahrlich nur Liebe um der Liebe willen freudig auf sich nehmen, die die kalte Pflicht stets doppelt lastend fühlen muß. Das muß ich mit ansehen, fühlen, was sie leidet, mir bewußt seyn, welches Loos sie an meiner Seite erwartet hatte, und schweigen – und oft noch aus ihrem Munde die Versicherung hören, daß sie nicht unglücklich sey! Phocion! Ich erkenne die Schönheit ihrer Gesinnungen, die zarte Schonung, die in dieser Verleugnung liegt, ich weiß, was sie damit erreichen will; aber es dient nicht, meine Leidenschaft zu mäßigen.

Ich habe es schon in Edessa versucht, von meinem Platze loszukommen, und eine Bestimmung zu erhalten, [28] die mich aus dem gefährlichen Kreise entfernte, in den ich mich, wie durch Zauber, gebannt sehe. Demetrius ließ mich nicht von sich, ja er zog mich, unterrichtet von meiner Bekanntschaft mit seiner Frau, freundlich in den kleinen Zirkel, der ihn stets umgibt. Da sehe ich sie nun täglich, bin Zeuge ihrer Tugenden, ihres himmlisch schönen Kampfes, oft ihres Sieges, aber auch – o Phocion! hier liegt die Quelle meines unheilbaren Unglücks! aber auch zuweilen ihrer Schwäche. Sie liebt mich, ich weiß es, ich fühle es. Manchmal bricht die mühsam verhaltene Flamme hell und leuchtend aus ihrer reinen Brust. Als sie mir neulich meine wunde Hand verband, als sie, mit dem Ausdrucke der zartesten Sorge um mich beschäftigt, mit ihren zitternden Händen die meinige hielt, ihre Thränen auf meine Wunden floßen, und sie in diesem Augenblick, aller Verhältnisse vergessend, nur das besorgte liebende Weib war – o Freund! ich erröthe nicht, es zu sagen, daß meine Kraft mich hier verließ, daß auch mein Herz sich ihr unverhüllt offenbarte. Ich fordere den Mann heraus, der hier standhaft geblieben wäre. Ich wage es zu behaupten, daß den seine Tugend nichts kosten kann, denn er kann nicht fühlen.


Acht Tage später.


Ich habe lange keine Nachricht von dir! Im Getümmel, im Gewirre des Krieges mögen sich die Briefe wohl leicht verlieren. Noch sind wir vor Nisibis, aber wir werden es nicht mehr lange seyn. Demetrius, der die Stadt schon seit ein paar Wochen eng eingeschlossen, und vergebens auf eine Verstärkung vom Cäsar Galerius gewartet hat, will der Ungeduld der Truppen, ihrem lauten [29] Murren, ihrem Wunsch, die Stadt durch Sturm zu nehmen, nicht länger widerstehen. Auch ist es dringend, daß ihr Schicksal sich entscheide. Hitze, Durst und Krankheit fangen an unser Lager zu verheeren. Kommt nicht bald Hülfe, mißlingt der Sturm auf Nisibis: so müssen wir fort, und schimpflich ein Unternehmen aufgeben, das mit großem Muth, nicht ohne reife Ueberlegung begonnen, und wahrlich für das Schicksal des ganzen Krieges entscheidend ist. Fällt Nisibis nicht, so hoffe ich wenig Gutes, wenigstens für diesen Feldzug mehr. Es ist aber bereits mehr als Vermuthung, daß die alte Feindschaft zwischen Galerius und unserem Feldherrn für Jenen Grund genug wäre, das Gelingen eines solchen Plans zu zerstören, wenn auch mehr als die Ehre des Mannes, den er haßt, darüber verloren gehen sollte. Was auch immer die erste Quelle des Zwiespalts ist, so weiß ich jetzt bestimmt, daß Galerius Haß gegen die Christen die Kluft zwischen ihm und dem Feldherrn, der dieser Sekte so treu ergeben ist, immer mehr erweitert. Jener möchte sie verderben, er verfolgt sie, wo er kann; und ließe Diocletians politische Weisheit, oder seine gemüthslose Gleichgültigkeit gegen Alles, was den Menschen über sich selbst erheben kann, sich von ihm, wie er's wünscht, erhitzen, so zweifle ich nicht, daß wir bald eine allgemeine Verfolgung erleben würden.


Zwei Tage darauf.


Was wir längst fürchteten, und uns selbst nicht zu gestehen wagten, die Wahrscheinlichkeit, daß keine Verstärkung zu hoffen ist, ist nun zur Gewißheit geworden. Galerius denkt niedrig genug, das Heer, das Schicksal [30] des Krieges, seinen Leidenschaften aufzuopfern. Wir sind verlassen, aber Demetrius findet in seinem festen Willen und in dem Muthe der Truppen Kraft genug, das allein zu thun, wovon ihn Scheelsucht und Rache abzuschrecken vergebens versucht. Morgen wird gestürmt. Mauerbrecher, Sturmleitern, Wurfmaschinen, Alles ist in Bereitschaft, das Heer voll guten Willens und freudigen Muthes. Ein Bote, den ich absende, bringt dir diesen Brief und die beigefügte Rolle, die meinen letzten Willen, und die kleinen Verfügungen über mein mütterliches Vermögen enthält. Wer weiß, ob wir uns hier je wieder sehen. Mir steht eine ernste Stunde bevor. Meiner Treue, meinem anhaltenden Bitten, vertraut Demetrius den Posten an einer der gefährlichsten Stellen, und wenn dies Zutrauen mich ehrenvoll auszeichnet, so sichert mir die Gefahr des Auftrags entweder künftigen Ruhm oder Heilung aller meiner Schmerzen. So erwarte ich den kommenden Morgen. Es ist Mitternacht. Alles ist stille. Vielleicht wacht außer mir nur noch Ein Auge, das in diesen ernsten Stunden für mich betend und angstvoll zum Himmel blickt. Auch deiner, gutes, edles Wesen! harret vielleicht ein besseres Schicksal, wenn morgen der Tod den unwillig geliebten Freund deinem kämpfenden Herzen entreißt, und über seiner Asche dein ängstlicher Streit sich in ruhige Wehmuth verliert. Meinen Vater tröste du. Verlaß Athen, kehre nach Nikomedien zurück; mein Testament enthält die Verfügungen, die dich für jenen Schritt entschädigen sollen. Ihm, dem von drei hoffnungsvollen Söhnen nur der ungeliebteste übrig blieb, wird deine sanfte Gemüthsart, dein heiterer Sinn leicht Ersatz für den ernsten, [31] allzudüstern Sohn werden. So sehe ich wohl Einige, die durch meinen Tod gewinnen, Niemand, der darunter leiden wird! Und welche Thränen hätte nicht die Zeit getrocknet? Leb' wohl, Phocion! Daß wir uns wiedersehen, weiß ich gewiß! Wie, wo, wann – das sind Fragen, die vielleicht morgen ein Pfeil, ein Schwert befriedigend löset.

22. Larissa an Junia Marcella

22. Larissa an Junia Marcella.

Lager vor Nisibis, im Sept. 301.


Morgen mit anbrechendem Tage wird Nisibis gestürmt. Alles ist bereit. Demetrius führt sein Heer an, Agathokles hat er auf sein dringendes Bitten einen der gefährlichsten Posten übergeben. Ich verstehe Agathokles Wunsch. Ruhm oder Tod! Die männliche Seele findet in Beiden Beruhigung. Aber was aus mir werden wird? daran geht die rauhere Kraft achtlos vorüber. Ich kann nicht zusammenhängend denken, viel weniger schreiben. Von dir habe ich nun auch seit fast zwei Monaten keine Nachricht. Meine Brust ist fest, fest zusammengedrückt. Bald steht mein Blut, bald jagt es stürmend durch die Adern. Ich habe viel in meinem Leben gelitten; solche Angst habe ich nie empfunden. Ich vermag nicht zu beten – nur hingeworfen auf meine Kniee kann ich jammern. Selbst das Labsal der Thränen versagt dem geängsteten Herzen! Bete für mich, Junia! Was will ich? Wozu? – Bis der Brief dich erreicht, ist mein Schicksal längst entschieden.

23. Larissa an Junia Marcella

[32] 23. Larissa an Junia Marcella.

Nisibis, im Sept. 301.


Der Kelch des bittersten Leidens ist diesmal vorübergegangen. Nisibis ist erobert, Demetrius und Agathokles leben! Dieser ist gar nicht, mein Gemahl wohl bedeutend, aber nicht gefährlich verwundet, und in dem beglückten Gefühle, so großem Unglücke entgangen zu seyn, übersieht das getäuschte Herz die dunkeln Stellen, deren noch so viel übrig sind. Jetzt will ich sie alle vergessen, ich will nur Gott danken, der mir diese zwei theuersten Wesen erhielt, und mich vor Verzweiflung bewahrte. Auch hat es der Vorsicht, deren Fügungen in dem Gange meines Schicksals immer sichtbarer erscheinen, gefallen, ein neues schönes Band zwischen dem Freunde meiner Jugend und mir anzuknüpfen, ein Band, das viele Empfindungen, die ich bisher verdammen mußte, rechtfertigt, und mir erlaubt, dem Zuge meines Herzens ohne so große Aengstlichkeit zu folgen. Demetrius dankt der Treue, dem Muth, der Anhänglichkeit seines Legaten das Leben. O meine Junia! Welche Seligkeit liegt in diesem Gedanken? Nicht allein die Schönheit der Handlung selbst, sondern auch die Sicherheit, die sie meinem Geiste gewährt, die Freiheit, den mit reiner schwesterlicher Liebe lieben zu dürfen, der unsern gemeinschaftlichen Vater erhalten hat! Ich darf ihn jetzt nicht mehr so scheu betrachten, ich darf einen Theil meines Gefühls ihm ungehindert zeigen. Die reine Dankbarkeit, die unschuldige Neigung, die in meinem Herzen liegt, ist kein Verbrechen. O Junia! Ich bin befriedigt, ich verlange für meine Wünsche kein höheres Glück. Und [33] wenn es auch nicht lange währen sollte, denn schon sehe ich Wolken an unserm Horizont heraufsteigen, so war ich doch für kurze Zeit recht glücklich! Diese Zeit ist mein, diese Erinnerungen kann mir keine Zukunft rauben, und der helle Zwischenraum in meinem nächtlichen Leben soll mich stärken, künftige Widerwärtigkeiten mit freudigem Muthe zu ertragen.

Agathokles hatte zuerst auf seinem Posten, welcher der gefährlichste von allen war, die Mauer erstürmt. Wie es da erging, diese schrecklichen Auftritte, diese fürchterlichen Gestalten des Todes, die ich erzählen hörte, wirst du mir zu wiederholen erlassen. Genug, nach einem zweistündigen Gefechte drangen die Unsrigen, ihren muthigen Führer an der Spitze, in die Stadt ein. Nicht lange darnach erreichte Demetrius von der andern Seite denselben Zweck. Aber da man auf dieser schwächern Seite der Stadt den Sturm vermuthet hatte, fand er viel größern Widerstand, und das Gefecht wurde von beiden Seiten mit der heftigsten Erbitterung fortgesetzt. So gelangten sie bis auf den Marktplatz, die Besatzung wich nur Schritt vor Schritt, die Unserigen mußten jeden Fußbreit Boden theuer erkaufen. – Plötzlich stürzte, als Demetrius mit den Seinen schon auf dem Platze stand, aus einer Nebenstraße ein weit überlegener Haufe von feindlichen Soldaten hervor. Demetrius sah die Seinen um sich her fallen, er stritt fast allein gegen den wüthenden Schwarm. Einer von den Seinigen hatte die Besonnenheit, zu Agathokles zu eilen, und ihm die Gefahr seines Feldherrn zu melden. Dieser vergaß sogleich jede Rücksicht auf eigenen Ruhm, auf Behauptung seines errungenen Sieges, und schlug sich mit Wenigen, die ihm muthig folgten, bis [34] zu seinem Feldherrn durch. Er fing den tödtlichen Hieb, der das Leben meines Gatten hätte enden können, mit seinem Schwerte auf, er deckte ihn, als er verwundet niedergesunken war, mit seinem Schilde, und schützte sein Leben auf Gefahr des eigenen, bis eine Verstärkung der Unserigen ankam, und dem treuen Agathokles erlaubte, nun auch für die Pflege seines Geretteten zu sorgen. Mit kindlicher Sorgfalt wachte er über ihn, ließ ihn in ein nahes Haus bringen, und alle Anstalten zu seiner Erhaltung treffen. Sobald die Feinde die Stadt gänzlich geräumt hatten, sandte er zu mir. Mit der größten Schonung, in der ich sein Herz erkannte, wurde mir der Vorfall berichtet, und ich eilte zu Demetrius, den ich zwar verwundet und erschöpft, aber bei so heiterm Geist, so froh über den gelungenen Sieg, und so dankbar gegen seinen edlen Retter fand, daß die Pflicht, seiner zu pflegen, mir doppelt süß wird.

Den Tag, nachdem ich in Nisibis angekommen war, erhielt ich einen Brief von dir, den die Veränderungen unsers Aufenthalts, oder andere Zufälle verspätet haben. Er ist mehrere Wochen alt. Du schreibst mir darin mit aller Liebe einer Freundin, mit aller Strenge einer tugendhaften Christin über mein Verhältniß zu Agathokles. Du räthst mir nicht blos, du befiehlst mir die Gefahr zu fliehen, in der ich sicher untergehen würde. Du findest die einzige Möglichkeit der Rettung in schneller gänzlicher Trennung, und verlangst, daß ich meine Sicherheit, sogar mit dem Scheine des Ungehorsams gegen Demetrius, mit der Gefahr, seinen Zorn, den Vorwurf pflichtwidriger Kälte auf mich zu laden, erkaufen sollte. Ach Junia! Was du forderst! Es mag möglich seyn, daß dies [35] Mittel mich früher hätte retten können! Es mag möglich seyn, so strengen Forderungen der Pflicht zu gehorchen. Ich glaube auch, daß in deiner Brust die Kraft dazu läge! Aber ich? Zürne nicht, Junia! Ich kann, ich darf, ich brauche dies einzige grausame Mittel nicht anzuwenden. Demetrius ist schwer krank, nicht sowohl durch die Art seiner Verwundung, als durch ein heftiges Fieber, das sich zu seiner Erschöpfung gesellte. Jetzt ist der Wille des Himmels deutlich ausgesprochen. Ich soll und werde den kranken Gemahl nicht verlassen. Aber ich bedarf es auch nicht; denn mein Verhältniß zu Agathokles ist verändert, und der strenge Zwang aufgehoben, in dem, wie du selbst einsiehest, ein großer Theil unserer Gefahr, unserer gespannten Verhältnisse lag, seit ein neues schönes Band sich zwischen uns angeknüpft hat, und pflichtmäßige Dankbarkeit meine Gefühle veredelt und heiligt.

Demetrius behandelt ihn, seit dem letzten Vorfalle, mit väterlicher Zärtlichkeit. Agathokles ist fast immer um ihn, er wünscht es, er verlangt es sogar deutlich, wir theilen uns in seine Pflege und Unterhaltung, und mein Gemahl scheint die Hülfleistungen seines treuen Legaten beinahe mit mehr Freude zu erkennen, als die meinigen. Ach Junia! Das sind dann selige Stunden! Wenn Demetrius schlummert, dann wallet ein leises herzliches Gespräch zwischen uns, von alten guten Zeiten; die Geister unserer kindlichen Freuden umschweben uns rein und unschuldig, vielleicht der Geist seiner vortrefflichen Mutter, der er und ich so viel zu danken haben, von der der edle Sohn nie ohne Rührung spricht. Ihre heilige Gegenwart weiht unsere Empfindungen, verbannt alles Leidenschaftliche daraus, und läßt uns nur [36] die Süßigkeit einer freien schuldlosen Neigung genießen. Wacht Demetrius, so erheitert ihn entweder abwechselndes Vorlesen, oder ein anziehendes Gespräch, dessen Gegenstand oft die Lehren unserer heiligen Religion sind. Du weißt, welch ein eifriger Christ Demetrius ist, und wie manchen Verdruß ihm dieser Eifer schon zugezogen hat. Seit dem letzten Vorfall ist das Bestreben, seinen Freund von einer Lehre zu überzeugen, die ihm allein in dieser und jener Welt dauerhaftes Glück sichern kann, eben so natürlich als sichtlich. Und Agathokles! O meine Freundin! Wie glücklich macht mich oft diese Bemerkung! Agathokles scheint von der Erhabenheit unserer Lehrsätze weit mehr durchdrungen, als sich mir zu hoffen erlaubt hatte.

Neulich, als Demetrius, der seinen Zustand als Weiser und Christ mit Ernst bedenkt, und keinen Täuschungen Raum gibt, das heilige Abendmahl zu genießen wünschte: hieß er uns alle gegenwärtig seyn, und auch Agathokles durfte nicht fehlen. Obgleich es ihm nun unmöglich war, den Theil daran zu nehmen, der Christen erlaubt ist: so sah ich ihn doch von dem erhabenen Zwecke und der ganzen Ansicht dieser Einrichtung, von unsern Gebräuchen, von unserer stillen Andacht gerührt. Ex sank mit uns zugleich auf die Kniee, und brachte, wie er mir hernach gestand, dem unbekannten Gotte den Tribut der Ehrfurcht und Liebe. Ich sah ihn an. So edel, so unaussprechlich liebenswürdig, als in dieser feierlichen Stunde, hatte er mir noch nie geschienen. Ich fühlte mich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. O ich hätte ihm, wenn es die Umstände gefordert hätten, in Gegenwart aller Zeugen eine Liebe gestehen können, die so rein, so [37] fromm war! Als ich ihm sagte, daß ich für ihn, für sein Glück gebetet hätte, daß ich täglich für ihn betete: da sah ich Thränen aus seinen Augen dringen. Er ergriff meine Hand in einer heftigen Bewegung; er wollte sprechen – aber er vermochte es nicht. Er riß sich los, und eilte hinaus. Hatte er mich verstanden? Fühlte er, was ich sagen wollte?

Laß mich nun, Junia! meine Hoffnungen, meine Aussichten, alle meine Freude und Beruhigung in deine theilnehmende Brust gießen, und zürne mir nicht zu strenge! Ach, ich war lange genug unglücklich. Mißgönne mir den Sonnenstrahl nicht, an dem mein verdüstertes Wesen sich zutrauensvoll entfaltet, und zu bessern Tagen auflebt!

Nichts ist Zufall in der Welt, meine Geliebte! Alles ist Fügung und Anordnung einer weisen Vorsicht, die der belebten und unbelebten Natur ihre ewig unverbrüchlichen Gesetze mitgetheilt hat, von denen abzuweichen eben so unmöglich ist, als den gestrigen Tag zurückzurufen. Alles Zufällige, alles Ungefähr hört auf, und daß uns etwas so erscheint, ist nur Schuld unserer beschränkten mangelhaften Ansicht, welche nicht mehr als einen kleinen Theil des großen Ganzen zu übersehen im Stande ist. Da wir aber vom Schöpfer mit Vernunft und Gewissen begabt, und verpflichtet sind, unter Leitung der erstern auf Antrieb des letztern zu handeln, zu wählen, zu verwerfen; so hört unsere Zurechnung, und unser freier Wille nicht zugleich auf. Nun aber, weil es unmöglich ist, etwas zugleich zu thun und zu lassen, weil unter tausend möglichen Fallen nur Einer in die Wirklichkeit eintreten, und in die Kette der Begebenheiten [38] eingreifend, selbst zur Ursache unabsehlicher Folgen werden kann: so ist unsere Entschließung und ihre Wirkungen vorausgesehen von dem Auge, dem Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart Ein Tag ist, und wir handeln nach dem großen Plan, wie zwanglos, wie vernunftmäßig oder sinnlich, wie tugendhaft oder leidenschaftlich unsere Entschließung gewesen seyn mag, und alles leitet zu einem schönen Ziel, das weit hinter diesem nächtlichen Erdenleben in lichter Ferne zuweilen dem redlichen Forscher, oder dem kindlichen Sinne erscheint. Wenn du mir nun das zugibst, und ich sehe nicht wohl, wie du als Christin und selbstdenkendes Wesen es bestreiten kannst, so darf ich mich ja wohl dem süßen Gedanken überlassen, daß die Begebenheiten der letzten Tage eben so von Gott geordnet, und eben so, wie alles Uebrige in der Welt, Leitung zu einem hohen edeln Zwecke seyen. Warum, meine Liebe! mußte Agathokles gerade zu dem Feldherrn kommen, in dessen Frau er seine Jugendgeliebte findet? Warum zu einer Familie, die aus lauter Bekennern des Christenthums besteht? Warum mußte bei'm Sturm auf Nisibis unter so augenscheinlichen Gefahren sein Leben verschont bleiben, und er Gelegenheit finden, sich seinem Vorgesetzten so hoch zu verpflichten, ihn zu seinem Freunde zu machen? Warum kam dein Brief, der mich in Edessa vielleicht zur Trennung von ihm vermocht hätte, erst jetzt, wo es viel zu spät war? Wie wäre es, Junia! wenn alle diese scheinbaren Zufälligkeiten sich zu dem Zwecke vereinigten, Agathokles in den Schooß unserer heiligen Kirche zu führen, und ihm den einzigen Vorzug zu ertheilen, der ihm noch fehlt, um ganz vollkommen zu seyn? Agathokles ein Christ! Junia! Diese [39] strenge Tugend, dieser erhabene Sinn, durch den Geist des Christenthums erhöht, veredelt, verfeinert! O wie gern will ich dann meine Leiden getragen, und durch acht freudenlose Jahre diesen Augenblick höchster Seligkeit erkauft haben!

Dein Brief hat mir die Ankunft meines geehrten Lehrers Apelles hoffen lassen. Noch ist sie nicht erfolgt, aber ich begreife wohl, daß die Störungen, die der Krieg in diesen Gegenden verursacht, und die öftere Veränderung unsers Standorts seine Reise verzögert haben mögen. Wie sehr wünschte ich ihn zu sehen! Ich würde mir sehr viel von der Gewalt seiner Ueberzeugung, und seiner feurigen Beredtsamkeit für Agathokles Sinnesänderung versprechen. Ach, es ist schon ein so schöner Anfang gemacht! Gelingt es Apelles, das Ganze zu vollenden, so wäre das eine neue Wohlthat, die ich deiner Liebe und Theophrons väterlicher Sorge um mich zu danken hätte. Sage ihm, dem ehrwürdigen Lehrer und Tröster meiner Jugend, daß ich ihm mit kindlicher, und dir mit schwesterlicher Zärtlichkeit dafür danke. Mein Gemüth ist jetzt viel stiller und ruhiger, ein heiterer Friede wohnt in mir, wie er einst die Jahre meiner Kindheit beseligte, und zum erstenmal nach mehr als acht Jahren blicke ich mit Ruhe auf die Gegenwart, und ohne Furcht in die Zukunft. Vielleicht hat die gütige Vorsicht mir in spätern Jahren Ersatz für die verlorene Jugend bestimmt. Was sie auch senden mag, wie viel, wie wenig es sey, ich will es kindlich hinnehmen, und dem, was sie verweigert – Junia! es ist etwas Großes! es hätte mich zum glücklichsten Weibe auf Erden gemacht! – mit stiller Unterwerfung entsagen.

24. Agathokles an Phocion

[40] 24. Agathokles an Phocion.

Nisibis, im Sept. 301.


Noch lebe ich! Die Ahnung eines nahen Endes aller meiner Kämpfe und Leiden hat mich getäuscht, und es beginnt ein Daseyn für mich, das zwischen der Seligkeit der Götter und den Qualen des Tartarus oft und plötzlich wechselnd mich entweder zum Wahnsinn bringen wird, oder die erschöpfte Natur erliegt den unaushaltbaren Stürmen.

Es war eine Zeit, wo der Gedanke, Larissen zu sehen, mich zu jedem Wagestück getrieben, mich jedes Hinderniß zu überwältigen gelehrt hätte, wo ich für die Seligkeit, diese Züge zu erblicken, die so tief in mein Herz gegraben sind, den Ton dieser Stimme zu hören, die seit den Kinderjahren nicht in meiner Brust verhallt ist, mein Leben gegeben haben würde. Noch denke, noch fühle ich eben so – noch ist Larissa mir das Theuerste auf Erden, noch könnte ich für ihren pflichtmäßigen Besitz Alles hingeben, was andere Menschen Glück nennen – und jetzt – Ich habe das heiß ersehnte Ziel errungen, ich bin bei ihr, ich leb' um sie, ich sehe sie täglich, ich spreche zwanglos mit ihr, sie flieht mich nicht mehr, sie hört mich gütig an, sie zeigt mir Zuneigung, Freundschaft, Liebe – und jetzt, Phocion! jetzt liegen die Qualen des Erebus in diesem Verhältnisse, und daß sie es nicht ahnet, daß sie, in süßer Täuschung verloren, den Schmerz ganz allein auf meine Brust häuft, das ist's, was mich zur Verzweiflung bringt.

Mein letzter Brief sagte dir, daß wir bereit waren, Nisibis mit Sturm zu nehmen. Es war ein gewagtes[41] Unternehmen, bei dem viel auf der Spitze stand, und das nur durch den großen Vortheil, den sein Gelingen gewähren konnte, und die traurige Lage des Heeres zu rechtfertigen war. Mit sonderbaren Gefühlen nahm ich, am Abend vorher, von Larissen Abschied. Es war vielleicht der Letzte auf dieser Erde. Ich darf dir wohl gestehen, daß ich es hoffte; daß sie es zu fürchten schien, sprach ihr ganzes Wesen deutlich aus, und eine wehmüthige Beruhigung drang bei dem Gedanken, von einem so edlen Herzen so geliebt zu werden, in meine wunde Brust. Am andern Morgen riefen uns die Tuben zum Sturm. Du weißt, Phocion! ich bin nicht weich, und habe dem Tode mehr als einmal auf dem Schlachtfeld in's Antlitz gesehen, mehr wie einem Freund, der uns von drückenden Lasten befreit, als wie einem Gespenst, das uns vom Schauplatz unserer Freuden abruft. Aber diese Schrecken, diese gräßlichen Gestalten, unter denen er hier erschien, dies gänzliche Ausziehen aller Menschlichkeit, das ein eisernes Gebot hier zur Pflicht machte, empörte die Natur, und jedes bessere Gefühl in mir. Noch ziemlich glücklich erstieg ich auf den Leichen meiner Freunde, meiner Untergebenen, die neben mir, unter mir, bluteten, röchelten, starben, mit verwirrtem Geist, mich selbst betäubend, die schwer zu erobernde Schanze. Was ist die gerühmte Tapferkeit des Helden? O Phocion! Betäubung, Fühllosigkeit, Glück. Warum traf mich kein Pfeil, verwundete mich kein Wurf, indeß rings um mich hundert sanken, die vielleicht mehr als ich zu leben gewünscht, verdient, und ihren Platz, als Führer einer kühnen Schaar, wohl eben so gut behauptet hätten, als ich? Was war's, das mich [42] fortriß, mir Kraft, Hartherzigkeit, Besonnenheit und Schutz verliehen? und warum eben mir? Und zu welcher Zukunft? O Phocion! daß ich nicht vor Nisibis gefallen bin!

Als ich in die Stadt drang, den kleinen Haufen, der übrig geblieben war, hinter mir, ereilte uns in höchster Angst ein Verwundeter, um mir zu sagen, Demetrius sey auf dem Marktplatz von den Seinen verlassen, von Feinden umringt, in Todesgefahr. Ich verließ ohne weitere Besinnung den Posten, den ich nach dem Plane hätte behaupten sollen, und eilte, den Gemahl Larissens zu retten. Die Vorsicht erhörte meinen Wunsch, der Feind ward zerstreut. Demetrius, der mit einer Tapferkeit, weit über seine Jahre, fast allein sich gegen eine ziemliche Anzahl Feinde gewehrt hatte, sank, als ich ihn erreichte, durch Anstrengung und Wunden erschöpft nieder. Ich hielt die eindringenden Feinde ab, bis eine Verstärkung der Unserigen kam, und das ungleiche Gefecht, und unsere Gefahr endigte. Demetrius ward in ein nahes Haus gebracht, und ein Offizier, auf dessen feines Gefühl ich mich verlassen konnte, abgesandt, um Larissen von dem Unfall zu unterrichten, und sie nach der Stadt zu geleiten. Sie kam sogleich. Demetrius empfing sie freundlicher, als ich ihn je gesehen hatte, und stellte mich ihr als seinen Retter vor. Phocion So sehr ich Larissen liebe, so war ich doch nie verblendet genug, um ihre Gestalt, die edel und anziehend ist, für schön zu halten. Aber in diesem Augenblicke, als sie mit offenen Armen, mit glühenden Wangen auf mich zuging, und im Angesichte ihres Gemahls ihre Arme um mich schlug, mir zu danken strebte, und statt der [43] Worte nur Thränen hatte, die heftig aus ihren Augen stürzten, da, Phocion! fand ich sie schön, unwiderstehlich reizend. Ich zitterte wie ein Verbrecher. Ein verzehrendes Feuer lief durch meine Adern, ich brannte, sie zu umfassen, sie fest an meine Brust zu drücken, ihr zu gestehen, was ich fühle. Ich durfte es nicht wagen! Ohne Laut und Bewegung stand ich in ihren umschlingenden Armen, froh genug, daß ich den Sturm, der mein Innerstes durchtobte, zu verhehlen, und ihr und Demetrius die wilde Gluth verbergen konnte, die mich durchdrang. Sie begriff mein Verstummen nicht, oder sie deutete es anders – sie hat keine Ahnung von den Qualen, die seit diesem Augenblick mein Herz zerreißen.

Sicher im Bewußtseyn der himmlischen Reinheit ihrer Gefühle, getäuscht durch die Schönheit derselben, nennt sie ihre jetzige Stimmung Dankbarkeit, schwesterliche Zuneigung, und überläßt sich ihr ohne Zwang und Rückhalt vor den Augen ihres Gemahls, der in väterlichem Wohlwollen gegen mich es gerne sieht, daß seine Frau dem Netter, ihres Gatten mit vorzüglicher Achtung begegnet, und es natürlich findet, daß alte Bekannte, Jugendgespielen in tausend Kleinigkeiten einander weniger fremd sind. O Phocion! Welcher Frieden, welche Unschuld liegt in diesem Gemüthe, das in der Freude, sich seinen Gefühlen überlassen zu dürfen, sich über alle Folgen derselben kindlich täuschend, auch nicht von fern vermuthet, welche Leiden sie über mich häufet! Wenn sie, am Lager ihres Gemahls beschäftigt, mit der Sorgfalt einer Tochter ihm jeden Dienst leistet, jedem Wunsche zuvorkommt, und nach mancher unruhigen Stunde sich dann ermüdet mir gegenüber setzt, ihr Blick mit unaussprechlicher [44] Milde auf mir ruht, und ich an der stillen Zufriedenheit, die aus ihren Zügen strahlt, fühle, wie vergnügt sie meine Gegenwart macht, wie sie den Lohn ihrer Tugend, die Entschädigung für alle ihre Sorgen in einem freundlichen Gespräche mit mir findet; wenn ich diese schöne Mischung von erhabenen Gesinnungen und kindlicher Einfalt, von stillem Muthe und zarter Weiblichkeit sehe, die sich in allen ihren Reden und Handlungen äußert; wenn ich denke, was sie mir hätte werden können, und was sie nun ist – und dann im Gefühle, von ihr geliebt zu seyn, gelassen ausharren, und die Flammen unterdrücken soll, die alle Augenblicke aus meiner empörten Brust hervorzubrechen scheinen: das, Phocion! geht über meine Kräfte. Ich fühle, ich kann es nicht langer mehr tragen, ich muß sie fliehen, wenn ich bei Sinnen, wenn ich mir selbst treu bleiben will.

Demetrius scheint noch eine Absicht damit zu verbinden, daß er mich beständig um sich hält. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn er nicht den Plan hat, mich zum Christenthum nicht zu überreden – aber wohl, mir es durch eine genauere Kenntniß seiner Lehren und Gebräuche angenehmer und werther zu machen. Ich habe keine Vorurtheile mehr dagegen, seit ich Larissens Denkart und die Lebensweise der Christen näher kennen gelernt habe. Ich achte sogar einige ihrer Sätze recht sehr – aber, einer der Ihrigen zu werden – so lange diese Sekte noch so vielen, nicht ganz gehobenen Vorwürfen ausgesetzt ist, so lange mein Vater lebt, der sie haßt, würde ich mich schwerlich entschließen. Es fehlt noch viel, bis ich volle Ueberzeugung habe: und wer kann einen solchen [45] Schritt ohne diese thun? Indessen habe ich einigen ihrer Ceremonien beigewohnt, manchmal mit Ehrfurcht, einige Male mit wahrer Rührung; und Demetrius, wenn das sein Zweck ist, hat ihn in so weit erreicht. Aber auch hierin liegt eine neue, unvermeidliche Gefahr für mich. Larissen beten zu sehen, Zeuge der Erhebung ihres Gemüthes, der Verklärung ihres Wesens zu seyn, zu wissen, daß sie für mich betet, und kalt und gelassen bleiben, das ist schlechterdings unmöglich. Später oder früher muß die Maske fallen, die ich, widerstrebend und kämpfend, nicht länger zu tragen vermag. Und was kann, was wird für Larissen, für Demetrius, für mich daraus entstehen? Ich muß fliehen, ich muß! Sobald Demetrius so weit genesen ist, daß er dieser Unterredung fähig ist, bitte ich ihn ernst und dringend um meine Entlassung. Weigert er sie mir schlechterdings, dann ende ein Machtwort des Cäsars, das ich durch Tiridates schnell zu erhalten hoffe, den Kampf, der meine besten Kräfte verzehrt.

25. Calpurnia an Agathokles

25. Calpurnia an Agathokles.

Rom, im Sept. 301.


Es ist schon so lange, mein verehrter Freund! seit du nichts von mir, und ich nichts von dir gehört habe, daß ich kaum bestimmt sagen kann, ob du mich noch im Lande der Lebendigen vermuthest, oder schon im Elisium glaubst. Auch mir würde es so ergangen seyn, wenn nicht der öffentliche Ruf ersetzte, was unserer losen Freundschaftsverbindung fehlt, und ich nicht durch ihn erfahren hätte, daß du lebst, und dich im Kriege mit [46] Ruhm auszeichnest. Der Ruf spricht mit Achtung von dir, und ich gestehe dir freimüthig, daß ich ihm mit Wohlgefallen horche, wenn er mir von dem Gastfreunde unseres Hauses angenehme und ehrenvolle Dinge erzählt. Doch hätte ich weder Lust noch Muth, deinen Geist, der, so gewissenhaft zwischen häuslicher und kriegerischer Pflicht getheilt, den Lohn für diese in jener suchte, und fand, auch nur einen Augenblick von so anziehenden Beschäftigungen abzurufen. Dieser wahrlich gewissenhaften Rücksicht mußt du es zuschreiben, wenn ich dich mit keiner Antwort auf deinen ersten und letzten Brief aus Nikomedien bemühen wollte. Du gingst, wie du mir schriebst, gleich zum Heere ab, und was sich dort mit dir zutrug, weißt du, und in Rom weiß man es auch. Jetzt aber fordert eine dringende Pflicht, die Pflicht der Freundschaft gegen eine edle unglückliche Frau, mich auf, alle anderen Betrachtungen aus den Augen zu setzen, und deinen Edelmuth, deine Redlichkeit anzusprechen, um von dir Hülfe, oder wenigstens Rath für deine Freundin zu erhalten.

Es ist mir sehr unangenehm, daß die Art meines Anliegens mir nicht erlaubt, weder dein Geschlecht überhaupt, noch deine Liebe für einen sonst schätzbaren Mann zu schonen, gegen den ich eben klagen muß. Schließe aber daraus, welches Vertrauen ich auf dein strenges Pflichtgefühl, und deine vorurtheilslosen Ansichten setze, indem ich mich ohne weitere Umschweife in dieser Sache an dich wende.

Du weißt, in welchem Verhältniß Sulpicia und Tiridates standen, als dieser im Frühlinge Rom verließ. Ihre Ansprüche an seine Treue waren vollgültig, durch [47] ihre grenzenlose Liebe und tausend Aufopferungen wohlverdient, ihre Hoffnungen auf seine Hand rechtmäßig und gegründet, und durch heilige Eide versichert. So schied er von ihr, und ließ sie in häuslichen Verhältnissen zurück, über deren Schwierigkeit und Unannehmlichkeit er sich unmöglich tauschen konnte, und an denen doch eigentlich seine Verbindung mit ihr Schuld war. Ein alltägliches Geschöpf von Ehemann erniedrigt sie durch Verdacht und Auflauren, während ein harter Vater sie mit Vorwürfen quält, welche nur wirkliche Vergehungen rechtfertigen könnten, die aber in Sulpiciens Falle, wo blos das Herz – doch wozu brauche ich dir ein Verhältniß zu schildern, das du wohl kennst, und einst mit zu großer Strenge gerichtet hast? Vielleicht denkst du jetzt auch über diesen Punkt milder, und spätere Erfahrungen mögen deine Ansichten verändert haben. Wie aber immer deine Denkart seyn mag, so glaube ich, wirst du doch darin vollkommen mit mir übereinstimmen, daß Treue, ausschließende Anhänglichkeit, und festes Verfolgen des abgeredeten Planes, Bedingungen sind, die, wenn sie gehalten werden, nicht großes Aufhebens, und wenn sie gebrochen werden, den allerstrengsten Tadel, ja gar keine Entschuldigung verdienen. Was soll also die unglückliche Sulpicia denken und fühlen, wenn sie von allen Seiten bestätigen hört, daß der leichtsinnige Tiridates, versunken in Asiens Wollüste, bestrickt von verführerischen Weibern, von Einer zur Andern gedankenlos flattert, und, von den Freuden des Hofes trunken, nicht Zeit hat, sich um so geringfügige Sachen zu bekümmern, als der Thron seiner Väter, und die Ruhe eines Herzens ist, das sich ihm ganz und willenlos geopfert hat?

[48] Wie zerrissen dies schöne, edle Herz ist, wird dir der beigeschlossene Brief zeigen, den ich aus Bajä von ihr erhielt, wo ihre niedrigen Peiniger sie eingeschlossen halten, um ihr den letzten Trost, den Um gang mit mir, zu entziehen. Serran's kleiner Geist fürchtet meinen Einfluß, darum hat er seine Frau aus Rom entfernt; und Sextus Sulpicius sieht in mir nichts, als eine schlaue Mittlerin eines verbotenen Verhältnisses. Wie könnte auch seine grobgeschnitzte Seele, die an keine weibliche, ja an keine menschliche Tugend, als allenfalls den Patriotismus glaubt, sich zu dem Gedanken erheben, daß man einander wirklich lieben, und durch diese Liebe sich recht viel seyn kann? Diese Lage allein wäre schon hinreichend für Sulpicien, das Mitleid und die Schonung der ganzen Welt aufzufordern, um wie viel mehr die allerzarteste Aufmerksamkeit desjenigen, für den, um dessentwillen sie so sehr leidet. Aber dieser leichtsinnige Königssohn vergißt ihrer im Arm asiatischer Hetären, und vermehrt ihre Qualen noch durch den scharfen Stachel, den seine Untreue, der Gedanke, so gewissenlos vergessen zu seyn, in ihr zerrissenes Herz drückt.

Zwar will ich gern glauben, daß der immer vergrößernde Ruf auch hier Manches hinzugesetzt hat, was nicht so ganz wahr ist; indessen, wenn ich auch die Hälfte abrechne, bleibt noch immer genug übrig, um Tiridates sehr strafbar erscheinen zu machen. Noch schreibt er ziemlich oft und ziemlich warm an Sulpicien; aber was ist dies für ein Herz, das von Zweifel und Angst gefoltert wird, und in der sehr natürlichen Voraussetzung, daß der Prinz wohl so klug seyn wird, sich nicht selbst anzuklagen, seine Briefe schon mit ungünstigem Vorurtheil empfängt? Da wird jedes kühlere Wort, jeder unvorsichtige Ausdruck eine [49] neue Quelle des Argwohns. Bei einem Brief kommt so viel auf die Stimmung des Lesenden an, sie gibt die Musik zu den Worten. Was kann der todte Buchstabe, was kann ein treuer Freund zur Beruhigung sagen, wenn ein krankes Gemüth mit jener geflissentlichen Grausamkeit, die eben den bessern Seelen eigen ist, in jedem Worte einen Pfeil finden will, um ihn tiefer in seine Wunden zu drücken? O wahrlich! solche Gemüther sind sehr zu beklagen, sie sind ewig das Spiel und der Raub der rauhern stärkern Seelen.

Bei dieser Lage der Sachen, bei der halben Ungewißheit, in der wir über Tiridates wahre Gesinnungen schweben, und bei der Unmöglichkeit, im Geringsten auf ihn wirken zu können, wende ich mich nun an dich, und hoffe von deiner Denkart, von deiner Achtung für Sulpicien, und hauptsächlich von deiner genauen Verbindung mit dem Prinzen, noch allein das Wenige, oder Viele, was sich in dieser Sache thun läßt. Zuerst ersuche ich dich um eine genaue Nachricht von Tiridates Lebensart und Gesinnungen, so weit du sie zu kennen vermagst. Für's Zweite überlasse ich deinem Gefühle, deiner Beurtheilung, die weitern Schritte zu bestimmen, die allenfalls noch hierin zu thun wären. Deine Denkart ist mir Bürge, daß ich meine Freundin hier nicht aussetze, daß nichts geschehen wird, worüber sie zu erröthen, ja, was sie nur von fern ungethan zu wünschen haben würde. Leite, führe du die Sache, wie du es für gut findest; ich lege mit Zufriedenheit Sulpiciens Geschick und meine treue Sorge für sie in deine Hand, und erwarte, wo nicht Hülfe, – denn wer weiß, ob du die gewährenkannst? – doch wenigstens Trost und Beruhigung für sie von deinem Herzen.

[50] Mein Vater und meine Brüder, die alle recht wohl und vergnügt sind, grüßen dich herzlich durch mich. Solltest du zu antworten nöthig finden, so sey auch so gütig, mir den Ort deines Aufenthalts zu bemerken. Nicht immer wissen wir in Rom genau die Standörter unserer Armeen, und nicht immer ist ein Legat so glücklich, im Hause seines Feldherrn zu leben, und alle seine Leiden und Freuden mit ihm zu theilen. Leb' wohl.

26. Sulpicia an Calpurnten

26. Sulpicia an Calpurnien.

(Im vorigen eingeschlossen.)


Bajä, im Sept. 301.


Mit unsäglicher Mühe und Aufopferungen, die mich mehr kosten, als ich zu sagen im Stande bin – denn es gilt hier nicht Geld, oder Geldeswerth, sondern Grundsätze und Gefühle, deren Unterdrückung mein innerstes Leben angreift – habe ich einen Sclaven auf unserm Landgute, gewonnen, der sich endlich erboten hat, dir diesen Brief zu bringen. Allmächtige Götter! Zu welchen Erniedrigungen zwingt mich die verächtliche Gesinnung Anderer, und die Nothwehr, die ja auch dem schwächsten Wurm gegen seinen Peiniger erlaubt ist! Bestechung, Verlockung von der dem Gebieter geschworenen Treue muß ich mir zu Schulden kommen lassen. Ich, die ich jeden Winkelzug, jede Unredlichkeit, als meiner Natur widernd, hasse, ich muß die Betrüger überlisten, weil ich sonst – o Götter, Götter! welche Lage! – weil ich sonst verzweifeln müßte. Sterben? Kleinigkeit! Tag und Nacht sind die Pforten des Todes geöffnet, und wer zu sterben weiß, braucht nicht zu dienen. – Aber sterben [51] wollen, und keines Augenblicks, keiner Bewegung Herr seyn, sich auf jedem Schritt beobachtet, bei jedem Laut behorcht fühlen, zu wissen, daß alle Schränke und Kisten durchsucht, und alle Mittel zur Flucht nicht allein aus diesem Aufenthalte, sondern auch aus dem Leben genommen sind; das zu wissen, und mit der Wuth der Ohnmacht seine Ketten zu schütteln, ohne sie zerreißen zu können: das ist die schrecklichste Lage, in der ein Sterblicher sich befinden kann! Man hat in Rom erkundschaftet, daß ich durch dich Briefe aus Asien bekam, daß jene unselige Verbindung durch die vorigen Maßregeln noch nicht abgebrochen war, und man schritt nun zum Aeußersten. Man schleppte mich in diese Einsamkeit, man hält mich wie eine Verbrecherin, und man macht sich ein Geschäft daraus, mir das Leben zu verbittern. Ja, was der Mensch dem Menschen thun kann, ist das Höchste und Niedrigste. Die größte Erdenseligkeit und die schrecklichste Verzweiflung häuft er auf seines Gleichen.


Ja, die höchste Erdenseligkeit und die tiefste Verzweiflung! Vom Schicksal verfolgt, gemißhandelt, flüchtet das zerrissene Herz an den Busen der Liebe, und dort, in ihren weichen Armen, von ihren Thränen benetzt, von ihrem Hauche neu belebt, weiß es nichts mehr von den Tücken des Schicksals, und ist selig in dem Gedanken, treu und wahrhaft geliebt zu seyn. Nein, der Sterbliche ist nicht zu beklagen, der ein geliebtes Herz ganz besitzt, und in dem seligen Bewußtseyn ruht, was auch sein Loos sey, wie weit Zeit und Raum ihn von diesem Herzen scheiden, es fühlt für ihn, es schlägt nur für ihn, es achtet kein Opfer, keine Gefahr, um den Geliebten glücklich zu [52] machen. Laß dann die ganze Natur, laß die Götter sich wider ihn verschwören, er achtet ihrer Wuth nicht, er liebt – und wird geliebt. O, ich Rasende! daß ich damals klagte, da nichts als eine Verkettung von Umständen ein geliebtes Wesen schuldlos aus meinen Armen riß! Damals wähnte ich unglücklich zu seyn, und was hin ich jetzt? Sie war Frevel, diese unzeitige, unmäßige Klage; Kleinigkeit, Spiel waren die Leiden, die ich damals fühlte, gegen die Martern, die mich jetzt verzehren. Damals war ich geliebt, damals schlug ein Herz treu und ausschließend für mich. O ihr Götter! Nehmt, nehmt mir Alles, was noch an meinem Loose wünschenswerth seyn mag, und gebt mir jene Schmerzen wieder! Gebt mir sie wieder, die Zeit, wo ich euch durch voreilige Bitten bestürmte, ich fordere euch heraus, mich unglücklich zu machen, so lange ich geliebt bin. Aber ich bin nicht geliebt, ich bin nicht geliebt! O mit brennendem Schmerz reißt dieser Gedanke an meinem Herzen: ich bin nicht geliebt! Was in diesen Worten liegt, drückt keine Sprache aus, nur die Verzweiflung in ihrer dumpfen kalten Nacht fühlt die Qualen, die sie enthalten. Zwei Tage trug sich dies Herz mit täuschenden Hoffnungen, jene Nachrichten könnten Verleumdung seyn, eine wohlausgesonnene List meiner Peiniger. Die bitterste Erfahrung, ganz unzweifelhafte Beweise haben mir gezeigt, daß Alles, was man mir sagte, Wahrheit, und mein Unglück entschieden sey. Ein gewisser Marcius Alpinus aus Nikomedien, eines von jenen kaltvernünftigen Wesen, die nichts tiefer verachten und bespötteln als Gefühl, hat an einen seiner Freunde geschrieben, und von diesem erhielt mein Bruder Septimius den Brief. [53] Asiatische Hetären, zwar verheirathete Matronen und vom ersten Range, nichts desto weniger aber an Gesinnung und Betragen den Verworfensten ihres Geschlechtes gleich, theilen sich in ein Herz, das ich einst in einem dunkeln verworrenen Traume mein zu nennen wähnte. Treue, Schwur, Ehre, Ruhm und Thron verschwinden aus den verblendeten Augen, die nur mit wollüstiger Trunkenheit an schönen Formen hangen; und gleichgültig opfert man das Glück eines längst vergessenen Herzens am Altare einer frechen Schönheit.

O wer gibt mir Dumpfheit, Wahnsinn, Vernichtung! Ich will ja nicht leben, ich will ja ein zweckloses Daseyn nicht länger hinschleppen. Liebst du mich, Calpurnia! hast du in der großen Welt nicht auch jede bessere Empfindung verlernt, so besorge mir nur einen einzigen wohlthätigen Tropfen, nur Einen, der genug ist, mein Leben auszulöschen!

27. Agathokles an Calpurnien

27. Agathokles an Calpurnien.

Nisibis, im Oct. 301.


Dein Brief, meine edle Freundin! hat mir ein wahrhaft großes und ein dreifaches Vergnügen gemacht. Er hat mich wieder in die schöne Zeit zurückgezaubert, wo ich in Rom in deines Vaters Hause mit dir und den Deinigen so angenehme Tage verlebte, deren größter Reiz in deinem heitern geistvollen Umgang bestand. Er hat mir Nachricht von lieben Entfernten gegeben, deren Andenken mir unvergeßlich bleiben wird; und endlich hat er mir das erhebende Gefühl gewährt, mich von einer edlen Seele mit Achtung und Zutrauen behandelt zu sehen. [54] Innig danke ich dir für jede dieser angenehmen Empfindungen, vorzüglich aber für die letzte, die zu verdienen und zu rechtfertigen mein thätigstes Bestreben seyn soll.

Du weißt, meine Freundin! du wiederholst es sogar in deinem Briefe, daß die Verbindung zwischen Sulpicien und dem Prinzen mir nie, weder vernünftig, noch rechtmäßig schien. Indessen, so dachte ich mir den Ausgang nicht, obwohl ich Tiridates ziemlich genau zu kennen glaubte. Seit wir in Asien sind, haben wir uns beinahe nicht mehr gesehen, die Reise und ein paar Tage nach unserer Ankunft in Nikomedien ausgenommen. Wir schreiben uns zuweilen, aber meistens nur über Angelegenheiten des Kriegs, oder andere Geschäfte. Ich weiß also nichts Bestimmtes über seine Lebensweise und seinen Umgang. Gerüchte, Sagen laufen freilich hin und her, über auf sie kann ich kein Urtheil bauen. Auch würdest du, meine Freundin! nicht mit dem zufrieden seyn, was ich dir vom Hörensagen berichten könnte. Sey aber versichert, daß ich Alles thun werde, was in meiner Macht steht, um hierüber Gewißheit zu erlangen, und daß ich dann so handeln werde, wie es mein bester Wille, die Umstände, dein edles Zutrauen und Sulpiciens Lage nur immer von mir fordern können.

Uebrigens bitte ich dich zu bedenken, daß Tiridates sich durch Geburt, Schicksal und persönliche Annehmlichkeiten genug auszeichnet, um von der müßigen Menge bemerkt, besprochen, beneidet, getadelt zu werden; wie auch, daß ein liebenswürdiger Prinz an einem üppigen Hofe manchen Versuchungen und Fallstricken ausgesetzt seyn muß. Vieles, was geschehen konnte, wird dann als [55] gethan vorausgesetzt, und erzählt; Vieles, was verworfenen Menschen wahrscheinlich ist, von ihnen als wahr verkündet, und die Welt urtheilt schnell, leichtsinnig und lieblos. Schon, daß er immer in Nikomedien seyn soll, ist Verläumdung. Er befindet sich größtentheils bei dem Heere des Cäsar Galerius, wo er sich durch persönliche Tapferkeit und Feldherrn-Talente gleich rühmlich auszeichnet.

Glaube nicht, daß ich Tiridates hierdurch entschuldigen will. Ich weiß nichts, und kann also nichts, weder für noch wider ihn, behaupten; bis ich aber etwas mit Gewißheit erfahre, könnten diese Betrachtungen vielleicht beitragen, Sulpicien zu beruhigen, und zu verhüten, daß diese unglückliche Frau sich nicht vergeblich in Gram verzehre. Wenn sie wissen darf, daß du mir geschrieben hast, so sage ihr, daß mein Herz innig mit ihr fühlt, sie tief betrauert, und, selbst unglücklich, ihr Leiden wohl zu begreifen, und zu theilen versteht. Marcus Alpinus ist mir übrigens aus früheren Zeiten als ein Mann bekannt, der mit einem durchdringenden Verstande, durch den Umgang der großen verderbten Welt, durch Wollüste aller Art und eine herzlose Kälte endlich dahin gekommen ist, an keine Tugend mehr zu glauben, und nichts für würdig und schätzbar zu halten, als was unsere Sinne auf irgend eine Art in angenehme Bewegung zu setzen vermag. Sein Urtheil wird immer richtig seyn, denn er ist sehr verständig; seine Ansichten aber sind es gewiß selten.

Noch habe ich einen Punkt zu berühren, den ich, so ungerne ich über dergleichen Dinge spreche, unmöglich übergehen kann. Du scheinst, meine edle Freundin! von [56] meinem Schicksale unterrichtet zu seyn; aber ich fürchte, es war nieder nur der Ruf, oder etwas dem ähnliches, der dir nicht ganz getreu berichtet hat. Ja, ich habe Larissen, die Freundin, die Geliebte meiner Jugend gefunden. Ein seltsames Verhängniß hat sie als die Gemahlin meines Feldherrn mir wieder gezeigt. Es würde thöricht seyn, und deines Verstandes spotten heissen, wenn ich behaupten wollte, sie sey mir gleichgültig. Nein, Calpurnia ich liebe sie noch, wie ich sie in meiner ersten Jugend liebte. Aber diese Neigung ist nicht, wie bei Sulpicien und Tiridates, hoffnungsvoll und gegenseitig. Larissa behandelt den Freund ihrer Jugend, der ihr Zutrauen nicht verwirkt hat, mit Achtung und Freundschaft; aber Larissa und Demetrius sind Christen, ihre Religion weiht die Ehe zu einem unauflöslichen Bande, das nichts als der Tod trennen kann. Du siehst also, daß ich keine Hoffnung nähren darf. Bedaure mich, meine Freundin! aber spotte meiner nicht. Nur der Glückliche kann dies ertragen.

Deinen nächsten Brief, wenn du mir die Freude gönnen willst, mich etwas von dir, den Deinigen und unserer unglücklichen Freundin wissen zu lassen, sende nach Nikomedien an meinen Vater. Er weiß immer am ersten und zuverläßigsten, wo ich mich befinde. Vielleicht bin ich sogar bis dahin selbst dort. Der heiße Wunsch, einem Verhältnisse zu entfliehen, das sich weder mit meiner Ruhe, noch meiner Ueberzeugung verträgt, und die Nothwendigkeit, selbst mit Tiridates zu sprechen, wird mich ohne Zweifel bald dahin rufen.

Nimm noch einmal den wärmsten Dank für dein Vertrauen, und die Versicherung, und die Versicherung, daß an jedem Orte, und [57] in allen Verhältnissen Nachrichten von dir und den Deinigen meinem Herzen eine höchst willkommene Erscheinung seyn werden.

28. Larissa an Junia Marcella

28. Larissa an Junia Marcella.

Nisibis, im Oct. 301.


So ist denn keine irdische Freude von Bestand, und der Himmel, der sie uns, kaum empfunden, wieder entzieht, scheint uns immerfort zu ermahnen, daß wir hier nicht in unserer Heimath sind. Freundliche Gestalten begegnen dem Pilger, die schnell an ihm vorübergleiten, liebliche Gegenden eröffnen sich ihm, in denen er so gern verweilen möchte – umsonst! das Schicksal treibt ihn fort, sein Bleiben ist hienieden nicht, und fern, fern von den reizenden Umgebungen, muß er durch ein dunkles grauenvolles Thal, um jenseits die sonnige Höhe zu erklimmen, von deren Gipfel der Kranz der Vollendung strahlt.

Ja, meine Junia! der kurze Frühlingsschimmer meines Glückes ist verschwunden. Trübe Wolken steigen herauf, und verfinstern den freundlichen Tag, in dessen holdem Lichte mein wundes Herz sich zu erholen anfing. Was noch aus mir werden soll, weiß nur Gott: aber, daß er es weiß, daß ich seiner Vaterhuld mein Schicksal getrost überlassen darf, das ist für jetzt, und wird wohl für immer meine einzige Beruhigung seyn.

Demetrius fing an, sich nach und nach zu erholen. Er konnte das Bett wieder verlassen, und entwarf bereits mit seinen Offizieren weitere Plane für den Rest dieses, und den Anfang des nächsten Feldzuges. Ich überließ [58] mich sanften Hoffnungen von der Dauer meines Glückes, als auf einmal ein Befehl des Diocletian erschien, der meinem Gemahl in unsanften Ausdrücken die allzugewagte Stürmung von Nisibis vorwarf, und es ihm zum Fehler anrechnete, diese That, bei so weniger Hoffnung auf glücklichen Erfolg gewagt, und so viele Leute geopfert zu haben. Wenn du indessen wüßtest, wie es mit uns stand, wie das Heer von Unmuth, Krankheit und Mangel aufgerieben, weit mehr dadurch verlor, als durch den blutigsten Sturm, wie geflissentlich man es ohne Hülfe ließ, wie – doch wozu dies Alles wiederholen, was ich dir doch nicht so umständlich beschreiben kann, und was jetzt nichts mehr nützt? Genug, mein Mann wurde des Befehls über seine Armee enthoben. Seine hohen Jahre, seine Krankheit dienten zum bessern Vorwand, und Marcius Alpinus, der ein Liebling des Galerius, und vorher Tribun bei seiner Leibwache gewesen war, ist schon auf dem Wege, seine Stelle einzunehmen. Wie das meinen Mann schmerzt, wie es ihn, den kaum Genesenen, von Neuem niederwirft, sein Gemüth bitter, seine Stimmung reizbar macht, kannst du dir vorstellen; und daß Alles, was ihn umgibt, und ich zuerst darunter sehr leiden muß, ist wohl eben so natürlich. Er hat auch sogleich seinen völligen Abschied begehrt, er will einem Staate nicht langer dienen, der ihn so mißkennt. Der Vorwand, unter dem ihm das Commando genommen worden, dient ihm eben so, seine Entlassung zu fordern, und wir werden uns in wenig Tagen auf den Weg nach unserer Villa am Ufer des Bosphorus begeben.

So wird es mir denn also von den Umständen selbst sehr leicht gemacht, deinen Rath zu befolgen, und mich [59] von Agathokles zu trennen. Es ist auch in Rücksicht dieses Verhältnisses schon eine Zeit her nicht mehr Alles, wie es war, wie es seyn sollte. Ich sah schon vorher mit Schmerz, daß Agathokles meine schöne friedliche Stimmung nicht theilte. Eine unruhige Heftigkeit lag in seinem Wesen. Sein Blick, den er selten offen auf mich richtete, hing oft verstohlen mit wilder Gluth an mir, und sank scheu nieder, wenn ihn mein Auge traf. Ich sah ihn bei meiner unverhehlten Herzlichkeit bald feurig auflodern, bald sie mit starrer Kälte aufnehmen. Jetzt schien er mich mit heißer Liebe zu suchen, jetzt geflissentlich zu vermeiden; kurz, er war ungleich, launisch, möchte ich sagen, und der stille Frieden entfloh durch dies Betragen auch endlich aus meiner Brust. Ich glaubte indessen nichts darin zu sehen, als die längst gemachte Bemerkung, daß es den Männern so gar nicht möglich ist, eine ruhige sanfte Neigung zu nähren, und sich mit den Rechten und Empfindungen der Freundschaft zu begnügen, wenn ihnen der volle ausschließende Besitz versagt ist, und es that mir weh, sogar einen Agathokles nicht frei von den Schwachen seines Geschlechtes zu finden.

Aber seit einigen Tagen bemerkte ich, daß er mehrere Briefe aus Rom und Nikomedien erhielt, und sie sehr angelegentlich beantwortete; auch schien er mir noch düsterer und tiefsinniger als vorher. Einer dieser Briefe nach Rom war an eine gewisse Calpurnia. Das erfuhr ich zufällig. Calpurnia heißt die schöne Tochter des Lucius Piso, bei welchem Agathokles in Rom gewohnt hat, von deren unwiderstehlichen Reizen ich schon öfters von unverdächtigen Zeugen sprechen gehört habe. Gestern kündigte er uns an, daß ihn Tiridates nach Nikomedien [60] beschieden habe, und er Nisibis noch vor uns verlassen müsse. Wie das zusammenhängt, sehe ich wohl nicht ein, aber daß es zusammenhängt, das fühle ich, und erkenne es bestimmt aus tausend Kleinigkeiten, die ich wohl zu vereinbaren wußte. Ich läugne dir nicht, daß es mich tief schmerzt, nicht allein, daß Agathokles sich, wie es scheint, freiwillig von uns entfernt, und die kurze Zeit unsers Beisammenseyns noch abkürzt, sondern daß er mir, mir, deren Herz so offen vor ihm lag, mir, der Jugendgespielin, der innigsten Freundin ein Geheimniß aus den Schritten macht, die er thut.

Zwei Tage werde ich noch mit ihm zubringen, vielleicht die letzten in meinem Leben! Es ist sehr ungewiß, ob ich ihn je wieder sehen werde, und die kurze Zeit meines Glücks wird mir wie ein Traum vorkommen, aus dem ein unfreundlicher Morgen mich weckte. Und doch soll ich wünschen, von ihm getrennt zu seyn! Doch soll ich die Stunde segnen, die uns – für immer – scheidet? Ach Junia, ich vermag es nicht! Jetzt, in dem Augenblicke wo der Himmel das Gebet erhört, das ich in der Angst meines Herzens oft zu ihm sandte, wo der Zweifel an meines Freundes Offenheit, an seiner ausschließenden Liebe mir die Trennung erleichtern sollte, jetzt fühle ich alle Kräfte schwinden, und ich zittere vor dem Gedanken, ihn nicht mehr zusehen, vor dem Gedanken, daß er mich nicht so ausschließend liebt, als ich glaubte. Was wirst du von mir denken, wenn du dich der vielen Stellen erinnerst, wo ich in plötzlicher Aufwallung von Selbstverläugnung betheuerte, daß ich es gelassen ansehen wollte, wenn er mich vergäße, um ruhig und glücklich zu seyn? Wie so schwach ist das menschliche [61] Herz, wie so ganz aus Widersprüchen zusammengesetzt! Wie so gar nichts ist unsere Tugend, wenn die Vorsicht sie auf eine ernste Probe setzt! Das Schicksal scheint mich bei dem raschgesprochenen Wort zu nehmen. Es ist möglich, daß er eine Andere liebt – und ich schaudere vor der Erfüllung rechtmäßiger Wünsche, die ich einst so herzlich wünschte.

Ach, warum hat ein unvorgesehener Zufall, wie du mir neulich schriebst, Apelles Ankunft verzögert? Gewiß, Junia! ich wäre nicht so schwach, so elend, wenn der Geist dieses Mannes meine sinkende Seele aufrecht hielte. Er wird kommen, schreibst du, ach wann – und nach welchen Auftritten! In fünf Tagen gehe ich mit meinem Gemahl nach unserm einsamen Landgute Trachene ab. In der traurigsten Jahrszeit, in ununterbrochener Einsamkeit wird dort mein Leben an der Seite eines kränklichen, und durch sein Schicksal gebeugten Greises verfließen. Könnte mich Apelles dort besuchen, so würden meine Wunden sich stiller verbluten, und vielleicht eine Spur des Friedens wieder in mein Herz einkehren, der jetzt vor so viel Stürmen entflohen ist, und den ich einst unter allen Leiden so sorglich bewahrt habe.

Sage ihm das, meine Junia! sage ihm, wie es mit mir ist, und wie sehr ich den Abgang eines weisen, festgesinnten Freundes fühle, dessen richtiger Sinn mein schwankendes Gemüth in den gehörigen Schranken halte. Deinen nächsten Brief sende nach Trachene. Leb' wohl.

29. Agathokles an Phocion

[62] 29. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Nov. 301.


Ich bin von Larissen getrennt! Der Wunsch, den meine Vernunft seit jenem Zufall, der uns vereinigte, meinem Herzen aufgedrungen hat, ist erfüllt, meine Fesseln sind zerbrochen, ich bin frei. Keine verführerische Gegenwart macht die stolzen Vorsätze, die ich in einsamen Stunden faßte, zu nichte, kein mildes, herzliches Betragen fordert meine Seelenkräfte zum Kampfe auf, es ist nicht mehr die schreckliche Wahl zwischen Tod und Verrath, die vor mir liegt. Der Weg der Pflicht steht offen, ich habe ihn mir zum Theile selbst gebahnt, ich habe ihn muthig betreten, und dennoch – dennoch fühle ich mich sehr unglücklich. Daß ich nicht mehr beim Heere bin, wird dir der Anfang meines Briefs gezeigt haben. Die Kabale hat gesiegt, Demetrius ist vom Commando entfernt; das, was auf Schleichwegen nicht zu erhalten war, ist nun durch einen Machtspruch ertrotzt worden. Die Feinde des redlichen, vielleicht nur allzu gewissenhaften Demetrius haben selbst den hellsehenden Diocletian diesmal zu überlisten verstanden. Man hat ihm die Sache aus dem falschesten Gesichtspunkt gezeigt, und er hat gethan, was sie ihn thun lassen wollten, er hat dem Feldherrn das Commando genommen, und sein Nachfolger ist auf dem Wege. Demetrius gereiztes Ehrgefühl erlaubte ihm nicht, eine Würde langer zu behalten, die nichts mehr als ein hohler Name ohne Einfluß und Wirksamkeit war. Er hat seine Entlassung auf der Stelle gefordert, erhalten, und sich mit seiner Gemahlin in die Ruhe des Privatlebens zurückgezogen. Aber noch ehe sie Nisibis verließen, war der Plan, den ich, ohne zu ahnen, [63] was das allzugefällige Schicksal für mich thun würde, entworfen hatte, zur Reise gekommen. Tiridates hatte auf mein Verlangen vom Galerius die Erlaubniß bewirkt, mich zu sich zu rufen. Ich erhielt den Brief nur um acht Tage später, als Demetrius den seinigen. Er war nun vergeblich, denn die Trennung von Larissen stand wir ohnedies bevor. Indessen, so weh es mir that, die letzten schönen Tage meines Lebens verkürzen zu müssen, so rief doch eine heilige Pflicht, die Pflicht der Menschlichkeit gegen eine Unglückliche, und die Gefahr eines Freundes, der am Rande des Abgrunds stand, mich eilig nach Nikomedien. Zwei Tage war es mir noch vergönnt, bei Larissen zuzubringen. Ich genoß sie mit eifersüchtigem Geize, ich war den ganzen Tag um sie, ich labte mich in den letzten Strahlen der scheidenden Sonne meines Glückes, ich wich nicht von Larissens Seite, ich verbannte den schmerzlichen Zwang, der mich so lange Zeit von ihr entfernt gehalten hatte, ich wollte noch einmal ganz glücklich seyn – und sie verstand die heißen Wünsche meines Herzens. Mit dem Zutrauen einer Schwester, mit der Innigkeit einer Freundin behandelte sie mich, so offen, so gütige so schonend! O Phocion! Was ist sie für ein Wesen! Hingegeben mit aller Wärme einer ersten unglücklichen Leidenschaft, und doch so rein, so streng! Die Engel, die sie glaubt, können nicht sanfter, nicht unschuldiger lieben. Was bin ich gegen sie! Auf welcher Höhe erscheint der stille Frieden dieser Seele, die ergebene Geduld, mit der sie ihr schweres Schicksal trägt, der Reichthum ihres Herzens, das, von eigenen Leiden zerrissen, doch noch Trost und Schonung für den Freund, noch zärtliche Achtung und kindliche Sorgfalt für einen mürrischen, kummervollen Greis hat!

[64] Ich werde sie vielleicht nie wieder sehen. In diesem Bewußtseyn haben wir uns getrennt. Demetrius entließ mich mit väterlicher Liebe, mit Thränen; ich empfing knieend seinen Segen. Er gab ihn mir als Vater, als Christ, und ich konnte mich nicht enthalten, die Hand, die das Zeichen des Kreuzes (dies Symbol der Christen) über mein Haupt machte, mit kindlicher, dankbarer Rührung zu küssen. Es ist keine Täuschung. Das Christenthum erhebt den Menschen zu einer bisher unbekannten Würde, und in diesem selbstsüchtigen Zeitalter, wo alle höheren Gefühle abgestorben, und die einzige Tugend, die einst die Menschen über den Staub erhob, die Vaterlandsliebe, ein nichtiges Gespenst geworden ist, scheint alle Seelen-Größe, alle Fähigkeit sich über das Sinnliche emporzuschwingen, in den kleinen Kreis der Christen sich zurückgezogen zu haben. Sie verzeihen ihren Feinden, sie beten für ihre Verfolger, indessen der größte Theil der Menschen Wiedervergeltung für erlaubt hält, und einige philosophische Secten Zorn und Rachgier als erhabene Aeußerungen unserer Seelenkräfte preisen und empfehlen.

Ich habe hier in Nikomedien sogleich Geschäfte gefunden, die mich auf eine unangenehme Art von der wehmüthig süßen Beschäftigung mit Larissens Andenken abriefen. Tiridates allzuweicher Sinn hat nicht vermocht, den Lockungen der Wollust zu widerstehen. Er war tief, tief gefallen. Es hat mich geschmerzt, ihn so zu finden. Doch sah ich auch mit Vergnügen, wie viel Kraft in diesem Geiste ist. Die Stimme der Tugend hat noch Macht über ihn; er hat sich ermannt, er hat entehrende Fesseln gesprengt, und wird zu seiner Pflicht zurückkehren. Es ist seltsam, wie in manchen Seelen die widersprechendsten [65] Eigenschaften, die sich einander aufzuheben scheinen, Platz finden können. Tiridates ist eine von diesen schwankenden, oder reichen Naturen. Noch eben mit dem Plan zu einem Feldzug, mit würdigen Unternehmungen für seine künftige Herrschergröße beschäftigt, achtet er es nicht zu gering, mit eben so viel Ernst und Eifer den Plan zu einem üppigen Feste zu entwerfen, liegt jetzt von Salben duftend, bekränzt, auf Persischen Teppichen ein verächtlicher Weichling, und springt beim Schalle der Tuba auf, sich zu waffnen, stürzt in die Schlacht, und fordert den gemeinsten Krieger heraus, Mangel, Ungemach und Gefahren mit größerer Standhaftigkeit und gelassenerem Muthe zu ertragen. Es ist, als ob zwei Seelen ihn belebten. Die Ueppigkeit des Hofes, die Buhlerei verworfener Geschöpfe, und der Umgang mit herzlosen Wollüstlingen hatten die bessere Seele in ihm auf eine Weile unterdrückt; jetzt hat sie sich wieder mächtig erhoben, er ist sogleich zum Heere abgegangen, und ich hoffe, es soll mir gelingen, ihn in dieser bessern Stimmung zu erhalten.

Mein freundschaftliches Verhältniß zu Calpurnien hat sich wieder angeknüpft, sie hat mir in einer Angelegenheit geschrieben. Wahrlich, Phocion! sie ist auch so ein Doppelwesen, ein weiblicher Tiridates in den Beschränkungen und Verhältnissen, die ihr Geschlecht nöthig macht. Ich kann ihr meine Achtung in gewisser Rücksicht nicht versagen; aber ich kann ihre Art zu denken nicht billigen. Wie man hier erzählt, soll der Kaiser ihren Vater als Proconsul nach Nikomedien bestimmt haben, und die ganze Familie im Frühling hierher kommen. Ich weiß noch nicht, ob ich mich über die Erneuerung dieser Verbindung freuen, oder sie fürchten soll. Leb' wohl!

30. Calpurnia an Agathokles

[66] 30. Calpurnia an Agathokles.

Rom, im Nov. 301.


Die seltsamste Begebenheit von der Welt, eine Erscheinung, die schnell wie ein Blitz kam, und verschwand, und der ich noch staunend nachsehe, ohne recht zu wissen, ob ich nicht vielleicht geträumt habe, zwingt mich, schon wieder deine Güte und Freundschaft für meine Sulpicia in Anspruch zu nehmen.

Sie ist fort – fort aus Bajä, aus Italien – und ich muß eilen, diesen Brief nachzusenden, und die Götter um günstige Winde anflehen, damit das Schiff, das ihn bringt, die eilige Flucht eines verliebten Paares überhole, und dich auf seine Erscheinung vorbereite.

Vor drei Tagen saß ich gegen Abend in der Dämmerung in meinem Zimmer, als plötzlich meine Thür hastig aufgerissen wurde, und eine männliche Gestalt, die ich nicht sogleich erkannte, ungestüm auf mich zueilte. Ich gestehe dir, daß ich im ersten Augenblick erschrak; denn ich vermuthete nichts anders, als einen Anschlag auf mein Geld, meine Habseligkeiten. Ich sprang daher auf, und lief an die entgegengesetzte Thür, um meine Sclavinnen zu rufen, als der Fremde mich erreicht hatte, und mein Name, von einer bekannten Stimme ausgesprochen, meine Schritte hemmte. Ich fühlte mich bei der Hand ergriffen, der Unbekannte lag zu meinen Füssen – es war Tiridates. Was bei dem schnellen Wechsel von Erstaunen, Schrecken und Freude in mir vorging, kann ich dir nicht beschreiben. Um aller Götter willen, wie kommst du hierher? rief ich. »Lebt Sie – lebt meine unglückliche Sulpicia noch? Kann sie mir verzeihen?[67] Darf ich sie sehen? O ich bin hier, um Alles gut zu machen. Ich muß sie befreien, ihr Leiden enden. Sie muß mit mir fort. Mein Schiff liegt in Ostia. O führe mich zu ihr, versäume keinen Augenblick!« Dieser ganze Redestrom floß ununterbrochen von seinen Lippen, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, eine Sylbe einzuschalten. Als er fertig war, sagte ich endlich: Steh doch auf, fasse dich, und erzähle mir ordentlich und ruhig, wie das Alles! zusammenhängt. Er folgte mir zu einem Sitze; aber daß er sitzen geblieben wäre! Zehnmal in einer Viertelstunde sprang er auf, zehnmal setzte er sich wieder hin, und unter Ausrufungen, Verwünschungen seiner selbst, des Schicksals und der Verwandten Sulpiciens erfuhr ich endlich, daß du ihm zuerst die Augen über seine Schuld geöffnet, daß deine Freundesstimme ihn von dem Abgrunde zurückgerufen, an dem er sorglos taumelte, daß du ihn dann mit Würde und Schonung Sulpiciens Lage errathen lassen, und erst, nachdem sein Herz von Selbsterkenntniß und Neue über Sulpiciens Leiden durchdrungen war, ihm ihren Brief gegeben hattest, mit Einem Wort, daß mein Freund so gehandelt hatte, wie ich es von ihm erwartete, und innigst und gerührt danke. Sehnsucht, Sulpicien zu sehen, deren Bild, durch deine Schilderungen lebhafter als je in seiner Brust erwacht war, stürmisches Verlangen, sie aus ihrer drückenden Lage zu befreien, und sein Unrecht wieder gut zu machen, hatten ihn hierauf zu dem rasenden Entschluß bestimmt, sogleich nach Italien zu segeln, und sie mit oder wider ihren Willen zu entführen. Dir hatte er nichts von diesem Vorhaben gesagt, weil er fürchtete, du möchtest es mißbilligen. Das Ungeheure dieses Plans machte [68] mich ganz stumm; es brauchte eine Weile, bis ich ihn begreifen, und ihm die Einwürfe machen konnte, die Vernunft und Kenntniß der Umstände mir eingaben. Umsonst! Wie konnte ich es auch nur versuchen, einem solchen Feuerkopfe Etwas ausreden zu wollen, oder ihn von einem Vorsatze abzuhalten, der in diesem Gehirn entsprungen, von diesem Gemüth leidenschaftlich ergriffen worden war? Alles, was ich erhalten konnte, war das Versprechen, Sulpiciens erschütterte Gesundheit zu schonen. Noch dieselbe Nacht reiste er ab. Zwei halbtodt gerittene Pferde bezeugten die unglaubliche Schnelligkeit, mit der er Bajä erreichte. Er wußte, daß sein Schiff nicht lange warten konnte, und weder in Rom noch Nikomedien sollte Jemand seine Anwesenheit, oder den Zweck seiner Reise erfahren. Heute Morgen brachte, ein alter Sclave Sulpiciens mir diesen Brief.


Sulpicia an Calpurnien.


Er ist hier. Ich bin geliebt! Er kommt, mich zu befreien, ich folge ihm. Den Plan ist gewagt, aber göttlich. Wenn du dies liesest, schwimme ich weit von Italien mit ihm über die Fluten. Du wirst meinen Schritt fassen und nicht tadeln. Was die Welt sagen mag, kümmert mich nicht. Leb' wohl!


Sie war also fort. Sie hatte eingewilligt. Ich wußte nicht, ob ich mich freuen oder betrüben sollte. Wenn ich auf der einen Seite den Trost hatte, ihre Lage geändert, und ihr Herz beruhigt zu wissen, so erschreckte mich auf der andern die Sorge für ihre Gesundheit auf einer solchen Reise, in einer solchen Jahreszeit, und die Furcht [69] vor ihrer Zukunft, da sie nun in der weiten Welt keinen andern Schutz, keine Stütze hatte, als die Liebe und Treue eines so leidenschaftlichen, leichtsinnigen Menschen, von dessen Wankelmuth wir schon Proben genug haben. O was ist die Liebe, wenn sie einen solchen Grad erreicht, für ein schreckliches Feuer, das Ueberlegung, Ruhe, Leben, Alles verzehrt, was dem Menschen sonst lieb und theuer ist.

Ohne Zweifel wird sie Tiridates nach Nikomedien führen; du wirst sie vielleicht selbst sehen, oder doch leicht Nachricht erhalten. Laß – dies ist der eigentliche Zweck meines Briefs, die dringende Bitte der Freundschaft – laß dir meine Sulpicia empfohlen seyn. Wache über sie, wo ihre eigene Leidenschaft oder fremder Leichtsinn sie schutz- und wehrlos läßt. Sey ihr Freund, ihr Beschützer, ihr Rathgeber. Ja, wenn es dein Verhältniß zu Larissen gestattet, dessen wahre Beschaffenheit mir freilich der Ruf nicht ganz getreu mag berichtet haben, so versuche es, Sulpicien die Bekanntschaft und vielleicht den Schutz dieser Frau zu verschaffen. Könntest du dies, so wäre mein Herz eines großen Theils seiner Sorgen für diese mißleitete und bedauernswürdige Freundin los. Ich weiß, du wirst meine Bitte nicht übel deuten, und der Gedanke, einem hülflosen Wesen so viel zu seyn, als du Sulpicien jetzt in Asien werden kannst, ist reizend genug für dein Herz, um deine ganze Thätigkeit aufzufordern.

Es wäre möglich, daß ich selbst bis nächsten Frühling nach Nikomedien käme. Man spricht davon, daß mein Vater das Proconsulat erhalten soll. Doppelt wichtig ist mir diese Aussicht jetzt, und ich werde mich sehr freuen, sie erfüllt, und mich mit so werthen Freunden, als du [70] und meine Sulpicia sind, wieder vereinigt zu sehen. Leb' wohl.

31. Sulpicia an Calpurnien

31. Sulpicia an Calpurnien.

Corinth, im Nov. 301.


Zum ersten Mal nach einer pfeilschnellen Reise von acht Tagen genieße ich einige Stunden Erholung, und sie seyen dir geweiht, dir, du treue Freundin, du meine Wohlthäterin, meine Retterin! Ja, das bist du, Calpurnia! und mein Herz erkennt es mit dankbarer Rührung, und wird nie aufhören, dich zu lieben, und seine Verpflichtungen zu fühlen, selbst wenn Zufall und Umstände uns jede Hoffnung auf künftiges Wiedersehen rauben sollten.

Meine Abreise von Bajä, welche die Stimme der Welt nicht unterlassen wird, Entführung, Flucht zu nennen, war so schnell beschlossen und ausgeführt, daß mir keine Zeit übrig blieb, dich weitläuftiger zu unterrichten, und dir die Unruhe der Ungewißheit zu ersparen. Alles, was ich dir senden konnte, waren ein Paar flüchtige Zeilen. Jetzt, da ich dies schreibe, wirst du bereits mehr wissen; denn ich zweifle nicht, daß Serranus und mein Vater nicht gesäumt haben werden, bei meiner Mitverschwornen, wie sie dich nennen, genauere Erkundigungen über eine Begebenheit einzuziehen, von der sie dich gewiß vollkommen unterrichtet glauben. Es wird nicht auf die schonendste Art geschehen seyn; auch dafür muß ich deine Verzeihung anflehen, obwohl ich dir nicht ungern eine kleine Buße für den warmen Schutz gönnte, den du vor einiger Zeit dem Serranus angedeihen ließest, als du sogar fandest, daß er ein recht erträglicher Mann sey, mit dem du ganz gut hättest leben können.

[71] Doch lassen wir Serranus, und Alle, die ihm beistanden. Meine Ketten sind zerbrochen. Ich bin frei; und es ist nicht die Hand des ernsten Genius, der, seine Fackel senkend, mitleidig meinem Leiden ein Ende macht – ein schönerer fröhlicherer Gott hat die Fesseln gelöset, und seine hellleuchtende Fackel führte, wie das Gestirn der Dioscuren, unser Schiff dem sichern Zufluchtsorte zu. Und diese namenlose Seligkeit danke ich den drei Wesen, die mir auf der Welt am theuersten sind, dir, dem edlen Agathokles, und ihm – ihm, der aus der düstern Nacht der Zweifel und des Mißtrauens, schön und glänzend wie das Gestirn des Tages, hervortrat, alle Schatten verscheuchte, alle Thränen trocknete, und mich zur höchsten Wonne erhob. O wer nicht unglücklich war, wie ich, weiß einen solchen Uebergang nicht zu schätzen. Nur der befreite Sclave kennt das Glück, fessellos zu seyn, und ich war Sclavin, Sclavin im engsten, drückendsten Sinne des Wortes – denn auch mein Geist war gebunden. Jetzt bin ich frei, frei, meine Calpurnia, und im Arme der Liebe fühle ich die Seligkeit meines Daseins!

Doch ich soll dir ja erzählen und berichten, was mit mir vorging. Zehn Tage sind es jetzt, als ich am Morgen nach einer halbdurchweinten Nacht, matt und krank, auf meinem Bette lag. Da trat meine Chromis ein. Ein fröhlicheres Gesicht, als ich seit langer Zeit nicht an dieser treuen Seele sah, erweckte mich zuerst aus meinen düstern Gedanken. Eine Botschaft von dir, vielleicht Hoffnung auf deine Ankunft war das erste, das mir einfiel. – Was hast du? gute Nachrichten aus Rom, von Calpurnien? »Mitunter, aber auch von Weitem her, auch aus Asien.« Aus Asien rief ich heftig, was weißt du aus Asien? »Der [72] Prinz ist auf dem Wege nach Italien.« Nicht möglich! Warum? Weswegen? – Ich war aufgesprungen, und stand zitternd vor Chromis. »Fasse dich, meine Gebieterin!« sagte das gute Mädchen, und leitete mich zurück zu Meinem Bette. »Wie willst du den Verlauf meiner langen, langen Botschaft anhören, wenn die ersten Worte dich so erschüttern?« O sprich, sprich! Du tödtest mich durch dein Zaudern. Wo ist Tiridates? »Nicht weit von hier!« Was will er? Was soll ich? Er wird doch nicht – nach dem, was vorgefallen ist – »Er kömmt wahrscheinlich, um sich zu vertheidigen, und die bösen Gerüchte zu widerlegen, die man sich über ihn erzählt.« – Er kommt hierher? Ich soll ihn sehen? O ich kann nicht, ich kann nicht! – »Doch, meine Gebieterin! Du sollst ihn sehen, anhören, ihm verzeihen! – O du verzeihst ihm gewiß. Wer kann ihm denn zürnen, wenn man ihn sieht?« Du hast ihn gesehen? rief ich in der größten Erschütterung. Wo ist er – wo? Und ich sprang auf's Neue auf, und wollte hinaus eilen, als Chromis mich zurück hielt: »Erlaube mir, meine Gebieterin! dich an die Tageszeit, an deine Gesundheit zu erinnern. Die Sonne ist kaum aufgegangen, du bist leicht gekleidet, und wir sind allenthalben beobachtet.« Ich blieb stehen, aber Alles brannte und pochte in mir. Was soll ich denn thun? rief ich endlich halbweinend aus: Was hast du mit mir vor? – »Wenn du dich beruhigen, wenn du mich gelassen anhören willst, so will ich dir Alles erzählen.« Was war zu thun? Diesmal mußte die Frau der Sclavin folgen. Ich ließ mich wie ein Kind von ihr leiten, und nun erzählte sie mir, daß man sie gestern Abends, als ich schon schlief, unter dem Vorwand, einer ihrer Verwandten warte im Gasthof des [73] Dorfes auf sie, dahin gerufen habe. Sie ging, und war sehr erschrocken, statt ihres Vetters, einen vermummten Unbekannten zu finden, der sie auf eine geheimnißvolle Weise in einen Winkel des Hauses führte, und sich ihr dort zu erkennen gab. Er war es – mein Tiridates! mein Befreier, meine rettende Gottheit!

Er war gekommen, mich zu befreien, er hatte dem stürmischen Meer in dieser Jahreszeit Trotz geboten, und einen gefährlichen Plan entworfen, um mich zu retten. O fühle, fühle, Calpurnia! den Himmel, der in dem Gedanken liegt, so geliebt zu seyn! und von einem Wesen, wie mein Tiridates! Mein Tiridates! Ich sage es mit Stolz und Götterlust – er ist mein! Du, Calpurnia! weißt nicht, was ich an ihm besitze; du warst nur seine Freundin, nicht seine Geliebte, seine Braut. Ich weiß, du achtest und liebst ihn; aber es ist nicht möglich, alle Tiefen dieses reichen, wunderbar ausgestatteten Herzens zu ergründen, wenn uns nicht die Hand der Liebe leitet. Wie er liebt, mit dieser Stärke und dieser Zartheit, dieser Kraft und dieser Hingebung, so liebt nur ein Mann und ein Mädchen zugleich. Er vereinigt beide Empfindungen in seiner Brust, er denkt wie ein Mann, und fühlt wie ein Weib. Er ist mir Alles – Alles auf der Welt! Und ohne ihn? O weg mit diesem schrecklichen Gedanken! Ich habe genug gelitten! – Doch nein, nein! Ich habe nicht genug gelitten. So elend ich war, als Verdacht und Eifersucht meine Brust zerrissen, und sein Götter-Bild in dunkle Schatten hüllten, als der Leitstern meines Lebens verschwunden schien – ich war doch nicht unglücklich genug, um diese Seligkeit erkauft zu haben!

Und doch hat ihm mein Verdacht nicht ganz Unrecht [74] gethan. Er hat mir Alles bekannt, vor mir auf den Knieen liegend, das schöne Gesicht in meine Hände verborgen, über die seine glänzenden Locken fielen, unendlich liebenswürdig in seiner Zärtlichkeit, unwiderstehlich in seiner Reue, hat er mir Alles erzählt. Ja, er war mir ungetreu; aber sein Herz wußte nichts davon, nur seine Sinnen waren bestrickt. O dies Herz, das reich genug ist, zehn alltägliche Geschöpfe aus seiner Fülle überglücklich zu machen, behielt Raum genug für seine bessere Liebe, während einige gemeine Seelen im Sonnenblicke seines Wohlgefallens nach ihrer Art selig herumgaukelten. Und doch klagte er sich an, doch hat er sich mit einer Strenge beurtheilt, deren nur das zartfühlendste Weib fähig ist. O Calpurnia! Was war das für eine Scene? Nur um sie erlebt zu haben, lohnt es der Mühe, geboren zu seyn! Wer sie erfahren hat, kann nie ganz unglücklich werden, denn er war im Olymp, er hat seinen Lohn voraus, das Schicksal mag später mit ihm beginnen, was es wolle.

Vergib, Calpurnia, theure Geliebte, daß ich dir statt einer ordentlichen Erzählung Ausrufungen und Schilderungen meines Glückes schreibe! Du hast so treu und thätig meine Leiden getheilt, du hast das erste heiligste Recht auf jede meiner Freuden.

Mit Chromis, und nach ihrem Rathe, hatte er nun den Plan entworfen, mich noch denselben Tag zu befreien, wenn ich einwilligen wollte. Und wie hätte ich nicht sollen, wie nicht können? – Ich ging um die Mittagsstunde mit Chromis unter dem Vorwande, zu versuchen, ob ich nicht im Meere baden könnte, an's Gestade hinaus. Ein paar Sclavinnen begleiteten uns, weil man Chromis längst mißtrauete, und sie nirgends allein mit mir hingehen [75] ließ. An der schattigen Bucht, die uns in wärmern Tagen oft zu einem angenehmen Badeplatze gedient hatte, ließ ich, wie gewöhnlich, die Mädchen warten, und ging mit Chromis tiefer hinein. Man ahnete nichts, und ließ uns gehen. Aber am Ufer des Meeres lag ein Kahn, und in dem Kahn war ein Schiffer – Ach, Calpurnia! Welcher Schiffer! Vermummt, und jedem Auge unkenntlich konnte er doch das Auge der Liebe nicht täuschen. Ich sprang in's Schiff – ich lag in seinen Armen. Mit unbegreiflicher Stärke ruderte er allein den Kahn mit mir und Chromis durch die strudelnde Brandung, und brachte uns an das größere Schiff, das nicht weit davon hinter einem Felsen lag. Hier erst wagte ich es, mich meiner Rettung zu freuen. Hier erst fühlte ich, was ich ihm dankte, und wie mein ganzes Wesen, meine Freiheit, mein Leben, mein Glück sein Werk, das Geschenk seiner Hand war. Schön und lieblich war bisher, der Jahreszeit ungeachtet, unsere Fahrt. Wir haben Corinth ohne das mindeste Ungemach erreicht, und dieser glückliche Anfang soll meinem Herzen ein Zeichen von der dauernden Gunst der Götter seyn. Morgen gehen wir schon von hier weg. Ein Schiff, das nach Nikomedien bestimmt ist, liegt segelfertig im Hafen, wir werden es besteigen, und bald hoffe ich dir aus dieser Stadt zu schreiben, wie glücklich ich bin, und wie ich Agathokles gefunden habe, der jetzt dort seyn soll.

Fordere nicht, meine theure Freundin! daß ich dir eine Beschreibung der merkwürdigen Stadt und des heiligen Isthmus gebe, auf dem ich mich jetzt befinde. Für tausend Reisende mag das sehr wichtig seyn, mir ist es nichts. Ob ich auf einer wüsten Insel, oder in Corinth [76] lebe, ist mir gleichgültig. Genug, ich lebe mit Tiridates; er ist meine Welt, und in dieser versunken, verloren, was kümmert mich das Treiben der Menschen um mich? Was vollends die Geschichten verflossener Jahrhunderte? Aus Nikomedien hoffe ich dir etwas Bestimmteres über mein Schicksal sagen zu können. Leb' wohl!

32. Junia Marcella an Larissa

32. Junia Marcella an Larissa.

Apamäa, im Nov. 301.


Dieser Brief, meine geliebte Freundin! wird kaum ein paar Tage vor unserm Lehrer und Freunde Apelles bei dir eintreffen. Endlich haben es seine Geschäfte erlaubt, den längst versprochenen Besuch bei dir abzulegen. In einer Rücksicht kommt er nun freilich zu spät; er wird dich in deiner Einsamkeit zu Trachene, und nicht in der gefährlichen Nähe eines allzugeliebten Freundes finden. Das ist Fügung der Vorsicht, meine Theure! Hierin erkenne ich ihren Finger, nicht in den kleinen Zufällen, die sich vereinigten, oder für dich zu vereinigen schienen, um ein Verhältniß fortdauern zu machen, das zu gefährlich war, als daß du dich lange hättest darüber täuschen können. Auch hier sah Agathokles schärfer und weiter, als du. Seine Ungleichheit, sein Trübsinn, über den du klagtest, war nichts anders, als klare Einsicht in eure Lage, und zarte Schonung für dich, die er zu warnen nicht kalt genug war. Nun, ihr seyd getrennt, die Vorsicht hat sich eurer erbarmt, und wie ein gütiger Vater die hülflosen Kinder gerettet, die ohne seine Einwirkung verloren waren. Laß uns ihr dafür innig und herzlich danken. Ich habe es mit Theophron und Apelles gethan, der nun mit viel leichterem Herzen sich auf den Weg[77] macht, um deinem wunden Gemüthe Beruhigung und Trost zu bringen. Er wird dir manches erzählen, was hier vorgefallen ist. Es steht bei weitem nicht mehr so, wie es vor vier Jahren stand! Galerius Haß gegen die Christen hat viele Leiden über unsere Brüder verhängt. Es ist beinahe jetzt ein Verbrechen, ein Christ zu seyn, oder wenigstens ein Grund zu tausend Neckereien. Daher sind Einige ausgewandert, die Meisten halten sich verborgen. Es gibt nun mehr, wie sonst, Unglückliche zu trösten, Arme zu unterstützen, und viele Gelegenheiten, wodurch Einfluß, Geld und Verbindungen den Bedrängten zu Hülfe geeilt werden muß. Ich thue, was ich kann, und was die Pflichten gegen meine Kinder erlauben; aber wie wenig ist, was ein Weib, eine Wittwe vermag, wo es darauf ankommt, außer dem Umfang ihres Hauses, in den Verhältnissen der Welt zu wirken! Wie schmerzhaft, fühle ich dann den Verlust eines geliebten Gatten, den Gottes Rathschluß mir und seinen Kindern, so früh entriß!

Apelles wird Euch von Allem näher unterrichten, und Demetrius kann, wenn ihm das Beruhigung gibt, sich mit dem Gedanken aufrichten, daß er tausend Leidensgefährten hat, die des Cäsars wilder Haß, um ihres Glaubens willen, wie ihn, verfolgt, neckt, stürzt. Er wird euch auch noch mehr erzählen, und einen erhabenen Plan mittheilen, den der ehrwürdige strenge Heliodor – du wirst dich seiner wohl erinnern – entworfen hat. Die barbarischen Nationen umlagern von allen Seiten das römische Gebiet. Ihre ungezähmte Rohheit, ihre einfachen Sitten, gleichweit von unserer Cultur und unsern Lastern entfernt, erregtem längst in Heliodors eifrigem, menschenliebendem Gemüthe den Wunsch, diese wilden [78] Naturen durch das Christenthum auf einem edleren Wege zur Bildung zu führen. Nicht unsere Künste, unsere Bedürfnisse, unsere Ueppigkeit sollen sie zuerst kennen lernen; die christliche Religion soll vorher in ihren noch unverdorbenen Herzen Wurzel fassen, ihre rohen Tugenden veredeln, ihre Wildheit zähmen, damit, wenn sie, wie er vorher zu sehen, vorher zu wissen glaubt, einst über die gebildete Welt hereinbrechen werden, die Menschheit nicht so viel zu leiden habe, und das Christenthum, von reineren einfacheren Gemüthern aufgefaßt, siegend mit den Siegern sich über die Welt verbreite.

Noch kann ich nichts als den erhabenen Entschluß bewundern, der ihn alle Beschwerlichkeiten, alle Gefahren, ja den Tod verachten lehrt, um in unbekannten Wildnissen den Barbaren die heiligen Lehren des Christenthums zu bringen; aber ich sehe weder seine Nothwendigkeit ein, noch einen guten Erfolg bevor. Indessen ist Heliodor ganz durchdrungen von seinem Vorhaben, und sein glühender Eifer kann kaum den Augenblick erwarten, wo die Anstalten zu seiner Reise getroffen seyn werden. Er geht jetzt nach Nikomedien, wo er sich einzuschiffen, und über den Euxin zu seiner künftigen Bestimmung zu eilen denkt. Vielleicht siehst du ihn in Trachene.

Noch eins habe ich dir mitzutheilen, das ich dir lieber schreiben, als Apelles anvertrauen wollte. Es gehört nicht unmittelbar zu dem, was er zu wissen braucht, um dich zu trösten, und in deinem Gemüth den Frieden herzustellen, und betrifft zu unbekannte Personen, um ohne Prüfung Mehreren mitgetheilt zu werden. Man sagt – aber ich bitte dich, wohl zu bedenken, liebe Larissa! daß ich dir nur Gerüchte schreibe – man sagt, daß Agathokles [79] nicht nur in Rom im Hause jener Calpurnia gelebt habe, daß sie ein sehr schönes, sehr geistreiches, aber ziemlich leichtsinniges Mädchen sey, sondern auch, daß sie sich beide nicht gleichgültig geblieben wären, und daß Agathokles nur auf Befehl seines Vaters, und sehr wider seinen Willen, ihre reizende Gesellschaft verlassen habe. Daß sie sich schreiben, weißt du, vielleicht aber nicht, daß ihr Vater das Proconsulat von Bythynien erhalten hat, und nächsten Frühling mit seiner ganzen Familie dahin kommen wird. Können diese Nachrichten beitragen, dein Gemüth in eine ruhigere, Verfassung zu bringen, indem sie einen Verlust, den du für unersetzlich hieltest, in deinen Augen etwas mindern: so bin ich froh, und der Eifer, mit dem ich jeder Spur seines Verhältnisses nachforschte, ist belohnt. Sollte es sich fügen, daß ich Gewißheit erhielte, so werde ich nicht säumen, sie dir mitzutheilen. Wenn sie dich auch im Anfange schmerzet, so denke, daß es unsere Pflicht ist, überall Wahrheit zu suchen, Alles zu prüfen, und nur nach richtiger Erkenntniß zu handeln, wenn auch darüber ein schöner Traum zerstört werden sollte; bedenke ferner, daß es der Anfang deiner völligen Genesung seyn kann, und wenigstens ein sicherer Weg, um auf eine schnellere und ruhigere Art aus dem Labyrinthe zu kommen, in welches dein Herz und die Umstände dich verflochten haben. Leb' wohl!

33. Larissa an Junia Marcella

33. Larissa an Junia Marcella.

Trachene, im Nov. 301.


Da bin ich nun, geliebte Freundin! auf unserm stillen Landgütchen. Die Natur verliert nach und nach ihre Reize, die Bäume streuen ihr welkes Laub auf den unbeblümten [80] Boden nieder, kältere Winde regen die stillen Fluthen des Bosphorus auf, und in trüben Tagen, wo der Nebel die gegenüber liegenden Ufer verbirgt, unterbricht nichts die düstere Stille, als der Schall der stärkeren Brandung, die lautseufzend an das Gestade schlägt. Stundenlang sitze ich da oft am Meeresufer, sehe dem Spiel der Wellen zu, betrachte ihr heftiges Treiben, ihr unruhiges Emporstreben, und wie zuletzt jede wieder zurücksinkt in den dunkeln Schooß des Meers, wo keine Spur von ihrem Daseyn bleibt, das mit allen seinen Anstrengungen auf ewig versunken ist. Kann man nicht das Menschengeschlecht mit diesen Wogen vergleichen? Ach so unruhig, so bewegt, so rastlos streben sie nach einem fernen Glücke, das Jeder anders nennt, und im Grunde Keiner kennt; sie bemühen sich, sie matten sich ab, und versinken zuletzt alle im Schooß der Erde; keine Spur bleibt zurück, sie sind dahin, wie ein Schatten – wie Gras auf dem Felde, das am Morgen grünt, und am Abend verwelkt ist.

Meines Mannes Laufbahn ist nun aus. Vierzig Jahre sind unter Waffen, Gefahren, und mancherlei Sorgen und Verfolgungen hingearbeitet worden, wenige Tage der Erholung, selten ein Augenblick von Freude! Und was ist sein Lohn? Und was ist mein Loos? Obgleich meine Jahre lange nicht an die Hälfte der seinigen reichen, was habe ich nicht ertragen, gekämpft, verloren! Einsam, freudenlos, selten so geliebt, wie mein heißes Herz es wünschte, floß, seit ich denken kann, mein Leben hin. Der, für den mein Wesen gebildet schien, ward durch das Schicksal von mir gerissen; der, dem ich angehöre, hat keinen Sinn für das, was ich bin, und ihm seyn [81] möchte. So schwindet mein Daseyn zwecklos hin. Still, vergessen, unbedauert wird es endlich verlöschen, und Niemand darnach fragen, Niemand darum wissen, daß einst eine unglückliche Larissa lebte.

Ach wenn ich nur sagen könnte: Dazu war ich auf der Welt! Aber ich weiß ganz und gar keinen Zweck, warum ich geboren ward, als – einst die Wärterin eines kränklichen, gebeugten Greises zu werden, der meine Dienste noch meist verkennt, und fast immer ungütig aufnimmt. Dazu ward mir dies heiße Herz? Dazu führten alle meine verworrenen Schicksale? Ach Junia! Wie viel Ergebung und Geduld brauchte ich nicht jetzt, um mich vom Murren zu enthalten!

Agathokles ist fern. Ich werde ihn nie wieder sehen. Das wußte ich, als ich mich von ihm in Nisibis trennte. Nie wieder sehen! – Nie! – Demetrius und Agathokles! Trachene und Nisibis! Laß mich einen Vorhang über meine Geschichte ziehen, die Asche nicht aufrühren, die über der schlecht gedämpften Gluth meines Herzens liegt! Ich soll, ich muß ja vergessen! O wenn es einen Lethe gäbe, und mir ein mitleidiger Engel eine Schaale davon bringen möchte! Ich will ja leiden, tragen, und alle Geduld mit Unglücklichen haben, die in ihrem Kummer Andere nicht schonen. Aber an das, was war, muß ich nicht immer erinnert werden, nicht immer fühlen, wie es ist, und wie es seyn könnte.

Mein Mann hat einen Briefwechsel mit Agathokles verabredet. Er ist zu bequem zum Schreiben, so hat er mir diesen Auftrag gegeben. Ich soll an Agathokles schreiben! Ich! Und wie? So wie Demetrius schreiben würde? Das ist unmöglich. So wie mein Herz es eingibt? [82] Das darf ich nicht! Ich zittre vor dem neuen Sturm, den meine Weigerung erregen wird. Ja, du hast recht, Junia! Ich war zu schwach, als ich meine Hand in diese Ketten fügte, aber jetzt – ist nichts mehr zu thun.

Agathokles hat mir in den letzten Tagen Einiges von Calpurnien erzählt – vielleicht nicht ganz ohne Veranlassung von meiner Seite. Ach, wie er mir das erzählte, und wie er überhaupt die letzten zwei Tage sich betrug, das hätte jeden Funken von Verdacht, auslöschen, und das argwöhnischeste Gemüth entwaffnen müssen! Ja, ich bin geliebt! – Aber still, still, nichts mehr von jenen Tagen des Himmels, hier in dem Aufenthalte der büßenden Geister! Wenn die schöne Calpurnia nach Nikomedien kommen soll – so – so will ich mich bemühen, mich darüber zu freuen. O möchte sie meinen Freund glücklich machen! Mich betrachte ich als eine schon Verstorbene, und im Grabe hört Eigenthum und Eifersucht auf. Ich will seyn, wie der Geist seiner Geliebten, und mich in den Auen des Friedens freuen, daß mein Agathokles auf der Erde noch glücklich geworden ist. Nein, was ich für ihn fühle, ist keine sträfliche Leidenschaft. Ich bin ja todt, todt für ihn, für die Welt, für mich selbst, nur nicht für meine Pflicht!

Die öffentlichen Nachrichten tragen auch nicht bei, ein düsteres Gemüth aufzuheitern. Heimlich und verborgen glimmen die Funken der Zwietracht unter denen, in deren Hände die Vorsicht das Wohl des Menschengeschlechts gelegt hat. Alle Briefe, die mein Mann von seinen Freunden am Hofe und bei der Armee erhält, bestätigen die traurige Vermuthung, daß es zum Ausbruche bürgerlicher Kriege, und der Erneuerung jener blutigen [83] Auftritte, die so lange Zeit das Unglück und die Schande des Römischen Reichs machten, nur an einer bequemen Gelegenheit fehlt. Zwischen Galerius und Diocletian sollen bedeutende Mißverständnisse walten. Dann sey uns der Himmel gnädig! Bis jetzt erhielt Diocletian wenigstens Ruhe und Frieden im Innern. Von Außen drohet uns ohnedies ein anderes Unglück. Die Gotherr, eine von jenen wilden Völkerschaften, zu welchen der fromme Heliodor zu reisen, und die rohen Gemüther durch die christliche Religion zu zähmen gedenkt, fangen an, unsere Küsten durch Streifzüge zu beunruhigen 1. Sie kommen auf schlecht gezimmerten Kähnen in kleinerer oder größerer Anzahl längs dem Ufer des Euxin herabgefahren, landen an einsamen Plätzen, überfallen kleine Dörfer, einzelne Häuser, Reisende, rauben, was sie finden, ermorden, was sich widersetzt, und schleppen dann ihre Beute, auch oft Unglückliche, die lebend in ihre Hände fallen, mit sich an ihre unwirthbaren Ufer. Ihre Besuche werden immer häufiger, die Anzahl ihrer Streiter immer größer, der glückliche Erfolg gibt ihnen Muth; denn nirgends ist eine militärische Macht in der Nähe, die ihrem räuberischen Beginnen Einhalt thun könnte. Wir sind ihnen ganz preisgegeben. Ich habe meinen [84] Mann bereden wollen, unser einsames Landhaus zu verlassen, das so nahe am Ufer des Meeres, und so entfernt von aller Hülfe liegt; aber er verwarf diesen Vorschlag mit Verachtung, er hält Alles, was man erzählt, für Uebertreibungen der Furcht, er kennt die Nordischen Barbaren nicht, und hofft sie – selbst, wenn sie einen Angriff in unserer Gegend machen sollten, leicht zu überwinden. Zu dem Ende hat er seine Sclaven bewaffnet, und übt sie regelmäßig alle Tage. Welche Auftritte stehen mir bevor!

Der einzige freundliche Punkt in dieser düstern Zukunft ist die Ankunft unseres verehrten Freundes Apelles, den ich nach deinem Briefe jeden Tag erwarte. Immer wäre mir seine Gegenwart erfreulich gewesen. Jetzt werde ich ihn als einen Boten des Himmels betrachten, der Licht, Ruhe und Trost in meine traurige Einsamkeit bringen soll. Du sandtest ihn mir. Habe Dank dafür, Junia! Du wirst oft der Gegenstand unserer Gespräche seyn, mein Herz wird sich wieder dem sanften Einfluß der Freundschaft öffnen, und ich werde wenigstens auf einige Zeit minder unglücklich seyn. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die ersten Raubzüge der Gothen, in welchen sie die Europäischen und Asiatischen Ufer des Euxin plünderten, fielen beinahe ein halbes Jahrhundert früher vor; aber diese so wie noch einige kleine Abweichungen von der Geschichte, die man weiterhin finden wird, ist wohl jeder Leser geneigt, einem Buche zu verzeihen, das gar keinen Anspruch auf gelehrte Genauigkeit macht, und in welchem die Begebenheiten derselben, oder der nächsten Zeit, nur in der Rücksicht gewählt wurden, in welcher sie in den Plan des Ganzen paßten.

34. Agathokles an Phocion

34. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Nov. 301.


Wenn du diesen Brief erhältst, ist mein Schicksal unwiderruflich entschieden, und Tod oder Leben über mich ausgesprochen. Larissa ist ermordet oder geraubt. Die Gothen haben einen Einfall auf die Ufer des Bosphorus gemacht, wo ihre Villa liegt. Im ersten Schrecken des Ueberfalls hat sich Demetrius mit seinen Sclaven zur Wehre gesetzt. Er soll erschlagen, das Haus geplündert, und Alles, was darin athmete, getödtet, oder in die [85] Knechtschaft geschleppt worden seyn. Was an dieser fürchterlichen Nachricht wahr, was Erdichtung, Uebertreibung ist, eile ich mit bebendem Herzen zu untersuchen. Die Pferde sind gesattelt. Morgen bin ich an dem Orte der schaudervollen Entscheidung. Leb' wohl!

35. Apelles an Junia Marcella

35. Apelles an Junia Marcella.

Trachene, im Nov. 301.


Ein kleines Geschäft, welches ich auf dem Wege hierher bei einem Freunde abzuthun hatte, verzögerte meine Ankunft um zwei Tage, und setzt mich dadurch in den Stand, dir, meine verehrte Freundin, Nachricht von mir, von dem Schicksale der Gegend umher, und den Personen geben zu können, an denen dein Herz gewiß Antheil nehmen wird. Sehr glücklich würde ich mich schätzen, wenn es dem Himmel gefallen hätte, diese Schicksale so zu leiten, daß ich dir recht erfreuliche Nachrichten geben könnte. Leider aber ist hier Manches vorgefallen, das zu erzählen und mit der gehörigen Schonung und Treue vorzubringen, eine wahrhaft traurige Freundschaftspflicht ist. Bereite dich, höchst unangenehme, ja gewissermaßen schreckliche Neuigkeiten zu hören; und vergiß nie den großen Gedanken, daß ohne Gottes Willen kein Sperling vom Dache, kein Haar von unserm Haupte fällt, daß unsere Tage gezählt sind, und daß ja nicht diese Erde allein der Schauplatz der Regierung, der Liebe, der Barmherzigkeit Gottes ist. Lege jetzt dies Blatt auf einen Augenblick aus der Hand, fasse dich in Ergebung und Geduld, und dann lies den traurigen Bericht zu Ende, den ich dir zu geben habe.

Du weißt vielleicht, so wie ich es bei meiner Annäherung [86] in diesen Gegenden erfuhr, daß die Gothen seit einiger Zeit wiederholte Ueberfälle auf den Küsten des Bosphorus, auf unserer als der Europäischen Seite gewagt haben. Hie und da erzählte man mir von ihrer Grausamkeit, von ihrer Kühnheit, ihrer Raubsucht sehr fürchterliche Beispiele, und ich kann dir nicht bergen, daß der Gedanke, an einen Ort zu reisen, der so nahe an der Meeresküste und ihren Raubzügen so ausgesetzt ist, mir nicht sehr erfreulich war. Indessen hoffte ich durch meinen Besuch, außer dem Troste, den ich Larissen überhaupt in ihrem Leiden zu bringen hatte, auch noch vielleicht in der Rücksicht etwas Gutes für sie zu bewirken, daß ich Demetrius zu überreden dachte, diese gefährliche Nachbarschaft zu verlassen, und den Winter an einem sicherern Orte zuzubringen. Ach, meine verehrte Freundin! Was sind die Rathschlüsse und Vorsätze der Menschen vor dem Rathschluß Gottes, der sie wie Spreu vor dem Winde zerstreut! Meine Hoffnungen, mein Vorhaben, meine Ankunft, Alles, Alles war zu spät. Zwei Tage, ehe ich in Trachene anlangte, hatten die Barbaren eine Landung gewagt, waren in der Nacht ausgestiegen und mit wildem Geschrei und Lärmen gerade auf Demetrius Villa zugeeilt.

Demetrius, statt sich und die Seinigen durch eine eilige Flucht zu retten, die vielleicht noch möglich gewesen wäre, ging ihnen mit seinen bewaffneten Sclaven entgegen. Der Kampf begann, aber die Uebermacht war so sehr auf der Seite der Feinde, daß die im Hause Zurückgebliebenen keine Zeit hatten, sich vor den Siegern zu flüchten, oder zu verbergen. Demetrius ward ermordet, seine Sclaven starben neben ihm, die Gothen drangen [87] in's Haus, die zitternden Sclavinnen, und – aller Wahrscheinlichkeit nach auch ihre unglückliche Gebieterin – fielen unter den Streichen der durch den heftigen Widerstand bis zur Raserei erhitzten Barbaren. Das Haus wurde geplündert, ein Theil davon in Brand gesteckt, und die Horde entfernte sich am Morgen mit wildem Siegsgeschrei wieder von dem verheerten Ufer. Erst lange nach ihrem Abzüge wagten es die nächsten Anwohner, zu denen sich ein paar Unglückliche aus der Villa gerettet hatten, den Schauplatz der Gräuel zu betreten, und zu sehen, ob vielleicht noch einige Hülfe zu bringen wäre. Sie fanden Alles leer, still – ausgestorben. Demetrius und seine Sclaven lagen todt auf dem Wahlplatze, aber unter so vielen Leichen von Barbaren, daß man sah, sie mußten heldenmüthig gefochten, und ihr Leben theuer verkauft haben. In dem Hause fand man noch einige ermordete Sclaven und Sclavinnen, und in Larissens Gemach eine weibliche Leiche, die durch Wunden zwar sehr entstellt, aber durch die Kleidung und einen goldreichen Schleier kenntlich war, der mit Blut bespritzt neben ihr lag. Einige Mädchen und ein paar Sclaven werden vermißt. Wahrscheinlich haben die Barbaren sie mit sich fortgeführt, oder sie sind in dem verbrannten Theil des Hauses ein Raub der Flammen geworden. Wie dem immer sey, es ist mehr als wahrscheinlich, ja, meine verehrte Freundin! es ist gewiß, daß Gott sich des langen Leidens unserer unglücklichen Schwester erbarmt, und sie auf eine – freilich für die Übriggebliebenen schreckliche Art zu sich genommen hat. Sie hat wahrscheinlicher Weise weniger dabei gelitten, als wenn sie ihr Leben auf einem schmerzlichen Krankenlager geendigt hatte, eine schreckliche [88] Stunde vielleicht während des Kampfes, von der sie vorher keine Ahnung hatte, und ein paar schmerzhafte Augenblicke, bis Wunden und Blutverlust ihrem Leben ein Ende gemacht hatten. Nach den Aussagen der Sclaven, die die Todten gesehen, und bestattet haben, waren ihrer Wunden so viel, und von solcher Art, daß sie unmöglich länger, als ein paar Minuten, kann gelebt haben. Dies muß bei dieser schrecklichen Catastrophe ihren Uebriggebliebenen zum Troste dienen. Ueberhaupt sind ja selten die zu beklagen, die hingehen, ein schwankendes Glück mit ewigen Freuden zu vertauschen; am wenigsten dann, wenn ihr Daseyn ohnedies in steten Kämpfen, und ohne Aussicht auf eine Verbesserung ihres Schicksals dahin floß. Ich will aber nicht unternehmen, dich zu trösten. Ich sehe die Größe deines Verlustes zu wohl ein; denn ich habe unsere Entrissene gekannt, und die Art, wie wir sie verloren, muß durch ihre Neuheit und Grausamkeit unsere Gemüther erschrecken und tief verwunden. Doch erwarte ich von deiner Standhaftigkeit, deiner Gottesfurcht und Theophrons freundschaftlichem Umgang das Beste für deine Beruhigung.

Ich wäre auf der Stelle wieder umgekehrt, und diesem Briefe gefolgt, den ich blos in der Absicht anfing, um den Alles vergrößernden und oft so falschen Gerüchten, wo möglich, zuvorzukommen, und dich, meine verehrte Freundin! auf eine schicklichere und bessere Art von dem Schicksale unterrichten; aber den Morgen nach meiner Ankunft fand sich ein Geschäft, eine Bestimmung für mich, in deren Würde und Gehalt ich einen Fingerzeig der Vorsicht zu finden glaubte, warum sie mich gerade jetzt auf diesen Schauplatz der Zerstörung [89] und Trauer geführt hatte. Abends war ich in Trachene angekommen, und hatte von den zitternden Nachbarn die Schrecken der vorletzten Nacht erfahren. Man hatte meinen Antheil an den unglücklichen Bewohnern der Villa gesehen, mir auf mein Bitten den Schleier Larissens ausgehändigt, den ich dir als das einzige Vermächtniß dieser theuren Verklärten zu bringen dachte, und versprochen, mich am Morgen auf die Brandstätte zu führen. Dies geschah auch. Indeß wir in dem verödeten Hause herumgingen, hörten wir auf einmal ein lautes Getöse, wie von mehreren Pferden. Ich trat an ein Fenster, und sah einen jungen Mann von edler Gestalt, von mehreren Sclaven zu Pferde begleitet, in den Hof sprengen. Die Fremden stiegen ab, es sammelten sich Leute um sie, ich sah den jungen Mann in heftiger Bewegung mit ihnen sprechen, sie befragen. Eine geheime Ahnung sagte mir, wer es seyn könnte. Ich eilte hinaus, um ihn selbst zu berichten. Leider kam ich zu spät. Agathokles – denn du wirst, wie ich, errathen haben, wer der Fremde war – lag ohne Besinnung in den Armen seiner Begleiter. Die Leute hatten ihm die traurige Geschichte ohne Vorsicht und mit allen Vergrößerungen und Verschlimmerungen erzählt, die solche Menschen dazu zu dichten pflegen. Ich ließ ihn in's Haus bringen. Nach einer Weile erholte er sich, aber sein Blick war wild, seine Reden unzusammenhängend. Als ich mich genannt hatte, schien ein Strahl von Ruhe in seine Seele zu fallen; er sah mich an, sank an meine Brust, und seine Thränen, die zu fließen anfingen, erleichterten sein gepreßtes Herz. Ich trug ihm nun die Begebenheit so vor, wie ich sie ansah, wie sie eigentlich war, und wie ich sie dir berichtet habe. Das [90] schien ihn etwas zu beruhigen, er faßte die Vorstellung begierig auf, daß seine Larissa nicht so viel gelitten hatte, daß ihr nun besser sey, als ihm. Dennoch blieb eine wilde Schwermuth, die an Verzweiflung grenzte, in seinem Wesen. Endlich stand er auf. »Verzeih, daß ich dich verlasse, mein Zustand bedarf der Einsamkeit, der Ruhe – in ein paar Stunden sehen wir uns wieder.« Ich sah ihn zweifelnd an: Fürchte nichts, antwortete er, indem er mit einem wehmüthigen Lächeln meine Hand ergriff: was dir deine Religion verbietet, erlauben mir meine Grundsätze auch nicht. Ich schämte mich meines Verdachts, und verließ ihn. Nach einer langen Zeit suchte er mich wieder auf: Er war gelassener als vorhaben und im Stande, zusammenhängend über die schreckliche Geschichte und seinen Verlust zu sprechen. Dann ordnete er an, daß Larissens Schlafgemach mir und ihm zur Wohnung eingerichtet werde. Ich wollte mich anfänglich diesem Vorhaben, aus Schonung für ihn, widersetzen; aber ich sah bald, daß sein Herz nicht wie die gewöhnlichen Herzen war. Die Umgebungen, in denen sie gelebt hatte, die Erinnerung an ihre Tugenden, an ihre Geduld, an ehre Liebe zu ihm, schienen sein Gemüth zu erheben, statt seinem Schmerz zu vergrößern. Er fing am andern Morgen an, mit mir in der Gegend herumzugehen, sich nach Allem was vorgefallen war, zu erkundigen, und thätige, und sehr zweckmäßige Anstalten zur Verhütung eines neuen solchen Unglücks zu treffen. Die Einwohner wurden angewiesen, ihre besten Sachen in die nächste Stadt zu bringen. Er ließ den Männern Waffen austheilen, ordnete an, wie sie sich üben, und zur Vertheidigung vorbereiten sollen. Er veranstaltete Lärmsignale auf den Hügeln, wodurch [91] in wenig Augenblicken die ganze Gegend aufgeschreckt, und unter den Waffen seyn kann. Kurz, es schien, als ob sein eigener Verlust vor der allgemeinen Gefahr verschwunden wäre, und er nur für Andere denken, für Andere sorgen könnte. Wenn wir dann allein waren, kehrte die schmerzliche Empfindung freilich mit doppelter Starke zurück; aber ich bin versichert, daß sie seine Tugend nie überwältigen, nie seine Kraft zum Guten lähmen wird. Er hat mich gebeten, ihn nach Nikomedien zu begleiten, wohin er morgen abreiset, um noch kräftigere Anstalten zur Abtreibung der feindlichen Einfälle zu machen. Ich konnte ihm diese Bitte nicht versagen, denn ich gestehe dir, daß ich ihn liebe und verehre. Auch Larissens Schleier habe ich ihm gegeben. Er war dieses Vermächtnisses so würdig als du, und seiner vielleicht noch mehr bedürftig. Zwar schauderte er bei Erblickung desselben und der Spuren von Blut, die daran hafteten; seitdem aber, glaube ich, ist er nie wieder von seiner Brust, auf der er ihn verwahrte gekommen. Ich weiß, meine Freundin! daß du mir diesen Raub und mein längeres Außenbleiben verzeihst. Sage dasselbe auch unserm verehrten Vater Theophron, und erwirke mir von ihm Verlängerung meines Urlaubs.

36. Sulpicia an Calpurnien

36. Sulpicia an Calpurnien.

Synthium bei Nikomedien, im Febr. 302.


Ich bin in Synthium, meine Geliebte! auf dem Landhause unsers, deines Freundes Agathokles. Eine angenehme Stille umgibt mich, und wiegt nach einer langen Zeit voll Zerstreuungen und Erschütterungen meine ermüdeten Sinne in eine wohlthätige Ruhe. Agathokles [92] besucht uns, so oft es seine Geschäfte erlauben, und mein Tiridates bringt alle Zeit, die er dem Hofe abmüssigen kann, bei mir zu. Ich bin frei, Galerius hat meine Scheidung bewilligt, und den Befehl darüber an den Senat von Rom und den Serranus Anicius gesandt. So sind denn alle Plane ausgeführt, alle Wünsche erfüllt, und ich kann ruhig dem Zeitpunkt entgegen sehen, wo keine Macht der Welt mich mehr den Armen meines Tiridates wird entreißen können.

Nichts stört den vollkommenen Genuß meines Glücks, als die noch fortdauernde Schwäche meiner Gesundheit, eine Folge den langen Leiden und Kränkungen. Sie sind verschwunden, aber ihre Wirkungen fühle ich noch. Auch die Jahreszeit hatte während der Seereise nachtheilig auf mich gewirkte. Ich kam krank in Nikomedien an. Aber, meine Calpurnia! um keinen Preis möchte ich die Erfahrung dieser Krankheit nicht gemacht haben. Sie hat mir Tiridates Liebe in noch glänzenderem Lichte gezeigt. Ich bin ganz glücklich. En ließ mich ohne weitere Vorbereitung, fest auf Agathokles Freundschaft rechnend, gerade in sein Haus führen, er trug mich auf seinen Armen aus der Sänfte in das Zimmer, das uns der freundliche Wirth selbst anwies. Agathokles bewährt sich auch jetzt, wie immer, als einen der besten Menschen, er empfing uns mit rührender Freude, und behandelt uns wie geliebte, Geschwister. Ich finde ihn sehr verändert – doch davon nachher. Jetzt laß mich dir nur erzählen, daß ich seinen Bemühungen für Alles, was er zur Erleichterung meiner Lage dienlich fand, und Tiridates zärtlicher Sorgfalt größtentheils meine Wiederherstellung verdanke.

[93] Das Geräusch, die Unruhe in der glänzenden Hauptstadt des Orients wurde mir bald zur Last. Agathokles errieth meinen Wunsch, und bot mir seine Villa Synthium, die einige Meilen von Nikomedien liegt, ein Erbtheil seiner Mutter, zum Aufenthalt an. Ich nahm es mit Vergnügen an. Das Einzige, was meine Freude störte, war die Bemerkung, daß Tiridates sich nicht eben so leicht, wie ich, aus der Hauptstadt entfernte; indessen brachte mir seine Liebe auch dieses Opfer, und ich lebe hier ganz nach meinem Herzen. Die Villa liegt einsam und verborgen zwischen waldigen Hügeln, die der Anfang des Gebirges sind, das weiterhin sich zum Berg Olymp aufthürmt. Obgleich die Landstraße nicht weit vor dem Garten vorbeigeht, so fällt doch das Haus, das halb zwischen Pinien versteckt und nicht groß ist, nicht sogleich in die Augen. Die Gärten sind weitläufig, und zeigen in manchen Anlagen Spuren eines düstern Geistes, der hier in der Einsamkeit seinen Gefühlen nachhing. Dieser Ausdruck des Ganzen gefällt mir ungemein, und ich belausche in ungestörter Einsamkeit hier das Erwachen des Frühlings, von dessen Einfluß ich viel für meine Gesundheit hoffe. Tiridates hat mich den Kaiserinnen Prisca und Valeria 1 vorgestellt, auch mit dem Cäsar Galerius habe ich gesprochen, und alle haben mich mit Anstand und Guts empfangen. Bei Diocletian allein war es mir noch nicht möglich, Zutritt zu erhalten; er umgibt sich mit so [94] viel persischem Pomp und Ceremoniel, daß der Zugang zu ihm überaus schwer ist. Der Cäsar hat mir seinen Schutz versprochen, und Wort gehalten, wie du weißt; und so ist meine Zukunft freundlich erheitert, und jede Sorge verschwunden.

Ich habe dir gesagt, daß ich Agathokles sehr verändert gefunden habe. Der Verlust, den er erlitten, und die Art desselben werden dir bekannt seyn, so wie sie es mir waren, noch ehe ich in Nikomedien ankam. Ich war folglich vorbereitet, die Spuren dieser Begebenheit in seinem Aussehen zu finden; dennoch fand ich mit Trauer weit mehr, als ich erwartet hatte. Seine Züge, die nie den Ausdruck der Jugendblüthe trugen, sind jetzt tief verfallen, sein Blick ist erloschen, und Alles kündigt ein ganz niedergebeugtes Gemüth an. Ich vermeide von seinem Unglücke zu sprechen, und er hat Larissens Namen noch nicht genannt, seit ich hier bin; doch sehe ich vor, daß der Zufall vielleicht einst ein solches Gespräch herbeiführen wird, und zittere dafür.

Auch in dieser Rücksicht wäre mir die Beschleunigung deiner Ankunft, nachdem nun einmal die Bestimmung deines Vaters als Proconsul entschieden ist, sehr erwünscht, nicht als ob ich eine so geringe Meinung von Agathokles Festigkeit hätte, um zu glauben, daß dein bloßer Anblick hinreichen würde, diese tiefen Wunden schnell zu heilen, aber ich hoffe viel, und mit der Zeit Alles von deinem heitern Sinn, von deiner freundlichen Güte, von deinem Verstände, und – von deiner Schönheit. Wie empfindlich das starke Geschlecht gegen äußerliche Reize ist, lerne ich immer mehr und mehr einsehen; es wirkt [95] nichts so schnell, so stark, so bleibend auf sie, und auch die Besten sind hierin bis zum Erstaunen schwach.

Nikomedien wird dir gefallen. Es herrscht hier ein geselliger Ton, man liebt Pracht und Zerstreuung, aber man liebt es mit Geschmack und ziemlichen Anstand. Dies scheint eine Wirkung des ceremoniösen Hofes und der Denkart der beiden Kaiserinnen zu seyn, die in ihren Grundsätzen sehr streng, und, wie Manche glauben, heimliche Christinnen seyn sollen. Genug, der Schein wird gerettet, aber im Innern der Häuser hat eine übermäßige Ueppigkeit nicht allein auf den Genuß des Lebens, sondern auch auf die Sitten unsers Geschlechts einen nachtheiligen Einfluß. Die Weiber des Hofes und der Stadt sind fast alle locker in ihren Grundsätzen und von zweideutigem Rufe; aber sie sind schön! – Ich habe bei einem Feste eine Versammlung von Gestalten gesehen, über deren Reize, durch den sinnreichsten Putz, und die geschmackvollste Pracht erhöht, ich wirklich erstaunte, deren Anblick mir – nicht Neid, dessen hält dein Herz mich nicht fähig – aber ein Gefühl von Trauer über meine so schnell verwelkte Jugend einflößte. Ich bin nicht mehr, was ich war, und hier ist Alles so bezaubernd, so verführerisch, so zudringlich!

Schreibe mir doch noch, meine Geliebte! ehe du Rom verlässest, und suche deine Reise zu beschleunigen! Mein Herz schlägt dir mit Sehnsucht und Ungeduld entgegen. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Häuser der Alten, sowohl in Italien, als vorzüglich im Morgenlande, hatten selten Fenster auf die Straße. Man trat durch den Thorweg in den Hof, um welchen herum die Zimmer gebaut waren, deren Fenster und Thüren gleichfalls auf den Hof gingen.

37. Agathokles an Phocion

37. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Februar 302.


Es ist lange, mein Freund! daß du meinen letzten Brief 1 erhieltest, worin ich dir meinen unersetzlichen Verlust gemeldet habe. Ich erinnere mich jetzt nicht mehr bestimmt, was ich dir geschrieben habe. In jener Zeit war es dumpf und düster in meiner Seele. Indessen weißt du, was ich verlor und wie? Dies genügt, um dir eine Vorstellung meiner jetzigen Lage zu machen. Keine Betäubung währt ewig, und so hat sich mein Geist auch aus der emporgerissen, die einige Zeit nach jenem Ereignisse schwer und entnervend auf mir lag. In Trachene unter Gefahren und fremden Sorgen blieb mein Geist und Körper aufrecht; erst in Nikomedien, in der Stille des gewöhnlichen Lebens, im väterlichen Hause, erlagen beide, und ich ward im eigentlichen Sinne an beiden krank. Wie ich gewesen bin, und wozu? warum? weiß ich nicht. Aber ich kann wieder schlafen, ich kann Speise zu mir nehmen, und so kann und wird mein Daseyn wohl noch lange währen.

[4] So zwecklos, so klein, so nichtsbedeutend, wie dies Daseyn mir damals erschien, und noch jetzt zuweilen in seiner ganzen Schaalheit unabsehlich vor mir liegt, hätte ich es vielleicht von mir geworfen, oder in der nächsten Schlacht verschleudert; aber das sollen, das dürfen wir nicht. – Ein Strahl überirdischen Lichtes senkt sich in meine Nacht, und das Leben bekömmt wieder Gehalt, obwohl nicht für meine Hoffnungen, und nicht für diese Welt.

Ein Pfad öffnet sich mir, um zur Wahrheit zu gelangen. Es ist des Forschers Pflicht, darauf fortzuschreiten, und wenigstens zu sehen, wohin er führt, selbst dann, wenn sicherer Verlust die Folge seiner Forschungen wäre. Könnte er auch anders? Würde sich nicht die schreckliche Wahrheit selbst Bahn zu ihm machen, wenn er auch seine Augen vor ihr verschließen wollte? O es hat schon so manche traurige Gewißheit den Weg gefunden, um dies Herz unfehlbar zu zerreißen! Jetzt erscheint sie in mildem Lichte, und ich folge dem leitenden Strahl, der mich in eine tröstende Helle zu führen verspricht.

Ein Christ, jener Apelles, den du als den Lehrer und Freund der vorausgegangenen Jugendgespielin aus ihren Briefen kennst, war das erste Wesen, das mir in schrecklichen Augenblicken theilnehmend erschien. Menschenfreundlich und weise behandelte er den Kranken, ihm danke ich zuerst die wiederkehrende Besinnung, ihm später die Kraft, da nicht zu erliegen, wo menschliche Stärke allein bei einem sehr reizbaren Gefühl, wie meines, vielleicht nicht zu stehen vermocht hatte. Seine Tröstungen waren von mehr als gewöhnlicher Art. Er nahm sie aus den innersten Tiefen des verarmten zerrissenen Herzens, [4] er eröffnete ihm den Himmel, ließ überirdische Strahlen in dasselbe fallen, füllte es mit Hoffnungen auf Jenseits, und richtete alle Kräfte und Neigungen, denen hier kein würdiger Gegenstand mehr entsprechen konnte, auf große Aussichten und Wirkungen in die Zukunft. Meine Seelenkräfte kamen nach und nach zurück, und an ihnen richtete sich der irdische Gefährte auf. Ich genas, und bin wieder fähig zu denken, zu wirken, wenn auch nicht für mich, doch für Andre.

Phocion! Ein weiser Christ ist ein erhabenes Wesen, ist vielleicht das Höchste, was die menschliche Natur erreichen kann, die höchste Vollendung, deren sie fähig ist. Sie ganz zu erstreben, ist nicht das Loos des Sterblichen, aber das erhabenste Ziel hat ihnen ihr mehr als menschlich weiser Lehrer gesteckt: Seyd vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist! Kein geringeres Urbild, als die Gottheit, gab er ihnen nachzuahmen, und welcher Gott ist der Gott der Christen! Kein leidenschaftliches, sinnliches, allen menschlichen Schwächen unterworfenes Phantom, wie die Bewohner des alten Olymp, kein müßiger Zuseher, der in vollkommener Apathie die Welt gehen läßt, wie sie kann, wie die Götter Epikurs. Es ist ein allmächtiger, durch sich selbst von Ewigkeit bestehender, allwissender, allgegenwärtiger Geist, der Alles, was da ist, aus dem Nichts hervorgebracht, und nur darum geschaffte hat, um seine Macht und Liebe zu verklären. Die Geogonie der Christen ist einfach erhaben, und wenigstens eben so faßlich und wahrscheinlich, als die Systeme unsrer Philosophen, ja ich getraue mir zu behaupten, daß, in dem gehörigen Lichte betrachtet, und von dem [5] poetischen Schmucke entkleidet, der diese Erzählung aus der Kindheit des Menschengeschlechts umgeben muß, du keine den Naturgesetzen gemäßer und vernünftiger finden wirst. Unbeschreiblich schön ist die Geschichte des sittlichen Verfalls der Menschheit unter einem bald idyllisch-lieblichen, bald furchtbar-ernsten Bilde dargestellt. Ja, die Erkenntniß des Guten und Bösen war es, das erwachende Gewissen, das Gefühl des Rechts und Unrechts, das den schönen Traum ewiger Unschuld und Jugend zerstörte! Du siehst hier ein goldenes Zeitalter, und die Ursache seines Verschwindens tief und weise in den innersten Trieben des Menschen aufgesucht und dargestellt. Was in der Fabel von Amor und Psyche mehr bildliche Darstellung eines platonischen Traumes ist, ist hier die Geschichte des Menschen, der Menschheit, ihrer individuellen und allgemeinen Entwickelung zur Cultur.

Diesen Gott nun, aus dessen Hand die Sonne, die Sterne, alle uns bekannten Wesen hervorgingen, der ihr Schicksal nach ewigen Gesetzen lenkt, diesen Gott nennen die Christen ihren Vater. In diesem Kindes-Verhältniß denken sie sich zu ihm, und nichts ist, womit sie sich ihm gefällig machen können, kein Opfer, keine Büßung, nichts als ein reiner Sinn, und ein menschlichgutes Herz. Alle Sterbliche sind ihnen Brüder; sie zu lieben, wie sich selbst, Keinem zu thun, was man nicht sebst leiden möchte, ist ihr Hauptgesetz. Je mehr man diesem einfachen Gedanken nachforscht, je mehr muß man den Lehrer bewundern, der in wenig Worten alle Gesetze der Moral zusammenzufassen wußte, daß in allen Schulen und Sekten unsrer Philosophen nicht mehr, und nichts Besseres gelehrt wurde. Liebe Gott über [6] Alles und deinen Nächsten wie dich selbst! Wer kann mehr fordern als dies? Und was würde die Welt seyn, wenn alle Menschen diese einfache Vorschrift beobachteten? Aber die Christen gehen noch weiter, sie dringen nicht blos auf Liebe gegen diejenigen, die wir zu hassen keine Ursache haben, sie fordern Ueberwindung unsrer Selbst, und Bezähmung der heftigsten Leidenschaften, Zorn und Rachgier. Segnet, die euch verfolgen, betet für die, die euch hassen. In welcher Schule, Phocion! ward je reinere Tugend gelehrt?

Noch einmal, die christliche Moral ist mehr als menschlich! Aber indem sie eine Höhe fordert, die wir nicht zu erreichen fähig sind, spornt sie uns wenigstens an, das Aeußerste zu thun. Und was kann nicht der Mensch, wenn er alle seine Kräfte braucht? Das Höchste muß der Mensch sich vorsetzen, wenn er das Hohe erreichen, und nicht im Gemeinen versinken will; nach dem Unendlichen muß er streben: dann bewährt er sich als einen unsterblichen Geist, dem diese Hülle zu eng, dem diese Erde nur eine Herberge ist. Das haben unsre Philosophen schon gesagt; auch der Christ sagt es, nur unendlich einfacher.

Aber bei der Schwäche unseres halb sinnlich halb geistigen Wesens, das, zwei Welten angehörig, ewig zwischen beiden schwankt, was bliebe uns für Hoffnung übrig, den hohen Befehlen gehorchen, und das Ideal erreichen zu können, das jene Lehren von uns fordern? Müßten wir nicht daran verzweifeln, den strengen Gesetzen genug zu thun? Hier könnte das Gewissen uns nicht beruhigen, dort würde ein unendlich heiliges Wesen den schwachen Sohn der Sinnlichkeit strafend von sich weisen. Aber liebend und erbarmend tritt die geheimnißvolle Lehre von [7] der Versöhnung, von einem unbefleckten, heiligen, der ganzen Strenge jener Forderungen genugthuenden Opfer dazwischen, von einem Opfer, das, die Schuld des ganzen Menschengeschlechts auf sich nehmend, freiwillig sich der göttlichen Gerechtigkeit darbot, und für Alle litt, blutete, starb. In seinen Verdiensten findet der schwache Mensch vollendenden Ersatz für seine unvollkommenen Bestrebungen, sie eignet er sich zu, und durch ihre Vermittelung darf er dem Throne des allerreinsten Wesens mit minderer Schüchternheit nahen.

Du siehst aus diesen leichten Umrissen, die ich dir mitzutheilen im Stande bin, wie erhaben und den Bedürfnissen des Herzens angemessen diese Lehre ist. Noch kenne ich sie nicht vollständig; was ich aber kenne, überzeugt meinen Verstand, und befriedigt mein Gefühl. Und wenn diese Ueberzeugung einst vollendet seyn wird, wer kann mich tadeln, ja, wer kann mich der entgegengesetzten Handlungsweise fähig halten, wenn ich sie annehme, und ganz werde, was ich ohnehin schon zum Theile bin? – Uebereilen aber will ich nichts. Der Schritt ist wichtig, er fordert vollkommene Geistesfreiheit, und gewissenhafte Prüfung. Die erste fehlt mir noch ganz, mein Gemüth ist nicht ruhig. Die Erschütterungen der vergangenen Schrecken haben noch nicht aufgehört, in mir nachzubeben, noch drückt ein zu lastendes Gewicht meinen Geist.

O mein Freund! Was habe ich verloren? Larissa! Gespielin meiner Kindheit! Geliebte meiner Jugend! Holdes, sanftes, liebevolles Wesen! Wo bist du jetzt? Wo schwebt dein reiner Geist? Hast du noch Erinnerung vom Vergangenen? Weißt du, daß dein unglücklicher Freund hier verlassen trauert? Oder hört mit dem Leben oder mit der Persönlichkeit, wenn auch der Geist [8] nicht vernichtet wird, alle Erinnerung, alle Liebe auf? Trostloses System, das das menschliche Herz verabscheuen, über dem der Unglückliche verzweifeln müßte, wenn es seinen Anhängern gelingen könnte, es zu beweisen! Was wäre die Unsterblichkeit dann für ein Vorrecht für das denkende Wesen? Würde sie es nicht mit dem Thiere, der Pflanze theilen, deren aufgelöseter Körper auch nicht vernichtet, sondern nach dem Gange der Natur in ursprüngliche Elemente zersetzt werden, bis sie endlich nach längerer oder kürzerer Zeit wieder in organische Theile einer Pflanze oder eines Thieres übergehen? Es ist unmöglich! so kann der Kreislauf des göttlichen Funkens in uns nicht seyn.

Auch hierüber hat das Christenthum einen erhebenden schönen Glauben, der alle Spitzfindigkeiten und Sophismen beschämt! Doch hierüber sollst du ein andermal wehr hören. Genug, sie liebt, sie weiß um mich, sie liebt mich, wenn gleich hienieden ihre sanfte Stimme verklungen ist, und nie wieder in den kalten leeren Räumen mir die holde Gestalt begegnet, nie wieder ihr seelenvolles Auge mir freundlich strahlen, und kein Herz auf dieser Erde mir das ihrige ersetzen wird. O Phocion! Ich werde sie niemals, niemals hier wiedersehen! In diesem Gedanken liegt ein unendlicher Schmerz – aber bevor er wieder die innerste Tiefe meines Wesens aufregt, laß mich abbrechen. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Er kommt nicht vor, so wie alle, die nichts zum Gang der Geschichte beitragen, und deren dennoch wegen des Zusammenhangs erwähnt werden muß.

38. Calpurnia an Sulpicien

38. Calpurnia an Sulpicien.

Nikomedien, im März 302.


Hier bin ich, in der großen, geräuschvollen Stadt, unter dem schönsten Himmel von Kleinasien, und, was [9] noch besser ist, in deiner Nähe, meine theure, geliebte Freundin! Ich wäre wahrlich gern, statt meines Briefes, selbst zu dir in deine Einsamkeit geeilt; aber mein Vater bedarf meiner zu seiner häuslichen Einrichtung, die hier an einem fremden Ort, unter ganz neuen Verhältnissen, nicht ohne große Beschwerlichkeit vollendet werden kann. Es ist mir daher unmöglich, dich fur's erste zu besuchen. Könntest denn du nicht auf ein paar Tage in die Stadt kommen? Du bist doch hoffentlich so wohl, daß die kleine Reise von einigen Meilen keinen üblen Einfluß auf deine Gesundheit haben wird. O wie freue ich mich, dich nach so langer Trennung wieder zu sehen, und mit dir über tausend Dinge der Vergangenheit und Zukunft zu sprechen, die trotz aller Ueberlegung mir nie ganz gleichgültig waren, und unter diesen Umgebungen hier erst wieder recht lebendig werden!

Am zweiten Tage nach unsrer Ankunft besuchte uns Agathokles. Dir darf ich es ja gestehen, daß mir sonderbar zu Muthe ward, als ich im Nebenzimmer seine Stimme hörte, die mir gedämpfter, als sonst vor kam. Er begrüßte meinen Vater mit herzlicher Ehrfurcht, und erkundigte sich nach mir und meinen Brüdern. Ich benutzte meine Verborgenheit, um mich in die gehörige Fassung zu setzen, und trat dann, als mein Vater mich rief, ganz gelassen hinein. Ach, es war wieder nichts mit dieser Künstelei! Dieses düstere trübe Auge, aus dem die tiefste Schwermuth sprach, die wehmüthige Herzlichkeit, mit der er auf mich zuging, und meine Hand faßte, die weiche Stimme, mit der er mich in seinem Vaterlande willkommen hieß, und dann der Gedanke, um wessentwillen diese traurige Veränderung mit ihm vorgegangen [10] war, das Alles bewegte mich so seltsam, daß ich wohl fühlte, wie meine Fassung mich verließ. Er hatte so viel gelitten; wie hätte ich ihn durch abgemessene Kälte kränken können! Und doch war mein Stolz durch eben diese Schwermuth, die ich zu zerstreuen wünschte, beleidigt.

Die Feinheit seines Betragens brachte indeß bald wieder einige Ruhe in unsere Haltung. Mein Vater bemächtigte sich seiner mit einem politischen Gespräche, in das Agathokles sogleich mit voller Seele einging; und jetzt im Feuer der Unterhaltung, als er auf Augenblicke seiner Lage vergaß, schien er wieder derselbe zu seyn, der er in Rom war. Dies Bild trat vor meine Seele; ich rief, während die Männer angelegentlich sprachen, die frohen Stunden zurück, die ich da mals genossen hatte, und auf einmal war es mir, als müßten zwei Agathokles seyn; als könnte jener anziehende Schwärmer, dessen Ernst vor meinem Lächeln so oft gewichen war, dessen Blick hundertmal mit Entzücken an mir hing – und dies finstere Bild des Kummers, das mir so fremd geworden war, der eine Andre so heiß geliebt hatte, daß ihr Tod ihn an den Rand des Grabes brachte, unmöglich Eine und dieselbe Person seyn. Ich schauderte, die Vorstellung war mir höchst peinlich, ich strebte aus allen Kräften, die wunderbare Täuschung zu zernichten. Es gelang nicht. Auf einmal fühlte ich, daß meine Thränen im Begriff waren, hervorzubrechen. Ich stand schnell auf und verließ das Zimmer. Sie strömten heftig, warum? wußte ich selbst nicht, aber ich fand eine Erleichterung darin, sie fließen zu lassen. Es kam mir vor, jener Agathokles sey todt, und der, den ich jetzt gesehen hatte, nur ein Bild, ein Schatten von ihm. Mir ward so weich um's Herz, [11] wie wenn man nach dem Verlust einer geliebten Person an einem Orte, wo man sie sonst oft gesehen hatte, nun ihre kalte Bildsäule fände. Diese Aehnlichkeit im Aeussern, und diese Verschiedenheit von Innen, jener warme Antheil und diese Kälte! Es ergriff mich schmerzlich. Ich fühlte, daß ich mich in dieser Stimmung nicht vor ihm sehen lassen konnte. Als ich nach einer Weile wieder hinein ging, war er bereits fort, und hatte versprochen, bald wieder zu kommen. So hatte ihn also mein Weggehen nicht gekränkt, wie ich im ersten Augenblick fürchtete, als ich meinen Vater allein fand! So hatte er gar nichts an mir bemerkt, nichts zu deuten gefunden? Natürlich, ich bin ihm nichts mehr, als eine alte Bekannte, und einer solchen nimmt man es ja nicht übel, wenn sie sich entfernt, und den guten Freund in einer Gesellschaft zurückläßt, die ihm wenigstens eben so lieb ist, als die ihrige!

Seit dem Augenblick ist ein wunderbarer, aber wahrlich nicht angenehmer Kampf in meinem Innern. Mitleid mit Agathokles Unglück, Wunsch, seinen Kummer zu erleichtern, und ein bitteres Gefühl des gewaltigen Abstandes zwischen jener Zeit in Rom, und diesem kalten Wiedersehen wechselt unaufhörlich in mir. Was wird hieraus entstehen? Welche Haltung wird mir das gegen ihn geben? Du, meine theure Freundin! könntest hierin mir den wesentlichsten Dienst leisten. Du siehst Agathokles so oft, er vertraut dir, das weiß ich, du wirst ungefähr wissen, wie er von mir denkt. Schreibe mir doch, was er von mir spricht, und besonders in welchem Ton. Daraus läßt sich viel schließen, und ein sein fühlendes Weib ist im Stande, aus der Art, wie ein Mann [12] von einer Andern spricht, zu errathen, was er für diese empfindet. Hierauf verlasse ich mich vollkommen, und erwarte deine Nachricht mit Ungeduld. Leb' wohl!

39. Sulpicia an Calpurnien

39. Sulpicia an Calpurnien.

Synthium, im März 302.


Warum kann ich nicht zu dir fliegen, an deine Brust sinken, und dich mit Thränen der Freude willkommen heißen? Ach Entbehren und Entsagen war von jeher der Wahlspruch meines Lebens, und seine Macht bewährt sich fort und fort. Ich bin krank, meine Geliebte! nicht so krank, daß ich nicht allenfalls im Hause, und an einem warmen Frühlingstage in dem reizenden Garten unseres Freundes herumschleichen, und ohne zu große Anstrengung meines Kopfes, dir, meine Theure! schreiben könnte; aber viel, viel zu schwach, um eine Reise von sechs Stunden zu dir in die Stadt zu unternehmen. Ich habe viel von der Ruhe meiner gegenwärtigen Lage, von Asiens mildem Himmel und am allermeisten von der Erfüllung meines höchsten Wunsches gehofft. Es will sich nicht ändern, ich kränkle immerfort, und so soll ich denn vielleicht im Hafen Schiffbruch leiden, und die Welt zu einer Zeit verlassen, wo mein Leben erst eigentlich beginnen, und ich nach so vielen Stürmen an's Ziel gelangen soll. Es war eine Zeit, wo ich den Tod wünschte, wo er mir als das Ende meiner Qualen erschienen wäre – aber jetzt? – Jetzt ist der Gedanke, aus Tiridates Armen, aus dem Sonnenschimmer seiner beglücken den Liebe hinabzusteigen in das Reich wesenloser Schatten – oder des wesenloseren Nichts – schauderhaft, entsetzlich! Unerfreulich und düster steht die dunkle Welt jenseits vor [13] dem forschenden Blicke, und nach tausend Zweifeln, eiteln Spekulationen und nichtigen Erwartungen bleibt dem grübelnden Verstande höchstens – der Trost der Ungewißheit. Weiter kann er es nicht bringen, weiter hat es nie ein Weiser gebracht. Was sich wider diese Ueberzeugung in uns empört, ist der Trieb der Selbsterhaltung, dem der Gedanke der Vernichtung unmöglich zu fassen ist. Ich sollte von Tiridates scheiden, ihn der düstern Verzweiflung, oder – schreckliche Wahl – den Tröstungen einer neuen Liebe überlassen, und hingehen, woher nie Jemand zurückkommt, wo keine Hoffnung des Wiedersehens ist! O nein, nein! nur jetzt nicht sterben! Die Aerzte geben mir Hoffnung, und ich ergreife sie begierig; sie sagen, und es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß jene traurigen Erschütterungen, die Beschwerden der Reise, die Veränderung des Clima's auf meinen geschwächten Körper nachtheilig wirken mußten; sie versprechen mir viel von der Wirkung der Zeit, und der inneren Zufriedenheit; und so will ich denn geduldig seyn, und alle Gedanken und Zweifel verbannen, die noch zuweilen in mir aufsteigen wollen; ich will recht gelassen, recht ergeben seyn, sogar blind und gefühllos, wenn es die Erhaltung meiner Gesundheit fordert.

Du fragst mich, was und wie Agathokles von dir spricht? Du willst dein Betragen nach meinen Beobachtungen einrichten? So muß ich ja wohl ganz aufrichtig seyn, und nichts als strenge Wahrheit sprechen. Er achtet dich ohne Zweifel, er will dir herzlich wohl, und wenn ich seinen Kummer zu zerstreuen wünsche, kann ich es am besten dadurch, daß ich einige Bilder und Scenen [14] aus seinem römischen Aufenthalte vor seine Seele führe. Er erheitert sich dann und spricht mit Vergnügen von jener Zeit – aber das Alles sehr ruhig, und ohne daß die geringste Verlegenheit oder höhere Wärme auf eine lebhaftere Empfindung schließen ließe. Vergiß aber nicht für meine und deine Erwartungen, und für das künftige Glück unsers Freundes, daß die Wunde seines Herzens noch frisch und durch die Art des Verlusts seiner Geliebten wirklich schrecklich ist. Zudem ist er einer von jenen beneidenswerthen Schwärmern, die sich mit einem seligen Wiedersehen nach dem Tode schmeicheln können. Für ihn ist seine Larissa nicht todt, sie ist nur vorangegangen, und so muß er ihr wohl die Treue bewahren. Doch ungeachtet dieser und mancher andern Schwärmereien, die er mir aus den Lehrsätzen der Christen genommen zu haben scheint: – laß nur einige Zeit verfließen, bis die Neuheit des Eindrucks sich verliert; laß die Reize deines angenehmen Umganges seinen Verstand beschäftigen, sein Gemüth erheitern, laß ihn den Zauber deiner Schönheit empfinden – und die Liebe zu einem leeren Schattenbilde wird der Gewalt der Gegenwart weichen.

Tiridates bringt dir diesen Brief. Er freut sich sehr, dich wieder zu sehen, so sehr, daß, wärest du weniger, was du bist, ich beinahe besorgt seyn müßte. Er hat mir versprochen, dich und deinen Vater zu bereden, daß ihr mit ihm zu mir herauskommen sollt, und so erwarte ich denn in wenigen Tagen das allein ungetrübte Glück der Freundschaft in deinen Armen zu genießen. Leb' wohl!

40. Agathokles an Phocion

[15] 40. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im März 302.


Die Friedenshoffnungen haben sich zerstreut, und der Kampf beginnt auf's Neue. Das Heer hat Befehl aufzubrechen, und ich gehe mit Tiridates, unter Galerius Fahnen zu dienen. Die Zurüstungen sind mit eben so viel Klugheit als Anstrengung gemacht. Galerius hat unumschränkte Macht, und es ist zu hoffen, daß dieses Jahr etwas Entscheidenderes vorgehen werde. Immer ist es Gewinn für den Gang her Angelegenheiten, wenn der höchste Wille, die Macht und die Ausübung sich in Einem Punkte vereinigen. Wir ziehen an das Ufer des Euphrats, dort wird wahrscheinlich der erste Schlag geschehen. Ich folge diesmal dem Heere nicht blos aus Pflicht, sondern auch in der Hoffnung, strenge Beschäftigung, und in derselben Aufheiterung zu finden. Einsamkeit und Muße sind nicht für ein Gemüth, das in dieser Stille nur an Trauer und Verlust zu denken hat.

Eine viel versprechende, sehr anziehende Bekanntschaft habe ich noch in diesen Tagen gemacht. Apelles, den ein Befehl seiner Vorgesetzten nach Apamäa zurückrief, führte mich vorher zu dem Bischofe von Nikomedien, Eutychius. Ich fand an ihm einen Mann, der seine Lebensart, Menschenkenntniß und priesterliche Würde wohl zu vereinigen weiß. Ich errieth Apelles Wunsch, Eutychius sollte vollenden, was er begonnen hatte. Noch kann ich nicht urtheilen, ob diese Wahl gut getroffen ist; aber das öffentliche Zeugniß und Apelles Meinung sprechen für Eutychius. Als ich zum zweitenmal bei ihm war, trat ein junger Mann, ungefähr von meinem Alter, ein. Eine hohe männlich schöne Gestalt, Kraft, fester Wille, beinahe [16] Härte, sprach aus den bedeutenden Zügen, den schmalen festgeschlossenen Lippen; nur in manchem Blick, in manchem Aufschlag der großen blauen Augen lag ein zarter edler Ausdruck, der höchst anziehend den festen Ernst des Ganzen milderte. Der Sohn des abendländischen Cäsars – Constantin – sagte der Bischof, als er mich ihm vorstellte, und auch ihm meinen Namen, nebst einigen Umständen von mir, sagte. Ein forschender Blick, doch nicht ohne freundliche Güte, schien mein Innerstes durchschauen zu wollen, übrigens nahm er mich sehr anständig auf. Der Bischof wurde abgerufen, Constantin blieb mit mir allein. Er sprach wenig, aber gut. Du weißt, ich bin nie sehr gesprächig, am wenigsten mit Höheren: doch selbst das Wenige, was zwischen uns geredet wurde, reichte hin, uns einander achtungswerth und bekannter zu machen, als man es sonst gewöhnlich in der ersten Unterredung wird. Als der Bischof zurück kam, fand er uns in einem Gespräch über Gegenstände, die in der jetzigen Zeit Jedem wichtig seyn müssen, der nicht blos für den Augenblick lebt. Constantins Unterhaltung straft den ersten Eindruck, den seine Gestalt macht, nicht Lügen, sie hält mehr, als jener verspricht.

Wir haben uns seitdem öfters gesehen, und werden es künftig noch mehr; denn er ist von seinem Vater dem Schutze und Befehl des Cäsar Galerius übergeben, und wir werden den Feldzug zusammen machen. Diese Aussicht ist ein Reiz mehr für mich, Nikomedien, seine Muße, und seine Verhältnisse bald zu verlassen. Ich stehe mit einem tief verwundeten Herzen seltsam unter Menschen, die eine solche gänzliche Umstaltung des Innern für Schwärmerei halten, und nicht begreifen können, daß unmöglich [17] mehr Alles so seyn kann, wie vor anderthalb Jahren. Diese Forderungen, so leise sie angedeutet werden, fühle ich doch, und sie drücken mich, besonders dort, wo ich überall kein Recht zu Forderungen sehe, sie entleiden mir den Umgang, den ich sonst gesucht haben würde, und verschließen mir die kleine Aussicht, die ich für Erheiterung und Zerstreuung vor mir sah. O daß die glücklichen, leichtherzigen Menschen so schwer die Bedürfnisse eines trauernden Gemüthes ahnen können! Ihnen ist nur dort wohl, wo Alles so leicht, so schwebend ist, als in ihrem Innern! Was diesem behaglichen Zustand widerspricht, was ihn zu stören droht, fliehen sie aus einer Art von natürlicher Antipathie, und glauben an kein tieferes Gefühl, als das, was sie begreifen können. Es wird mir sehr wohl seyn, wenn ich einmal die Stadt im Rücken haben, und mit Constantin und Tiridates dem kräftig wechselnden Spiel des Lebens im Lager zueilen werde. Du lebe recht wohl, und sieh mir freundlich nach, wenn in den geräuschvollen Stunden, die meiner jetzt warten, meine Briefe seltener und kürzer seyn werden.

41. Eneus Florianus an Constantin

41. Eneus Florianus, Centurio der Leibwache des Cäsars Constantius, an Constantin.

Eboracum 1, im März 302.


Wenn ich dein Herz nicht kennte, und von der Billigkeit sowohl, als dem Ernste deiner Denkungsart überzeugt wäre: so würde ich gewiß Bedenken tragen, ich, der Mann, den Jüngling, der Lehrer den Zögling, zum [18] Vertrauten einer Angelegenheit zu machen, die sonst nur der junge Mann mit seines Gleichen auszumachen haben sollte.

Noch mehr sollte mich die Rücksicht abhalten, daß du selbst, obgleich in der Blüthe der Jugend, und mit allen Ansprüchen auf ein Glück begabt, dem, in deinen Jahren, so Manches aufgeopfert wird, dies nie dafür erkannt, und den Neigungen von einer weicheren zärtlicheren Art nie Eingang in deine. Seele gestattet hast. Doch, mit aller dieser Kälte gegen die Liebe weiß ich doch dein Herz der Freundschaft fähig, und so lege ich meine Sorgen und mein Bekenntniß offen in deine Hand.

Du wirst dich des Asinius Ponticus erinnern, den seine Geschäfte oft mit uns in Verbindung brachten. Als du Britannien verlassen, und mein Herz und meine Zeit öde gemacht hattest, besuchte ich zuerst aus Bedürfniß der Zerstreuung sein Haus öfters. Er und seine Frau waren Heiden, aber rechtliche und einfache Menschen; sie erzogen eine Pflegetochter, Valeria, ein liebliches Geschöpf auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau, mit großer Sorgfalt und Liebe. Des Schulmeisterns gewohnt, zog ich bald dies Kind an mich, und es war mir eine angenehme Beschäftigung, dieses empfängliche Gemüth zum Guten zu bilden. So vergingen drei. Jahre in ungestörter Ruhe; aber unbemerkt war während meinen Anweisungen das Kind ganz verschwunden, und die Jungfrau stand blühend, verschämt und bedeutend vor mir. Es waren andere Regungen, die nun mein Herz gegen sie bewegten, und ich fühlte die Nothwendigkeit, hier mit Ernst und Festigkeit abzubrechen. Aber bei dem ersten Versuche entdeckte ich, daß auch das [19] ihrige sich seiner bewußt zu werden anfing, und daß Dankbarkeit, täglicher Umgang, und das überströmende Bedürfniß, sich innig an ein theures Wesen anzuschließen, alle edleren Neigungen desselben auf den nächsten Gegenstand, den überraschten Lehrer, geheftet hatten. Mich hatte in Rücksicht ihrer der große Unterschied der Jahre und der Gedanke sicher gemacht, daß ein Mann von meiner Denkart und meinem Betragen keine Ansprüche an die zärtliche Empfindung eines Mädchens von sechzehn Jahren machen könnte. Desto heftiger und tiefer war der Eindruck, den diese Entdeckung in mir hervorbrachte, und ich erröthenicht, zu gestehen, daß ich, im achten Lustrum 2 des Lebens, Valeriens Gefühle mit gleichem Feuer erwiederte. Ich erwog ihre Umstände, die ich genau zu kennen glaubte, ich stellte ihr Herz auf mehr als Eine Probe, ich durchspähte jede Falte des meinigen, und nach einer besonnenen Ueberlegung, wie sie dem Manne wohl ziemt, gab ich mich endlich dem reizenden Zuge hin, der mit jedem Tage mich fester an das holde Mädchen, sie inniger an mich band.

Ich dachte nun darauf, sie ganz für mich zu bilden, das heißt, ich versuchte in dem heiligen und wichtigen Punkte meine Ueberzeugung zu der ihrigen zu machen. Ihr kindlich frommer Sinn kam mir auf halbem Wege entgegen, und machte mir das Vorhaben, sie in die Geheimnisse unserer Religion einzuweihen, zum anziehendsten, aber auch zum bindendsten Geschäfte. Nun erst, als unsre Seelen zu Einem erhabenen Wesen emporstrebten, und sie Theil an allen Segnungen nahm, die das [20] schöne Vorrecht der Christen sind, nun erst fühlte ich mich innig und untrennbar mit ihr vereinigt, und jetzt entdeckte ich den Eltern meine Wünsche. Der Schrecken, mit dem Asinius meine Bewerbung aufnahm, zeigte mir schnell mein Unglück. Valeria war nicht die Tochter eines seiner Verwandten, wie ich und die Welt bisher geglaubt hatten, und ihre Geburt, der Stand ihres Vaters, der noch lebte, von solcher Art, daß es eben so unmöglich war, ohne sein Wissen über sie zu bestimmen, als vergeblich, seine Einwilligung zu dieser Verbindung zu hoffen. Diocletian, als er vor achtzehn Jahren auf einem Zuge nach Britannien gekommen war, hatte ihre Mutter, die Tochter eines eingebornen Fürsten, kennen gelernt, und – geliebt kann man wohl von solchen Empfindungen nicht sagen – aber dem Präfekten der Prätorianer, in dem man mit Recht den künftigen Kaiser ahnete, widerstand vielleicht selten ein Herz oder eine Tugend. Die Fürstin starb bei der Geburt des Kindes, und Valeria wurde der geprüften Treue einer Kammerfrau übergeben. Diese reichte darauf dem Asinius Ponticus ihre Hand, und theilte sich mit ihm in die Liebe und Pflege dieser Verlassenen, die sie den Mangel der Eltern so wenig empfinden ließen. Als Diocletian den Thron bestieg, und ihm Asinius Nachricht von dem Daseyn seiner Tochter, und unbezweifelte Beweise für die Wahrheit dieser Behauptung sandte, gab ihr der Kaiser den Namen, den er selbst bei der Thronbesteigung angenommen hatte, und befahl, sie in der Stille und unbekannt zu erziehen, bis es ihm gefallen würde, sie anzuerkennen.

Ich wußte nun mein Schicksal, und beschloß es männlich zu tragen. Ich entsagte Valerien, und entdeckte ihr [21] die Ursache. Ihre Liebe war stärker, als ihre Besinnung. Sie wollte nichts von Trennung wissen, sie war entschlossen, mit mir zu fliehen, und allen schimmernden Aussichten, die ihre Geburt ihr öffnete, ohne die geringste Reue zu entsagen. Du wirst nicht fordern, daß ich dir die Kämpfe und schmerzlichen Siege dieser Zeit, die so tiefe Spuren in meinem Gemüthe hinterlassen haben, genau schildern soll. Der schwerste aus allen war der gegen Valeriens Liebe und rücksichtslose Aufopferung. Ihre Pflegeeltern sahen die Gefahr, sie fürchteten von Valeriens allzuheftiger Leidenschaft vielleicht kühne Schritte, oder zitterten vor denn Zorn des Augustus – Gott weiß, was die Ursache war – genug, vor fünf Monaten verschwanden sie sammt Valerien plötzlich aus Eboracum, und sehr wahrscheinlich auch aus der ganzen Insel. Wenigstens waren alle meine Nachforschungen, durch deines Vaters Ansehen unterstützt, vergeblich, und ich habe mehr als Einen Grund zu glauben, daß sie Britannien verlassen haben. Ich wende mich nun an dich. Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, aber ich wünschte Valeriens Schicksal zu kennen. Du bist am Hofe des Augustus: o so suche nur zu erfahren, ob blos Besorgniß der Eltern, oder ein unmittelbarer Befehl des Kaisers die Ursache dieser eiligen Flucht war.

Ich bin versichert, daß ich Nachrichten erhalten werde, wenn du selbst dir welche verschaffen kannst. Ich weiß, daß sie zu nichts führen werden, denn ich habe entsagt: aber es stört meine Ruhe, nichts von einem Wesen zu wissen, das so innig mit mir verbunden war, das ich als einen Theil meiner selbst betrachte, und an dessen Unglück ich vielleicht die größere Hälfte der Schuld trage. [22] Das ist es, was mich quält. Leb' wohl, Constantin, und erfreue mich bald mit einem Brief! Wenn er auch nichts von Valerien enthält, so finde ich doch dein Herz darin.

Fußnoten

1 In Eboracum, dem heutigen York, war der kaiserliche Palast.

2 Lustrum, ein Zeitraum von fünf Jahren.

42. Constantin an Eneus Florianus

42. Constantin an Eneus Florianus.

Nikomedien, im April 302.


Es gibt Verhältnisse im menschlichen Leben, besonders in den höheren Regionen desselben, die, wie die Flügel des Schmetterlings, von weitem mit schönen Farben prangen, die man aber nicht kräftig anfühlen und untersuchen muß, wenn nicht der Glanz verschwinden, und ein trübes unscheinbares Gewebe übrig bleiben soll. Von dieser Art, mein väterlicher verehrter Freund! ist mein Verhältniß an dem hiesigen Hofe zu den Menschen, die den nächsten und unmittelbarsten Einfluß auf mein Schicksal haben. Schon lange fühle ich das, und daß ich es weder dir, noch meinem geliebten Vater entdeckte, war – vielleicht Stolz, vielleicht die Erkenntniß, daß diese Entdeckung zu nichts führen könnte, als Euch am fernen Ufer der Thamisis über Umstände zu beunruhigen, die nur der Gegenwärtige mit Bestimmtheit durchschauen, und mit Kraft zu seinem Vortheil lenken kann. Dein Brief, in welchem du so Manches von meinem Einflusse zu hoffen scheinst, bläst die Asche vom der verborgenen Gluth, und ich zeige dir nun mich selbst, und meine Verhältnisse, wie sie sind. Mein Vater hat mich dem Schutze, der Sorge des Cäsar Galerius übergeben, und es sind, seit ich aus deinen Armen schied, drei ganz leidliche Jahre verstrichen, in welchen er so ziemlich die Rolle eines zwar strenge, aber besorgten Vaters gegen mich behauptete. Auf die [23] Länge wurde ihm entweder die Rolle zu lästig, oder er fand den Pflegesohn nicht ganz so geschmeidig, als er sich im Anfang den unerfahrnen, im Schatten des Privatlebens aufgewachsenen, brittannischen Jüngling gedacht haben mochte. Die Sorge verschwand, die Strenge blieb, und aus dem Vater würde nach und nach ein despotischer Herr geworden seyn, wenn nicht zu diesem Verhältniß zwei Wesen erforderlich wären: ein Gebietendes, und Eines, das sich gebieten läßt. Der Sohn des abendländischen Cäsars fühlte sich durch Geburt, Natur und Glück nicht so tief unter dem morgenländischen; er sah eine ruhmwürdigere Aussicht vor sich aufgethan, als sein Leben im Sonnenschein fremder Hoheit zu verflattern, und sich mit dem hohlen Ansehen, und kindischen Schimmer zu begnügen, mit dem ihn Galerius so schlau als verschwenderisch umgab. Das erzeugte Furcht, und Furcht gebiert den Haß. Galerius haßt mich, aber er fürchtet mich auch. Er umgibt mich mit Spionen, es kostet manchmal Nachsinnen und gespannte Aufmerksamkeit, einen Brief von hier aus durch die weiten römischen Provinzen, die seinem Scepter gehorchen, bis nach Eboracum unentdeckt, unerbrochen zu bringen. Dieser ist einer von den glücklichen, der seinen Spähern entgehen wird, und darum enthalte er, was viele seiner Vorgänger nicht enthalten konnten.

Du hast in dieser treuen Schilderung meiner Lage zugleich die Ursache, warum es mir nicht möglich war, in deiner Angelegenheit thätig zu seyn. Diocletians vorzüglichste Tugend ist Verschlosseuheit; indeß soll die Kaiserin Prisca mit der ehemaligen Königin des Olymps nicht blos die Eigenschaft gemein haben, die Gattin des Weltgebieters [24] zu seyn, und der Augustus soll sich öfters gezwungen gesehen haben, manche seiner Freuden vor dem Blicke seiner Juno geheim zu halten. Unter diesen Verhältnissen ist es schwer, Erkundigungen über eine so verborgene Geschichte einzuziehen, besonders dort, wo jeder Schritt belauscht, und jeder entdeckte zu den unangenehmsten Verwickelungen führen würde. Ich kann nur mit der größten Vorsicht zu Werke gehen, und Alles, was ich bisher erfahren konnte, ist, daß Asinius Ponticus mit zwei Frauen, die man nicht kannte, bei den letzten Saturnalien in Coloniä Agrippinä gesehen wurde. Von dort soll er sich nach Mantua gewendet haben. Sobald ich mehr erfahre, wird es mir das theuerste Geschäft seyn, dich zu benachrichtigen, wo ich mich auch immer befinden möge; denn wir brechen in drei Tagen auf, um uns zu dem Heere zu begeben. Dein Vertrauen hat mich sehr geehrt, ich werde desselben würdig zu bleiben streben, und jede Gelegenheit er greifen, um dir zu beweisen, wie unauslöschlich das Gefühl ist, das in meiner Brust gegen dich glüht, dem ich die zwei köstlichsten Gaben danke, die der Mensch dem Menschen geben kann – freie Liebe, und Anleitung zum Guten. – Leb' wohl!

43. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso in Rom

43. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso in Rom.

Nikomedien, im April 302.


Wenn der Mensch nur nichts erwartete! Wenn man sich nur abgewöhnen könnte, der Zukunft mehr zuzutrauen, als der Gegenwart! Aber so sind wir nun. Immer blicken wir in die Ferne, vorwärts, und kein Besitz wirklicher Güter dünkt uns so reizend, als die schimmernden Freuden, die uns von Weitem im magischen Lichte der [25] Einbildungskraft entgegenglänzen. Was ich mir mit recht kindischem Sinne für Vorstellungen von diesem Nikomedien und den Freuden machte, die ich hier finden würde! Was ich mir für Geschichten erzählte, für Scenen träumte! Es ist nichts, eitel Nichts. Ich bin hier keinen Augenblick besser daran, als in Rom, schlimmer vielmehr, denn ich bin hier fremd und allein. O wer mir das gesagt hätte, als ich mit fröhlichem Muthe in das Schiff stieg, als nur der Abschied von dir mich Thränen kostete, und ich mit hoffnungsreicher Seele die schönen Ufer Hesperiens 1 nach und nach verschwinden sah! Ja, das ist's eben, der Mensch ist zur Täuschung geboren. Das wahre Glück ist nirgends als in seiner Einbildungskraft; in dieser genießt er es voraus, so darf er es denn von her lauen unbedeutenden Gegenwart nicht fordern. Er hat seinen Lohn dahin, wie die Christen zu sagen pflegen.

Hier gibt es erstaunlich Viele von dieser Secte; selbst die Gemahlin des Cäsar Galerius, Valeria, soll dazu gehören. Das ist auch eine Ursache mehr, die mir den hiesigen Aufenthalt verleidet. Es sind kopfhängerische traurige Menschen, die in den unschuldigsten Vergnügungen Gift finden, und sich aus den unbedeutendsten Handlungen ein Gewissen machen. Auch nur ein Körnchen Weihrauch auf den Altar einer unsrer Gottheiten zu streuen, auch nur einen Bissen Opferfleisch zu essen, ist ihnen ein todeswürdiges Verbrechen. Auch leiden ihn Manche lieber, als sie das thun. Ihr Gott muß ein strenges, eifersüchtiges Wesen seyn. Da lobe ich mir unsre Götter und Göttinnen. Eine unzählbare Menge dieser harmlosen [26] Wesen bevölkert Himmel, Erde und Meer. Sie streiten nicht unter einander, sie beneiden einander ihre Opfer nicht, sie nehmen gastfrei jeden Fremdling ihrer Art aus den entferntesten Gegenden unter den abenteuerlichsten Gestalten auf, sey es Zwiebel, Sperber, Affe 2, ein Ungeheuer mit hundert Brüsten, oder ein Ideal menschlicher Schönheit. Alles dulden sie, jedem gönnen sie ein Plätzchen; dafür duldet man auch sie. Glauben kann sie kein vernünftiger Mensch; aber der Pöbel bedarf dieses Spielwerks. So laßt es ihm, und thut, was euch euer Herz zu thun erlaubt.

Doch was ereifere ich mich um Dinge, die mich nichts angehen, die ich mir eben aus dem Sinne schlagen will? Ach lieber Bruder! das ist die Wirkung der nikomedischen Luft. Wenn man von nichts als Religionsstreitigkeiten hört, wenn diese Ideen alle andern verschlingen, jedes Gespräch verderben: so wird man zuletzt selbst mit hineingezogen, und nimmt, so ungern man es auch thut, doch endlich Partei, dafür oder dawider.

Auch Agathokles ist von diesem Schwindel ergriffen, und ich fürchte fast, er ist weit mehr Christ, als er selbst gesteht. Du solltest ihn jetzt für die Reinheit und Erhabenheit dieser Lehre, für die beseligenden Wirkungen sprechen hören, die er sich von ihr für die Menschheit verspricht! Oft muß ich lächeln, noch öfter ärgere ich [27] mich, zuweilen gelingt es aber dem Schwärmer, mich für einen Augenblick hinzureißen. Meinen Vater hat er schon ziemlich auf seiner Seite. Uebrigens hat er nur den Gegenstand gewechselt, und was ihm sonst das alte Rom und die Republik war, ist ihm jetzt das Christenthum, von dessen Verbreitung er sich Ersatz für jene verlornen Tugenden, und die Anregung aller bessern Kräfte im Menschen verspricht.

Uebrigens habe ich ihn sehr verändert gefunden, so verfallen, so bleich, daß ich über seinen ersten Anblick erschrak. Das hat die Liebe aus diesem Manne gemacht; und sie sollte eine beglückende Empfindung seyn? Nimmermehr! Ich habe nur erst kürzlich noch ein trauriges Beispiel von ihren Verheerungen gesehen, und hätte ich sie je für etwas Gutes halten können, so würden Sulpicia und Agathokles meinen Wahn heilen. Es sind nun zehn Tage, als Tiridates zu uns kam. Er sieht blühend und schön aus, schöner als ich ihn je sah, und aus den jugendlichen Zügen strahlt Kraft, Muth und Lebensfreude. Er brachte mir einen Brief von Sulpicien. Ein seltsames Gemisch von anscheinendem Glücke, und geheimer Wehmuth sprach aus ihm. Sie bat mich, sie das einzig ungetrübte Glück der Freundschaft genießen zu machen, und sie zu besuchen. Sie schrieb mir, daß sie zu krank sey, um zu mir zu kommen. Mein Entschluß war schnell gefaßt. Mein Vater hatte nicht Zeit, mich zu begleiten. Ich sagte dem Prinzen von Armenien, daß ich am folgenden Tage nach Synthium zurückkehren würde; um aber doch nicht ganz allein mit ihm zu seyn, bat ich Agathokles, mich zu begleiten. Der seltsame Mensch! Statt sich durch das Vertrauen geehrt zu finden, das ich auf [28] ihn, und die Achtung, in der er überall steht, zu setzen schien, wagte er es, einige Bedenklichkeiten gegen die Reise eines jungen Mädchens mit zwei unverheiratheten Jünglingen vorzubringen, und ergab sich nur, als er mich unerschütterlich und unempfindlich gegen Alles fand, was die Stadt über mich zu klatschen belieben würde. Dennoch gefiel mir diese Sorge für meinen Ruf, die Freimüthigkeit, mit der er sich äußerte, und mehr noch als vorhin fühlte ich mich, von diesem Augenblicke an, durch seine Begleitung geehrt, und vor jedem ungerechten Tadel geschützt. O wie liebenswürdig könnte er seyn, wenn er minder vollkommen, minder überspannt seyn möchte!

Wir reisten nach Synthium. Mich trugen meine Cappadocier 3 in einer offenen Sänfte, meine Gefährten ritten langsam neben mir. Es war ein lieblicher Frühlingsmorgen, die Gegend um uns freundlich, die Luft lau, der Himmel heiter, Alles zu Lust und Fröhlichkeit gestimmt. Scherz und Lachen verkürzte die lange Zeit der Reise, sogar der ernste Freund widerstand nicht dem Zauber, der durch alle Sinne in sein Herz drang; er gab sich dem fröhlichen Zuge hin, der ihn mit fortriß; und so kamen wir Alle vergnügt und heiter in Synthium an. Ach, die schöne Stimmung verschwand bald! Sulpicia kam uns entgegen, ein Bild des geheimen Grams, in der kurzen Zeit um zehn Jahre gealtert. Nun ward mir auf einmal Vieles klar. Ich war kaum einige Tage in Nikomedien gewesen, als das Stadtgeschwätz mich von einigen neuen Liebesgeschichten des leichtsinnigen Tiridates unterrichtete, und zugleich mit lieblosem Spotte seines[29] abenteuerlichen Verhältnisses mit einer entlaufenen römischen Matrone erwähnte. Man wußte nicht, wie nahe mich das Verhältniß anging, sonst würde man wohl vor mir geschwiegen haben. Hier fand ich die Bestätigung von dem, was ich früher nicht glauben wollte. Doch muß ich Tiridates die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er wenigstens in Sulpiciens Gegenwart keinem Tadel unterliegt. Er begegnet ihr mit der zartesten Achtung, und der liebevollsten Aufmerksamkeit. Sie scheint auch vollkommen zufrieden, es entwischt ihr keine Klage, kein Blick, der auf den wahren Zustand ihres Herzens schließen ließe. Selbst als wir allein waren, und ich sie dringend befragte, gestand ihr Mund nichts, aber eine heftige Bewegung, ein leises Zittern, das ihren ganzen Körper ergriff, zeigte nur zu deutlich, wie sehr sie ihre Lage kennt und fühlt. Aber gestehen wird sie es nie, so kenne ich sie, und sich lieber in stillem Gram verzehren, als zugeben, daß ihr Schritt, mit Tiridates zu entfliehen, unüberlegt war.

Ich beklage sie herzlich, aber ich kann sie nicht ganz entschuldigen, eben so wenig, als ich ihn ganz verdammen kann. Sieh, lieber Lucius! ich bin billig, ich erkenne alle Eure Untugenden, Schwächen und Laster, aber die Wahrheitsliebe erlaubt mir nicht, alle Schuld auf die männlichen Schultern (die zwar von der Natur eigentlich darum so stark gebaut scheinen) zu wälzen. Sulpiciens Liebe ist nicht die leichte heitere Flamme, die überall Leben und Freude verbreitet, jedes Verhältniß verschönert, den gemeinsten Dingen Bedeutung, den entferntesten eine angenehme Beziehung gibt, in deren mildem Schein der Mann sein Leben froh verflattert, und sich selbst in sei- [30] nen Entbehrungen glücklich fühlt. Ihre Liebe ist ein dunkel loderndes verzehrendes Feuer, das mit eifersüchtigem Stolz jedes Wort, jeden Blick bewacht, aus Allem Gift saugt, und ohne Rücksicht dieselbe grenzenlose Hingebung, dieselbe gespannte Aufmerksamkeit fordert, die sie selbst leistet, und über die sie sich ein hochmüthiges Zeugniß gibt. Ach, Sulpicia kennt Euer Geschlecht nicht, und hört den Rath derjenigen nicht, deren Erfahrungen sie belehren könnten! Das Weib, das dem Geliebten die ganze Fülle ihrer Liebe zeigt, handelt höchst unklug; diejenige aber, die von ihm eine gleiche Stärke und innige Erwiederung fordert, zeigt, daß sie nicht die geringste Menschenkenntniß hat.

Tiridates ist jung, schön, beliebt und gesucht, tausend lockende Abenteuer, tausend üppige Gestalten winken ihm auf allen Seiten, und er soll die herkulische Kraft besitzen, dem Allem zu widerstehen, und aus diesen schimmernden Freudenkreisen freudig und ohne Rückblick in die Arme seiner kränkelnden, verblühten, verstimmten Geliebten zu fliegen? Wahrlich, das ist zu viel von einem so gebrechlichen Wesen gefordert!

In wenig Tagen wird er zum Heere abgehen; denn der Feldzug ist schon eröffnet. Nun wird Sulpiciens Qual verdoppelt beginnen. Ich fürchte mich darauf, sie nach seinem Abschiede wieder zu sehen, wenn Entfernung, Ungewißheit und Furcht ihr ohnehin bewegtes Gemüth in noch heftigere Spannung bringen werden.

Auch Agathokles wird mit ihm Nikomedien verlassen – dann bin ich ganz einsam in der großen menschenvollen Hauptstadt. Er eilt diesmal sehr fortzukommen, es ist, als brennte hier der Boden unter seinen Füßen. Nun [31] wahrlich, von dem Fehler der Eitelkeit, wenn ich ihn je gehabt hätte, würde ich hier ganz geheilt werden müssen.

Schreibe mir bald und oft, lieber Bruder! Deine Briefe werden eine Liebe, eine höchst nothwendige Abwechslung in das tödtende Einerlei bringen, in welchem mein Leben hier dumpf verschleicht. Wahrlich, wenn sich das nicht bald ändert, so werde ich meine ganze Munterkeit verlieren, und ein Gegenstück zu Sulpicien werden. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Hesperien, ein Name von Italien.

2 In den ägyptischen Tempeln standen Symbole, die unter Thier- und Pflanzengestalten allerlei Andeutungen, und geheimnißvolle Lehren für die Eingeweihten enthielten. Der Pöbel betete sie als Götter an. Die Diana von Ephesus, als Sinnbild der allernährenden Natur, wurde als eine hohe Frau mit vielen Brüsten vorgestellt.

3 Cappadocische Sclaven wurden zum Tragen der Sänften gebraucht.

44. Agathokles an Phocion

44. Agathokles an Phocion.

Hierapolis 1, im Mai 302.


Eine mörderische Schlacht ist vorüber, in der Tausende ihr Leben verloren haben, in der auch mir der Tod furchtbar nahe war, und ohne Constantins heldenmüthige Liebe mich unter die Myriaden seiner Opfer gerissen hätte. Wir sind geschlagen, und stehen am rechten Ufer des Euphrats. Das Lager ist bei Hierapolis aufgeschlagen, ich aber bin meinem Feldherrn, meinem Retter in die Stadt gefolgt, wohin ihn seine Wunde sich bringen zu lassen nöthigte, seine Wunde, die er für mich empfangen hatte. Er schläft im anstoßenden Zimmer, und ich eile dir Bericht von unserem Schicksal und meinem Leben zu geben, damit kein vergrößerndes Gerücht dich beunruhigen, [32] und bei der Gewißheit unsrer Niederlage mein Schweigen dich mit Sorge um mich erfüllen möge.

Galerius, der schon das vorige Jahr vergebens auf eine Gelegenheit geharrt hatte, Valerians schimpfliches Ende und die Schmach des römischen Namens durch einen entscheidenden Sieg an den Persern zu rächen, suchte jetzt, vielleicht mit mehr Hast als Klugheit, eine Schlacht zu liefern. Ein unglückliches Verhängniß hieß ihn die unabsehlichen Sandgefilde von Carrhae 2 zum Schauplatze wählen, wo schon einst Crassus mit seinen Legionen in dem verrätherischen Boden und der glühenden Hitze seinen Untergang gefunden hatte. War er falsch berichtet, oder traute er sich allzuviel zu, genug, er griff wider den Rath aller seiner Kriegsobersten die weit überlegenen Perser wüthend an. Das Gefecht wurde heiß, die Römer erkannten die Ueberzahl der Feinde, ihre Gefahr, aber auch die Ehre ihres Namens, und die Schmach, die sie zu rächen hatten. Es wurde mit unerhörter Tapferkeit gestritten, allein der sandige Boden wich treulos unter unsern Füßen, und der Sonne senkrechter Strahl entglühte unsre Rüstungen zur unerträglichen Last. Die Perser, stets durch frische Schaaren ersetzt, erneuten sich unaufhörlich, wie das Haupt der Hydra, und boten unsern müden Armen immer frische Gegner dar. Ihre ganze Macht warf sich auf den Mittelpunkt unseres Heeres, wo Galerius befahl, er wurde durchbrochen, und nun war Verwirrung und Unordnung allgemein. Nur Constantin hatte Besonnenheit und Mäßigung genug, um seine Schaaren, unverwirrt von dem allgemeinen Lärmen, in festgeschlossenen Gliedern gegen die Brücke zu ziehen, [33] die über den Euphrat führt, und in ihr die Hoffnung unsres Rückzugs zu erhalten. Die zerstreuten Haufen flohen jetzt in wilder Hast dem Strome zu, und Viele fanden in den Fluthen ihr Grab. Tiridates, auf den, als die Hauptursache des Krieges, jeder Perser seine Aufmerksamkeit gerichtet hielt, und der, zu stolz eine unrühmliche Sicherheit durch Verkleidung zu erkaufen, an Waffen, Helmbusch und der Heroengestalt vor Allen kenntlich, auch jetzt noch durch die Reihen sprengte, und erhielt, was noch zu erhalten war, sah sich auf einmal allein von einem großen Trupp Perser umringe. Widerstand war nicht möglich. Er gab dem Pferd die Sporen, und sprengte an den Euphrat 3. Die Feinde hatten ihn ereilt, keine Rettung blieb als in den Wogen. Er stürzte mit der ganzen Rüstung in die schäumende Fluth, ich hielt ihn für verloren, aber mit Riesenkraft kämpfte er gegen das Element, und erreichte das ziemlich ferne Ufer, wo ihn die Unsrigen mit lautem Freudengeschrei empfingen. Jetzt suchten die Perser unserm kleinen Haufen den Uebergang zu erschweren, aber Constantin vertheidigte die Brücke mit eben so viel Besonnenheit als Muth. Da sprengte der Anführer der Feinde heran, Constantins schlichte Rüstung mochte ihn getäuscht haben, er hielt mich für seinen Gegner, und in der Hoffnung, die Spoliae optimae 4 zu erbeuten, zuckte er sein Schwert über mich. Ich stand abgewendet, der gewaltige Streich hatte mich tödten müssen, wenn nicht Constantin mit Schild und Arm ihn aufgefangen hätte. Im Augenblick der Rettung [34] erst erkannte ich meine Gefahr, ich wandte mich, und mein Schwert rächte die Drohung, und Constantins Wunde. Der Perser fiel, die Seinigen zerstreuten sich, wir sprengten ungehindert über die Brücke, die sogleich hinter uns abgeworfen wurde, und erst hier, als wir von unsern Pferden sprangen, fand ich den Augenblick, meinem Retter zu danken. Auch er fühlte erst jetzt seine Wunde, und sank halb ohnmächtig in meine Arme. Wir hielten uns fest umschlungen. Du bist mein, rief er, ich habe dich mit meinem Blute erkauft. – Ich drückte ihn an mein Herz; unsre Seelen, nicht unsere Lippen, schwuren sich ewige Treue. Ich trug ihn aus dem Gewühle, seine Leute eilten herbei, und was Liebe und Ergebenheit ersinnen konnte, wurde aufgeboten, um seinen Zustand zu erleichtern. Seine Wunde ist tief, aber nicht gefährlich. Ich lebe um ihn, ich schlafe an seiner Seite, tausend kleine Bande knüpfen uns jeden Tag fester, und mein Herz öffnet sich willig und freudig erhebenden Gefühlen, Aussichten und Planen, die Constantins Verhältnisse, seine Denkart, seine Freundschaft für mich mir in schönerer Zukunft zeigen. In weit umfassenden Entwürfen für die Menschheit verliert sich die Rücksicht auf einzelnen Schmerz, und vor dem lauten Rufe der Pflicht für's Ganze verstummt die Stimme bitterer Erinnerungen, wenigstens in so langen Zwischenräumen, daß der Geist Zeit und Kraft gewinnt, um den Satz deutlich zu erkennen, den man in guten Stunden so leicht ausspricht, und in trüben so schmerzlich zugibt, den Satz – daß Glückseligkeit nicht der Zweck des Einzelnen sey, und seine vielen Entsagungen und geringen Ansprüche darnach einzurichten.

Fußnoten

1 Hierapolis, eine Stadt am rechten Ufer des Euphrats. Die Schlacht, welche hier beschrieben wird, findet sich beinahe mit allen Umständen der wirklich geschichtlichen Personen (Constantin ausgenommen) in dem 13. Kap. von Gibbons Geschichte. Daß ich sie von dem Jahre 296 auf 302 verlegt habe, wird man in einem Romane wohl verzeihen.

2 Geschichtlich.

3 Geschichtlich.

4 Spoilae optimae, wurde die Rüstung des feindlichen Heerführers genannt.

45. Constantin an Eneus Florianus

[35] 45. Constantin an Eneus Florianus.

Hierapolis, im Junius 302.


Vielleicht hat das tausendzüngige Gerücht meinen geehrten Vater, und dich, meinen väterlichen Freund, mit dem Unglücke und der Niederlage unseres Heeres bekannt gemacht, ehe dieser Brief den weiten Raum zwischen den Ufern des Euphrats und der Tamasis zurücklegt. Auf jeden Fall werden die amtlichen Berichte des Diocletian und Galerius meinen Vater schon weitläufig von allen Umständen dieser unseligen Begebenheit unterrichtet haben; ich enthalte mich also aller näheren Beschreibungen. Und die Ursache unseres Unglücks? Die Unzufriedenheit der Offiziere und Soldaten flistert sie sich leise in's Ohr. Ich werde sie Niemand nennen, als meinem Vater und dir, denn nur Ihr kennt mich so, daß natürlicher Widerwille gegen einen heimlichen Feind die Stimme der Billigkeit nicht in mir übertäubt. Ich war Zeuge, Teilnehmer der Schlacht. Nur ein stürmisch heftiges Gemüth, wie Galerius, konnte durch das Andenken an alte Schmach so erhitzt werden, um mit einem ungleich schwächeren Heere und in ungünstiger Stellung anzugreifen. Jetzt bereitet der stolze Perser die schimmernden Gezelte weit diesseits der Gegend aus, wo vor einem Monate die römischen Adler standen. Wir sind am rechten Ufer des Euphrats.

Diocletian, der sich zu Anfang des Feldzugs in Antiochien aufhielt, ist jetzt nach Nikomedien zurückgegangen. Er hat den Cäsar die ganze Schwere seines Zornes fühlen lassen 1. Zu Fuß – im Purpur, der in diesem Augenblick den Stachel des Schimpfes schärfte, mußte [36] der stolze Galerius eine Stunde weit dem Wagen des Kaisers folgen. Es wäre thöricht und anmaßend von einem Jünglinge, das Verfahren verständiger Greise, deren gemeinnützige Klugheit achtzehn glückliche Jahre bewährt haben, laut tadeln zu wollen. Doch kann ich nicht bergen, daß mir diese außerordentliche Bestrafung, die mehr von einem Durst nach Rache, als einer weisen Absicht zu bessern zeigt, nicht in Diocletians gewöhnlichem Charakter zu liegen scheint. Entweder hat ihn seine Kränklichkeit reizbarer gemacht, oder es hat der List und den Ränken gelungen, die langgenährten Funken der Zwietracht endlich in eine helle Flamme ausbrechen zu machen. Galerius ist schlau und stolz genug, um seine Demüthigung mit Gelassenheit zu ertragen, und vor der Welt durch Unterwerfung unter den Willen seines Augustus sie als eine väterliche Züchtigung minder entehrend scheinend zu machen. In ihm kocht Rache und Wuth. Er haßt den Augustus, er haßt auch mich, und ich kann Diocletian eben so wenig lieben, wie er. So stehen wir einander entgegen, Jeder gerüstet, Jeder mißtrauisch, Jeder im Andern seinen Untergang befürchtend.

In solchen Verhältnissen ist der Gewinn eines offenen treuen Freundes größer und bedeutender als je. Ich habe mir einen erworben. Es ist ein junger Nikomedier, den ich im Hause des Bischofs kennen lernte. Sein Aeusseres, der Geist, der sich in seinen Reden zeigte, gewann ihm meine Achtung; jetzt hat im genauern Umgange seine Denkart meine Liebe erworben. Er ist auf dem Wege, ein Christ zu werden, in seinem Kopfe ist Raum für viel umfassende Plane, in seiner Brust Liebe und Muth genug, sie auszuführen. Ich suche ihn an mich zu ketten. [37] Doch wozu dies absichtsvolle Wort? Unsre Herzen finden und verstehen sich von selbst. In der letzten Schlacht hat gleiche Gefahr im Sturm des Gefechts unsern Freundschaftsbund, wie ich hoffe, unauflöslich geknüpft. Er ist mein, ich sage es mit Stolz und Liebe, ich habe ihn mir erworben, und ich glaube in jedem Fall auf ihn zählen zu können.

Noch muß ich meinen Vater und dich um Nachsicht bitten, daß dieser Brief so spät, so lange nach den Gerüchten der Schlacht vor Euch kommen wird. Ich war verwundet, nicht beträchtlich, doch so, daß es mich einige Zeit im Schreiben hinderte. Dieser lange Brief und meine Versicherung sollen Bürge für meine vollkommene Herstellung seyn.

Fußnoten

1 Die Hauptzüge dieser Begebenheit sind ganz nach Gibbon.

46. Agathokles an Phocion

46. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im August 302.


Du wirst erstaunen, mitten im Laufe des Kriegs, wo du mich beim Heere vermuthest, einen Brief von mir aus Nikomedien zu erhalten. Ich bin seit gestern hier, und erwarte alle Augenblicke abgesandt zu werden. Eine seltsame, eine glänzende Reihe von Begebenheiten hat sich in den letzten Tagen zusammengedrängt, und mich aus dem Dunkel meiner Lage hervorgerissen. Dir zu erzählen, wie rasch, wie erschütternd, wie erhebend Alles auf einander folgte, soll die Beschäftigung meiner Muße seyn, während ich in einem Gemache des kaiserlichen Palastes auf meine Abfertigung warte.

Eingedenk der erlittenen doppelten Schmach sann Galerius im finstern Gemüth darauf, durch einen entscheidenden Schlag dem übermüthigen Perser die verspottete [38] Macht der römischen Heere, und dem ungerechten Augustus den Werth desjenigen, den er straflos beleidigen zu können geglaubt hatte, mit nie empfundenem Nachdruck zu zeigen. Er entwarf einen kühnen, aber großen Plan. Menschenleben und Forderungen der Natur kamen nicht in Anschlag: sein Weg ging über sie hin. Durch Sandwüsten und unwirthbare Gegenden führte er das Heer in überstrengten Märschen und erstaunenswürdiger Eile bis in die Gebirge Armeniens, und stand auf einmal weit über und hinter den nichts ahnenden Persern jenseits des Euphrats. Die Erfahrungen dieses Marsches werden mir ewig im Gedächtnisse bleiben. Sie waren hart, aber groß und erhebend. Constantin, kaum von seiner Wunde so weit hergestellt, daß er die Bewegung des Reitens vertragen konnte, Tiridates zu Pracht und Wollust erzogen, selbst Galerius, den Alter und Würde von den größern Beschwerden des Kriegesdienstes freisprach, trugen, duldeten und entbehrten, wie die gemeinsten Krieger. Ihr Beispiel ermunterte das Heer, und willig und muthig folgte der Soldat dem Führer, der nichts vor ihm voraus hatte, als die größere Sorge für die ihm untergebene Schaar. Es war ein römisches Heer, es war eines Imperators, würdig der vergangenen bessern Zeiten, und freudig erhob sich der Geist im Anblick dieser kräftigen Gemüther, dieser Anstrengungen zu einem großen Zweck, dieses Verschwindens kleiner Absichten vor dem gemeinen Wohl. Mit Achtung und Freude sah ich Tiridates handeln, mit Ehrfurcht und Liebe meinen Constantin, mit Bewunderung den betagten Cäsar.

Ein empfängliches Gemüth wird durch solche Beispiele unwiderstehlich hingerissen, und oft erwachen Kräfte in [39] ihm, die er vorher selbst nicht kannte. So groß ist die Macht des Guten und der Tugend! Kundschafter hatten das persische Heer von unsrer Annäherung unterrichtet, es wandte sich uns eilig entgegen, aber es vermuthete uns nicht so nahe. Unbesorgt um eine Gefahr, die sie entfernt glaubten, schlugen sie in der Nacht ihre Gezelte auf, und ruhten von den Beschwerden zweier Tagemärsche aus. Dies hatte Galerius erwartet. Ein Angriff in, der Nacht ist für die Perser eine halbe Niederlage 1. Ihre Pferde stehen abgesattelt, angebunden, sie selbst, mit dem Troß und Geschleppe der Bequemlichkeit und Wollust im Lager überhäuft, können sich nicht frei bewegen. Constantin erhielt den schwersten Posten. Ihm den größten Theil des Ruhms zu lassen, war der schöne Vorwand, unter welchem der Cäsar ihm wenige Stunden vor der Schlacht seine Instruction übergab; vielleicht mochte eine gehässigere Absicht zum Grunde liegen. Beim Einbruche der Nacht nahte sich Constantin schweigend und ernst, wie sie, von einer kleinen treuen Schaar, die er sich selbst erlas, begleitet, dem Lager der Perser. Wir erstiegen den leichten Wall, der es umgab. Niemand hörte uns. Die äußern Wachen fielen lautlos unter unsern Streichen; mit Besonnenheit und Vorsicht drangen wir vorwärts, als jetzt auf zwei Seiten, der Verabredung gemäß, Tiridates und Galerius mit wildem Getöse von Außen das Lager stürmten. Auf einmal war Verwirrung und Lärmen allgemein, und die Perser, die sich nur gegen einen äußern Feind vertheidigen zu müssen glaubten, sahen ihn [40] auf einmal in ihrer Mitte. Die Niederlage war vollkommen. Das ganze Lager, alle seine Schätze, eine Menge Gefangener, und unter diesen die Frauen des Narses wurden unsre Beute. Narses selbst entkam verwundet und nur mühsam den Händen des kühnen Tiridates, der ihn wüthend verfolgte. Erst der anbrechende Tag zeigte unsern ganzen Sieg, die ganze Niederlage der Perser. Aber auch von den Unsrigen waren viele gefallen. Der Tribun der Cohorte, unter der meine Centurie stand, sank an meiner Seite; ich übernahm seine Stelle in der entscheidenden Nacht. Am Morgen gefiel es meinen Gefährten, mich auf dem Wahlplatze zum Tribun zu erwählen. Ihr Zeugniß war ehrenvoll. Constantin erhielt vom Cäsar, den Siegeslust und gestillte Rache milder machten, die Bestätigung dieser Wahl, und den Vorzug für mich, als Siegesbote nach Nikomedien gesandt zu werden.

So bin ich mitten in der vorigen Nacht, wenige Tage nach dem Gefecht, in ununterbrochenem Jagen hier angekommen. Der Kaiser ließ mir befehlen, öffentlich einzuziehen, und schickte eine Abtheilung der Jovianer 2, Offiziere und Soldaten in schimmerndem Schmucke, um mich abzuholen, und zu begleiten. Ich bin kein Freund von öffentlichen Schaustellungen; diesmal indeß benahm die allgemeine Wichtigkeit der Botschaft diesem Auftrag einen Theil seiner Unannehmlichkeit. Ganz Nikomedien hatte sich vor die Thore und in die Straßen ergossen, um [41] den Siegesboten zu sehen; mancher Jugendgespiele, mancher alte Bekannte, den Freude und Neugier herbeigelockt hatte, bewillkommte mich freundlich unter dem frohlockenden Haufen, der dem Augustus und dem siegreichen Cäsar laut zujauchzte. Mein Herz war erweitert und angenehmen Eindrücken geöffnet. Von der Terrasse 3 ihres Hauses begrüßten mich Calpurnia und ihr Bruder. Eine seine Röthe überzog ihr Gesicht, als ich ihren freundlichen Gruß mit Achtung und Freude beantwortete. Mir war wohl, ich gab mich dem schönen Zauber hin, der mich umfing, bis im Palast des Kaisers die orientalische Despotenpracht mein Herz beklemmend einengte. Ich kam von einem römischen Heere, gesandt von einem Imperator, der, würdig der bessern Vergangenheit, nichts als der erste Krieger seines Heeres war – ich war Zeuge, Genosse jener Anstrengungen und Entbehrungen gewesen – und wie eine Last drückte das goldne Getäfel, die schimmernden Wände, die Pracht, die sich um einen Einzigen hier aufthürmte, auf meinen Geist. Die Gegenwart des Proconsuls im Gemache des Kaisers verschaffte mir eine Art von Erquickung. Der Augustus hörte mich gnädig an, und ich muß mir gestehen, daß der durchdringende Verstand, das scharfe Urtheil, die vollkommenen Kenntnisse, die er in diesem Gespräche äußerte, mir unwillkührlich Achtung abzwangen, und mich zum Theil meinen Widerwillen gegen seinen Hochmuth vergessen machten.

Sehr verbindlich erkannte er meine Beförderung zum [42] Tribun an, und fügte noch ein kostbares Geschenk hinzu. Warum mußte er das thun? Warum müssen die Großen jeden Dienst, der dem Vaterland geschah, abzahlen, und mit einem Geschenk, das, wie groß es auch für den Beschenkten seyn mag, dem Geber nichts mehr gilt, als ein Sandkorn, das ihm unbewußt von dem aufgethürmten Haufen seiner Güter herabrollt!

Lucius Piso behandelte mich mit Liebe und Achtung, er lud mich zu sich, ich nahm es gern an, denn außer meinem Vater habe ich ja sonst Niemand mehr in Nikomedien, der an meinem Schicksal Theil nimmt, dem ich Etwas bin – als sein Haus. Mein Vater empfing mich mit großer aber prunkvoller Freude, und bedauerte nur, daß die kurze Zeit meines Aufenthalts ihm nicht gestattete, die glänzendste Begebenheit seines Hauses durch ein Fest zu feiern; doch nahm er sich vor, das Versäumte nächstens nachzuholen. Ich widersprach nicht, und bemühte mich in Allem, was er that und sagte, nichts als die väterliche Liebe zu sehen, die seinen Aeußerungen zum Grunde lag, die nur die Farbe seines Charakters trug. Er war so vergnügt; wie hätte ich ihm widersprechen können? Er liebt mich, und ist das nicht das Beste, das Schönste, was der Mensch dem Menschen geben kann?

Der Proconsul kam mir schon im Atrium mit Calpurnien und seinem Sohne entgegen. In die herzliche Freundschaft ihres Betragens mischte sich eine zarte Achtung, die, statt uns einander fremd zu machen, den Aeusserungen gegenseitiger Zuneigung einen höhern Reiz gab. Die Scheidewand, die Mann und Jüngling trennt, schien heute zwischen dem Vater und mir gesunken, Calpurniens Bruder behandelte mich mit achtungsvoller Freundschaft, [43] und sie – höchst sittsam, beinahe matronenmäßig gekleidet, und in heiterer Gesprächigkeit gleich weit von Ansprüchen entfernt, schien mir ganz liebenswürdig. Ich war vergnügt, und kein Mißton störte die stille Harmonie meiner Seele. Nach Tische entschlüpfte uns Calpurnia unbemerkt. In einer halben Stunde ließ sie uns rufen. Eine junge Sclavin in Nymphentracht führte uns durch mehrere Gemächer und Gallerien bis in einen Saal des Hintergebäudes. Wir traten hinein, eine liebliche Dämmerung und süße Düfte umfingen uns. Am Ende des Saales war eine Art Bühne, blos durch blühende Orangenbäume und Blumengewinde gebildet, und auf eine wunderbare Weise durch Lampen erleuchtet, die selbst verborgen nur durch ihre zauberische Wirkung bemerkbar wurden. Eine angenehme Musik ertönte, und Calpurnia in einem Anzuge, der die ganze Schönheit ihrer Gestalt zeigte, ohne dem strengsten Sittenrichter Anlaß zum Tadel zu geben, schwebte, von Nymphen begleitet, als Venus Urania herein. In einem sinnreichen Tanz drückte sie die Gesinnungen aus, die ihr als dieser Göttin zukamen. Die Nymphen brachten ihr Lilien und Orangenblüthen, sie wand weiße Kränze als Sinnbilder der Unschuld daraus. Mitten in diesen Beschäftigungen ertönte von fern und immer näher und näher dieselbe kriegerische Musik, die mich heute bei meinem Einzuge in die Stadt begleitet hatte, und in dem gleichen Augenblicke gaukelte eine Schaar Liebesgötter aus den Gebüschen hervor. Kränze von Rosen, die sie trugen, Köcher und Pfeile, Schalkheit und Muthwille charakterisirten sie als die Kinder der gewöhnlichen Cythere. Unwillig empfing sie Urania. Sie bedeuteten ihr, was diese Musik anzeige, wer komme, [44] und daß sie dem Zuge entgegen eilen wollten. Urania schien ihr Vorhaben zu mißbilligen, sie zu warnen. Die Knaben eilten achtlos fort, aber nicht lange, so kamen sie – die Kränze zerrissen, Pfeil und Bogen zerbrochen zurück, schienen Uranien zu klagen, wie übel sie empfangen worden waren, und entflohen endlich auf ihr strenges Geheiß. Jetzt sandte sie ihre Nymphen mit den weißen Blumenketten ab, sie entschwebten in einer lieblichen Gruppe, und Venus Urania drückte in einem pantomimischen Tanze ihre Erwartung und Ungeduld, wie diese Sendung aufgenommen werden würde, aus. Auch diese Mädchen kamen traurig zurück, sie hatten ihre Kränze noch unversehrt, aber sie drückten in ernsten mitleidigen Stellungen aus, daß auch ihre Geschenke keinen Eingang in ein traurendes Herz gefunden hatten. Gerührt und mitleidsvoll setzte nun die Göttin sich auf einen Rasensitz und schien nachzusinnen. Plötzlich sprang sie wie begeistert auf, winkte den Nymphen, enteilte mit ihnen, und indeß die Musik des Marsches fortwährte, kam sie, jedes Zeichen der Venus Urania abgeworfen, geharnischt und behelmt, als Göttin Roma 4 zurück. Die Victoria in der Rechten, einen Lorbeerkranz in der Linken haltend, und von ihren Nymphen begleitet, eilte sie gerade auf mich zu, und erhub die Hand, um mir den Kranz aufzusetzen. Ich war betroffen, gerührt, erschüttert, und indeß eine wehmüthige Erinnerung, durch die Pantomime der zurückkehrenden Nymphen erregt, mein Innerstes durchzuckte, schlang so viel schmeichelnde Güte, so viel[45] herzliche Achtung sich tröstend und milde um mein Herz. Aber ihren Kranz konnte nur die Eitelkeit annehmen. Ich wich zurück, ich wollte ihre Hand ergreifen – da umringten mich die Begleiterinnen, und indem ein Chorgesang anfing, der mir sagte, daß nicht die Liebe, nicht die Freundschaft, nur das Vaterland mich lohnen können, und ich starr und wie bezaubert dastand, wand sie mit beiden schönen Armen mir das Lorbeerreis um's Haupt. Nun eilten Vater und Bruder auf mich zu – der Chorgesang erhub sich lauter im Einklange mit der kriegerischen Musik, ich fühlte Thränen in meinen Augen, ein theures verklärtes Bild schwebte freundlich vor mir, und im Gedränge so viel gemischter Empfindungen gab ich mich willenlos dem schönen Eindruck hin, den das Ganze auf mich machte, und der mein Herz nicht verfehlen konnte. Calpurnia ergriff meine Hand, und führte mich an die Thüre, sie öffnete sich, wir standen im Garten, der im Abendschimmer duftend und glänzend vor uns lag. Jetzt erst beim Tageslichte sah ich, wie schön sie im Helm und Harnisch – ein zauberisches Mittelwesen zwischen Venus und Pallas war. Sie behielt ihren Anzug, sie mochte wohl, wissen, warum – übrigens blieb sie sich gleich, heiter, freundlich, anspruchslos, und schien den Sinn ihres bedeutungsvollen Schauspiels ganz vergessen zu haben. Ich konnte das nicht, und so war es mir lange nicht möglich, den Ton zu finden, in welchem ich mit diesem seltnen, gefährlichen und doch achtungswürdigen Wesen sprechen sollte. Eben fing ihre Unbefangenheit an, mir die meine wiederzugeben, als der Befehl des Augustus mich abrief – vielleicht sehr zur Zeit.

Noch diese Nacht reise ich ab, und werde Nikomedien [46] so bald nicht wieder sehen. Ich denke, das muß ich – denn es ist nicht gut, in gewissen Umgebungen viel zu seyn, wenn man beständig weder darin seyn kann, noch will. Was in mir vorgeht, und welchen Eindruck die heutigen Scenen in mir hinterließen, sollst du aus dem Lager hören.

Fußnoten

1 Ebenfalls geschichtlich, so wie die Folgen dieser Schlacht, Narses Verwundung, und der durch den Apharban geschlossene Frieden.

2 Jovianer und Herkulianer waren die Benennungen zweier illyrischen Legionen von geprüfter Treue, welchen Diocletian, um den Uebermuth der Prätorianer zu mäßigen, den Dienst der Leibwachen übertrug.

3 Die Häuser im Orient hatten, und haben noch größtentheils platte Dächer, die in den kühlen Stunden zum Luftschöpfen und Spazierengehen dienen.

4 Rom hatte seine eigene Göttin, der unter diesem Namen Tempel erbaut wurden. Sie wurde verschieden abgebildet, unter andern aber auch mit einer Victoria in der Hand.

47. Calpurnia an Sulpicien

47. Calpurnia an Sulpicien.

Nikomedien, im August 302.


Ich habe einen höchst genußreichen schönen Tag durchlebt, meine liebe Sulpicia! und mein volles Herz drängt mich, meine Freude in den Busen meiner Freundin zu ergießen. So herrlich der Tag war, so lieblich ist sein Abend – und ich habe, um ihn recht mit allen Sinnen zu genießen, mir das Schreibgeräthe auf das platte Dach unsers Hauses bringen lassen, das nach orientalischer Sitte mit Blumen und Orangenbäumen besetzt, einen Garten und recht angenehmen Spazierort für die kühleren Stunden anbietet. Hier sitze ich unter Düften und Blüthen, weiche Lüfte umspielen mich, vor mir liegt die heilige Meeresfluth unermeßlich ausgebreitet, über die der letzte Sonnenstrahl feurig brennende Brücken zieht. Sie selbst glühend, wie vor Freude in den Erinnerungen des schönen Tages, dem sie leuchtete, sinkt hinter den Bergen von Europa hinab, deren dunkelblaue Riesengestalten sonderbar mit den hellen Massen in Luft und Meer kontrastiren.

Um mich her ist ein freudiges Weben und Schwelgen in ruhigem Genusse. Käfer und Mücken tanzen im letzten Sonnenstrahl, oder wiegen sich in Blumenkelchen. Vor den Häusern oder auf ihren Terrassen sitzen die Nachbarn, [47] und wiederholen in traulichem Geschwätz die Freuden des Tages; hier und dort tönt eine Leier, oder ein ferner Gesang durch die Stille. O meine Sulpicia! Warum bist du nicht hier, um das Alles mit zu geniessen! Ja es war ein schöner Tag für mich – für ganz Nikomedien, und du sollst Alles hören, um dich im Widerschein unsers Vergnügens zu freuen.

Schon gestern Abends verbreitete sich ein Gerücht von einem Siege, den Galerius über die Perser erfochten habe. In der Niedergeschlagenheit, die sich seit der letzten unglücklichen Schlacht der Gemüther bemächtigt hatte, war diese Neuigkeit sehr erwünscht, und wurde begierig, obwohl nicht ganz ohne Mißtrauen ergriffen, weil wir leider schon öfters durch falsche Siegeshoffnungen waren getäuscht worden. Desto größer war die Freude, als heute mit anbrechendem Tage, vom kaiserlichen Palaste aus, wohin der Tribun, der die Nachricht gebracht, vorläufige Botschaft gesandt hatte, sich die frohe Bestätigung durch die ganze Stadt verbreitete. Der Tribun bekam Befehl, öffentlich in die Stadt einzuziehen. Die Strassen waren mit einer unzählbaren Menschenmenge bedeckt, deren dumpfes Geräusch, wie des fernen Meeres, und ihr Hin- und Herfluthen mich ergötzte. Ich war auf die Terrasse über unserm Hause gegangen, wo ich jetzt schreibe, und sah dem Schauspiel vergnügt, aber ohne besondre Theilnahme zu. Auf einmal verkündigte ein lebhaftes Geschrei und Jauchzen, der Schall kriegerischer Instrumente und die heftigere Bewegung der Menschenmasse die Annäherung des Siegesboten. Alles schrie: Es lebe Diocletian! Es lebe Galerius! Es war ein Freudentumult, der auch mich unwillkührlich ergriff, mein [48] Herz schneller schlagen, und Thränen der Freude in meinen Augen schwellen machte – es war mir, als sollte ich mitrufen: Es lebe der Kaiser! So ansteckend ist das Entzücken. Jetzt kam der Zug. Voraus ritt eine Schaar ganz gewaffneter und prächtig geschmückter Krieger, hinter ihnen, von Offizieren umgeben, der Tribun im Schmucke seines Ranges. Ich hatte schon vorher von meinen Sclavinnen gehört, daß er sich bei der Schlacht sehr ausgezeichnet, und von seiner Cohorte auf dem Schlachtfelde zum Tribun erwählt worden war; dies machte mich aufmerksamer auf ihn. Es war eine schlanke Gestalt, die sich mit Anstand gegen die grüßende Menge verneigte, aber je näher er kam, je sonderbarer ward mir zu Muthe – ich glaubte bekannte Züge zu entdecken, und – stelle dir meine Ueberraschung, meine Freude vor – es war wirklich Agathokles. Als er an unser Haus kam, sah er sogleich empor. So einnehmend, so froh hatte ich ihn nie gesehen. Sein Gesicht glühte, seine Augen leuchteten vom freudigen Stolze, und doch war eine bescheidne Haltung in seinem Wesen, die den schimmernden Eindruck lieblich mäßigte. Er grüßte mich sehr freundlich, ich beantwortete seinen Gruß mit so viel Achtung und theilnehmender Freude, als sich nur in einen Gruß legen läßt, und ergötzte mich an dem Umsehen, Emporblicken und Flistern der Menge, die dieses Zeichen meiner genauern Bekanntschaft mit dem Helden des Tages aufmerksam gemacht hatte. Nach einer Stunde kam mein Vater vom Augustus zurück, auch er war erfreut über die Auszeichnung, die seinen Gastfreund ehrte. Er rühmte den gütigen Empfang des Augustus, Agathokles bescheidnes kluges Betragen, und kündigte ihn mir als Gast zur Tafel an.

[49] Wie ein Blitzstrahl fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, den heutigen Tag und Agathokles wohlverdienten Ruhm durch ein kleines Fest zu feiern. Gedacht – gethan! Ich ließ meine Mädchen, und die jüngsten Sclaven meines Vaters rufen, ich unterrichtete sie, so gut sich in der Eile thun ließ; unser großer Gartensaal ward zum Schauplatze eingerichtet, und Alles recht hübsch geordnet. Noch vor der Essenszeit zog mich ein Geräusch an's Fenster – er war es. Ohne den Prunk, der ihn zuvor umgeben hatte, zu Fuß, nur von einem Sclaven begleitet, kam er auf unser Haus zu; aber das Volk lief ihm nach, und begleitete ihn mit Freudensbezeigungen bis beinahe in's Atrium. Hier empfingen ihn mein Vater, mein Bruder und ich mit einer herzlichen Freude, in die sich – unwillkührlich etwas Feierliches mischte. Er gab sich, in dem frohen Gefühle, unserer Freundschaft hin; er war heiter, gesprächig, sogar munter. O wie liebenswürdig, wiegefährlich könnte der Mann seyn, wenn er immer so heiter wäre! Nun, zum Glücke für uns arme leichtsinnige Geschöpfe, die nicht so glücklich sind, Larissen zu seyn, kömmt er nicht alle Tage als Siegesbote, und so ist auch keine Gefahr, daß er alle Tage so liebenswürdig seyn wird.

Nach dem Essen entschlüpfte ich unbemerkt, und nachdem Alles veranstaltet war, ließ ich meinen Vater und ihn in den Gartensaal rufen. Auch für meinen Vater war mein kleines Fest eine Ueberraschung, um desto besser gelang es, und ich glaube, daß alle Parteien gleich vergnügt auseinander gingen. Als ich zu Agathokles trat, ihm den Kranz aufzusetzen, sah ich ihn unwillkührlich zurücktreten, und eine brennende Röthe überflog sein Gesicht. [50] Er hielt meine Hand zurück, aber ich ließ mich nicht stören, und während meine Mädchen sich in lieblichen Stellungen schwebend und tanzend um ihn gruppirten, wand ich ihm das Siegeszeichen in die Locken. So stand er bekränzt und betroffen vor mir, und dankte mir mit einem Blicke und Ton, der mir meine kleine Mühe so vergalt, wie ich sie vergolten zu haben wünschte, und – zeihe mich immer heimlicher Listen und Absichten – durch mein Fest vergolten haben wollte.

Wir gingen in den Garten, mein Vater wurde abgerufen, ich blieb allein mit Agathokles. Er war nicht ohne Verlegenheit, das sah ich – es freute mich, und erhielt mir meine ganze Unbefangenheit. Das muß seyn, wenn ich nicht auf der Stelle den erhaltenen Gewinn verlieren, und wieder auf dem Platze mit ihm stehen will, auf dem ich vor seiner Ankunft stand. Er muß zu denken, auszulegen, zu enträthseln haben, wenn ich meine Absicht erreichen will, nicht ich – wir müssen Rollen tauschen. Unsere Unterhaltung war eine Weile einsylbig, dann aber desto lebhafter, und obwohl sie beständig in den Schranken zwangloser Freundschaft blieb, war ich doch ganz wohl mit dem Erfolge des Tages zufrieden, und sah ihn ruhig Abschied nehmen, als er, zum Augustus berufen, dem unwillkommenen Befehl ziemlich unmuthig gehorchte.

So stehen nun die Sachen. Die nähere Beschreibung des Festes, und eine Zeichnung, die ich bis jetzt nur entworfen, und nächstens auszuführen im Sinne habe, bringe ich dir selbst mit, sobald meines Bruders Geschäfte ihm erlauben, mich zu dir zu begleiten. Der Entwurf ist gelungen, ich hoffe, die Vollendung soll es auch werden. [51] Aber nun auch kein Wort weiter. Die Sonne ist längst hinab, und die Dämmerung macht alle Buchstaben vor meinen müden Augen verschwinden. Schlaf wohl!

48. Theophania an Junia Marcella

48. Theophania an Junia Marcella.

Nicäa, im September 302.


Mit welchen Empfindungen, geliebte Freundin! wirst du dieses Blatt in die Hand nehmen, das dir Nachricht von dem Leben, von dem Schicksale eines Wesens gibt, dessen Tod deine Freundschaft seit acht Monaten als gewiß beweint hat? Ja, ich lebe noch! Es hat der Vorsicht gefallen, mein Daseyn auf eine unverhoffte, wunderbare Weise zu erhalten; aber ich würde mich dieser wunderbaren Fügung durch eine Falschheit unwürdig machen, wenn ich sagen wollte, daß ich sie für ein Glück erkenne, und jetzt in dieser Lage, in der ich mich befinde, mein verlängertes Leben für ein wünschenswerthes Gut halte. Ich kann mir die tausenderlei Empfindungen und Fragen vorstellen, die sich aus deinem liebevollen Herzen nach meinen Schicksalen, meiner Erhaltung, meinem jetzigen Zustande hervordrängen; aber da ich sie nicht alle zugleich beantworten kann, so genüge dir indeß zu wissen, daß ich gesund und ruhig bin, daß ich zu Nicäa im Schooße einer sehr rechtschaffenen Familie bei Heliodors Bruder, dem achtungswürdigen Lysias, lebe, und – laß mich nun langsam und ordentlich die sonderbaren Zufälle erzählen, die mein Leben erhielten, und bis jetzt fristeten.

In jener Schreckensnacht, als plötzlich ein gräßlicher verwirrter Lärmen die Bewohner unserer Villa aus dem Schlafe aufschreckte, und Demetrius durch kein Flehen von seinem Vorhaben, sich den Barbaren zu widersetzen, [52] abzubringen, und zur Flucht zu bereden war, sah ich mich, nachdem er alle waffenfähigen Männer mit sich genommen hatte, mit ein paar alten Sclaven und meinen Weibern ganz allein. Mir war diese Lage nicht unerwartet, ich hatte sie vorher sehen können, und war darauf vorbereitet. Ich kann nicht sagen, daß ich sehr erschrocken oder verwirrt gewesen wäre; denn mein Vorsatz war gefaßt. Ich ließ meine Leute zu mir kommen, stellte ihnen die Lage der Dinge vor, und überließ es ihrer Wahl, was sie thun, ob sie den Ausgang des Gefechtes abwarten, oder sich noch in Zeiten retten wollten. Ich selbst erklärte für mich, daß ich bis zum entscheidenden Augenblicke meinen Gemahl und die Villa nicht verlassen, und mich nur in der höchsten Noth durch die Flucht retten würde. Nachdem ich ihnen dieses verkündet hatte, ergriffen Einige die Flucht auf der Stelle, Einige verbargen sich in dem Garten, Einige blieben im Hause, unter ihnen Melyte, die schönste und jüngste meiner Sclavinnen, indem sie, verführt durch allerlei Gerüchte, daß die Gothen nichts weniger als unempfindlich gegen die Schönheit wären, und manches gefangene Mädchen ein glänzendes Glück bei ihnen gemacht habe, nichts befürchtete. Ich versuchte vergebens, ihr die Thorheit dieser Hoffnung begreiflich zu machen; sie beharrte auf ihrem Entschluß, und von allen meinen Leuten blieb nur eine Einzige, die treue Evadne, bei mir. Mit dieser begab ich mich in eines der Gartenhäuser, von wo aus uns im schlimmsten Falle die Rettung auf das Feld, und dann durch Auen und Gebüsche, die ich wohl kannte, bis zu einem eine Stunde weit entlegenen Dorfe offen stand. Wir zogen männliche Sclavenkleider an, steckten einige Kostbarkeiten,[53] und jede ein kurzes Schwert und einen Dolch zu uns, und so harrten wir, betend in banger Erwartung, der Entscheidung unsers Schicksals. Ein alter Sclave gab uns von Zeit zu Zeit Kunde von dem Gefecht, das länger zweifelhaft blieb, als ich Anfangs gedacht hatte. Endlich überzeugte uns die schreckliche Nachricht, daß mein Gemahl mit den meisten seiner Leute erschlagen sey, und nur einige Wenige sich durch die Flucht zu retten suchten, von unsrer drohenden Gefahr. Trotz aller Leiden, die meine Verbindung mit Demetrius über mich gebracht hatte, erschütterte mich sein Tod doch auf's Aeusserste, ich brach in Thränen aus, und wollte auf's Schlachtfeld, zu sehen, oh noch Rettung, noch Hoffnung für ihn übrig war. Meine Leute hielten mich ab, sie stellten mir die Gefahr, ja die Unmöglichkeit des Schrittes vor, sie drangen in mich, zu entfliehen. Ich folgte ihnen zuletzt. Wirent flohen, und kamen glücklich beinahe eine Viertelstunde weit durch das Dickicht fort. Wie mir damals war, kann ich nicht sagen. Tausend schmerzliche Gefühle strebten in meiner Seele empor, aber das mächtigere der gegenwärtigen Gefahr hielt sie alle nieder, und richtete alle meine Gedanken nur auf den einzigen Punkt meiner Rettung. Schon singen wir an einige Hoffnung zu nähren, als plötzlich einige Barbaren, die sich während des Gefechts in der Gegend zerstreut hatten, uns von der Seite überfielen. Flucht war unmöglich; wir suchten uns also zu wehren, so lange wir konnten. Noch begreife ich nicht, woher mir diese Entschlossenheit kam. Es war nicht der Muth der Verzweiflung, denn ich behielt eine ziemlich klare Ansicht meiner Lage; aber ich schreibe sie zuerst der Güte Gottes zu, der ja jedes Wesen [54] mit den zu seiner Erhaltung nöthigen Gaben ausgerüstet hat, und dann, meiner geringen Furcht vor dem Tode. Ich fühlte wohl, daß uns die Barbaren schonten, daß sie uns lebend zu fangen trachteten; das gab mir Zuversicht. Aber was sind weibliche Kräfte, und ein Arm, ungeübt, das Schwert zu führen? Ungeduldig und erzürnt über meinen fruchtlosen Widerstand zückte der Gothe seinen Säbel, und haute nach mir. Ich glaubte den Todesstreich zu empfangen, aber er wollte mich vermuthlich nur wehrlos machen. Sein Streich traf meine Wange, die sogleich heftig zu bluten anfing, und wie ich erschrocken mit der Hand darnach fuhr, entriß er mir leicht das Schwert, an das ich in der Bestürzung nicht gleich dachte. Evadne schrie laut auf, da sie mich bluten sah, und warf ihr Schwert weg, um mir zu helfen. Ich winkte ihr, uns nicht durch übertriebene Sorgfalt zu verrathen; sie schwieg, aber ich sah Thränen in ihren Augen, und dieser Anblick gab mir mitten in meiner traurigen Lage ein angenehmes Gefühl. Jetzt fielen die Gothen über uns her, und banden uns die Hände; aber indeß sie noch damit beschäftigt waren, nahte sich ein zweiter Haufe zu Pferd, an dessen Spitze ein Mann von edlem Ansehen ritt.

Sie sprengten auf uns zu, sie sprachen unter einander, sie sahen uns öfters an, wir konnten sehen, daß wir der Gegenstand ihres Gespräches waren. Endlich näherte sich uns der Anführer, er ließ unsere Bande auflösen, und sagte uns in gebrochenem Griechisch, indem er uns als Knaben anredete, unser Muth hätte ihm gefallen, er wolle uns nicht binden lassen, er traue unsrer Ehrlichkeit, wir sollten ihm zu den Schiffen folgen. Jetzt war Alles verloren, und unser Loos das schlimmste, das [55] uns treffen konnte – Gefangenschaft. Meine einzige Hoffnung, meine einzige Rettung bestand noch in dem Dolche, den ich auf's sorgfältigste zu verbergen mich bestrebte. Man führte uns zu den Schiffen. Der ziemlich weite Gang, die kalte Luft hatten die Schmerzen meiner Wunde sehr vermehrt. Der edle Fritiger, so hieß der Anführer, sah mir meine Leiden an. Er ließ den Zug bei einer Quelle halten, ein bejahrter Gothe trat auf seinen Befehl hinzu, wusch meine Wunde, legte Kräuter, die er bei sich trug, darauf, und verband sie, so gut es Eile und Ort erlaubte. Ich fühlte bald einige Linderung, und mußte die Güte der Vorsicht bewundern, die diese Wilden in den rohen Erzeugnissen der Natur einfache Heilmittel finden läßt. Wir bestiegen die Schiffe – ach, und wie die Morgenröthe anbrach, sah ich die geliebten Ufer der Heimath schon ziemlich fern in Nebeln sich verlieren. Bei diesem Anblick brachen meine Thränen heftig hervor, und das ganze Gefühl meines Unglücks, die ganze Uebersicht Alles dessen, was ich verlor, und die Schrecken, die meiner warteten, fielen auf einmal auf mich. Ich glaubte zu vergehen. Zweimal zuckte meine Hand nach dem Dolch – zweimal hielt mich blos der Gedanke an die Unrechtmäßigkeit des Selbstmordes ab. Doch blieb der Entschluß fest, ihn zu brauchen, sobald mein Geschlecht entdeckt und meine Ehre in Gefahr seyn würde. Dann hielt ich das letzte Rettungsmittel für erlaubt. Zwei Tage vergingen in diesem trostlosen Zustande auf dem elenden Kahn, der uns, unbegreiflich genug, dennoch über den unsichern Euxin trug. Am dritten Abend erschien uns die westliche Küste. Jetzt erwachten alle meine Schmerzen, welche Ergebung in den Willen der Vorsicht, und das [56] Mitleid unsers edelmüthigen Gebieters etwas besänftigt hatten, wieder. Ich war so erschüttert, daß ich schwankte. Fritiger sah meine Schwäche, er nahm mich wie ein Kind auf den Arm, und trug mich an's Land. Hier sprach er mir von Neuem Trost ein. Er sagte mir, daß ich ihm angehörte, daß ich sein Sclave sey, daß er mich aber recht gut halten wollte, wenn ich es verdiente. Aus seinen männlichen Zügen sprach nichts Grausames, aus den großen blauen Augen sogar Güte. Er war nun das einzige Wesen auf der Welt, dem ich angehörte, das an mir Theil nahm, das mich schützen konnte. Ein Grauen überlief mich, aber ich sah die Nothwendigkeit ein, mich in mein Geschick zu ergeben; ich gelobte ihm Gehorsam und Treue, und bat ihn um Geduld. Er versprach mir, väterlich für mich zu sorgen. Der Zug ging dem Walde zu, aus dem uns bald mit lautem Freudengeschrei ein großer Haufe von Weibern und Kindern entgegeneilte, die Zurückkehrenden zu empfangen. Eine Art von Freude strahlte in meine Seele, als ich eine schöne große Frau von mittleren Jahren, und drei sehr wohlgebildete Mädchen, deren ältestes etwa fünfzehn Jahr alt seyn mochte, auf meinen Gebieter zueilen, und ihn als Gemahl und Vater bewillkommen sah. Er stellte ihnen seine beiden Sclaven vor, und ich sah wohl, daß Evadne, die einem ganz hübschen Jüngling glich, die Aufmerksamkeit und Theilnahme Gisella's, des ältesten Mädchens, auf sich gezogen hatte. Dort nahm man uns Beide gütig auf, und wir kamen bald zu den Wohnungen des Stammes und in Fritigers Hütte.

Wie diese Hütte aussah, wie hier jede Bequemlichkeit fehlte, an die der Bewohner des gebildeten Landes gewöhnt [57] ist, und welche Leiden und Entbehrungen uns daraus entsprangen, wäre überflüssig zu schildern, du kannst es dir vorstellen. Doch die stille unwiderstehliche Gewalt der Gewohnheit machte uns zuletzt auch diese Beschwerlichkeiten erträglich. Ich lernte hier unter diesen einfachen Menschen einsehen, wie wenig die Natur bedarf, wie viele Lasten uns unsre Bedürfnisse auferlegt haben, und in der Denkungsart und Behandlung unsrer Gebieter fanden wir Trost und Erleichterung. Ach, meine Liebe! wir schelten diese Menschen Barbaren, und ich habe Tugenden und Gefühle unter ihnen angetroffen, die wir in der gebildeten Welt bald nur dem Namen nach kennen werden. Ihre Sitten sind rauh, aber einfach, ihre Gefühle heftig, aber wahr, und in diesen starken unverdorbenen Gemüthern ist Großmuth, Treue, Aufopferung und Liebe bis zum Tod keine bewundernswürdige Seltenheit. Ihre meisten Fehler sind Folgen ihres einsamen Zustandes, ihres Mangels an Beschäftigung. Die Frauen besorgen den Haushalt, der Männer einziger Beruf ist Jagd und Krieg, und in den vielen müßigen Stunden, die diese Lebensart mit sich bringt, verfällt der Geist, der doch immer thätig seyn will, auf gefährlichen niedrigen Zeitvertreib. Spiel und Trunk füllen diese Stunden aus, und da in diesen großen kräftigen Gemüthern jede Neigung bald zur Leidenschaft wird, so fallen hierdurch oft schreckliche empörende Auftritte vor. Das sind aber auch die einzigen Laster, die wir ihnen mit Recht vorwerfen können. Sonst beschämen sie uns in den meisten Tugenden, und wahrlich, die Frauen hätten vor Allem Ursache, die Sitten dieser sogenannten Wilden zu preisen. Ihre Weiber sind nicht, wie beinahe [58] im ganzen Orient, Sclavinnen der Männer, oder höchstens ein Spielwerk, mit dem sie tändeln, so lange es ihren Augen gefällt. Die Frau des gothischen Kriegers ist seine Freundin, seine erste Vertraute, die Theilnehmerin aller seiner Entschlüsse, oft seine Begleiterin in der Schlacht. Dort darf sie hinter dem Treffen seiner harren, sie verbindet seine Wunden, sie trocknet den Schweiß von seiner Heldenstirn, sie theilt seinen Ruhm, oder stirbt mit ihm, wenn er fällt, um seinen Verlust und ihre Freiheit nicht zu überleben. Ach wie oft habe ich mir in jenen ängstlich schönen Zeiten, als das Heer bei Edessa und Nisibis stand, ein solches Verhältniß geträumet, ohne zu ahnen, daß es schon wirklich irgendwo vorhanden sey! Wenn ich damals mit gedurft hätte – wenn ich ihn hätte begleiten, seine Lanze tragen, meine Brust zu seinem Schilde machen, sein Blut mit meinem Schleier stillen dürfen – ich würde nicht gezittert haben, alle weibliche Furchtsamkeit wäre vor dem Gedanken entwichen, bei ihm zu seyn, und ihn zu schützen. Eitle Wünsche! Damals gebot die Pflicht – und jetzt – – Doch ich will meiner Erzählung nicht vorgreifen.

Die Güte, womit wir behandelt wurden, die Strenge und Reinheit der Sitten, in Absicht auf den Umgang der beiden Geschlechter, die ich unter diesem Volke herrschend sah, und vor Allem Gisella's Empfindungen gegen Evadne, die durch die fortgesetzte Täuschung immer lebhafter wurden, bewogen mich, der Mutter unser Geheimniß zu offenbaren, und ihr zu sagen, daß wir Frauen wären. Man nahm diese Entdeckung mit Erstaunen, aber ohne Widerwillen auf, und die Sorgfalt, die man von dem Augenblicke an für unsere strenge Absonderung von [59] den männlichen Bewohnern des Hauses, und für angemeßne Kleidung trug, zeigte mir, wie zweckmäßig dieser Schritt war, und wie wenig wir in dieser Hinsicht zu fürchten hatten. Ich lebte nun ziemlich ruhig, aber in tiefer Schwermuth fort. Die Trennung von allen meinen Lieben, die mannigfaltigen Beschwerden meiner Lage, und die wenige Hoffnung auf eine Aenderung beugten mich tief.

So verging der Winter, dessen Macht ich hier erst mit Schrecken und mit körperlichem Schmerz kennen lernte, als ich den tiefen Schnee die ganze Gegend unwegsam machen, und die großen breiten Ströme, von Eis gefesselt, starr und still stehen sah. Indessen fand mein Gemüth auch in diesen rauhen Tagen eine Beschäftigung, an der es mit Liebe und Zufriedenheit hing. Ich lehrte meine Hausgenossinnen allerlei Arbeiten, Vortheile und Annehmlichkeiten des Lebens und Haushalts kennen, ich und Evadne wurden ihre Meisterinnen, und bald sah ich die unwiderstehliche Macht der höheren Bildung über rohe aber unverdorbene Gemüther. Wir bekamen immer mehr Schülerinnen aus den benachbarten Hütten. Sie, die befehlen konnten, horchten begierig auf unsern Unterricht, sie ehrten uns wie bessere Wesen, und hätten sich unsere Befehle gefallen lassen, wenn der Wunsch zu gebieten in meiner oder Evadnens Brust gelegen hätte. Aber wenn ich auch ihren Gehorsam nicht verlangte, so war es mir doch ein süßes Gefühl, Gutes unter ihnen verbreitet, und schönen Saamen ausgestreut zu haben, der noch in später Zukunft Früchte tragen könnte. Du wirst es mir für keine Eitelkeit auslegen, wenn ich dir sage, daß uns mehr als ein Antrag von gothischen Jünglingen, ja von [60] einigen ihrer ersten Heerführer gemacht wurde. Eben so leicht wirst du mir auch glauben, daß es mich weder Ueberwindung noch Ueberlegung kostete, sie auszuschlagen. Bei Evadnen, deren freies Herz sie nicht nach dem Vaterland zurückzog, deren Stand ihr manche Härte ihrer jetzigen Lage erträglicher machte als mir, gelang es dem edlen tapfern Kattwald besser. Er ist Fritigers Neffe, und wahrlich, ich habe wenig schönere Männer gesehen, als diesen hohen, beinahe riesenmäßig gebauten Jüngling, mit seinen dunkelblauen Augen und seinem goldnen Gelocke. Er warb um sie, und sie gab ihm nach der Neigung ihres Herzens, nach dem Rath der Familie, und nach meinem eignen ihre Hand.

Jetzt war der Frühling gekommen, der tiefe Schnee und das Eis der Flüsse schmolz zu einem unendlichen Gewässer, das fürchterliche Verheerungen in der Gegend anrichtete, und in mir die Sehnsucht nach dem schönen Himmel meines Vaterlandes, nach Allem, was dort lebte, mit solchem Schmerz erregte, daß ich manchmal wirklich vor Sehnsucht zu sterben fürchtete. O meine Liebe! Wie schwach, wie thöricht war ich! Ich fürchtete mich zu sterben; denn trotz aller Hindernisse nährte ich die Hoffnung der Rückkehr, der jetzt schuldlosen ewigen Vereinigung mit dem Freunde meiner Jugend. Das Leben war mir lieb geworden – um seinetwillen! Ich zitterte vor dem Gedanken, es jetzt zu verlieren, und in diesem wilden Lande, einsam, von ihm geschieden, zu sterben.

Die Wasser verliefen, die Gegend stand im Frühlingsschmuck, die Wege wurden wieder gangbar, und mit ihnen kam uns Kunde, daß Fremde – Christen, Griechen [61] in der Nachbarschaft wären. Den Eindruck, den mir diese Nachricht machte, kann ich dir nicht beschreiben. Ich ward krank vor Freude, denn die entzückende Hoffnung, daß sie um meinetwillen, mich zu suchen, da waren, daß Er unter ihnen sey, brachte mich fast außer mir. Immer hatte ich diesen heimlichen Wunsch gehegt, und ihn, was auch meine Vernunft dagegen einwenden mochte, nie aus dem Sinne verlieren können. Daß es noch nicht geschehen war, schrieb ich der Jahreszeit, und den Stürmen des Meeres zu. Diese schöne Täuschung verschwand bald, aber es blieb noch Stoff genug zur Freude für mich. Es waren Griechen, Landsleute, dieselben, von denen du mir nach Trachene geschrieben, die aus dem frommen Endzwecke, das Christenthum zu verbreiten, sich in diese rauhen Gegenden, unter dieses barbarische Volk gewagt hatten. Die Mühseligkeiten und Gefahren, die sie auf ihren Pilgerfahrten ausgestanden, die Standhaftigkeit, mit der sie Alles ertrugen, der Eifer, mit dem sie ihre Bequemlichkeit, ihr Leben wagten, rührte mich tief, und flößte mir heilige Ehrfurcht vor ihnen ein. Auch waren sie schon so glücklich gewesen, schöne Früchte ihrer Bemühungen zu sehen. Die einfachen Lehren des Christenthums hatten Eingang in die unverdorbenen Herzen gefunden, und die Milde, womit diese frommen Männer ihre neuen Schüler in den Lehren der Religion sowohl, als manchen nützlichen Arbeiten und Künsten unterrichteten, gewann ihnen die Liebe derselben. Sie hatten Ackergeräthe, Handwerkszeug, Sämereien mitgebracht. Sie machten ihnen den Nutzen dieser Dinge, den großen Vortheil des Ackerbaues, und einer steten Lebensart einsehen, und schon waren [62] hie und da kleine Gemeinden errichtet, die dichten Wälder, die dieses Land in feuchte kalte Schatten hüllen, stellenweise niedergehauen, und das frische Erdreich mit nützlichem Saamen gebaut, den die Hand der neuen Christen unter feierlichem Gebete und Segnungen ihrer ehrwürdigen Lehrer in frommem Vertrauen ausgestreut hatte. Man kündigte auch uns ihren Besuch an, und eine entzückende Hoffnung auf Rettung durch sie, und Rückkehr in mein Vaterland durchdrang mein gebeugtes Gemüth, und machte mich unaussprechlich froh. Sie kamen an, es war Heliodor mit noch zwei Gefährten. Nie werde ich den Eindruck vergessen, den der Anblick der Landsleute, der Ton der Muttersprache aus ihrem Munde auf mich machte. Fritiger nahm sie mit Achtung und Liebe auf. Ihr Geschäft gelang auch hier zum Verwundern gut. Ich hatte das himmlische Vergnügen, die Familie meines Wohlthäters in den Bund der Christen angenommen, und so den Keim zu tausend künftigem Guten in diesen Gegenden empor wachsen zu sehen.

Heliodor war seinerseits nicht wenig erstaunt, mich hier zu finden. Ich entdeckte ihm mein Schicksal, und bat ihn, mich zu retten, und zu den Meinigen zu bringen. Er versprach zu thun, was er vermöchte; denn er war ohnedies entschlossen, bald nach Bythynien zurück zu kehren, dem Bischof Nachricht von dem Fortgang seiner Unternehmungen zu geben, und ihn um Unterstützung in seinem Geschäfte, und um mehrere Gefährten zu bitten. Er trug Fritigern meine Bitte vor. Ich hatte nicht den Muth dazu, denn ich wußte wohl, daß man mich nicht gern ziehen lassen würde. Was ich gefürchtet hatte, geschah. Des Gothen ganze Wildheit brach ungestüm hervor, [63] als man ihm von dem Verluste einer Person sprach, an die er sich mit Liebe gewöhnt hatte. Heliodors unwiderstehlicher Beredtsamkeit, seinem ehrwürdigen Ansehen gelang es endlich, das stürmische Gemüth zu besänftigen; er hörte ihn gelassener an – aber mich fort zu lassen, dazu war er auf keine Weise zu bewegen. Er ließ mich rufen, er schalt, er drohte, endlich bat er mich mit Thränen, ihn nicht zu verlassen. Ach, das war ein harter Kampf! Es gehörte alle Macht treuer Liebe dazu, um hier zu widerstehen. Ich weinte heftig, ich sank vor ihm nieder, küßte seine Hand, wie die eines Vaters, und wahrlich mit denselben Empfindungen; ich schilderte ihm Alles, was ich in meinem Vaterlande zurückgelassen hatte, was meiner wartete, ich sprach endlich seine eigne Vaterlandsliebe an, ich bat ihn, sich an meine Stelle zu setzen, und für mich zu entscheiden.

Er stand eine Weile stumm – dann sagte er mit heftigem, aber nicht rauhem Tone: »Geh hin; ich weiß, du kannst hier nicht glücklich seyn, aber wir können dich auch nicht vergessen.« Ich ergriff seine Hand, drückte sie an mein Herz, und wollte ihm danken. In dein Augenblicke sagte Heliodor etwas von dem Lösegelde, das er für mich bestimmen sollte. Ich hatte vorher mit Heliodor darüber gesprochen, und dabei auf die kleinen Schätze, die ich und Evadne gerettet und bisher verborgen hatten, und falls diese nicht zureichen sollten, auf deine und meines Jugendfreundes Reichthümer und Liebe gerechnet; aber ein geheimes Gefühl erlaubte mir nicht, dieses Anerbietens in diesem Augenblicke zu erwähnen. Heliodor that es doch, und Fritiger fuhr wild empor. Zorn sprühte aus seinem Blick, er entriß mir seine Hand, und stieß [64] mich unsanft weg: »Was denkst du,« rief er entrüstet, »was wagst du mir anzubieten? Ich kann dich frei lassen, ich kann dich verschenken – verkaufen werde ich dich nie. Geh in dein Vaterland zurück, weil du nicht mehr bei uns bleiben willst, und sage deinen Landsleuten, daß uns Barbaren das, was wir lieben, nicht um Gold feil ist.« Er wandte sich rasch weg, und wollte sich entfernen. Ich eilte ihm nach, ich ergriff seine Hand, ich küßte sie, ich beschwor ihn, mich nicht im Zorn zu entlassen, mir zu sagen, daß er mir vergebe, und mir eine Schuld nicht anzurechnen, die ich nicht begangen hatte. Er blieb stehen, sah mich ernst, aber ohne Zorn an, drückte mir endlich die Hand und sagte: »Du bleibst doch meine Tochter, wenn du auch jenseits des Meeres wohnen wirst.« Ich gelobte es ihm, ja ich gelobte ihm sogar, wenn ein widriges Schicksal meine Hoffnungen zerstören, wenn ich in meinem Vaterlande nicht glücklich werden sollte, zu ihm und seiner Familie zurückzukehren. Und bei Gott, Innia! es scheint, ich werde dieses Versprechen halten!

In den wenigen wehmüthig frohen Tagen, die wir noch mit einander zubrachten, wurden alle Anstalten zu unserer Abreise gemacht. Fritiger und sein Neffe Kattwald besorgten uns ein Schiff, und die geschicktesten Ruderer, die sie unter ihrem Stamme fanden. Evadnens Herz wurde in seltsamen Widerspruch aufgeregt, als sie hörte, daß ich mit Heliodor nach unserm gemeinschaftlichen Vaterlande zurückkehren würde; aber der Gedanke an ihren Gatten besiegte jeden Zweifel, machte jeden Wunsch verstummen. O was kann ein Weib nicht dem geliebten, dem liebenden Manne aufopfern! Er wird [65] ihr Vater und Mutter, Heimath und Vaterland, und wo er ist, findet sie ihr Glück. Welche Hoffnungen, welche Auftritte schwebten nicht vor meinem Blicke? Was habe ich nicht für Scenen geträumt? Ach, ja wohl geträumt!

Unter sehr gemischten, aber doch meist frohen Empfindungen sah ich den Tag der Abreise sich nähern. Er kam; ich schied mit heißen Thränen von meinem gütigen Gebieter, von seiner Familie, von meiner treuen Evadne. Nicht allein Fritigers Haus, alle Nachbarn, sogar manche fern wohnende Familien kamen, uns noch einmal zu sehen, mich, die sie gekannt und geliebt, und den würdigen Priester, den sie als einen Gottgesendeten Lehrer verehrt hatten. Er versprach ihnen, bald wieder zu kommen, und Fritigern und Evadnen Nachricht von mir zu bringen. Am Ufer knieete ich vor Fritiger und seiner Gemahlin nieder, und bat sie um ihren Segen. Sie gaben ihn mir im Namen des Gottes, den sie durch Heliodor hatten kennen gelernt. Nun stiegen wir in's Schiff, und nach einer ziemlich ängstlichen Fahrt an den Küsten des Euxin herab in einem schlecht gebauten Kahn, und mit gothischen Ruderern, langten wir in Byzanz an.

Hier sandten wir unsre Schiffer zurück, so reich beschenkt, als ich es vermochte, und mit tausend dankbaren Grüßen an unsre Freunde. In der Stadt bat ich Heliodor, mir sogleich Alles zu verschaffen, was nöthig war, um wieder anständig unter gebildeten Menschen zu erscheinen. O meine Liebe, welchen zauberischen Reiz gibt lange Entbehrung den gemeinsten Dingen! Wie wenig erkennen wir den Werth unserer Bequemlichkeiten beim alltäglichen Gebrauche! Mit wahrer Wollust hüllte ich [66] mich in die gewohnten Gewänder, ordnete mein Haar, und genoß in dem einfachen Anzug eine Befriedigung, die mir nie der kostbarste Putz verschafft hatte. Aber dennoch sah ich in dem ersten Spiegel, der seit acht Monaten mein Gesicht zurück strahlte, mit einigem Schrecken die Veränderung, die das rauhe Klima und eine ziemlich tiefe Narbe auf meiner Wange hervorbrachte. Ich war nie schön – ich hatte diesen Vorzug an Andern wohl erkannt, aber nie bei mir vermißt – ich war ja auch ohne ihn von dem Freund meiner Jugend geliebt, von einem würdigen Gemahl geachtet worden. Jetzt flößte mir doch die große Veränderung eine Art von Aengstlichkeit ein, und mit zitternder Zuversicht, die dieser Empfindung einen neuen innigen Reiz gab, hoffte ich auf die unwandelbare Treue, auf die edle Denkart meines Freundes. Wir fanden ein segelfertiges Schiff im Hafen, das nach Chalcedon bestimmt war, und landeten glücklich an der vaterländischen Küste.

Doch mein Brief ist unmäßig lang – ich verspare die Erzählung der ferneren Begebenheiten, und meiner jetzigen Lage auf einen zweiten. Leb' wohl!

49. Theophania an Junia Marcella

49. Theophania an Junia Marcella.

Nicäa, im September 302.


Bis zu meiner Ankunft an der Küste von Bythynien war ich im ersten Briefe gekommen. – Mit Wonneschauer, mit einem Entzücken, das mir bisher unbekannt gewesen war, betrat ich den geliebten Strand, wo ich Alles zu finden hoffte, was mein Leben zur Himmelsseligkeit erhöhen, mir voller Ersatz für so viel freudenlose Jahre seyn sollte. Ich war frei, keine Pflicht hinderte [67] mich mehr, schuldlos dem süßen Zuge zu folgen, der, seit der Kindheit in mein Wesen verwebt, mir zur theuern Gewohnheit, zur zweiten Natur geworden war. Heliodors Jahre und seine strengen Grundsätze, die jede heftigere Neigung für ein Geschöpf als sündlich, als unserer höhern Bestimmung zuwider verdammten, hielten mich ab, ihm meine Empfindungen zu entdecken. Ich ehrte seine Grundsätze, weil ich ihren Ursprung in einem vom Irdischen abgezogenen Gemüth erkannte, weil ich einsah, daß nur solche Gesinnungen ihm die heilige Achtung für Alles einflößen konnten, was er für Pflicht hielt, daß er nur durch sie fähig war, das Apostelamt bei barbarischen Völkern zu übernehmen, jede Bequemlichkeit des Lebens, und das Leben selbst für gering zu achten. Ich verschloß meine Freuden, mein süßes Geheimniß in meiner Brust, und genoß sie vielleicht um desto inniger. Mein Vorsatz war, sogleich nach Nikomedien zu gehen, wo ich Agathokles selbst, oder doch Nachricht von ihm zu finden hoffte. Wir nahmen Pferde, und auf mein dringendes Bitten einen Sclaven zur Begleitung. Heliodor war mein Vater, ich seine Tochter, die Wittwe eines Kaufmanns aus Byzanz. So machten wir uns auf den Weg. O welche glänzenden, entzückenden Bilder malte mir nicht meine Phantasie? Welche frohen Geschichten erzählte ich mir nicht in den vielen stillen Stunden unserer Reise? Ich wußte, daß Synthium, Agathokles Landgut, an der Straße von Chalcedon nach Nikomedien liegt. Der Gedanke, dahin zu gehen, ihn vielleicht dort zu treffen, wenn er im düsteren Schatten seiner Gärten schwermüthig ging, und manches Bild einer bessern Vergangenheit vor seinen Blicken schwebte, ihm dann zu begegnen, und wenn er [68] erstaunt zurückbebte, an seine Brust zu sinken, und ihm zu sagen, daß wir glücklich, daß wir vereinigt wären – dieser Gedanke, diese Aussichten machten mein Herz vor Freude zittern, und so näherten wir uns den waldigen Hügeln, hinter denen es verborgen liegt. Heliodor'n wagte ich nicht, meinen geheimen Wunsch zu entdecken, ich gab eine große Ermüdung vor, und bat ihn, weil der Abend einbrach, in dem Dorf, das vor uns lag, zu übernachten. Wir ritten langsam die Straße hin, und schon sah ich das Dach des Hauses freundlich zwischen dunkeln Pinien hervorblicken. Ein Theil des Gartens erstreckt sich bis an den Weg, gegen welchen er sich in ein großes Gegitter endigt, das die Aussicht auf die Straße und die Gegend umher gewährt. Das wußte ich noch recht wohl, und freute mich, Alles so zu finden, wie es in den guten Tagen meiner ersten Jugend gewesen war. Wie wir uns dem Garten näherten, sah ich zwei Frauenzimmer in häuslicher Tracht, die aber trotz ihrer Einfachheit Reichthum und hohen Stand verrieth, Arm in Arm den Platanengang herabwandeln. Das Gitterthor war offen, unser Anblick hatte sie herbeigezogen, sie traten heraus. Es waren zwei vollkommen schöne Gestalten; die Eine schlank und majestätisch gebaut, mit dunkeln Augen und Haaren, schien älter, und ein Zug von Kummer in dem blassen Gesichte machte sie mir lieber, als ihre jüngere Gefährtin, die in der Fülle der Jugend und Schönheit neben ihr stand. Die Erscheinung befremdete mich. Eine unangenehme Empfindung bemächtigte sich meiner. Hatte Agathokles das Landgut verkauft? Wohnte er nebst diesen schönen Frauen hier? Mein Herz schlug ängstlich. Jetzt hatten auch sie uns erblickt, und grüßten uns freundlich. [69] Ich sandte den Sclaven ab, um mich bei ihnen zu erkundigen, wem die Villa gehöre, und ob wir im Dorf eine Nachtherberge finden könnten. Der Sclave kam bald zurück, und brachte die Antwort, die Villa gehöre einem kaiserlichen Tribun, im Dorfe würden wir keine anständige Unterkunft finden; wenn wir ihnen aber das Vergnügen machen wollten, bei ihnen zu bleiben, so würden sie sich bemühen, uns einen erträglichen Aufenthalt für diese Nacht zu verschaffen. Das Zuvorkommende dieser Einladung, noch mehr aber die Begierde hier klar zu seyen, trieb mich an, das Anerbieten anzunehmen, trotz manches Widerspruchs meines Begleiters, der gegen die schönen geschmückten Frauen, gegen den hohen Wohlstand, den hier Alles verrieth, Manches einzuwenden hatte. Mein unseliger Vorwitz siegte. Ach was sollte ich erfahren! Wie bitter wurde meine Falschheit gegen Heliodor, die Absichtlichkeit meines ganzen Betragens gestraft!

Wir stiegen ab. Die Frauen empfingen uns sehr freundlich, man erkundigte sich nach unsrer Reise, und mit vieler Feinheit nach unsern Umständen. Wir erzählten, was wir bereits verabredet hatten. Mein Mann war in Byzanz gestorben, ich ging nach seinem Tode mit meinem Vater nach Nikomedien zurück. – Unsere wahre Geschichte hätte viel unglaublicher geklungen, als diese gewöhnliche Erdichtung. So kamen wir in den Garten. Ach, tausend Erinnerungen wehten mich aus den Wipfeln dieser Bäume an, bei jedem Schritte dachte ich den Eigenthümer des Gartens aus einem Gebüsche hervortreten zu sehen – die theure Gestalt zu erblicken, die stets vor meinen Augen schwebte! Wir setzten uns, das Gespräch fiel bald auf die Neuigkeiten des Tages; es wurde vom [70] Kriege, von des Cäsars letztem Siege, von den Hoffnungen des armenischen Prinzen Tiridates, dessen Ansprüche der Hof von Nikomedien so thätig unterstützte, gesprochen. Heliodor nahm eifrig Theil an diesen Nachrichten, das Gespräch wurde lebhaft. Die schöne junge Person lächelte ihre ältere Freundin schalkhaft an, und ein angenehmes Lächeln, das den trüben Blick dieser zweiten erhellte, zeigte mir, daß des Prinzen Schicksal sie nahe anging. Bald hörte ich auch ihren Namen. Es war Sulpicia, jene Römerin, von deren unglücklichen Leidenschaft mir Agathokles öfters erzählt hatte. Wie sie aber nach Bythynien und auf diese Villa kam, war mir unerklärlich. Heliodor, der noch einige Anstalten für unsre Reise zu machen hatte, entfernte sich jetzt. Sulpicia bat ihre Freundin, ihn zu begleiten, und Alles zu besorgen. Komm dann bald wieder, liebe Calpurnia, rief sie ihr freundlich nach – Calpurnia! Wie ein Blitzstrahl wirkte dieser Name auf mich, mein Blut stand still – ich war unvermögend, mich zu regen oder ein Wort zu sprechen. Erst, als der gefürchtete Gegenstand schon weit von uns war, erwachte ich aus meiner Betäubung. Also Calpurnia hier – auf dieser Villa! Schwankend wie die Erinnerung eines Traumes, kam mir nach und nach die Besinnung, daß ich von dir erfahren hatte, Calpurnia sollte mit ihrem Vater nach Bythynien kommen. Und sie war hier – sie lebte auf dieser Villa – als was? als was anders als die Braut – vielleicht die Gattin des Besitzers! Was in mir vorging, als diese Entdeckungen langsam, aber deutlich sich aus meinen verworrenen Gedanken entwickelten – o der Tod kann nicht bitterer seyn, als diese Gefühle! Darum war also bei der Ungewißheit [71] meines Schicksals auch nicht Eine Nachforschung nach mir, nicht Ein Versuch zu meiner Rettung gemacht worden!

Sulpicia war bei mir zurückgeblieben. Die Sonne sank hinter den Bergen hinab, ihr letzter Strahl brach durch das Gebüsch, und malte Alles um uns mit glänzendem Gold. Ich saß verloren in schmerzlichen Gefühlen, und hörte nur halb, was Sulpicia von der Stille und Schönheit des Abends sprach. Ich muß ihr nichts geantwortet haben, denn sie legte endlich die Hand auf meinen Arm, und sagte mit unbeschreiblich gütigem Tone: Du scheinst auch nicht glücklich zu seyn, liebe Fremde! Ich fuhr empor – ich sah sie starr an, ihr Auge wurde feucht, und meine Thränen brachen hervor. O, ich habe viel – viel verloren – rief ich erschüttert. »Das glaube ich. Verlust von dieser Art – sie deutete auf mein Trauerkleid – wird selten oder nie verschmerzt.« Ich war froh, so mißverstanden zu werden, ich ließ meinen Thränen freien Lauf, Sulpicia verstand mich, ohne mich zu ergründen; ich fand eine Art von Beruhigung in ihrer zarten Theilnahme. Ach sie weiß auch, was ein zerrissenes Herz ist!

Die Sonne war jetzt hinunter, Calpurnia kam hüpfend zurück, und ermahnte ihre Freundin, bei der sinkenden Dämmerung ihre Gesundheit zu schonen und in's Haus zu gehen. Wir standen auf. Im Hineingehen betrachtete ich diese reizende Gestalt recht aufmerksam. O sie schien mir jetzt, da ich wußte, wer sie war, noch schöner, noch verführerischer! Jede Bewegung war Anmuth – Wohllaut möchte ich sagen, jedes Wort bedeutend, jeder Blick siegreich. Als wir in einen Saal zu ebener Erde [72] traten, nahm sie mich auf eine muntere Art bei der Hand, und zog mich fort, um mir mein Schlafgemach zu zeigen. Es war ein niedliches kleines Zimmer, mit allen Bequemlichkeiteen des Wohlstandes, ohne Pracht versehen, und mit der Aussicht in den wildesten Theil der Gärten. Ein Spiegel an der Wand zeigte mir plötzlich, ich kann sagen, mit Schrecken, unsre beiden Gestalten, Calpurnia blühend, jugendlich, mit den siegreichen Blicken, den glänzend braunen Locken, die künstlich geringelt um die weiße Stirn, die rosigen Wangen, den blendenden Nacken flatterten, in der üppigsten Fülle einer glücklichen Schönheit – und ich neben ihr, verblüht, von Kummer verzehrt, von Sonne und Luft verbrannt, mit trüben Blicken und der tiefen Narbe auf den farblosen Wangen. O Junia! Nur die ungemessenste Eitelkeit oder die lächerlichste Verblendung hätte es wagen können, hier sich in einen Wettstreit einzulassen. Ich erkannte deutlich die Größe des Abstandes und meinen entschiedenen Verlust. Sie entfernte sich hierauf, »um mir Ruhe zu lassen,« sagte sie. Ach ja wohl! Sie läßt mir Ruhe – die Ruhe des Grabes, nachdem ich durch sie Alles verloren habe, was dem Leben Werth gibt. Ich weinte recht heftig, und weinte mich aus, ich warf mich auf meine Kniee und demüthigte mich unter der Hand des Gottes, der züchtigt, weil er liebt. Ich bat ihn um Stärke, und fühlte mich wirklich gefaßter, als nach einer Weile eine Sclavin kam, nm sich zu erkundigen, ob ich nichts bedürfe. Ich verlangte zu ihrer Gebieterin geführt zu werden. Das Mädchen brachte mich in einen Saal, der angenehm durch einige in schönen Urnen brennende Lampen erhellt [73] war. Sulpicia lag auf einem Ruhebette, Calpurnia ihr gegenüber hatte die elfenbeinerne Leyer im Arm, auf der sie eben gespielt und dazu gesungen hatte. Ich bat sie fortzufahren, da griff sie mit den Lilienarmen in die goldenen Saiten, und sang mit wollüstig schmelzender Stimme ein ziemlich loses Lied darein. Ich dachte der Zeit, wo ich auch gespielt und gesungen hatte, damals, als die ersten Gefühle in unsern jungen Herzen erwacht waren, und später in Edessa und Nisibis, wo mein Gesang oft die müden Wassengenoffen erheiterte, Demetrius Beifall mich lohnend ermunterte, und ein Auge voll Rührung und heiliger Liebe an meinen Blicken hing. Aber freilich, so verstehe ich nicht zu singen – mit so sprechenden Geberden, mit so wollustathmenden Lauten – und keine so weichen runden Arme bezauberten das trunkne Auge, indeß das Ohr dem Sirenensang lauschte.

So ward jeder Blick auf sie ein Stachel in meine Seele. Aber ich war noch zu etwas Härterem bestimmt, ich sollte den Kelch bis auf die Hefen leeren, und in keinem unaufgehellten Dunkel meines Geschickes den Trost der Ungewißheit, der möglichen Hoffnung erhalten. Es lagen Zeichnungen auf dem Tische; ich sah sie durch, es waren verschiedene Gegenstände sehr geschickt ausgeführt. Jetzt ergriff ich die größte und letzte – o Gott im Himmel, was erblickte ich? – Agathokles Bild, zu Pferde, in einer mir bekannten Straße von Nikomedien, in vollem kriegerischen Schmucke, und von einer Menge Menschen umgeben. Ich zitterte, lange hielt ich wie bewußtlos das unglückliche Blatt in der Hand – und mein Auge sah nur ihn. Es waren seine Züge, seine Haltung so genau, so lebendig! Meine Seele verlor sich im Anschauen.[74] Calpurniens Stimme weckte mich aus meinem Traume. Sie fragte mich, wie mir das Blatt gefiele? Vortrefflich – antwortete ich, und setzte in der schrecklichen Verwirrung hinzu – er ist zum Sprechen getroffen. »Wie, du kennst den Tribun?« rief sie rasch und sprang auf mich zu, gleich als hätte meine Bekanntschaft mit ihm mir ein höheres Interesse in ihren Augen gegeben. O wie lebhaft muß das seyn, das sie an ihm, das er an ihr nimmt! Es war zu spät, meine Unbesonnenheit wieder gut zu machen, ich mußte sie nun schicklich bemänteln. Ist es nicht Agathokles, der Sohn des Hegesippus? sagte ich. »Ja er ist's,« rief sie fröhlich, »du kennst ihn?« Ich erinnere mich, ihn vor mehreren Jahren in Nikomedien gesehen zu haben. »Und du findest das Bild getroffen?« Vollkommen, nur wünschte ich die Bedeutung zu wissen. Nun erfuhr ich, daß Agathokles sich in der letzten Schlacht außerordentlich ausgezeichnet hatte, daß er auf dem Wahlplatze zum Tribun erwählt, und vom Cäsar als Siegesbote zum Diocletian gesendet worden war. In diesem Augenblicke des schmeichelnden Volkszurufes hatte sie ihn gezeichnet – sie selbst. Sulpicia lächelte sein, als Calpurnia mir das erzählte. »Es ist kein Wunder,« sagte sie endlich, »daß sie ihn so gut getroffen hat; die Phantasie entwirft – und Eros 1 führt die Hand.« Ein kleiner scherzhafter Streit begann nun unter den beiden Römerinnen, ein Streit, dessen Gegenstand Er – und seine Liebe zu Calpurnien war, – und ich war Zeugin, und ich wurde zuweilen von der freundlichen Sulpicia aufgefordert, Theil daran zu nehmen! [75] O das war eine der bittersten Stunden meines Lebens!

Ich erfuhr durch diese kleine Neckerei endlich so viel, daß zwar Calpurnia noch nicht seine Gattin, aber seine Geliebte, und nicht viel weniger als seine Braut war, da ihr Verhältniß schon in Rom angefangen, und in Nikomedien fortgesetzt wurde, daß er aber jetzt wieder zum Heere abgegangen war, wo die Friedensunterhandlungen mit den Persern beginnen sollten.

Ich wußte genug, und entfloh, so bald ich konnte, in die Einsamkeit meines Zimmers. Kein Schlaf besuchte meine Augen. Ich hatte erlangt, was ich gewünscht hatte, ich war aus der Gefangenschaft befreit, ich war in meinem Vaterlande, auf seiner Villa – und wie war ich es, unter welchen Verhältnissen! Wild und verworren durchkreuzten sich Gedanken, Gefühle und Entwürfe in meiner Seele. Das allein fühlte ich klar, daß nun mein Lebensplau zerrissen, und ein neuer nothwendig war. Aus dem Kampfe streitender Kräfte, aus dem Chaos schmerzlicher Empfindungen ging er endlich hervor, wie ein einzigübriger Lebender sich bleich und schaudernd von dem, Schlachtfelde aufrichten mag, auf dem alle seine Brüder gefallen sind. Ich entwarf ihn mit klarer Besinnung, und du sollst ihn hören und billigen.

An eine Vereinigung mit dem, den ich nicht mehr nennen will, ist nicht zu denken. Er ist todt für mich, so will ich es auch für ihn seyn. Das Schicksal hat mein Daseyn zerstört, es hat mir Stand, Gemahl, Vermögen, Alles geraubt, alle Lebenshoffnungen zernichtet – so höre denn auch mein Wesen, mein Name auf. Larissa ist todt – sie ist unter den Ruinen von Trachene begraben. [76] Diese Theophania (du weißt, daß dies mein Christenname ist), die jetzt arm, verlassen, einsam zurückkehrt, ist ein anderes Wesen, fremd für die Welt, fremd für jene, die sie so schnell vergessen konnten. Sie ist nicht in Nikomedien geboren. Synthium ist der Ort ihrer Entstehung. Sie hat auch nichts mehr in der glänzenden Hauptstadt zu suchen. Einige Kostbarkeiten, die jene verstorbene Larissa rettete, und die immer einige Talente 2 werth seyn mögen, werden ihr ein beschränktes, aber sorgenfreies Leben sichern. Sie kann entbehren – das Schicksal hat sie in seine Schule geführt. Sie wird mit Heliodor nach Nicäa gehen, und dort, entweder in dem Hause seiner Verwandten, oder einer andern unbescholtenen Christenfamilie Aufnahme und Schutz suchen. Dort wird sie unbemerkt leben, sterben, oder vielleicht nächstens zu ihren wilden Freunden zurückkehren, deren unverfeinerte Gemüther nicht fähig sind, jeden Eindruck so schnell fahren zu lassen.

Sobald der Tag anbrach, verließ ich mein Zimmer, und stieg in die thauigen Gärten hinab. Ungestört durchirrte ich die wohlbekannten Gänge, und rief mit schmerzlicher Lust die Bilder der Vergangenheit zu rück. Hier hatte ich als Kind mit den Gespielen der Kindheit schuldlos und glücklich gespielt, dort in jener dunkeln Pinienlaube hatten die Gefühle der Jungfrau zuerst Worte bekommen, dort hatten wir uns ewige Treue geschworen, und von dem Gipfel jenes Hügels wehten die Palmen im Morgenwind, unter denen seine Mutter uns oft um sich gesammelt, Lehren der Tugend und Weisheit in unsre [77] Seelen gesenkt, und uns mit einander und für einander gebildet hatte. Mit schmerzlich süßer Wehmuth, mit zerreißenden Gefühlen durchstreifte ich diese Denkmale einer bessern Vergangenheit. Als ich mich dem Hause näherte, kam mir Heliodor entgegen. Er hatte mich gesucht, um mich zur schnellen Abreise zu bestimmen. Ihm war es nicht wohl in diesem glänzenden Hause, in der Nähe der leichtfertigen Calpurnia. Sein Antrag kam mir erwünscht, ich ersuchte ihn zugleich den Reiseplan zu ändern, indem ich nicht mehr wie Anfangs gesonnen sey, nach Nikomedien zu gehen, wohin er mich ohnedies nur aus Gefälligkeit begleitet hätte. Und wohin willst du? sagte er. Wohin du gehst, erwiederte ich, nach Nicäa, oder an die Ufer des Borysthenes. Er sah mich sehr erstaunt und forschend an; aber er fragte nicht weiter. »Und was willst du in Nicäa machen, du bist ganz fremd dort?« »Ich bin es überall,« erwiederte ich, »du weißt, daß ich nirgends Freunde oder Verwandte habe. Willst du so gütig seyn, mir in deines edlen Bruders Hause eine Freistatt zu verschaffen, so wirst du dir ein unglückliches heimathloses Geschöpf ewig verpflichten.« Er schien nicht unzufrieden mit dieser Bitte, er versprach mir, gut und eifrig für mich zu sorgen; allein ich sah wohl, daß er nur für diesen Augenblick nicht weiter forschen wollte, daß ihm aber mein geänderter Entschluß sehr auffiel. Ich fühlte, daß ich seinem strengen Forscherblick nicht entgehen, und früher oder später mich ihm würde entdecken müssen. Doch gern unterwarf ich mich Allem, um nur aus dieser Villa, aus der Nähe von Nikomedien zu kommen. Wir nahmen Abschied. Man schien unzufrieden über unsern schnellen Aufbruch; Sulpicia zeigte eine wahre [78] Theilnahme, ich sah, daß ich ihr werth geworden war, und dies Gefühl that mir, von aller Welt Verlassenen, unendlich wohl. Wir verabredeten, einander zu schreiben. So schieden wir, und langten in zwei Tagen in Nicäa an. Heliodors Verwandte nahmen mich auf seine Empfehlung ungemein gütig auf; ich lebe mit ihnen, ich bin ruhig und verborgen in einem stillen Hause, unter guten Menschen, unter Christen – und so sind die kleinen Wünsche, die ich noch auf dieser Welt habe, erfüllt.

Fußnoten

1 Eros, ein Name des Amors.

2 Ein Talent galt ungefähr gegen tausend Gulden.

50. Agathokles an Phocion

50. Agathokles an Phocion.

Samosata, im September 302.


Das Geräusch ist vorüber, es ist wieder still in mir, und so wie die Seele, sich selbst überlassen, nach und nach in ihre vorige Stimmung zurückkehrt, kehren auch ihre gewohnten Empfindungen zurück. Der Aufenthalt in Nikomedien mit all' seinem Glanz, seinem prunkenden Geräusch liegt wie der Traum einer kurzen Sommernacht hinter mir. Die Eindrücke, die er hervorbrachte, verklingen allmählig, die Bezauberung entflieht, der Geist sieht wieder hell und richtig. Nein, das ist nicht die Liebe, die mich glücklich machen kann. Ach diejenige, welche diese Empfindung für mich in dem treuen wahren Herzen trug, schläft unter dem Hügel von Trachene! Sie hätte mir kein Fest gegeben, sie hätte die kurze Zeit unsers Beisammenseyns nicht durch ein Schauspiel noch mehr verkürzt, in dem nur ihre Talente und ihre Schönheit staunenden Beifall einernten sollten. Larissa wäre an meine Brust gesunken, sie hätte nach meinen Gefahren, [79] meinen Leiden gefragt, sie hätte mich geliebt, und Calpurnia wollte mich blenden und fesseln.

Wie war es möglich, diese Deutung in das Fest zu legen, sich als meine Freundin zu erklären, deren sorgliche Liebe nur den höhern Ansprüchen des Vaterlandes weicht, und in einer Stunde darauf Alles das rein zu vergessen, oder wenigstens den Anschein haben zu wollen, als hätte man es mit allen Eindrücken, die es hervorbringen mußte, vergessen? O wenn es Liebe gewesen wäre, was sie hinriß, sich selbst zu vergessen, und ihr Herz unverhüllt zu zeigen – wie hätte sie's vermocht, meinem wirklich bewegten Gemüthe so kalt und ruhig gegenüber zu stehen, und wenige Minuten nach dem bedeutungsvollen Fest nichts als eine leichte fröhliche Gesellschafterin zu seyn? Es war Eitelkeit, nichts als Eitelkeit, sie wollte einen gewaltsamen Eindruck auf mich machen, aber die Regungen nicht theilen, die er in mir hervorbrachte. Wie klein, wie kalt erscheint mir ihr Bild! Laß mich davon abbrechen! Ich schäme mich, auch nur für einen Augenblick dem Zauber unterlegen zu seyn.

Du scheinst, mein väterlicher Freund! nicht ganz zufrieden mit meinen Ansichten des Christenthums, und noch weniger mit meiner Neigung, ein Bekenner desselben zu werden. Es ist schwer, in Briefen Alles zu erschöpfen, was sich für oder wider eine Sache von so vieler Wichtigkeit sagen läßt; ich will also nur einige deiner Einwürfe zu beantworten suchen. Du wirfst diesem System vor, daß es auf bloße Tradition gebaut, durch Wunder unterstützt, und in undurchdringliche Geheimnisse gehüllt sey, die des menschlichen Verstandes zu spotten scheinen. Was die Tradition betrifft, so erging es dem [80] Urheber dieses Systems nicht anders, als dem weisen Sokrates, Pythagoras und den meisten Stiftern berühmter Secten und Glaubensformen. Von ihrer Hand besitzen wir wenig oder nichts. Alles, was aus der Ferne der Zeiten zu uns herübertönt, sind einzelne Laute, aus ihrem oder ihrer ersten Schüler Mund, aufgezeichnet von Entfernteren, selten von Zeitgenossen, oder Augenzeugen. Die Christen besitzen doch wenigstens in den sogenannten Evangelien viele Sprüche, Lehren, Thaten und Meinungen ihres Meisters, seine Biographie von seiner Geburt bis an seinen Tod. Wenn wir dem Zeugnisse der Geschichte überhaupt Glauben beimessen, so müssen wir es auch diesen einfachen Erzählungen anspruchloser Menschen, denen es an Geschicklichkeit sowohl zum bessern Vortrag, als zur listigern Einkleidung gebrach. Hätten sie zu täuschen vermocht, oder es gewollt, wahrlich, die Gegner würden weniger einzuwenden haben, und das geflissentlich künstliche Gebäude weniger Blößen geben. Daß sie es nicht thaten, daß der grübelnde Verstand Manches an diesen nicht ganz gleichlautenden Zeugnissen aufzufinden weiß, was er haarscharf sichten, und zergliedern will – das bürgt mir für ihre Wahrheit. Die Jünger sahen ihren göttlichen Lehrer handeln, leiden, sterben, und wie sich diese Erscheinung in den Augen vier verschiedener einfacher Menschen spiegelte, wie die Erzählungen jener Begebenheiten, wovon sie nicht selbst Zeugen waren, mit den gewöhnlichen kleinen Veränderungen Jedem erzählt, und von ihm aufgefaßt wurden: so zeichnete sie Jeder, unbekümmert um das Urtheil der Nachwelt und die scharfe Kritik späterer Gelehrten, zur Erbauung der Gemeinde auf, der er vorstand.

[81] Ueber die Wunder kann ich dir nichts sagen. Manche lassen sich natürlich erklären, bei andern, so wie bei dem Geheimnisse der Geburt und Natur des Stifters, steht unser Verstand still. Wir können es nicht begreifen – aber müssen wir es denn begreifen? Wie viele tausend Erscheinungen gehen in der physischen und moralischen Welt vor, wir fühlen ihre Wirkung, aber wir begreifen ihre Entstehung nicht. Mit fruchtloser Mühe zerarbeitet sich der menschliche Witz, diese Beobachtung unter Regeln und in Hypothesen zu bringen – und wie spottet die Größe und Erhabenheit der Natur dieser armen Abtheilungen, Unterabtheilungen und spitzfindigen Erklärungen durch die geheimnißvolle Art, wie sie ihre Gesetze befolgt, daß alle Augenblicke Lücken und Blößen in den künstlich errichteten Systemen entstehen? Werden wir weniger an das Daseyn des Windes, des Donners, der Erderschütterungen glauben, weil wir nicht wissen, woher sie kommen? Werden wir weniger Maaßregeln dagegen ergreifen, weil uns ihre Natur unbekannt ist? Gewiß nicht. Auf unser Verhalten wird der Zweifel, in dem sie uns lassen, keinen Einfluß haben. Eben so verfährt der redliche Christ. Das, was für unser Leben anwendbar ist, was uns besser, edler macht, was den Frieden in uns erzeugt, das ist's, was wir annehmen und befolgen müssen. Das sind die segensreichen Wirkungen dieser Lehre – das Uebrige ergreift der kindliche Glaube, ohne sich um seine Ergründung zu bekümmern.

Ich habe dir bereits in manchen meiner Briefe über die christliche Moral geschrieben. Ich bin überzeugt, daß sie die reinste ist, die bisher auf der Erde gelehrt wurde, daß sie so ganz für das jetzige Zeitalter, für den Stand [82] unsrer Cultur, die gegenwärtige Lage des Menschengeschlechts paßt, daß schon hieraus ihr göttlicher Ursprung sich beweisen ließe, wenn ihn auch keine früheren Zeugnisse bestätigten. Die Gottheit, die das Schicksal der Menschheit lenkt, die weiß, zu welcher Zeit, und auf welche Art ihre Schwäche unterstützt, ihrem Verderben gesteuert werden soll, hat in dieser Epoche diese Religion entstehen lassen. Sie sandte einen Göttersohn, sie zu lehren. Was finden wir hierin Sonderbares, wir, die wir unter Mythen von Heroen und Göttersöhnen aufgewachsen sind, die die Menschen zur Zeit der Noth retteten, die Erde von Ungeheuern befreiten, den Zorn der Götter versöhnten? Ist der Begriff eines einzigen Gottes anstößiger, als der von unzähligen Söhnen unzähliger Götter? Und welche Religion hätte nicht solche Verkörperungen überirdischer Wesen, die zum Besten der leidenden Sterblichen den Sitz der Seligen verließen? O der Gedanke liegt so tief in dem Herzen des Unglücklichen. Und welcher Sterbliche ist glücklich? Die Gesetze der Natur, die physischen Revolutionen gehen achtlos über den Ruin seiner Habe, seines Lebens hin – sie vermag kein Flehen zu beugen, ihrem Gange setzt keine Klugheit Schranken. Die Laster, die Verderbtheit seiner Mitmenschen züchtigt ihn mit noch schärferen Ruthen, er muß büßen, was Andere verschuldet haben; er wird hingeopfert, weil ein Uebermüthiger schwelgen will – weil ein Rasender das Unmögliche fordert, bluten Myriaden auf dem Schlachtfelde. O wohin soll der verfolgte geängstete Mensch sich wenden, als zu der unsichtbaren Macht, die stärker ist, als die Natur und die bösen Menschen? Er flieht dahin, er ringt im Gebete mit ihr – und sie sendet ihm einen Retter.

[83] Ströme von Menschenblut haben die Gefilde Hesperiens, die Felder von Pharsalus, von Gallien, Syrien, von allen Provinzen des römischen Reichs getränkt. Tausend einzelne Schlachtopfer sind dem Neid und Verdacht der Triumvirn, der Wuth der Prätorianer, der wollüstigen Grausamkeit eines Tiberius oder Caligula gefallen – und wenn Zehntausende ihr Leben einbüßten, so verjammerten es Dreißigtausende im Elend oder Schmach, weil sie ihre Stützen, ihr Glück in Jenen verloren hatten. Der Koloß des unermeßlichen Reiches naht seinem Umsturz. Auf allen Enden kracht das morsche Gebäude, alle Säulen schwanken, alle Grundvesten sind erschüttert, und mit ungeheurer Kraft dringen ungeschwächte Horden von Barbaren in Nord und Ost auf die untergrabenen Mauern los; bald werden sie sie eingestürzt haben, und die schönen Provinzen mit Mord und Raub erfüllen. Was bleibt dem Menschengeschlecht dann übrig? Werden jene Truggestalten einer üppigen Phantasie, jene armseligen Erfindungen des kindischen Weltalters gegen die Schrecken aushalten? Wird der rohe Aberglaube, der, unbegreiflich genug, neben dem leichtsinnigsten Unglauben besteht, dem Menschen Trost und Muth gewähren? Kann er, wenn sein Glück zertrümmert ist, mit Zuversicht Hülfe von den Bildsäulen hoffen, die er mit schwelgerischen Mahlzeiten, oder lächerlichen Ceremonien ehrt? Werden ihn die Zauberformeln beruhigen, die thessalischen Weiber für ihn sprechen? Und wenn kein Mahl, kein Opfer mehr der Götter Zorn stillt, wird er gelassen und freudig in die öden Wohnungen der Nacht, des Nichts hinabsteigen? Die tägliche Erfahrung zeigt uns, daß die Volksreligion nicht mehr gegen die eindringenden Uebel Stand halten [84] kann. Die Menschheit muß wiedergeboren werden durch eine Religion, die dem Verderbniß der Sitten durch strenge Moral, dem Egoismus durch Einschärfung der Nächstenliebe, der Verzweiflung durch festen Glauben an eine bessere Welt wehre. Diese Religion ist das Christenthum – und sie leistet Alles, was der Menschenfreund für das Zeitalter wünschen kann.

Doch, mein Brief ist eine Abhandlung geworden. Zürne der Weitläuftigkeit nicht, mit der ich dir gern von jedem Beweggrunde meiner Handlungen und meiner Ueberzeugung Rechenschaft geben möchte, und lebe wohl, bis ich Zeit finde, dir noch mehr zu sagen.

51. Valeria an Eneus Florianus

51. Valeria an Eneus Florianus.

Mantua, im September 302.


Florianus! Florianus! Deine Valeria lebt noch! Sie ruft dir zu – es ist ihr möglich geworden, dir ein Zeichen ihres Lebens zu geben. O die Verzweiflung war ihr mehr als einmal nahe, während ein endloses Jahr vorschlich, ohne daß ihre Liebe und List ein Mittel gefunden hatte, die engen Schranken zu zerbrechen, die sie fest umschließen, und so unendlich fern von dir halten. Wund haben sie mein Herz längst gedrückt. Wenn ich in verzweiflungsvollen Tagen keine Hoffnung sah, eine Spur meines Daseyns bis zu dir zu bringen – wünschte ich sie noch fester, noch enger, daß sie mich ganz erdrückt hätten! Wirst du mir zürnen, Florianus? Ich hatte mehr als einen Versuch gemacht, dem Leben, das als eine unerträgliche Last auf mir lag, zu entfliehen. Es war nicht recht – der Gedanke schreckte mich zurück. Du hast mich in einer Lehre unterwiesen, die den Selbstmord verdammt. Du hast es mir in Britannien, als man uns zuerst trennte, als ich dir diese letzte Rettung so manches edlen Menschen der Vorwelt auch zu unserer vorschlug, streng verwiesen. Mit einander sterben! Süsses [85] Loos! Es schmerzt nicht, würde ich wie Arria 1 gesagt haben, und gewiß eben so freudig. Aber du wolltest nicht – und ich brachte dir das größere Opfer – ich bin von dir getrennt, und lebe noch.

Durch wie viel Städte man mich geschleppt hat, seit in jener fürchterlichen Nacht mein Vater an mein Bette trat, mir befahl aufzustehen, mich anzukleiden, als die Mutter weinend hereintrat, ich Alles zur Abreise fertig sah, der Vater mir den Mantel überwarf, als keine Frage, keine verzweifelnde Bitte Antwort erhielt, keine offenbare Widersetzlichkeit der höhern Gewalt zu entfliehen vermochte, das weiß ich nicht. Als ich aus einer tiefen Ohnmacht erwachte, war ich auf dem Schiff – sah ich die Küsten der theuren Insel weit hinter mir. Dann wurde ich krank, sehr schmerzlich, sehr gefährlich, so, daß ich hoffte, sterben zu können. Von dir sprach mir kein Mensch, so liebevoll sie mich sonst behandelten, und für alle Fragen, die ich mit verzagender Seele an sie that, waren sie taub. Das erste Mal, als ich mit schwankenden Tritten in's Freie geleitet wurde, sah ich mich in ganz unbekannten Gegenden; man sagte mir, wir wären am Rheinstrom, und die große Stadt, die ich nicht weit davon ihre Zinnen in seinen Wellen spiegeln sah, wäre Coloniä Agrippinä 2. Ach, guter Gott! Wie fern, wie abgeschnitten durch den weiten Ocean!

Griffel und Papier, Feder und Tafel 3 waren mir[86] entzogen; einige Versuche, auf ein Stückchen Leinen oder Stoff mit Farbe – mit meinem Blute zuschreiben, wurden mit unseliger Schlauheit entdeckt, und strenge zernichtet. O warum hätte ich nicht sterben sollen? Warum mußte ich dies elende Leben ertragen! Jetzt sind wir in einer Stadt von Italien, Mantua nennen sie die Leute. Ich kann mich nicht in diese Menschen, in ihre Lebensart, in ihr Clima finden. Die unerträgliche Hitze thut mir weh; mein Körper, den die schwere Krankheit erschöpft hat, leidet durch die glühende Sonne und die bösen Ausdünstungen der Sümpfe, die die Gegend umher verpesten. Ich bin der frischen Luft, der kühlen Schatten meiner Insel, ich bin der Gegenwart des geliebten Gegenstandes gewohnt; hier – muß ich verschmachten. Du würdest mich kaum erkennen.

Ach, Florianus! ist es dir nicht möglich, mich zu befreien? O rette, rette ein unglückliches Wesen, das ohne dich nicht leben, nicht tugendhaft, und dort nicht selig seyn kann! Du hast mich deinen Glauben, den Glauben der Liebe gelehrt, und jetzt stoßest du mich kalt und streng in die vorige Nacht. O wäre es nicht besser gewesen, mich dort zu lassen? Jupiter hätte nicht gezürnt, wenn ein freundlicher Strahl mir den Weg aus diesem Leben gebahnt hätte. Minos würde mein Unglück geehrt, und ein mildes Urtheil gesprochen haben. Im Elysium hätten wir uns wiedergesehen: dort, wo Dido's Schatten zürnend dem Aeneas 4 auswich, wäre ich in deine Arme geeilt! Wie trüb und düster auch diese Reiche sind, ich wäre mit dir vereinigt gewesen – und sie hätten uns gelächelt! Ich hätte sterben dürfen! O glückliche Freiheit!

[87] Florianus, was habe ich gesagt? O, wirst du mir verzeihen können? Nein, ich kann es nicht bereuen, eine Christin geworden zu seyn! Es ist dein Glaube, es ist der Glaube der Liebe, und Liebe ist sein Symbol, die höchste, die reinste, die Mutterliebe. Das Kind auf den liebenden Armen, schwebt sie vom Himmel zu uns herab. Zu ihr wende ich mich auch am öftersten, am liebsten. Ueber Alles erhaben, groß und furchtbar, steht die Gottheit vor meinem schüchternen Blick. Aber sie war Weib, war Mutter, sie lebte, sie litt, sie liebte wie ich, sie versteht meinen Kummer. O, sie hat mich getröstet, wenn ich recht heiß und zitternd vor ihr geweint hatte, wenn ich sie um Linderung, um Fürbitte bei ihrem Sohne gestehet hatte; und gewiß ist es ihr Werk, daß ich jetzt ein Mittel gefunden habe, dir zu schreiben, und den Brief durch den treuen Menschen, den du wohl kennst, und der morgen von hier nach Eboracum abgeht, abzusenden.

Man erzählt hier, Constantin, dein Zögling, sey in großem Ansehen am Hofe des morgenländischen Augustus, und vermöge sehr viel. Könnte er uns denn nicht helfen? O wende dich an ihn, schreib ihm – die unglückliche Tochter des Augustus hat ja einige Ansprüche auf menschliche Hülfe. Oder bin ich nur darum aus der glücklichen Unwissenheit meines Privatstandes gerissen worden, um zu erfahren, daß auf dieser Höhe Freundschaft, Theilnahme und Mitleid aufhört?

O Florianus! Schreibe mir bald, aber nicht so streng, so kalt, wie du in den letzten Tagen in Eboracum mit mir sprachst. Ich ehre die Grundsätze, die dich so handeln heißen; aber ich erliege unter der ersten Last, die sie auf mein allzuweiches Herz legen. Ich kann nicht so heldenmüthig seyn. Ach ich liebe dich mit allen Kräften, mit allen Empfindungen meiner Seele! O schreibe mir [88] gütig, laß mich nur Einmal einen Strahl jener Liebe erblicken, die in jenen goldnen Tagen mein Leben zum Himmel erhellte! Nur Ein Wort, wie du mir in unsrer Insel Tausende sagtest! Wenn du schnell antwortest, und deine Antwort dem Boten gibst, der sie auf einem sichern Weg hierher bringen kann: so trifft sie mich noch hier, denn wir bleiben bis zu Ende des nächsten Monats in dieser Stadt. Das habe ich halb durch List, halb durch Zufall erfahren. Asinius Ponticus hat an Augustus geschrieben, der mein Vater seyn soll, und wird die Antwort hier erwarten. Diese Frist ist vielleicht die einzige, die uns in langen Monaten – vielleicht in Jahren offen steht. O laß sie nicht fruchtlos verstreichen, und laß mich die Versicherung hören, daß du mich noch liebst, daß du noch hoffest, und an Rettung glaubst. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Als Arria und ihr Gemahl Pätus mit einander zu sterben beschlossen hatten, senkte sie zuerst den Dolch in ihr Herz, und gab ihn dann ihrem Manne mit den berühmten Worten: Er schmerzt nicht.

2 Coloniae Agrippinae, das heutige Cöln.

3 Die Römer schrieben bald mir Griffeln auf Tafeln, welche mit Wachs überzogen waren, bald mit Federn von Rohr auf Pergament und eine Art Papier, das aus einer ägyptischen Staude bereitet wurde.

4 Als Aeneas bei seiner Höllenfahrt im Elysium dem Schatten der Dido begegnete, die sich um seiner Untreue willen ermordet hatte, wandte sie sich zürnend von ihm ab.

52. Agathokles an Phocion

52. Agathokles an Phocion.

Nisibis, im October 302.


Hier bin ich – in Nisibis. Das Haus, das ich bewohne, liegt in derselben Straße, in der ich vor zwölf Monaten mit Demetrius lebte. Es hat den Cäsarn gefallen, diese Stadt auf der äußersten Grenze des Reichs gegen Persien zum Schauplatz der Friedensunterhandlungen zu wählen, die Narses nach der erlittenen Niederlage eröffnet hat, und sehr eifrig zu verlangen scheint. Constantin, als der Sohn des abendländischen Cäsars, durfte nicht dabei fehlen, und ich folgte meinem Fürsten, meinem Freunde, weil er es wünschte. So ist es gekommen, daß ich diese Stadt wieder gesehen, die mir ewig unvergeßlich, und ewig zu schmerzlicher Erinnerung seyn wird. Als Constantin zuerst den Wunsch äußerte, daß ich ihn begleiten möchte, warnte mich eine innere Stimme, [89] dieser Bitte nicht zu willfahren. Aber ich trotzte auf die Macht der Zeit, die jeden Eindruck schwächt, auf die Zerstreuung durch die Geschäfte, die meiner hier warteten, endlich auf die Stärke meines Herzens. Es war thöricht, es war vermessen, dies zu hoffen. Als ich von Weitem diese Mauern erblickte, wo ich so schöne, so selige, so schmerzliche Stunden verlebt hatte – erwachte die ganze Vergangenheit und das Gefühl meines Verlustes mit unwiderstehlicher Kraft in mir, und keine Zerstreuung, keine Beschäftigung hat diesen Eindruck bis jetzt schwächen, kein Kampf ihn besiegen können. Constantin weiß nicht, was er von mir gefordert hat; es wäre unedel, es ihm jetzt zu sagen, und seinem Herzen die drückende Last einer solchen Verbindlichkeit aufzuwälzen. Ueberhaupt ist es wohl eben so vergeblich als unbillig, Andere, die nichts dazu beitragen können, es wieder herzustellen, mit dem steten Anblick unsrer trüben Mienen, mit der Anhörung unsrer alten Klagen zu quälen. So suche ich mich zu beherrschen, und glaube wenigstens durch diese Uebung meiner Willenskraft einigen Nutzen für mein besseres Selbst zu finden.

Es ist seltsam, wie unauslöschlich tief manche Eindrücke bleiben, indessen andre kaum die Zeit ihrer gegenwärtigen Dauer überleben, und noch seltsamer und übler für uns Sterbliche, daß jene meistens unter die traurigen gehören, und die frohen schnell verschwinden. Warum hält des Menschen Sinn den Schmerz so fest, und vergißt so schnell, was ihm wohlgethan hat? Das ist nicht gut, es führt zur Undankbarkeit gegen Gott und Menschen, und eben darum ist vielleicht auch die Begierde nach Rache bei rohen Menschen der mächtigste und unauslöschlichste Trieb. Für mein Gefühl ist keine Zeit zwischen jenen selig düstern Tagen und dem gegenwärtigen Augenblick. Alles steht hell vor mir, Alles lebt um [90] mich wie damals, nur Eins, Eins fehlt, und dies Eine! – Es ist kein Wahn, kein Werk der erhitzten Einbildungskraft – ich werde dies Eine nie vergessen!

Warum sind die freundlichen Erinnerungen an meinen letzten Aufenthalt in Nikomedien, an Alles, was sich dort vereinigte, um ihn mir zu einem schönen hellen Punkte in meinem Leben zu machen, so ganz verschwunden? Warum drängt sich, wenn ich sie ja zuweilen geflissentlich zurück rufe, um mich zu zerstreuen, nur der einzige Schatten, der darauf liegt – die Eitelkeit und Absichtlichkeit des Wesens, das sonst so liebenswürdig ist, mächtig hervor, und wirft seinen düstern Schein auf das ganze Gemälde, und macht seine fröhlichen Farben erblassen, und kehrt, indem er mich auf den scharfen Gegensatz zwischen Calpurnien und meiner verkärten Jugendfreundin hinweiset, den Stachel grausam gegen mein Herz?

Doch, wo gerathe ich hin? Was ich noch kurz zuvor als löblich und nöthig anpries, unterlasse ich sogleich selbst, und breche gegen dich, mein väterlicher Freund, was ich gegen Andere zu beobachten mir streng vornehme. Verzeih, wenn zuweilen ein schnelles Gefühl mich hinreißt! Ich sehe die Zwecklosigkeit und Lästigkeit ewiger Klagen ein, und es ist mein fester Vorsatz, sie nicht laut werden zu lassen. Du aber, der du weißt, wie vieler Nachsicht, Geduld und Liebe mein Herz von jeher bedurfte, um zufrieden zu seyn; du, der du sie so oft mit mir hattest, und mich Verwaisten mitleidsvoll an das deine schloßest, trage sie noch ferner, und sieh mir gütig nach, was eine schnelle Empfindung, der Vernunft zum Trotze, verbricht.

Constantins Freundschaft ersetzt mir viel – und ein stilles Band, das sich mit jedem Tag mehr und mehr um meine Seele schlingt, kann nicht anders, als uns noch näher vereinigen. Er ist ein Christ, wie du weißt, und daher stets mit vielen seiner Glaubensgenossen umgeben, [91] welche sich um ihn als einen festen und erhabenen Mittelpunkt sammeln. Mit ihm besuche ich ihre Versammlungen, und finde – ich weiß, daß trotz ihrer Verschiedenheit unsrer Denkart mein Vertrauen dich nicht beleidigt – immer mehr Grund, die gute Meinung und die schönen Hoffnungen, die ich von den Wirkungen dieser Lehre auf die Menschheit hege, zu nähren und zu vergößern.

Ihr Gottesdienst, so weit ich als Ungeweihter demselben beiwohnen darf – denn bei der Feier ihrer Mysterien muß nicht allein der Nicht-Christ, sondern auch der noch auf niedrigen Stufen stehende Glaubensgenosse sich entfernen – also ihr Gottesdienst, so weit ich Zeuge davon war, besteht in gemeinschaftlichen Gebeten und Gesängen, Vorlesungen aus ihren heiligen Büchern, der Lebensgeschichte ihres Meisters, und in zweckmäßigen Reden darüber. Wie oft hat, wenn du mit mir die Reden des Cicero, des Hortendus, des Demosthenes lasest, ein stilles Feuer meine Brust ergriffen, und in schmerzlicher Erinnerung das Bild jener schönen Zeit vor meine Seele geführt!. Da sah ich die versammelten Quiriten, ich sah den Redner vor den Rostris 1 stehen, und voll glühender Vaterlandsliebe, mit begeistertem Tone die würdigen Gegenstände, die das Wohl oder Wehe des ganzen Volkes betrafen, würdig und hinreißend vortragen; ich sah die Menge an seinen Lippen hangen, jetzt von edlem Unwillen, jetzt von großen Entschlüssen bewegt, der Gemüthsstimmung des Redners willig folgen, und in sympathetischer [92] Rührung seine Gefühle theilen. Erhaben und über Alles groß erschien mir dann dieser Beruf, und göttlich die Macht, ein ganzes Volk nach eignen Einsichten durch die sanfte aber unwiderstehliche Gewalt der Sprache zu leiten, der Sprache, dieses Himmelsgeschenks, das ganz eigentlich und allein den Menschen über das Thier erhebt, worin seine Perfectibilität, seine schönsten Vorrechte liegen. Das sind die goldnen Ketten, die vom Munde des Hermes fließen. Aber verstummt ist der Mund der Suada, verschwunden das kräftige selbstständige Volk der alten Comitien, die Ketten des Hermes sind verrostet. Nur Sophisten und Rechtsgelehrte mißbrauchen noch zuweilen ihre entweihten Geheimnisse, um vor Unwürdigen einen unwürdigen Zweck zu erreichen.

Aber in den Tempeln der Christen erhebt sich diese so gesunkene Kunst wieder in ihrer alten Reinheit und Stärke, und wenn auch die Gegenstände, an denen sie sich übt, nicht von so allgemein bemerkbarem Einfluß, die Menge, vor der sie sich zeigt, nicht ein ganzes selbstständiges Volk ist, so sind jene, die sie wählt, nicht minder würdig und gemeinnützig, und ihre Wirkung auf die versammelte Gemeinde nicht minder groß und wichtig. Mit erhebendem Gefühl, mit Rührung habe ich manche dieser Redner gehört, und mich durch Erfahrung überzeugt, daß jene schimmernden Bilder von der Macht der Beredtsamkeit und Declamation, die mir damals vorschwebten, kein jugendlicher Traum, keine Täuschung waren. Es liegt eine sympathetische Kraft in der lebhaften Rede. Noch ehe uns die vorgebrachten Gründe überzeugt haben, hat das sprechende Auge, die ausdrucksvolle Miene, der bewegte Ton uns überredet. Es ist ein Mensch, ein Wesen wie wir, das wir sich freuen, leiden, zürnen sehen; und wir leiden, zürnen und jubeln mit ihm. Der Mensch spricht zum Menschen, die Natur ergreift uns mit [93] unsichtbarer Gewalt, und reißt uns fort, wohin zu folgen wir nicht widerstehen können.

Ich bin überzeugt, daß, wenn es mir möglich wäre, dich zum Zeugen einer solchen Feier zu machen, ein grosser Theil deiner Abneigung gegen die Christen verschwinden würde. Da es nun unsre Pflicht ist, überall Wahrheit zu suchen, und die Möglichkeit, dich von dieser zu überzeugen, überall in deiner Nähe ist, wo sich ein Christentempel und ein geschickter Redner befindet, so bitte ich dich um deiner Liebe zu mir, um der Beruhigung willen, dich meiner Ueberzeugung näher kommen zu sehen – besuche eine solche Versammlung, höre ihre Redner, und schreibe mir dann, welche Wirkung dies auf dich hatte. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Rostra war ein Gebäude auf dem Hauptplatze von Rom, das aus den Schiffschnäbeln einer besiegten Flotte errichtet worden war, und vor welchem die öffentlichen Reden gehalten wurden. Hermes oder Merkur ist auch der Gott der Beredtsamkeit, und wird als solcher mit goldnen Kettchen gebildet, die von seinem Munde an die Ohren der Zuhörer gehen.

53. Theophania an Sulpicien

53. Theophania an Sulpicien.

Nicäa, im October 302.


Deiner gütigen Aufforderung und dem Wunsche meines Herzens gemäß, schreibe ich dir, meine liebenswürdige Freundin, aus dem stillen Aufenthalte, in welchem ich endlich nach so manchen Stürmen Ruhe zu genießen hoffe. Ich bin nicht in Nikomedien geblieben, wie du aus dem Anfange meines Briefs sehen wirst. Meines Vaters Geschäfte fordern seine Anwesenheit hier, und ich begleite ihn gern. Der Heimathlose findet überall sein Vaterland, wo die wenigen guten Menschen wohnen, die noch einigen Theil an ihm nehmen. Ich habe auf der weiten Welt nun außer der kleinen Familie, bei der ich lebe, und einer einzigen Freundin, die aber gebietende Umstände fern von mir halten, keine Seele mehr, um derentwillen ich irgend einen Ort zum Aufenthalt vorziehen, die um meinetwillen auch nur die geringste Veränderung in ihrer Lebensweise machen möchte. Ich bin allein. Es ist ein eignes Gefühl, so ganz einsam in der Welt zu seyn, zu wissen, daß unser Glück kein fremdes [94] Auge erheitert, unser Schmerz keine fremde Thräne hervorlockt. Es ist traurig – aber es liegt dennoch etwas Beruhigendes darin. Es macht uns die Gegenstände und Verhältnisse außer uns so gleichgültig, so beziehungslos, daß wir dadurch in jene stille Fassung kommen, die so viele Weise des Heidenthums als das höchste Gut, das Ziel aller menschlichen Bestrebungen anpriesen, und die die christliche Religion (ich bin eine Christin, du wirst das schon lange geahnet haben,) als diejenige Stimmung empfiehlt, die uns am geschicktesten macht, die Welt, ihre Freuden, und uns selbst zu vergessen, und an unsrer Veredlung, unserer Heiligung zu arbeiten.

Doch, so still mein Gemüth auch ist, so sehr ich mich bestrebe, Alles, was mir diese Erde an Freuden versprach, und an Schmerzen zumaß, zu vergessen, so wird doch der Abend in Synthium nie aus meiner Seele scheiden.

Ich habe dich kennen gelernt, und wenn mich kein Vorurtheil, keine Eitelkeit verführt, so habe ich an dir eine Frau gefunden, die, selbst mit dem Unglücke bekannt, Leidende zu verstehen, zu schonen weiß, so ist die unbekannte Reisende, die sie gastfrei in ihrem Hause aufnahm, nicht ganz aus ihrem Andenken verschwunden. Diese Hoffnung ist es auch, welche mir Zuversicht gibt, deine gütige Aufforderung zu einem Briefwechsel für mehr als Artigkeit zu nehmen, und dir zuweilen Nachricht von dem einsamen vergessenen Wesen zu geben, das einige Stunden in deiner Nähe verlebte.

Wenn deine schöne Freundin im Wirbel ihrer bräutlichen Geschäfte und Freuden, in der Fülle ihres Glückes, mit dem Manne vereinigt zu werden, den ihr Beide als so edel und liebenswürdig schildert, noch einige Erinnerung an eine gleichgültige Erscheinung behalten hat, so rufe mein Andenken in ihre Seele zurück, und vergiß nicht, wenn du mich, wie ich hoffe, mit einer Antwort [95] erfreuen willst, mir zu sagen, ob sie bereits vermählt ist, oder wann sie es seyn wird. Schreibe mir auch den Tag und die Stunde, wenn du recht gütig seyn willst. Calpurniens Reiz und unwiderstehliche Liebenswürdigkeit, der Umstand, daß sie deine Freundin ist, macht sie meinem Herzen werth, und es wäre mir sehr wichtig, die große Stunde, die ihr Geschick auf eine solche Art entscheiden wird, in meiner Einsamkeit nach meiner Stimmung zu feiern.

Noch hätte ich eine Bitte, aber sie grenzt an Unbescheidenheit, und so fehlt mir der Muth, sie vorzutragen. Auch betrifft sie nicht dich, sondern die reizende glückliche Braut. Wüßte ich, daß sie sich meiner mit einiger Theilnahme erinnerte, und mir nicht zürnte, wenn ich sie um eine große Gefälligkeit bäte: so würde ich in meinem nächsten Brief meinen Wunsch entdecken, und freundliche Gewährung hoffen. Leb' wohl!

[96][3]

54. Sulpicia an Theophania

54. Sulpicia an Theophania.

Synthium, im November 302.


Was dem ermüdeten Wanderer in der öden Gleichförmigkeit einer weiten wüsten Ebene der Anblick eines waldigen Hügels ist, der ihm Kühlung, Ruhe und Erholung verspricht, das war mir dein Brief, meine geliebte Theophania! Mein Leben schleppt sich so freudenlos, so eintönig hin, mein Herz darbt so sehr an seinen bessern Freuden, daß die bloße Aussicht, ein Wesen gefunden zu haben, das mich verstehen, und Geduld und Treue für mich haben könnte, seit dem Tage, als ich dich kennen lernte, wie ein freundlicher Stern durch die trübe Dämmerung meines Daseyns strahlte. Gern hätte ich schon damals mehr Schritte gegen dich gethan, aber eine zarte Furcht, nicht zudringlich zu scheinen, und meiner Freundschaft selbst ihren Werth dadurch in deinen Augen zu benehmen, hielt mich ab. Um desto erfreulicher war mir dein Brief, denn er gab mir Gewißheit über das, was ich im ersten Augenblick geahnet hatte, über die gleiche Stimmung unserer Seelen, und einen geheimen Zug, der uns wechselsweise zu einander führt.

Ja, es bleibt ewig wahr – nur gleiche Denkart macht [4] die Freundschaft fest, und nur unser Geschick bestimmt unsere Denkart. Wie kann das fröhliche Wesen, das im Sonnenschein des Glückes sein Freudenleben verflattert, mit dem Unglücklichen gleich fühlen, den ein ernstes Schicksal von der Wiege an zu Entbehrungen und Leiden erzogen hat? Ihnen beiden muß notwendiger Weise die Welt, und Alles um sie her in einem so verschiedenen Lichte erscheinen, daß an einen festen Zusammenhalt, der gegen Zeit und Stürme ausdauert, nicht zu denken ist. So lange kein entscheidender Fall eintritt, wo Eines für das Andre auf die Probe einer schweren Wahl, oder eines großmüthigen Opfers gestellt wird, mag das Bündniß dauern. Kommt einmal jener Zeitpunkt, so muß die verschiedene Stimmung, der entgegengesetzte Geschmack, der ihnen ihr Glück in ganz verschiedenen Gegenständen zeigt, die losen Bande leicht zerreißen. Darum wohl den gleichgestimmten Seelen, bei denen ähnliche Schicksale – ähnliche Gesinnungen und ähnliche Wünsche erzeugt haben, die keiner Opfer bedürfen, um auf dem selbst gut geheißnen Pfade einig mit einander zu wallen!

Uns dunkeln Gemüthern, denen das Schicksal selten lächelt, hat es doch auch wieder einige Freuden geschenkt. Wir genießen das Glück der Freundschaft. Keine Zerstreuung wendet unsere Gedanken so leicht von der Freundin ab, keine Eitelkeit verleitet uns, auf fremde Kosten zu glänzen, keine Eroberungssucht bringt uns in Collisionen mit unsern Gespielinnen, uns, die wir nach nichts Anderem streben, als mit allen Kräften einen Gegenstand auf ewig fest zu halten, und keinen größern Schmerz kennen, als ihn zu verlieren, sey es durch den Tod oder durch Wankelmuth. Doch nein – nicht gleichviel! O, [4] meine Theophania, ich kenne dein Schicksal nicht ganz, aber fast möchte ich dich beneiden! Der Tod entriß dir den Gemahl, den liebenden, den treuen, in der Zeit, als, nach deinen Jahren und deiner Trauer zu urtheilen, eure Liebe noch in schöner Blüthe stand, und der Quell der Empfindung voll und rein durch eure beiden Herzen floß. Du liebst ihn noch, obgleich die Urne seine Asche birgt, und du hoffst nach deinem Glauben, in einer Region des Lichts und unzerstörbaren Freude ihn wieder zu sehen. Ihr Glücklichen! Eure Liebe hat eure Verbindung, sie hat Euer Daseyn überlebt. O! weh denen, deren Daseyn, deren Verbindung ihre Liebe überlebt! Wenn Eines kalt und abgestorben an des Andern Seite kaum noch den Schatten jener Entzückungen nachzubilden fähig ist, die es einst hinrißen, wenn jenes Feuer, in dem sich die trunkenen Seelen zur Götterwonne emporschwangen, zu matten Aeußerungen achtungsvoller Freundschaft herabgekommen ist, wenn die glühende Brust des länger Getreuen vergebens ihr Feuer in die kalte Asche zu strömen sucht, und ein ungeheurer Schmerz um das, was war, und nicht mehr werden kann, die tief erregte Brust zerreißt, die mit allen ihren Wunden, sich nur in abgemessener Förmlichkeit an einen Marmorbusen gedrückt fühlt – das ist Schmerz, Theophania! wüthender, verzehrender Schmerz, und daß er der letzte ist, ist das einzig Tröstliche daran!

Du hast, wie es scheint, meine geliebte Freundin! einen flüchtigen Scherz, den wir uns in deiner Gegenwart erlaubten, etwas zu ernst genommen. Calpurnia ist noch nicht Braut, sie ist nur die geachtete vertraute Freundin jenes Mannes, dessen Bild du gesehen hast.[5] Daß er für sie empfindet, ist wohl nicht zweifelhaft – aber wer kann auf Männerliebe bauen? Es ist nicht lange, daß er einen sehr theuern Gegenstand, eine Freundin verloren hat, die er von Jugend auf mit heftiger und unglücklicher Zärtlichkeit geliebt hat. Dennoch fängt er an, bei der reizenden Calpurnia seines Verlustes zu vergessen, und der unbeschreiblichen Gewalt zu weichen, mit der dies gefährliche Mädchen bisher auf alle Männer wirkte, indeß sie selbst unbefangen blieb. Nur bei Agathokles scheint ihre Stunde auch gekommen zu seyn, und wenn keine neuen Hindernisse eintreten, wenn die Zeit über das Vergangene den mildernden Schleier gezogen haben wird, so sehe ich diesem Bündniß mit Hoffnung und Freude entgegen. Dir aber den Zeitpunkt zu bestimmen, ist, wie du selbst einsiehst, nicht möglich. Agathokles ist mit den Cäsarn in Nisibis, wo der Friede geschlossen wird; wir hoffen ihn erst in einem Monate zu sehen. Vielleicht kann ich dir dann mehr sagen. Calpurnien will ich den Antheil, den du an ihrem Schicksal nimmst, melden; ich weiß, es wird sie freuen, von einer Frau geachtet zu seyn, deren Anblick nichts Gewöhnliches verkündigte, und deren näherer Umgang das Versprechen des ersten Augenblicks wahr gemacht hat. Was die Bitte betrifft, so glaube ich sie im Voraus in meiner Freundin Namen zusagen zu können, und so ersuche ich dich, sie mir mitzutheilen, von was immer für einer Art sie seyn mag. Theophania kann um nichts bitten, dessen Gewährung nicht ihren Freundinnen zur angenehmen Pflicht würde. Leb' wohl!

55. Junia Marcella an Theophania

[6] 55. Junia Marcella an Theophania.

Apamäa, im November 302.


O meine Theophania! meine theure unvergeßliche Freundin! Du hast Recht, wenn du im Anfange deines Briefes sagst, daß seltsame Empfindungen und tausenderlei Gedanken meine Seele durchkreuzen werden, wenn ich deinen Brief eröffnet haben würde. Schrecken, Freude, und dann Zweifel waren die ersten Regungen meines Herzens, als ich die Schriftzüge der geliebten Freundin erblickte, die ich längst unter dem Hügel von Trachene begraben glaubte. Aber als der Inhalt der ersten Zeilen jede Ungewißheit zerstreut hatte – da, meine Geliebte, war inniger heißer Dank und ein kindliches Gebet zu dem gütigen Vater, der die Herzen der Menschen wie Wasserbäche lenkt, und ohne dessen Willen kein Haar von unserm Haupte fällt, mein dringendstes Gefühl. Dann las ich weiter, und mein Herz begleitete dein Schicksal mit sympathetischen Gefühlen bis gegen das Ende. Ja, meine Geliebte! wunderbar und unbegreiflich sind die Fügungen Gottes, der dich mitten unter Barbaren erhielt, und dir ihre Gemüther geneigt machte, daß sie nicht allein deines Lebens und deiner Ehre schonten, sondern dich auch in Frieden ziehen ließen, als die Rettung erschien. Wie sehr hätte ich gewünscht, diese reine Freude mit unserm ehrwürdigen Vater Theophron zu theilen! Aber sein verklärter Geist schwebt bereits in höhern Räumen, und er sah wohl längst mit hellem Blicke das Schicksal seiner Schülerinnen sich hienieden aus verschlungenen Knoten schön und friedlich auflösen, als du noch in der Hütte deines edelmüthigen Gebieters düster sinnend deiner Zukunft entgegen sahst. Er starb den vergangenen [7] Frühling, mit der neugebornen Natur wurde auch er neugeboren, und erwachte aus dem düstern Erdenwinter in Edens Frühlingshainen. So hatte ich, wie das immer beim Verluste geliebter Menschen geht, nur mich zu beklagen. Unsre Trauer um Entschlafne ist immer nur Trauer über uns selbst. Ihnen ist ja besser geworden, als es uns ist.

So war es auch, als ich dich zehn Monate für todt hielt. Ach, ich konnte dein Loos nicht beweinen! Wie wenig Freuden hattest du genossen! Aber ich beweinte mich selbst, ich betrauerte das Schicksal deines Freundes, und hier komme ich auf jenen Punkt deines Briefs, mit dem ich unmöglich zufrieden seyn, oder dir beistimmen kann. Agathokles – laß mich immerhin diesen Namen nennen, den du so geflissentlich in deinem Briefe zu vermeiden scheinst – ist, so wie ich es war, von deinem Tode vollkommen überzeugt. Die Gründe dieser Ueberzeugung und überhaupt die Wirkung, die diese Catastrophe auf ihn gemacht hat, kannst du am besten aus dem Briefe unseres Freundes Apelles kennen lernen, den ich dir hiermit in einer getreuen Abschrift beilege. Er ist aus Trachene, dem Schauplatz jener unglücklichen Begebenheiten, geschrieben. Wenn du ihn gelesen hast, wirst du selbst bekennen müssen, daß Agathokles keine Ahnung deines Lebens haben konnte. Die weibliche, von Wunden entstellte Leiche in prächtigen Kleidern, die man in deinen Zimmern gefunden, für dich gehalten, und begraben hatte, und die wahrscheinlich jene Melyte war, deren Eitelkeit sie zu diesem Schritte verleitet hatte, mußte ihm und Apelles jeden Zweifel, jede noch so schwache Hoffnung benehmen, besonders da die Todten schon begraben, und [8] keine Spur deiner Rettung zu finden war. Es ist also sehr natürlich, daß Agathokles keine weiteren Nachforschungen anstellte, und keinen Gedanken mehr nährte, die, die er unter dem Hügel von Trachene begraben hielt, an den Ufern des Borysthenes zu suchen. So viel zur Beantwortung deiner ersten ungerechten Klagen über diese vermeintliche Gleichgültigkeit. Daß es eine kleine Falschheit war, mit der du Heliodor nach Synthium locktest, fühlst du selbst, und ich sage dir nichts darüber; aber wie magst du so erfinderisch seyn, dich selbst zu quälen, und aus einem freundschaftlichen Scherze, aus dem zufälligen Zusammentreffen einiger Umstände dir ein ganzes Gewebe von Untreue, Verrath und gewissem Unglücke zu bilden? Ich weiß von sehr guter Hand, daß nicht Calpurnia, sondern Sulpicia in Synthium wohnt, daß Agathokles ihr diese Villa aus Freundschaft eingeräumt, und ihre Freundin sie dort besucht hat, wie sie an jedem andern Ort gethan haben würde. So bedeutete ihre Anwesenheit gar nichts in Rücksicht auf den Besitzer der Villa; denn ihr Besuch galt nicht ihm, sondern Sulpicien, und es wäre dir leicht gewesen, durch einige geschickte Fragen die Wahrheit herauszubringen, wenn dein empörtes Herz dir Unbefangenheit genug hierzu gelassen hätte.

Ich will hierdurch nicht sagen, daß du keinen Grund hättest, unruhig zu seyn; ich bin vielmehr nach allen Nachrichten, die ich aus Nikomedien erhalte, beinahe überzeugt, daß Calpurnia einen bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht hat, daß jene Verhältnisse, die schon in Rom anfingen, hier fortgesetzt worden sind, und durch die Gewißheit, daß jedes frühere Band zerrissen sey, an Stärke [9] und Rechtmäßigkeit gewonnen haben. Sie hat ihm, als er mit der Siegesbotschaft ankam, ein sinnreiches Fest gegeben, an dessen Schlusse sie ihm einen Lorbeerkranz um's Haupt wand, und dessen Inhalt ihm ihre Empfindungen für ihn auf eine eben so feine als schmeichelhafte Weise zu erkennen gab. Das Alles ist wahr, und deine Besorgnisse nicht zu tadeln; aber ihn – ihn sollst und kannst du nicht so hart beschuldigen. Er ist ein Mann. Männer haben andre Gefühle, andre Pflichten als wir. Ihr Wirkungskreis ist der Staat, die Welt; der unsrige sind unsere Kinder, unser Haus; jenem gehören ihre besten Kräfte. Wir würden die Ordnung der Natur verkehren, wenn wir einen ausschließenden Anspruch an alle ihre Thätigkeit, alle ihre Empfindungen machen wollten. Wenn nun bei dem großen Treiben und Regen aller edleren Kräfte des Menschen, im Feld oder in wichtigen Staatsgeschäften, worin ihn Constantin braucht, bei der Gewißheit deines Todes, die ihn fast an den Rand des Grabes brachte, bei den unausgesetzten Bestrebungen der schönen und schlauen Calpurnia, einen Eindruck auf sein wundes Herz zu machen, wenn, sage ich, bei allen diesen Umständen dein Bild nach und nach in Schatten zurück weicht, kannst du ihn so hart anklagen, so unnachsichtlich tadeln? Kannst du dir ein großes Verdienst aus deiner festern Treue machen, du, die ihn am Leben weiß, und die durch keine Zerstreuung, keine Verführung von ihm abgelockt wird?

Aus allen diesen Gründen kann ich deinen Plan, dich ihm ganz zu entziehen, und die Rolle der Verstorbenen fortzuspielen, unmöglich billigen. Wie leicht kann ein Zufall dein Geheimniß enthüllen? Wie tief müßte es [10] deinen Freund, wenn seine Hand noch frei ist, schmerzen, diese Entdeckung nicht dir selbst verdankt zu haben? Und wenn es zu spät wäre – was würde deine und seine Lage seyn! Mich schaudert vor dem Gedanken. Das überlege wohl, meine Geliebte! ehe du auf dem begonnenen Wege weiter schreitest. Auf mich kannst du jedoch in jedem Fall sicher zählen, ich werde dein Geheimniß treu bewahren, obwohl ich nicht mit deiner Ansicht verstanden bin, und sehr wünsche, dich von der Unthunlichkeit und Gefahr dieser Grille – verzeih meiner Freimüthigkeit den Ausdruck – zu überzeugen. Theophania! Du gehst auf einem schlüpfrig steilen Wege. Er kann dich an den Rand des Abgrundes, er kann dich in den Abgrund selbst führen, und du stürzest nicht allein hinein, du reißest auch deinen Freund mit dir.

Wenn du denn aber wirklich für ihn unsichtbar bleiben willst, so entziehe dich mir nicht, jetzt, wo keine Pflicht dich mehr abhält, dem Rufe der Freundschaft zu folgen. Komm zu mir! In meinem Hause sollst du so einsam und verborgen leben, als in der Zelle eines Eremiten. Komm zu mir, und laß mich das Glück der Freundschaft genießen, das ich so lange entbehrt habe. Du weißt, wie ich dich liebe, und wie glücklich mich deine Zusage machen würde. Leb' wohl!

56. Florianus an Valerien

56. Florianus an Valerien.

Eboracum, im November 302.


Du hast verlangt, daß ich dir antworten soll, Valeria! Es scheint, daß du zu deiner Beruhigung und zur künftigen Leitung deines Betragens dieser Antwort bedarfst. Ich erfülle den Wunsch meiner Freundin. Denke [11] aber nicht, Valeria, daß es räthlich, daß es möglich sey, diesen Briefwechsel fortzusetzen. Die innere Stimme in meiner Brust, der streng geprüfte Ausspruch meiner Vernunft verwirft jedes Mittel, das nur dazu dienen könnte, ein Verhältniß fortzusetzen, welches wir Beide, als vom Himmel selbst getrennt, betrachten müssen. Es war eine Zeit, wo ein verzeihlicher Irrthum uns verleitete, kühne Wünsche und Hoffnungen zu nähren. Dieser Irthum ist verschwunden, und mit ihm jede Hoffnung, jede Entschuldigung für einen spätern Versuch. Der Himmel hat nur zu deutlich gesprochen. Dieser Brief ist mein Erster an dich seit jenem Tage, der mir die volle Kenntniß unsers Schicksals gab – er wird auch mein Letzter seyn.

Du kennst mich, Valeria! Es ist unmöglich, daß du in dieser Erklärung die Sprache des verlarvten Wankelmuths, des flatternden Leichtsinns fürchten solltest, der heilige Pflichten zum Vorwand sträflicher Kälte mißbraucht. Der Mann, der in so reifen Jahren wählte, hat für den traurigen Rest seines Lebens gewählt. Doch von mir soll die Rede nicht mehr seyn. Ich weiß, du hast Glauben an mich, aber ich möchte dies schöne Gefühl zum Werkzeug deiner Ruhe, deines künftigen Glückes gebrauchen.

Besinne dich, Valeria! Du bist eine Kaisertochter, du bist eine Christin! Es ziemt dir nicht, so kleinlaut zu verzagen, wenn das Unglück mit kalter Hand in den Blüthengarten deines Glückes greift, und seine lachende Schöpfung zerstört. Du flüchtest im Gebete zu jener Erhabenen, die so viele Schmerzen, so viele trübe Erfahrungen gelassen ertrug, und aus jedem Sturme in neuer Würde und stiller Hoheit hervorging. Flüchte zu ihr, [12] dies Gefühl ist richtig und tadellos; aber wende dich nicht blos mit zitterndem Herzen und strömenden Thränen an ihre Fürbitte. Lerne von ihr dulden und tragen; sie litt weit mehr als du, und weit standhafter. Halte dir ihr Vorbild gegenwärtig, sie ist nicht blos das Symbol unendlicher Liebe, sie ist auch das Urbild weiblicher Geduld und Sanftmuth, und der ergebensten Gottesfurcht. Unterwirf dich mit ruhiger Hoffnung dem vereinten Willen deines Vaters, deines Kaisers, und der Vorsicht. Nicht umsonst hat sie dich ihn gerade in diesem Zeitpunkt finden lassen. Nicht ohne ihre Leitung war dein Geschick bis hierher. Vielleicht – und sehr wahrscheinlich – bist du zu etwas Größerem bestimmt, und es wäre Frevel, diese höhern Zwecke, wenn wir sie gleich nicht kennen, auf dem häuslichen Altar unserer Liebe eigenmächtig zu opfern. Wir haben die innere Stimme vom Himmel erhalten, um zu wissen, was Recht ist, die Vernunft, um uns in schwerer Wahl zu leiten, endlich seine göttliche Lehre, um das einmal gewählte Recht mit Kraft zu ergreifen, und muthig auszuführen – sollte auch unser Glück darüber zu Grunde gehen. Viel deutlicher ist noch in diesem Fall sein Wille ausgesprochen. Kein Dunkel kann unsre Wahl erschweren, kein Zweifel über das Recht bleibt übrig. Dürfen wir anstehen, uns seinen Fügungen zu unterwerfen? Könnten wir's, wenn wir auch wollten?

Darum, Valeria, fasse dich, fordre die Kraft auf, die in deinem Busen wohnt, die ich nur zu wohl kenne. Sey stark, sey geduldig, vor Allem, sey fromm! Laß mich nie wieder von einem sträflichen Wunsche hören, der meine Seele verwundet hat. Laß mich nicht fürchten müssen, daß du dich einst so weit verlieren könntest, Hand [13] an dich selbst zu legen! Weißt du wohl, Valeria, daß wir dann ewig getrennt wären? Nur im Elysium begegnet die Selbstmörderin dem einst geliebten Schatten. Aber ein heiliger Gott verwirft den Rasenden, der über sein Leben gebieten zu können glaubt, und den Feigen, der die auferlegte Last ungeduldig abwirft, und der Prüfung entflieht. Valeria! wenn ich dich einst dort mit Wonne empfangen, wenn du mich in einer Welt des Friedens und der Gleichheit wieder antreffen willst: so trage, was dir die Vorsicht auferlegt, und harre standhaft aus.

Valeria! Leb' wohl! Was du auch zu dulden hast, wie viel Schwerter durch deine Seele gehen mögen, denke, daß dein Freund mit dir leidet, und dein Herz keine Wunde empfängt, die nicht das meine eben so schmerzlich zerreißt. Schreibe mir nicht mehr – ich darf dir nicht antworten. Mache keinen Versuch, dich an Constantin zu wenden. Ich kenne seine Lage – er kann uns nicht helfen, uns ist nicht zu helfen. Das bedenke – vergiß mich – und lebe wohl!

57. Theophania an Junia Marcella

57. Theophania an Junia Marcella.

Nicäa, im November 302.


Wenn du nicht lächeln willst, meine geliebte Freundin, so möchte ich mein Herz einem klaren Wasserspiegel vergleichen, der zwischen Büschen verborgen das Bild des schönen Himmels treu in seiner Tiefe bewahrt. Wenn auch Stürme auf eine Weile seine Oberfläche trüben und empören, daß die Bilder entfliehen oder verworren auf den unstäten Wellen schwanken, so bringt es doch seine Natur mit sich, daß er mit allen seinen Kräften [14] wieder in seine vorige Lage zu kommen strebt, und sich nach und nach selbst beruhigt. Dann sieht der Wanderer, der ihn in seiner stillen Verborgenheit aufsucht, nicht die Fluth selbst, er sieht nur die Bilder des Ufers und den schönen blauen Himmel, der ihm aus der klaren Tiefe entgegen strahlt. So ist es mir ergangen, meine Geliebte! Von selbst, ohne äußeres Zuthun, hat sich mein Herz wieder gefunden; der stille Friede und mit ihm ein theures Bild sind in dasselbe zurückgekehrt. O es war eine traurige Zeit, als ich ihn nicht mehr lieben zu dürfen glaubte, als ich ihn für leichtsinnig und flatterhaft halten mußte! Es war ein Aufruhr in meiner Natur, eine gewaltsame Verwirrung derselben. Ich muß ihn lieben, ich muß mit ihm einig seyn, wenn ich es mit mir selbst seyn soll. Ich bin es wieder, und das ist das Kleinod meiner Brust. Jetzt strahlt der stille Spiegel wieder nur sein theures Bild zurück, und ich darf wohl sagen, es ist mir wie der Fluth, die selbst verschwindet, und nur den Himmel zeigt. Ich will mich gern selbst vergessen, wenn nur Er glücklich ist.

Du wirst vielleicht glauben, daß ich ihn gesehen, oder sonst etwas von ihm gehört hätte. Nein, meine Liebe! Aus meinem Innern, aus den Erinnerungen an meine Jugend, aus der Zusammenhaltung mehrerer Umstände, aus der Ueberzeugung von seinem Werthe ging die kräftige Beruhigung hervor. Selbst deinen Brief habe ich erst erhalten, als es bereits stille in mir war. Was er enthielt, gab mir noch höhere Kraft und das angenehme Gefühl der Uebereinstimmung mit der edelsten Freundin. Ja, meine Liebe, er ist ganz entschuldigt! Er steht rein und tadellos vor mir, und das macht mich glücklich, so [15] wenig beneidenswerth sonst meine Lage ist. Nur der Gedanke, an ihm zweifeln zu müssen, kann mich wahrhaft unglücklich machen, denn er stört meinen Frieden. Ihn lieben, und die Tugend lieben, ist Eins bei mir! Aber wenn auch diese Ueberzeugung die unerläßliche Bedingung meiner Seelenruhe ist, so ist sein Besitz kein Recht, das ich von der Vorsicht als ein Eigenthum ansprechen darf. Jenes hat sie mir gewährt, weil Seelenfrieden zu unserm Seelenheile nothwendig ist. Unsre Glückseligkeit ist es aber nicht, und so darf ich diese nicht ansprechen, und thue es auch nicht. O meine Junta! wie glücklich ich geworden wäre, wenn es Gott gefallen hätte, uns zu vereinigen, wage ich nicht zu denken. Mir schwindelt vor dieser Höhe von Seligkeit, die vielleicht für dies Leben zu groß gewesen wäre! In dieser Furcht beruhigt sich mein Herz, und bescheidet sich, die Wonne des Himmels nicht schon hienieden zu genießen.

Mein Vorsatz, unbekannt zu bleiben, steht daher noch immer fest. Es tragen manche Nachrichten, manche Ueberlegungen dazu bei, es rührt auch wohl manche Ansicht aus Heliodors Umgange her. Ich will mich bemühen, dir Alles klar und deutlich zu machen, so deutlich, als ich es fühle; aber es ist schwer, Gefühlen Sprache zu geben, und was wir als entschieden wahr empfinden, dem Andern eben so klar einsehen zu machen.

Es lebt hier ein gewisser Marcius Alpinus, derselbe, der zum Nachfolger meines verstorbenen Gemahls bei dem Heere bestimmt war, und dessen Ankunft der gekränkte würdige Held nicht erwarten wollte. Er kennt mich also nicht persönlich, so wenig, als ich ihn je gesehen habe; aber er kennt Alles, was in Nikomedien und am Hofe [16] von einiger Bedeutung ist, und so denn auch das Haus des Proconsuls, seine schöne Tochter und ihre Verhältnisse. Irre ich nicht, so haben ihre Reize selbst einigen Eindruck auf ihn gemacht; aber wie das bei solchen Weltmenschen geht, es gleitet Alles leicht über ihre abgeschliffenen Seelen hin, und so auch die Liebe. Von ihm habe ich nun durch schickliche Fragen und Erkundigungen so viel erfahren, daß Calpurniens Verhältniß zu Agathokles kein Geheimniß ist, und daß man in der großen Welt ihrer Verbindung als einem sehr wahrscheinlichen Ereignisse entgegen sieht. Wie soll ich bei diesen Verhältnissen den Muth haben, hervorzutreten? Wie leicht könnte es geschehen, daß Agathokles durch mein Daseyn mehr erschreckt als erfreut würde, daß er dann aus Rechtschaffenheit ein Band zerreißen würde, das ihn glücklich machen könnte, um sich in ein Verhältniß zu schmiegen, das ihm fremd geworden ist, und nicht anders als drückend seyn würde? Und würde ich dann glücklich seyn? Nein, meine Liebe! Viel besser ist's, er erfährt nie, daß ich lebe; so erspare ich ihm Beschämung, Rene, eine schwere Wahl, oder eine noch mühsamere Treue, die mich unglücklicher machen würde, als seine Sinnesänderung.

So bin ich still und fest entschlossen, meinem Plane treu zu bleiben, und aus eben der Ursache kann ich dein Anerbieten, nach Apamäa zu fliehen, nicht annehmen. Dort bin ich bekannt, dort könnte es mir nicht gelingen, unter meinem Christennamen unerkannt zu bleiben, und ich muß diesem Glücke, wie so manchem andern, entsagen. Ich muß hier, wie so oft in meinem Leben, sagen: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, [17] der Name des Herrn sey gebenedeiet. Ach, wenn ich den Trost nicht hätte, wie könnte ich mein Schicksal ertragen! So viel zu verlieren, so Vielem zu entsagen, und doch nicht zu verzweifeln – dazu gehört unmittelbare Unterstützung von oben, Wirkung der göttlichen Gnade, um die ich in unablässigem Gebete ringe. »Betet, so wird euch gegeben werden!« Ja es wird mir gegeben werden – nicht das, was mein Herz, vielleicht irrig, für mein Glück hielt – aber das, was ich bedurfte, um seinem Verluste nicht zu erliegen, Geduld, Kraft und Frieden.

Glaube aber nicht, meine Theure, daß mein Gemüth immer so ruhig ist! Nein, deine arme Freundin ist nicht in jeder Stunde so unbegreiflich stark, um den Verlust von Agathokles Liebe, und den Entschluß, dein Anerbieten auszuschlagen, mit stillem Gleichmuth zu ertragen. O es ist mir oft, als wollte es mir die Brust zerreißen, wenn ich bedenke, was ich gehofft habe, und wie es nun geworden ist! Zuweilen schweben mir Bilder aus der Vergangenheit vor, zuweilen, wenn ich das stille Glück betrachte, das Fulvia, die Gemahlin des Lysias, genießt, wenn ich die Liebe und Achtung bedenke, mit der diese Gatten sich behandeln, die tausend kleinen Geschäfte des Lebens, die durch Liebe, Zärtlichkeit, Treue und Aufmerksamkeit so namenlosen Reiz erhalten, und sich mir dann der Gedanke aufdringt, was ich als Agathokles Gattin hätte werden können – o dann, Junia! gehört mehr als menschliche Kraft dazu, um nicht zu verzweifeln. Dann bleibt mir keine Rettung als im Gebete, das oft die Hälfte meiner Nächte einnimmt, und in Heliodors düster erhabnen Ansichten der Welt und Zukunft. Er reißt mich [18] mächtig empor, er, der die leidenschaftliche Liebe zu einem Geschöpfe verdammt, während er sein Leben der Menschheit widmet, er, dem der Landsmann, der Verwandte nicht näher steht, als der Wilde, für den er eben so willig sein Blut vergießt, er zeigt mir meine Pflicht in einem wunderbaren, erhabnen kalten Lichte, und so weh seine Vorstellungen meinem Gefühle thun, so mächtig stärken sie meinen Willen, und erhöhen meine Kraft.

Ich habe an Sulpicien geschrieben, mit verstellter Hand, um jeder Entdeckung vorzubeugen. Ich will mir diesen Weg offen erhalten, um etwas Zuverlässiges von Calpurniens Verhältnissen zu erfahren. Sie hat mir geantwortet, ganz so, wie ich es erwartet hatte; ihre Antwort hat nichts an meinem Entschlusse geändert. Nächstens werde ich ihr wieder schreiben, ich will es wagen, Calpurnien unter einem schicklichen Vorwande um jene Zeichnung bitten lassen, die mir die volle Gewißheit meines Unglücks gab. Es istsein Bild. Ach, ich habe sonst nichts von ihm, und muß das Einzige von meiner Nebenbuhlerin erbetteln! Ach Junia!

Ist einst dieses Band, wie es Sulpicia selbst zu erwarten scheint, wirklich geknüpft, verlassen vielleicht die glücklichen Gatten Asien, was doch möglich wäre, oder hat die Zeit auch die letzte Spur meines Andenkens in seiner Brust verlöscht – dann komme ich zu dir, dann birgst du mich im Schatten deines Hauses, und gönnst mir einen Antheil an der Besorgung deines Hauswesens, an der Erziehung deiner Kinder, deiner Enkel, die bis dahin deine spätern Jahre verschönern werden, damit mein Daseyn nicht ganz nutzlos verschwinde, und ich, [19] wenn der milde Befreier der gefangenen Seele erscheint, mit dem Bewußtseyn aus der Welt scheide, doch Einem Menschen Etwas gewesen zu seyn. Leb' wohl!

58. Constantin an Eneus Florianus

58. Constantin an Eneus Florianus.

Nikomedien, im December 302.


Die Zeit wird immer fruchtbarer an Begebenheiten und Saamen für die Zukunft. Der Krieg mit den Persern ist durch einen glorreichen Frieden geendigt, wir haben unsern triumphähnlichen Einzug in Nikomedien gehalten, und Diocletian begegnet dem Galerius mit einer Achtung, die vermuthlich die ehemalige schimpfliche Strafe gut machen soll. Galerius müßte nicht seyn, wie er ist, wenn er dies Gefühl des Unrechts nicht mit gewaltiger Hand ergreifen und zu seinem Besten nützen sollte. Ich weiß zuverlässig, daß er die Ueberlegenheit, die ihm dies Gefühl und die sinkenden Kräfte des alternden Augustus geben, mißbraucht, um diesen zu manchem Schritte zu zwingen, oder zu überreden – wer entscheidet das? – der eine langerprobte Klugheit Lügen zu strafen droht. Man spricht sogar hier und da, aber nur höchst geheim davon, daß Diocletian freiwillig die Regierung niederlegen, den mailändischen Augustus zu demselben Schritte bereden, und sich dann in die Einsamkeit nach Salona, wo er sich in Geheim und lange schon einen lieblichen Aufenthalt zubereiten läßt, begeben wird. Dann würden Galerius und mein Vater Augustus werden, und wer würde den Rang der Cäsarn ein nehmen? Mir hier keinen Nebenbuhler, keine Creatur des düstern Galerius vorkommen zu lassen, soll meine Sorge seyn. Ich habe fürstliches Blut und fürstlichen Sinn von meinem Vater [20] geerbt, und deine Unterweisungen haben mich gelehrt, das, wozu mich Natur und Geschick beriefen, mit festem Gemüth zu erkennen, und zu ergreifen.

Marcius Alpinus ist von Galerius entfernt, und Präfect in Nicäa geworden, er, dieser gewandte Höfling, der Günstling des Cäsars, ein kriechender Schmeichler, ein erklärter Feind der Christen, und darum seinem Gebieter bis jetzt scheinbar unentbehrlich. Aber wer wäre dem Galerius unentbehrlich! Genug, er ist entfernt, und spielt in Nicäa die Rolle des Philosophen, der, des Hofes und der Welt satt, nur sich allein leben will. Ich habe ihn von jeher verachtet. Seit er aber bei jeder Gelegenheit, und erst neulich bei Agathokles Beförderung zum Tribun, diesem mit heimlicher Bosheit entgegen war – ob aus eignem Widerwillen, oder weil der Sclave auch die Neigungen seines Herrn kriechend theilt, und mich in meinem Freunde haßt, weiß ich nicht – seitdem habe ich ihn die Gesinnung, die mir sein Betragen einflößte, deutlich merken lassen, und seinen Einfluß verachtet. Jetzt in seiner Verbannung hat er, uneingedenk alles Vorgefallenen, mir seine guten Dienste anbieten lassen. Die verächtliche Seele! Er weiß viel, sein Einfluß war bedeutend – was ich zu thun habe, werde ich sehen. Es ist nichts so gering, so verwerflich, das nicht, an seinen rechten Platz gestellt, zweckmäßig gebraucht werden könnte, und meine Zukunft, folglich auch meine Maaßregeln liegen noch in tiefem Dunkel. Daß ich nichts Unwürdiges thun werde, weißt du. Aber was Nothwehr und drängende Verhältnisse fordern, kann nicht mit dem Maaßstabe ruhiger Fassung gemessen werden, und die Moral des Menschen und des Staats nicht dieselbe seyn. [21] Gegen den, der sich Alles erlaubt, muß die Vernunft selbst alle Mittel ohne Unterschied ergreifen heißen, sonst sind unsre Waffen nicht gleich, und die gute Sache unterliegt ängstlichen Rücksichten. Doch, bei Gott! Eneus, bei dem, der für's Wohl der Menschheit sein Leben gab, nur die Nothwehr wird mich solche Mittel ergreifen machen! Auf den Höhen der Politik kehren wir wieder in den Stand der Natur zurück, wo nur das Recht des Listigern oder Stärkern gilt. Galerius haßt mich, er haßt die Christen, er will sie verfolgen. Es wird ein harter, ein gewaltiger Kampf entstehen; aber ich hoffe, der Himmel und Cato werden dann auf einer Seite stehen 1.

An meinen theuren Vater habe ich vor zwei Tagen geschrieben, und mich umständlicher über meine Lage erklärt. Er ist wohl so gut, dir zu erzählen, was zweimal zu schreiben mir weder meine Neigung, noch meine Zeit erlaubt. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Stelle, auf welche sich diese Anspielung bezieht, ist aus dem Lucan:

Magno se judice quisque tuetur.

Victrix causa Diis placuit, sed victa Catoni.

59. Agathokles an Phocion

59. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im December 302.


Es werden beinahe zwei Monate vergangen seyn, seit du keinen Brief mehr von mir erhalten hast, und da jetzt meine Zeit wieder freier ist, hast du wohl gegründetes Recht, Nachricht von mir zu fordern. Ich bin mit dem Cäsar, Constantin und Tiridates seit einigen Tagen hier. Der Kaiser hat mich zum Tribun unter den Jovianern ernannt. Bis in dem Quartiere der Leibwache Platz für [22] mich gemacht wird, wohne ich bei meinem Vater, der Mich mit besonderer Güte behandelt, seit mein Verhältniß zu Constantin, und glückliche Umstände mir eine bedeutendere Existenz verschafft haben. Uebrigens ist mein Leben wie vorhin. Ein trüber Gedanke verläßt mich nie, und vergebens suche ich ernstlich, mich in dem Umgange einer liebenswürdigen Freundin zu zerstreuen, deren Vorzüge vermögend wären, vielleicht in jedem andern Herzen frühere Eindrücke zu verlöschen. Bei mir ist ihr Zauber verloren. Ich achte ihre Verdienste, ich erkenne die seltne Macht ihrer Reize, ich fühle mich erheitert, so lange ich um sie bin; aber die Leere meiner Brust auszufüllen, vermag sie nicht.

So von der Wirklichkeit abgestoßen, und unfähig, in irdischen Gütern Glück zu suchen und zu finden, ergreift der Geist desto heftiger die Ideen, die sich ihm darbieten. Und so höre nun, Phocion, was eigentlich mich abhielt, dir schon längst zu schreiben. Glaube nicht, daß es Mangel an Erinnerung oder minderes Verlangen war, dir alle meine Gedanken mitzutheilen; es war Unschlüssigkeit, Furcht, möchte ich beinahe sagen. Es ist eine peinliche Lage, wenn verschiedene Schicksale zwei Freunde zu sehr verschiedenen Arten der Ausbildung und Ueberzeugung führen, so, daß dem Einen zuletzt nichts übrig bleibt, als dem süßen Trost zu entsagen, mit dem geliebten Freunde über den wichtigsten Punkt der Erkenntniß gleichstimmig zu denken. Dann zögert der Mund, das auszusprechen, was schon längst in Beider Herzen bereit lag, und die Hand weigert sich, der Tafel die inhaltschweren Worte einzugraben.

Doch muß es geschehen. Höre denn, mein Freund[23] mein Geständniß, und laß mich hoffen, daß der Zwiespalt in unsrer Erkenntniß keinen Zwiespalt in unsern Empfindungen hervorbringen werde.

Ich bin ein Christ. Vor vier Wochen habe ich vor einer kleinen Anzahl meiner Glaubensgenossen feierlich das Bekenntniß jener Wahrheiten und Lehren abgelegt, die längst schon mein ganzes Wesen mit inniger Ueberzeugung ergriffen hatten. Daß es so kommen würde, war mir langst gewiß, und auch dir wird diese Nachricht nicht unerwartet seyn; aber meines Vaters wegen bleibe dieser Schritt noch so lange verborgen, bis nicht dringende Umstände mein öffentliches Bekenntniß fordern. Das bin ich ihm schuldig.

Nun habe ich errreicht, was ich so lange als das Ziel dunkler heftiger Wünsche suchte, das Höchste, Beste, was der Mensch erreichen kann. Ich bin einig mit mir selbst, gewiß über meine Bestimmung in diesem, mein Loos im andern Leben; jeder Zweifel ist gelöset, und jede Pflicht liegt klar und deutlich vor mir.

Um meine Ueberzeugung so viel als möglich in deinen Augen zu rechtfertigen, wende ich mich zur Beantwortung der neuen Anklagen und Vorwürfe, die deine letzten Briefe, welche ich in Nisibis empfing, gegen meinen Glauben enthalten.

Du schilderst mir in dem ersten derselben mit wahrhaft dichterischem Feuer die Lieblichkeit der griechischen Mythologie, und die schönen Bilder, die sie den Sinnen in jeder Art der Wahrnehmung darbietet. Nicht fähig, ihren Werth für die Ueberzeugung und Moralität der Menschen auf der jetzigen Stufe ihrer Bildung zu beweisen, bemühst du dich, ihnen einen höhern, bessern Sinn unterzulegen [24] und deutest in diesen Fabeln, was nie darin lag, und was nur Geister, wie der deinige, die denn ohnedies dieses Behelfes nicht bedürfen, hineinlegen können. Warum das, mein Freund? Die Mythen unserer Voreltern waren in ihrem Ursprung ganz löbliche und nützliche Erfindungen für die Menschheit in ihrer damaligen Lage. Sie enthielten naturgeschichtliche Wahrheiten, in liebliche Bilder verhüllt, die Geschichte der Erde, ihre Revolutionen, den Einfluß der Gestirne, der Jahreszeiten auf ihre Bewohner. So waren sie dem eingeweiheten Priester ehrwürdige Symbole der Alles erzeugenden Natur, dem Laien aber bald nichts anders, als widersinnige Repräsentanten eben so vieler über- oder untergeordneter Gottheiten, die bald einig, bald kämpfend, sich in die Herrschaft der Welt theilten, und so den erhabnen Begriff eines einzigen Schöpfers verdrängten. Das heranreifende Menschengeschlecht entwuchs diesen kindischen Begriffen. Der Weise fing an zu grübeln, die Menge zu spotten; und nun sind wir dahin gekommen, daß kein verständiger Mensch einen erhebenden Sinn mit diesen Mährchen verbinden, kein Herz durch ihren Anblick zu höherm Schwunge geweckt werden könnte, wenn auch alle schönen Künste sich um die Wette beeiferten, Götterbilder und Tempel mit Allem auszustatten, was die Sinne reizen, die Einbildungskraft vergnügen kann.

In wessen Herz strömt jetzt noch ein Tempel, wo die verspottete Gottheit wohnt, heilige Schauer? Wer fühlt noch etwas Anderes bei dem Anblick eines schönen Götterbildes, als daß es ein treffliches Werk der Kunst sey? Und selbst diese Künste! Die Zeiten des Perikles sind dahin, die Jugendblüthe der Menschheit ist vorüber, und [25] mit ihr die Blüthe der Kunst. Kein frisches lebendiges Geschlecht trägt Göttergestalten in seiner Brust, und stellt in Marmor oder Erz dar, was seine Seele begeisternd erfüllt. An den zügellosen Hofhaltungen verächtlicher Wollüstlinge oder blutdürstiger Tyrannen verstummen die Gesänge der heiligen Dichter; und wie könnte ein Imperator, der im wilden Lager ausgearteter Legionen erzogen wurde, mit Lust und Geschmack den Liedern horchen, die einst einen August entzückten? Jene Zeiten sind vorbei, und mit ihnen die Fähigkeit, jene Fabeln und Bilder für etwas zu halten, und sie zu verehren. Würdest du wohl die Leidenschaft des erwachsenen Jünglings durch den Aesop oder Phädrus zu zähmen wähnen? Oder könntest du dich mit der Hoffnung täuschen, die Wuth der empörten Prätorianer mit einer Fabel zu beschwören, wie Minenius Agrippa? 1 Andere Zeiten erzeugen andere Sitten, andere Menschen, und diese haben andere Bedürfnisse. Eins der ersten des aus Geist und Körper zusammengesetzten Geschöpfes ist Religion. Der Hang dazu liegt in ihm, und äußert sich bei den rohesten Völkern im kindischesten Weltalter. Ihnen genügt die todte Natur nicht, sie beseelen sie, und beten den Geist an, den sie ahnend entdecken. Tiefer als mancher Philosoph, mancher herzlose Spötter wähnt, liegen diese Gefühle in unsrer Brust, und verkünden sich bald als erhabene Gottesfurcht, bald als Neigung zum [26] Wunderbaren, Gespensterfurcht, Glauben und Ahnungen, Träume u.s.w. Der Mensch, seines unsterblichen Gefährtens sich bewußt, sucht diese wunderbare Vereinigung von Geist und Materie überall, ahnet in jeder außerordentlichen Begebenheit viel lieber die Einwirkung eines höhern Wesens, als die Folge todter kalter Gesetze, und fühlt sich nirgends allein, wenn Alles um ihn her von einer unsichtbaren denkenden Kraft geleitet wird. Aber die Dryaden und Hamadryaden, die Nymphen der Quellen, die Satyren und Faunen sind aus den Wäldern entflohen, zum Theil vor der Stimme der Vernunft, zum Theil vor dem Hohngelächter, womit der unüberlegte Spott die fromme Einfalt schreckt. Statt ihnen wohnt in dem einsamen Dunkel der Wälder und in der erhabnen Stille der Natur das Gefühl der allgegenwärtigen Gottheit, die das Moos am Baume mit eben der Weisheit schuf, als das Auge des Beobachters, und den denkenden Geist, der fähig ist, diese Betrachtungen anzustellen. Der einige, allwissende, allmächtige Schöpfer erfüllet das Ganze, sein Hauch schwebt in den säuselnden Lüften um uns, seine väterliche Fürsorge offenbaret sich in dem Instinkte jedes Thiers, dem Bau jedes Nestes. Scheint dir dieser Ersatz zu gering für jene fabelhaften Wesen? Und warum bemühest du dich, dem Glauben an sie einen neuen Sinn unterzuschieben? Laß sie entfliehen mit dem Strom der Zeit, der sie der Vergangenheit zuträgt – sie gehören nicht mehr in unser Zeitalter. Ein neues besseres System steht da, die Menschheit soll es ergreifen, oder es ergreift sie mit mächtigem Arm; denn es ist ein Kind des Geistes der Zeit, und unwiderstehlich wie er.

[27] Noch habe ich einen Einwurf zu beantworten. Das Christenthum, sagst du, ist den Künsten nicht günstig. Ein Theil der Antwort liegt schon im Vorhergehenden. Das Zeitalter ist ihnen ungünstig. Es ist wahr, das Christenthum duldet nicht Bilder und Zeichen desjenigen, der weit über alle Vorstellung, über jeden Begriff erhaben ist. Schließen doch selbst die wilden Germanier ihre Gottheit nicht in Tempel, als in eine unwürdige Beschränkung ein: so darf und muß der Christ auch seinen Gott auf die höchste, reinste Weise verehren. Aber das Rad der Veränderung wälzt sich unablässig fort, und der menschliche Geist steht nie stille. Es werden Zeiten kommen, wo in sicherer Ruhe der thätige Trieb sich erfindend, bildend entfalten wird. Wenn einst nach Jahrhunderten die Stürme vertobt haben, deren Beginn wir nun erleben, wenn alle wilden Nationen, die jetzt über die gesittete Welt hereinzubrechen, und Cultur, Künste, Wissenschaft und Ordnung zu stürzen drohen, sich unter einander bekämpft, verjagt, und blutig aufgerieben haben werden: dann wird in dem allgemeinen Schrecken nur die Religion allein aufrecht stehen, sie wird das Heiligste und Höchste des Menschen bewahren, sie wird dem Uebermuth roher Barbaren Ehrfurcht gebieten, ihre sanfte Macht der wilden Gewalt das Gleichgewicht halten, in die Hallen ihrer Tempel werden sich Künste und Wissenschaften vor dem Sturm retten, und wenn es auf dem müden Erdkreis stille geworden, wird ein schönerer Tag aus ihnen über die neugeborne Welt hervorgehen. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Als das Volk in den ersten Zeiten der Republik einst gegen den Senat und die Reichen aufgebracht war, und sich außer Rom auf einem Berge gelagert hatte, brachte es der Consul Menenius Agrippa durch die bekannte Fabel von dem Magen und den Gliedern des Leibes wieder zur Ordnung, und in die Stadt zurück.

60. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

[28] 60. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Nicäa, im December 302.


Du willst Nachrichten, Neuigkeiten von mir hören. Was, bei allen Göttern, soll ich dir aus diesem Neste von Stadt schreiben? Es geht Alles seinen langsamen regelmäßigen Gang fort, und da eine große Anzahl der hiesigen Einwohner Christen sind, so ist dieser Gang so stille und erbaulich, daß Jemand, der aus einem raschern abwechselndern Leben kömmt, hier Gefahr läuft, vor langer Weile zu sterben. Zwei Monate bin ich hier – sie dünken mich zwei Jahre – und bin entschlossen, nicht mehr lange hier zu seyn. Es bereiten sich wichtige Vorfälle im Stillen vor, es sind viele Hände geschäftig. Daß meine Freunde unter der Zahl sind, ist natürlich. Aber nicht allein, was für mich gethan wird, soll mir zum Nutzen gereichen, auch was meine Feinde wider mich zu thun meinen, soll sich unter ihren Händen in Waffen gegen sie verkehren. Man hat mich vom Hofe entfernt, und glaubt mich auch von jeder Einwirkung entfernt zu haben. Ich lasse sie bei dem Glauben, der sie vergnügt und sicher macht, und spiele hier die Rolle des gestürzten Günstlings mit Anstand und Demuth. Galerius kann meiner nicht entbehren, das weiß ich. Constantin haßt mich, und braucht mich vielleicht doch einst. Diocletian ist ein untergehendes Gestirn. Die Christen arbeiten in Geheim für sich, Galerius offenbar gegen sie, der Augustus schwankt, – ein böses Anzeichen bei einem Manne, der sonst den Zweifel nicht kannte. Eine Partei muß siegen. Es kommt nur darauf an, sich die Hände so frei zu erhalten, daß man sie zur rechten Zeit ohne Schande ergreifen kann, und dafür wollen wir sorgen.

[29] Du willst wissen, was ich von Galerius Maaßregeln gegen die Christen denke? Sie scheinen mir, wo nicht ganz zwecklos, doch zweckwidrig. Sollte es möglich seyn, die christliche Religion auszurotten, woran ich je mehr und mehr zweifle, nicht aus Achtung für sie – eine solche Abgeschmacktheit wirst du mir nicht zutrauen – sondern weil ich sie zu fest begründet glaube: so müßte es nicht mit offenbarer Gewalt geschehen. Verfolgung, Strafen, Gefahren exaltiren solche Menschen noch mehr, sie machen sie eigensinnig, unüberwindlich. Von innen, in ihren edelsten Theilen müßte diese Secte angegriffen, in sie der Keim des Verderbens gelegt werden, der dann den ganzen Körper langsam vergiften, und zur Auflösung bereit machen könnte. Aber ein solches Mittel wird ein Mensch, wie Galerius, nie ergreifen.

Constantin wird eine bedeutende Rolle spielen, die Natur hat ihn dazu bestimmt, er kann nicht untergeordnet bleiben, und es ist ein sicheres Zeichen seines Scharfblickes, daß er es mit den Christen hält, und also den Geist der Zeit für sich hat. Das ist auch wohl bei einem so klugen Mann, wie er, der wahre Beruf zu diesem Glauben. Er sammelt jetzt schon Menschen und Hülfsquellen um sich, die er zu seiner Zeit in Bewegung setzen wird. Ihm können auch Schwärmer nützen, und so hat er einen der entschiedensten, jenen Agathokles um sich, den neulich der Schwindelgeist seiner Kameraden zum Tribun machte. Ich hasse den Menschen aus mehr als Einem Grunde, und nehme mir vor, ihm nächstens einen empfindlichen Streich zu spielen. Es ist eine lächerliche Geschichte, die ich vielleicht in Nikomedien keiner Aufmerksamkeit gewürdigt hätte, die aber dazu dienen soll, [30] mir die lange Weile zu vertreiben. Ich war kaum acht Tage hier, als mir eines Morgens in der Nähe eines Christentempels ein Frauenzimmer begegnet, dessen guter Anstand und tiefe Wittwentrauer meine Blicke flüchtig auf sich ziehen. Sie kommt näher, ich betrachte sie genauer, und obwohl der schwarze Schleier ihr Gesicht halb verbirgt, erkenne ich mit Erstaunen Larissa, die Wittwe des Demetrius, die man schon lange für todt gehalten hatte. Als ich nach Nisibis kam, um den Heerbefehl zu übernehmen, war sie schon abgereiset; aber ich kannte sie von frühern Zeiten, und war öfters auf Reisen mit ihr zusammengetroffen. Wie sie den Händen der Gothen entgangen, wie sie hierher gekommen, weiß ich nicht; im Grunde liegt auch nichts daran. Genuß sie ist hier, und lebt im Hause eines gewissen Lysias, eines der angesehensten Bürger dieser Stadt, unter dem Namen Theophania, als Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns. Diese geheimnißvolle Verborgenheit fiel mir auf, denn ich weiß, daß sie die heißgeliebte Jugendfreundin jenes Agathokles war, der Alles, was er auf Erden besitzt, darum geben würde, wenn er erfahren könnte, daß sie lebt, und ihn noch liebt. Ich mußte der Sache auf die Spur kommen, und führte mich unter einem leichten Vorwande bei Lysias ein; da sehe und spreche ich sie nun täglich, ich stelle mich, als kennte ich sie nicht, begegne ihr mit großer Achtung, schone ihre Vorurtheile, und habe nun schon so viel herausgebracht, daß sie ihren Agathokles für untreu hält, und deßwegen ihre Verborgenheit nicht verlassen will. Das hat sie mir nun freilich nicht so geradezu erzählt, aber ihre Fragen und Erkundigungen sagten mir Alles, was ich wissen wollte. Sie [31] ist leicht zu bethören, wie alle die frommen und arglosen Menschen ihrer Art, aber sie gefällt mir, und ich hätte Lust, sie in mich verliebt zu machen. Schön ist sie nicht, aber, beim Jupiter, kein gemeines Geschöpf. Eine kleine Narbe auf der einen Wange entstellt sie ein wenig, aber ihr Wuchs ist edel, ihr dunkles Auge, das sich langsam unter seidenen Wimpern wendet, hat einen sehnsüchtigen anziehenden Ausdruck, ihre Arme sind vorzüglich schön, überdies ist sie eine Christin, und eine höchst andächtige. Es wäre doch lustig zu sehen, welchen Contrast die irdische Venus mit allen diesen Erhabenheiten machen würde, und zu versuchen, ob es nicht möglich wäre, den phantastischen Jugendgeliebten aus ihrem Herzen zu verdrängen. Der Spaß lohnt wohl die Mühe einer kleinen Vorstellung, und belustigt mich im Voraus. Leb' wohl!

61. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso

61. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso.

Nikomedien, im December 302.


Stehlen muß ich die Zeit, liebster Bruder, um dir zu schreiben, und meine alte Schuld abzutragen. Aber du kennst meine Unart. Es kostet mich Mühe, zum Schreiben zu kommen, wenn ich aber einmal anfange, kostet es mich eben so viele, wieder aufzuhören. So wirst du zwar wenige, aber desto längere Briefe von mir bekommen. Wir leben jetzt in einer unruhigen fröhlichen Zeit. Wie Schade ist's, daß du nicht Theil daran nehmen kannst! Feierlichkeiten und Unterhaltungen jeder Art wechseln mit einander ab, Hoffeste, Volksfeste, Hochzeitfeste, Friedensfeste, und deine Schwester spielt bei allen diesen Herrlichkeiten, als Tochter des Proconsuls, und Freundin der armenischen Königin, eine gar nicht unbedeutende Rolle. [32] Ich erscheine fast jeden Tag öffentlich bei irgend einem feierlichen Aufzuge, und ich müßte doch wahrlich kein Mädchen, ich müßte so etwas von einem Stoiker oder Cyniker seyn, wenn es mir nicht eine wahre Angelegenheit seyn sollte, jedesmal in einem so viel wie möglich neuen und passenden Anzug zu erscheinen. Das kostet Zeit, Nachdenken, Arbeit. Rechne dazu die vielen Stunden, welche Gastmahle, feierliche Opfer u.s.w. einnehmen, und du wirst leicht begreifen, daß deiner geschäftigen Calpurnia in ihrem weitläufigen Hauswesen wenig Zeit übrig bleibt. Zuweilen könnte ich wohl ein Stündchen finden, aber bald ist ein Freund, bald Braut und Bräutigam da; es wird geschwatzt, gescherzt – wer kann dem Reiz der geselligen Freuden widerstehen? – und so verfliegt der Tag, wie eine Minute. Wenn ich dann Abends müde auf mein Lager sinke, wiederholt Morpheus gefällig die Freuden des Tages in noch schönern Bildern. Ich bin so vergnügt, wie ich seit Langem nicht mehr war, und fühle, daß sich in diesen Freuden, als in meinem eigentlichen Elemente, mein ganzes Wesen auf's leichteste und angenehmste entfaltet.

Doch ich plaudre in einem fort, ohne zu bedenken, daß du unmöglich wissen kannst, was ich meine. Nun so will ich denn einmal die flatternde Phantasie beim Flügel haschen, und sie zwingen, recht sittsam und ordentlich zu erzählen, wie sich Alles begeben hatte. Vor zwanzig Tagen ungefähr hielten der Augustus, Galerius und Tiridates ihren feierlichen Einzug in Nikomedien. Es war eins der glänzendsten Feste, das ich je, selbst in Rom, gesehen hatte. Die angesehensten Einwohner, alle öffentlichen Autoritäten zogen ihnen im prächtigsten Anzuge [33] und mit feierlichem Gepränge entgegen; aber Alles verschwand vor der Pracht des ankommenden Hofes. Der Kaiser zwar und Cäsar Galerius machten trotz des ausserordentlichen Schimmers, der sie umgab, nicht viel Effekt, wenigstens nicht auf mich, und ich glaube, halb Nikomedien (so hoch wird sich wohl das weibliche Geschlecht hier belaufen) war einerlei Meinung mit mir, was auch die sogenannten Verständigen oder die Schmeichler von ihren bedeutenden Physiognomien, dem Herrscherblick, den Heldenstirnen sagten. Für mich waren es ein paar alte Herren ohne alles Interesse. Desto prächtiger nahmen sich dicht hinter ihnen die Prinzen Constantin und Tiridates aus. So herrlich, so blendend, wie diesmal, hatte ich sie nie gesehen. Sie ritten auf stolzen Pferden mit allem Anstande geschickter Reiter, die Sonne zog blendende Funken aus ihren Rüstungen, und die Helmbüsche wogten auf und nieder, wie sich ihre Pferde tanzend unter ihnen bewegten. Ihre schönen Gestalten waren durch die schimmernden Umgebungen sehr erhoben, und die Stimmen zwischen dem edlen Ernst des blonden Britten, und dem freundlichen Feuer des dunkeln Armeniers getheilt. Nicht weit davon im Gefolge ihrer ersten Offiziere befand sich Agathokles. Auch sein Anzug war prächtig, wie es die Feier und sein Stand forderte, aber ich muß dir aufrichtig bekennen, so wohl er mir damals gefiel, als die Blicke des ganzen Volkes an ihm als Siegesboten hingen, so verschwand er heute gänzlich vor der Schönheit und dem Glanz der beiden Fürsten. Was auch die Philosophen sagen mögen, Schönheit und hohe Geburt sind keine so ganz gleichgültigen Eigenschaften, und wenn sie auch keine Verdienste verleihen, so dienen [34] sie doch dazu, die, welche schon vorhanden sind, in ein blendendes Licht zu stellen.

Tiridates mit allen seinen guten Eigenschaften als der Sohn eines Bürgers, der etwa durch Unglück sein Vermögen verloren hätte, würde unser Mitleid erregen, und wir würden uns freuen, wenn ihm der Zufall wieder sein väterliches Gut zurückgäbe. Aber hier ist ein Fürst, der letzte Sprößling eines erlauchten Hauses, an dessen Willen einst das Schicksal von Millionen hing, durch einen Usurpator seines Throns, seiner Rechte beraubt, und verfolgt, nur durch die Treue eines alten Dieners gerettet. Dieser Fürst hat nun sein Reich mit Hülfe seiner Freunde erobert. Er ist wieder König, sein Wille lenkt wieder das Geschick von Tausenden. Wie ganz anders ist dieser Eindruck! Und wenn das Gemüth durch jene Erzählung vorbereitet ist, den merkwürdigen Mann mit günstiger Stimmung zu betrachten, dann vollendet noch eine schöne Gestalt den Zauber des ganzen Bildes. Wer kann sich dessen ganz erwehren? Wer wird läugnen, daß der schöne Tiridates als Privatmann, oder der Fürst in alltäglicher Bildung nicht halb so interessant seyn würde? Das wissen auch die Dichter, und darum stellen sie uns so gern Fürsten, Helden, Götter der Erde dar, lassen sie von großen Schicksalen gebeugt, oder erhoben werden, und schildern sie uns obendrein als vollendete Schönheiten.

Gegen Abend kam er mit Agathokles zu mir. Jetzt war der Zauber verschwunden, und in der einfachen friedlichen Toga, im freundschaftlichen Gespräch gewann dieser bald wieder seinen alten Platz neben, oder selbst vor Tiridates in meinem Geiste. Ich fand ihn etwas heiterer [35] als sonst. Die tiefe Schwermuth, die ihn vorher beinahe zu jeder geselligen Freude unfähig machte, hatte sich in einen sanften Ernst verwandelt; er war freundlich, aber still, und wortarm. Tiridates hatte beschlossen, schon den folgenden Tag nach Synthium zu gehen. Ich erhielt einen Tag Aufschub von ihm, weil ich es nothwendig fand, Sulpicien erst auf diesen Besuch, und das ersehnte Ziel aller ihrer Leiden und Wünsche vorzubereiten. Am dritten Tag reiste er endlich im Gefolge eines Heeres von Sclaven, Pferden und Kameelen, die königliche Brautgeschenke trugen, ab, um seine Braut zu holen. Der Empfang soll ganz so gewesen seyn, wie ich dachte, voll Zärtlichkeit und Achtung auf der einen, voll Entzücken auf der andern Seite. Sobald Sulpicia sich von dem Freudensturm erholt hatte, wurde sie in einer prächtigen Sänfte von acht reich gekleideten Cappadociern, die in kleinen Absätzen von Andern abgelöst wurden, so schonend und so feierlich als möglich nach Nikomedien gelbracht, und ich empfing sie am Thore des prächtigen Hauses, das Tiridates schon lange gekauft, und mit königlicher Pracht hat einrichten lassen.

Hier blieb sie acht Tage bis zu ihrer Vermählung, und diese wurden größtentheils mit Zubereitungen, mit Wahl der kostbarsten Stoffe, Juwelen, Geräthschaften u.s.w. höchst angenehm zugebracht. Am Tage des Friedensfestes, das der Augustus sehr feierlich beging, wurde auch die Vermählung des armenischen Königs vollzogen, und Sulpicia erschien mit einer Pracht, die fast die Augusta und ihre Tochter, des Cäsars Gemahlin, verdunkelte. So will es Tiridates, der nichts unterläßt, wodurch er der Welt die Achtung zeigen kann, mit der er seine Frau [36] behandelt. Seit diesem Tag dauert nun das fröhliche Leben, von dem ich dir im Anfange schrieb, und nichts stört meinen Genuß, als der trübe Gedanke, daß es nicht mehr lange währen, und dann eine tödtliche Leere an seine Stelle treten wird. Tiridates führt seine Frau, so bald die Feste vorüber sind, nach Ecbatana. Sulpicia hat sich ziemlich erholt, und wird im Stande seyn, die Reise ohne Schaden für ihre Gesundheit zu unternehmen. Ihr Gemüth ist beruhigt, und so die erste Quelle ihres Uebels gehoben. Ich hoffe jetzt auf ihre gänzliche Herstellung, aber ich werde ihre Abwesenheit sehr schwer empfinden; ich werde sie, ich werde Tiridates überall vermissen. Jetzt, wo alle Zweifel verschwunden, alle ängstlichen Spannungen aufgelöset sind, und sein Geist sich ungehindert und frei entfalten kann, kannst du dir keinen Begriff machen, welch' ein angenehmer Gesellschafter er ist, höchst liebend würdig als Fürst und Mensch. Seine Heiterkeit belebt auch Sulpicien, und unser Umgang ist angenehm und fröhlich. Freilich wird Agathokles hier bleiben; wird aber sein Ernst, seine wortarme Unterhaltung im Stande seyn, mich für jenen Verlust zu entschädigen? Ich zweifle sehr. Er ist ein Feind aller lauten Freuden, alles Schimmers, aller öffentlichen Belustigungen; er war sogar entschlossen, während der Festlichkeiten nach Synthium zu gehen, und dort ganz allein seinen Gedanken und Schwärmereien zu leben. Du mußt gestehen, daß das doch zu arg war; auch ließen wir ihn diesen trübsinnigen Vorsatz nicht ausführen, und er ergab sich zuletzt unsern vereinigten Bitten und Neckereien. Wie er sich dann betragen wird, wenn unsre Freunde ferne sind, und wieder Alles stille um mich geworden ist, das wissen die Götter; [37] ich sehe dieser Zeit mit einer Art von Schauer entgegen. Doch weg mit den trüben Gedanken! Sie sollen mir die gegenwärtige Lust nicht verderben. Und so leb' wohl, lieber Bruder! Ich eile zu Sulpicien, um im Umgange meiner Freunde jede düstre Regung zu verscheuchen.

62. Theophania an Sulpicien

62. Theophania an Sulpicien.

Nicäa, im December 302.


Es mag vielleicht unbescheiden von mir scheinen, zu einer Zeit, wo die große Welt mit Allem, was sie Glänzendes verleihen kann, Anspruch auf dich macht, und du den erhabenen Schauplatz betreten hast, auf dem nicht mehr gesellschaftliche Verhältnisse, sondern die Schicksale von Tausenden an dein Herz sprechen, dich an ein unbedeutendes Wesen zu erinnern, das du einmal freundlich aufgenommen hast. Aber wenn ich mich schon gern bescheide, und wohl weiß, daß die Beherrscherin von Armenien, und die römische Matrone nicht mehr eine und dieselben Angelegenheiten haben können, so würde ich doch selbst der Achtung, die du mir eingeflößt hast, zu nahe treten, wenn ich dich eines unzeitigen Stolzes, und eines übermüthigen Vergessens jener Empfindungen fähig hielte, die dir noch vor einigen Monaten wichtig waren. In dieser schönen Zuversicht wage ich es, noch einmal an dich zu schreiben, und vor deiner Abreise von Nikomedien mein Andenken bei dir zu erneuern.

Du stehst nun am Ziele deiner Wünsche. Heil dir, meine geschätzte Freundin! Und möge die Gegenwart und Zukunft deinem Herzen mit Wucher die Leiden der Vergangenheit lohnen! Daß ich mich innig deines Glückes erfreut, daß ich warme Gebete für dein Wohl zum [38] Himmel gesandt, wirst du mir glauben; denn du konntest es voraussetzen. Wenn diese auch vor einem andern Altar, zu einer andern Gottheit emporstiegen, so wird doch, was auch deine Meinung von ihrem Erfolg seyn mag, deine Meinung über die Absicht derselben gewiß richtig seyn. Ja, dauerndes Glück, wie es dein Herz verdient, hat deine Freundin für dich erflehen wollen; und wenn mein Gebet nicht ganz verworfen wird, so muß es dir wohl ergehen.

In meiner Lage hat sich, seit ich Synthium verließ, wenig geändert. Ich lebe still und verborgen. Meine Ansprüche auf Glück in jedem Sinne des Wortes sind längst aufgegeben, ich verlange nichts als Ruhe und Vergessenheit, und das hoffe ich noch zu erreichen. Meine Freuden bestehen darin, daß ich Zeugin der häuslichen Zufriedenheit einer schätzbaren Familie bin, die mich als eines ihrer Glieder betrachtet, und mich mein Alleinseyn in der Welt, so wenig als möglich, fühlen läßt. Ihnen wieder Freude zu machen, ist mir eine süße Pflicht, und so wage ich es, dir eine Bitte vorzutragen, deren ich schon in meinem ersten Brief erwähnte, und deren Erfüllung du mir so gütig zugesichert hast.

Es war bald nach meiner Ankunft in Nicäa einmal die Rede von dem feierlichen Tag in Nikomedien, als der Tribun die Siegesbotschaft brachte. Ich erzählte, daß ich eine wohlgelungene Zeichnung dieser Scene gesehen, und mit Vergnügen die Richtigkeit der Umgebungen sowohl als den Ausdruck der Leidenschaft auf den Gesichtern der versammelten Menge bewundert hätte. Mein gütiger Hauswirth, der selbst Kenner und Künstler ist, äußerte den lebhaften Wunsch, dies Blatt zu sehen. Ich [39] schwieg, weil ich die Schwierigkeiten wohl einsah, die seiner Erfüllung im Wege standen; indessen hielt ich es für meine Pflicht, wenigstens Meldung davon zu machen, und ersuche dich nun, dich für mich, oder vielmehr für den achtungswerthen Lysias bei der schönen Calpurnia zu verwenden, und uns die Zeichnung für einige Tage zu senden. So bald sie gesehen und bewundert seyn wird, soll es mein angelegentlichstes Geschäft seyn, sie so wohlbehalten und schnell als möglich wieder zurückzustellen. Ich fühle wohl, daß meine Bitte etwas unbescheiden ist; aber ich hoffe, der Zweck derselben wird sie bei Calpurnien entschuldigen, und den Unmuth mildern, der vielleicht in die Seele deiner reizenden Freundin gegen mich entstehen könnte. Leb' wohl!

63. Sulpicia an Theophania

63. Sulpicia an Theophania.

Nikomedien, im December 302.


Wenn schon der bloße Anblick deiner Briefe hinreicht, mir ein angenehmes Gefühl zu geben, so ist ihr Inhalt immer von der Art, um mein Gemüth auf's anziehendste zu beschäftigen. Der letzte traf mich in einer der seltenen einsamen Stunden, wo ich, müde von Pracht und gehaltlosem Gepränge, mich mit Lust in mich selbst versenkte, und die Bilder der Vergangenheit vor mir vorüber gehen ließ. Dein Brief versetzte mich um so lebhafter in jene Zeit. Der schöne Abend in Synthium, deine freundliche Erscheinung, dein Trübsinn, der meiner Schwermuth so schmeichelnd antwortete. – Alles stand wieder hell vor mir, und ich flog zu meinem Tische, um dir zu sagen, daß keine Zeit, keine Veränderung meines Schicksals dein Bild aus meiner Brust vertilgen wird, und wie [40] sehr es mich freut, daß du mir Achtung genug für's Schöne und Gute zutrauest, um mich keiner solchen Vergeßlichkeit fähig zu halten. Das Alles wollte ich dir schreiben, als mir deine Bitte einfiel, und ich mich nun bescheiden mußte, erst Calpurniens Ankunft zu erwarten. Sie kam in wenig Stunden zu mir herein gehüpft. Ich trug ihr deinen Wunsch vor, sie gewährte ihn mit der größten Willfährigkeit. Es schien sie zu freuen, daß ihre Arbeit Beifall gefunden hatte, daß man sie zu sehen wünschte, und in diesem angenehmen Gefühl beschloß sie, die Zeichnung dem Kenner Lysias, oder vielmehr dir, zum Geschenke zu machen, indem sie noch eine wohlgelungene Copie davon besitzt, und das Original der Hauptfigur ohnedies jetzt immer um sie lebt, und ihr ein Porträt überflüssig macht. Sie bittet dich, es als ein Zeichen ihrer Achtung, und ein Andenken an jenen Abend anzunehmen. Das Alles war in der ersten Viertelstunde ausgemacht; aber wie hätte, sie in dem abwechselnden Geräusch von Unterhaltungen und öffentlichem Gepränge Zeit finden sollen, an ihr Versprechen zu denken? Die Friedensfeier, die Saturnalien, und meine Vermählung haben Nikomedien in einen Schauplatz der lebhaftesten Bewegung und der lautesten Fröhlichkeit verwandelt, und in diesen Zerstreuungen, die einem ernsten Gemüthe eher Anlaß zum Mißvergnügen und zu Betrachtungen geben, lebt und webt dies leichte liebliche Wesen, wie in seinem natürlichen Elemente. So vergingen acht volle Tage, ehe ich die Zeichnung von ihr erhalten konnte. Heute endlich gab sie sie mir, und sogleich geht ein Sclave ab, um sie dir zu überbringen. Wie schön, wie beglückend [41] wäre es für mich, wenn du dich entschließen könntest – wozu der Sclave, der den Brief bringt, Befehl hat, alle Anstalten zu treffen – wenn du dich entschließen könntest, mit ihm hierher zu kommen, und mir noch einmal, wahrscheinlich das letzte Mal in meinem Leben, das Vergnügen deines Umganges zu gewähren! Ich gehe sehr bald mit meinem König und Gemahl nach Armenien. Meine Gesundheit ist zwar etwas besser, als sie in Synthium war, aber doch so gebrechlich, daß ich wenig Hoffnung habe, eine so weite Reise noch einmal zurück zu machen. Die Aerzte und auch Tiridates versprechen mir viel von der Veränderung des Klima, von der reinen Luft in den armenischen Gebirgen. Es ist möglich, daß sie Recht haben, aber es liegt ein Gefühl in mir, das allen diesen Hoffnungen widerspricht. Der tödtlich verwundete Baum prangt noch mit Blättern und Früchten, der achtlose Wanderer freut sich des Schattens, und hofft auf künftigen Genuß; aber von der Sonnenschwüle der Leidenschaft versengt, vom Gewittersturm im innersten Lebenskeime verletzt, welkt er langsam seinem Untergange zu. Wie kann er vom lauen Herbst mit seinen kurzen Tagen, seinen frostigen Lüften sich Heilung versprechen? Nur der milde Einfluß des Frühlings vermochte es vielleicht, aber – der Frühling des Lebens, der Frühling der Liebe ist dahin!

Du hast um dauerndes Wohl für mich zu deinen Göttern gebetet. Mit Rührung habe ich deiner Liebe gedankt, und dich beneidet, du Glückliche, die in tiefen Bedrängnissen, wo keine menschliche Kraft mehr ausreicht, ihre Zuflucht gläubig zu höhern Mächten nehmen kann. Ich kann nicht hoffen, ich kann nicht beten; denn ich kann [42] nicht glauben. Unsre Gottheiten sind leere Schattenbilder, und an taube Mächte, die des Sterblichen Loos nach eisernen Gesetzen lenken, kann ich kein Gebet verschwenden. O komm, Theophania! komm, und bringe mir deine sanften Tröstungen mit, flöße meinem Herzen deinen beglückenden Glauben ein! Wie gern will ich mich dir ganz hingeben! Und da dein Herz durch kein süßes Band hienieden gehalten ist, so ergreife das Einzige, was dir übrig ist, schlinge es noch fester, und folge mir nach Ecbatana. Dort soll die treueste Freundschaft sich bemühen, deine Wunden zu heilen, und dir deinen Verlust erträglich zu machen. Tiridates, dem ich von meinem Wunsch gesagt habe, läßt dich durch mich seiner Achtung versichern, und vereinigt seine Bitte mit der meinigen. Wie schön würden die letzten Tage in Nikomedien seyn, wie manche Beschwerlichkeiten der Reise würden verschwinden, wenn du sie mit mir theilen wolltest! Bedenke das, meine theure Freundin! und laß mich einer günstigen Antwort entgegen sehen.

64. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

64. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Nicäa, im Jänner 303.


Die todten Massen fangen an sich zu regen, und es kömmt wieder Leben und Bewegung in mein einförmiges Daseyn. Begierde und Widerstand, Vorurtheil und Uebermacht erregen Kampf und Gährung auf dem grossen Schauplatz der Welt, und in dem Mikrokosmus, der mich hier umgibt. Die Kräfte, die bisher ungebraucht schliefen, erwachen, da sich ihnen würdige Gegenstände der Thätigkeit darbieten, und ich werde bald wieder ganz das seyn können, wozu mich Natur und Umstände bildeten. [43] Der lange glimmende Funke ist in Flammen ausgebrochen, der Krieg des Polytheismus gegen den Christianismus erklärt. Galerius hat die kluge Gleichmüthigkeit des alternden Augustus zum Wanken gebracht, und ihn bewogen, lange geprüften Grundsätzen zu entsagen. An allen Orten ist den Christen befohlen worden, ihre Tempel zu schließen, ihre Opfer einzustellen, keine Predigten zu halten, und jeder Versuch, Proselyten zu machen, wird mit dem Tode bestraft 1. So neigt sich also wenigstens für den Augenblick das Zünglein der Wage auf die Seite der alten Ordnung; auf wie lange – wird die Zeit lehren. Indessen sind meine Freunde thätig gewesen, man hat Galerius meiner denken gemacht, und ich er warte nun nächstens einen angemessenen Wirkungskreis zu erhalten. Ich werde ihn mit Vorsicht benützen, und über der Gegenwart nicht die Zukunft außer Acht lassen. Constantin ist ein zu glänzendes Gestirn, um sogleich nach seinem Aufgange zu verschwinden, und der Plan, das Christenthum zu unterdrücken, oder gar zu vertilgen, wird wohl ein fruchtloser Versuch bleiben. Indessen, so lange man sein Glück mit Verfolgen machen kann, verfolge man, doch immer mit gehöriger Klugheit und Feinheit, um den Uebergang zum Gegentheil nicht unmöglich zu machen. Nie wird ohnedies ein verständiger Mann das rechte Maaß überschreiten – nur Rasende oder Schwärmer stürzen sich über Hals und Kopf in eine Partei.

So viel vom Oeffentlichen, worin du nun bald wieder den Namen deines Marcius wirst nennen hören. Etwas [44] weniger günstig, aber nicht weniger lebhaft, bewegt es sich in meiner kleinen Welt. Die fromme Theophania ist eigensinnig, und ihre beschränkte Denkart setzt meinen Wünschen Hindernisse entgegen, die mich nur heftiger reizen. Sie muß mein werden, auf welche Art es sey. Nicht, daß ich so sehr verliebt in sie wäre – aber die Erscheinung ist neu, und mich unterhält das Sonderbare. Die Art der gewöhnlichen Weiber kenne ich auswendig, da ist nichts mehr, was mir unerwartet wäre, nichts mehr, das meine Phantasie spannen könnte. Bei Theophanien öffnet sich mir eine neue Welt, und ich fühle seit langer Zeit zum ersten Mal wieder mit wahrem Behagen alle Triebfedern meines Wesens in eine angenehme Spannung versetzt. Ich habe allerlei Plane entworfen, und du wirst nächstens den glücklichen Erfolg meiner Bemühungen hören; denn ich muß eilen, an's Ziel zu gelangen, ehe meine künftige Bestimmung mich aus ihrer Nähe wegruft. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Alles dies, so wie die Stürmung der Kirchen an Einem Tage im ganzen Reiche ist geschichtlich.

65. Agathokles an Phocion

65. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Jänner 303.


Eine heftige Unruhe bewegt mein Innerstes, Furcht und Hoffnung wechseln jede Secunde, und bringen mich bald der Verzweiflung, bald der Seligkeit nahe. Es ist möglich – fasse das Entzücken, das in diesem Gedanken liegt! – es ist möglich, daß Larissa noch lebt; aber es ist auch möglich, daß sie meiner vergessen hat, daß ein Andrer – nein, das ist nicht möglich! – Es ist Lästerung, dies auch nur zu denken. Wenn sie noch lebt, so liebt sie mich, wie nächtlich auch ihr Geschick, wie gebietend die Umstände seyn mögen, die sie hindern, mich ihr [45] Daseyn wissen zu lassen. Aber ob sie noch lebt, ob die Luftgestalt, die vor mir schwebt, mehr als das ist – das liegt noch verhüllt im Schooße der Zukunft. Und was wird sie mir bringen?

Vor ungefähr acht Tagen komme ich zu Sulpicien. Calpurnia ist bei ihr, es ist die Rede von einer Zeichnung, die diese entworfen hat. Ich wünschte sie zu sehen. Man weigert sich eine Weile, endlich reicht Sulpicia mir ein Blatt, das neben ihr liegt. Stelle dir meine Ueberraschung, meine Verwirrung vor, als ich in der Zeichnung jene Scene meines Einzugs als Siegesbote erkenne. Ich war betroffen, gerührt, beschämt von Calpurniens unverdienter Güte. Auch sie erröthete und war verlegen, aber mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit fand sie sich bald wieder, und fing so unbefangen an, von der Zeichnung als Kunstwerk, als schwierige Aufgabe, zu sprechen, die sie sich selbst, um ihre Kräfte zu versuchen, gegeben habe, daß meine eigene Betroffenheit, aber auch mein freudiges Gefühl entwich, und nichts übrig blieb, als die Bewunderung ihrer Kunst und ihrer – Kälte. Endlich rief Sulpicia eine Sclavin, und befahl ihr, das Blatt einzupacken und abzusenden. Wohin? fragte ich mit sehr natürlicher Neugierde, und erfuhr nun, daß im vorigen Herbst eine Fremde, die sich Theophania nannte, die eine Christin, Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns war, und mit ihrem Vater nach Nikomedien reisen wollte, von den beiden Römerinnen im Vorbeireisen eingeladen worden war, die Nacht auf der Villa zuzubringen. Die Schwermuth der Fremden gewann ihr Sulpiciens Zuneigung. Im vertraulichen Abendgespräch kam die Rede auf jenes Bild. Die Fremde besah es, schien erschüttert, [46] und verrieth dadurch, daß sie mich kenne. Am andern Morgen, wo Sulpicia sie sehr blaß und verstört fand, erklärte sie, daß ein plötzlicher Zufall sie zwinge, ihren Reiseplan zu verändern, und nach Nicäa zu gehen. Kein Bitten der beiden Frauen vermochte sie, nur eine Stunde länger zu verweilen. Sie reisete alsogleich mit ihrem Vater ab, und lebt nun in Nicäa, im Hause eines angesehenen Mannes, der sich Lysias nennt. Von hieraus hat sie ein Paarmal an Sulpicien geschrieben, und sich die Zeichnung ausgebeten. Die Erzählung machte mich aufmerksam, und erregte seltsame Vermuthungen in meiner Seele. Calpurnia schilderte mir die Gestalt der Fremden. Ach jeder Zug rief ein theures Bild zurück! Alles traf ein, bis auf eine Narbe auf der Wange, die ich nie an Larissen bemerkt hatte. Mein Herz schlug heftig, – man zeigte mir ihren Brief. Da zerfloß die schöne Hoffnung wieder. Die Züge glichen nicht ihrer Schrift; dennoch glaubte mein einmal erregtes Gemüth zu entdecken, daß die Buchstaben nicht frei gebildet, sondern wie mit Absicht verstellt seyen. Ich äußerte meine Vermuthungen nicht, aber ich eilte zum Präfect der Leibwache, und bat ihn um Urlaub auf acht Tage. Ich wollte nach Nicäa, in's Haus des Lysias; ich wollte mich selbst überzeugen, wer diese Theophania sey. Der Präfect schlug meine Bitte geradezu ab, und gleich als ob er fürchtete, ich möchte ohne seine Erlaubniß dennoch fortreisen, trug er mir die Wache im kaiserlichen Palaste auf. Ich knirschte vor Zorn, aber ich mußte gehorchen. Mein vertrautester Sclave wurde nach Nicäa an einen alten Bekannten unsers Hauses gesandt, um sich nach der Fremden zu erkundigen. Nach sechs langen Tagen kam er, gestern zurück, seine Nachrichten löseten keinen meiner [47] Zweifel, sie dienten nur, sie noch mehr zu verwirren. Theophania galt auch hier für die Wittwe eines byzantinischen Kaufmanns; aber der Greis, der sie begleitet hatte, war nicht ihr Vater, es war ein christlicher Priester, ein Bruder des Senators Lysias, derselbe, der vor mehr als einem Jahre als Glaubenslehrer zu den Gothen gereiset war. Zu den Gothen! Und von daher war er jetzt mit dieser Fremden gekommen! Hat er sie dort gefunden? War sie aus Byzanz? Warum nannte sie ihn auf der Reise ihren Vater? Wie kam er dazu, sie zu begleiten? Wie kam sie in das Haus des Lysias? Der feile Marcius kömmt täglich hin, er spielt öffentlich ihren Verehrer, er will sie heirathen, und sie – sie begegnet ihm freundlich. Ist das auch wahr? Kann man Gerüchten trauen? Marcius Alpinus muß Larissen persönlich kennen, und sie ihn. Gegen diesen Mann könnte sie ihr Daseyn nicht verschweigen, wenn sie mit Theophanien Eine Person wäre. Oder verbirgt sie sich blos vor mir, und ist Marcius ihr Vertrauter, der Einzige, der um ihr Schicksal wissen darf? O Phocion! Wie glühende Dolche kreuzen sich diese Gedanken in meiner Seele. So viel ist gewiß, entweder Theophania ist nicht Larissa, oder wenn sie es ist, so trennt ein böses Schicksal, oder noch bösere Menschen sie auf ewig von mir – so ist sie nicht viel besser, als für mich verloren, für mich, dem sie sich so ängstlich verbirgt. O kann sie denn das Entzücken nicht denken, in das mich ihre Erscheinung versetzen würde? Glaubt sie nicht mehr an meine Treue, weil die ihrige erloschen ist? O beim Himmel! Wenn das wäre – – dann mußte ich den für meinen Todfeind halten, der mir die Gewißheit gäbe, daß sie den Händen [48] der Gothen entgangen ist, um das Weib jenes Marcius zu werden!

Und wenn sie nicht Larissa ist? Wenn diese wirklich unter dem Hügel von Trachene begraben liegt? O die Wahrscheinlichkeit dieses Gedankens drängt sich mir, wenn meine Phantasie in kühnen Bildern schwelgt, am öftersten, am lähmendsten auf! Wer weiß, wer diese Theophania ist! Sie ist aus Nikomedien gebürtig, sie hat mich vor zehn Jahren öfter gesehen, ich sie auch vielleicht, ohne ihren Namen zu wissen. Wie leicht ist eine gleichgültige Gestalt in zehn Jahren vergessen! Heliodor hat sie zufällig in Byzanz kennen gelernt, die junge verlassene Wittwe begibt sich unter den Schutz des ehrwürdigen Priesters, dessen Alter und Denkart ihr eine anständige Begleitung zusichert. So kommen sie nach Synthium, so nach Nicäa, wo er sie zu seinen Verwandten bringt. Dort lebt sie verborgen, bis der verächtliche Wollüstling Marcius die große Zahl seiner Schlachtopfer mit ihr vermehren will. Wie alltäglich, wie allzunatürlich ist diese Geschichte! Ihre Erschütterung beim Anblick meines Bildes, ihre folgende Blässe, Verstörtheit, der geänderte Reiseplan sind wohl eben so unbedeutende Umstände, die nur in Sulpiciens Phantasie, welche gern die gewöhnlichsten Dinge in einem seltsamen pathetischen Lichte sehen will, ihren Ursprung haben. So fallen meine Hoffnungen in ein leeres Nichts zusammen.

Hundert Mal in einem Tage durchläuft mein bewegtes Gemüth den ganzen Kreis von Vermuthungen, Zweifeln, Absprechungen, die dieser Brief enthält. Hundert Mal entsagt die prüfende Vernunft den leeren Schattenbildern, [49] und eben so oft faßt sie das Herz mit wehmüthiger Freude wieder auf. O wer kann einer solchen Aussicht entsagen, ehe er bestimmt weiß, daß sie blos Täuschung ist! Auch steht mein Entschluß fest, so bald ich kann, nach Nicäa zu eilen, und mir Ueberzeugung zu verschaffen, falle sie nun aus, wie sie wolle. Ich denke bald Erlaubniß zu erhalten – bis dahin brennt der Boden unter meinen Füßen.

Der Staatskunst und dem alten Haß ist sein feindliches Werk gelungen. Die Christenverfolgung ist ausgebrochen. Aber unsre Feinde werden doch nicht triumphiren. Es werden tausend Opfer fallen, und das Gebäude der Kirche, benetzt mit dem Blute unzähliger Bekenner, wird sich schöner und fester aus seinem Schutt erheben. Auf einer neuen Seite wird mein Gemüth in diesem Zeitpunkt innerlicher Unruhe von jenen Fällen erschüttert. Ich sehe meine Brüder leiden, ich sehe die Ungerechtigkeiten, die man sich gegen sie erlaubt, und Schonung gegen einen dem Grabe nahen Vater verbietet mir, öffentlich aufzutreten, und mich als ihren Glaubensgenossen zu bekennen, jetzt, wo sie der Vertheidiger und Helfer nicht genug haben könnten.

Verborgen und heimlich versammeln sich die Gemeinden in Katakomben und Gräbern, die ihnen schon in früheren Verfolgungen zu Zufluchtsörtern dienten. Dort halten sie ihren Gottesdienst, berathen sich über ihre Gefahren, und mir ist der Zutritt vermehrt, weil man mich für einen Heiden, einen Anhänger des Hofes hält. Wie sehr diese Verstellung das Gewicht meines Kummers vermehrt, begreifst du leicht, Phocion! Auch werde ich [50] sie bestimmt nur so lange fortsetzen, bis eine heilige Pflicht gegen meine Brüder und meine Ueberzeugung jene schonenden Rücksichten aufhebt. Vielleicht hörst du bald mehr von mir – mein Schicksal muß sich nun schnell entscheiden. Leb' wohl!

66. Theophania an Junia Marcella

66. Theophania an Junia Marcella.

Nicäa, im Jänner 303.


Auch in den trübsten Stunden meines Lebens war es mein eifrigstes Bestreben, mein Herz mit den Fügungen der Vorsicht zufrieden zu sprechen, und mich ihnen unbedingt in Allem zu unterwerfen. So erhielt ich mir mitten unter Trübsalen den heiligen Frieden, den unser göttlicher Lehrer seinen Jüngern als das schönste Geschenk hinterließ. Bisher hatte ich es immer vermocht; denn bisher hatte ich meine Leiden als unmittelbare Schickungen Gottes betrachten können – ich hatte noch nicht durch die Bosheit und Verderbtheit der Menschen gelitten. Jetzt, wo diese neue Art von Bedrängniß über mich kommt, und mir das letzte Gut, was ich auf Erden besitze, meine Verborgenheit und meinen unbescholtenen Ruf zu rauben droht, jetzt empört sich mein Herz in wilden Schlägen, zum ersten Mal mischt sich der Zorn in meinen gerechten Schmerz, und die stille Ergebung entflieht aus meiner Brust. Solltest du es für möglich halten, daß ich den Nachstellungen eines Bösewichts ausgesetzt bin, daß meine Gestalt die wilde Sinnlichkeit des verächtlichen Marcius Alpinus gereizt hat, der zuerst sich mir unter der Hülle der Achtung und Freundschaft näherte, dann seine niedrigen Absichten durchscheinen ließ, und als er [51] entschlossenen Widerstand fand, seine Zuflucht zur List und Nachstellungen nahm?

Schon lange merkte ich, daß er mich auszuforschen suchte; seit einigen Tagen fühle ich mich auf jedem Schritt von seinen Spähern belauscht, beobachtet. Ich fürchte, er ahnet, wer ich bin. So viel ist gewiß, daß man sich genau nach meinen Schicksalen, nach meiner Hierherkunft, meinem Verhältniß zur Familie des Lysias, sogar nach meinem Aufenthalt in Synthium erkundigt. Von wem anders, als von ihm, können diese Verfolgungen herrühren? Er möchte gern Meister meines Geheimnisses, und mit ihm Meister meines Willens seyn. Schlechtdenkend, wie er ist, kann er, wenn er vermuthet, wer ich bin, mir keine andre, als eine niedrige Ursache oder Absicht meiner Verborgenheit zutrauen, er muß nothwendiger Weise glauben, mich in seine Gewalt zu bekommen, wenn er mein Geheimniß weiß. Das soll er nicht hoffen, der Bösewicht. Er ist mächtig – sein Einfluß ist wieder groß, und das Laster findet überall Gehülfen. Dennoch, wer sterben kann, ist unüberwindlich. Ich werde nie zugeben, daß die Welt und Agathokles mein Daseyn erfahre. Drängt er mich aber, und bleibt mir kein Ausweg übrig, mein Leben oder mein Geheimniß zu retten; so wird ja wohl der Schöpfer nicht zürnen, wenn das geängstete Geschöpf zu ihm flieht, und das letzte Mittel, das mich bei den Gothen in gleicher Gefahr hätte retten sollen, mich auch jetzt von den Tücken dieses Ungeheuers befreit. Bin ich todt, dann mag Agathokles wissen, daß die vergessene Larissa noch lange genug lebte, um zu erfahren, daß ein Band, das sie für mehr als Eine Welt geknüpft glaubte, [52] durch die Gewalt einer leichtsinnigen Schönheit zerrissen werden konnte.

Sie lieben sich, das ist gewiß, darüber kann auch die kühnste Hoffnung keinen Zweifel nähren. Ich weiß das aus sichern Quellen, und was ihnen mangelte, ersetzte Sulpiciens Brief. Sie hat mir die Zeichnung geschickt. Calpurnia macht mir ein Geschenk damit. O allmächtiger Gott! Sein Bild aus ihrer Hand! Sie bedarf dessen nicht mehr, schreibt die Königin, da das Original beständig um sie lebt! Und Calpurnia schwebt, wie eben der Brief sagt, mitten im Geräusch und Schimmer glänzender Feste, und dorthin folgt er ihr! Er, dessen Wesen sonst dieser Art von Freuden zu widerstreben schien, er verläugnet seine bessere Ueberzeugung, er ist nicht mehr Agathokles, er ist der gefällige, tändelnde Liebhaber der reizenden Calpurnia, die er, wie ihr Schatten, überall hin begleitet!

Sulpicia hat mir sehr freundschaftlich, aber in einem höchst schwermüthigen Tone geantwortet. So hat denn auch sie der Besitz des Geliebten, der Thron, die Erfüllung aller ihrer Wünsche nicht glücklich gemacht! Sie lud mich ein, mit ihr nach Ecbatana zu gehen. Ich erkenne ihre Güte mit dankbarem Gemüth, ich habe ihr Alles geschrieben, was mein wahrhaft gerührtes Herz mir darüber eingab, aber ich habe ihr Anerbieten standhaft abgelehnt. Ach, wenn ich meinen Zufluchtsort verlassen dürfte, wohin auf der weiten Welt würde ich am liebsten fliehen, als in deine Arme!


[53] Zwei Tage später.


Und doch muß ich fort. Das erzürnte Schicksal gönnt mir keine Ruhe. O womit habe ich diese Härte verschuldet! Das Gewitter ist ausgebrochen – auch du wirst seine Wirkungen empfinden – unsre Kirchen sind geschlossen, viele unsrer vornehmsten Mitbrüder sind in Verhaft genommen. Auch dem würdigen Lysias, der einer der Aeltesten der Gemeinde, und ein thätiges, eifriges Mitglied derselben ist, droht dasselbe Schicksal. Indessen ist er entschlossen zu bleiben, und Alles standhaft abzuwarten, was Bosheit oder Rachsucht über ihn zu verhängen beschlossen hat. Er hat Feinde, und weiß nur zu wohl, daß Religionshaß nicht zum ersten Male zum Deckmantel kleinlicher Rache dienen mußte. Heliodor geht von hier nach Nikomedien, wo unter den Augen des Augustus der Verfolgungsgeist minder gesetzlos wüthet. Unter diesen Umständen bleibt dies Haus keine sichere Zuflucht mehr für mich. Allein zu reisen wage ich nicht, da ich mich so wenig persönlicher Sicherheit erfreuen kann. Es bleibt mir also kein Ausweg übrig, als mit Heliodor zu gehen. Marcius Alpinus ist in diesem Augenblick nach Cäsarea zum Galerius berufen, vielleicht ist dies der einzige Zeitpunkt, der mir zur Flucht übrig ist. Auch haben Heliodor und Lysias mich überzeugt, daß man in einer großen geräuschvollen Stadt viel eher hoffen kann, unbemerkt zu bleiben, als an einem kleinen Orte, wo jeder Nachbar um jeden Schritt des andern weiß. Ueberdies werde ich nicht in der Stadt selbst wohnen. Eine Viertelstunde davon, am Eingang eines kleinen Gehölzes, liegt ein Dörfchen, dessen ich mich noch wohl aus meiner Kindheit erinnere. Hier von Lärmen und Zerstreuung [54] geschieden, bewohnen einige christliche Wittwen ein einsames kleines Haus, und widmen, da sie in der Welt nichts mehr zu wirken und zu hoffen haben, den Rest ihrer Tage den Uebungen der Frömmigkeit und Menschenliebe. Sie verfertigen die Geräthe und Kleidungsstücke für die Kirchen, und dienen in denselben als Diaconissinnen 1; aber ihr schönster Wirkungskreis ist die Unterstützung der Armen, der Unterricht der Mädchen, die ihrer Aufsicht übergeben sind, und die Pflege der Kranken, die theils in's Haus gebracht, theils in ihren Wohnungen von den wohlthätigen Frauen besucht werden. Zu ihnen wird mich Heliodor bringen. In den Mauern dieses Hauses, das ich nicht verlassen muß, wenn ich nicht will, kann ich ganz unbemerkt und verborgen leben, und der Beruf dieser Wittwen gibt meinem gehaltlosen Daseyn Zweck und Werth. Morgen reise ich ab. Wir werden, um alle Nachforschungen zu täuschen, die Straße nach Apamäa einschlagen, und von dort erst auf einem Umwege nach Nikomedien gehen. Sobald ich in meiner stillen Freistätte angelangt bin, werde ich dir schreiben. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Diaconissinnen waren christliche Wittwen, welche in den Kirchen, besonders bei der Taufe weiblicher Katechumenen dienten.

67. Agathokles an Phocion

67. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Februar 303.


Das Gewitter zieht sich von allen Seiten zusammen. Bald ist es nicht mehr möglich, seinen Schlägen auszuweichen; so werde ich ihnen denn mit männlichem Muthe [55] begegnen. Gestern ließ der Präfect der Leibwache mich rufen. Vielfache Neckereien, in denen der Sinn des kaiserlichen Edicts überschritten wurde, haben die lange Geduld der unglücklichen Christen ermüdet. Es sind hie und da unruhige Auftritte vorgefallen, und diese wahrlich natürlichen Regungen der Selbsterhaltung brandmarkt die Tyrannei mit dem Namen Rebellion. Man bot die bewaffnete Macht gegen sie auf – mit ungleichem Erfolge. An einigen Orten wurden die Verfolgten das Opfer der Uebermacht, an andern mußte der kleine Haufe der Soldaten der Ueberzahl der Unglücklichen weichen, die ihr Theuerstes und Höchstes mit der Wuth der Verzweiflung vertheidigten. Man hat nun beschlossen, wirksamere Maaßregeln zu ergreifen, und ich sollte mit ein paar Centurien, die ich mir aus den geprüftesten Kriegern selbst auswählen durfte, nach Cäsarea, wo die Mißhandlungen des Stadtpräfecten dem Bischof, einem ehrwürdigen Greis, bereits das Leben gekostet, und alle christlichen Einwohner zur Empörung gezwungen hatten.

Hier zu schweigen war unmöglich. Aber die Pflicht des Sohnes gebot, das nicht mehr zu verhehlende Geheimniß dem Vater wenigstens zuerst zu entdecken. Ich bat mir Bedenkzeit aus, und kündigte meinem Vater meinen Entschluß, den Auftrag nicht zu übernehmen, und die Ursache desselben an. Er wüthete – das hatte ich vorhergesehen – er drohte mit Enterbung und Fluch – ich war darauf vorbereitet, es schreckte mich nicht – er verbannte mich zuletzt aus seinen Blicken, und verbot mir, sein Haus je wieder zu betreten. Ich würde unwahr seyn, wenn ich behaupten wollte, daß mich dies Betragen nicht geschmerzt habe; aber es schmerzte mich mehr [56] um seinetwillen, denn ich fürchtete die schädliche Wirkung des Zorns für den abgelebten Greis. Von ihm ging ich zum Präfecten der Leibwache, und erklärte ihm, warum ich unmöglich gegen die Christen streiten könnte. Er schien eben so erstaunt als aufgebracht, und nachdem er sich in Drohungen mit der Ungnade des Kaisers, mit Verlust meiner Stelle, und in leerer Wiederholung aller der seichten Beschuldigungen gegen das Christenthum, die man gewöhnlich vorbringen hört, erschöpft hatte, machte er zuletzt einen Versuch, mich zu bekehren. Ich hatte meines Vaters Zorn und Fluch ertragen, kaum konnte das Beginnen des Präfects mir mehr als ein Lächeln abnöthigen. Ich bat ihn zu thun, was seine Pflicht in diesem Falle von ihm fordern würde, und das Uebrige meiner Ueberzeugung zu überlassen. So verließ ich ihn.

Als ich in dem Quartier meiner Kameraden angelangt war, brachten die Sclaven meines Vaters alle meine Gerätschaften, Bücher, Waffen, Kleider. Mein Vater wolle nichts mehr von mir wissen, er habe keinen Sohn mehr; diese Botschaft gab er den Sclaven mit, und dachte mich dadurch sehr tief zu kränken. Mich rührte die Trauer und Liebe, die diese guten Menschen mir zeigten, und mein Herz öffnete sich mildern Empfindungen. Am Abend langte ein Brief aus Nicäa an. Theophania war verschwunden, Niemand wußte wohin. In Lysias Hause wird ein tiefes Schweigen darüber beobachtet. Heliodor hat sie begleitet. Marcius Alpinus ist einige Tage vorher nach Cäsarea abgereist. Sollte sie ihm dahin gefolgt seyn? Unmöglich! Heliodor kann die Frau, die sich seinem Schutze übergab, die er in's Haus seiner Verwandten brachte, nicht einem Marcius [57] Alpinus in die Arme führen; sey sie übrigens, wer sie wolle! Ihr Geschick beunruhigt mich. Ich kann den Gedanken, den ich einmal von ihr gefaßt habe, nicht aufgeben, und jetzt, da sie auf's Neue für mich verloren scheint, wird er mir wahrscheinlicher als jemals.

Wahrlich, es hätte dieses Zusatzes nicht bedurft, um meine Lage höchst unangenehm zu machen. In dessen soll nichts mein Bewußtseyn erschüttern. Ich weiß, was ich zu thun habe – ob es schwer oder leicht sey, darf ich nicht fragen – es muß geschehen! Jeder, der in dieser Zeit sich als Christen bekennt, hat einen viel härteren Stand, als die längstbekannten Glaubensgenossen. Man sieht ihn gleichsam als einen trotzigen Rebellen, als einen offenbaren Verächter des kaiserlichen Gebotes an. So geht es mir – so würde es Constantin gehen, der auch in diesen entscheidenden Augenblicken dem Augustus seine wahre Gesinnung entdecken müßte, wäre er nicht der Sohn des Cäsars. Mißtrauen und Haß umlauert uns von allen Seiten, selbst die Briefe sind nicht sicher. Solltest du lange keinen erhalten, so denke, daß es mir unmöglich war zu schreiben, oder das Geschriebene sicher abzusenden. Leb' wohl!

68. Theophania an Junia Marcella

68. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, im Februar 303.


Seit zwei Wochen bin ich hier, eine Viertelstunde von Nikomedien entfernt. Von dem flachen Hausdache sieht mein Auge die nahe Stadt, die Giebel ihrer prächtigen Tempel, die ehrwürdigen Thürme unsrer Kirchen, von denen leider jetzt kein Laut zu uns herüber tönen [58] darf. Linker Hand gegen das Stadtthor zu, das an's Meeres-Ufer führt, liegt das Quartier der kaiserlichen Leibwache. Dort wohnt Agathokles. Ich sehe den Rauch aus den Essen steigen, ich höre an stillen Abenden die kriegerische Musik herüberschallen, ich entdecke zuweilen schimmernde Schaaren, die durch die Thore ein- und ausziehen. Wie manches Mal mag Er an ihrer Spitze gewesen seyn! Das schärfste Auge könnte in dieser Entfernung keine Gestalt unterscheiden, aber der Gedanke daran erschüttert mein Innerstes, und macht jede Nerve beben.

Unter den Frauen, mit denen ich lebe, ist die Wittwe eines Freigelassenen aus dem Pisonischen Hause. Verschiedene Schicksale haben sie von Rom hierher geführt, aber ihre Tochter Drusilla blieb aus Anhänglichkeit freiwillig in Calpurniens Diensten. Das junge Mädchen, auch eine Christin, besucht ihre Mutter zuweilen. O meine Junia! Was erzählt uns das Mädchen öfters von der Güte und Freundlichkeit ihrer Gebieterin, von dem wenigen Credit, in dem das männliche Geschlecht bei ihr steht, und daß sie nur höchstens Einen, einen Offizier der Leibwache, den sie schon in Rom gekannt, und nicht ungern gesehen habe, von der allgemeinen Verdammung ausnehme. Dann beschreibt sie uns manche kleine Unterhaltung, manches trauliche Symposion 1, wobei der geschätzte Freund nicht fehlen darf. So bekamen wir die Schilderung eines Festes, das Calpurnia ihrem ruhmbekleideten Geliebten zu Ehren gab. Das Fest muß unausbleiblich einen gewaltsamen Eindruck auf sein Herz [59] gemacht haben, oder er müßte unempfindlich gegen so mächtige Reize, und mehr als demüthig, er müßte blind gegen seinen Werth seyn. Drusilla hatte selbst eine Rolle dabei, und sie mag sie ganz geschickt ausgeführt haben, denn es ist ein artiges wohlgebildetes Geschöpf, dem man die bessere Erziehung ansieht. Das ist Calpurniens Werk, sagt die Mutter, sie hat sich des Mädchens wie eine ältere Schwester angenommen, und Drusilla ist ihr auch dafür mit ganzer Seele ergeben.

Und so ist denn der letzte Strahl von Hoffnung verschwunden! Calpurnia ist nicht allein höchst reizend und liebenswürdig, sie ist auch edel und schätzbar. Agathokles wird sich nicht bei näherer Kenntniß ihres Charakters kalt von ihr wenden, er wird sie immer mehr lieben, je mehr er sie kennen wird, und geistige Vorzüge werden das Band unauflöslich machen, das körperlicher Reiz und schmeichelndes Betragen um sein Herz warf. Und darüber traure ich? Es schmerzt mich, daß Calpurnia gut ist? Ich hätte mich freuen können, daß eine Person, die mich nie mit Willen beleidigt hatte, unedler Gesinnungen fähig gewesen wäre? Mich beeinträchtigt das Gute, was ein dankbares Gemüth von ihr erzählt? O Neid und Eifersucht, ihr Geburten der Eitelkeit und Selbstsucht! So muß auch ich euren giftigen Einfluß fühlen! So ist denn die Tugend, auf die ich stolz seyn zu dürfen glaubte, nichts als Heuchelei, oder Schein gewesen, der vor einer ernsten Probe entflieht! O Junia! Wie gebrechlich ist das menschliche Herz! Welche Hoffnung bliebe ihm auf Verzeihung und Gnade, wenn es nicht mit zitterndem Vertrauen zu dem väterlichen Erbarmen Gottes flüchten könnte!

[60] Diese Stimmung darf nicht bleiben, sie ist nicht menschlich gut, viel weniger einer Christin würdig. Wo meine Kraft nicht ausreicht, halte mich ein stärkerer Arm. Heliodor kömmt morgen von einer kleinen Reise zurück. So viel Ueberwindung es mich kosten mag, so wenig Schonung ich von diesem strengen Richter hoffen darf, so enthülle ihm doch ein offenherziges Geständniß den Zustand meiner Seele, und seine ernste Tugend zeige mir den Weg, auf dem ich mich wieder erheben, und Selbstachtung gewinnen kann.


Einige Tage später.


Ich bin viel ruhiger in meinem Innern. Leicht war diese Stille nicht erworben, doch ich hoffe, sie soll dauerhaft seyn. Heliodors Strenge hat mich gebeugt, vernichtet. Aber wie die Pflanze nach dem schweren Gewitterregen sich am Strahl der Abendsonne aufrichtet, so richtet sich auch mein Geist durch versöhnende Reue, und feste Vorsätze gestärkt empor. Ich habe mich selbst überwunden, ich habe mein innerstes Wesen zum Opfer auf den Altar der Pflicht gebracht, und der himmlische Lohn folgt auf den Kampf. Ich kann nun zwar nicht mich über Calpurniens Edelmuth und ihre Verbindung mit Agathoklesfreuen – ach das ist noch nicht möglich! – aber ich kann bei der Gewißheit, daß ich ihn verloren habe, einige Beruhigung in dem Gedanken finden, daß er mit ihr glücklich seyn wird.

Heliodor hat mir zur Sühnung meines Vergehens eine Pflichtübung auferlegt, die mir wahrlich sehr schwer fällt, die nur die Erkenntniß ihrer Verdienstlichkeit mich [61] anfangs ertragen machen konnte. Ich war bisher von der Krankenpflege befreit, meine Erziehung, meine Erfahrung in weiblichen Arbeiten bestimmte mich zum Unterricht der Schülerinnen, und ich widmete mich gern dieser Beschäftigung. Jetzt muß ich aus Heliodors Befehl – denn seine Ueberzeugung spricht sich nicht, wie bei unserm ehrwürdigen Vater Theophron, als Rath oder Ermahnung aus – ich muß auf seinen Befehl mich der Pflege der Kranken widmen, und da er mir, meiner vorigen Verhältnisse wegen, Kenntniß in äußern Verletzungen zutraute – o welche Scenen rief dies Gespräch hervor! – so muß ich unter seiner und einer betagten Matrone Anleitung die Verwundeten besorgen. O meine Junia! das war eine schreckliche Aufgabe! Das erste Mal trug man mich ohnmächtig weg. Aber Heliodor war unerbittlich. In einer unvergeßlichen Stunde führte er mir die Heiligkeit der Pflicht, das Beispiel unsers Erlösers, die schimmernden Thaten so vieler Christen mit einer Beredtsamkeit zu Gemüthe, daß ich endlich, in Thränen zerfließend, in seine Hand den Schwur niederlegte, meinem Berufe treu zu bleiben, und sollte es mir Gesundheit und Leben kosten.

Seit dem geht es merklich besser. Ich habe ziemlich viel Uebung; denn die Grausamkeit der Heiden läßt es nicht an Unglücklichen fehlen, die der Hülfe unseres Hauses bedürfen. Mein Widerwille verliert sich, meine Geschicklichkeit nimmt zu, und ich sehe wohl ein, daß, das Grauen des ersten Anblicks abgerechnet, bei dieser Art von Kranken viel weniger Gefahr und Beschwerde ist. So will ich denn mein Loos mit Geduld tragen; aber, so bald mein Schicksal entschieden – Agathokles [62] vermählt, und das Daseyn eines vergessenen Geschöpfes ganz gleichgültig ist – eile ich in deine Schwesterarme – und ach! ich denke – ich komme bald – sehr bald!

Fußnoten

1 Symposion, ein kleines Gastmahl.

69. Constantin an Eneus Florianus

69. Constantin an Eneus Florianus.

Nikomedien, im Februar 303.


In einer sehr unruhigen Stimmung sende ich dir, mein väterlicher Freund, diesen Brief. Noch diese Nacht geht ein verläßlicher Bote damit heimlich auf einem Fischerkahne aus dem Hafen ab, und bringt ihn nach Byzanz zu unserm Vertrauten, der ihn dann auf bekannten Wegen weiter befördert. Die Stadt ist gesperrt, und Alles in dumpfgährender Bewegung. Heute Morgens ist gäh und unerwartet der Schlag gefallen, den Rache und Parteiwuth längst geheim bereitet hatte. Mit Anbruch des Tages zogen starke Abtheilungen von der Leibwache still und geheimnißvoll durch die Straßen der Stadt, nach allen christlichen Kirchen. Die gesperrten Thüren wurden mit Gewalt aufgesprengt, das Heiligste erbrochen, hervorgerissen, Geräthe, Schriften, Bücher, Alles auf einen Haufen geworfen und verbrannt, und endlich die Kirchen selbst mit wilder Wuth zerstört, und der Erde gleich gemacht. Schrecken und Betäubung waren die ersten Wirkungen dieses unerwarteten Vorfalls aus die ohnedies gebeugten Christen. Nach und nach ermannten sich Einige, die in unüberlegtem Eifer für ihr Heiligstes sich der Uebermacht zu widersetzen, oder auf den Trümmern ihrer Kirchen zu sterben beschloßen. Ein solcher Auftritt zog mehrere ähnliche nach sich, in wenig Stunden war die ganze Stadt in aufrührerischer Bewegung, [63] auf allen Straßen, bei allen Tempeln stellte sich im Kleinen das Bild des großen Kampfs des Polytheismus mit dem Christenthume dar, überall sah man Mißhandlungen, Verwundete, Todte. Die Vernünftigern hielten sich in ihren Häusern verschlossen, selbst die Bessern unter den Heiden sah man keinen Theil an den wilden Ausbrüchen ihrer Partei nehmen – nur Pöbel wüthete gegen Pöbel, aber um so empörender und frecher.

Die Ersten von uns erwarteten jeden Augenblick den Befehl, sich vor Gericht zu stellen. Ich war und bin noch auf jeden Fall bereitet. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Galerius nicht blos die Ausrottung einer verhaßten Glaubensform, daß er den Sturz mehrerer Gefürchteten zur Absicht bei diesen Maaßregeln hatte, deren Gewaltsamkeit das deutliche Gepräge seines wilden Gemüthes trägt.

Agathokles theilte meine Vermuthungen und meine Besorgnisse. Gebietende Umstände hatten ihn schon vor mehreren Tagen bestimmt, seinen Glauben öffentlich zu bekennen. Seine Weigerung, sich wider die Christen gebrauchen zu lassen, diente dem düstern Galerius zum willkommenen Vorwande. Im Namen des Augustus ward ihm befohlen, seine Stelle als Tribun niederzulegen. Er gehorchte schnell und willig. Als die Nachricht in dem Quartier der Soldaten erscholl, entstand Unruhe und Lärmen unter den Treuen, die den geliebten Anführer nicht missen wollten. Mit einem Ungestüm, in dem sich noch der Geist der alten Prätorianer zeigte, drangen sie in den kaiserlichen Palast, und forderten ihren Obersten zurück. Die Schwäche bewilligte unzeitig, was Uebereilung und[64] Rache eben so unzeitig verhängt hatte. Auf ihren Schildern, unter lautem Jauchzen, trugen sie ihren Anführer in seine Wohnung zurück. Hier blieb er eine Weile unangefochten, man wagte nicht, ihm einen Auftrag von Wichtigkeit zu geben, man fürchtete kleinherzig, daß er die anvertraute Macht mißbrauchen würde. Aber man umgab ihn, so wie mich, auf allen Seiten mit Lauschern und Spähern. Wir trugen unser gemeinschaftliches Schicksal gelassen, und hielten uns stille, besonders den heutigen Tag, an dem jedem klugen Manne Vorsicht ziemte. Gegen Abend verließ mich Agathokles, um noch vor Einbruch der Nacht in sein ziemlich fernes Quartier zu gelangen.

Ein einziger Sclave begleitete ihn, Mantel und Kappe verbargen seine Kleidung und seinen Stand, und ein kurzes Schwert war seine ganze Sicherheit. Auf dem Weg trifft ein verwirrter Lärmen und klagende Stimmen sein Ohr. Bekannt mit den Auftritten des heutigen Tages eilt er dem Getöse zu, und findet einen Haufen Soldaten und Pöbel schreiend, tobend um den Altar einer heidnischen Gottheit vor einem kleinen Tempel versammelt, die im Begriffe sind, ein armes Weib mit einem Kind zum Genuß des Opferfleisches, das ihnen ein fanatischer Götzendiener aufdringt, zu zwingen. Die Unglückliche weigert sich standhaft. Jetzt entreißt einer der Barbaren ihr das Kind, und droht, es in die Opferflamme zu werfen. Die Verzweiflung der Mutter, das Angstgeschrei des Kindes durchdringen Agathokles Brust, und rißen ihn hin, zu thun, was die Klugheit nimmer billigen konnte. Er drängt sich in den Kreis, er ruft ihnen im Namen des Kaisers Friede zu, er stellt ihnen vordaß [65] das Edict nur Unterlassung der christlichen Gebräuche, aber nicht die Annahme der heidnischen befehle. Wann hört der Pöbel die Stimme der Vernunft? Sie übertäuben seine Rede, und schleppen das Weib bei den Haaren zum Altar. Da übermannt ihn der Zorn, er entreißt dem Soldaten das Kind, gibt es der Mutter, und vertheidigt sie und den Kleinen gegen das Andringen der Wüthenden. Aber die Menge wächst jeden Augenblick. Von der Frau und dem Kinde weg, wendet sich ihre Raserei auf den neuen Gegenstand. Mit Spießen, Schwertern und allerlei Geräthe, womit Zufall und blinder Zorn den Unverstand bewaffnet, dringen sie auf ihn ein. Er übergibt die Unglückliche, deren Rettung ihn vielleicht sein Leben kosten wird, dem Sclaven, der ihn begleitet. Dieser will seinen Herrn nicht verlassen; ein strenger Befehl gebeut Gehorsam, und man läßt ihn mit seinen Geretteten ungehindert fliehen. Aber Agathokles wird das Opfer ihrer Wuth. Schwer und vielfach verwundet sinkt er nieder, und wie sein Mantel sich auseinander schlägt – erkennen die Nächsten mit Schrecken, daß sie einen Offizier der Leibwache getödtet haben. Sie entfliehen, der erschrockene Haufe zerstreut sich. Agathokles bleibt allein im Blute schwimmend liegen. Der Sclave war sogleich in das Quartier seines Herrn geeilt, und verkündete den treuen Soldaten die Gefahr ihres Anführers. Sie stürmen hinaus – aber wie sie auf den Platz kommen, ist Alles einsam, und mit Schrecken und Schmerz finden sie seine Leiche. Sie nähern sich – er athmet noch, mit roher Kunst sucht ihre Liebe das Blut seiner vielen Wunden zu stillen, und einige von den Soldaten, geheime Christen, beschließen, ihn an den besten Ort, den sie für [66] diesen Fall kennen, zu bringen, in das Wittwenhaus der Christen, die sich in der Nähe der Stadt mit Werken der Wohlthätigkeit beschäftigen, und bei denen in diesen Tagen schon mancher Unglückliche Schutz gefunden hat. Die Wachen am Thor lassen sie ziehen, da sie ihr Vorhaben hören, und nun eilt der Sclave zurück, mir die Unglücksbotschaft zu bringen. Mir öffnet mein Name die geschlossenen Stadtthore, ich fliege zu meinem Freund. Bleich, ohne Bewegung, ohne Bewußtseyn finde ich ihn unter den Händen zweier Frauen, von denen die jüngere, in Thränen zerfließend, kaum so viel Besonnenheit übrig hatte, um den Verwundeten zu behandeln. Nie sah ich eine solche Rührung bei einer Unbekannten. Ich trat zu Agathokles, ich faßte seine Hand, ich nannte seinen Namen, endlich schlug er das müde Auge auf, blickte starr um sich her, ohne etwas zu erkennen, und schloß es sogleich wieder. Jetzt schien die Bewegung der Fremden sich noch zu vermehren, sie zitterte so stark, daß ich ihr rieth, sich lieber zu entfernen, wenn ihr der Anblick vielleicht zu schauderhaft wäre. Sie sah mich starr und wild an. »Um keinen Preis der Welt – nicht um meine Seligkeit!« antwortete sie heftig mit bebender Stimme, und fuhr emsiger in ihrem traurigen Geschäft fort. Der Arzt kam, ein bejahrter Priester, er untersuchte die Wunden, mit Angst sah ich seinem Urtheil entgegen. Blässer als der Verwundete, mit einem Zittern, das ihren ganzen Körper fieberhaft erschütterte, harrte die Frau auf seinen Ausspruch. Er erklärte endlich, daß die Wunden zwar bedenklich, aber nicht tödtlich seyen. Hier sank die Unbekannte mit einem Freudengeschrei ohnmächtig nieder, und man mußte sie wegbringen. Ich blieb noch eine [67] Weile, ich erkundigte mich nach der Fremden, deren Betragen mir so seltsam aufgefallen war. Nichts, was ich hörte, vermochte mir eine Aufklärung zu geben, oder eine Vermuthung zu begründen. Agathokles erholte sich nicht so weit, daß er eines vollen Bewußtseyns fähig gewesen wäre, und so entfernte ich mich endlich, um nicht meine eigne Sicherheit in Gefahr zu setzen, und schreibe dir also gleich die Ereignisse dieses merkwürdigen Tages. Was in meiner Seele vorgeht, kannst du denken; du weißt, was mir die Sache meiner Glaubensgenossen, meine künftigen Aussichten – und Agathokles sind.

Die Nacht ist vorgerückt – der Bote wartet. Leb' wohl!

70. Theophania an Junia Marcella

70. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, den 24. Februar 303.


Zitternd, angstvoll, jetzt mit freudigen Schauern, jetzt voll banger Besorgnisse setze ich mich nieder, dir von dem wunderbarsten, dem theuersten, dem bängsten Augenblicke meines Lebens Nachricht zu geben. Eine Wand scheidet mich von Agathokles, ich höre sein leises Athmen, jeden Laut des Schmerzes, den sein Zustand ihm entreißt. Ich fahre freudig empor, wenn ich glaube, daß er ruft, daß er meiner bedarf, und ich zittre jedes Mal, daß er trotz der sorgfältigsten Verhüllung mich erkennen, und diese Erschütterung ihm tödtlich seyn könnte. Du begreifst nicht, wie das zusammenhängt. Ach, wenn es mir möglich ist, mein tiefbewegtes Gemüth zu sammeln, so will ich mich bemühen, Alles, was seit gestern geschehen ist, ordentlich zu erzählen. Was noch fehlt, was unzusammenhängend ist, wird deine Liebe nachsehen.

[68] Die traurigen Auftritte des gestrigen Tages wirst du mit mir und allen unsern Glaubensgenossen getheilt haben, indem das Gerücht allgemein verbreitet ist, daß derselbe Schlag an Einem Tage in allen Städten des Reichs bestimmt war, die christliche Religion zu zerstören. Ich sage dir also nichts von unsern Gedanken und Empfindungen. Wir verlassenen Frauen hielten uns stille in unsern Mauern, brachten die Zeit mit Gebeten und Verpflegung der Unglücklichen zu, die die blutigen Vorfälle des Tages nur zu häufig zwangen, bei uns Hülfe zu suchen, und erwarteten jeden Augenblick, daß der Sturm sich bis zu uns verbreiten, und wir gezwungen seyn würden, unsern stillen Aufenthalt zu verlassen.

Müde von den Sorgen und Pflichten des bangen Tages saß ich am Abend, als es schon ganz finster geworden war, in meinem Zimmer, dessen Fenster gerade auf das gegenüber stehende Thor 1 gehen. Ein heftiges Pochen an demselben erschreckte mich, ich sah die Pforte sich öffnen, und viele Männer, die ich beim Schein der Fackeln an ihren Rüstungen für Soldaten erkannte, drangen herein. Ich glaubte nichts anders, als daß es jetzt um uns geschehen sey, ich eilte an's Fenster, die Stille, die Ruhe, mit der die Krieger standen, befremdete mich, ich sah schärfer hin, und entdeckte nun, daß sie eine Bahre niederließen, auf der ein Verwundeter lag. Meine erste Angst war verschwunden, aber ein anderes namenloses [69] Gefühl, eine bange Ahnung ergriff mich. In demselben Augenblicke kam Tabitha, meine Gefährtin bei der Pflege der Verwundeten, um mich zu holen. Ich raffte meine Geräthe mit zitternder Eile zusammen, und folgte ihr beklommen und hastig; es war, als ob mein Herz mir mein Schicksal verkündete. Ach, es betrog mich nicht! Als ich an den Thorweg kam, als die Soldaten stumm und trauernd zurückwichen, und ich nun beim Fackelschein Alles erkannte – o Gott – da lag Agathokles – bleich, leblos, mit geschlossenen Augen in allem seinem Blute vor mir. Ich sank mit einem lauten Schrei an ihm nieder, ich nannte seinen Namen, ich versuchte es, ihn in's Leben zurückzurufen. Vergebens. Er schien todt, und ich weiß nicht, welche Kraft mich in diesem entsetzlichen Augenblick vor der Ohnmacht bewahrte. Ich raffte mich auf, ich vermochte zu fragen. O Junia! Wenn es möglich ist, so fühle die Wonne nach, die mitten in der Todesangst mich durchschauerte. Agathokles war ein Christ! Der Eifer für unsere Religion, und heldenmüthige Menschenliebe hatten ihn in diesen Zustand versetzt. Ich bebte vor Freude und Angst, aber Gott erhielt mir meine Besinnung so, daß ich für seine Pflege sorgen konnte. Ich folgte den Kriegern, die ihn schweigend und bestürzt trugen. O wie that die Treue, mit der diese rauhen Männer ihren geliebten Führer ehrten, meinem Herzen so wohl! Nun begann ich mit zitternden Händen seine Wunden zu waschen, und, so gut es die Eile verstattete, zu verbinden. Ein geheimer Hoffnungsstrahl drang in meine Seele; so viel ich verstand, konnten diese Wunden nicht tödtlich seyn, und nur der Blutverlust hatte diese Erschöpfung hervorgebracht. Er [70] lag ohne Laut, ohne Zeichen des Lebens, die Augen wie im Todesschlummer geschlossen. Aber, o meine Junia! wie schön, wie unaussprechlich liebenswürdig schien er mir in dieser Blässe, in diesen Wunden! Wie erhaben stand seine Tugend vor mir!

Jetzt erwarteten wir alle mit ängstlicher Sorge Heliodors Ankunft, den man von einem andern Kranken gerufen hatte; denn er versieht mit beispielloser Anstrengung und Treue das dreifache Amt des Lehrers, Arztes und Priesters bei der Gemeinde. Auf ein Mal öffnete sich die Thüre, und ein schöner junger Mann trat mit königlichem Anstand ein. Er eilte sogleich auf Agathokles zu. Die Hastigkeit, mit der er sich nach Allem, was vorgefallen, erkundigte, die Liebe, mit der er sich um ihn beschäftigte, sein sinkendes Haupt erhob, seine starren Hände faßte, und drückte, gewannen ihm mein innigstes Wohlwollen. Jetzt kam Heliodor, er untersuchte die Wunden, er prüfte lange, vorsichtig – mein Innerstes bebte, ich fühlte, wie ich zitterte, und der Stuhl mit mir schwankte, an dem ich mich während dieser schweren Minute hielt. Endlich verkündete Heliodors Ausspruch Leben – und mein Herz, das den ganzen Umfang des Schmerzens zu fassen im Stande gewesen war, erlag der Freude. Ich sank ohne Bewußtseyn zu Boden. Man brachte mich in's Nebenzimmer. Hier, als ich erwachte, als ich fähig war zu begreifen, daß die Vorgänge dieses Abends kein Traum gewesen waren, ergoß sich meine Seele in heißen Gebeten des Danks und der Liebe. Ich fragte nach Agathokles. Er hatte sich wieder ein paar Mal so weit erholt, daß er die Augen aufgeschlagen, und einige Worte gesprochen hatte. Man gab mir die beruhigendsten Hoffnungen, [71] Heliodor hatte meine Ahnung bestätigt; nicht die Wunden, nur der Blutverlust hatten ihm diese todtähnliche Betäubung zugezogen – sie wird aufhören, wie seine Kräfte sich erholen.

Sobald ich einigermaßen mein Herz beruhigt fühlte, setzte ich mich hin, dir zu schreiben, und dir zu sagen, daß es mir nicht möglich ist, meine Blicke vor den schönen Aussichten, die sich mir eröffnen, mit gehöriger Standhaftigkeit zu schließen. Soll es denn bloßes bedeutungsloses Zusammentreffen seyn, was mich von den Ufern der Gothen bis hierher brachte, was mich gerade jetzt zur Pflege der Verwundeten bestimmte, und mir den theuren Freund in diesem Augenblick schenkte? Er ist ein Christ. Wie kann er Calpurnien seine Hand reichen? Wie kann er, der so hohe Begriffe vom Zusammenklang der Seelen hat, ein Mädchen lieben, das über den wichtigsten Gegenstand des Menschen ganz verschieden von ihm denkt? O Junia! Welche beglückenden Folgen liegen in diesen Fragen verborgen! Aber noch muß ich mein Herz halten, noch darf ich mich ihnen nicht überlassen, und vor Allem darf Agathokles jetzt noch nicht wissen, wer ich bin. Wie er auch immer für mich fühle, was sein Verhältniß zu Calpurnien seyn mag – eine gähe Entdeckung könnte sein Leben in Gefahr setzen. Noch muß ich verborgen bleiben, aber ich hoffe, die Zeit, das Leben in seiner Gegenwart wird bald meine Zweifel lösen, und dann soll er nach und nach errathen, wer an seinem Lager weinte, und wachte, oder – ich fliehe mit meinem unauslöschlichen Gram ihn, mein Vaterland, die Welt, und begrabe mich in einer tiefen Einsamkeit, [72] in die nur deine Freundschaft zuweilen einen Strahl des Trostes bringen soll.


Am 24sten Abends.


Die Zweifel sind gelöst – mein Schicksal ist entschieden! O es war thöricht, vermessen, so ungegründeten Hoffnungen auch nur einen Augenblick Raum zu geben! In welchen Betracht kann die Verschiedenheit der Denkart, der Religion selbst, von der verzehrenden Flamme einer Leidenschaft kommen, die mit wüthender Gewalt das ergriffene Herz über alle Schranken des Wohlstandes und der Weiblichkeit hinreißt? Von dieser Macht der Gefühle habe ich keinen Begriff; aber wer so liebt, muß auch versichert seyn, eben so heiß wieder geliebt zu werden. Und was bleibt dann für die Vergeßne, Verstorbne übrig!

Heute Morgens, als ein luftiger süßer Schlummer voll trügerischer theurer Gestalten mir die erschöpfte Kraft wieder gegeben hatte, hörte ich Agathokles leise rufen. Ich zog den schwarzen dichten Schleier fest um mein Gesicht, meine ganze Gestalt zusammen, und trat mit klopfendem Herzen an sein Lager. Er öffnete die Augen kaum, und forderte nur mit leiser Stimme zu trinken. Ich reichte ihm den Becher, meine Hand zitterte. Wo bin ich? sing er nach einer Weile wieder an: Wo hat man mich hingebracht? Ich legte die Hand auf den Mund, und schwieg. Ich fürchtete zu reden, da ich in diesem Augenblick gewiß nicht über meine Stimme gebieten konnte. Ich weiß nicht, ob er mich für stumm, der eigensinnig hielt – er schloß die Augen wieder, und sank auf die [73] Kissen zurück. Jetzt kam Heliodor, nach den Wunden zu sehen. Agathokles erwachte wieder, und wiederholte seine Frage. Heliodor gab ihm Bescheid, er schien sehr zufrieden, und ein freundlicher Blick, eine Bewegung seiner Hand dankte mir für den Theil, den ich an seiner Pflege hatte. Seine Wunden waren, so gut sie seyn konnten; der ehrwürdige Arzt empfahl ihm nichts als Ruhe, und stärkende Arzneien. Ich weinte ungesehen Thränen der reinsten Freude, aber ich wagte es nicht, länger bei ihm zu bleiben, aus Furcht mich zu verrathen. Die Schwäche, die noch von den Erschütterungen des vorigen Tags an mir sichtbar war, diente mir bei der Vorsteherin des Hauses zur Entschuldigung, daß ich Tabitha mehr für Agathokles zu thun über ließ, als ich selbst zu verrichten wagte. Ach, diese Versagung kam mich schwer genug an. Aber die Freude konnte ich mir nicht abschlagen, so viel wie möglich im Nebenzimmer zu seyn, und wenigstens seine Stimme zu hören.

Gegen Abend, als es bereits zu dämmern anfing, wagte ich es hinein zu gehen. Er sah mich freundlich an, und grüßte mich als seine stumme Wohlthäterin. Ich neigte mich, ohne zu antworten, und beschäftigte mich an einem Tische mit Zurechtlegen seiner Binden. Jetzt kam eine Aufwärterin des Hauses, und meldete Agathokles, einer seiner Sclaven sey da, der ihn zu sprechen wünsche. Er ließ ihn kommen. Gerechter Gott! Wer kam? Ein bildschöner Knabe in niedlicher Sclavenkleidung trat ein. Das hellbraune Haar flatterte in reichen Locken um seine weiße Stirn und die blühenden Wangen. So schwebte die reizende Gestalt näher an's Betts – ich erkannte sie jetzt – es war Calpurnia! [74] Auch Agathokles, der sie vorher verwundert angesehen hatte, errieth die Wahrheit. Er erschrak sichtbar. Cal – rief er – aber mit unbegreiflicher Fassung fiel ihm die Leichtfertige in's Wort: Callias, ja, dein treuer Callias ist's, der unmöglich von der Gefahr seines Gebieters hören konnte, ohne sich selbst davon zu überzeugen. Bei diesen Worten stand sie an seinem Bette. Er faßte ihre Hand, ich sah ihn erröthen, und wieder erbleichen, ich sah die glühenden Blicke, die sie auf ihn warf, die selige Trunkenheit, mit der sein leuchtendes Auge über die reizende Gestalt hingleitete, und die schönen Formen mit Entzücken betrachtete. Ich hörte ihn jetzt ihr mit gerührter Stimme für ihre Güte danken, und das Entsetzen, das mich vorher an einer Stelle gefesselt hielt, lösete sich in wilden Schmerz auf. Ein heftiges Schluchzen übermannte mich, daß die Glücklichen sich erstaunt nach mir umsahen. Ich entfloh. Ach Gott! So enden sich meine Hoffnungen!


Zwei Stunden später.


Ich hatte mir vorgesetzt, ihn nicht wieder zu sehen, sein Zimmer nicht wieder zu betreten. Ich hätte es auch gehalten; aber Tabitha war bei einem andern Kranken beschäftigt, als Heliodor den Abend kam, um Agathokles zu besuchen, und so mußte ich mit ihm, ihm kleine Handreichungen zu leisten. Mit scheuem Widerwillen betrat ich das Zimmer – sah ich ihn wieder, den ich einst nie anders, als mit Entzücken wieder zu sehen dachte, den ich gestern in der traurigsten Lage leblos und in seinem Blute doch freudig wiedersah! Und warum? Bin ich denn [75] die Flatterhafte, die Leichtsinnige? Bin ich's, die ihn so tief gekränkt? O Junia! Warum scheute ich seinen Anblick? In welche seltsame Gestalten verhüllt sich oft unser Gefühl! Heliodor fand ihn weniger wohl, sein Puls ging fieberhaft. O ich wußte wohl warum – und zitterte vor Zorn und Schmerz, daß der unbesonnene, unweibliche Schritt des leichtfertigen Geschöpfes sein Leben in Gefahr setzen könnte. Noch war unser Geschäft nicht geendet, und meine Angst, in diesem Augenblick vielleicht durch einen Zufall verrathen zu werden, nicht vorbei, als der schöne Mann eintrat, der den vorigen Abend so viel Antheil an Agathokles gezeigt hatte. Die Augen des Kranken strahlten vor Freude. Constantin! rief er, und der Fremde stürzte an seine Brust. Sie hielten sich lange umarmt. – Das war also Constantin, der Sohn des abendländischen Cäsars, der Agathokles einst das Leben rettete! Nun war mir seine Theilnahme am vorigen Abend erklärbar. Wie theuer ward er mir durch diese Liebe! Wie gern wäre ich ihm zu Füßen gesunken, um ihm für das Leben seines Freundes zu danken! – So liebe ich ihn denn noch? So wird denn diese Flamme nie erlöschen? So ist kein Leichtsinn, keine Kränkung fähig, mich zu heilen? O ich bin schwach bis zur Verächtlichkeit – ich verdamme mich selbst darum – aber ich kann – ich kann nicht anders. Tief in mein Wesen, in die feinsten Fäden meines Lebens ist diese Liebe verweht – sie wird nur mit ihnen zerrissen. O zürne mir nicht, Junia! Ich fliehe bald – bald zu dir!

Fußnoten

1 Die Häuser der Alten, sowohl in Italien, als vorzüglich im Morgenlande, hatten selten Fenster auf die Straße. Man trat durch den Thorweg in den Hof, um welchen herum die Zimmer gebaut waren, deren Fenster und Thüren gleichfalls auf den Hof gingen.

71. Calpurnia an Sulpicien

[76] 71. Calpurnia an Sulpicien.

Nikomedien, den 25. Februar 303.


Bald sind es zwei Monate, seit du Nikomedien verlassen hast. Du mußt längst in Ecbatana ganz eingewohnt seyn, und noch habe ich außer einem kleinen Briefchen, das du mir unterwegs schriebst, und das eben nicht Gemacht war, mich über deinen Zustand zu beruhigen, keine Nachricht von dir und Tiridates erhalten. Ich bin sehr um dich bekümmert, und beschwöre dich, wenn meine ängstigenden Gedanken wahr seyn sollten, wenn du zu krank zum Schreiben wärest, mir durch Tiridates, durch eine Sclavin, durch wen du willst, nur ein paar Zeilen zu senden, die meine Zweifel endigen.

Ich selbst bin jetzt in einer sonderbaren Stimmung. Sehen möchte ich die Miene doch, mit der du diesen Brief lesen wirst, und die Bemerkungen hören, die du darüber machst. Abenteuer, tragische und zärtliche Scenen, Schrecken, Verwundungen, Verkleidungen – kurz Alles, was ein milesisches Mährchen anziehend machen kann, habe ich dir heute zu berichten, und ich hoffe, es wird dir im Lesen wenigstens die Hälfte von dem Schrecken und dem Vergnügen machen, das es mir in der Wirklichkeit verursachte. Schon lange hätte es ein hohes Interesse für mich gehabt, ein kleines Abenteuer zu erfahren, mein Leben floß in gar zu gewöhnlicher Alltäglichkeit hin. Nun haben die Götter und meine Laune mir eins beschert, und du sollst Alles getreulich hören.

Vorgestern war ein trüber unruhiger Tag für Nikomedien. Es galt eigentlich nur den Christen, deren Tempel auf kaiserlichen Befehl zerstört wurden, um ein [77] Mal ihrem Unwesen ein Ende zu machen, aber die ganze Stadt fühlte die Wirkungen dieses Schlags. Allenthalben fielen bald tolle, bald blutige Auftritte vor, und es verging keine Stunde, wo man nicht meinem Vater irgend ein Verbrechen oder einen Unglücksfall zu berichten kam. Mir war recht unheimlich zu Muth. Wäre ich eine Schwärmerin, so würde ich dies Gefühl für Ahnung ausgelegt haben; so aber sehe ich sehr deutlich ein, daß es nichts als eine natürliche Folge der Begebenheiten dieses Tages war. Ich legte mich spät nieder, und schlief nicht viel, denn auch die Nacht war nicht stille. Da weckte mich am Morgen das Geräusch meiner Thüre, die leise geöffnet wurde, ich fuhr auf, Drusilla trat herein – mit einem Gesichte, das schon von Weitem Uebels prophezeite. Was ist's, rief ich, was ist geschehen? »Erschrick nicht, Gebieterin,« sagte sie nach der Art dieser Menschen, und goß dadurch kalte Schauer über mich – »es ist ein großes Unglück –« ich sprang zitternd am ganzen Leibe aus dem Bette. Mein Vater – rief ich; denn nichts Geringeres als ein Unfall, der ihn oder uns Alle betroffen hätte, stand vor mir. »Nein,« sagte Drusilla, »dein Vater ist recht wohl; bleib nur und höre mich.« Ich war im Begriff fortzueilen. »Agathokles –« fuhr sie fort, und sah mich ängstlich an. – Auf ein Mal fühlte ich, wie sich die ganze Natur meiner Empfindungen änderte; ich fühlte noch Bangigkeit, aber nicht mehr jene fürchterliche Beklemmung, die mir vorher den Hals zugeschnürt hatte. Agathokles? wiederholte ich. Was ist's mit ihm? »Er ist schwer verwundet, vielleicht todt.« Jetzt erschrak ich von Neuem – ich zitterte, und mußte mich setzen, ohne sprechen, ohne Drusilla fragen zu können. [78] Sie ersparte mir's, und berichtete mir mit unerträglicher Weitläuftigkeit, daß er gestern Abends in der langen Straße beim Tempel der Ceres sich einer armen Frau angenommen, welche die Priester der Götter zwingen wollten, ihr zu opfern, daß der wüthende Haufe ihn umringt, übermannt, und mit vielen Wunden für todt auf dem Platze liegen gelassen. Seine Soldaten hatten ihn gesucht, und brachten ihn endlich in das Wittwenhaus der Christen. Dort ist er jetzt, ob todt, ob sterbend, wußte Drusilla nicht zu sagen. Der Sclave, der ihr die Botschaft brachte, wußte selbst nicht mehr, ein seltsames Gemisch von Empfindungen wogte nun in meiner Brust auf und ab, Mitleid, Sorge, Aerger über seine Schwärmerei, und Bewunderung seines Heldenmuths. Endlich siegte das Mitleid, und mit ihm wurde der Wunsch, ihn zu sehen, ihm den Antheil zu zeigen, den ich an ihm nahm, herrschend. Mein Vater hatte alsobald hingesandt, um sich nach ihm zu erkundigen. Die Antwort war beruhigend, er lebe – seine Wunden waren nicht tödtlich. Von Augenblick zu Augenblick wurde jenes Verlangen stärker in mir, und ein seltsamer aber interessanter Plan entwickelte sich in meinem Kopfe. Ich wollte Männerkleider anziehen, und so unerkannt ihn besuchen. Je mehr ich dem Gedanken nachhing, je reizender schien er mir, und so wurden denn niedliche Sclavenkleider bestellt, und Alles geheilt und verschwiegen bereitet; denn Niemand, auch mein Vater, sollte um diesen Schritt wissen, den ich mir, falls er ihn mißbilligte, weder von ihm verwehren lassen, noch geradezu wider seinen Willen thun wollte. Die Kleider kamen, ich zog sie an, sie saßen vortrefflich. Drusilla ordnete mein Haar, so gut es gehen wollte,[79] damit mein Kopf dem eines Knaben ähnlich wäre, und ich mußte gestehen, daß der Knabe, der mir da aus dem Spiegel entgegen sah, sein Lobliedchen wohl eben so gut verdiente, als Bathyll oder Antinous 1. Nun, als die Dämmerung kam, warf ich einen großen Mantel meines Bruders über mich, zog die Kappe 2 tief in's Gesicht, und machte mich mit dem treuen Phädo, der den Kopf gewaltig über die Mummerei schüttelte, auf den Weg. Das Herz pochte mir wohl ein wenig, ob vor Angst oder vor Erwartung, weiß ich nicht. Wir kamen glücklich vor die Stadt, und in das Haus. Hier ließ ich mich als einen Sclaven, der seinen Gebieter zu sprechen wünschte, bei Agathokles melden. Man führte mich in ein einfaches aber durchaus anständiges Zimmer – ich trat beklommen ein. – Sehr bleich, erschöpft, aber mit ruhiger Miene und heiterm Auge lag Agathokles auf dem Bette, sein rechter Arm war mit schneeweißen Binden umwickelt, sonst konnte ich kein Zeichen von Krankheit oder Verwundung an ihm entdecken. Mir ward seltsam zu Muth. Jetzt erst, da er nicht mehr zurückzunehmen war, sah ich lebendig die Sonderbarkeit meines Schrittes und der Rolle ein, die ich spielte. Doch es war zu spät. Agathokles hatte mich bereits erkannt, ich sah, daß er im Begriff war, mich zu nennen. Ich erschrak, denn nun erst ward ich eines schwarzen ganz verschleierten Frauenzimmers [80] gewahr, das an einem Nebentische mit Leinenzeug beschäftigt war. Ich faßte mich schnell, fiel ihm in die Rede, und nannte mich Callias – seinen Sclaven. Ich sah, daß er erstaunt und gerührt war; er faßte meine Hände mit seiner Linken, drückte sie heftig, und sah mich mit einem Blicke an, der mir tief in die Seele drang. Gerade in diesem Augenblicke stürzte das schwarze Frauenzimmer mit einem sonderbaren Laut, der wie Schluchzen klang, zur Thür hinaus. Agathokles wandte sich schnell nach ihr um. – »Was war das?« – sagte er; »mich dünkt, sie weinte?« So schien es mir auch, erwiederte ich. »Es ist eine seltsame Frau,« fuhr er nach einer Weile fort. »Seit gestern pflegt sie meiner mit der größten Geduld und Sorgfalt, aber ich habe ihr Gesicht noch nicht gesehen, und ihre Stimme nicht gehört; ich weiß nicht, kann – oder will sie nicht sprechen.« Ich fing ein anderes Gespräch an, ich fragte ihn um die Vorfälle des gestrigen Abends, aber er antwortete mir sehr zerstreut, indem er öfters nach der Thüre sah, und es gelang mir nur mit Mühe, ihn von dem Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit so sehr beschäftigte, abzubringen. Er fragte mich jetzt, welcher sonderbare Zufall mich in dieser Kleidung hierher führte? – »Kein Zufall, mein Freund!« antwortete ich, »sondern der Wunsch, dich zu sehen, mich selbst zu überzeugen, wie es dir geht, und ob es in meines Vaters, oder meiner Macht stehe, deine Lage zu erleichtern, etwas für dich zu thun.« Er schien bewegt, sein Auge glänzte, er faßte meine Hand, aber schnell senkte er den Blick wieder, drückte meine Hand an seine Brust, und sagte mit unterdrückter Stimme: »Ich verdiene diese Güte nicht – gewiß, schöne Calpurnia! [81] ich verdiene sie nicht.« Ich war ein wenig verlegen über diese Antwort, in die sich so mancher Sinn hineindeuten ließ. Mir fiel die Geschichte mit jener Theophania und meiner Zeichnung ein. – Aber ich hatte nun einmal die Rotte der heldenmüthigen Freundschaft übernommen, ich mußte sie mit Ehren ausspielen. Ich sagte ihm also, was sich in einer solchen Lage sagen läßt, wo man weder sich, noch der Freundschaft etwas vergeben, weder seine Güte an einen Undankbaren verschwenden, noch den geschätzten Freund, den vielleicht nur Bescheidenheit so reden hieß, kränken will. Ich zog mich zum Verwundern gut aus der Sache, so, daß ich überzeugt bin, Agathokles weiß bis diese Stunde nicht recht, woran er mit mir ist, und die Unterredung nahm nach und nach einen ruhigen Gang. Er erzählte mir nun ganz kurz, und mit manchen Unterbrechungen – denn seine Schwäche erlaubte ihm nicht viel zu sprechen – die Geschichte des gestrigen Abends. Ich konnte seinem Edelmuth meine volle Achtung nicht versagen; aber der gefährliche Eindruck, den der interessante Zustand des Erzählers, und der Inhalt der Geschichte auf mein Herz hätte machen können, wurde mächtig durch die Schilderung gedämpft, die Agathokles von seinem Zustande machte, als er zu sich kam, sich bereits für todt, und die Umstehenden für Bewohner einer andern Welt hielt. Die sonderbare Beleuchtung, fügte er mit sichtlicher Rührung hinzu, der fremde Ort, die schwarzen Frauen in langen Schleiern, die blassen Gesichter trügen bei, die Täuschung zu vermehren. Ich glaubte unter den Frauen meine verstorbene Jugendfreundin zu sehen; mir war, als erkennte ich deutlich ihre Züge, als hörte ich den Ton ihrer Stimme. – [82] Es war ein Traum, setzte er tiefsinnig und mit einem schlechtverborgenen Seufzer hinzu – aber es was ein lieblicher Traum!

Ich sah, daß ihn das Reden erschöpfte, und kürzte meinen Besuch ab. Er dankte mir sehr innig für meine unaussprechliche Güte, wie er es nannte; ich versprach, ihn den folgenden Tag wieder zu sehen, wenn es mir möglich wäre. Er drückte mir die Hand, schon wollte ich mich entfernen, als sein Arzt, ein christlicher Priester, hereintrat. Mir waren die Züge dieses Mannes bekannt, ich sah ihn genauer an. Stelle dir mein Erstaunen vor – es war der Alte von Synthium, der Vater jener byzantinischen Wittwe, der geheimnißvollen Theophania. Mir ward ganz sonderbar zu Muth bei dieser Entdeckung. Ist er hier – so ist auch wohl seine Tochter nicht weit – vielleicht als Wittwe eines Christen hier im Hause – und, erfährt es Agathokles? – Ich war besonnen genug, nichts von meiner Verwunderung zu äußern, und froh, daß der Alte mich nicht erkannte, eilte ich eben nicht sehr, dem Kranken, meine Entdeckung mitzutheilen. Wer weiß, wie viel oder wenig Besuche ich noch in dem Wittwenhause machen werde! Indessen beschäftigt das Verhältniß eben, weil es verwickelt und seltsam ist, meinen Geist und meine Einbildungskraft sehr angenehm, und daß es mein Herz ja nicht mehr, als meine Ruhe erlaubt, besonders bei der Nähe dieser Theophania, beschäftigte, darüber soll meine Vernunft und meine richtige Schätzung des männlichen Geschlechts wachen. Leb' wohl! Ich sehe mit Neugier, mit Ungeduld, aber wahrlich ohne Sehnsucht der Stunde der [83] Dämmerung entgegen – ich will die Freude genießen, so lange sie vernünftiger Weise währen kann, und sie, wenn es die Vernunft befiehlt, ohne Verdruß oder Reue aufgeben. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Bathyll war Anacreons, Antinous Kaiser Hadrians Liebling; beide sind ihrer Schönheit wegen berühmt, und die Bildsäulen des letzteren haben zu manchem gelehrten Streite Anlaß gegeben.

2 Die Römer trugen Mäntel wider die Kälte und den Regen, welche von dichtem Wollenzeuge, und mit einer Kappe versehen waren.

72. Theophania an Junia Marcella

72. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, den 26. Februar 303.


Was steht mir bevor! Zu welchem entsetzlichen Schritte will mich der harte Heliodor zwingen! Ich soll mich Agathokles entdecken, jetzt – in diesen Verhältnissen, und ohne Verzug. Weigere ich mich, es selbst auf eine schickliche Art zu thun, so hat er mir gedroht hinzugehen, und ohne alle Schonung – denn was gilt Liebe und Zartgefühl einer so rauben Tugend? – es ihm geradezu zu sagen. Was bleibt mir übrig?

Wiedersehen! O Ton, der sonst meine ganze Seele mit Entzückungen durchbebte! Wiedersehen! Wie schrecklich, wie schauerlich klingt er jetzt in meinem Ohr! Ach, als wir uns im Garten zu Edessa trafen – wir waren durch heilige Pflichten getrennt – aber er liebte mich! Das sagte mir sein Blick, seine ausgebreiteten Arme, seine sprachlose Freude. Ich sank an seine Brust. Acht Jahre der Trennung hatten unsre Empfindungen nicht geändert; meine Hand war eines Andern, mein Herz war sein. O das waren glückliche Tage – die schönsten meines Lebens! Jetzt mit Scheu und Zittern sehe ich dem fürchterlichen Augenblicke entgegen, dieser Verwirrung, diesem bangen Schrecken! O seine Bestürzung wird mich vernichten, seine Beschämung mir qualvoller seyn, als ewige Trennung!

[84] Ich soll mich ihm zeigen, in dieser blassen abgehärmten Gestalt, mit diesen verweinten Augen, mit der Narbe auf den Wangen, ihm, der täglich das reizendste Geschöpf der Erde in seine Arme schließt? Nein, nein, tausendmal lieber sterben! Und was bleibt mir übrig? – Ich will fliehen! er soll hören, daß ich lebe, aber er soll mich nicht wieder sehen! Er würde sich Mühe geben, mich artig zu empfangen, die Veränderung meiner Gestalt nicht zu bemerken, er würde mir recht viel Verbindliches sagen, wie es ihn freue, mich wieder zu sehen, wie bestürzt er über die Nachricht meines Todes gewesen u.s.w. Und ich – ich würde verzweifeln!

O was hat Heliodor über mich gebracht! In welchen Jammer hat er mich gestürzt! Und er glaubt noch ein Recht zu haben, mit mir zu zürnen, er sieht mich für strafbar an! Dahin kommt ein Herz, das sich jedem sanften Gefühl aus Anlage oder Grundsatz verschlossen hat!

Diesen Morgen kam er plötzlich und in sehr lebhafter Bewegung zu mir. Er hatte erst gestern spät den Namen und die Umstände seines Kranken erfahren. Mein ehemaliges Geständniß fiel ihm ein, er eilte rasch zu mir, um mich um die Ursache meiner vorsätzlichen Verborgenheit zu fragen, da der Freund meiner Jugend unter einem Dache mit mir lebte. Seine strenge Tugend hatte sich eine wohlgefällige Vorstellung dieser Ursache entworfen. Er hatte mir Kälte und schwärmerische Andacht genug zugetraut, daß ich freiwillig meinen liebsten Wünschen entsagen, mich den Pflichten des Hauses für immer widmen, und mein Leben in der ihm so erhaben dünkenden beschaulichen Abgezogenheit zubringen würde. Er war[85] ganz gerührt von dieser Vorstellung, er fing an, mich zu loben, sein Auge ruhte mit väterlichem Wohlgefallen auf mir. O wie peinlich war mir dies Lob! Nicht der ungerechteste Verdacht hätte mich halb so sehr geschmerzt! Eine Weile schwieg ich, endlich konnte ich's nicht länger ertragend. Ich gestand ihm unter Thränen Alles, was ich sagen konnte, ohne Calpurniens Besuche und ihre Verkleidung zu verrathen; denn leicht hätte er bei seinen strengen Begriffen ein Aergerniß daran nehmen, und dem schönen Sclaven den Zutritt verwehren können, und ich – ach, ich will das Glück der Liebenden nicht stören!

Er fand es sehr unrecht, daß eine so verzeihliche Untreue, als die des Agathokles, der mich seit mehr als einem Jahre für todt hielt, mich so aufbrächte, daß ich ihn gar nicht wieder sehen wollte. Man könnte ja, meinte er, wenn die Liebe aufgehört habe, noch Freundschaft für einander fühlen, und sich herzlich gut seyn. Es war vergeblich, ihm die Unmöglichkeit dieser Freundlichkeit begreifen zu machen; er sah es ein, daß das beschämende Gefühl des Flattersinns und Unrechts, wie verzeihlich es auch sey, das reine Verhältniß ewig stören, und die verstimmten Saiten nie wieder harmonisch klingen würden. Als er endlich meinem Eigensinn diese Grille zugestand, fand er doch, daß, wenn ich auch Agathokles Freundin nicht seyn wollte, so würde er doch erfahren dürfen, daß ich lebe, ja, er würde es, der Natur der Sachen nach, über kurz oder lang erfahren müssen. Das mußte ich zugeben – aber ich sagte zuletzt, als er mit unaussprechlicher Härte in mich drang, es würde mir nicht so viel daran liegen, daß Agathokles mein Daseyn [86] erfahre, wenn ich nur erst entfernt, und bei dir in Apamäa wäre. Nun wollte er die Ursache dieserSeltsamkeit wissen. Er forschte, er fragte, und ach, auf allen Seiten gedrängt, und mit einer grausamen Consequenz von Schlüssen, Voraussetzungen und Folgen auf's Aeußerste getrieben, bekannte ich endlich, daß mir der Gedanke, mich, so entstellt wie ich bin, neben der schönen Calpurnia zu zeigen, unerträglich, und schlechterdings unmöglich sey.

Das ist's! fuhr er auf ein Mal mit einer Heftigkeit auf, daß ich zusammenschrak. Das ist's, die Eitelkeit ist's, die euer Geschlecht von jeher zum Bösen verführt, die den Tod, die Erbsünde, die alle Uebel der Welt über uns gebracht hat. Aus Eitelkeit sündigte Eva, aus Eitelkeit fallen ihre Töchter. Und nun ergoß sich ein fürchterlicher Strom von Beredtsamkeit, den ich vergebens zu unterbrechen suchte. Er hielt mir alle meine Vergehungen vor, seit dem ersten Augenblick, als er mich bei den Gothen gefunden, Falschheit, übermäßige Leidenschaft, Verkehrtheit, Bosheit, Eitelkeit – ach Gott weiß, was Alles! Ich fing an zu weinen und zu zittern. Ich erkannte, daß er in vielen Stücken Recht hatte; aber so schlimm, als sein Zorn mich machte, bin ich doch nicht. – O Gott! Meine Absicht war ja schuldlos! Kann es ein Verbrechen seyn, nur nicht so ganz verschmäht und vergessen neben der glücklichen Nebenbuhlerin stehen zu wollen? Ich will ihnen ja kein Uebels – ach, ich habe es ja sogar schon über mein Herz vermocht, für Calpurnien zu beten! Kann ich denn gar so strafbar seyn? Und doch legt es mir Heliodor als Buße auf, als unerläßliche [87] Bedingung, unter der allein mir meine Sünden vergeben werden können, mich Agathokles zu entdecken? Was kann ich thun?

Er ging im höchsten Zorn von mir weg. Alles, was ich erhalten konnte, war, daß er nicht auf der Stelle zu Agathokles eilte, aber ich mußte ihm geloben, es morgen selbst zu thun. O Junia! Das wird ein schrecklicher Tag werden!


Einige Stunden später.


Wie ein Engel, von Gott gesandt, ist mir auf einmal der Gedanke gekommen, mich an den edlen Constantin zu wenden. Er ist Agathokles Freund, es kann ihm an dem Zartgefühl nicht fehlen, das die Behandlung dieses Verhältnisses fordert. Ich werde ihm schreiben, mein Brief wird meine Rettung in Trachene, meine Befreiung durch Heliodor, meinen Aufenthalt in Synthium, in Nicäa, und die Beweggründe enthalten, die mich bisher so handeln machten. Constantin müßte nicht so edel seyn, als ihn der Ruf und seine Gestalt verkündet, wenn er nicht Sinn für meine Lage, und den festen Willen haben sollte, das peinliche Verhältniß auf die Art zu lösen, wie es für seinen Freund und mich am besten ist. Er kennt sein Herz, er wird die Wirkung beurtheilen können, die diese Entdeckung auf ihn machen muß. O wenn er – ich werde ihn dringend darum bitten – wenn er es so einzuleiten wüßte, daß Agathokles selbst damit zufrieden wäre, mich nie wieder zu sehen! Nie wiedersehen! Junia! Niemals – niemals, in meinem ganzen Leben nicht wieder sehen! – Es ist ein schrecklicher Gedanke! –[88] Ich sehe seine Nothwendigkeit ein, aber ich zittere noch davor – ich kann ihn noch nicht ganz fassen. – Niemals.


Später.


Der Brief ist geschrieben. Ich erwarte Constantins Ankunft. Mit welchen Gefühlen! kannst du mir leichter nachempfinden, als ich sagen. O in dem Augenblicke, da das Loos fallen muß, da wir in die schicksalvolle Urne greifen, entsetzt sich das Herz, die festesten Entschlüsse wanken noch ein Mal, zum letzten Mal; und so drückend uns die Ungewißheit dünkte, so heftig ergreifen wir jeden Augenblick, der sie zu verlängern im Stande ist. Die Nacht ist da. Calpurnia, die jeden Tag mit der Dämmerung kömmt, ist bereits wieder fort. Constantin kann jeden Augenblick kommen – dann ist Alles unwiderruflich geschehen! dann ist mein Stab gebrochen!

Bei der Gewißheit, daß ich ihn in meinem Leben nicht mehr sehen werde, habe ich gestern und heute das einzige Glück, das mir übrigt, mit Geiz genossen. Sein Zimmer zu betreten wagte ich seit acht Tagen nicht mehr, seitdem Calpurniens erster Besuch mich daraus vertrieb. Tabitha hat seine Pflege übernommen, ich besorge dafür ihre Kranken; aber im Nebenzimmer halte ich mich auf, so viel ich kann. Da höre ich ihn athmen, reden, seufzen – ach für wen? Es ist eine schmerzliche Freude, aber es ist meine einzige – meine letzte! Bald werde ich auch ihr entsagen müssen! Dann wird seine Stimme nie wieder tausend süße Gefühle und Erinnerungen in [89] meiner Brust wecken, dann werde ich nichts mehr für ihn zu sorgen haben – dann ist Alles – Alles verloren! O Junia!

Vielleicht folge ich diesem Briefe bald – bis morgen ist mein Schicksal entschieden – ich komme schnell – schnell!

73. Calpurnia an Sulpicien

73. Calpurnia an Sulpicien.

Nikomedien, den 26. Februar 303.


Es ist seltsam, wie ein Abenteuer, eine Beschwerlichkeit, die wir um eines Freundes willen übernehmen, plötzlich diesem Freunde einen viel höhern Werth in unsern Augen gibt – wie Gärtnern die Pflanzen am liebsten werden, mit denen sie die meiste Mühe hatten. Ich habe oft darüber nachgedacht und dir einst in Rücksicht auf den Flattersinn der Männer darüber geschrieben; jetzt finde ich diese Beobachtung an mir bestätigt. Zweimal bin ich nun in meiner Sclavenhülle bei ihm gewesen. Wahrlich ein Mann, der sonst nicht schön ist, wird nicht reizend dadurch, wenn er bleich und verwundet auf seinem Bette liegt! Dennoch dünkt mich, er sey mir noch nie so anziehend vorgekommen, als eben jetzt. Gerade, daß er mir nur die Linke reichen kann, weil sein rechter Arm verwundet ist, daß ich ihm manchmal bei etwas helfen muß, wozu er zwei Hände brauchte, daß ihn das so ungeschickt, so hülflos macht, bewegt mich seltsam, und die Blässe seines Gesichts, der weichere Ton seiner Stimme, die mindere Lebhaftigkeit seiner Bewegungen rührt mich, ich weiß nicht warum, weit mehr, als wenn er auf einmal [90] durch die Sprüche einer thessalischen Zauberin in einen Adonis wäre umgewandelt worden. Das ist seltsam, aber mich dünkt, es ist vollkommen gut, daß es so ist. Nicht um meinetwillen – lächle nicht spöttisch, wenn du dies liesest; mein Verhältniß zu Agathokles ist gar nicht von der Art; wie du denkst, und unsre Gespräche sind von so ernstem Inhalt, daß die sanftern Gefühle scheu davor zurückbeben müssen – aber ich finde diese Einrichtung für's Ganze gut. Das Schicksal, die Natur, die Vorsicht, die Götter, oder wie man das Wesen nennt, das die Sorge für die Anordnung und Erhaltung der Welt über sich genommen hat, hat diesen Zug mit vieler Weisheit in die Tiefe unsers Herzens gelegt. Die Welt ist nun einmal so eingerichtet, daß im Physischen wie im Moralischen nichts ohne Mühe, Anstrengung, Kampf erlangt werden kann. Dem Muthigen hilft das Glück, der Anstrengung gewähren die Götter Alles. Das sind uralte Sprüche, die jede Generation von den Vätern übernimmt, und durch ihr Beispiel bestätigt den Enkeln hinterläßt. Wie weise ist es nun, daß diese warme Anhänglichkeit und Vorliebe für das Kind unsers Fleißes, unserer Aufopferungen, uns für die vergangene Mühe entschädigt, zu künftiger spornt, und oft, recht oft unsern einzigen und doch genügenden Lohn ausmacht.

Agathokles ist mir sehr werth geworden – durch die schöne Handlung, die ihm diese Wunden zuzog, und beinahe das Leben gekostet hätte, durch seinen jetzigen Zustand, und – durch die Thorheit, die ich um seinetwillen begangen habe. Noch mehr, ich laufe vielleicht einige Gefahr, wenn ich meine Besuche fortsetze; denn ich [91] merke seit gestern, daß mir Jemand nachschleicht, und mich beobachtet. – Phädo hat es ebenfalls bemerkt. Wer es ist, kann ich nicht errathen. Von meinem Vater kommt es nicht; denn der würde offen mit mir zu Werke gehen. Ich kann Verdruß bekommen; auf jeden Fall wird die Geschichte, wenn sie bekannt würde, mich den Nachreden und Verläumdungen der Stadt aussetzen. Hieran liegt mir wenig, ich verachte das Geklatsch in Nikomedien, wie ich es in Rom verachtet habe, und gehe meinen Gang nach meiner Ueberzeugung, ohne mich darum zu kümmern, was einfältige Weiber, denen, dasselbe zu thun, was sie verlästern, nur Geist und Muth gebricht, darüber schwatzen mögen. Aber die Sache selbst wird mir dadurch werther, und die unbekannte Gefahr, die mir drohen mag, bestimmt mich um so sicherer, heute wieder zu gehen. Zu fürchten habe ich persönlich nichts, denn Phädo und sein Sohn werden mich bewaffnet begleiten, und in unsern Tagen hört man von keinen Helenen und Proserpinen 1. So dient das Abenteuer nur, mich zu unterhalten. Uebrigens bin ich ganz ruhig, und es kömmt mir zuweilen vor, als sähe mein inneres Ich mit Vergnügen einer Comödie zu, in der mein äußeres Ich, Agathokles, und der unbekannte Späher die Hauptrollen spielen.

Ein Verdacht ist mir schon gekommen, aber er ist fast zu weit gesucht, zu ungegründet. Marcius Alpinus ist seit einigen Tagen hier. Du weißt, daß meines Vaters [92] Einfluß und Vermögen ihm in der ersten Zeit meiner Abwesenheit meine Person sehr liebenswürdig machte. Er plagte mich damals, ich begegnete ihm, wie es seine Denkart verdiente. Er haßt Agathokles, das weiß ich, und spielt wieder eine bedeutende Rolle am Hofe, wo das kriechende listige Insekt recht in seinem Elemente lebt. Es wäre möglich, aber wie gesagt, nicht wahrscheinlich.

Agathokles ist sehr strenge geworden. Ich habe gestern einen lebhaften Streit mit ihm gehabt. Von ungefähr entschlüpfte mir eine leichte Bemerkung, von der Art wie die vorige, über Gott, Vorsicht, Schicksal. Er nahm das sehr ernst auf, und verwies mir densträflichen Leichtsinn (so wagte er es, meine Denkart zu nennen), mit dem ich die wichtigste Sache des Menschen behandelte. Ich fragte ihn lachend, ob er etwas davon wisse, ob irgend ein Mensch seit Deucalions Zeiten etwas Gewisses darüber erfahren, ergrübeln, schließen habe können? Das mußte er verneinend beantworten. Aber er verwies mich an den Glauben, als das Theuerste, was der Mensch besitze, das Einzige, was ihn über den Staub erhebe, und ihm Kraft gebe, Alles, was ihm als einem sinnlichen Wesen werth ist, sein irdisches Wohlseyn, und endlich selbst die letzte Bedingung dieses Wohlseyns, sein Leben aufzugeben, um das Höchste, Größte zu erringen. Und was ist denn dies so gepriesene Höchste, Größte? fragte ich lächelnd in einem wohl zu leichten Ton; denn ich wollte unserm Gespräch eine fröhlichere Wendung geben.

Er sah mich streng und forschend an, dann legte er seine Hand auf mein Herz. »Und sollte dies gute Herz [93] durch den Umgang mit der Welt so erkältet worden seyn, daß es die Antwort auf diese Frage nicht in allen seinen Tiefen wiederhallen hören sollte?« Ich muß dir gestehen, ich war ein wenig verlegen und beschämt, und doch lag etwas Angenehmes in diesem Vorwurf. Ich schwieg eine Weile. Ein Blick auf Agathokles verwundeten Arm, ein Gedanke an die Ursache desselben machte mich fühlen, daß ich mit meiner Weltphilosophie etwas klein vor dem Manne stand, der noch vor drei Tagen eben diese letzte Bedingung seines Wohlseyns kaltblütig auf's Spiel gesetzt hatte, um jenes unnennbare Höchste zu erhalten. Wie nennst du es – Glück – Bewußtseyn – Tugend? Er nennt es dasGute, und seinen ersten, hiernieden vielleicht einzigen Lohn, Seelenfrieden. Ich vertheidigte mich noch ziemlich gut, trotz meiner Verlegenheit, und er fing nun, um mich ganz zu überzeugen, mit seiner glühenden Beredtsamkeit an, mir die Erhabenheit der christlichen Moral zu schildern, deren Hauptgesetz höchste Reinheit des Willens und unablässiges Streben nach dem Guten ist, die ihren Jüngern auferlegt, so zu leben, daß ihre Handlungsweise zur Richtschnur für die ganze Welt dienen könnte u.s.w. Ich muß dir gestehen, was er sagte, und wie er's sagte, war schön und würdig, es rührte, es erhob mich. Aber so denkt auch nur Agathokles, und auch er vielleicht nur in wenigen Augenblicken. Wer von den übrigen Christen denkt aber wie er?

Diese Bemerkung drängte sich mir leider bald darnach auf, als ich ihn verlassen hatte, und in der Stille meines dunkeln Zurückweges, mir selbst überlassen, und [94] nicht mehr von einem gewaltigen Geist aus meiner Bahn in einen fremden Gesichtspunkt gerissen, die Sache wieder in dem gewöhnlichen Lichte betrachtete. Ach, unsre Voreltern waren ja auch nicht lauter Thoren oder Betrüger, und wenn der Polytheismus so gar verächtlich und untauglich gewesen wäre, das Menschengeschlecht im Zaum zu erhalten, die Welt hätte nicht so lange bestanden, das eiserne Zeitalter, das Ovid, als schon ein Mal da gewesen, besingt, wäre wieder gekommen, der Krieg Aller gegen Alle wäre ausgebrochen, und das vertilgte Geschlecht hätte eines zweiten Deucalions bedurft. So sank ich denn allmählig aus den Wolken, oder vielmehr aus Agathokles erhabnem Christenhimmel langsam wie der auf die Erde herab, und nichts blieb mir übrig, als reine Hochachtung für den Mann, der nicht allein so zu schwärmen, sondern auch dieser Schwärmerei gemäß zu handeln fähig ist.

Als ich kaum ein Paar hundert Schritte von dem Wittwenhause an einem Gebüsche vorbei war, bemerkte ich dieselbe verhüllte Gestalt, die mich schon auf dem Hinweg begleitet hatte, und die sich in der Entfernung von ein Paar Schritten immer an unserer Seite hielt; ich sah, daß sie mir unablässig folgte, schneller und langsamer, links und rechts ging, wie ich es oft, um sie zu necken, that. Ich fand es nicht rathsam, gerade in unser Haus zu gehen; als wir daher innerhalb der Thore waren, flisterte ich Phädo zu, er möchte mich zu seinem Bruder führen, der hier ein kleines Kaufmannsgewölbe hat. Er that es, ich kann auf die Verschwiegenheit dieser Leute rechnen, und blieb hier so lange, bis ich mit [95] Wahrscheinlichkeit vermuthen konnte, daß mein unbekannter Begleiter, des Wartens müde, fortgegangen seyn mochte. Das war auch wirklich geschehen, und ich langte endlich ohne weiteres Abenteuer, aber nicht ohne einige Bangigkeit zu Hause an.

Ich bin neugierig, wie es heute Abends seyn wird. Meine Maaßregeln sind getroffen, ich fürchte nichts, und wenn ich auch ein wenig Furcht empfinde, so würde das Interessante des Abenteuers, und dieser heimlichen Zusammenkünfte sie weit überwiegen. Leb' wohl, Sulpina! ich bin müde vom Schreiben. Nächstens mehr.

Fußnoten

1 Helene wurde zwei Mal, einmal von Theseus, das zweite Mal von Paris entführt. Proserpinens Entführung durch Pluto ist bekannt.

74. Theophania an Junia Marcella

74. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, den 18. Febr. 303.


Junia, Junia! Ich bin glücklich, ich bin unaussprechlich glücklich! Warum kann ich diesem Brief nicht Flügel geben, um dich den Augenblick Theil an meiner Freude nehmen zu lassen! Ich bin glücklich, ich bin es so sehr, so ganz, daß ich nichts als das Uebermaß fürchte; denn unmöglich kann meine Seligkeit sich lange in dieser Stärke und Reinheit erhalten. Höre denn die frohe Erzählung, und freue dich so herzlich mit mir, als du bis jetzt herzlich mit mir getrauert hast!

Vorgestern, an dem bangen Tage, wo ich dir das letzte Mal geschrieben hatte, entwarf ich den Brief an Constantin, und harrte seiner mit hochklopfendem Herzen im Porticus des Hauses, als er von Agathokles wegging. Calpurnia war vor ihm da gewesen, sie hatte sich heute nicht so lange aufgehalten, und ihre Unterredung war nicht so laut und lebhaft als sonst. Jetzt öffnete sich die Thüre und Constantin trat heraus. Ich ging auf ihn zu, ich zitterte, als ich ihm den Brief überreichte, und ihn bat, ihn zu lesen. Er sah mich verwundert an, und fragte mich, wer ich wäre? Ich schwieg verlegen. »Mir ist, ich habe dich schon gesehen,« hub er wieder an, und sein Aug' schien mich zu [3] durchdringen, »ja ganz gewiß, [3] in jener traurigen Nacht, als Agathokles hierher gebracht wurde.« Ich war zugegen, antwortete ich. »Du hast damal eine besondere Teilnahme an dem Verwundeten gezeigt. Er ist dir mehr als ein bloßer Bekannter. Darf ich deinen Namen nicht wissen?« Sein Auge blieb fest auf mich geheftet, es war ein Blick, den ich nicht auszuhalten vermochte, ein Blick, der des Menschen Innerstes zu erforschen vermag. Ich sammelte mich mit Mühe. »Erlaube,« stotterte ich endlich – »daß ich heute noch schweige, und mache auch du für diesen Abend keinen Gebrauch mehr von dem, was der Brief enthält. Das bitte ich dich um deines Freundes, um einer Unbekannten willen, die als Mensch wenigstens Anspruch auf deine Schonung hat.« Er hatte den Brief geöffnet. Ein Blick, den er darauf warf, mochte ihm Namen gezeigt haben, die ihm Licht gaben. »Du bist –« rief er auf einmal heftig, und ergriff meine Hand. »Laß mich,« rief ich gewaltsam, und riß mich los. »Heute darf nichts mehr geschehen.« Ich entfloh. Er blieb noch eine Weile, vermuthlich um den Brief zu lesen; nach einer Viertelstunde hörte ich seinen stolzen schnellen Tritt durch den Porticus bis an's Thor. Dies wurde geöffnet, und schnell geschlossen, und ich sah nun, daß ich für heute nichts mehr zu fürchten hatte. O ich hatte so davor gezittert, daß er noch diesen Abend zu Agathokles eilen, und so kurz vor der Nacht seine Ruhe durch eine solche Erschütterung stören würde.

Ich schlief wenig, mein Gemüth war zu bewegt. Am frühen Morgen, als kaum der Tag angebrochen war, kam Tabitha eilig in mein Zimmer, um eine stärkende Arznei für Agathokles zu holen. Ich erschrak, ich fragte. »Der Prinz ist bei ihm, er ist sehr zeitlich gekommen, ich hörte [4] sie lange eifrig reden und lesen. Plötzlich rief der Prinz nach Hülfe – ich eilte in's Zimmer. Agathokles lag ohne Bewußtseyn in seinen Armen – wir brachten ihn mit Mühe zu sich selbst. Heliodor hat mich um den Balsam geschickt.« Sie eilte fort, ohne mich zu hören, ohne sich um meinen Zustand zu bekümmern; er grenzte an Bewußtlosigkeit.

Ich erwachte nur durch Heliodor's Stimme, die mir rauh zurief: Theophania, folge mir! Agathokles verlangt dich zu sehen. Ich schwankte – kaum vermochte ich ihm zu gehorchen. O welcher Entscheidung ging ich entgegen!

An der geöffneten Thüre blieb ich zögernd stehen. Heliodor zog mich in's Zimmer. Ich wußte nicht, wie mir geschah – Himmel und Erde waren mir vergangen – da weckte mich die Stimme der innigsten Liebe. Larissa, meine Larissa! rief Agathokles. Ich sah empor, ich sah ihn weit vorgebeugt den Arm nach mir ausstrecken, als wollte er mir entgegen stürzen. Larissa! rief er noch einmal. – Jetzt war Alles vergessen. Ich flog an seine Brust, ich wußte nichts mehr von der Welt, ich wußte nichts, als daß ich geliebt war! Meine Freude wechselte schnell mit Schrecken. Agathokles lag bleich, mit geschlossenen Augen in meinem Arm. Ich schrie um Hülfe, da schlug er das Auge auf, und heftete einen Blick auf mich. – Ach Junia! der ganze Himmel war in diesem Blicke! »Du lebst,« begann er nun nach einer Weile: »Du lebst – du bist frei, du bist mein!« – Er legte seine Hand auf meine Stirn, auf meine Schultern, er faßte meine Hände: »Es ist kein Traum?« sagte er endlich langsam – »Nicht wahr, Constantin! es ist kein Traum?« Jetzt erst sah ich mit Erröthen, daß wir einen [5] Zeugen gehabt hatten; ich trat zurück. Constantin näherte sich, in seinem edeln Gesichte strahlte der Wiederschein von der Freude seines Freundes. – »Nein, mein Agathokles!« sagte er lächelnd, »sie lebt wirklich, du hast sie wieder, und ich freue mich herzlich darüber.« Er faßte meine Hand: »Ich habe dich schon gestern erkannt – du fühltest es wohl, ob du es schon nicht gestehen wolltest.« Ich lächelte, und bat ihn, der Sorge für seinen Freund diese Zurückhaltung zu verzeihen. Agathokles nahm jetzt unsere beiden Hände in seine Linke, und drückte sie herzlich. »O mein Constantin! meine Larissa! – Meine Theophania! denn so will ich dich fortan nennen, mit diesem Namen wurdest du für mich wieder geboren. So war es auch kein Traum, als ich deine Gestalt in der ersten Nacht zu sehen, deine Stimme zu hören glaubte? O wie konntest du so hart seyn, mir dies Glück durch vier lange Tage zu entziehen, und so kalt in meiner Nähe leben, ohne dich zu verrathen?« Ich erröthete. »Wenn Constantin dir den Brief ganz gelesen hat – sagte ich endlich – so weißt du« – Das war nicht geschehen. Agathokles Ungeduld hatte nicht so lange gewartet. Jetzt las Constantin – ich fühlte, daß heißer Purpur mein Gesicht bedeckte, meine Thränen floßen, und doch war ich selig. Mit den letzten Worten des Briefs entfernte sich Constantin schnell. Nun waren wir allein, allein mit unsern vollen Herzen, mit unserm Glück. Agathokles sagte nichts, er reichte mir schweigend die Hand, und sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Sein Auge schimmerte feucht, ich sah Thränen darin. Ach Junia! zürne der irdisch-gesinnten Freundin nicht, ich fühlte mein Inneres gewaltsam zu ihm gezogen, ich sank [6] an seine Brust, unsere Lippen berührten sich innig und fest, unsere Seelen floßen in einander. Ach es war der erste Kuß seit jenem letzten Abschied an den Hecken in meines Vaters Garten! Aus seinem Arm glitt ich am Bette auf meine Kniee nieder, ich betete. – O, Gott kann diese schuldlose Aeußerung inniger Liebe nicht verdammen, was auch Heliodor sagen mag; denn ich konnte beten. Agathokles gab der heftigen Spannung, in der sich meine Seele befand, eine sanfte Richtung. Er zog die goldene Nadel aus meinen Haaren, und begann ein süßes Spiel damit, wie in den stillen Tagen unserer ersten Liebe, er schlang seine Hand in meine Locken, er ordnete sie, und zerstörte tändelnd wieder, was er erst gemacht hatte. Ich ließ ihn gewähren, und war so glücklich! Ich erzählte ihm von meinem Aufenthalt bei dem guten Fritiger, von Synthium, von meiner Angst meiner Eifersucht. Er lächelte, er gab mir unter tausend Liebkosungen die heiligsten Versicherungen seiner Treue. O es war schon seit seinem ersten Worte kein Zweifel mehr in meiner Brust! So schwatzten, so tändelten wir fort, glücklich wie die Kinder, und sorglos wie sie, bis Heliodor's Ankunft uns in die Wirklichkeit zurückrief. Agathokles sagte mir nun, daß sein Uebergang zum Christenthum ihn den Segen und die Reichthümer seines Vaters gekostet habe. Sein Sold als Tribun und sein mütterliches Erbtheil war Alles, was er besaß. Stockend trug er es mir vor, ich schauderte bei dem Fluche seines Vaters – aber wie konnte das Zweite mich rühren? »Wir werden miteinander leben!« rief er muthig, »wir werden Alles theilen, Glück und Unglück, viel oder wenig, was Gott sendet! Bist du's zufrieden, Theophania! [7] so gib mir deine Hand am Altar, so bald ich im Stande bin, dir meine Rechte zu reichen, sobald ich genese.« Ich drückte seine Hand an meine Brust, mein Auge antwortete ihm. Heliodor wird uns vereinigen, hub Agathokles an, und sah dem strengen Greis freundlich in's Gesicht. So eisern ist seine Brust doch nicht, daß ihn eine so rein menschliche Freude nicht gerührt hätte. Ihr verdient euer Glück! sagte er, indem er nach einigem Bedenken naher trat, denn ihr seyd gut und fromm; und wenn ihr's denn in der Ehe zu finden glaubt – der Herr hat den Ehestand auch eingesetzt, und Christus ihn geheiligt – so werdet denn Mann und Frau, ich will euch trauen. Agathokles schüttelte ihm die Hand, ich küßte sie ihm mit kindlicher Rührung. So strenge er es mit mir gemeint hatte, so war er doch der Schöpfer meines Glücks geworden. Er mußte selbst lächeln, als ich es ihm vorerzählte; aber dies Lächeln verschwand bald vor dem gewohnten Ernst. Er faßte Agathokles Hand: »Dein Blut wallt fieberisch, du bedarfst der Ruhe, Theophania geht mit mir.« Er ergriff mich bei'm Arm. Nimmermehr! rief Agathokles mit einer Heftigkeit, die ich ihm kaum zugetraut hätte. Sie ist mein, meine Braut, sie bleibt bei mir. Er richtete sich schnell auf, und zog mich mit Gewalt zurück; denn gewohnt, Heliodor'n zu gehorchen, hatte ich mich bereits ein Paar Schritte entfernt. Heliodor sah uns finster an, dann schleuderte er meine Hand hin: Nun so treibt eure Abgötterei fort! rief er entrüstet, und ging aus dem Zimmer. Ich stand verlegen. Furcht vor Heliodor's Zorn, Sorge für die Gesundheit meines Freundes, und das heiße Verlangen, ihn keinen Augenblick zu verlassen, stritten in mir. Agathokles [8] sah mich ernst an: »Du wankst?« sagte er, »willst mich verlassen? So hat dieser finstere Priester mehr Gewalt über dich als dein Freund?« So hatte Agathokles noch nie mit mir gesprochen. Ich erschrak, ich sank an seine Brust: »O mache mit mir, was du willst! ich bin dein Geschöpf.« Er drückte mich fest an sich, er beruhigte mein Herz durch tausend süße Worte und theure Namen. O welche himmlischen Augenblicke waren das! dann ließ er mich an sein Bette niedersitzen, und entwickelte mit feuriger Beredtsamkeit und jener klaren Weisheit, mit welcher einst Apelles meinen jugendlichen Geist überzeugt hatte, die wahre Ansicht unserer heiligen Lehren. Weit erhabener, weit mehr eines allweisen, allgütigen Geistes würdig, erschienen sie mir in seiner Darstellung, als wie Heliodor und viele, mit denen ich in Nicäa und hier lebte, sie schilderten. Agathokles lehrte mich Menschensatzungen und Ansichten einer beschränkten Eigenthümlichkeit von dem ursprünglichen Sinn derselben unterscheiden; er zeigte mir, was eigentlich Christenthum sey, und welchen Einfluß es in seiner Reinheit auf das Menschengeschlecht haben müsse. Ich hing begeistert an seinem Munde. O wenn die Liebe zu Allem, selbst zu falschen Schritten überreden kann, welche unwiderstehliche Macht muß die erhabenste Wahrheit in dem Munde des Geliebten haben! Seine Wärme riß mich hin, ich sank vor seinem Bette auf die Kniee und rief: O sey du mein Lehrer, mein Führer, Agathokles! Verlaß mich nie wieder, ich will dir mit kindlichem Gehorsam folgen, und laß dann deine Liebe meinen Lohn seyn! Er umfaßte mich, er hub mich zärtlich auf, aber ich sah, daß die Erschütterung der Freude und des heftigen Redens ihn angegriffen hatte [9] – er sank in meinen Arm auf die Kissen zurück. Ich bat ihn nun, nicht mehr zu sprechen, und sich Ruhe zu gönnen; er folgte mir, drückte meine Hand, wir schwiegen Beide, nur unsere Augen unterredeten sich, und still und selig genoßen wir das Glück der Wiedervereinigung. Mit dem Anfang der Dämmerung fiel mir Calpurniens bevorstehender Besuch schwer auf's Herz. Das war die Zeit, wo sie zu kommen pflegte. Ich sah, daß auch Agathokles etwas unruhig und in Gedanken schien, obwohl er sich Mühe gab, es zu verbergen, und mein Herz, dessen Schwäche er kannte, auch nicht durch die leiseste Berührung zu verletzen. O wie dankte ich ihm für diese Schonung! Nach und nach verschwand meine Furcht, es ward immer später und der schöne Callias erschien nicht. Mit dem Einbruch der Nacht trat Constantin ein. In seinen Armen, in inhaltvollen Gesprächen verließ ich nun meinen Freund, um in der Einsamkeit mich zu sammeln, und Gott für mein Glück zu danken. Die folgende Nacht ließ ich mich die theure Pflicht, meinen Kranken selbst zu besorgen, ihm jede Arznei, jede Labung zu reichen, und bei ihm zu wachen, von Niemand rauben, und widerstand Heliodor'n mit Festigkeit, der als ein Sühnopfer für meine übermäßige Freude das Opfer einer freiwilligen Entfernung von Agathokles forderte. Ich blieb im Nebenzimmer, und bewachte seinen Schlummer; er war ruhig und erquickend, wie der Schlummer der Unschuld und Tugend. Am Morgen erwachte er heiter und gestärkt, sein erster Laut war mein Name. Seitdem bin ich wieder beständig um ihn. Wir haben uns so viel zu erzählen, zu fragen! Auch heute kam Calpurnia nicht! Sollte sie vermuthen oder wissen, was vorgefallen ist? Agathokles [10] nennt ihren Namen nicht, und Constantin zu fragen, habe ich nicht den Muth. Er ist jetzt bei ihm, ich habe diese Zeit benützt, um dir mein Glück zu melden, an dem du, theure treue Freundin, gewiß den lebhaftesten Antheil nehmen wirst. Leb' wohl!

75. Sulpicia an Calpurnien

75. Sulpicia an Calpurnien.

Ecbatana, im Febr. 303.


Wie vom düstern Strande des Cocyt und den Reichen der Schatten, kömmt dieser Brief zu dir. Mühsam bin ich noch diesmal dem Nachen des Charon entronnen, und zu dem Reste von Leben erwacht, der der zerstörten Maschine noch übrigt. Die Reise, die Luftveränderung, statt wohlthätig auf mich zu wirken, hatte mich ganz erschöpft. Mit Todesgedanken betrat ich den königlichen Palast, den ich wohl nicht lebend mehr verlassen werde. Nach einigen Tagen fühlte ich mich so weit erholt, daß ich, dem Wunsche meines Gemahls zufolge, die Ceremonien der Krönung mitmachen konnte. Aber sie waren kaum vorüber, so sanken meine Kräfte völlig, und ich schwebte mehr als einen Monat zwischen Leben und Tod. Ich genas endlich wieder, das heißt, ich kann in dem sonnigen Porticus meines Palastes und in den Gärten langsam herumschleichen, die eben jetzt unter dem Hauche des Frühlings zu erwachen beginnen. Bald wird auch das wieder aufhören, ich fühle das mörderische Eisen, das die Parze an den morschen Faden meines Lebens legt, und bald wird von deiner Freundin nichts mehr übrig seyn, als was eine Urne füllt.

Und warum hat ein eisernes Geschick mein Urtheil so streng, so unwiderruflich gesprochen! Warum hat mich seit [11] meiner Kindheit das Unglück unabtrennbar begleitet? Wie wenig frohe Stunden wurden mir zum Theil? Und jetzt, wo endlich alle Kämpfe aufgehört haben, alle Hindernisse besiegt sind – jetzt soll ich sterben? wie hart, wie ungerecht ist dieses Loos! Haben denn nicht alle Geschöpfe Ansprüche auf Glück? Auch das geringste Insekt ist mit den Fähigkeiten dazu ausgerüstet, und erfüllt diesen Zweck und ist in sich vollendet. Nur der Mensch allein darf sich des Vorrechts rühmen, vernünftig und elend zu seyn. So beschämt uns der Wurm, der zu unsern Füßen kriecht, und wir wären tausendmal glücklicher, wenn wir nichts als den blinden Instinkt von der Natur erhalten hätten, wenn unsere Wünsche mit unserm Vermögen gleichen Schritt hielten, und keine Voraussehung uns die Freuden der Gegenwart vergiftete.

Sage mir, Calpurnia – ich flehe dich darum an – sage mir aus Mitleid, wenn du es aus Ueberzeugung nicht kannst, daß es jenseits der Urnen noch Etwas gibt – daß wir nicht ganz vergehen. Ich habe mir denPhädon 1 des großen Plato bringen lassen. Tiridates selbst las ihn mir vor. Ach so lange die Worte des Weisen mir durch seine Stimme die Seele berührten, schwiegen die Zweifel, ich hörte ihn, mein Herz ward aufgeregt, aber mein Verstand blieb müßig. Als ich allein war, und die Rolle in die Hand nahm, da suchte ich mit Mühe, mit einer Art von Angst, und fand – Vermuthungen, Wahrscheinlichkeiten, individuelle Beruhigungen, die gerade den Sokrates in seiner Lage und Gemüthsstimmung ansprachen, [12] aber nichts, das meine Zweifel löste. Alt, lebenssatt, von seiner Xantippe geplagt, und von seinen undankbaren Mitbürgern verkannt, welche Reize konnte die Erde für ihn haben? Wie leicht konnte er sich über den Abschied von ihr trösten, wie bald mit einem Zustande zufrieden seyn, der so leicht besser seyn konnte, als sein gegenwärtiger? Er hatte keine Jugend, keinen Thron, keinen geliebten Gemahl zu verlassen!

Auch du, Calpurnia, bist nicht glücklich! Das sagen mir deine Briefe. Es ist ein seltsamer Streit in deinem Herzen. Du liebst deinen Freund mehr, als du ihm zeigen darfst, mehr, als du selbst glaubst, und dennoch hindert dich theils dein altes System von Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit, theils sein unbestimmtes Betragen, dich dem mächtigen Zuge deines Herzens zu überlassen, der dich trotz aller jener Hindernisse zu ihm führt. Was bleibt da für Hoffnung übrig, diesen Streit geschlichtet, und eure Herzen vereinigt zu sehen? Es ist etwas, das sich stets zwischen Euch legt, und eure Annäherung nie bis über einen gewissen Punkt gehen laßt. Keines hat den Muth, diese Schranken zu durchbrechen, und so quält ihr einander wechselseitig. Aber das ist Menschenloos, und ihr tragt die Schuld eures Geschlechts. Es soll nicht glücklich seyn, das steingeborne Wesen, es soll sein Leben in Kämpfen, Leiden und Entbehren zubringen, und wenn einst das Geschick, müde seine Launen an ihm zu versuchen, von ihm ablaßt, dann nimmt es der Tod zur letzten Ruhe in seine kalten Arme, und auf dem Scheiterhaufen verlodert endlich das Herz, das hier stets vergebens glühte. So wird es auch dir ergehen, wenn einst ein glücklicher Zufall dich ganz mit deinem Freund vereinigen [13] sollte. Hoffe nichts Besseres, du bist ein Kind der harten Erde! Die schwarze Gestalt, die schluchzend aus dem Zimmer stürzte, ist euer böser Genius. Als ich die Stelle las, überlief mich ein unwillkührliches Grauen. Das ist das Gekrächz der Raben, rief eine Stimme in mir. Ich kann nur wünschen, daß die Vorbedeutung trügen möge!

Ueberhaupt ist dein Schritt sehr gewagt, und ich bin weder mit deiner Kühnheit, noch mit Agathokles Betragen zufrieden. So muß der Mann, um dessentwillen ein schönes, gesuchtes, edles Mädchen so weit geht, nicht mit ihr sprechen! Er soll sein Glück fühlen, er soll davon hingerissen seyn – aber diese stolzen Männerseelen erkalten schnell, sobald sie fühlen, daß ihr Unglück, ihre Vorzüge oder sonst ein Zufall unser Herz für sie erwärmt hat. – O Calpurnia! Denke der Warnungen, die ich dir noch in Rom schrieb; denke der Fabel des Tantalus: Wir sind zum Leiden geboren!

Mein Kopf ist müde, meine Kraft erschöpft. Leb' wohl. Sobald ich kann, schreibe ich dir wieder, denn ich finde deine Briefe nicht geeignet, sie von irgend jemand Anderm lesen und beantworten zu lassen, und ich habe dir noch viel zu sagen.

Fußnoten

1 Phädon, ein Gespräch des Photo über die Unsterblichkeit der Seele – genug bekannt durch die Uebersetzung und Erläuterung des verewigten Mendelssohn.

76. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

76. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Nikomedien, im März 303.


Du siehst aus der Aufschrift, daß ich in Nikomedien bin. Galerius hat einsehen gelernt, daß man in der jetzigen Epoche nicht genug thätige Menschen um sich haben kann, daß besonders ein unwissender Krieger, wie er, überall des verständigen Weltmannes bedürfe. So bin [14] ich nun wieder für ihn geschäftig. Alles geht gut – und für's erste dürften wohl Constantins hochfliegende Gedanken etwas gemäßigt werden. Diocletian, der sich seiner aus Politik gegen den übermächtigen Galerius bisher annahm, wird durch Kränklichkeit und seines Mitregenten Bestrebungen endlich dahin kommen, den Gedanken einer freiwilligen Abdankung als sehr natürlich und räthlich, vielleicht sogar als den einzigen Weg anzusehen, der ihm aus einem Labyrinth übrig bleibt, in welches ihn Galerius sehr zweckmäßige Maßregeln eingeschlossen haben. Der occidentalische Augustus muß seinem Beispiel folgen, und die Welt wird die erhabene Komödie mit Lachen oder Grauen anstaunen. Nach Maximians Entsagung tritt Constantins in seine Würde – ein wenig furchtbarer Gegner für einen Galerius. Seine schwächliche Gesundheit wird ihn an jedem kühnen Entschluß hindern, und sollte er zu lange leben, so weiß Galerius auch für solche Hindernisse Rath. Dem Golde und der Macht ist kein Weg unzugänglich. Dann übrigt nur Constantin, und – wie unternehmend und ehrsüchtig er auch seyn mag, der Kampf mit dem alleinigen Herrn der gebildeten Welt wird zu ungleich seyn, als daß er nicht erliegen müßte. Doch bis sich dies Alles entscheidet, kann mancher Zufall tückisch dazwischen treten. Ein Jahr, vielleicht noch länger, kann darüber hingehen; denn Diocletian, der Rom noch nicht als Kaiser gesehen hat, will seinen Triumph noch vorher dort feiern – und übereilt darf nichts werden.

Du siehst, daß mir das Glück zu lächeln anfängt, und es bleibt sich im Kleinen wie im Großen treu. Die andächtige Larissa war mir, wie du weißt, entflohen, gerade [15] in einem Zeitpunkte, wo ich sie als Christin und Hausgenossin – vielleicht als Mitverschworne des verdächtigen Lysias in meine richterliche Gewalt zu bekommen, und natürlicher Weise nur um einen hohen Preis zu entlassen dachte. Wie leicht wäre es gewesen, ein unbekanntes Geschöpf wie sie, in den Augen der Welt, und zuletzt in ihren eigenen, als schuldig erscheinen zu machen! Aber, wie gesagt, sie war entflohen, und keine Spur von dem Wege zu finden, den sie genommen hatte.

Endlich erfuhr ich, daß der alte Priester, mit dem sie nach Nicäa gekommen war, sich hier aufhalte, und daß ihn auf der Reise ein junges Frauenzimmer begleitet habe. Es ward mir je mehr und mehr unzweifelhaft, daß es Theophania war, daß sie in Nikomedien sey; aber alle Nachforschungen konnten nichts entdecken, wo und in welchen Verhältnissen sie hier lebe. Indessen kam der unruhige Tag, wo die christlichen Kirchen zerstört wurden. Agathokles, der sich schon einige Zeit vorher als ein Mitglied dieser Secte bekannt und geweigert hatte, sich gegen sie gebrauchen zu lassen, trat auch jetzt als ihr Vertheidiger auf, und ward ein Opfer seiner Tollheit, und seine andächtigen Mitbrüder brachten ihn in ein Haus vor der Stadt, in welchem einige alte christliche Weiber in frommem Müßiggang beisammen leben. Bei dieser Gelegenheit zählte ich nun sicher daraus, die verborgene Theophania zu entdecken, die, wenn auch sonst nichts in der Welt, doch wenigstens die Gefahr ihres Freundes bewegen würde, ihren Schlupfwinkel zu verlassen. Ich hielt mich daher viel in der Gegend dieses Hauses auf, und sieh da, am Abend des folgenden Tages, als es schon ganz dunkel geworden war, sah ich eine [16] schlanke Knabengestalt, sorglich in Mantel und Kappe verhüllt, mit einem etwas ängstlich trippelnden Schritt, von einem alten Mann begleitet, aus dem Hause treten. Die ganze Haltung des vermeinten Knaben, eine zarte weibliche Stimme, die dem Begleiter etwas leise zuflüsterte, Alles erregte Verdacht in mir, und die Muthmaßung, daß es Theophania sey, die in dieser Verkleidung den geliebten Freund besuchte, ward mir beinahe zur Gewißheit. Ich folgte ihr auf dem Fuße nach, aber unter dem Stadtthor verlor ich sie unter einem großen Haufen von Menschen, der sich hin und her drängte, und mich lange Zeit von ihr entfernt hielt. Als ich aus dem Gewühle war, sah ich keine Spur mehr von ihr, es war Nacht geworden, und ihr Entkommen eben so begreiflich, als ärgerlich für mich.

Ich war nun noch begieriger geworden, etwas Bestimmtes zu erfahren. Am nächsten Tage Abends stellte ich mich wieder auf die Lauer, und richtig kam mein verkleidetes Bürschchen desselben Weges. Ich vernahm wieder die weibliche Stimme, obwohl ich nicht verstehen konnte, was sie sagte, und ging ihr voll Neugierde nach.

Innerhalb des Thores sähe ich sie durch einige kleine Straßen bis in ein unscheinbares Haus gehen, ich ziehe mich zurück, um nicht gesehen zu werden, und wie ich vermuthen kann, daß sie in dem Zimmer ist, erkundige ich mich um die Bewohner. Das Haus gehört einem kleinen Kaufmann, der ein Christ ist, und bei dem sich seit der Zerstörung der Kirchen einige dieser Fanatiker versammeln, um ihre Ceremonien und Opfer zu halten. Ich wartete eine Weile vor dem Thore, es kamen nach und nach Menschen von allerlei Alter und Stand, die alle [17] geheimnißvoll eingelassen wurden, und ich schloß daraus, daß eben jetzt eine solche Versammlung gehalten würde, bei welcher die andächtige Theophania zu erscheinen nicht versäumen konnte. Alles schien sich natürlich und höchst wahrscheinlich an einander zu reihen, und ich beschäftigte mich in meinem Hinterhalte bereits mit Entwerfung verschiedener Plane, wie ich die gesetzwidrige Versammlung auseinander stäuben, und Theophanien zugleich in meine Gewalt bekommen könnte. Unterdessen war es spät geworden, es kam Niemand mehr, ich hörte das Thor von innen verschließen, und da ich nicht so lange warten wollte, bis die andächtige Gemeinde auseinander gehen würde, verließ ich meinen Posten mit einem süßen Gefühl naher Rache, und mit einem Kopf voll Anschläge und Plane. Meine Ungeduld ließ mich kaum den folgenden Abend erwarten. Ich war entschlossen, Theophanien geradezu anzureden, und mich ihrer ersten Bestürzung zu bedienen, um zu erfahren, was ich vermuthete. Nicht weit vom Hause begegnete sie mir, von zwei Sclaven begleitet, vermuthlich weil sie bemerkt hatte, daß man ihr auflauerte. Sie ging sehr schnell. Ich betrachtete ihre Gestalt aufmerksam, und je mehr ich sie betrachtete, je mehr überzeugte ich mich, daß dieser vermeinte Jüngling ein verkleidetes Weib sey. Daß sie etwas kleiner als Theophania schien, irrte mich nicht, denn ich maß es der männlichen Kleidung bei, und so trat ich bei einem Gebüsche, weit von den Häusern, wo es ganz einsam war, plötzlich auf sie zu, faßte sie bei der Hand, und redete sie als Larissa an; denn ich glaubte meiner Sache ganz gewiß zu seyn. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber bei dem Namen Larissa fuhr mein schöner Knabe plötzlich [18] empor, vergaß seine Verkleidung, sah mir starr in's Gesicht, und – stelle dir meine Verwunderung, mein Erstaunen vor – es war die reizende Calpurnia!

Sie schien eben so betroffen über meinen Anblick und ihre Entdeckung, als ich. Sie wollte stolz und verächtlich thun, aber es gelang ihr nicht gegen einen Mann, der sie in dieser Kleidung, und auf diesem Wege getroffen hatte. Sie fühlte die Blöße, die sie mir gegeben hatte, und wurde artiger. Daß Larissa lebte, und hier in Nikomedien, und wahrscheinlich in der Nähe ihres Jugendfreundes wäre, war ihr sehr unerwartet. Es erschreckte sie, das sah ich deutlich, und ich benützte diesen Schrecken. Ich erzählte ihr Manches, das wenigstens so hätte seyn können – von Agathokles Treue zu Larissen, von manchem Schritt, den er gethan haben könnte, und – vielleicht auch gethan hat. Sie wurde zusehens stiller, nachdenklicher. An ihrem Hause beurlaubte ich mich von ihr, und erhielt mit vieler Artigkeit die Erlaubniß, unsere langst abgebrochene Bekanntschaft wieder zu erneuern, und sie zu besuchen. Was wollte sie auch Anders? Sie ist in meiner Macht, ich weiß ein Geheimniß von ihr, das sie nicht gern laut werden lassen wird, sie muß mich scheuen. So knüpfen sich leise Fäden an, und wir wollen sehen, wohin sie führen.

Zwei Tage später erfuhr ich denn auch, daß meine Vermuthungen nicht ganz ungegründet gewesen waren, und Theophania in dem Wittwenhause lebte, wohin man Agathokles nach seiner Verwundung gebracht hatte. Natürlich hatten sie sich erkannt, und alle alten Verhältnisse waren wieder hergestellt. Ich hätte nicht geglaubt, daß die Bestätigung einer Sache, die ich als längst geschehen [19] oder wenigstens als nächstens geschehend, betrachten mußte, mich so tief reizen könnte. Ich wurde ärgerlich, ich fühlte, daß Theophania, vielleicht ihrer Sonderbarkeit wegen, mir mehr war, als die schöne Calpurnia, und ich entwarf meinen Plan. Er darf sie nicht besitzen – dies zu verhindern soll meine Sorge seyn.

Indessen auch Calpurnia ist schön, ihr Vater Proconsul, und von mächtigem Einfluß, und ich werde vorsichtig genug seyn, um über Theophaniens ungewissen Besitz ein so nahes reizendes Glück nicht zu verscherzen. Ich denke immer, es sollen sich Beide vereinigen lassen. Nächstens hörst du mehr und bedeutenderes von mir. Leb' wohl!

77. Calpurnia an Sulpicien

77. Calpurnia an Sulpicien.

Nikomedien, im März 303.


Hat ein Gott dir mein Geschick geoffenbaret? Ist dir, als du nahe an der Pforte der Unterwelt warst, die Gabe der Weissagung verliehen worden? Ja, meine Hoffnungen sind zernichtet, und die schwarze Gestalt ist mein böser Dämon – sie ist – das Aergste, was für mich auf Erden lebte!

Dein Brief hat mich sehr traurig gemacht. – So waren auch meine trüben Ahnungen über dein Schicksal wahr! Du standest am Rande des Grabes, und ich bin getrennt von dir, und viele Tage vergehen, bis ich Nachricht von dir erhalten kann! Längst kann ein unglücklicher Zufall die günstige Kunde Lügen gestraft haben, die ich vielleicht in diesem Augenblicke mit Freuden lese, und indem ich mit Vergnügen an deine Besserung glaube, hat ein neuer Anfall dich in Gefahr gesetzt.

Du sprichst von meinem Verhältniß zu Agathokles mit [20] düsterm, aber nur allzu wahrem Tone. Ja, es ist entschieden – für immer, und unwiderruflich! Wenn ich hier noch zweifeln oder hoffen könnte, würde ich dem Wahnsinnigen gleichen, der sich einbilden könnte, das Schiff, das er in diesem Augenblick vom Sturm an den Felsen zertrümmern sah, werde in wenig Tagen wohlbehalten mit günstigem Winde in dem Hafen einlaufen. Jetzt erst, Sulpicia – jetzt, wo Alles klar und entschieden ist, fühle ich, daß der Eindruck tiefer war, als ich glaubte!

Larissa ist gefunden, sie und Theophania sind eine Person. Nun ist mir ihr ganzes Betragen in Synthium, seine Bewegung, als er ihre Briefe sah, seine Nachforschungen nach der räthselhaften! Fremden begreiflich, in der sein ahnendes Herz die frühe Geliebte errieth. Sie lebt jetzt mit ihm in einem Hause, sie pflegt seine Wunden, sie ist den ganzen Tag um ihn, er wird sich unauflöslich mit ihr verbinden, er wird sein ganzes Glück in ihren Armen finden, und die übrige Welt wird aus seinen Blicken verschwinden.

Beim Jupiter! Eine seltsame Geschichte! Und warum muß die Laune des Schicksals mich, gerade mich in das wunderbare Geschick dieser schwärmerischen Menschen verwickeln? Warum mußte ich ihn kennen lernen? Ich war so glücklich vor diesem Zeitpunkt. Habe ich ihn nach Rom beschieden, ihn angezogen, daß ich nun so bitter gestraft worden?

Du wirst dich erinnern, daß ich mich belauert glaubte, aus Vorsicht nahm ich das nächste Mal Phädo und seinen Sohn mit mir. Ich fand Agathokles wirklich gebessert, seine Stimme war stärker, sein Blick heiterer, aber mit der Kraft des Körpers schien auch die ganze Strenge [21] seiner Gesinnungen wiederzukehren. Er hatte des Gespräches vom vorigen Abend nicht vergessen, er fing davon an, er drang mit hohem Ernst in mich, dem Höchsten und Heiligsten, wie er die Vorstellungen von unserer Bestimmung, der Zukunft, dem Schicksale nennt, meine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Die Harte in seinen Aeußerungen überhaupt, sein Tadel meines Leichtsinnes, wie er es nannte, hätte mich aufbringen können. Aber die schöne Warme, der innige Antheil an meinem Wohl, der wie ein milder Sonnenstrahl aus dieser Strenge hervorbrach, sein Blick, der bald strafend, bald freundlich auf mir ruhte, bewegte mich wunderbar. Es erhob sich ein unruhiger Kampf in mir, ich wußte nicht, ob ich ihm zürnen, ob ich von seiner Freundschaft gerührt werden sollte. Das allein fühlte ich dunkel, was dein Brief so deutlich ausspricht – so hätte ich nicht von ihm empfangen werden, diese Gespräche hätten in unserer Lage nicht geführt werden sollen, wenn Alles gewesen wäre, wie es sollte! Der letzte Grund aller meiner Empfindungen war Schaam und gekränkter Stolz, dem es an schicklichem Anlaß zum Ausbruch mangelte. Er deutete das Unentschiedene meines Benehmens falsch, er glaubte, mein Verstand schwanke zwischen meinen und seinen Vorstellungen, indessen Stolz und Zuneigung in meinem Herzen stritten. Er zog mich näher an sich, er beschwor mich um meiner selbst willen, um des Antheils willen, den er, so lange er mich kannte, an meinem wahren Glücke genommen habe, meine Ansichten zu berichtigen, und ernsthaft über so wichtige Gegenstände nachzudenken. Ich wurde gerührt, ich drückte seine Hand – ich weiß nicht, Sulpicia, wozu der Mann mich in diesem Augenblicke [22] hätte bereden können! Es war ein seltsames Verhältniß von mir zu ihm. Nicht Er – wie ich es sonst gewohnt war zu sehen – Ich war der untergeordnete, der zurechtgewiesene, der nachgebende Theil, und eine Stimme in der innersten Tiefe meines Herzens erhob sich immer lauter und lauter, um mir zuzurufen, daß ich noch nie so glücklich gewesen war, als in diesem Augenblicke. Was war das, Sulpicia? Welche wunderbare, welche unerhörte Erscheinung! Ich setzte mich neben ihn, meine Hand ruhte in der seinigen, sein glühendes Auge, die seine Röthe, die beim lebhaften Gespräche sein blasses Gesicht überflog, sein rundlächelnder Mund, unser ganzes Verhältniß – ach, Alles war so anziehend, so gefährlich! Zur guten Stunde rettete mich Urania! Man meldete den Prinzen. Ich warf Mantel und Kappe über. »Du kommst doch Morgen wieder?« rief er mit einem Tone, der mehr als freundlich war. »Gewiß, gewiß, mein theurer Freund!« Ich drückte seine Hand, und entfloh schnell neben Constantin vorbei, der bereits durch den Porticus herauf kam.

Kaum war ich, verloren in tausend süße Vorstellungen, ein Paar hundert Schritte gegangen, als die verhüllte Gestalt, die mir schon zweimal gefolgt war, schnell auf mich zutrat, mich bei der Hand faßte, und mit einer bekannten Stimme sagte: So trifft man die spröde Larissa, in dieser Kleidung, und um diese Zeit? – Der Name wirkte in diesem Augenblicke schrecklich auf mich – ich vergaß, daß ich verborgen bleiben wollte. – Larissa! rief ich, fuhr empor, und sah den Fremden erstaunt an. Er warf in eben dem Augenblicke seine Kappe ab – und so gerechte Götter! Marcius Alpinus stand vor mir, der Mensch, von dem ich unter allen Sterblichen am letzten [23] und unliebsten entdeckt werden wollte! Auch er schien betroffen, mich zu erblicken, es war deutlich, daß er Jemand andern zu sehen gehofft hatte! Also Larissen. Also lebte sie – also war sie in der Nähe! Ich fühlte, daß mir eine Ohnmacht nahe war. Marcius Betroffenheit gab mir Zeit, mich zu sammeln. Ob er die wahre Ursache meiner Verkleidung errieth, weiß ich nicht, aber ich habe Grund es zu glauben, obwohl der schlaue Höfling sein genug war, mir eine vollendete Beschämung zu ersparen. O er war sich nur zu gut bewußt, daß er die Faden des Gewebes, das ihm ein unseliger Zufall in die Hand spielte, dadurch nur fester um mich zog! Er bot mir seine Begleitung an – wie konnte ich sie ausschlagen? Es lag mir auch zuviel daran, durch ihn etwas Bestimmteres von dieser Larissa zu erfahren. Er hatte sie in Nicäa, unter dem Namen Theophania kennen gelernt, und ich müßte mich sehr irren, wenn sie nicht einigen Eindruck auf ihn gemacht hat. Wie sie den Händen der Gothen und dem Tode entgangen ist, wußte er nicht zu sagen, oder wollte es nicht. Genug sie lebte, und trieb mit seiner Kunst ihr Spiel so lange und so geschickt, bis sie endlich, ohne sich blos zu geben, in Agathokles Nähe, und zu der Möglichkeit gekommen war, ihre alten Ansprüche geltend zu machen. Er hat ihr in Nicäa nachforschen lassen – sie spielte die Spröde, entfloh ihm, um ihn mehr zu reizen – und ließ sich endlich hier von ihm finden. Die Heuchlerin!

Ich schlief die Nacht wenig. Entgegengesetzte, quälende Empfindungen durchkreuzten mein Innerstes. Ich beschloß, meinem Vater die ganze Sache zu entdecken. Er nahm sie so auf, wie ich besorgt hatte – nicht hart, [24] aber streng. Was mich am tiefsten verwundete, war die Wahrnehmung, daß nicht meine Neigung für Agathokles, nur mein gewagter Schritt seinen Tadel erregte. Eine unverhehlte Achtung, eine väterliche Zuneigung sprach sich unwillkührlich in seinen Aeußerungen aus, und ich fühlte mit tiefem Schmerz, daß ihm dieser Schwiegersohn vor allen Andern lieb gewesen wäre.

Spät am Abend dieses Tages – du kannst denken, daß ich nicht mehr zu Agathokles ging – ließ sich Constantin melden. Sein Besuch ist eine solche Seltenheit in unserm Hause, daß mich unter den jetzigen Umständen eine schaurige Ahnung böser Neuigkeiten überlief. Sie hatte mich nicht getäuscht. Nach einer artigen Einladung kam er auf die Ursache seines Besuches. Die Gastfreundschaft, die so lange zwischen unserm und Agathokles Hause bestanden habe, lasse ihn vermuthen, daß wir Alle – merke wohl, Sulpicia, er war zartfühlend genug, um mich nicht allein zu nennen – wahren Antheil an dem Schicksal unsers Freundes nehmen würden, und er habe uns eine sehr günstige Wendung desselben zu berichten. Agathokles habe seine Larissa wieder gefunden, sie sey durch wunderbare Ereignisse, die er uns ganz vollständig erzählte, dem Tode und der Gefangenschaft entgangen, habe sich vor den Nachstellungen eines bösen Menschen hieher in das Wittwenhaus geflüchtet, ihrer Sorgfalt sey Agathokles, der keine Ahnung von ihrer Gegenwart, und kaum eine von ihrem Leben hatte, übergeben worden, sie habe drei Tage noch unerkannt mit ihm in demselben Hause zugebracht, und erst heute sich ihm entdeckt.

Wer hatte nun die Unwahrheit erzählt, Marcius oder [25] Constantin? Und war nicht vielleicht Marcius selbst der Bösewicht, dessen Nachstellungen sie entgehen wollte? Zu gut ist er nicht für diesen Verdacht. Wie dem immer seyn mag – genug, sie lebt, er hat sie wieder. Das Ende der Geschichte läßt sich an den Fingern abzählen. Einer der interessantesten Menschen seiner Zeit wird sich in dem alltäglichen Ehemann eines alltäglichen unbedeutenden Geschöpfes verlieren!

Ich hasse diese Theophania, oder Larissa, die wohl so viel Außenheiten als Namen haben mag. Ich halte sie für eine Heuchlerin. Was soll diese Komödie der Verborgenheit? Wenn sie wahrhaft liebte – wie war es ihr möglich, sich ihm zu entziehen? Aber sie will verwirren, reizen, anziehen, und da sie wohl fühlt, daß ihre höchst mittelmäßige Gestalt keinen bedeutenden Eindruck machen wird, nimmt sie ihre Zuflucht zu Künsten. Man muß sich in dichte Schleier hüllen, etwas Sonderbares, Geheimnißvolles um sich ziehen, man muß die Rolle der selbstverläugnenden, verkannten Zärtlichkeit spielen, bescheiden entfliehen, wenn die gefürchtete Nebenbuhlerin eintritt, aber durch ein wohlangebrachtes Schluchzen die Aufmerksamkeit auf die Entfliehende heften – man muß lange auf sich warten lassen, um dem Wenigen, was man zu geben hat, mehr Werth zu verleihen! O ich kenne diese Ränke, diese Miene der duldenden Sanftmuth – sie verbirgt meist ein listiges tückisches Gemüth, das jene Zwecke heimlich zu erschleichen strebt, die es offenbar nie erreichen würde; ich kenne die verfeinerte Buhlerei dieser Geschöpfe, die bei der Ohnmacht der Natur ihre Zuflucht zur Kunst nehmen! Ich habe sie von jeher gehaßt, und diese Theophania am meisten! Sie war mir widerlich, [26] als ich sie zuerst in Synthium sah. Ich bin offen, froh und heiter, wie mich die Natur gebildet hat; ich liebe und hasse, wie es mein Herz befiehlt, und verlange nicht eine Neigung zu verbergen, deren ich mich nicht zu schämen habe. Ich bin zu Agathokles geeilt, als ich ihn in Gefahr glaubte, ich habe ihm meine Freundschaft unverholen gezeigt, in allem meinem Werth oder Unwerth stand ich vor ihm, von seinem Herzen allein erwartete ich meine Würdigung, nicht von Schauspielkünsten, die ich verachte und verschmähe. Aber das wollen die Männer nicht – sie wollen getäuscht, gereizt, hingehalten seyn, und darum, wenn so ein von der Natur vernachlässigtes Geschöpf einmal sich die Herrschaft über ein Männerherz zu erobern gewußt hat, dann ist ihre Macht auch unzerstörbar, denn weder Zeit noch Alter, noch Krankheit kann den Zauber enden, der nicht auf den Einfluß der Sinne gestützt, der blos in der Einbildungskraft und dem Gemüthe gegründet ist.

Das ist also das Ende aller jener Aussichten, Hoffnungen – Erwartungen! Sulpicia! Wer mir das gesagt hätte, als ich ihm bei dem kleinen Feste den Kranz aufsetzte, als er erröthend, gerührt, betroffen, und in dieser Verlegenheit so liebenswürdig vor mir stand! – O es ist zu arg, zu arg!

78. Agathokles an Phocion

78. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im März 303.


Constantins Brief, den ich in meinem Namen an dich zu schreiben bat, wird dich von Allem unterrichtet haben, was seit einigen Wochen mit mir vorgegangen ist. Jetzt ist meine Wunde am Arm, die unbeträchtlichste [27] von allen, ganz geheilt, und der erste Gebrauch, den ich von dieser Genesung mache, ist, dir zu sagen, daß ein wunderbares Verhängniß mich plötzlich an das Ziel geführt hat, das beinahe, seit ich lebe, der Gegenstand meiner heißesten Wünsche, meines Entzückens, und oft meiner Verzweiflung war. Larissa ist mein. Sie lebt, sie ist frei, und in wenig Tagen wird eine heilige Ceremonie die Gefühle weihen und rechtfertigen, die unsere Herzen seit unserer Kindheit zu Einem Wesen gemacht haben! Wie sie dem Tod und der Gefangenschaft entgangen ist, warum ihr feines Gefühl sie bewog, sich durch sechs Monate meiner heißen Sehnsucht zu entziehen, wird dich die Abschrift ihrer Erzählung belehren, die ich hier beischließe. O Phocion! Welch ein Gemüth! Welche himmlische Sanftmuth im Handeln, welche stille Kraft im Dulden der schwersten Schicksale! Nun ist sie mein, und nun sey es meine heiligste Pflicht, dies zarte Leben, das mir, seit ich denken kann, geweiht war, zu leiten, zu verschönern, und vor jedem Ungemach treu zu bewahren.

Es wäre vergeblich, wenn ich dir meine Gefühle schildern wollte, als Constantin, dem sie sich entdeckt hatte, mir die erste Ahnung ihres Daseyns gab, als er mich nach und nach errathen ließ, daß sie Wittwe, daß sie mir unverbrüchlich treu, in meiner Nähe, unter Einem Dache mit mir sey. Die Schwache meines damaligen Zustandes, und dies längst aufgegebene Entzücken beraubten mich des Bewußtseyns. Mit heißem Ungestüme verlangte ich sie zu sehen, sobald ich meiner Sinne mächtig war. Man wollte das nicht, man fürchtete, eine solche Scene würde nachtheilig auf meine Gesundheit wirken.

O der schwachen Furcht! wie könnte die Vereinigung [28] der zwei Hälften eines Wesens, die getrennt ohnmächtig traurend dahin schmachteten, etwas Anderes als ihr höchstes Glück seyn! Sie kam. Erröthend, zitternd, weinend blieb sie von ferne stehen. Ach, sie hatte es vermocht, an meiner Treue zu zweifeln! Sie hatte es vermocht, vier Tage mit mir in Einem Hause zu seyn und sich zu verbergen! Ich rief sie. Mit dem Tone erwachte das Vergangenheit in ihrer Seele. Alles, was Mißverständniß und Bosheit zwischen uns gelegt hatte, verschwand. Sie sank an mein Herz, unsere Blicke sprachen, jeder Zweifel entwich. Rein, wie entkörperte Geister ungehindert von irdischen Beschränkungen, senkte mit einem Blick sich Seele in Seele, verstanden sich die unsterblichen Bewohner unserer Hüllen – bedurfte es keiner Worte, um sich anschauend zu erkennen, und im eigenen Gemüthe Alles zu finden und zu fühlen, was in dem andern vorging! Sie ist mein – im höchsten ausschließendsten Sinne des Worts mein – mein Geschöpf, wie sie sich selbst nannte!

Als ich das erste Mal mein Zimmer verlassen durfte, leitete sie meine Schritte. Sie hatte ein Fest veranstaltet, wie nur die innigste Liebe es ersinnen kann. Mit allen Blumen, die der Frühling jetzt in's Leben ruft, war das freundlich helle Gemach geschmückt, in das sie mich führte. Ihre zarten Gestalten, ihre Düfte umfingen mich ebenfalls in's Leben Zurückgekehrten – und in welches Leben der Seligkeit! Laue Lüfte, milde Strahlen der Frühlingssonne drangen aus dem Garten durch die offene Thüre in das duftende Zimmer. Hier hatte sie mir ein Ruhebett bereiten lassen – hier athmete ich an ihrer Brust zum ersten Mal die freie Luft, traf mich zum ersten Mal der Strahl der Frühlingssonne.

[29] Sie hängt an mir mit allen Kräften ihres Wesens, mit allen ihren Gefühlen und Gedanken. Ich weiß, daß es nur eines Wortes, einer leisen Anregung bedürfte, um sie zu jedem Opfer zu vermögen; aber eben in dem Bewußtseyn dieser unumschränkten Gewalt über ihr Gemüth liegt für mich die heiligste Verbindlichkeit, ihrer nie zu mißbrauchen, und jeden Schein von Uebergewicht zu vermeiden. Diese heilige Scheu von einer Seite, und die innigste Hingebung von der andern erzeugt ein Verhältniß, dessen Reinheit und zartes Leben unserer Verbindung einen Reiz gibt, den Witz, Schönheit und Leidenschaft vergeblich nachzuahmen streben würden. Was ist aller Zauber äußerlicher Reize, was die Lebhaftigkeit eines leichtbeweglichen Sinnes, und die Abwechslung, die nur von Absicht oder Laune zeugt, gegen die unwiderstehliche Gewalt der Sanftmuth, und des innigsten Zutrauens? Und sie ist auch schön, – sie ist es nicht blos in meinen Augen! Mir zu Liebe putzt sie sich wieder. Ich äußerte neulich den flüchtigen Wunsch, sie einmal anders, als in dem gar zu schlichten Anzuge der Bewohnerin dieses Hauses zu sehen. Am andern Morgen trat sie zwar einfach, aber höchst edel gekleidet in den Garten, wo ich ihrer Ankunft länger als gewöhnlich geharrt hatte. Ein goldner Gürtel faßte das blendendweiße Gewand unter dem keusch verhüllten Busen, goldne Spangen umzirkelten die schönen Arme, und über den hellbraunen Locken floß ein nebelartiger Schleier bis zu ihren Füßen nieder, und folgte ihr bei jedem Schritte in langsamen Bewegungen, Freude und Liebe hatten ein feines Röth über ihre Wangen gehaucht, das große dunkle Auge strahlte Seligkeit und Ruhe. So stand sie vor mir, [30] und erweckte zartes Verlangen, und stille Hoffnung, aber keine Begierde.

Mein Vater ist noch nicht versöhnt, er hat den Fluch noch nicht von meinem Haupte genommen, und Theophaniens reine Seele zittert vor einer Verbindung, die unter solchen Vorbedeutungen geschlossen werden soll. Es ist mir heilige Pflicht, sie zu beruhigen, und so will ich zu meinem Vater gehen, und wenn noch ein Funken väterlicher Liebe in seiner Brust lebt, ich will ihn finden, und wieder erwecken. Was ich vielleicht um meiner selbst willen nicht thun würde, muß um Theophaniens willen geschehen. Ich habe geschaudert, als mein Vater seinen Zorn so fürchterlich aussprach, aber mein Herz gab mir das Zeugniß, daß ich ihn nicht verdiente, daß es eine höhere Pflicht gäbe, als selbst die kindliche, die, der einmal gefaßten Ueberzeugung von Recht und Wahrheit treu zu bleiben.

Dann bleibt noch ein seltsames Verhältniß zu lösen übrig – das von Calpurnia zu mir. Am ersten Tage, nach jener Nacht, wo ich verwundet in das Haus der gütigen Pflegerinnen gebracht wurde trat sie unvermuthet in Knabenkleidern, ich kann wohl sagen, zu meinem Schrecken in's Zimmer. Im ersten Augenblicke fürchtete ich, zu große Güte gegen mich, Mitleid, Ueberraschung, habe sie hingerissen, diesen gewagten Schritt zu thun. Ihr leichter Ton, ihr munteres Betragen zeigte mir bald, daß nur eine unverzeihliche Eitelkeit von meiner Seite diesen Gedanken hätte festhalten können. Liebe – solche Liebe, die ein Wagniß dieser Art rechtfertigen könnte, wohnt nicht in dieser luftigen Brust, in der jede Laune, jeder augenblickliche Eindruck offenen Eingang und willige [31] Aufnahme finden! Calpurnia liebt nur sich selbst, und Andere nur, in so weit sie ihr angenehme Empfindungen, Zerstreuung u.s.w. gewähren. Kein ernsterer Gedanke, keine bessere Ansicht vermag etwas über ihr leicht flatterndes Wesen. So habe ich sie hundertmal, so jetzt wieder erkannt, und alle Macht ihrer Reize gleitet von meinem Herzen ab. In jenen Augenblicken des rührenden Wiedersehens, wie hätte ein liebendes Weib sich betragen! Sie that den ungeheuern Schritt, um etwas Seltsames zu thun. Die einzige Triebfeder, die ihn entschuldigen konnte, fehlte, so bleibt er nichts als eine Wirkung der Laune und Absicht. Ihr Leichtsinn ist unbegreiflich, es gibt durchaus nichts, das ihren flatternden Geist festhalten könnte. Constantin hat auf mein Bitten mit ihr gesprochen, und ihr erzählt, daß ich meine Theophania wieder gefunden habe; seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen, und erwarte jetzt nicht ohne unangenehmes Gefühl die Entscheidung dieses Verhältnisses.

Meine Hand ist müde, ich habe zwei Tage an diesem Briefe zugebracht, denn ich kann weder oft noch anhaltend den Griffel führen. So bald ich, mehr schreiben darf, sollst du wieder von deinem glücklichen Freunde hören.

79. Agathokles an Phocion

79. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im April 303.


Seit acht Tagen bin ich mit meiner Theophania vermählt. Der höchste Wunsch, der meine Brust bewegte, ist erfüllt, und wenn Sterbliche sagen können, daß sie glücklich sind, so können wir es, wenigstens sind wir es ganz in uns. Kein leises Verlangen, keine Ahnung nach [32] höherer Seligkeit läßt irgend eine Saite unserer Herzen leer und unberührt. Alle beben in vollen Schwingungen, alle vereinigen sich zur reinsten Harmonie, und unser Leben könnte ein Bild jenes goldenen Zeitalters werden, an dessen Daseyn der Mensch, von den Greueln der Wirklichkeit ermüdet, und voll Sehnsucht nach einem vollkommenern Zustand, so gern glaubt.

Aber dazu ist der Pilger dieser Erde nicht bestimmt, und damit er nie sich übernehme, fehlt es auch in seinen glücklichsten Lagen nicht an dunkeln Schatten, die den allzuhellen Glanz mäßigen. Unser Loos ist Arbeit und Kampf mit uns, mit der Welt, damit es uns und den Brüdern besser werde. Wohl dem, der das erste bestanden, der Friede mit sich selbst hat, und in seinen Wünschen, Ansichten und Grundsätzen ein beschlossenes Ganzes findet! Ich hoffe, wenigstens zum Theil diese Stufe erreicht zu haben. Es ist stille in mir. Larissens Besitz war eine wesentliche Bedingung dieses Friedens, ohne sie war mein Daseyn halb und unvollendet. Sie allein versteht mich ganz, ihr kindlicher Sinn faßt, was der Verstand sonst würdiger Männer, in Weltansichten verstrickt, nicht immer zu begreifen fähig ist. Auch Constantin, der nächst dir mein Innerstes am tiefsten erkannte, und in den wichtigsten Dingen mit mir gleich denkt, empfindet nicht gleich mit mir.

Du weißt, daß ich gesonnen war, Alles anzuwenden, um meinen Vater zu versöhnen. Es ist keiner der unbedeutendsten Vorzüge des Christenthums, daß es unter seinen göttlichen Gesetzen eines ausspricht, das sonst nie eine Religion gab, ein Gebot, das, wenn wir die menschliche Natur und den Gang der Empfindungen betrachten, [33] höchst weise und nützlich ist; auch ist es das Einzige, das Verheißung hat. Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe, und du lange lebest auf Erden. So spricht das Gesetz, das Gott auf Sinai unter den Schrecken des Gewitters und seiner Herrlichkeit dem sinnlichen Volke der Wüste verkündigen ließ. Väter- und Mutterliebe hat die Natur in unsere Herzen gepflanzt, sie braucht kein Gesetz einzuschärfen. Aber der erwachsene Zweig sondert sich vom Mutterstamm, wurzelt für sich allein, und wird zum Baume. Das junge Thier entläuft der älterlichen Pflege, so bald es fähig ist, sich selbst zu erhalten; denn der Trieb der Natur wirkt vorwärts, nicht zurück. Nur der Mensch steht höher, von ihm fordert die Welt und sein Schöpfer mehr, er soll, wenn er selbstständig ist, die Urheber seines Lebens nicht vergessen, er soll die Pflege seiner Jugend ihrem Alter vergelten, und da kein eingepflanzter Trieb ihn hierzu führt, so müssen Dankbarkeit, Ehrfurcht, Gewohnheit, Alles bewirken. Darum erweiterten die Gesetzgeber das Ansehen der Eltern bis zum Rechte über Leben und Tod; aber Furcht gebiert keine Neigung, und nur in edeln Gemüthern treibt Dankbarkeit zur Wiedervergeltung. Da gab die höchste Weisheit dem Menschen das Gesetz der Liebe und Achtung für die Eltern, knüpfte den Lohn daran, der für die Stufe der Entwickelung, auf welcher damals das Menschengeschlecht stand, der höchste war, und ordnete das Gesetz, das Ehrfurcht für die sichtbaren Urheber des Lebens gebot, unmittelbar nach den Gesetzen, die die Verehrung für den unsichtbaren Urheber desselben enthalten.

So trieb nebst Theophaniens Wunsch auch das Gefühl [34] der Pflicht mich zu diesem Schritt, aber ich wollte es nicht wagen, mich unvorbereitet dem erzürnten Vater zu zeigen, den selbst der drohende Tod nicht an das Daseyn seines Sohnes erinnert hatte. Constantin ging zu ihm. Er fand ihn seltsam, nicht erzürnt, zuweilen sogar gerührt, aber unschlüßig, wankend – so daß er seine Antwort erst am folgenden Tage zu schicken versprach. Sie lautete also: Wenn ich mich entschließen könnte, gesetzmäßig und feierlich allen Ansprüchen auf sein Vermögen zu entsagen, weil er nicht gesonnen sey, seine Reichthümer zum Besten einer Christengemeinde verwenden zu lassen: so wollte er mich wieder als seinen Sohn erkennen, und seine Einwilligung zu meiner Vermählung geben. Meine Wahl blieb keinen Augenblick zweifelhaft. Ich unterschrieb das Instrument, das mir Constantin unwillig gab, und noch denselben Abend eilte ich, meine vollkommene Verzeihung selbst von meinem Vater zu erhalten. Ich ließ mich in einer Sänfte hintragen; ich trat in's Atrium, und befahl dem Sclaven, mich zu melden. Der Anblick unserer Ahnenbilder, die in langen Reihen die Halle zierten, das Andenken an meine Jugend, an meine theure Mutter, an so manche Scenen, die hier vorgefallen waren, das Sonderbare meiner jetzigen Lage, vielleicht auch die höhere Reizbarkeit meines Wesens, eine Folge meiner überstandenen Gefahr, stimmten mich zu ungewöhnlicher Rührung, und als endlich, statt des Sclaven, den ich erwartete, um mich zu meinem Vater zu führen, dieser selbst mit sichtbarer Eile in's Atrium trat, auf mich zuging, und mit Mühe die tiefe Bewegung verbarg, die dennoch jede seiner Mienen verrieth – da überwältigte mich mein Gefühl, ich zog meines Vaters Hand [35] an meine Lippen, eine Thräne fiel darauf, ich war nicht fähig, meinen Dank auszusprechen; aber er verstand meine wortlose Rührung. Als er selbst sich gesammelt hatte, erkundigte er sich höchst gütig nach meiner Gesundheit, meinem Zustande, er fand mich noch sehr bleich und entkräftet, und faßte meinen Arm, um mich zu unterstützen, und in die inneren Gemächer zu führen. Er that dies mit so sichtbarer Schonung meiner Wunden, daß ich wohl fühlte, er sey von meiner Lage viel besser unterrichtet, als er scheinen wollte. Ich war unaussprechlich gerührt, ich küßte seine Hand von Neuem, ich drückte sie an meine Brust. Er schien mit Gewalt seine eigene Bewegung zu unterdrücken, dennoch nannte er mich sein Kind – eine Benennung, die lange nicht zwischen uns gehört worden war – er ließ mich an seiner Seite niedersitzen, er überhäufte mich mit allen Bequemlichkeiten und Erfrischungen, die er mir in diesem Augenblick verschaffen konnte, und entließ mich erst nach zwei Stunden mit dem Auftrag, ihm des andern Tages meine Braut vorzustellen. Des Instruments wurde nicht gedacht, es schien, als scheute sich mein Vater, seiner zu erwähnen. Irre ich nicht ganz, so waren hier Rathgeber und Freunde thätig, die ihn zu einem Schritte beredet haben, den er selbst vor seinem Gfühl nicht rechtfertigen kann.

So glücklich, so kindlich froh, als Theophania durch die Nachricht von meiner Aufnahme bei mei nem Vater wurde, hatte ich sie niemals gesehen. Eine drückende Last schien von ihrer Seele genommen, sie scherzte, sie tändelte, und diese Aeußerungen einer schuldlos reinen Freude, je seltener sie bei ihr sind, gaben ihrem ganzen Wesen einen neuen eigenthümlichen Reiz. Der Abend, [36] den ich mit ihr zubrachte, war einer der schönsten meines Lebens. Sein Andenken wird, wie ein strahlender Stern, künftig durch meine Vergangenheit glänzen, und das Bild seines Glückes vielleicht manche trübe Stunde der Zukunft erhellen.

Am andern Morgen schickte mein Vater Larissen sehr kostbare Geschenke. Mehrere Sclaven brachten sie. Die väterliche Liebe wußte das selbstgegebene Gesetz zu umgehen; was dem Sohne nicht werden durfte, sollte die künftige Tochter erhalten. Es waren reiche Gewände, Geschmeide aller Art, köstliche Schleier u.s.w. Auf mein Bitten schmückte sich Theophania sogleich damit, und wir traten in Umgebungen, wie ich sie den Wünschen und Ansichten meines Vaters am entsprechendsten fand, unsern Weg zu ihm an. Er schien angenehm durch Theophaniens Gestalt und Betragen überrascht, das man ihm vermuthlich ganz anders geschildert haben mochte. Er empfing sie als die Wittwe des Demetrius mit unverstellter Achtung, und als seine künftige Tochter mit eben so unverkennbarem Wohlwollen. Mir trug er an, so bald ich ganz hergestellt, und der sorgsamen Pflege nicht mehr bedürftig seyn würde, in seinem Hause zu wohnen. Das war ich beinahe, und so nahm ich mit Dankbarkeit seine Güte an, so wenig mich die Entfernung von Theophanien freuen konnte, die vor der Hand bis zu ihrer Vermählung in dem Wittwenhause blieb. Ich begleitete sie also blos zurück, und kehrte zu meinem Vater wieder, wo ich bereits meine gewohnten Gemächer mit allen meinen Sachen, die er schnell aus dem Quartier der Leibwache hatte abholen lassen, und noch überdies mit allen Bequemlichkeiten versehen fand, die meine Lage jetzt vielleicht nothwendig machen konnte.

[37] Mein Vater machte glänzende Anstalten zu unserer Vermählung. Theophania und ich hätten uns mit dem zehnten Theil aller dieser Pracht begnügt, aber wir hatten uns vorgenommen, in allen solchen äußerlichen Dingen ihm, der hierin einen so großen Theil seines Glückes setzt, gar nicht zu widersprechen. Sobald Alles gehörig bereitet war, führte ich Theophanien, als meine Gattin, in das väterliche Haus. Heliodor hatte uns getraut; aber mein Vater äußerte sehr bestimmt, daß er die Braut seines Sohnes auf alt Römische Art in sein Haus aufzunehmen wünschte. Wir fügten uns auch diesem Wunsche, und so wurden Theophanien die Schlüssel des Hauses übergeben 1, Feuer und Wasser überreicht, die Sclaven vorgestellt u.s.w.; und bis auf das Opfer am Altar der Laren, das ihre Religion verbot, verrichtete sie Alles mit einem Anstand und einer Liebenswürdigkeit, die, das sah ich wohl, ihr das Herz meines Vaters gewann. Seit der schwere Druck des Unglücks nicht mehr auf diesem zarten Gemüthe liegt, erhebt sie sich in stiller Heiterkeit, und einem reizenden Frohsinn, der sie zu einem von der ehemaligen Larissa ganz verschiedenen Wesen macht. Sie führt das große Hauswesen meines Vaters mit Leichtigkeit und Ordnung, und der frohe Greis scheint sich in dem Umgange seiner Kinder, deren Glück er als sein Werk betrachtet, zu verjüngen. So bin ich unaussprechlich glücklich.

Nur Constantin ist mit mir unzufrieden. Mein schnelles [38] Verzichtleisten auf die Reichthümer meines Vaters erregte einen Streit zwischen uns. Constantin's Geist, der große Absichten durch kräftige Mittel zu erreichen strebt, glaubt diese zum Theil in beträchtlichen Reichthümern zu finden. Er hat nicht Unrecht, aber mein Ziel liegt nicht ganz bei dem seinigen; und der geliebte Sohn eines sehr gütigen Vaters, den nie ein Mißverständniß von seinem Herzen riß, hat keine Vorstellung von dem Preise, um welchen ein vernachläßigtes Kind die väterliche Zuneigung gern wieder erkauft. So bleiben unsere schuldlosesten, unsere heiligsten Freuden nicht rein. Ich habe Constantin seit jenem Streite nicht wieder gesehen.

In einigen Tagen denke ich nach Synthium zu gehen, und dort in einsamer Stille und reiner Luft meine Kräfte ganz zu erholen. Mein Vater hat versprochen, mich oft zu besuchen. Dort, wo meine treffliche Mutter lebte, wo ihr schönes Daseyn so früh zerriß, wo wir als Kinder um sie spielten, werde ich mit Larissen leben – aber selbst im Arm der Liebe werde ich nie vergessen, daß du von mir getrennt bist, und Constantin mir zürnt.

Fußnoten

1 Bei den Hochzeitfeierlichkeiten der Römer wurden der Braut beim Eintritt in das Haus ihres Gemahls die Schlüssel des Hauses, und Feuer und Wasser, als Symbole ihrer künftigen Herrschaft im Hause, dargereicht.

80. Calpurnia an ihren Bruder Lucius

80. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im April 303.


Einst war eine Zeit, wo ich Thränen und Kummer nur aus fremder Erfahrung kannte, oder ein seltner trüber Augenblick, eine leichte Sorge, ein bald zerstreuter Schmerz nur die hellen Farben in dem Gemälde meines Lebens durch seinen Schatten desto blendender erhob. O goldene Zeit, wo bist du hin? Mir ist, als hätte ich bis jetzt in dem schönen Traume der Kindheit gelebt, und wäre erst hier in Asien zur Wirklichkeit, zur reisen Besinnung [39] erwacht. Hesperien! Schönes mütterliches Land! Wie so ganz anders war es dort! Wie glücklich, wie beglückend war dort mein Leben! Und wie reizlos, wie düster ist es hier!

Meine arme Sulpicia werde ich schwerlich wieder sehen. Ihren letzten Brief erhielt ich vor einem Monate in eben der Zeit, wo ein frisch zerrissenes Band anderer Art mein Herz in trübe Stimmung versetzt hatte. Er enthielt Ahnungen ihres nahen Todes. Ich hatte das beinahe gefürchtet, als ich sie im vorigen Frühling in dem unseligen Synthium wieder sah. Ihr Zustand verschlimmert sich jetzt täglich, sie ist nicht mehr im Stande, zu schreiben. Vielleicht während ich dir dies sage, lebt sie nicht mehr. O meine Sulpicia! Unglückliches, schuldloses Opfer einer allzutreuen Zärtlichkeit! Vorgestern habe ich einen Brief von Tiridates erhalten, er war im Tone der düstersten Verzweiflung geschrieben. Jetzt, da er auf dem Punkte steht, sie auf ewig zu verlieren, ist seine Leidenschaft in ihrer ganzen Stärke erwacht. Ach, war es nicht ihr Verlöschen, was sie an den Rand des Grabes gebracht hat? – Welcher Widerspruch im männlichen Herzen!

Die Aerzte, sagt er mir, geben beinahe alle Hoffnung auf. Beinahe! An diesem schwachen Faden hält sich seine verzweifelte Liebe doch noch fest, und manchmal schimmert ein Hoffnungsstrahl durch das Dunkel seiner Seele. Armer Tiridates! Er ist sehr unglücklich, und trotz aller seiner Schuld und seines Leichtsinnes kann ich ihn jetzt nur beklagen; denn er leidet unaussprechlich, um so mehr, da sein Herz ihm heimlich Vorwürfe machen muß.

[40] So leiden denn alle guten Menschen, alle sind gequäkt. Und warum sind wir denn gut? Warum thut nicht jeder für sich, was ihm die Klugheit räth, ohne sich um die Andern zu bekümmern? O die Selbstsüchtigen sind die Glücklichsten, und je länger ich in der Welt lebe, je mehr sehe ich die Rechtmäßigkeit und Klugheit ihres Verfahrens ein. Krieg gegen Krieg, List gegen List, Kälte gegen Kälte! Wer am längsten aushält, ist der Glücklichere, und dann auch in seinen und der Welt Augen der Bessere, der Verständigere. Ist nicht in der ganzen Natur das Recht des Stärkern gültig? So denn auch in der gesitteten Welt, nur mit dem Unterschied, daß hier Verstand und Geschicklichkeit statt der körperlichen Kraft eintritt. Hier ist der Klügere der Stärkere. So laß uns denn klug seyn, und nichts als klug, so lange das Flämmchen des Lebens brennt. Dann faßt uns die Urne, und wir sind Staub, wir mögen für uns allein gesorgt, oder uns um Anderer willen hingeopfert haben.

Als ich dich verließ, als ich mit frohem Muthe das Schiff bestieg – o warum hat kein Gott mir damals mein Geschick verkündet, kein unglückliches Wahrzeichen mich zurückgehalten an dem vaterländischen Ufer! Zu welchen Erfahrungen bin ich nach Bythinien gekommen? Die ich liebe, muß ich entbehren und verlieren, die ich hasse, verfolgen mich, die ich vergessen möchte, ruft mir das Schicksal mit immer neuer Lebhaftigkeit zurück. Agathokles ist verheirathet, und lebt in Synthium. O wie viele Erinnerungen drängen sich in das einige Wort! Um seines Vaters Einwilligung zu seiner Heirath zu erhalten, hat er seinem Erbtheil entsagt. Du weißt, ich bin nicht habsüchtig, aber es ist keine Kleinigkeit, wenn [41] man im Ueberfluß erzogen worden ist, alle die tausend Bequemlichkeiten und Genüsse zu entbehren, die der Reichthum sichtbar und unsichtbar um seine Günstlinge verbreitet. Sein Vater hat dies Opfer nicht um ihn verdient, schon darum nicht, weil er diese Forderung machen konnte: dennoch bringt es Agathokles. Ich konnte seinen Schritt nicht billigen, als ich es hörte, aber ich mußte ihn achten. Noch war die Bewegung, die jene Nachricht in meinem Innern erregt hat, nicht ganz gestillt, als neue Kränkungen und neue Erinnerungen mir sein Bild in einem noch glänzendern, noch gefährlichern Lichte vor die Seele riefen. Ich bin ihm sehr verpflichtet geworden, und daß diese Schuld, die ich einst so gern übernommen haben würde, mich nun drückt, kannst du wohl denken. Der verächtliche Marcius Alpinus, von dem ich nun bestimmt weiß, daß er in Nicäa niedrige Absichten auf Theophanien gehabt hat, hat vermuthlich berechnet, daß es nicht so übel wäre, den Proconsul Lucius Piso zum Schwiegervater zu haben, und ist seit jenem unseligen Abend, wo er mich auf dem Wege nach Nikomedien fand, mein erklärter Verehrer und Freier. Er peinigte mich mit seiner Zudringlichkeit, er wandte sich an meinen Vater, an den Bruder, an einige Freunde, ich wurde von allen Seiten mit thörichten Erzählungen von seiner Leidenschaft, von den Qualen, die er um meinetwillen, und durch meine Härte leide, geplagt. Als mir diese Art von Peinigung zu viel wurde – o ich war in dieser Zeit so wenig gestimmt, mit Anderer Bosheit oder Thorheit Geduld zu haben! – erklärte ich ihm ein Mal geradezu, daß ich nun und nimmer die Seinige werden könnte.

[42] Ich war im Anfange ganz artig, aber der niedrige Mensch glaubte in dieser Schonung eine geheime Neigung, oder Furcht zu sehen – die Götter mögen wissen, was – genug, er wurde zudringlich, ungestüm; er trotzte auf Rechte, er wollte Ansprüche geltend machen. Da übermannte mich der Unwille, und ich zeigte ihm meine ganze tiefe Abneigung und Verachtung. Glaubst du, daß der Bösewicht dadurch beleidigt oder entrüstet worden wäre? Nicht im Geringsten! Lächelnd, mit einer Miene, die mein ganzes Wesen empörte, neigte er sich, und sagte: »Die schöne Calpurnia kleidet auch der Zorn, aber ich bitte sie nicht zu vergessen, daß diejenige, die in Männerkleidern einem grausamen Geliebten nachläuft, kein Recht hat, in diesem Tone mit einem Manne zu sprechen, der ehrliche Absichten auf sie hat. Bisher habe ich aus Schonung geschwiegen, aber die Geschichte dieser Verkleidung ist zu lustig, um sie der schönen Welt in Nikomedien länger zu entziehen.« Er neigte sich und ging. Mich hatte Schaam, Zorn, und Erstaunen stumm gemacht. Erst als er entfernt war, vermochte ich den ganzen Umfang seiner Bosheit, und meine Gefahr einzusehen. Ich war außer mir. Ich wagte nicht mit meinem Vater zu sprechen, ich zitterte vor seiner gerechten Ahndung, und fürchtete zugleich, daß vielleicht irgend eine gewaltsame Maaßregel, die ihn die Sorge für die Ehre seiner Tochter ergreifen machen würde, das Uebel ärger machen könnte. Am Abend des folgenden Tages kam Quintus mit glühendem Gesicht und funkensprühenden Augen zu mir. Der Bösewicht Marcius hatte seine Drohung bereits ausgeführt, und in einer lustigen Gesellschaft seiner Zechbrüder meine Geschichte, meinen und [43] Agathokles Namen preisgegeben. Einer von den Gästen hatte es unter dem Scheine des Zweifels, und als ein unglaubliches Mährchen meinem Bruder erzählt. Ich brachte die Nacht in einem qualvollen Zustande zu, nicht besser war der folgende Tag. Ich zitterte, so oft Jemand eintrat, so oft man meinem Vater einen Besuch meldete, daß jetzt wieder die unselige Geschichte erwähnt werden würde.

Plötzlich am dritten Tage war Marcius aus Nikomedien verschwunden, doch nicht ohne vorher seine vorige Erzählung als einen Scherz, dessen Veranlassung eigentlich eine tolle Wette unter ihm und einem seiner Freunde gewesen wäre, ernstlich und feierlich widerrufen zu haben. So war das Gewitter diesmal vorübergegangen, und ich konnte nicht begreifen, wie? bis ein Paar Tage darauf Quintus durch denselben Centurio, der ihm die Geschichte zuerst erzählt hatte, erfuhr, daß Agathokles in größter Eile von Synthium gekommen, und bei Marcius abgestiegen war, daß man sie sehr lebhaft streiten gehört habe, daß Marcius sogleich seine Pferde zu satteln, und den Sclaven, sich reisefertig zu machen, befohlen habe, und noch denselben Abend, wenige Stunden nach Agathokles, der sogleich wieder auf seine Villa zurückgekehrt war, die Stadt verlassen habe.

So war denn die Rettung meines guten Namens Agathokles Werk, so bin ich ihm dafür verpflichtet! Und er äußert nichts gegen mich, er entzieht sich meinem Dank, er weiß vielleicht gar nicht, daß mir die ganze Sache bekannt ist. O mein Lucius! Ist es möglich, dies zu denken, ein fühlendes Herz, und einst so lachende Hoffnungen [44] gehabt zu haben, und jetzt ruhig oder kalt zu seyn? Was wird noch aus mir werden?

Ein Entschluß steht fest in meiner Seele. Wenn mein Schicksal fortfährt, Qual auf Qual, Beschämung auf Beschämung über mich zu häufen, so will ich seinen Launen weichen, ich will den Ort verlassen, an den ich unter so unglücklichen Vorbedeutungen gekommen bin, und meinen Vater bitten, daß er mich nach Rom zu dir und meiner Tante Sempronia zurückschicke. Hier kann ich es nicht länger aushalten.

81. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

81. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Cäsarea, im Mai 303.


Haben die Eumeniden mir diesen Agathokles zur Strafe meiner Vergehungen gesandt? Lebt der Mensch nur, um mir überall, wo ich ihn am wenigsten vermuthe, in den Weg zu treten? Sein Fanatismus, die Eitelkeit des Einen, die Schwäche des Andern, Alles muß sich vereinigen, um Plane zu zerstören, die weit klüger angelegt waren, als diese schwachen Seelen es je auch nur träumen konnten.

Sein Vater hat ihm verziehen, und Alles, was ich seit Monaten mit Verstand und Vorsicht bereitete, wird nun an dem langsamen Feuer häuslicher, kindlicher Zärtlichkeit schmelzen. Wer hätte auch an die ungeheuere Thorheit glauben sollen, daß ein Mensch, der fünf gesunde Sinne hat, um die Einwilligung seines Vaters zum Besitz eines Weibes, das ihm jederzeit gewiß war, zu erhalten, ein Vermögen von mehr als hundert Talenten ausschlagen würde!

Als ich sicher war, daß Theophania nicht blos in Nikomedien, [45] daß sie unter einem Dache mit ihm lebte, und mir den Schluß der Tragicomödie an den Fingern abzählen konnte, war es natürlicher Weise nothwendig, Alles vorzukehren, was diese Verbindung entweder gleich trennen, oder wenigstens auf so lange Zeit verschieben konnte, daß mir Muße und Gelegenheit übrigte, allerlei andere Hindernisse herbeizuführen.

Hegesippus ist schwach, eitel – und darum sehr lenkbar. Er hatte im ersten Anfall des Zorns seinem Sohne den Fluch gegeben, als er von ihm hörte, daß er ein Christ sey; ich durfte also nur auf diesem Grund fortbauen, und that es mit Klugheit und gutem Erfolg. Bei der Nachricht von der Gefahr seines Sohnes bekam zwar der schwache Alte eine Art Rückfall, aber ich machte ihm begreiflich, wie sehr er sein Ansehen vor der Welt und bei Hofe auf's Spiel setzen würde, wenn er jetzt nachgäbe, und den Sohn anerkannte, der sich geradezu als Rebell gegen den kaiserlichen Befehl gezeigt hatte, und ich brachte es dahin, daß er wenigstens öffentlich sich gar nicht um ihn zu bekümmern schien. Aber freilich, wie das bei Menschen dieser Art geht, ich konnte nicht hindern, daß nicht täglich ein Sclave heimlich in das Wittwenhaus abgefertigt wurde, der sich unter fremdem Namen nach allen Umständen des Sohnes erkundigen mußte. Ich ließ die Thorheit hingehen, weil ich sie für unschädlich hielt; aber man soll keinen, auch nicht den unbedeutendsten Umstand außer Acht lassen, besonders wenn man mit unzusammenhängenden Gemüthern zu thun hat.

Ein Paar Wochen waren still vergangen, da er schien plötzlich Constantin, und wandte sich im Namen seines Freundes an Hegesippus, und bat ihn um seine Einwilligung, [46] und seinen Segen zur Heirath. Der Alte war bestürzt, geschmeichelt, gerührt. Er hatte auf dies Zeichen von Liebe und Unterwerfung gar nicht mehr gerechnet, und Agathokles hätte den Botschafter nicht besser wählen können. Der Sohn des Abendländischen Cäsars, der als Client im Namen seines Sohnes, seines innigsten Freundes vor ihm stand! Zum Glück besann sich der schwachsinnige Greis noch so viel, daß er nicht auf der Stelle Ja sagte, sondern die Antwort den folgenden Tag zu geben versprach. Er ließ mich rufen, ich war selbst überrascht. – Wer hätte diese neue Thorheit von Agathokles vermuthen sollen? Da er mir aber so gutmüthig die Waffen gegen ihn in die Hand gab, wäre es Wahnsinn gewesen, sie nicht zu brauchen. Ich stimmte dem Alten, was überhaupt nicht schwer ist, und ließ ihn in der Ferne eine Aussicht sehen, vor der ihm graute, sein Vermögen zum Nutzen und zur Emporbringung einen Secte angewendet, die er haßte und verachtete, die ihm schon so viel Herzeleid gemacht hatte. Der Entschluß war bald gefaßt, Hegesippus gab seine Einwilligung, aber nur bedingungsweise – nur dann nämlich, wenn Agathokles allen Ansprüchen auf sein Vermögen entsagte. Ich konnte mir nicht denken, daß er diese Bedingungen eingehen würde, und eben so wenig, daß die andächtige Theophania, deren Einwirkung ich in jenem Schritte deutlich erkannte, sich entschließen würde, ihm wider oder ohne des Vaters Einwilligung ihre Hand zu geben. Es war also vorerst ein Hinderniß zwischen ihnen und dem Ziele ihrer Wünsche aufgethürmt, und ich fing an gute Hoffnung zu nähren.

Da zerstörte der rasende Schritt des fanatischen Menschen [47] den ganzen Plan. Er unterzeichnete die Entscheidung. Der Alte wurde gerührt, weichherzig. Er nahm den zurückgekehrten Sohn mit größter Zärtlichkeit auf, und überschüttete die fromme Schwiegertochter mit prächtigen Geschenken. So sucht seine Erbärmlichkeit den Sinn der Bedingung, die er selbst gegeben hat, thöricht zu umgehen. Wie verächtlich sind diese Geschöpfe!

Recht beim Lichte besehen, ist Agathokles vielleicht feiner als ich dachte; wenigstens hätte er sich, wenn er mich zu überlisten gesonnen war, nicht anders betragen können. Er hofft vielleicht, nachdem er nun einmal jetzt die Einwilligung des Vaters erschlichen hat, durch Unterwerfung und kindlichen Gehorsam eines Tages dem weichherzigen Alten auch noch die Erbschaft abzuschwatzen. Doch dafür soll Sorge getragen werden. Leucippus, ein Neffe des Alten, der, wenn er ohne Kinder stürbe, sein natürlicher Erbe wäre, ist durch mich bereits von dem Fall unterrichtet, und hundert Talente Goldes, die ihm zufallen, verlohnen schon der Mühe, daß man dem Oheim mit Fleiß und Klugheit den Hof mache.

Doch nicht diese einzige Sache ist's, die meine Galle gegen ihn rege gemacht hat. Er hat mich vor einigen Tagen auf eine Art beleidigt und gereizt, die ich ihm zu vergelten mir fest und sicher vorgenommen habe. Die Zeit wird die Gelegenheit herbeiführen, bis dahin bleibt Alles still und ruhig. Du weißt, daß ich mich seit jenem seltsamen Zusammentreffen Calpurnien von Neuem genähert habe. Sie ist schön, sie ist reich, ihr Vater hat bedeutenden Einfluß. Aber mein Gesicht schien ihr nicht zu behagen, ihr Herz war noch zu voll von dem Bilde des christlichen Schwärmers. Genug, sie begegnete mir zuerst kalt, [48] dann übermüthig, dann verächtlich. Ich hatte mich darüber hinausgesetzt, wenn ich hätte hoffen können, auf diese Art zum Ziele zu gelangen. Aber Calpurnia ist eigensinnig, sie reizte mich immer mehr und mehr, da übernahm mich endlich der Zorn, und in einer schwachen Stunde ließ ich mich hinreißen, nicht allein ihr zu drohen, daß ihr guter Ruf seit jener Zusammenkunft in meiner Gewalt sey, sondern auch noch denselben Abend, von Mein und Zorn erhitzt, unter einer frohen Gesellschaft die Geschichte zu erzählen.

Zwei Tage darauf meldet man mir Agathokles. Ich glaubte, der Sclave habe den Namen nicht recht verstanden. Er war es wirklich. In seinen dunkelglühenden Blicken, in seiner ganzen Haltung lag der kalte Uebermuth, den diese Menschen Tugendstolz nennen. Mit empörendem Ton stellte er mich über mein Betragen gegen Calpurnien zur Rede, das er, die Götter mögen wissen wie? erfahren hatte. Mein Blut kochte, ich bezwang mich mit Mühe so weit, daß ich ihn gelassen fragte, was ihn das anginge, und woher ihm das Recht zu dieser Frage käme? Nun brachen die Schleußen seiner Beredtsamkeit los, er sprach von Niederträchtigkeit, von hämischer Rache, von der Pflicht jedes ehrlichen Mannes, sich der beleidigten Ehre seines Nebenmenschen anzunehmen u.s.w., wie die Gemeinplätze der schönen Seelen alle heißen. Meine Geduld riß endlich, und ich erklärte ihm geradezu, daß ich seine Beleidigungen und sein Geschwätz nicht länger dulden wollte. Da trat er zurück, sah mich mit einem Blicke an, den ich mir noch jetzt nicht vergegenwärtigen kann, ohne jeden Tropfen Bluts in Aufruhr zu fühlen, und sagte mit empörender Kälte: »Marcius! [49] Wie kannst du es wagen, diese Sprache zu führen? Weißt du nicht, daß es in meiner Macht steht, dich zu verderben?« und nun fing er an von Dingen zu sprechen, die ihm die Furien eingegeben haben mußten. Er war von Vorfällen unterrichtet, die ich in tiefes Dunkel vergraben glaubte, er wußte Dinge, die aus einem andern Mund als dem meinen zu hören mir die Haare empor sträubte. Hatte Constantin sie erfahren? Hatte mein böser Dämon mich verrathen? Die Götter mögen es wissen. Genug, ich muß ihn fürchten, und schonen. Knirschend vor Wuth, leistete ich ihm das versprechen, die Erzählung als eine Posse zu widerrufen, und mich Calpurnien nie wieder zu nähern. Er ging, und ich verließ Nikomedien noch denselben Tag.

Aber er soll nicht umsonst das Alles wissen, und mir gedroht haben. Ich werde mich rächen. Wie und wann? wird der Zufall, die Klugheit bestimmen; aber sein Haupt ist den Unterirdischen geweiht. Leb' wohl!

82. Theophania an Junia Marcella

82. Theophania an Junia Marcella.

Synthium, im Jun. 303


Du sollst dich nicht mehr zu beklagen haben, meine geliebte Freundin, daß ich dir, seit ich glücklich bin, so selten schreibe. Wir sind jetzt seit einigen Tagen auf unserem stillen Landhause, und meine Zeit ist freier. So lange ich in Nikomedien im Hause meines Schwiegervaters lebte, war ein großer Theil meiner Stunden der Besorgung seines sehr weitläufigen Hauswesens, und der Unterhaltung dieses gütigen Greises geweiht, der aber leider wie die meisten Menschen, die in der Zeit ihrer Jugend und vollen Kraft nur immer außer sich und in [50] steter Zerstreuung gelebt haben, nun, da Alter und Schwächlichkeit ihm dies einzige Element, in dem sein Wesen sich fühlte, unzugänglich macht, sehr schwer zu unterhalten, und fast nie zu befriedigen ist.

Hier bin ich sehr vergnügt. Hier im Schatten blühender Haine, im Gedüft von tausend Blumen, im Genusse der fröhlichsten Einsamkeit leben wir uns selbst und unserer Liebe. An Agathokles Hand durchstreife ich die Scenen meiner Jugendfreuden, die Vergangenheit schmilzt in wunderbarem Zauber mit der Gegenwart zusammen, alles Trübe, Nächtliche, was zwischen unserer frohen Kindheit und dem seligen Jetzt lag, ist verschwunden, wir sind wieder, was wir damals waren, fröhliche, glückliche Kinder, und in seinem engelreinen Geiste ist nichts, was diesen schönen Traum störte, nichts, als die Erhabenheit seiner Ansichten, und die Fülle seiner Empfindungen, mit der er das Wohl seiner Glaubensgenossen, der ganzen Welt heiß umfaßt, und die zuweilen, wie ein leuchtender Blitz des Himmels, über die Blumengefilde unserer Liebe erhaltend, erhebend fährt.

In einsamen Stunden, wenn der Hain um mich rauscht, wenn ein reges Frühlingsleben durch alle Wesen webt und schauert, und ich im Gefühl meines Glückes selig zerfließe, dann fühle ich den Hauch der allgegenwärtigen Gottheit, und mein inniges Entzücken löset sich in stillen Dank auf gegen den, der das Dunkel meines Schicksals so väterlich erhellte, und durch finstere Pfade mich zu diesem Lichte geführet hat. Ist es möglich, daß Menschen so selig seyn undbleiben können, als ich es bin? Ist diese Stille alles Verlangens, dieses Bewußtseyn ganz erfüllter Wünsche nicht zusehr Vorgeschmack unsers [51] Zustandes in bessern Welten, um auf dieser einheimisch zu seyn? Ach so frage ich mich oft, und mein erschüttertes Herz zittert vor der Wahrscheinlichkeit einer nahen Veränderung. Aber ich weise diese Gedanken nicht zurück, ich segne diese heilsamen Warner vor Uebermuth, die gewiß mein Schutzgeist mir sendet. Sie lehren mich meines Glückes in Demuth freuen, und seinen ungetrübten Genuß durch kindliche Ergebung heiligen.

Unsere Lebensweise ist bequem, aber von dem Ueberflusse entfernt, unserer Sclaven sind wenig, unsere Speisen sind einfach; aber wir fühlen bestimmt, daß die Reichthümer unseres Vaters unser Glück nicht erhöhen, daß sie es vielleicht durch die tausend kleinen und großen Verbindlichkeiten und Sorgen, die der Reichthum auferlegt, nur stören würden. Jetzt würzt kurze Entsagung den erkauften Genuß, jetzt freut das Selbsterworbene, das Erübrigte mehr, als was das Glück mit vollen Händen achtlos ausstreut. O wüßte das Constantin, er würde seine Begriffe von Glück, wenigstens für unsere Lage, verändern, und meinem Agathokles nicht mehr zürnen! Dieser Zwiespalt ist es, der den einzigen Tropfen Bitterkeit in unsern Freudenkelch gießt. Ich sehe, daß Agathokles mehr darunter leidet, als er aus Schonung mir gesteht. O daß ich einen Weg vor mir sähe, Constantin zu versöhnen! Aber er ist mächtig, der Sohn des Cäsars, ein künftiger Augustus, und jetzt ist die Kluft zwischen dem Herrscher und Beherrschten nicht mehr so unbedeutend, als in den Zeiten eines Octavians oder Mark Aurels. Das ist das Böse an unserm Verhältniß – wir sind nicht gleich.

Und diese Gleichheit in allen Empfindungen, in allen [52] Richtungen des Geistes ist es, welche allein und dauerhaft das Glück einer Verbindung sichert. Agathokles und ich wurden schon als Kinder mit und für einander gebildet, jeder Eindruck gemeinschaftlich aufgefaßt, jede Empfindung von einem Herzen dem andern beantwortet. Wir lebten, wir lasen, wir lernten gemeinschaftlich. Selbst in Edessa unter dem Geräusch der Waffen wußte er Stunden zu gewinnen, um mit mir zu lesen, über das Gelesene, über die Ereignisse des Tages zu sprechen, unsere Gefühle und Gedanken umzutauschen, und so nicht blos mein Herz, sondern auch meinen Verstand mit dem seinigen in Einklang zu bringen. Wie segenreich, wie beglückend ist jetzt diese Uebereinstimmung für mich! Nicht weil Verfassung und Religion den Mann zum Haupt des Weibes erheben und ihm eine Gewalt einräumen, die manches rohe Gemüth mißbraucht, sondern, weil zwei Menschen ein schönes Ganzes ausmachen, und als Einheit dastehen und wirken sollen, sollen auch ihre Geister gleichförmig gebildet seyn, und nur die Verschiedenheit des Geschlechtscharakters und der daraus folgenden Bestimmung und Pflichten darf eine reizende Abwechslung in den schönen Einklang bringen. Aber wenn die verschiedenen Charaktere sich selbstständig zu unterscheiden, und jeder als ein vollendetes Ganzes dazustehen streben, wer soll entscheiden, welcher von Beiden im Fall eines Streites nach geben, und seine Individualität aufopfern soll? – die hergebrachte Sitte? – dann muß das Weib ewig der unterdrückte Theil seyn – die Vernunft? – Und wer bestimmt, auf wessen Seite sie steht, wenn jedes die Sache aus seinem Gesichtspunkt ansieht und mit Gründen unterstützt? – O nur die Liebe, die Liebe kann [53] das bewirken, und sie bewirkt es sicher. Sie führt auf tausend stillen Wegen die Gemüther zu einander, sie zeigt uns den Gesichtspunkt, aus dem der geliebte Gegenstand die Welt betrachtet, als den richtigsten, sie macht uns theurer, was ihm lieb ist, und ohne Opfer, ohne Nachgeben verschmelzen zwei Willen in Einen. So ist mein Verhältniß zu Agathokles – und wenn du wir oft in frühern Zeiten meinen Mangel an Festigkeit und mein Bedürfniß, mich an ein liebendes Herz anzuschmiegen, als Schwäche vorwarfst, so versichere ich dich, daß gerade jetzt aus dieser Schwäche, wie du es nennst, mein schönstes Glück entspringt.

Leb' wohl, Junia! Ich weiß, du freust dich meiner Seligkeit, und meine Briefe, wenn sie auch arm an Vorfällen sind, werden sie dir doch manchen vergnügten Augenblick machen, wenn du in ihnen die Schilderung meines Glückes findest.

83. Calpurnia an ihren Bruder Lucius

83. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im Jul. 303


Ich komme von Synthium. Von Synthium? höre ich dich rufen. Wie kamst du dahin? – aus eigenem Willen, lieber Bruder! aus festem Vorsatz, den ersten Schritt zu thun, und ein Zusammentreffen selbst schicklich einzuleiten, dem für beständig auszuweichen, nun einmal vernünftiger Weise für Bewohner einer Stadt nicht möglich war. Wenn ich Agathokles, seit er verheirathet ist, nicht mehr sehen wollte, wenn ich von dem Augenblick, als er Theophanien gefunden hatte, seinen Anblick floh, berechtigte ich ihn nicht zu dem stolzen Gedanken, sein Verlust schmerze mich tief, und ich könne die [54] Gegenwart einer glücklicheren Nebenbuhlerin nicht vertragen? O diese bloße Möglichkeit empörte mein Herz. Was habe ich denn zu scheuen? Den Göttern sey Dank! die Rücksicht, die Theophania zur Verborgenheit bewegen konnte, brauche ich nicht zu nehmen; und so war es Pflicht, die ich mir selbst, meinem Ruf und der Achtung, die er für mich haben soll, schuldig war, diese Gedanken nie in ihm aufkommen zu lassen, und ihm zu beweisen, daß ich nur seine Freundin war, weil ich es auch jetzt blieb. So mußte es zwischen uns stehen, wenn ich ruhig seyn, und sein unvermutheter Anblick mir nicht einst drückend werden sollte.

Und überdies, war ich ihm nicht innigen Dank schuldig? Er hatte, auf welche Art konnte ich nicht erfahren, mich von der Bosheit und Zudringlichkeit des Marcius befreit, ich mußte diese Schuld abtragen. Ich fühlte das, und that es gern; aber nicht blos mit Worten, mit Thaten wollte ich es thun.

Die Bedingung seines Vaters, unter der er ihm seine Einwilligung zusagte, schien mir immer sehr hart, sehr unväterlich, ich glaubte Agathokles keinen größern Dienst leisten zu können, als wenn ich es dahin brächte, seinen Vater zum Widerruf zu vermögen. Ich sprach mit unserm davon, er fand einige Bedenklichkeiten – er kann alten Hegesippus nicht wohl leiden. Aber für mich bekam mein Plan, je langer ich ihm nachsann, je mehr Reize, und so erhielt ich denn endlich halb durch Ueberredung, halb durch die Vorstellung, daß ein solcher Schritt nothwendig sey, um Agathokles von der Ruhe meines Herzens zu überzeugen, die Erlaubniß, mein Vorhaben auszuführen.

[55] Ich kenne die alten Herren. Wenn sie für keine Frau oder Tochter mehr zu fürchten haben, finden sie eben keine so strenge Sitte, und ängstliche Verhüllung nöthig, wie sie mancher junge Mann, wahrlich auch nur aus Eifersucht, von seinem Mädchen fordert – und ich kleidete mich daher etwas weniger matronenmäßig, als ich wohl ehedem zu thun pflegte, wenn ich seinen Sohn zu sehen hoffte. Es klingt lächerlich, dies zu sagen, aber können wir Weiber dafür, daß die Männer in der Jugend aus Selbstsucht eifersüchtig, und im Alter aus Selbstsucht verliebte Gecken sind? So sandte ich hin, und ließ ihn um eine Stunde bitten, wo ich ihn sprechen könnte. Ich wußte, daß er das nicht annehmen, und selbst kommen wurde. Er kam auch – nur etwas spät; aber als er einträt, sah ich die Ursache dieser Verspätung wohl ein. Der alte Herr hatte sich in große Unkosten von Pracht und Niedlichkeit gesetzt, er duftete wie alle Würzen Arabiens, und sein Bart (wenn es möglich ist, so war es ein falscher) hätte einer Büste des Plato Ehre gemacht. Verwunderung und Neugier malten sich auf seinem Gesicht, und ich sah, welche Mühe es ihn kostete, sie unter den Schranken der guten Lebensart zu halten. Aus Mitleid ließ ich ihn nicht lange warten, sondern rückte so eilig, als es die etwas sonderbare Art meines Geschäfts erlaubte, mit meiner Bitte heraus. Sein Erstaunen wurde nun noch größer, obwohl er sich bestrebte, es zu verbergen, und in diesem Erstaunen und einigen entschlüpften Worten las ich deutlich seine Meinung über mein Verhältniß zu seinem Sohne, das wohl so ziemlich die Meinung der ganzen Stadt seyn mag. Um so lieber war es mir, durch diesen Schritt ihn und die Welt vom Gegentheil zu überzeugen.

[56] Ich sprach mit Wärme von den vorzüglichsten Eigenschaften seines Sohnes, seiner Schwiegertochter. (Ich vermochte das, Lucius, in einer Aufwallung von Großmuth, über die ich selbst erstaunte.) Ich suchte ihm darzuthun, daß alle Schritte, die Agathokles bisher gethan, nur Wirkungen derselben Tugenden und jenes allzustrengen Pflichtgefühls wären, das wir, auf andere Gegenstände angewendet, an einem Curtius, Cocles, Cato bewundert hatten. Ich ließ ihn die Freundschaft des Armenischen Königs und Constantins Liebe für seinen Sohn, die Achtung, in der er allgemein steht, im schimmernden Lichte sehen, und hinter diesem Schimmer sein eigenes Bild, auf das der Ruhm seines Sohnes keinen unbedeutenden Ganz warf. Im Eifer des Gesprächs waren die Locken Um meinen Nacken losgegangen, sie sanken auf die Brust herab, ich mußte sie zurückstreichen, und verschob dadurch den Schleier, so, daß auf einen Augenblick ein Theil des Busens sichtbar wurde. Ich strebte das Unglück zu verbessern, aber indem ich den Arm über die Schulter legte, fiel auch das faltenreiche Gewand zurück, und der Arm erschien beinahe ganz unverhüllt. Hegesipps Auge folgte leuchtend meinen Bewegungen, und er war auf einige Augenblicke so mit Schauen beschäftigt, daß er mir ganz verkehrt antwortete. Ich nutzte diese Stimmung, ich drang nun mit Bitten in ihn, und was früher Vernunftgründe nicht erschüttert hatten, fiel nun durch die vereinte Wirkung eines rührenden Tons, einer flehenden Miene und eines Paars unverhüllter Arme, die bittend gefaltet vor seinen Augen spielten. Ganz verklärt und mit jugendlicher Munterkeit sagte er mir, es sey unmöglich mir zu widerstehen – er müßte bekennen, daß [57] ich etwas Großes fordere, er habe sein Wort heilig verpflichtet, und hasse übrigens seinen Sohn nicht – doch einer solchen Vorbitterin sey nichts abzuschlagen, und Agathokles habe sein Glück nur mir allein zu verdanken. So ging er fort, um die Schrift zu holen, und war in einer halben Stunde wieder damit bei mir, Und nun in der Freude meines Herzens gab ich dem guten Alten einen recht kindlich dankbaren Auß, den er nun freilich nicht mit väterlicher Würde aufnahm, sondern mit aller Geckenhaftigkeit eines grauen Liebhabers. So lächerlich mir das war, so gab ich mir doch Mühe, ernsthaft zu scheinen, und wir schieden als die besten Freunde.

Ich zeigte meinem Vater im Triumph die Schrift. Er schüttelte abermals den Kopf, und schien nicht zufrieden mit der ganzen Geschichte. Indessen, das Größte war geschehen, und ich wollte nicht auf halbem Wege stehen bleiben; so bat ich denn den Bruder, mich zu begleiten, und fuhr nach Synthium. Es sind über sechzig Stadien 1. Wir fuhren mit anbrechendem Tage ab, um die Hitze zu vermeiden. Du kennst die Lage der Villa nicht, sie ist äußerst angenehm, nur etwas düster zwischen waldigen Hügeln versteckt. Wie wir näher kamen, wie ich die obere Säulenhalle zwischen den Cedern und Pinien hindurch schimmern sah, wie ich die Platanenallee erblickte, in der ich so oft mit Sulpicien gewandelt hatte, mit ihr, deren Rest vielleicht nun schon die Urne füllt, das Gitterthor, an welchem ich vor einem Jahre die gegenwärtige Gebieterin der Villa tiefgebeugt gesehen und empfangen hatte – da ward mir sonderbar zu Muth, [58] und Thränen drangen in meine Augen. Sulpiciens Andenken, tausend andere Erinnerungen stürmten auf mich ein, und ich hätte große Lust gehabt, umzukehren, wenn man nicht schon von der Villa aus den Wagen gesehen, und erkannt hätte haben können. Während dieser Ueberlegungen lenkte unser Wagenführer in den Platanengang ein. Sogleich sah ich Leute aus der Villa kommen – ein Paar Sclaven, wie es schien, und kaum waren wir noch einige Schritte gefahren, als Agathokles selbst uns eilig entgegen kam.

Er bewillkommte uns mit einer Freude, die zusehr das Gepräge der Herzlichkeit trug, um auch nur einen Augenblick für Künstelei gehalten zu werden. Als er uns an einen schattigen Platz geführt hatte, ging er, seine Frau zu holen. Sie kam, ich war begierig gewesen, sie zu sehen, aber ich hatte Mühe, in dieser jugendlich bluhenden Frau mit den großen heitern Augen, der zarten Röthe auf den Wangen, in dem geschmackvollen häuslichen Anzug jene abgehärmte Trauergestalt, in die dichten faltenreichen Schleier gewickelt, zu erkennen. Die Arglistige wußte auch, trotz ihrer Heiligkeit, das geltend zu machen, was die Natur ihr Schönes gegeben hatte. Ein durchsichtiges indisches Gewebe zeigte den Obertheil des Armes mehr, als es ihn verhüllte, und wo dies endigte, erhöhten zierliche Armbänder seine natürliche Weisse und Ründung. Auch erschien ihr schlanker Wuchs vortheilhaft in dem seinem fließenden Gewande; kurz, man sah, daß sie ihren Anzug mit Geschmack wählte. Aber über allen Putz machte sie und ihren Gemahl das Vergnügen liebenswürdig, das aus allen ihren Reden, Blicken, Handlungen sprach. Besonders scheint sie nur [59] für ihn zu leben. Die Glückliche! Auch er war verändert, sein Auge strahlte von jugendlichem Feuer und Lebenslust, und das freundliche Lächeln, das seinen feingespaltenen Lippen einen so eigenthümlichen Reiz gibt, verläßt ihn jetzt eben so selten, als es ihn sonst erheiterte.

Unsere Unterredung fiel bald auf meine unglückliche Sulpicia. Theophaniens unverstellte Theilnahme, die zarte Achtung, mit der sie von ihr sprach, nahmen einen Stachel nach dem andern aus meiner Brust, ich fing an, sie nach und nach ohne geheimen Widerwillen, und endlich mit Wohlwollen zu betrachten. Ich benutzte eine Zeit, wo sie nicht zugegen war, und er klärte mich gegen ihn über die Absicht meines Besuchs, indem ich ihm zugleich mit Wärme für meine Rettung von Marcius Alpinus dankte, und ihm die Schrift überreichte. Er wollte erst eine Weile nichts von dieser Rettung wissen, und als ich ihm endlich die zuverläßige Quelle nannte, von der meine Nachricht gekommen war, lehnte er meinen Dank mit Würde und Feinheit ab. Lebhafter bewegt und erstaunt war er über die Schrift und die Art, wie sie in weine Hände gekommen war; aber Alles, was ihn daran zu freuen schien, war mein guter Wille und die neue Bestätigung von der Vergebung seines Vaters. Er bat mich, und zwang mich zuletzt, der wunderbare Mensch, die Schrift wieder mitzunehmen, sie seinem Vater wieder zurückzustellen, und ihm zu sagen, ihm genüge sein Wort, und seine Liebe, und zwischen ihnen sollte es nie eines solchen Instrumentes bedürfen. Ich that es ungern, denn ich fürchte die Gewalt, welche böse Menschen in einer üblen Stunde über den schwachen Hegesippus erhalten könnten. Doch mußte ich Agathokles Gründen weichen, [60] und seine Versicherung, daß ihn die Aussicht auf so glänzende Reichthümer nicht glücklicher machen könnte, als er es jetzt schon sey, war so sehr von Allem, was ihn umgibt, was er thut, bestätigt, daß ich zuletzt die Rolle beschämt in den Busen stecken, und gestehen mußte, Agathokles sey in seinen einfachen Verhältnissen weit glücklicher, als wir in allem Schimmer, der uns umgibt. Seitdem gefällt mir unser Haus in Nikomedien nicht wehr so ganz; mich dünkt, es wären da zu viel Glanz, zu viel Menschen, Geräthe, Gebräuche, zu wenig Genuß, zu wenig Möglichkeit, wahrhaft zu genießen. Sollte die Ansicht wahr seyn, die in Synthium so lebhaft vor meine Seele trat, daß nur Frieden und Liebe wahrhaft glücklich machen? Sollte dies das Element seyn, in dem unser Wesen sich am leichtesten, am vollständigsten entwickelte? O ich versichere dich, lieber Lucius, seit gestern gehen mir diese Zweifel nicht aus dem Kopfe, und das Bild eines stillen häuslichen Lebens an der Seite eines Mannes, wie – Ich weiß nicht, was mir fehlt; eine Thräne tritt in meine Augen. Leb' wohl für heute, Lucius! Ich mag nicht weiter schreiben – ich war in meinem Leben nicht so wehmüthig gestimmt, und doch so still und ruhig.


Am folgenden Tage.


Wie ich überlese, was ich geschrieben habe, sehe ich eben, daß ich noch ganz am Anfange meiner Erzählung stehen geblieben bin; aber gestern war ich durchaus zu nichts mehr aufgelegt.

Theophania kam zurück, eben als ich die Schrift von Agathokles empfangen hatte, und lud mich ein, in das [61] Bad zu gehen, das sie für mich hatte bereiten lassen. Alles im ganzen Hause, der Badesaal, die Sclavinnen, das Geräthe, das Wollenzeug 2 trug das Gepräge der Einfachheit, aber der höchsten Reinlichkeit und Bequemlichkeit. Recht erquickt kehrte ich aus dem schönen Saale zurück, dessen höhe Fenster auf den Wald hinaus gehen, und vor welchen die rauschenden Zweige, vom Winde bewegt, Sonnenblicke und tanzende Schatten über das Marmorbecken und die spiegelreine Fluth hinstreuten. Jetzt führten mich die glücklichen Gatten in ihrem kleinen Eigenthum umher. Ich hatte öfters ganze Tage in Synthium zugebracht, aber bei Sulpiciens düsterer Lebensweise nichts als ein Paar Gemächer und einen Theil der Gärten gesehen. Alles, was zur anhaltenden Beschäftigung gehört, Alles, was das Hauswesen betraf, war ihr, seit dem die unglückliche Leidenschaft ihr Herz eingenommen hatte, fremd und lästig geworden. Ich fand Alles niedlich und in schönster Ordnung; ein liebenswürdiger Geist, Agathokles Mutter, von der er stets mit höchster Verehrung spricht, hatte Alles angelegt, und sein stilles, klares, zweckmäßiges Walten kündigte sich überall an.

In den warmen Stünden des Mittags ruhten wir in der lieblichen Kühlung eines Marmorsaals. Eine Oeffnung in der Kuppel ließ nur angenehmes Licht, aber keinen Sonnenstrahl hereindringen 3, ein Springbrunnen [62] in der Ecke erfrischte unabläßig die Luft, und keine Ahnung der glühenden Hitze, die jetzt die Gefilde draußen versengte, drang in diesen stillen halbdämmerigen Zufluchtsort. Hier wurde das Mahl aufgetragen, einfache Speisen, meist Erzeugnisse der Villa selbst, Wer so einladend bereitet, und auf dem mit duftenden Kräutern und Blumen bestreuten Tische geordnet, daß ich nie ein lieblicheres Mahl genossen zu haben glaubte. Du kennst den guten eifrigen Quintus, er vergaß, in welchem Hause er war, und ergriff beim Anfange der Mahlzeit den Becher, um dem Jupiter eine Libation 4 auszugießen. Ich winkte ihm, Agathokles bemerkte meinen Blick. Laß dich nicht stören, Quintus! sagte er: thue, was du für Pflicht hältst, und glaube nicht, daß wir uns daran ärgern. Dein, größter, bester Jupiter 5 ist auch eine der dichteren oder leichteren Hüllen, unter welchen das Gemüth des Menschen den Weltenschöpfer erkennt, und du ehrst diesen, wenn du jenem mit kindlichem Sinn opferst. Aber du wirst auch unser nicht spotten, wenn wir dem, der uns erhält und nährt, auf unsere Weise danken. Und nun stand er mit Theophanien auf, seine Sclaven lauter Christen, stellten sich in einiger Entfernung [63] um ihn her, Alle machten das Zeichen des Kreuzes ihr Symbol über Stirn und Brust, alle beteten leise, mit gefalteten Händen in ehrfurchtsvollen Stellungen. Ich gestehe dir, ich war weit entfernt, das lächerlich zu finden. Es war mir ein zu schöner Anblick, wie hier Quintus dem Jupiter die Libation verrichtete, und dort Agathokles mit seinen Christen zu ihrem Gott, und sie Alle im Grunde zu dem Einen unbekannten Wesen beteten, dessen Daseyn Niemandbeweisen kann, das glauben zu können gewiß eine Art von Glück seyn muß. Es war mir sogar schmerzlich, daß ich dies Glück nicht theilen konnte, und mein Herz da kalt bleiben mußte, wo, jene in süßen Empfindungen des Dankes schlugen.

Es entspann sich nun sogleich zwischen Quintus und Agathokles ein lebhaftes Gespräch über ihre Religionen.

Agathokles hieß die Sclaven hinausgehen, und fing an des Bruders Behauptungen mit Waffen zu widerlegen, denen dieser nicht gewachsen schien. Er schilderte, ohne sich einen spottenden Ausdruck zu erlauben, die Nichtigkeit unserer Gottheiten, wie sie jeder denkende Mensch fühlen muß, die schädliche Wirkung des Mangels an allgemein verehrlichen würdigen Gegenständen auf ein Volk, das größtentheils nicht durch langsame Fortschritte zu einer seinen Geisteskräften angemessenen Cultur gekommen, sondern über das die Wollüste, die Ueppigkeit und die Kenntnisse unterjochter weichlicher Nationen, als Beute der Sieger, wie ein Strom unvorbereitet hereingebrochen waren, auf ein Volk, bei dem sich schnell die alte rauhe Tugend mit den verfeinerten Wollüsten Asiens und Griechenlands vermischte, und das nun durch die eben so schnell erreichte Ueberreifheit des [64] Geistes Alles, was einer bessern Vorwelt heilig war, muthwillig und lüstern in den Staub tritt. Er suchte uns endlich zu beweisen, daß nur die Einführung einer Religion, die statt der erloschenen Tugenden, statt Vaterlandsliebe, strenger Sitte u.s.w., überirdische Beweggründe zum Handeln angibt, und die reinste Sittlichkeit fordert, dem allgemeinen Verderbniß und der Auflösung des Ungeheuern Staatskörpers wirksam entgegen arbeiten könne.

Während dieses Gesprächs, das mich, obwohl ich bei Weitem nicht mit Allem verstanden war, doch sehr anzog und beschäftigte, war die Sonne gesunken, wir traten aus dem Speisesaal in's Freie, der Mond ging hinter dem Cedernwald auf, und wir wollten Abschied nehmen. Aber unsere gütigen Wirthe ließen uns nicht so schnell von sich. Besonders drang Theophania mit einer Herzlichkeit in mich, der ich unmöglich widerstehen konnte. Wir blieben mit dem angenehmen Gefühl, mit dem man sich unter guten liebenden Menschen befindet, und mein Widerwille gegen Theophania hatte sich, ich weiß nicht wie, ganz aus meinem Herzen verloren. Wir durchwandelten die Gärten in der Kühlung des Abends und der kommenden Nacht, Gespräche, Saitenspiel und Gesang verkürzten die Stunden, auch Theophania singt und spielt, und ich kann dich versichern, mit bedeutender Fertigkeit und Anmuth. Zwei freundliche Zimmer, vor deren Fenstern Orangenbäume im Nachtwind säuselten, nahmen uns endlich auf, und ein leichter luftiger Schlummer schloß meine Augen, und hinderte jeden ernsten Rückblick auf den in so vieler Hinsicht merkwürdigen Tag. Als Aeos mit Rosenfingern erwachte, erweckte ihr röthlicher [65] Glanz zwischen Blätterschatten um mich spielend, meine Sinne aus dem erquickenden Schlafe. Ich wagte es um meines Vaters willen nicht länger zu bleiben, so wohl es mir hier in dieser Wohnung des Friedens und der Liebe gefiel. Wir nahmen herzlichen Abschied von den edlen Bewohnern des Hauses, mußten ihnen versprechen, bald wieder zu kommen, und so langte ich denn gestern in seltsamen Gefühlen und Gedanken hier an, die mich noch nicht verlassen haben, deren Eindruck, wie ich glaube, so bald nicht aus meiner Brust verschwinden wird. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Stadium war ein Längenmaaß der Alten.

2 Die Alten kannten den Gebrauch der Leinwand nicht so wie wir, sie bedienten sich meistens wollener Stoffe, wozu die Wolle oft auf ihren eigenen Gütern, von ihren Heerden gezogen, dann von ihren Sclavinnen gesponnen, gewebt, und zu dem verschiedenen Gebrauch, den man davon machen wollte, bearbeitet wurde.

3 Das warme Klima in den Ländern, welche die Griechen und Römer bewohnten, machte es ihnen nothwendig, auf Schutz vor Hitze und Sonnenbrand in ihren Häusern zu sehen. Es waren also manche Gemächer, wie auch heut zu Tage in den Häusern der Morgenländer, die ihr Licht blos von oben empfingen, und in welchen ein springendes Wasser die Kühlung erhielt.

4 Die Alten goßen am Anfange der Mahlzeit ihren Göttern etwas Wein zum Opfer auf die Erde. Dies hieß die Libation.

5 Optimus Maximus, war ein gewöhnlicher Beiname des Jupiters.

84. Agathokles an Constantin

84. Agathokles an Constantin.

Synthium, im Aug. 303


Nicht an den Fürsten – der Genügsame bedarf dessen nicht – nicht an den Retter meines Lebens, das dem Sohne des Abendländischen Cäsars, wie dem unberühmten Sohne des Hegesipps nie Zweck, nur Mittel zu höheren Zwecken seyn kann – aber an den geliebten, ewig theuern Freund, der mich im Unwillen verlassen, und nun seit Monden mich vergessen zu haben scheint, wendet sich mein Herz noch einmal. Gegen keinen andern Sterblichen würde ich diesen Schritt thun. Bei dir bin ich sicher, daß du, wenn auch deine Liebe gestorben ist, doch Achtung für mich bewahrst, und mich nicht verkennst.

Ich kann nichts von dem bereuen, was ich gethan habe, ich würde es noch einmal thun, wenn die Gelegenheit wieder einträte: aber ich fühle, daß mein Leben selbst in Theophaniens Armen ohne dich nicht vollendet ist. Das schöne Urbild vollkommenen Seeleneinklangs, das mir in den Gefilden von Carrhä erhaben und stolz vor die [66] Seele trat, ist entflohen, wie die meisten seiner Brüder. Ein verklärtes himmlisches Gebild, ist es zum Himmel zurückgekehrt, aus dem es stammte, nachdem es meine Brust eine Weile entflammt, und manchen nicht unwürdigen Keim entwickelt hatte. So mußte es seyn, und in der Verkettung der Dinge war auch diese Läuterung nothwendig. Aber die Liebe ist zurückgeblieben, rein und warm, wie sie in meinem Herzen entsprang, als ich dich das erstemal sah. Ich schäme mich nicht, es dir zu gestehen, ich schäme mich nicht, als der erste die Hand zur Versöhnung zu bieten. Das, was bei gewöhnlichen Freundschaften das Zartgefühl von diesem Schritte abhalten könnte, deine und meine bürgerlichen Verhältnisse, kann bei uns nicht in Anschlag kommen. Für mich bist du nur Constantin, nur der, in dessen Brust ich die himmlische Flamme hell auflodern sah, an der auch mein Leben sich gern verzehrt.

Ich lebe in Synthium. Wo du dich jetzt befindest, weiß ich nicht bestimmt. Ich sende diesen Brief nach Nikomedien in den kaiserlichen Palast. In acht Tagen, wo immer du dich auf einer der deinigen, oder der kaiserlichen Villa aufhältst, kann ich Nachricht haben. Kömmt mir keine, so werde ich mich bescheiden, und mit der Kraft, mit der ich schon so Manches in diesem Leben ertrug, auch dies ertragen lernen; dich aber soll kein Wort, weder bittend noch vorwerfend, an alte Bande erinnern, die in demselben Augenblicke gegenseitig abgeworfen werden müssen, wo sie den Einen Theil zu drücken anfangen. Leb' wohl.

85. Theophania an Junia Marcella

[67] 85. Theophania an Junia Marcella.

Synthium, im Sept. 303.


Mein Leben ist still und einfach, und mag in den Augen der Welt wohl einförmig erscheinen, aber in seinem verborgenen Schooße liegt ein Reichthum von kleinen Begebenheiten, von reger Abwechselung für das Herz, die uns die Geschichte manches Tages merkwürdig und unvergeßlich macht.

Einen solchen Tag verschaffte uns neulich ein Besuch, den ich wahrlich nicht vermuthet, von dem ich mir das Angenehme nicht versprochen hätte, das er mir gewährte. Calpurnia war bei uns. Ich kann dir nicht beschreiben, wie seltsam mir zu Muthe war, als Agathokles in mein Zimmer trat, um sie mir anzukündigen. Ich fühlte, daß meine innere Bewegung sich in meinen Zügen malte; Agathokles bemerkte es wohl, und eine innige Umarmung sollte mich beruhigen. »Empfange sie gütig, meine Geliebte! Sie ist, trotz ihrer von uns verschiedenen Denkart, ein edles Mädchen.« Ich faßte mich schnell. Daß Agathokles es wünschte, war mir genug, und daß sie ihn geliebt, verloren, und an mich verloren hatte, stimmte mein Herz zu ihrem Vortheil. Ich fühlte, daß ich in einer Schuld gegen sie war, und daß ich ihr durch die größte Freundlichkeit und Zuvorkommung nur einen kleinen Theil derselben abtragen konnte. So empfing ich sie, und was ich um meiner selbst willen gewünscht hatte, gelang mir vollkommen. Sie ward mir gut. O gewiß, zwei Herzen, die sich so genau, so innig in ihrer Liebe für ein Drittes begegnen, denen ein gleiches Urbild von Liebenswürdigkeit vorschwebt, können unmöglich anders, als ähnlich fühlen.

[68] Wie ganz anders erschien sie mir nun damals, wie sie mich zum erstenmale sah! Noch war sie reizend im höchsten Grade, aber dieser Reiz hatte nicht mehr den Anstrich von Leichtsinn und Flatterhaftigkeit, der mich einst so empörte. Es war ein leichter Schleier von Ernst darüber gebreitet, und manchmal glaubte ich sogar ein Wölkchen der Wehmuth in ihren schönen Augen schwimmen zu sehen. Ach wenn ich dachte, diese sanfte Trauer könnte einem verlorenen Gute gelten, das ich ihr entrissen hatte, dann schwoll mein Herz von Mitleid, und ich hätte ihr um den Hals fallen, und das anmuthige Wesen um Vergebung bitten können.

Noch zwei Tage klangen die süßen Gefühle in uns nach, die Calpurniens und ihres Bruders, eines sehr edlen Jünglings, Umgang in uns geweckt hatte. Ich sah, daß Agathokles froher athmete, seit dem seinem Herzen die Versicherung ward, ein liebenswürdiges Wesen, das sich vielleicht von ihm gekränkt glauben konnte, habe diesen Wahn aufgegeben, und ihre Achtung sey ihm unverloren. Auch sein Vater fährt fort, ihn mit großer Güte und Liebe zu behandeln, er war schon zweimal bei uns, und es scheint, als ob die Natur mit ihren einfachen Freuden ihr unverjährbares Recht selbst über die allzuverfeinerten, von ihr entfremdeten Menschen ausübte. Er scheint, so wie Calpurnia, sich auf dem Lande zu gefallen; vielleicht ist es eben um der Neuheit der Gegenstände und des scharfen Contrastes willen.

Die größte, die reinste Freude war uns noch vorbehalten. Am schwersten unter allen ertrug Agathokles seine Trennung von Constantin. Ich sah deutlich, wie dieser Gedanke an seinem Herzen nagte, und seine stillsten, [69] süßesten Freuden störte. Seine Liebe hielt diese Spannung nicht mehr länger aus, er suchte einen Anlaß, den ersten Schritt zur Versöhnung thun zu können, so sehr auch das Recht auf seiner Seite war. Es fand sich keiner, und so that er ihn denn endlich unveranlaßt, weil er liebte. Er schrieb an den Fürsten, und ich konnte wohl bemerken, wie gespannt sein ganzes Wesen auf den Erfolg dieses Briefes war. Er hatte acht Tage festgesetzt, binnen welchen er die Antwort erwarten wollte. Am Abend des Zweiten gingen wir durch thauende Gefilde von einem Spaziergange in unser Haus zurück, als plötzlich aus dem nahen Gebüsch Constantin hervorstürzte, und heftig an Agathokles Brust sank. Fest, innig, als wollten sie sich für die Ewigkeit halten, umschlangen sich die beiden Freunde, kein Laut entweihte die stille Feier dieser Scene. Endlich richtete sich Constantin auf, er wollte Etwas von Verzeihung, von Entschuldigung sagen – Agathokles legte ihm den Finger auf den Mund. »Still davon, mein Getreuer! Laß uns das Vergangene völlig vergessen. Du liebst mich noch, du hast mich nicht aus deinem Herzen geschlossen – das ist Alles, was ich zu wissen brauche, um ganz glücklich zu seyn.« Sie umarmten sich von Neuem. Ich sah Thränen in Agathokles Augen, die untergehende Sonne hatte nie aus schöneren Tropfen wiedergestrahlt. Ich war tief bewegt, meine Hände falteten sich unwillkührlich, und ich bemerkte erst, daß ich in betender Stellung dagestanden hatte, als Agathokles zu mir trat, den Arm um mich schlang, und Constantin meine Hand mit herzlichem Drucke ergriff. In ihrer Mitte kehrte ich in die Villa zurück. Constantin blieb drei Tage bei uns, und [70] nie habe ich meinen Agathokles so glücklich gesehen, als in diesen drei Tagen. So wächst meine Zufriedenheit mit jedem Tage, und in frohen Ahnungen sieht mein Herz noch schönern Zeiten entgegen. Dich noch einmal zu sehen, ist jetzt der einzige heftige Wunsch meiner sonst stillen beglückten Brust, und wer weiß, ob es mir nicht moglich wird, in Gesellschaft meines Agathokles den nächsten Frühling in deine Arme zu eilen? Dann bin ich vollkommen glücklich.

86. Calpurnia an Lucius Piso

86. Calpurnia an Lucius Piso.

Nikomedien, im Sept. 303.


Was wird sich noch mit mir zutragen? Wohin wird das launenhafte Schicksal mich noch führen? Sulpicia ist todt! Ihr trauriges freudenloses Daseyn ist geendigt. Was ich längst als gewiß voraus sah, war nun geschehen, es überraschte mich nicht – aber es schmerzte mich tief. Du weißt, wie ich sie geliebt habe, und wie sehr ich strebte, ihr Herz vor Eindrücken zu bewahren, deren zerstörende Folgen ich dunkel im Voraus ahnete. Tiridates selbst brachte die Trauerbotschaft, er ist hier. Dieser Verlust, seine Anwesenheit, sein Schmerz, die Pflicht der Freundschaft, ihn zu trösten und aufzuheitern – Alles vereinigt sich, um mich mir selbst zu entreißen, und mein Leben aus jenem behaglichen Gleichmuth zu bringen, in dem mir durch neunzehn Jahre so wohl war, den ich mir aus allen Kräften zu erhalten strebte.

Agathokles war vermählt. Alle Empfindungen, die um seinetwillen mein Gemüth in irgend eine angenehme [71] oder widrige Spannung brachten, mußten auf Befehl der Vernunft schweigen, jede lebhafte Regung zur stillen Neigung, jede schmerzliche Erinnerung zum stachellosen Andenken an einen entschwundenen Traum werden. Meine Philosophie, oder mein Leichtsinn – nenne es wie du willst; was liegt am Namen, wenn nur die Wirkung bleibt? – war in diesen Bestrebungen schon ziemlich weit gekommen. Der Gedanke, daß ich ihn ohne Rückkehr durch seine eigene Wahl verloren, hob die Unruhe der Ungewißheit auf, kein Räthsel blieb zu lösen, kein Wort, keine Begegnung zu deuten. So hörte sein Bild auf, die Beschäftigung meiner einsamen Stunden zu seyn. Ich verglich mich mit Theophanien, ganz unparteiisch, Bruder, ich versichere dich, und ich fand bei aller Gerechtigkeit, die ihr mein Herz willig widerfahren ließ, daß der Mann, der mit ihr zufrieden seyn konnte, es unmöglich mit mir seyn, unmöglich auf die Dauer mich hätte glücklich machen können.

So hatte ich nach und nach mein Herz, das die Vorfälle der letzten Zeit gewaltsam aufgeregt hatten, zu beschwichtigen angefangen. Es ward wieder stille in mir, und ich saß eben vor mehreren Tagen am Rahmen, um einen Schleier für Theophanien zu sticken, und ihr so alle die zarten Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten zu vergelten, womit sie mich überhäuft, mir die schönsten Blumen, die schönsten Früchte ihrer Villa schickt, als plötzlich die Vorhänge meines Gemachs sich rauschend theilten, und ein Mann in schimmernder orientalischer Kleidung, von einer großen Anzahl eben so glänzender Sclaven gefolgt, die im Vorsaale standen, in mein Zimmer trat. Ich sprang auf, ich erkannte den Fremden [72] nicht sogleich. Da eilte er auf mich zu: Sie ist todt! – rief eine schmerzliche bekannte Stimme, und ich sah mich in Tiridates Armen. Sie ist todt! wiederholte er noch einmal, riß sich schnell los, warf sich auf das Ruhebett, verbarg das Gesicht in die Kissen, und schluchzte laut auf. Ich begriff nun, was diese plötzliche Erscheinung bedeutete. Sulpicia hatte geendet, und ihr unglücklicher Gemahl hatte nicht vermocht, an dem Orte zu bleiben, wo ihn Alles an seinen Verlust erinnerte. Mein Herz war von einer Menge schmerzlicher Empfindungen auf einmal ergriffen. Sulpiciens Tod, Tiridates Erschütterung, die Erinnerung an so manche vergangene Tage, wo ich den, der nun tief gebeugt, schluchzend, unglücklich vor mir lag, in allem Schimmer seines Standes, in königlichem Wirken, in frohem Lebensmuthe gesehen hatte, preßte meine Brust gewaltsam, und nur ein Thränenstrom machte meiner Beklemmung Luft. Als er mich weinen hörte, richtete er sich auf, und – o mein lieber Bruder, wie unwiderstehlich war er in seinem Schmerze! Das sprühende Feuer seiner Augen brach schön gemäßigt durch einen Schleier von Thränen, die üppige Jugendfülle seiner Züge war verschwunden, seine Farbe war blasser geworden, und der Ausdruck des tiefsten Kummers erhöhte auf eine wunderbare Art die Bedeutenheit dieser edlen Formen. Denke dir noch dazu die prächtige orientalische Kleidung, die Gehänge von den kostbarsten Steinen über die Brust, den breiten majestätischen Kopfputz von blendendweißem Stoffe mit schimmernden Edelsteinen aufgebunden, diese Tracht, die so sehr gemacht scheint, eine edle Gestalt noch edler zu zeigen – ich war so überrascht, so seltsam bewegt, daß ich [73] eine Weile stumm und weinend vor ihm stand. Er nahm meine Hand. Ach, wer hätte das gedacht, fing er endlich aus tiefer Brust an, als ich vor einem Jahre mit ihr aus Italien entfloh! So hatte endlich sein Schmerz Worte gefunden. Ich war froh darüber, ich setzte mich an seine Seite, er erzählte mir von unserer Verlornen, den Gang ihrer Krankheit, die letzten Stunden, die letzten Worte meiner theuren Sulpicia.

Meine Thränen begleiteten oft seine Erzählung, aber die seinigen hatten aufgehört zu fließen, und ich sah mit Freuden, daß diese ungestörte Ergießung sein Herz erleichtert hatte.

Seit dem bringt er fast alle Stunden, die ihm seine Verhältnisse, sein Aufenthalt am Hofe übrig lassen, wo ihn Diocletian mit ausgezeichneter Pracht und Freundschaft empfangen hat, bei uns, oder eigentlich bei mir zu. Wir waren gestern, von meinem Vater begleitet, in Synthium.

Der erste Anblick seines Freundes, den er seit seinem Verlust nicht gesehen hatte, erweckte seinen Schmerz wieder, und das Glück der beiden Gatten, Theophaniens Gestalt, die ihren Gemahl zu Hoffnungen berechtigt, welche dem kindlosen letzten Fürsten seines Stammes so unendlich wichtig wären, erinnerten ihn schmerzlich an sein zerstörtes Glück. Doch richtete sich sein Geist auch diesmal mächtig auf. Die Freude, Agathokles so glücklich zu wissen, und anziehende Gespräche zerstreuten ihn angenehm. Ich finde, daß seitdem seine Heiterkeit mit jedem Tage zunimmt, und das Bild der trüben Vergangenheit je mehr und mehr in Schatten zurücktritt.

Das ist's auch eigentlich, was ein vernünftiger Mann [74] thun soll. Nur Schwärmer oder unselbstständige Gemüther halten einen schmerzlichen Eindruck mit stolzem Eigensinn fest, und finden eine Art Wollust oder Ruhm darin, unglücklich zu seyn, oder es wenigstens zu scheinen. Tiridates hat seiner Frau sowohl während ihrer Krankheit, als nach ihrem Tode die befriedigendsten Zeichen seiner Treue und Liebe gegeben. Er hatte sie in den letzten Tagen keinen Augenblick mehr verlassen. In seinem Arm war sie gestorben, sein Mund empfing ihren letzten Hauch, und es kostete seinen Freunden, so wie seine Begleiter erzählen, Mühe, ihn von der Leiche zu entfernen, und wieder an seine vorige Lebensweise, an den Anblick der Menschen zu gewöhnen, die er in Schmerz versenkt unwillig floh. Das ist Alles, was die Vernunft, die Liebe, was selbst Sulpicia, wenn bei den Schatten noch Erinnerung ist, von ihm fordern kann. Das Andenken an ihre Liebe, an die schönen Stunden, die sie ihm gab, wird nie aus seiner Seele schwinden. Aber sein Reich, seine Verhältnisse zu den Höfen von Nikomedien und Persien fordern seine Aufmerksamkeit mit gebietender Strenge, sein Volk sieht einer zweiten Verbindung, die ihm einen Thronerben, und dem Reiche seine künftige Ruhe zusichert, mit Verlangen entgegen. Er kann nicht handeln, wie ein Einzelner, und so darf er auch nicht trauern, wie ein Einzelner. Der Maaßstab, mit dem man gewöhnliche Menschen mißt, darf nicht für Herrscher gebraucht werden, die nicht für sich allein stehen, an deren Entschließungen das Wohl von Myriaden hängt. So müssen seine Freunde froh seyn, wenn sein erster wilder Schmerz sich in sanfte Wehmuth, und diese in stillen Ernst auflöset.

[75] Hier in Nikomedien hat mit seiner Ankunft wieder ein regeres Leben angefangen. Der Augustus gibt seinem königlichen Gaste zu Ehren glänzende Feste, Schauspiele u.s.w. Viele, schöne, viele bedeutende Frauen und Mädchen erscheinen dabei, einige benachbarte Fürsten sind mit ihren Familien hier, man kann wohl denken, in welcher Absicht. Ein Thron, eine Gestalt und ein Herz wie Tiridates, der auch als Privatmann so achtungs- und liebenswerth seyn würde, verdienen wohl die Anstrengungen, die freilich etwas zu sichtlich dafür gemacht werden. Meine Zeit ist jetzt wieder sehr beschränkt. Tiridates zeigt uns deutlich, daß meines Vaters und meine Gegenwart ihm die Freuden jener Feste erhöhen, und ihn für manchen Zwang, dem er sich unterwerfen muß, entschädigen. Ich lebe daher ziemlich zerstreut, und habe vier volle Tage an diesem Briefe zugebracht, dem du es wohl abmerken wirst, daß er nicht in derselben Stimmung geschrieben worden ist. Leb' wohl.

87. Agathokles an Phocion

87. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Oct. 303.


Es ist möglich, mein theurer Freund! daß wir uns bald sehen. Ich werde Nikomedien, wo mich wenig mehr zurückhält, wahrscheinlich mit den Meinigen auf lange Zeit verlassen. Meinen gütigen geliebten Vater hat vor wenigen Tagen ein gäher Tod uns entrissen. Hohes Alter und zunehmende Schwäche hatten uns zwar längst auf diesen Fall vorbereitet, dennoch erfüllte er uns mit eben so viel Trauer und Schrecken, als wäre er in der Blüthe der Jahre gewesen. Denn wie sehr [76] der Mensch sich auch auf einen bösen Zufall gewaffnet glaubt, so ist doch ein unendlicher Abstand zwischen der festbestimmten Wirklichkeit, die nichts mehr erschüttert, und jenem zitternden Zustand, in den noch stets und unbewußt sich leise Hoffnung mischt. Er hat mir verziehen, er hat mich mit schwacher sterbender Hand gesegnet, und sein liebes Kind genannt. Das ist der einzige Punkt, auf dem meine Seele mit Beruhigung verweilt. Er hat sogar sein Testament zurückgenommen, und seine großen Reichthümer auf eine für sich sehr parteiische Weise zwischen mir und seinem Neffen Leucippus, dem sie vorher ganz bestimmt waren, getheilt. Leucippus ist ein guter Mensch; eine Verbindung, die er wider den Willen seines Vaters, meines Oheims, traf, hatte ihm die Liebe und das Vermögen seines Vaters entzogen. Diese Rücksicht, eine zahlreiche Familie und mancherlei Unglücksfälle machten, daß ich mit Freuden das Schicksal eines würdigen gekränkten Verwandten durch diese Verfügung erleichtert sah. Er war edel genug, sogleich zu mir zu kommen, und freiwillig auf ein Geschenk Verzicht leisten zu wollen, wodurch er mir mein Eigenthum zu entziehen fürchtete. Mir wäre der bloße Wille meines Vaters hinreichend gewesen, wenn er mich auch hart getroffen hätte, um nie den geringsten Anspruch auf einen Besitz zu machen, dessen Wertheilung ganz von ihm abhing, auf den ich kein Recht zu haben erkenne. Leucippus ist sehr glücklich, ich habe einen treuen dankbaren Freund gewonnen, und so muß ich doppelt meines Vaters Verfügung segnen. Wenn ich nach Europa komme, so werde ich unmöglich die Küsten eines Landes, wo du schon lange von [77] mir getrennt bist, betreten können, ohne dich zu sehen. Wie groß auch der Umweg seyn mag, ich eile sicher von Byzanz in deine Arme, und bringe dir meine Theophania. Mich führen die Angelegenheiten meiner Glaubensgenossen durch Dacien und Noricum, vielleicht sogar bis nach Britannien zu dem abendländischen Cäsar. Galerius Untergebene wüthen in den Provinzen, die seiner Macht anvertraut sind, ganz im Sinne ihres Gebieters gegen die Christen. Constantin hat vom Diocletian, der ihn seit einiger Zeit mit größerer Auszeichnung behandelt, ein Edict erhalten, worin das Verfahren bei den Untersuchungen, die Zwangsmittel und Strafen genauer bestimmt, und der Willkühr nicht mehr so viel Raum gelassen wird. Dies ist hauptsächlich für jene Provinzen bestimmt, in denen Galerius befiehlt. Nicht viel besser geht es jenen, die unter dem Zepter des rohen Maximian stehen. Nur in Spanien, Gallien und Britannien schützt Constantins milder Geist die unglücklichen Verfolgten. Viele hart bedrängte Familien flüchten daher aus jenen Provinzen in diese stillen Freistätten, und da man sie, besonders die Reichen, nicht gern ziehen laßt, so entstehen hieraus tausend Mißhelligkeiten und Zwiste, die nur eines Anlasses bedürften, um in volle Flammen auszubrechen.

Alles gährt in wildem Mißmuthe, Alles ist bereit, offenen Krieg zu erklären, die Zeiten der Ruhe sind vorbei, die dumpfe Stille, die noch jetzt herrscht, ist Täuschung und Schein. Sobald Diocletian, dessen Gesundheit und Geisteskraft sichtbar abnehmen, die Augen schließt, treten die schrecklichen Scenen ein, die vor seiner Regierung das Reich, die Welt verwüsteten. Das [78] sind die Ahnungen, die bereits vor zwei Jahren meinen Geist düster umwölkten, wenn ich dem Gange der Begebenheiten nachsann, und seit jener Zeit hat nicht das geringste Ereigniß meine Furcht Lügen gestraft, vielmehr jedes dazu beigetragen, sie zu bestätigen. Aber nicht mehr rettungslos erscheint mir jetzt, wie damals, die Lage des Menschengeschlechts, es gibt eine Hoffnung, es lebt ein Retter. Das Christenthum muß herrschende Volksreligion werden, die Römische Welt Ein Oberhaupt haben, die alten Formen müssen zerbrochen, der Sitz der Regierung wo anders hin verlegt, die Macht der Prätorianer, dieser nie zu löschende Vulkan, aus dessen Schooße alle die unseligen Stürme hervorbrechen, zerstört werden. Und wer, wer unter allen Menschen, die jetzt auf dem Schauplatz der großen Begebenheiten leben und wirken, könnte diese schöne, beglückende Idee in Wirklichkeit einführen, wer anders als Constantin, er, den die Vorsicht ganz dazu bestimmt, und mit allen Gaben, die dieser hohe Beruf erfordert, ausgerüstet zu haben scheint? Ost in stillen unvergeßlichen Stunden war der Entwurf und die mögliche Ausführung dieses Plans unser feuriges Gespräch, unser glühender Wunsch. Vieles ist abgeredet, angelegt, vorbereitet worden, und ich gehe jetzt mit freudigem Muthe hinüber auf den Schauplatz künftiger großer Ereignisse. Jene Angelegenheiten, von denen ich dir schrieb, die Verfolgungen meiner Brüder, sind, so wichtig sie meinem Herzen bleiben, doch für jetzt nur Nebenzweck und Vorwand, der die eigentliche Ursache meiner Sendung und meiner Geschäfte verbergen muß. Ein größerer wichtigerer Zweck fordert alle meine Aufmerksamkeit. Tausend geheime [79] Fäden müssen angeknüpft, tausend Anstalten im Verborgenen getroffen werden, damit, wenn die Catastrophe, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr fern ist, eintritt, Constantin alle Mittel zur Hand, Heere geworben. Schätzel, Freunde gesammelt, nichts dem Zufall überlassen, und so alle Kräfte bereit finde, um den großen Plan zu begründen, und zu befestigen.

88. Theophania an Junia Marcella

88. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, im Oct. 303.


Fünf Monate sind nun im stillen Genusse der reinsten Seligkeit verflossen, ich war glücklich – glücklich, wie vielleicht Menschen es sonst nie oder nur auf kurze Augenblicke sind. Ich habe dieses Glück durch fünf Monate genossen, ich darf nicht klagen, wenn es jetzt zum Theil aufhört, und düstere Wolken hier und da emporsteigen, und die Zukunft meiner Vergangenheit gleich zu machen drohen. Mein Schwiegervater ist gestorben, das war die erste Störung unseres stillen Glücks. Er hat meinem Gemahl völlig verziehen, er hat ihn in den letzten Augenblicken mit rührender Zärtlichkeit behandelt, er hat sein erstes Testament zurückgenommen, und nur einen Theil seines Vermögens einem edlen aber unglücklichen Verwandten zugewendet, den die Familie vorher tief gekränkt, und im Elende beinahe hätte untergehen lassen, wenn ihn nicht Agathokles nach allen seinen Kräften unterstützt hätte, ohne daß Leucippus jemals erfahren konnte, wer sein unbekannter Wohlthäter sey. Nun hat Hegesippus letzter Wille sie auch öffentlich [80] vereinigt, und Agathokles behandelt den neuen Freund wie einen geliebten Bruder.

Aber seine Stimmung war ernst und düster, und wurde es immer mehr. Constantin kam oft zu uns, sie unterredeten sich lange und angelegentlich, sie ließen mich oft Theil an ihrem Gespräche nehmen. Ich mußte die Wichtigkeit ihrer Entschlüsse, und ihren ernsten Willen zum Guten bewundern, aber mein Herz zitterte in Geheim vor den mancherlei Verhältnissen, Verwirrungen, Anstrengungen, die sie nach sich zogen, vor dem gewaltigen Treiben der Welt, das meinen Gemahl jetzt wieder ergreifen und mitten in seine Wirbel reißen würde. Ich konnte alle diese schönen großen Entwürfe für nichts anders, als den Schwanengesang meines stillen Glückes halten. Aber unsere Seelen verstehen sich zu gut, um auch nur Einen Gedanken, eine Regung ungetheilt zu bewahren. Er errieth mich, er verwies mir liebreich diese Anwandlung vom Egoismus, dem herrschenden Geiste der Zeit, er stellte mir vor, daß ich eine Römische Bürgerin, eine Christin sey. Ach, ich erkannte die Wahrheit aller seiner Gründe, aber dennoch schauderte ich bei jedem Gedanken an die unruhige, ungewisse Zukunft!

Nun wurde endlich beschlossen, daß Agathokles nach Europa, und vielleicht bis nach Britannien gehen sollte. Er kündigte es mir an, und tröstete mich zärtlich und liebevoll. Ich betheuerte ihm, daß ich den Gedanken der Trennung nicht ertragen könne. Ich erklärte ihm, ich würde ihn begleiten, wohin er ginge, bis an die [81] Säulen des Herkules, bis an's äußerste Thule 1; keine Entbehrung, keine Beschwerlichkeit der Reise würde mir so hart, so schmerzlich werden, als ein Leben im Schooße der Bequemlichkeit und des Ueberflusses ohne ihn. Er gab endlich meinen Bitten nach, nachdem er mir vorher Alles, was ich zu dulden, zu fürchten haben konnte, mit den lebendigsten Farben gemalt hatte; und als ich endlich weinend an seine Brust sank, und ihm sagte, ich könnte nicht leben ohne ihn, da schloß er mich heftig und mit nassen Augen an sein Herz, und gestand mir, daß es sein heißer Wunsch gewesen sey, sich nicht von mir trennen zu dürfen, daß er vor meinem Ausspruch gezittert, und nur aus ängstlicher Sorge für meine Gesundheit und seine Vaterhoffnungen sich verpflichtet gefühlt habe, mir Alles vorzustellen, was ich wagte, und unternahm. O Junia! Welche Leiden, welche Beschwerlichkeiten müßten das seyn, die ich nicht mit Freuden ertrüge, um seine Gegenwart, das Glück, mit ihm zu leben, damit zu erkaufen!

So war denn unsere Abreise fest bestimmt, als plötzlich, ich kann eben nicht sagen, ein unerwartetes, aber doch ein überraschendes Ereigniß sie noch eine Weile verschob. Die Königin von Armenien endigte vor einigen Monaten ihr schwermuthvolles Leben, und wenn ich mir denke, wie wenig glücklich sie sich selbst bei der Erfüllung aller ihrer Wünsche fand, so kann ich bei diesem [82] Verlust, wie du mir einst sagtest, wieder nur die Zurückgelassenen bedauern, und auch diese in dem gegenwärtigen Falle nicht tief. Der König kam vor zwei Monaten hieher, um seinem Schmerz zu entfliehen, um sich zu zerstreuen, und wirklich sah ich noch nie einen Menschen, dem dies Bestreben so bald und vollständig gelungen wäre, als ihm. Die schöne Calpurnia, die Freundin seiner verstorbenen Frau, war natürlicher Weise die erste Person, bei welcher er Trost und Beruhigung suchte. Sie weinte mit ihm, sie hörte seine Klagen an, in der Liebe für die Entrissene begegneten sich ihre Seelen, und was können die Seelen dafür, wenn ein solches Zusammentreffen länger währt, als gerade der Schmerz erforderte, wenn man sich einander wieder, und abermals wieder zu begegnen wünscht, und wenn endlich die Seelen in so reizende Hüllen eingeschlossen sind, daß sie vor Vergnügen, einander in diesen Hüllen zu bewundern, gar nicht mehr von einander scheiden wollen? Ich muß gestehen, Tiridates ist vielleicht die schönste männliche Gestalt, die ich je gesehen habe; die Art und die ausnehmende Pracht seiner Kleidung trägt noch mehr bei, sie im vortheilhaftesten, im wahren königlichen Glanz und Anstand zu zeigen. Dennoch glaube ich, wenn ich noch in der Blüthe meiner Jugendgefühle wäre, diese kolossalen Formen, diese lebhaft und munter blitzenden Augen, dieser Ausdruck von Lebenslust und Fröhlichkeit würde mich nie angezogen haben. Calpurnia denkt anders. Nur kann ich nicht recht fassen, wie der Ausdruck so entgegengesetzter Gemüther, so ganz verschiedene Erscheinungen, als Agathokles und der König sind, so schnell hintereinander [83] dieselbe Person in derselben Stärke rühren konnten. Doch wer ergründet das menschliche Herz in seinen Widersprüchen und Inconsequenzen! Es ist hierüber nichts zu sagen, und Niemand zu tadeln, weil er auf eine Weise fühlt, die wir nicht begreifen können.

Schon bei dem ersten Besuch, den sie uns einige Tage nach Tiridates Ankunft auf der Villa machten, war es mir sehr wahrscheinlich, der König werde sich bei Calpurnien über seinen Verlust trösten, und sie den ihrigen gern und leicht über einen so schimmernden Ersatz vergessen. Er hatte nichts beobachtet. Du weißt, Männeraugen sehen in dergleichen Dingen nie scharf, nur in unsere Seelen hat die Natur über solche Dinge ein gar zu feines, sicheres Gefühl gelegt. Wir ahnen, wir erkennen diese Erscheinungen bei uns und Andern leicht, wenn wir auch von den Gründen oder Merkmalen keine deutliche Rechenschaft zu geben wissen. Bei der zweiten, dritten Zusammenkunft blieb mir kein Zweifel übrig. Tiridates redete mit meinem Gemahl von unserm Glück, von unsern Hoffnungen, mit feuriger, nicht wehmüthiger Begeisterung, er sprach von der Nothwendigkeit, seines Volkes Glück durch eine unbestreitbare ruhige Thronfolge zu sichern; von dem traurigen Loose der Regenten, die so selten den Neigungen ihres Herzens folgen dürften, von der Nothwendigkeit, seine liebsten Gefühle, den gerechtesten Schmerz zu besiegen, wenn es höhere Rücksichten fordern u.s.w., und Calpurnia ward von dieser Zeit an von der Augusta und des Cäsars Gemahlin mit vorzüglicher Aufmerksamkeit behandelt. Indessen verbreitete sich das Gerücht, und wurde bald zur Gewißheit, [84] Diocletian wolle das zwanzigste Jahr seiner glücklichen Regierung, und den Sieg über die Perser durch einen feierlichen Triumph in Rom, das er, wie ich glaube, als Augustus gar noch nicht gesehen hat, feiern. Es wurden glänzende Anstalten dazu gemacht, der Abendländische Augustus ebenfalls dazu aufgefordert, und Tiridates fand es nun nöthig, einen Entschluß, der langst schon fest in seiner Seele lag, öffentlich zu erklären, bevor der Kaiser Nikomedien verließe. Er warb feierlich um Calpurnia bei ihrem Vater, und dem Kaiser, der den Proconsul außerordentlich schätzt, und seine Einwilligung so schnell und freudig gab, daß es wohl scheint, diese Anwerbung sey nichts als eine Förmlichkeit, und die Sache selbst schon vorher unter den Hauptpersonen verabredet gewesen. Als er mit freundlicher Wärme in Algathokles drang, seine Abreise zu verschieben, um Zeuge eines Zeitpunkts zu seyn, der für das Glück seines Freundes so wichtig wäre, mochte er wohl fühlen, daß diese schnelle Wahl, diese noch schnellere Vollziehung Agathokles befremdete. Mit leichtem Ton, und noch leichterem Sinn entschuldigte er diese Uebereilung durch seine Verhältnisse, die Forderungen der Pflicht, die gähe Abreise des Kaisers, und sagte, daß, da er nun einmal hätte wählen müssen, alte Freundschaft, Achtung für Sulpiciens Andenken, und des Proconsuls bedeutender Einfluß seine Wahl auf Calpurnien gelenket hätte. Agathokles widersprach nicht, er nahm mit unverstellter Freude Theil an dem Glücke seiner Freunde, und so bleiben wir noch eine Weile hier, und ich sehe nicht ohne Widerwillen einer unruhigen Zeit voll Schimmer, Geräusch und Zerstreuung [85] entgegen, welche die Vermählungs-Feierlichkeiten mit sich bringen werden. Mein stilles Glück ist gestört, wie ich dir sagte, und es beginnt eine neue Epoche meines Lebens, auf deren ungewissere Schicksale ich mein Herz in stiller Ergebung vorbereite. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die Säulen des Herkules, das jetzige Gibraltar – und Thule, der äußerste Ort, den man damals gegen Norden kannte, wurden insgemein für die Grenzen der damals bekannten Erde, oder der Erde überhaupt genommen.

89. Calpurnia an ihren Bruder Lucius in Rom

89. Calpurnia an ihren Bruder Lucius in Rom.

Nikomedien, im Oct. 303.


Lieber Bruder! Was wirst du sagen, wenn du diesen Brief erhältst? Ich bin Braut – und bald, sehr bald vermählt. Und mit wem? O du erräthst es wohl. Es wäre mir auch nicht möglich, dir Alles so genau und regelmäßig zu erzählen, wie es sich machte. Wie könnte ich es auch? Ich weiß selbst kaum, wie es kam – so schnell, so unvermuthet, daß ich jetzt noch manchmal Alles für einen Traum halte.

Genug, ich bin Tiridates Braut, und werde in Kurzem Königin von Armenien seyn. Es wird mich im Anfange Mühe kosten, mich in alle die Formen und Steifheiten des Orientalischen Ceremoniels zu fügen; aber ich weiß eben so bestimmt, daß es mir gelingen wird, und ich mit eben so viel Anstand Königin seyn werde, als ich bis jetzt mit Anmuth ein Römisches Mädchen war, und mit Würde eine Nikomedische Matrone geworden wäre, wenn es die Götter so gefügt hätten.

Das thaten sie nun aber nicht, und so wurde ich zuerst aus der Vertrauten die Freundin, aus der Freundin [86] die Geliebte, aus der Geliebten die Braut des edelsten, liebenswürdigsten Fürsten! Denn ich muß dir sagen, es gibt kein gefährlicheres Amt für ein junges Mädchen, als die Vertraute und Trösterin eines schönen Unglücklichen zu seyn. Das Mitleid ist eine gar zu verrätherische Empfindung. Wir wurden einander mit jedem Tage lieber, nothwendiger, ich fand Zerstreuung und Freude in seinem lebhaften Umgange; er beweinte mit mir seinen Verlust, erzählte mir von den ersten Tagen seiner Liebe, seines Glückes, und fand es zuletzt unmöglich, ohne dieses Glück zu leben. Aeußere Umstände trafen nun auch zusammen. Des Augustus schnelle Abreise machte eine übereilte Erklärung nöthig, wenn wir nicht mit unserer Verbindung bis zu Diocletians Wiederkunft, die vielleicht in einem Jahre Statt haben könnte, warten wollten. Du kennst die Verhältnisse der verbündeten Fürsten zu dem römischen Hof, du kennst Armeniens Lage in Rücksicht der Perser. Es liegt Alles daran, die Thronfolge bestimmt und unbestreitbar festzusetzen. Diocletian selbst schien dies zu wünschen. Die Zeit war kurz, Tiridates entschloß sich, er fragte mich, und konnte ich wohl Nein sagen? Was, um aller Götter willen, hätte ich gegen ihn einwenden können? Daß unsere Verbindung übereilt sey? Ach, ich kannte ihn seit zwei Jahren genauer, als wenn er diese ganze Zeit über sich um mich beworben hätte; denn ich sah ihn ohne Vorurtheil, und er hatte keine Ursache, sich vor mir zu verstellen. Daß ich ihn nicht mit der Leidenschaft liebte, die manche Menschen zum Glücke einer Verbindung für nöthig halten? Das ist Grille. Ich achte ihn, weil er es durch tausend Vorzüge wohl verdienet, [87] und seine Gestalt gefällt mir. Das ist Alles, was ich zu meinem Glücke bedarf. Meine Forderungen an Euer Geschlecht waren immer mäßig. Milesische Mährchen kann man träumen, in der wirklichen Welt geht Alles anders zu.

Es ist überdies auch kein unbedeutender Vorzug, Königin, wenn auch nur Königin eines verbündeten Staates zu werden. Augustus gibt es höchstens zwei, und zwei Cäsarn; da ist nur Raum für vier Römische Jungfrauen oder Matronen. Auch ist der Augustus gewöhnlich nicht mehr in der Blüthe der Jahre. Wie unbändig müßte der Ehrgeiz einer Römerin seyn, die, wenn selbst Diocletian sich zugleich mit Tiridates um ihre Hand bewürbe, den alternden, rauhen Illyrier vor dem jugendlich blühenden Fürsten wählen könnte, den alle Grazien schmücken?

So ist denn mein Schicksal bestimmt, unwiderruflich, wenn nicht außerordentliche Ereignisse dazwischen treten! Seltsam! Wenn ich mir das recht lebhaft denke, so wandelt mich eine Art von Grauen an. Heirathen – mein Loos in die Hand eines Mannes legen, ihm in ein fernes Land folgen, wo er unumschränkt gebeut, wo Niemand ist, der ihm Widerstand leisten darf – wahrlich, der Schritt ist ernst, so ernst, daß, hätte ich Alles das früher so bedacht, ich ihn viel leicht nicht gethan hätte!

Nun ist nichts mehr zu ändern. Meine Verbindung ist öffentlich erklärt, der Augustus selbst hat über meine Hand entschieden. Tiridates ist trunken vor Freuden. Er liebt mich leidenschaftlich, und er ist keiner [88] Verstellung fähig. Aber wie lange wird das währen? Und wie kann ich mich vor dem Loose meiner Freundin schützen, oder wie kann ich erwarten, ihm zu entgehen? Und auf diesen Punkt wird einst so Vieles ankommen. Hier ist es nöthig, alle Kraft des Verstandes, alle Macht über sich und Andere, alle Erfahrung zu Hülfe zu nehmen. Mein Schicksal wird in seiner Hand liegen, Niemand wird, Niemand kann sich meiner annehmen, ich muß mir selbst Alles seyn, ich muß mich schützen, ich muß fest stehen, und das kann ich nur, wenn ich mich nie vergesse. Nie wisse, nie fühle er sich meines Herzens ganz sicher, und im uneingeschränkten Besitze desselben, nie verliere mein Geist die Herrschaft über sein Herz. Zwar so lange er noch etwas zu wünschen, zu hoffen, zu fürchten hat, so lange er liebt, wird es leicht seyn, auf ihn zu wirken; aber wie klug ich mich auch betragen mag, so wird die Zeit noch kommen, wo fremde frischere Reize, oder allmählige Gewöhnung diese Art von Zauber zerstören. Bis also die gefährliche Epoche eintritt, muß seine Achtung für meinen Charakter, für meinen Verstand so fest gegründet seyn, daß die Freundin keines von den Rechten verliert, die die Geliebte hatte, und seine Untreue nichts weiter für mich seyn kann, als ein flatterndes Spiel, das ich ihm gern zu seiner Unterhaltung gönne.

Nie werde ich mich in die Angelegenheiten seines Reiches mischen, wenigstens nie unmittelbar. Sucht er in manchen Fällen den Rath der Freundin, kann es sein Herz erleichtern, wenn er seine Sorgen zuweilen in meine Brust niederlegt, so will ich ihm redlich tragen, [89] und sorgen, und denken helfen. Nie werde ich meine engbegrenzte Sphäre verlassen; aber auch nie soll er vergessen, daß ich meinem schönen Vaterlande, dem Leben im Schooße einer edlen ruhmvollen Familie, die mich zärtlich liebt, entsagt habe, um ihm in seine Gebirge zu folgen, und die Gattin eines barbarischen Tyrannen zu werden, wie sich Sulpiciens Vater ausdrückte. Ueber einige dieser Punkte habe ich mit dem meinen mehrere ernste feierliche Unterredungen gehabt, und nie werde ich der weisen Lehren vergessen, die er mir mit Rührung, mit väterlichen Thränen gab. Ach, er freut sich wohl, mich so glänzend, und an einen so würdigen Gatten verheirathet zu wissen; dennoch fühle ich, daß der Gedanke, ein Kind zu verlieren, an dessen stäten Umgang er so gewohnt war, ihn manchmal wehmüthig macht. Dann ergreift diese Stimmung auch mich, aber ich bemühe mich, sie wie jede weiche ihrer Art, zu verscheuchen. Wenn ich nicht als Vestale leben und sterben will, steht mir diese Trennung immer bevor, und ich könnte mir doch unter allen Männern keinen denken, um dessentwillen ich sie lieber ertrüge, als Tiridates.

Keinen? – Man muß nie falsch seyn. Das, was ich für Tiridates empfinde, ist viel anders, als was ehedem meine Brust so unruhig, so unabläßig bewegte. Doch kömmt dieser Unterschied vielleicht wohl nur von der Art des Verhältnisses, und nicht von dem Gegenstand desselben her. Ehemals war ich ungewiß, zweifelhaft, meine Phantasie aufgeregt, alle Seelenkräfte in Spannung; jetzt ist Alles stille und sicher, und so ist mein Gefühl nur ruhiger, aber vielleicht nicht kälter.

[90] Sey dem, wie ihm wolle. Ich mag nicht darüber grübeln, es nützt zu nichts, und kann nur schaden. Agathokles wird Zeuge unserer Verbindung seyn; ich habe den Gedanken, ihn darum zu bitten, in Tiridates erregt, ohne daß er meinen Wunsch errieth. Ich weiß nicht, welche Art von stolzer Befriedigung ich darin suche; genug, ich wünsche es, und sehe es als einen Theil der Freuden jenes wichtigen Tages an, daß Er gegenwärtig sey.

Leb' wohl, lieber Bruder! Meine Lebensart ist jetzt sehr beschäftigt, sehr zerstreut; du wirst es diesem Briefe abgemerkt haben. Bevor ich Nikomedien verlasse, und mich noch um viele, viele Meilen weiter von dir entferne, schreibe ich dir sicher noch einmal.

90. Constantin an Agathokles

90. Constantin an Agathokles.

Salona 1, im Jänner 304.


Als wir uns in Byzanz trennten, du mit deiner liebenswürdigen Frau nach Athen gingst, und ich dem Augustus auf seinen Befehl nach Rom folgte, um Zeuge seines Triumphs zu seyn, da dachte ich nicht, daß jene Ereignisse, von denen wir, als in ferner Zukunft möglich, sprachen, schon so bald ihre dunkeln verhängnißvollen Schatten über unsere Gegenwart werfen, und uns nöthigen würden, Plane und Entschlüsse, deren [91] größeres Verdienst doch wohl Reifheit und besonnene Vorbereitung ist, vielleicht mehr als gut ist, zu beschleunigen. Wie Galerius die Zurücksetzung ertrug, daß nur die beiden Auguste den Triumph feiern, er und mein Vater hingegen von diesem Ruhme ganz ausgeschlossen seyn sollten, hast du schon in Nikomedien gesehen, als nach den Hochzeitsfeierlichkeiten des Königs von Armenien sich alles zum Aufbruche anschickte, und auch er bereit schien, den Augustus nach Rom zu begleiten, und an dem Triumph Antheil zu nehmen, den er durch seine Tapferkeit wohl verdient hatte. Die alte Sitte, welche die Verdienste der Cäsaren ihren Vätern zuschrieb 2, obwohl sie dem Diocletian zum günstigen Vorwande diente, befriedigte den Stolz des wilden Cäsars nicht, der sich wohl bewußt war, daß diesmal nicht sein kleineres kriegerisches Verdienst vor dem größern des Augustus zu verschwinden hatte, der es tief fühlte, daß durch seinen Arm allein die Lorbeeren errungen worden waren, mit denen sich der langgehaßte, lebensvolle Augustus nun in Rom schmücken sollte. Daß er nicht wüthete, daß er diese Kränkung so gelassen, mit so schmeichelnder Ergebung ertrug, diese stumpfe ahnungsvolle Stille ließ mich eben mit größerm Rechte ein heranziehendes Gewitter fürchten. Wie sicher mußte Galerius seines Erfolges seyn, da er den rauhen Krieger unter dem geschmeidigen Hofmanne zu verbergen wußte!

Ich theilte dir damals meine Besorgnisse mit, du[92] schienst es nicht so anzusehen, und ich verwies dich auf die Zukunft. So langte ich mit dem Augustus in der Hälfte des Novembers nach einer sehr glücklichen Fahrt in Ostia an. Die Feierlichkeiten des Triumphs, die Spiele, Schauspiele u.s.w. – wirst du mir zu beschreiben erlassen. Mancher Griffel setzte sich deßwegen ohnedies in Bewegung, und du wirst sie entweder schon gelesen haben, oder noch zu lesen bekommen. Bald nach ihrer Beendigung verließ Diocletian schnell und unvermuthet die alte Hauptstadt der Welt, die er nur erst betreten hatte, empört durch die Zudringlichkeit und Ausgelassenheit des Römischen Pöbels 3. Wir reiseten am Ende des Decembers mitten in den Saturnalien ab; aber schon in Aquileja wurde Diocletian von einer plötzlichen Schwäche, die mit mehreren seltsamen Symptomen begleitet war, überfallen. Er mußte einige Tage dort stille liegen, und konnte seitdem die Reise in dieser ungünstigen Jahreszeit nur in sehr kleinen Tagemärschen fortsetzen. Gerade nach Nikomedien zu gehen war ganz unmöglich; um also einen milden und zugleich ruhigen Aufenthalt zu finden, wählte er Salona, wo ohnedies schon seit einiger Zeit an einem Palast, an Bädern und Gärten, mit einem Wort, an einem sehr prächtigen Wohnort für ihn gebaut wird, und zwar mit einer Emsigkeit und Vorliebe, die mich in manchen meiner Vermuthungen bestärkt. So sind wir nun hier, und da Diocletian vielleicht aus besondern Ursachen, mir jetzt seine Gunst immer deutlicher und offenbarer beweiset, und überhaupt mich sehr gern [93] um sich zu haben scheint, so wird es mir nicht möglich, ihn zu verlassen, und ich werde nur mit ihm nach Nikomedien zurückkehren.

Hier hörten wir denn auch, daß Galerius in Syrmium 4 die Feier der Vieennalien mit so viel Pracht, lauter Freude und schmeichlerischer Huldigung gegen den Augustus verherrlicht habe, daß mir seine bösen Absichten, und der stille Triumph seiner Rache beinahe unzweifelhaft werden. Rechne noch dazu, daß Diocletians jetziger Leibarzt vorher im Dienste des Galerius stand, daß dieser ihm denselben vor einiger Zeit gleichsam aus kindlicher Ergebung und Sorge für des Augustus Gesundheit aufdrang, und daß dieser Arzt noch jetzt, wie ich sicher weiß, einen ansehnlichen Jahrgehalt von seinem vorigen Herrn genießt, und du wirst über manches anders und richtiger urtheilen können, als die Welt.

Du denkst wohl leicht, daß ich keinen dieser Umstände außer Acht lasse. Mein ruhiger Sinn, mein leidenschaftloses Gemüth, das so oft in traulichen Gesprächen deinen und deiner Theophania leichten Spott erfahren mußte, kömmt mir in diesen Umgebungen trefflich zu Statten. Es darf nichts gering geachtet, nichts übereilt nichts unter, nichts über seinen Werth und Einfluß geschätzt werden, und wie mehr uns die Ereignisse zu drängen, und in Gährung zu bringen scheinen, je nöthiger ist es, seine ruhige Fassung und den einzigen [94] Punkt, auf den Alles ankömmt, nie aus den Augen zu verlieren.

Mein Vater war sehr gekränkt durch jene auffallende Hintansetzung. Es mag seyn, daß er mit dulden mußte, was eigentlich nur seinem Gefährten galt. Indessen trug er es wie ein großgesinnter Fürst, wie ein edler Mann. In Eboracum sind die Vicennalien mit anständiger Pracht, wie in allen Hauptstädten des Reichs begangen worden. Keine heuchelnde Geschmeidigkeit, keine überlaute Freude entwürdigte das Verhältniß und das Betragen meines Vaters. Er hat mir geschrieben, sein Brief ist voll zärtlicher Besorgniß um mich, er kennt des Galerius Gesinnungen, er weiß von der Krankheit des Augustus, und fürchtet, wenn eine entscheidende Catastrophe eintreten sollte, Alles für mich in diesen Provinzen, die ganz dem Scepter des düstern Cäsars unterworfen, und eben darum mit seinen Centurien angefüllt sind. Ich bin ziemlich unbesorgt, weil ich die Umstände, meine Gefahr, und die möglichen Rettungsmittel sehr genau kenne; aber ich begreife, daß in einer so großen Entfernung bei den unsichern Gerüchten seine Liebe leicht besorgt werden kann.

Er will mir den treuen Lehrer meiner Kindheit, den edlen Florianus, senden, der mir theils schriftlich, theils mündlich verschiedene Nachrichten und Warnungen bringen soll, die zu meinen Absichten unentbehrlich, und bei der jetzigen Lage der Umstände keinem Briefe anzuvertrauen sind. Ich freue mich sehr, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen, und fürchtete nur, ihn viel veränderter zu finden. Du weißt die Geschichte, [95] die sein sonst so stilles schönes Leben vergiftet hat. Sieh' hier eine neue Veranlassung, mich der Kälte meines Herzens, wie ihr es nennt, zu rühmen und zu freuen. Was könnte Florianus seyn, und was ist er? So viel Macht hat die Leidenschaft! So gefährlich ist's, von ihrem süßen Gifte nur zu kosten, selbst im reifen männlichen Alter!

Solltest du ihn in Laureacum 5 sehen, wie ich nicht zweifle, so freue dich im Voraus, eines der edelsten Gemüther, der reinsten Herzen, deinen Freund nennen zu können. Das wird er seyn, das ist er schon, denn er kennt dich durch mich. Grüße deine liebenswürdige edle Theophania herzlich von mir, und leb' wohl.

Fußnoten

1 Ein unberühmtes Dorf in Dalmatien trägt noch heut zu Tage den Namen, welchen einst ein prächtiger Palast und Gärten, Tempel, Bäder, kurz Alles, womit Diocletian seine Einsamkeit verschönerte, trug.

2 Daß die Verdienste der Cäsaren den Augusten, als ihren Vätern, zugeschrieben worden sind, ist geschichtlich.

3 Geschichtlich.

4 Syrmium war die Residenz des Galerius in dem Theile des Reichs, der damals Illyrien hieß. Vicennalien, das Fest wegen der zwanzigjährigen Regierung des Diocletian.

5 Laureacum, das heutige Enns in Oberösterreich.

91. Theophania an Junia Marcella

91. Theophania an Junia Marcella.

Laureacum, im Mai 304.


Sechs Monate bin ich nun in einem andern Welttheile, weit, weit von dir, weit von meinem Vaterlande entfernt. Hier ist kein mildes Clima, wie in den schönen Gefilden Kleinasiens, hier weht keine laue Luft durch immergrünende Gebüsche, und bringt den tausendfachen Balsamduft aus bunten Blumenkelchen gehaucht, kein ungetrübter Himmel lächelt über Pinien und Cederhainen. Eine düstere, wilde, aber selbst in ihrer Düsterheit erhabene Natur umgibt mich hier, und sie ist mir nicht so fremd, als meinem Agathokles, denn ich habe manche ihrer Scenen in noch ungestörterer Furchtbarkeit an den Ufern des Borysthenes kennen gelernt. Auch diesen Gegenden fehlt es nicht an eigenthümlichen Reizen, und ein Gemüth, das Sinn für stille Größe, und den ernstern Ausdruck der Naturscenen hat, kann leicht in den Umgebungen, in denen ich jetzt lebe, Etwas finden, das sie ihm lieber und anziehender machte, als jene lachende Gefilde, auf die der Himmel ohne Zuthun oder Anstrengung des menschlichen Fleißes aus immer reichem Füllhorn seine milden Gaben gießt.

Diese Provinzen, die nicht seit sehr lange unter römischer Herrschaft stehen, tragen überall das Gepräge [4] kühner fesselloser Natur, die der Hand des Fleißes nur einem kleinen Theil zur Befriedigung ihrer ersten Bedürfnisse abgekämpft hat. Das ganze Land ist mit Gebirgen bedeckt, nur jenseits des breiten Stroms, der in einiger Entfernung von uns gegen Osten hinabströmt, ist der Boden flächer, und auch Laureacum liegt in einer Ebene, wo der Anasus 1, nach einem langen mühevollen Laufe durch Schluchten und Wälder, über Felsentrümmer und Bergstürze sich endlich ruhig in der sonnigen Ebene ausbreitet. Ein wehmüthiges Bild! Dort unten fließt schon der große Strom, in dessen Fluthen er sich bald verliert. Nur kurze Zeit war ihm vergönnt, der Ruhe zu genießen, und die müden Wellen, kaum vom heitern Sonnenstrahl erwärmt, stürzen dort schon in die Gewässer, in denen sie Namen und Daseyn verlieren. Wie manchem Sterblichen sah ich ein gleiches Loos fallen! Wenn sein hartes Schicksal endlich abließ, ihn zu verfolgen, wenn seine stillen, gerechten Wünsche erhört schienen, dann rief ihn der Tod aus dem Kreise seiner Freuden ab, gleich als wäre hienieden nicht Raum für solch' ein Glück, das nur in bessern Wellen zu blühen bestimmt ist.

Agathokles hat mit mir manche kleine Reise in diese düstern Wildnisse gemacht, aus denen der Anasus, und alle die Ströme herkommen, die sich in den Danubius verlieren. An ihren Ufern winden sich die Straßen aufwärts, ihren Quellen entgegen, sie zeigen dem Wanderer den Pfad in die geheimen Thäler, aus denen sie herabkommen, und der Weg, den die lebendige Fluth bei der ersten Gestaltung dieser Erde nahm, die Tiefen, durch [4] welche sie sich Bahn machte, um heraus in die Ebene zu gelangen, sind meist auch der einzige Weg, auf dem man hineingelangen kann. Dicht verwachsene Wildnisse empfangen den Wanderer, in denen vielleicht noch nie eine Art erschollen ist, nie ein Fußtritt gewandelt hat; himmelanstrebende Felsen tragen selbst jetzt im Frühling noch Schnee auf ihren kahlen Häuptern, wilde Bergströme stürzen sich brausend von jähen Höhen; dann öffnet sich ein geheimes Thal, und im Schooß waldiger Berge und schroffer Felsen liegt ein stiller Wasserspiegel weit ausgebreitet, dessen einsames Ufer nur Vögel oder verirrte Gemsen besuchen. Keine Menschenspur ist Zu finden, nur die Laute der Natur tönen hier, wir sind allein mit ihr, die in ungebrochener Kraft um uns waltet, allein mit ihr, und unserm gemeinschaftlichen Schörfer. Seine erhabene Gegenwart wird doppelt fühlbar in dieser einsamen Wildniß, sein Hauch erhält und trägt sie und uns, hier ergreift seine Nähe uns mit Schauer, Ehrfurcht und Liebe. Die tausendjährigen Eichen verschlingen die kühngeformten Aeste zum lustigen hohen Dach, und bilden einen würdigen Tempel; überall ist Hoheit, Einfalt, Stille und Größe.

Unwillkührlich wirkt diese Umgebung auf unser Innerstes. Ich fühle es, daß ich hier ernster geworden bin, als ich in Synthium war. Der Himmel ist hier sehr oft trübe, in seltsamen Gestalten ziehen sich die Nebel, die aus dem Strom und den dichten Wäldern aufsteigen, um die dunkeln Berge herum, die nördlichere Sonne vermag sie nicht immer zu zerstreuen; dann sammeln sie sich, verdecken das freundliche Blau, oder ergießen sich in unaufhörlichen Regengüssen über die winterlich düstere [5] Landschaft. Solche trüben Tage machen unsere Ansichten ebenfalls trübe, ohne daß wir uns dessen bewußt sind, und überdies tragen die täglichen Begebenheiten auch nicht dazu bei, ein ernster gestimmtes Gemüth zu erheitern. Es sind zu traurige, zu gräuelvolle Scenen in diesen Gegenden vorgefallen, man hört von allen Seiten zu viel von dem Mißbrauch des gewaltigen Uebermuths, von der Grausamkeit des Parteigeistes, und den tausendfachen Neckereien, Leiden, Qualen und Todesarten, die hier die verfolgte Unschuld von ihren Drängern erdulden muß, als daß man seines Lebens recht froh werden könnte, selbst wenn ein Paradies um uns her lachte. Es sind doch im Grunde nur die Menschen, die uns die Erde lieb oder leid machen können, und ein glückliches Paar, wie Agathokles und ich, würde auch in noch düsterern Gegenden, als diese sind, selig leben, wenn es möglich, wenn es billig wäre, Aug' und Herz vor den Leiden seiner Brüder zu verschließen.

Ich habe hier unter manchen seltsamen und anziehenden Gegenständen, die mir diese Gegenden schon zeigten, auch die Bekanntschaft eines Mädchens gemacht, die ganz zu diesen Umgebungen paßt, die in sich das treuste Bild der Natur um sich her darstellt. Es ist jene Valeria, die Frucht einer geheimen Liebe Diocletians, welche in Britannien geboren und erzogen worden war. Ich erinnere mich, dir einen Theil ihrer Geschichte geschrieben zu haben, wie ich sie von Constantin erzählen hörte. Ein stiller tiefer Kummer liegt auf diesem schönen Gesicht, dessen blendende Weiße kaum durch einen leichten Anflug des zartesten Roths belebt wird. Große dunkelblaue Augen bewegen sich langsam unter langen seidenen Wimpern, [6] und die Farbe der Augen wiederholt sich lieblich in dem feinen Geäder, das die blendende Haut durchschimmert. Ihre lange schlanke Gestalt ist nicht stolz, kaum aufrecht, das schöne Köpfchen, von goldnem Gelocke umflossen, sinkt beständig auf die Brust, ihre ganze Haltung zeugt von tiefem Kummer. So erschien sie mir, als ich sie das erste Mal sah, das anziehendste Bild der Schwermuth und stillen Ergebung. Seit zwei Jahren hat sie keine Nachricht mehr von ihrem Lehrer und Freund. Er wollte nicht, daß sie ihm noch schreiben sollte, und sein Wunsch ist ihr Gesetz, sie verehrt seinen Willen, seine Entschlüsse mit jener Heiligkeit, mit der vielleicht nur die ersten Jünger die Gebote ihres Meisters ehrten und hielten. Treu und unauslöschlich bewahrt sie sein Bild in ihrer Brust, Religion, Tugend und die Gluth der ersten Liebe verklären es in himmlischem Glanz, und nicht inniger hängt sie an den Lehren unsers göttlichen Stifters, als an den Aussprüchen ihres Freundes.

Ihre Pflegeeltern haben sie auf Befehl ihres Vaters hierher geführt; denn seit man sie aus ihrer heimathlichen Insel, von der sie nie ohne wehmüthige Begeisterung, ohne Thränen spricht, entfernt hat, ist ihr Leben sehr unstät, und ihr Aufenthalt überall nur kurz. Sie ergibt sich in dies schwere Schicksal, nachdem mancher vergebliche Kampf, mancher vereitelte Versuch zur Flucht sie belehrt hat, daß eine höhere Macht über sie waltet, der zu entfliehen sie zu schwach ist. Uebrigens liebt sie ihre Pflegeeltern, die mit schwerem Herzen die Befehle des Augustus an ihrem geliebten Schutzbefohlenen üben, und dies einzige Gefühl, sagte sie mir neulich, schützt sie vor Verzweiflung.

[7] Ich sehe wichtigen und erschütternden Auftritten entgegen. Agathokles weiß, daß Florianus auf dem Wege hierher ist, um nach Salona zu gehen, und dort mit Constantin zu sprechen. Noch ahnet Valeria nichts davon, und ich weiß nicht, ob ich es ihr sagen oder verbergen, und ihre Pflegeeltern bitten soll, sich mit ihr zu entfernen. Ich würde sie sehr schmerzlich vermissen, wenn ich sie verlieren sollte; denn ich bin ihres Umgangs schon sehr gewohnt, und ich fühle wohl, daß auch sie mit Liebe und innigem Vertrauen an Agathokles und mir hängt.

Von meinem häuslichen Glücke sage ich dir nichts; du kennst es, es ist größer, als ich es je dachte, je hoffen konnte. Ein gesunder blühender Knabe knüpft seit etlichen Monaten ein neues inniges Band zwischen uns. Agathokles, meine theure Junia! ist der beste Vater, wie er der zärtlichste Gemahl, der treueste Freund ist, und mir bleibt keine Sorge für diese Welt, als Gott zu bitten, daß er mir mein Glück, und die stille Scheu erhalte, mit der ich es zitternd, aber selig genieße.

Fußnoten

1 Anasus, der alte Name des Ennsflusses.

92. Agathokles an Constantin

92. Agathokles an Constantin.

Laureacum, im Junius 304.


Große Gemüther hat, wie ich glaube, und wie die Geschichte lehrt, die Vorsicht darum von Zeit zu Zeit erweckt, und mit vorzüglichen Gaben ausgerüstet, daß sie gleich himmelanstrebenden Felsen die Gewitter, welche das Menschengeschlecht treffen, mit höherm Haupt tragen, und so den Uebrigen zum Schutz und zum Beispiel dienen sollen, woran ihre Schwäche sich erhebe und stärke. Noch erhebender wird solch ein Muster, wenn jenes starke Gemüth zugleich ein zum Herrscher berufenes ist, und sich [8] sein göttlicher Beruf, Andre zu leiten und zu zügeln, zuerst an der Macht offenbart, die es über sich selbst und seine edelsten Triebe ausübt. So, o mein Constantin! kenne ich dich seit dem ersten Augenblicke, wo wir uns sahen, so hast du dich stets bewährt, und so wirst du es bei der Nachricht thun, die ich dir zu geben habe. Wir erwarteten seit einiger Zeit die Ankunft deines verehrten Lehrers und Freundes, des Centurio Eneus Florianus, hier in Laureacum. Ein Zufall wollte, daß gerade jetzt auch Valeria mit ihren Pflegeeltern sich hier befand. Von dir unterrichtet theilte ich dem Asinius Ponticus meine Nachricht mit, und überließ es ihm zu thun, was seine Pflicht erheischen würde. Er machte auch wirklich in aller Stille Anstalten zur Abreise, aber unvermuthet traf Florianus um mehrere Tage früher ein, und Aquilinus, der Präfect der Stadt, ein Geschöpf und treues Werkzeug des grausamen Galerius, ließ ihn auf der Stelle als einen Ausspäher, als einen verdächtigen Abgesandten des Constantins verhaften, und ihm abnehmen, was er an Briefen und Schriften für dich und Diocletian nach Salona bei sich hatte. Vergebens wandte ich Alles an, was in meiner Macht stand, um dem Präfecten die Ungerechtigkeit, die Gefahr seines widerrechtlichen Unternehmens einsehen zu machen, und Florianus zu befreien, mit dem mir sogar nicht erlaubt wurde zu sprechen. Sie Ruhe, mit der der Präfect auf seinem Beginnen bestand, die Sicherheit, mit der er verfuhr, ließ mich bald fürchten, daß er nicht ohne höhern Befehl handle, daß das, was mir Anfangs ein Ausbruch unverständiger Härte schien, lange bereitete, geheißene Maaßregel war, wodurch sich Galerius Einsicht in alle [9] unsere Plane, und Rache an dir verschaffen wollte. Sein widriges Vorhaben mißlang doch zum Theil. Florianus war besonnen genug gewesen, die geheimsten Briefe auf seiner Brust zu verwahren. Er verlangte mit mir zu sprechen, man verweigerte es ihm durchaus. Asinius Ponticus, der, so lange Florianus verhaftet war, keine Gefahr für Valerien sah, blieb in Laureacum, und wandte Alles an, um seinen alten Freund zu befreien, oder ihn wenigstens zu sehen; auch seine Bemühungen waren fruchtlos. Valeria schwebte zwischen Furcht und Hoffnung, Freude und Verzweiflung. Da faßte, als er keine Möglichkeit sah, seine Briefe, seine Nachrichten, den ganzen Zweck seiner wichtigen Sendung an dich und den Augustus in treue Hände niederzulegen, Florianus endlich muthig den Entschluß, sie zu vertilgen. Unbemerkt, wie er hoffte, und langsam war er dahin gekommen, an der Flamme der Lampe, die sein Gefängniß erhellte, und zu der er, damals noch ungefesselt, mit einiger Mühe zu gelangen gewußt hatte, die Briefe zu verbrennen. Sein Beginnen ward entdeckt. Die Gewißheit, daß er noch geheimere Briefe besessen, und der Verdruß darüber, daß er sie den Augen seiner Feinde zu entziehen gewußt hatte, entfesselte nun den ganzen Grimm des Aquilinus, und ließ ihn ohne Schonung gegen seinen Gefangenen wüthen. Unter nichtigen Vorwänden, denen man eine Art von rechtlicher Form zu geben suchte, ward er vor das Tribunal gezogen, dessen Beisitzer, würdige Gehülfen des Präfects, das Urtheil schon gefällt hatten, ehe noch der Angeklagte erschienen war. Er ward zum Tode verurtheilt.

Ich eilte zum Aquilinus, ich versuchte Alles, was in meiner Macht stand, um, wo nicht das Leben deines[10] Freundes, doch wenigstens unter allerlei scheinbaren Vorwänden einen Aufschub von ihm zu erhalten, bis der Eilbote, den ich gleich bei Florianus Gefangennehmung an dich abgefertigt hatte, zurück seyn würde. Sey es nun, daß Aquilinus meine Absicht merkte, sey es, daß er gemessene Befehle von seinem Gebieter hatte – mit der größten Urbanität und unter steten Versicherungen seiner Achtung und seines Bedauerns, daß er meinen Wünschen nicht willfahren könnte, schlug er mir meine Bitten ab. Ich ging tief bekümmert weg. Am zweiten Tage ließ er mich rufen. Mit glatten Worten und Schmeicheleien, die mich empörten, da ich sie für nichts anders halten konnte, als für die Hülle niedriger Bosheit und Tücke, sagte er mir, aus Rücksicht gegen mich, und aus wahrer Achtung gegen seinen Gefangenen, dessen edles Betragen ihn innigst bewege, wolle er das letzte, das einzige Mittel versuchen, das ihm zu seiner Rettung bliebe, obwohl er gestehen müsse, daß er nichts Geringes wage, und diese Nachgiebigkeit ihm vielleicht bedeutenden Verdruß zuziehen könnte. Florianus sollte, wie schon Viele vor ihm in diesen Gegenden gethan, seinen Glauben abschwören, der dem Galerius so verhaßt sey, und er hoffe dann, daß der Cäsar dieses Opfer nicht mit Unwillen ansehen, und es ihm, dem Aquilinus, verzeihen werde, daß er ihn dafür frei gelassen, und das Leben geschenkt habe.

Was ich geantwortet habe, was ich antworten konnte, weißt du im Voraus, und auch Florianus thut, was ich und du nicht anders erwarten konnten. Aber der Wunsch, ein Leben, das er nicht mehr erhalten konnte, das er auch ohne diesen schimpflichen Preis längst nicht mehr zu erhalten wünschte, wenigstens nicht nutzlos hinzuopfern, [11] bewog ihn zum Schein, sich jener entehrenden Bedingung zu fügen. Er täuschte mit schlauer Klugheit seine Verfolger, und erbot sich, an dem von ihnen bestimmten Tag öffentlich auf dem Forum der Stadt ihr Verlangen zu erfüllen. Das Gerücht von seiner Willfährigkeit, von dem Schauspiel, das man zu erwarten hatte, lief in Laureacum und der Gegend schnell umher. Es gelangte auch zu uns, und zu der unglücklichen Valeria. Wir glaubten es nicht, wir ahneten Etwas von dem Vorhaben des unglücklichen, edlen Mannes, ohne jedoch Alles errathen zu können. Valeria war am gewissesten, am hoffnungslosesten von seinem sichern Tode überzeugt. Sie hatte durch List und Gold sich ohne unser Wissen schon ein Mal den Weg in seinen Kerker gebahnt, sie hatte verkleidet mit ihm gesprochen, ihr hatte er, so viel sie es fassen konnte, die Aufträge an dich mitgetheilt, und du wirst von mir erhalten, was ich durch dieses treue, bedauernswürdige Wesen, als ein heiliges Vermächtniß ihres über Alles verehrenden Freundes für dich erhielt.

Der Tag des großen ängstlichen Schauspiels brach an. Noch muß ich dir vorher sagen, daß die Grausamkeit des Galerius und seiner Werkzeuge in diesen Gegenden bereits bedenkliche Folgen für das Christenthum hatte. Viele haben lieber ihr Leben, als ihren Glauben geopfert, aber auch Viele – und wer kann dem großen, meist ungebildeten Haufen dies wohl streng verargen? – Viele haben, müde der Neckereien, die ihr ganzes irdisches Glück zerstörten, geschreckt durch die unerhörten Martern, unter denen die Muthigern ihr Leben lassen mußten, das einzige Rettungsmittel ergriffen, das die List ihrer Verfolger ihnen ließ – sie haben den Göttern geopfert, [12] und solch Abschwörungen, wie man sie deinem verehrten Freunde zumuthete, waren nichts Neues in dieser Zeit.

Desto nöthiger, desto wirksamer war jetzt ein Beispiel, und zwar ein großes, in die Augen fallendes, ein Beispiel an einem Manne, den Rang, Verhältnisse und persönliches Verdienst ohne dies auf einen erhabenen Standpunkt gestellt hatten. Das mochte dein edler Freund wohl erkannt, und seinen Plan darauf gegründet haben. Eine unzählige Menge Volkes, und darunter sehr viele Christen, waren versammelt. Florianus erschien, im ganzen feierlichen Schmucke seines Standes, eine edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, in der vollen Reise des männlichen Alters. Alle Augen waren auf ihn geheftet, Mitleid, Liebe, Neugier, Bewunderung und Mißbilligung malte sich auf den Gesichtern, je nachdem sein Vorhaben oder die Vorstellung, die man sich von ihm machte, die Gemüther verschieden bewegte. Das Opferfeuer vor einem Götterbilde wurde angezündet, der Priester reichte dem Centurio das Rauchfaß, und mit Anstand stieg er die Stufen hinauf, von denen er die Versammlung leicht übersehen konnte. Jetzt, statt zu opfern, wandte er sich gegen das Volk, und mit hinreißender Beredtsamkeit, und einem Ton der Stimme, der tief in die Herzen drang, mit flammendem Blick, die Gluth des edelsten Zornes auf der dunkeln Wange, Hub er an, seinen Abscheu vor der ihm zugemutheten Handlung, die Niedrigkeit des Götterdienstes, die Würde seiner Religion, und die hohe Belohnung der muthigen Bekenner zu schildern. Der Präfect gebot ihm Stillschweigen, aber das Volk, das den kühnen Redner zu hören wünschte, überstimmte den Befehl. Florianus fuhr fort, er ermahnte seine [13] Brüder zur Standhaftigkeit, er verwies sie auf ein besseres Leben. Da drangen die Prätorianer ungestüm von allen Seiten herbei, ein wilder Tumult erhob sich, der Präfect, von Zorn außer sich, gab schnell Befehl zu seinem Tode, die Wache bemächtigte sich des Gefangenen, der ihrer Wuth überlassen wurde, das Volk suchte ihn zu befreien, aber seine Bemühungen waren vergeblich. Um keine Zeit zu verlieren, um keine Möglichkeit zur Rettung übrig zu lassen, schleppten die wüthenden Soldaten ihn auf die Brücke, und stürzten ihn von dort in die Fluthen des Anasus, der eben von heftigen Regengüssen im Gebirge geschwellt, strudelnd und schäumend daher brauste, und sein Opfer gierig verschlang 1.

So endete dein trefflicher Freund ein Leben, das, stets der Tugend geweiht, auch noch in den letzten Augenblicken nur diesen Zweck hatte, und schied mit dem Bewußtseyn aus dieser Welt, ein hohes Beispiel gegeben, [14] und einen Eindruck in den Gemüthern hinterlassen zu haben, der bald segensvolle Früchte der Treue, des Muths tragen würde.

Ich setze nichts weiter hinzu. Alles, was ich sagen könnte, würde den Eindruck, den die einfache Erzählung bei dir sicher hervorbringen muß, nur schwächen oder stören. Ihm ist wohl, und selig derjenige, der einst mit solchem Bewußtseyn, zu solchem Zwecke, wie Florianus, sein Leben hingeben kann! Leb' wohl.

Fußnoten

1 Der heilige Florian ist einer der bekanntesten und am meisten verehrten Volksheiligen in Oesterreich. Die Legende erzählt von ihm, daß er – ein römischer Offizier von bedeutendem Range – nach Laureacum, dem heutigen Enns, gekommen, um dort entweder die Christen zur Standhaftigkeit zu ermahnen, oder selbst zum Muster zu dienen, und für seinen Glauben zu sterben. Der Präfect Aquilinus ermahnte ihn, den Götzen zu opfern, er weigerte sich, und wurde in die Enns gestürzt. Hier soll nun eine christliche Matrone, mit Namen Valeria, seinen Körper aus dem Strom ziehen, und auf einem mit Ochsen bespannten Wagen bis an jenen Platz haben führen lassen, wo jetzt das bekannte schöne Stift Florian steht. Ich habe diese Geschichte so zu benutzen gesucht, wie sie in meinen Plan zu taugen schien, und die wunderbare Erzählung von der Entstehung einer Quelle am Fuße des Berges, um die müden Thiere zu laben, die den Wagen nicht mehr weiter ziehen wollten, auf etwas andere Art eingeflochten.

93. Theophania an Junia Marcella

93. Theophania an Junia Marcella.

Laureacum, im Julius 304.


Ich habe sehr trübe Tage durchlebt, meine Junia! Schon seit ich Noricum betrat, verging vielleicht keine Woche, wo nicht irgend ein Beispiel unerhörter Grausamkeit von Seiten unserer Verfolger, oder schimpflicher Weichheit und niedrigen Eigennutzes von Seiten so mancher Abtrünnigen mein Herz mit Trauer, meine Einbildungskraft mit düstern Bildern erfüllte. Das traurigste von Allen erlebte ich hier in Laureacum. Florianus ist todt. Er fiel, ein Opfer des Hasses, ein strahlendes Beispiel für so Manche seiner Brüder, schmerzlich und ewig von dem zärtlichsten Herzen betrauert, das vielleicht je in einer weiblichen Brust schlug.

Sie erfuhr seine Nähe, seine Anwesenheit an dem Orte, wo sie sich zufälliger Weise befand, nur durch die Nachricht von seiner Gefangennehmung, von seiner dringenden Gefahr. Er war nicht fern, er athmeteeine Luft mit ihr, nach drei hoffnungslosen Jahren hatte ihn ein günstiges Geschick in ihre Nähe gebracht, und – er war gefangen und die Möglichkeit, ihn noch ein Mal zu sehen, [15] zu sprechen, für die sie noch vor wenig Monaten den Rest ihres Lebens hingegeben hätte, lag nun so nahe, und war ihr durch undurchdringliche Mauern, durch den strengen Befehl des Präfects, keinen Menschen mit dem Gefangenen sprechen zu lassen, verwehrt. Es ist schlechterdings unmöglich, den Zustand zu beschreiben, in welchem sich Valeria in dieser Zeit befand. Ich fürchtete, daß er ihr Leben aufreiben werde. Diese gespannte Thätigkeit, diese glühende Liebe, diese schwärmerische Verehrung, und diese Ueberzeugung ewiger Trennung! All' ihr Gold, alle Versuche, die sie auf jedem nur ersinnlichen Wege machte, um den Präfect mit Recht und Unrecht für ihren heißen Wunsch zu gewinnen, bewirkten ihres Freundes Freiheit nicht. Sie erhielt nicht ein Mal die Erlaubniß, ihn in Gegenwart von Zeugen zu sprechen. Eine finstere Stille trat nun auf ein Mal an die Stelle ihrer vorigen Lebhaftigkeit. Man sah, daß sie über einem Entschluß brütete. Gott weiß, woher diesem sonst so sanften, so schüchternen Mädchen die List, die Kühnheit kam, Alles das in's Werk zu setzen, was sie that. Genug, an einem Abend trat sie bleich, verstört, mit verweinten Augen, und einer unruhigen Heftigkeit in ihrem ganzen Wesen in mein Zimmer, sie sah sich überall ängstlich, scheu herum. Sind wir allein? fragte sie mit dumpfer hastiger Stimme, dann warf sie sich an meine Brust, und mit einem schmerzlichen Schrei rief sie: Ich habe ihn gesehen! – nun will ich sterben – er stirbt auch!

Es war ihr auf Wegen, über die ich erstaunte, als sie späterhin uns Alles zu erzählen vermochte, gelungen, die Wachen zu bestechen, und verkleidet in sein Gefängniß zu dringen. O welch' ein Wiedersehen nach drei Jahren! [16] Sie war der Verzweiflung nahe. Aber Florianus Geist erhub und stärkte sie. Noch ein Mal vor dem gewissen Tode erlaubte er sich, den Regungen seines Herzens ganz zu folgen, noch ein Mal schwelgten ihre Seelen in den leidenschaftlichen Ergießungen unglücklicher Zärtlichkeit, noch ein Mal wiederholte er ihr, was durch drei Jahre sein Mund streng verschwiegen hatte, das Geständniß seiner grenzenlosen Liebe, seiner Trauer um sie, seiner heißen Sehnsucht nach diesem Augenblick, den er, ach! nicht so bald, und nicht auf diese Art zu erleben glaubte. In ihre treue Brust legte er seine Geheimnisse nieder. Sie preßte in dem kurzen Raum von ein paar Stunden, der ihnen vergönnt war, alle Leiden, alle Hoffnungen, alle bitteren Erfahrungen von drei traurigen Jahren, und alle wehmüthige Seligkeit eines solchen Wiedersehens zusammen. Sie genoß dies traurige Glück mit vollen Zügen. Sie riß sich endlich halb ohnmächtig aus seinen Armen, und mit dem festen Bewußtseyn, ihn nie wieder auf dieser Erde zu sehen, und kam in diesem Zustande zu mir.

Nie werde ich den Eindruck dieser Stunde vergessen. Eine Art von Schauer überfiel mich, der Gedanke, wie mir zu Muthe wäre, wenn ich an Valeriens Stelle wäre, und eben so von Agathokles scheiden müßte, drängte sich mir mit einer marternden Lebhaftigkeit auf, und ich weiß nicht, was es ist, Junia! aber ich kann ihn seit dem nicht wieder los werden. Bei jeder Veranlassung, oft sogar ohne dieselbe steigt er in meinem Gemüthe empor, umzieht meine Seele mit düstern Schatten, und erscheint nicht selten in ängstenden Träumen unter tausenderlei Gestalten und Zusammenstellungen wieder. So bleibt, [17] wenn an einem trüben Herbstmorgen die Sonne endlich das schwere Gewölk zertheilt, noch hier und dort auf den Bergen der düstre Nebelflor, die Ueberbleibsel der Nacht, gelagert, und ach! oft noch, ehe die Sonne sinkt, steigt er herauf, und begräbt den kurzen Tag in schnelle Schatten! O meine Junia! Wenn das nur keine Ahnungen sind! Ich darf meinem Agathokles nichts davon sagen, er verweiset sie in das Reich der Träume, aber ich habe mehr als eine Ursache, für meine Zukunft besorgt zu seyn. Florianus heldenmüthiger Tod, seine letzte Ermahnung an die Christen, die gesegneten Folgen, die man wirklich schon in dem Betragen unsrer Brüder fühlt, ihre größere Standhaftigkeit, ihre muthige Verachtung irdischer Vortheile haben, wie ich fürchte, einen gefährlichen Funken in Agathokles Seele geworfen!

Den Tag, wo Florianus starb, sah ich ihn zum ersten und letzten Male. Der Zug ging in höchster Feierlichkeit, denn das Volk vermuthete nichts weniger als seinen Tod, vor unserm Hause vorüber. Er kam – im vollen Schmucke seines Ranges, ungefesselt an der Seite des Präfects, ein schöner Mann in der vollen Reife der Jahre, groß, edel, kräftig. Sein dunkles Auge war mit einem Ausdruck von Wohlwollen und innerer Hoheit bald auf das Volk, das ihn umgab, bald auf seinen Begleiter gerichtet, mit dem er ruhig und, wie es schien, von gleichgültigen Dingen sprach. Nur ein paar Mal sah ich ihn den Blick zum Himmel richten; dann aber war auch eine Verklärung darinnen, die mehr als Alles, was ich wußte, den nahen Bürger einer bessern Welt verkündigte, der im Begriff war, sein Leben für seine Ueberzeugung aufzuopfern. Alles, was ich vorhin von ihm gehört hatte, [18] und jetzt sah, machte es mir sehr wahrscheinlich, daß er eine solche Leidenschaft in Valeriens Herzen hatte entzünden können.

Er hatte den Götzen nicht geopfert, seine Religion nicht abgeschworen, wie es das getäuschte Volk erwartete – in dem beigeschlossenen Blatt findest du die weitläufige Erzählung des ganzen Vorfalls – und endigte nun in den Fluthen des Anasus sein Leben. Valeria war auf Alles vorbereitet. Sobald die schauerliche Scene vorüber, und der unwürdige Präfekt in seinem Palast angelangt war, eilte sie zu ihm, und ihr Gold erhielt, was ihren rührendsten Bitten nicht gewährt wurde, die traurige Gunst, den Leichnam ihres geliebten Freundes im Anasus suchen, und auf eine anständige Art bestatten zu lassen.

Der Strom war von einem Gewitterregen in den Gebirgen zu einer außerordentlichen Höhe angeschwollen, und tobte in seinen Ufern strudelnd und reißend dahin. Kein Schiffer wollte es wagen, einen Kahn durch die wilden Fluthen zu drängen – aber was wäre der Liebe und dem Golde unmöglich! Valeria bestieg selbst einen Fischernachen, eine übermäßige Belohnung verschaffte ihr ein Paar kühne Ruderer, sie zwangen den Kahn mitten durch die schäumende Fluth, und fanden bald unweit der Brücke unter den Gesträuchen des Ufers den theuern Rest, den sie suchten. Valeria weinte nicht, als ihn die Schiffer vor sie hin in den Kahn legten, kein Seufzer, keine Thräne erleichterte ihren dumpfen Schmerz. So blieb sie diesen und den folgenden Tag, bis die fromme Sorge einiger Christen der verehrten Leiche alle Dienste, der Treue erwiesen hatte. In der Gegend umher, die ziemlich[19] flach ist, hatte Valeriens Liebe schon seit dem letzten Gespräch mit ihrem Freund zu diesem Vorhaben eine schickliche geheime Stelle gesucht und gefunden. Unfern von Laureacum erheben sich in Südwesten einige kleine Hügel mit Laubwäldern bedeckt. Hinter einem derselben in einem stillen Thale, an einer frischen Quelle, der einzigen, die diese wasserarmen Gefilde netzt und erquickt, wollte sie sein verborgenes Grab machen lassen. Ihre Liebe hatte sinnreich gewählt. An dem Ort, der allein Leben ausspendete, sollte das Kostbarste verwahrt werden, das sie besaß, von seiner Ruhestätte aus sollte sich Segen verbreiten, und die fromme Dankbarkeit vielleicht einst in fernen Jahrhunderten, wo so gern alle Geschichten die Gestalt der Fabel und des Wunderbaren annehmen, diese einzige Quelle als ein Geschenk des verehrten Mannes betrachten, der hier nach seinem heldenmüthigen Tod Ruhe gefunden hatte. 1

Sie selbst begleitete die geliebte Hülle an den einsamen Ort. Hier begruben ihn ihre Begleiter, trauernde Christen, unter frommen Gebeten und heiligen Gefühlen. Als der Hügel erhöht, und ein einfaches Kreuz darauf [20] gepflanzt, und nun jede Spur der theuren Gestalt von der Erde verschwunden war, da brach Valeriens gewaltsame Spannung, und ihre Kraft verließ sie. Mit einem lauten Schrei sank sie ohnmächtig auf das Grab, keine Bemühung vermochte sie wieder zu erwecken – man brachte sie bewußtlos nach Laureacum zurück. Eine tödtliche Krankheit, die sie bald mit ihrem Freunde zu vereinigen versprach, stürzte ihre Pflegeeltern und alle ihre Freunde in die tiefste Bekümmerniß. Ihre Jugend überwand endlich den Sturm, und sie genas langsam dem Körper nach. Ihr Herz wird nie genesen.

Sie ist viel bei uns, wir thun, was wir können – aber was vermag die treuste Freundschaft gegen einen Schmerz, wie Valeriens? Ich bin überzeugt, Junia, daß dies der größte ist, den je ein menschliches Herz fühlen kann, ich war nahe daran ihn zu empfinden, und ich glaube, oder eigentlich ich hoffe, ich würde ihn nicht überleben. Laß mich abbrechen, es ist nicht gut, in einer Zeit, wo fremdes Leiden unsre Thätigkeit, unsre Geisteskräfte auffordert, diese durch geträumte Schmerzen und mögliche Schreckbilder zu lähmen. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Nicht weit von der Stelle, wo der Sage nach der Körper des h. Florianus begraben worden, steht jetzt das Stift der regulirten Chorherren zu St. Florian auf einem Hügel. An seinem Fuße entspringt jene Quelle, wirklich die einzige mit frischem guten Wasser, in dieser sonst so fruchtbaren, aber wasserarmen Gegend. Das Stift zeichnet sich durch äußere Schönheit der Bauart, durch eine treffliche Verfassung, noch mehr aber durch sein würdiges Oberhaupt, den gegenwärtigen Herrn Probst, einen eben so kenntnißreichen als edlen Mann, und durch viele gelehrte schätzbare Mitglieder vor den meisten Stiftern in Oesterreich und Deutschland sehr vortheilhaft aus.

94. Agathokles an Phocion

94. Agathokles an Phocion.

Laureacum, im August 304.


Seit wir uns zu Athen auf meiner Hieherreise sahen, ist mein Leben eine ununterbrochene Kette von eben so wichtigen als unangenehmen Geschäften gewesen. Die wenigen Briefe, die ich dir senden konnte, werden dir schon ziemlich eine Vorstellung von meinen Verhältnissen gegeben haben; so brauche ich dir nur zu sagen, daß sie noch immer fortwähren, und daß ich nicht absehe, wann [21] und wie sie aufhören werden. Ich habe in diesen Gegenden für Constantin und meine Glaubensgenossen viel zu sorgen, zu wirken und zu bereiten. Es kommt die Zeit, sie ist vielleicht näher, als wir denken, wo große Entschlüsse reifen, Alles umfassende Veränderungen eintreten, und die neue Form der Dinge ganz neue Maaßregeln erfordern wird. Diocletian liegt noch krank in Salona, wo Constantin seiner mit Achtung und kindlicher Sorge pflegt. Galerius verstärkt seine Macht täglich auf geheimen und offenen Wegen. Es ist Constantin in seiner Lage nicht möglich, das Gleiche zu thun, ohne Verdacht zu erregen, da er nur des Cäsars Sohn, nicht wirklich Cäsar ist. Was geschehen kann, und unabänderlich geschehen muß, wenn nicht alle Plane scheitern sollen, muß also theils in Geheim durch ihn, theils durch seinen Vater geschehen. Es ist schon Vieles gethan, aber noch weit mehr zu thun übrig, und ich hoffe mit Zuversicht viel Gutes und Großes für die Menschheit von dem, was jetzt bereitet wird.

Du zwar, mein geliebter Freund! wirst nicht ganz in unsere Plane einstimmen. Deine Ansichten sind verschieden. Ich werde es nicht unternehmen, sie zu bekämpfen, noch weniger sie unrichtig zu nennen, aber ich fühle mein Herz erleichtert, wenn ich dir die Beweggründe, die mich handeln machen, genau auseinanderlegen, und so mein Inneres dir, dem Lehrer und Leiter meiner Jugend, unverhüllt zeigen kann.

Du hast mir in deinem letzten Briefe zugegeben, daß Religion für die Menschen überhaupt nothwendig, und daß sie, weil der Mensch auch im rohesten Zustand Spuren von übersinnlichen Begriffen zeigt, gewissermaßen in [22] seiner Natur gegründet sey. Aber du ließest ihn, den unsichtbaren Urheber des Ganzen, den Schleuderer des Blitzes, den Spender der Ernten nur mit dem Verstande aufsuchen und finden, und bist überzeugt, daß jene Vermuthungen, auf welche die freiwirkende Vernunft des Menschen durch bloße Betrachtung der Natur führt, folglich die bloße Idee eines höchsten Wesens und einer Fortdauer nach dem Tode, hinreichend zur Sittlichkeit und Glückseligkeit des Menschen auf jeder Stufe der Cultur sey.

Ich will nichts davon sagen, daß bis jetzt weder die ältere noch neuere Geschichte uns ein Beispiel eines, wenn auch noch so kleinen, Volkes aufstellt, das sich mit dieser bloßen Vernunft-Religion begnügt hätte! Ich bitte dich blos umherzusehen, und unter den Menschen, welche sich gesittet, gebildet, gelehrt nennen, mit scharfer Prüfung diejenigen auszusondern, deren Seelen erhaben und reich genug wären, um zum Guten und Schönen keines andern Antriebes, als der heiligen Stimme in ihrer reinen Brust zu bedürfen. Wie klein wird diese Anzahl seyn! Und kann es wohl mehr als ein schöner Traum genannt werden, wenn wir hoffen wollten, die ganze Menschheit einst auf einer hohen Stufe der Cultur zu sehen? Würden nicht selbst in dieser mehr als platonischen Republik die Menschen noch immer dem Irrthum der Sinne, den Grübeleien, den Täuschungen der Vernunft unterworfen, dem Einfluß und der Gewalt der Elemente, der Naturwirkungen hülflos blos gestellt seyn? Was können spitzfindige Systeme gegen die Macht des Unglücks? Was vermag die so oft irrende Vernunft, die über die wichtigsten Punkte nichts als Vermuthungen[23] hat, gegen die furchtbare Gewalt des nagenden Zweifels, wenn er einmal angefangen hat, die Grundfesten unserer Ruhe zu untergraben? O Phocion! Denke deinem Schicksale nach – meine Hand würde zittern, wenn ich jene alten, vielleicht jetzt nicht ganz geheilten Wunden berühren sollte – denke deinem Schicksale nach, und wenn du wünschest, daß das Menschengeschlecht nur durch Vernunft zu fester Ruhe und Sittlichkeit gelange, so erinnere dich jener Stunden, in welchen die Hand des Geschicks schwer auf deinem Herzen lag, dies Herz durch keine Vernunftgründe sich vor stechenden Zweifeln schützen konnte, und alle Systeme der Philosophen, die dein vielgebildeter Geist sich gegenwärtig hielt, nicht hinreichen, dir Beruhigung zu verschaffen, weil eben dein hoher Geist ihre Lücken und Blößen schmerzlich in diesem Augenblick erkannte.

Nein, Phocion, es ist nicht möglich! Diesem vielgestaltigen, jeder Täuschung unterworfenen, jeder Form sich anschmiegenden Wesen kann die Vorsicht unsere Ruhe, unser Glück nicht allein anvertraut haben. Denke an die erst genannten Secten, deren jede nachfolgende die vorhergehenden aufzuheben, und Alles, was vergangne Alter mit Mühe ersannen und für wahr hielten, Lügen zu strafen scheint; denke an die Versammlungen des Senats, an jede noch so kleine Verbindung mehrerer Menschen, wo jeder mit gleich starken Gründen den Satz vertheidigt, der ihm wahr und ausgemacht ist, und jeder sich rühmt, die Vernunft auf seiner Seite zu haben! Sollte es wirklich diese vielgetäuschte und vieltäuschende Erkenntniß seyn, in der wir Alles suchen und finden müssen, was wir zu unserer Beruhigung so nothwendig bedürfen?

[24] O nein, Phocion, es muß etwas Anderes sein, Etwas, das in allen Menschen gleich ist, das in dem wilden Gothen, wie in dem weichlichen Bewohner Asiens, in einem Caligula, wie in einem Sokrates liegt, und nur durch Clima, Erziehung und Gewohnheit gestimmt, sich stärker oder schwächer äußert – das Gemüth, das, was wir mit einem metaphorischen Ausdrucke das Herz, den Sitz aller Empfindung, alles Willens, des innersten Lebens nennen! Hierin sind alle Sterblichen gleich. Alle fliehen sie den Schmerz, Alle suchen sie die Lust, sie mögen sie nun setzen, in was sie wollen; Alle streben glücklich, ruhig zu seyn, wie das Wasser aus jeder Störung durch jedes Hinderniß nach seiner horizontalen Lage strebt – Alle hassen, Alle lieben auf gleiche Art, nur verborgener oder offenbarer, stärker oder schwächer, je nachdem Sitte oder Wildheit, Unschuld oder Verstellung ihrem Gefühl Schranken auferlegt, und in das Herz, in das Gemüth des Menschen hat der Schöpfer die Religion gelegt. Mit dem Gemüthe sollen wir ihn suchen, und mit festem Glauben ergreifen, wenn er sich uns durch sinnliche und übersinnliche Wege offenbart. Die Vernunft soll nur dazu dienen, das, was jene geheimen Stimmen sagten, durch ihre kalten Erfahrungen zu bestätigen. So ist unser Glaube an Unsterblichkeit, an einen allweisen Schöpfer des Ganzen, an seine nie schlummernde Vatersorge, an eine künftige Vergeltung, an eine allgemeine Brüderschaft des ganzen Menschengeschlechts nicht blos Resultat grübelnder Untersuchungen und kalter Schlüsse; es ist ein lebendiger Glaube, eine feste Ueberzeugung, die keine neuerfundene Theorie wankend machen kann, denn sie ist aus [25] mehr als menschlichen Quellen geflossen, und in dem Ewigen und Heiligen unserer Brust niedergelegt.

Wenn jetzt der Frühling dem Christen in der rings erwachenden Natur das wiederkehrende Leben zeigt, wie Alles neu entsteht, und vom Winterschlafe sich fröhlich losringt, dann lockt ihn nicht gereizte Sinnlichkeit, nur überall den Trieb der Liebe zu suchen und zu erkennen, er feiert keine Nachtfeier der Venus 1 mit üppigen Gesängen und Tänzen. Ihm ersteht die todte Natur in neues Leben, ihm keimt Unsterblichkeit aus dem Grabe, ihm erhebt sie sich in der Person seines göttlichen Meisters und Lehrers mit dem Strahl der Morgensonne siegreich aus der umschließenden Felsengruft. So belebt jeder kommende Frühling mit neuer Kraft die hohe Zuversicht in seiner Brust, und durch sinnliche Wahrnehmungen und vernünftige Schlüsse wird der Glaube in ihm fest und unerschütterlich.

Ich könnte dir in unsern übrigen Glaubenssätzen, in unsern Offenbarungen noch mehr Beispiele dieser Art liefern, wenn eine solche Auseinandersetzung nicht für einen Brief zu weitläufig würde. Kann es mir auch nicht gelingen, dich ganz zu überzeugen, so wünsche ich doch, dir meine Handlungsweise und die Gründe, die mich dazu bewegen, in einem solchen Lichte zu zeigen, daß du bekennen müßtest, mein Ziel sey würdig des Strebens, und daß deine Freundschaft, wenn ich vielleicht unter diesen Bestrebungen erliegen sollte, mir einst das Zeugniß gebe: sein Wille war gut. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Die Nachtfeier der Venus des Catull wird nach Bürgers Uebersetzung wohl den Meisten bekannt seyn.

95. Valeria an Theophanien

[26] 95. Valeria an Theophanien.

Byzanz, im October 304.


Man hat mich von deiner Seite gerissen, von dem einzigen Herzen, das auf dieser Welt noch für mich empfindet, um mich in die Arme meines Vaters zu führen, den ich nie gesehen, und seit ich denken kann, nur aus den Wirkungen seiner Macht, und den Eingriffen in meine Wünsche kennen gelernt habe.

Ich schreibe dir in einem Augenblick der höchsten Bewegung. Der Kaiser ist von seinem langen Aufenthalte in Salona, wo sich seine Kräfte nur wenig erholt haben, endlich gestern nach einer langsamen Reise hier angekommen. Mich hat man, um ihn hier zu erwarten, von dem Orte weggeschleppt, wo sich Alles befindet, was über und unter der Erde noch Werth für mich hat.

Morgen soll ich ihm vorgestellt werden. Ein ängstliches Gemisch streitender Empfindungen wühlt in meiner Brust. Ach, darf ich es dir gestehen, daß Abneigung und Furcht am hellsten aus dem verworrenen Haufen hervortreten?

Warum hat man mich nicht in der glücklichen Dunkelheit gelassen, in der ich lebte! Heimathliche Insel! Ihr frischgrünenden Fluren, ihr hallenden Bäche, ihr duftigen Nebelgestalten! Warum hat man mich von Euch getrennt? Ach dort, wo es so trüb war, war ich so glücklich! Was soll mir die Pracht der Kaisertochter, was der blendende Glanz des Mittags? Dorthin will ich, dorthin, wo der düstre Himmel über unermeßlichen Waldungen schwebt, wo eine lichte Gestalt einst diese trübe Natur zum Paradies um mich her verklärte, in das einfache Haus, das seine Gegenwart zum Tempel [27] weihte, dorthin, wo ich geliebt ward, und wieder unendlich liebte, wo meine Seele an seinen Lippen hing, mein Geist, dem Körper entflohen, nur in seinen Gedanken und Gefühlen sich empfand! Oder laßt mich an dem waldigen Hügel bleiben, wo er unter grünem Nasen schläft! Da ist jetzt mein Vaterland, und sonst auf der weiten Erde keine Heimath mehr für mich.

Ach, Theophania, ich war einst sehr glücklich! Kein Mensch kann sich einen Begriff von jener stillen Seligkeit machen. Alles in mir war Harmonie, Friede, Genuß. Du verstehst mich, im Arm deines Agathokles fühlst du mir nach, was ich nicht zu erklären vermag – fühlst es mir doch nicht nach – denn Agathokles war nicht dein Lehrer. Alles, was du bist, ist nicht sein Werk – nicht sein Mund enthüllte dir die Geheimnisse der Seligkeit, nicht sein Geist schloß die Welt und den Himmel vor dir auf! Und nun! – –

Leb' wohl, Theophania! Ich habe nach diesemNun nichts mehr hinzuzusetzen, denn ich habe nichts mehr zu denken, zu hoffen. Mein Leben, mein ganzes Wesen hat mit ihm aufgehört.


Zwei Tage später.


Die gefürchtete Stunde ist vorüber, und ich athme freier. O Natur und Religion! Welche Macht der Erde gleicht eurer siegenden Gewalt! Vater! Verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! Einst, als ich an Florianus Seite sitzend aus seinem Munde die Erzählung des Versöhnungstodes vernahm, als sein strahlendes Auge Flammen in meiner Seele entzündete, seine stolze Haltung mich unwillkührlich emporzog, [28] er nun mit einer Stimme der edelsten Begeisterung diese Worte des sterbenden Gottmenschen aussprach, und sein ganzes Wesen so deutlich sagte: Auch ich kann so verzeihen – ach, da sprang ich bebend vor Liebe und Andacht auf, und wollte an seine Brust sinken; aber ein scheues Gefühl hielt mich zurück, ich ergriff seine Hand und drückte sie an meine Lippen, an mein Herz. Er verstand mich – o welch' ein Augenblick war dies!

Vorgestern Abends rang ich im heißen Gebet um Kraft zu der bevorstehenden Prüfung, um Geduld und ein kindliches Herz. Müde und weinend schlief ich endlich sehr spät gegen den Morgen ein. Ein lieblicher Traum kam, meine nassen Augen zu trocknen. Ich sah ihn – so hell, so lebendig, wie ich ihn noch nie in meinen Träumen, in denen sein Bild so oft erscheint, gesehen hatte. Ein seltsames Gefühl bewegte mich. Das Bewußtseyn, daß er todt war, und die Ueberzeugung, ihn dennoch vor mir zu sehen, ein geheimes Grauen, und eine unaussprechlich wehmüthige Freude ergriffen wechselweise mein Herz. Ich eilte in seine Arme, und bebte vor dem Gedanken, nur ein Schattenbild zu umarmen. Aber es war kein Schatten, er war es wirklich. Er schloß mich an seine Brust, ich fühlte das Klopfen seines Herzens. Da erhob er die Linke feierlich, und sagte mit seiner schönen Stimme, deren Klang so tief in meiner Seele liegt: Vater! Verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Da blickte ich ihn an und sah sein Gesicht in hoher Verklärung strahlen, allmählig wurde es zu lauter Schimmer – ich wollte, von Grauen und Seligkeit überwältigt, vor ihm niedersinken, und erwachte. Noch lange bebte in meiner wunderbar [29] bewegten Brust der Eindruck des Traumgesichtes nach, und meine Thränen floßen heftig und schmerzlich um den entrissenen Freund, bis mir plötzlich die Bestimmung des kommenden Tages einfiel, und der furchtbare Mann, der mein Vater hieß, und Alles, was ich durch ihn gelitten hatte, was ich noch leiden würde. Da erklang Florianus Stimme wieder in meinem Innersten: Vater! Verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Auf ein Mal fiel es mir wie ein Schleier von den Augen, auf ein Mal war ich wie verwandelt. Ich konnte verzeihen, ich konnte entschuldigen, ich fühlte, daß ich sogar würde lieben können, wo ich bis jetzt nur gezittert hatte. Der Kaiser kannte ja mein stilles Verhältniß nicht, als er mich aus Britannien wegführen ließ, er hat es gut mit mir gemeint, mich nach seinem Begriffe glücklich machen wollen. Ach, es gibt so wenig Menschen, die glücklich zu machen verstehen, so wenig, die es über sich gewinnen können, jene, die sie lieben, nach ihrer Weise froh werden zu lassen! Der Mensch nimmt so gern seine Wünsche zum Maaßstab für die übrige Welt – und wie klein, wie unbedeutend müßte dem Augustus, selbst, wenn er sie gekannt hätte, die Liebesangelegenheit eines jungen Mädchens vorkommen, ihm, der das Wohl und Weh der ganzen Welt in seinem Herzen trägt! So dachte ich, oder vielmehr, so entwickelte der Engel, der mir auf Erden in einer theuern Gestalt erschienen war, der jetzt im Traum vor mir gestanden, und die bedeutenden Worte gesprochen hatte, die Gedankenreihe in meiner Seele. Ja, Theophania! Es war mein Schutzgeist! Um mich den Weg des Heils zu leiten, nahm er einst die schöne Bildung [30] meines Freundes an, und ist jetzt wieder in den Himmel zurückgekehrt, wo ich ihn finden werde, wenn ich seiner würdig bleibe. O Theophania! Laß mir den süßen Glauben – er hält mich aufrecht!

Mir ward leichter um's Herz, nachdem jene Ideen und Empfindungen in mir klar geworden waren. Mit ergebener Fassung, ja sogar mit einer Art von angenehmer Erwartung, den zu sehen, an den mich so heilige Bande knüpften, ließ ich mich mit all' dem Geschmeide belasten, das mein Vater mir gesandt hatte, und folgte meinem Führer in den Palast.

In der Einsamkeit und Einfachheit meiner Kindheit, fern von Allem, was mir richtige Begriffe von dem Leben und Wesen der Großen dieser Erde hätte geben können, standen ihre Bilder, wenn ich sie mir dachte, in beinahe übermenschlicher Hoheit und Glanz vor mir. Als späterhin mein Schicksal von dem Ersten unter ihnen so unsanft berührt, und in den wilden Wirbel der Welt gezogen worden war, da gesellte sich ein Schein von Furchtbarkeit zu jenen riesenhaften Gestalten, und die Herren der Erde erschienen mir mit den Zügen unerbittlicher, strenger Richter. O meine Liebe! Wie so ganz verschieden fand ich die Wahrheit von diesen Bildern meiner Phantasie! In einem Lehnstuhl saß oder lag vielmehr ein kranker abgezehrter Greis, dessen Blick und Haltung eher Alles, als den Gebieter von Myriaden verkündigte. Freilich umhüllte ein Purpurgewand diese zitternden Glieder, aber es schien mit seiner Pracht und jugendlichen Farbe nur dieses Alters, dieser Hinfälligkeit zu spotten. Ist das der Herr der Erde? dachte ich. O Vorsicht! Was sind die Könige vor deinem Thron! Mich bewegte [31] eine seltsame Empfindung, sie war nicht mehr Furcht, sie war dem Mitleid verwandt, und so trat ich ein paar Schritte näher. Da streckte er mir die Hand entgegen, und richtete sich, von Zweien seines Gefolges unterstützt, mühsam auf. Komm, mein Kind! sagte er: komm näher, daß ich dich recht ansehe. Der leise gütige Ton der väterlichen Stimme, die ich jetzt zum ersten Mal hörte, überwältigte jeden Rest von Scheu, ich eilte hinzu, sank vor ihm nieder, und drückte die zitternde Vaterhand fest an meine Lippen, an mein Herz. Ich war zu bewegt, um zu sprechen, und auch mein Vater schien erschüttert. Bald aber faßte er sich wieder, hieß mich aufstehen, und betrachtete mich genau, indem er meine Züge mit einem Bilde verglich, das ihm ein sehr schöner junger Mann, dessen Gesicht ganz allein unter allen, die ich hier sah, einen freundlichen Eindruck auf mich machte, von einem Tische herüber gelangt hatte. Ach, es war wahrscheinlich das Bild meiner nie gekannten Mutter! Der Gedanke ergriff mich sehr, und ich fing an zu weinen. Da winkte mir einer der glänzenden Herren, und ich verstand, daß ich mich bezwingen sollte, weil allzugroße Rührung dem Kranken schädlich seyn konnte. Ich mußte also im ersten Augenblick der Ergießung mein volles Herz verschließen, und meine Thränen verschlingen. Ach, da offenbarte sich der Fluch, der auf Macht und Hoheit liegt, an mir. Ich begann, in meine alten Gedanken zurückzusinken, als mein Vater das Bild bei Seite legte, und mich sehr liebreich über allerlei Umstände meines früheren Lebens befragte, auch mit einer Schonung, für die ich ihm ewig danken werde, Alles vermied, was mich an mein größtes Unglück erinnern konnte. Endlich stellte er mir mit einem [32] bedeutenden aber nicht strengen Blick, den schönen jungen Mann, als meinen Landsmann – Constantin vor. Ach, ich hatte es dunkel geahnet, als ich ihn sah, ich hatte wenigstens gewünscht, ihn so zu finden. Nun ward mir viel leichter. Ich hatte nebst meinem theuern Vater noch ein Herz in dieser freudenlosen Welt gefunden, das Theil an mir nahm, mich verstand, und über das, was mir allein wichtig ist, gleich mit mir dachte.

So endigte der erste Besuch viel besser, als ich gehofft hatte; ich soll nun, so gebeut es mein Vater, ihn täglich besuchen, so lange er in Byzanz bleibt, dann mit ihm nach Nikomedien gehen, und ihn nie wieder verlassen.

Leb' wohl, Theophania! Ich muß mich bereiten, am Hofe zu erscheinen. Einer Kaisertochter wird es nicht so gut, wie der Tochter des gemeinsten Handwerkers, daß sie ihrem Vater unvorbereitet, und mit ihrem alltäglichen Anzuge, an die Brust fliegen könnte.

96. Constantin an Agathokles

96. Constantin an Agathokles.

Nikomedien, im März 305.


Nach einer sehr langsamen, und sehr unangenehmen Reise bin ich endlich vor einigen Wochen mit dem Augustus hier eingetroffen. Sein Zustand ist bedenklich, obwohl für den jetzigen Augenblick ohne Gefahr. Die Aerzte oder vielmehr sein Leibarzt, der durch sie spricht, derselbe, den ihm Galerius überlassen hat, erklären, daß nur Entfernung von allen Geschäften, wenigstens auf einige Zeit, nur vollkommene Ruhe seine ganz zerrüttete Gesundheit wieder herstellen kann. Ob sie in der Tiefe ihrer Kunst, oder in der Politik des Galerius diese Kunde geschöpft haben, entscheide ich nicht. Dieser, der [33] uns von Syrmium auf dem Fuße hierher gefolgt ist, um keinen Augenblick zu versäumen, und überall selbst gegenwärtig zu seyn, steigert seinen Ton und sein Betragen an Bestimmtheit und Hoheit mit jeder schlimmen Nachricht von des Augustus Befinden, und zwischen den Höfen von Nikomedien und Mailand waltet ein ununterbrochener Briefwechsel.

Nicht umsonst wird Salona, wie ich mich selbst überzeugt habe, mit kaiserlicher Pracht erbaut und eingerichtet. Es ist ein äußerst lieblicher Aufenthalt, reizend zwischen sanften Hügeln und dem Meer, in der schönsten Gegend von Dalmatien gelegen. Diocletian schien mit auffallender Vorliebe und allem Eifer, den ihm seine Schwachheit übrig ließ, die Vollendung dieses Baues zu betreiben, der so ganz das Gepräge einer stillen Freistatt nach den Stürmen und Mühseligkeiten eines thatenvollen Lebens trägt. Ich sehe im Geiste Alles vor, es ist, als ob eine geheime Stimme mir es zuflisterte. Freiwillig oder halbgezwungen, aus Philosophie, oder um das untergehende Gestirn dem bösen Einfluß des gewaltsam empordringenden zu entziehen, wird Diocletian die Zügel der Regierung niederlegen, Galerius – Augustus heißen, und wie Diocletian, Herr der Welt seyn wollen. Auch spricht man am Hofe und in der Stadt zu viel, zu allgemein, zu laut von dieser wahrscheinlichen Zukunft, als daß dies Gerücht blos der aufgetriebene Schaum des Müßigganges und der Langeweile seyn sollte, die schon so manches Gerede erzeugt haben. Heimliche Boten sind ausgesendet, um im Gespräch gleichsam zufällig die Nachricht zu verbreiten, und die Welt auf das seltsam wichtige Schauspiel vorzubereiten. Man erwartet das jüngst [34] kaum Geglaubte, das halb Unmögliche, fast schon als gewiß. Der Ehrgeiz, die Ruhmsucht, der Eigennutz in seinen innersten Tiefen durch neue Hoffnungen, Besorgnisse und Aussichten geweckt, kommt in gährende Bewegung, die Neugierde zermartert sich in Vermuthungen und Erwartungen, und der müßige Pöbel des Hofes und der Stadt sieht mit gespannter Aufmerksamkeit dem großen Ereigniß, wie einem interessanten Schauspiel, entgegen, von dem er sich Zerstreuung und Zeitkürzung erwartet. So stehen die Sachen hier. Seit dem diese Gerüchte anfangen laut zu werden, und vom Hofe aus ihnen Niemand widerspricht, handelt und befiehlt Galerius als Einer, der bald allein zu handeln und zu befehlen haben wird. Er möchte sich doch verrechnet haben. Der Titel eines morgenländischen Augustus enthält noch nicht den Titel des Herrschers der Welt, nicht jeder Augustus ist ein Diocletian, und gerechte Ansprüche zu sichern, und von ihnen geleitet und geschützt so weit zu gehen, als Sterblichen möglich ist, ist der hohe Beruf, den die Natur in manche Seelen legte, und den zu überhören, sie eben so unwürdig als unmöglich dünken würde.

Was mein Vater für mich im Stillen bereitet hat, was mir aus jenen Gegenden droht, und was ich dort durch seine und deine rastlose Sorge und Anstrengungen zu hoffen habe, habe ich theils durch deine geheimen Briefe, die mir der treue Vipsanius aus Laureacum brachte, theils durch die mündlichen Nachrichten erfahren, die mir die edle Valeria, als das letzte Vermächtniß ihres und meines sterbenden Freundes, mitgetheilt hat. Ich habe sie in Byzanz gesehen, und auf den ersten Blick die Landsmännin in ihr erkannt. Sol che schlanke weiße Gestalten, [35] so gelbes Haar, so dunkelblaue Augen erzeugt nur Britanniens lieblich düsterer Himmel. Sie ist sehr unglücklich. Eine ihrer ersten Bitten an mich, dem sie als einem Bruder sich mit schöner Zuversicht offen nahte, war, wenn sie stürbe, ihre Ueberreste nach Laureacum zu senden, und sie an unsers verehrten Lehrers Seite begraben zu lassen. Sie scheint nur Raum für diesen Gedanken zu haben, und in ihm allen Trost zu finden, dessen ihre Lage fähig ist. Schmerzlich hatte ihr Anblick, ihr Gespräch jene alten Wunden wieder in mir erneuert, ihr Umgang mich weich und wehmüthig gestimmt, und ich fand es bald nöthig, meine Einbildungskraft mit Gewalt von diesen Bildern abzuziehen, deren lähmende Wirkung ich mit Verdruß in meiner Empfindungs-und Handlungsweise empfand. Die hiesigen Angelegenheiten boten mir bald würdige Gegenstände, und Valeria, die ich übrigens so sehr achte, als es ihre Vorzüge und ihr Unglück verdienen, wird mich, wie ich hoffe, nicht verkennen, und nicht glauben, daß das Andenken unsers verklärten Freundes darum in meiner Seele schwächer fortlebt, weil ich selten und mit mehr Ruhe, als sie vermag, von ihm spreche.

So wie es scheint, haben ihr wirklich großer Reiz und ihre sanften Tugenden das Herz ihres Vaters ganz gewonnen; man sagt, er denke sie in seine Einsamkeit mit zu nehmen, und habe sie deßwegen schon vor einem halben Jahre zu sich kommen lassen, und als seine Tochter anerkannt. Ein neuer Beweis, daß der Plan, dem Throne zu entsagen, schon lange in seiner Seele gelegen, und er Alles geheim und langsam dazu vorbereitet hat. So handelt der kluge, der vorsichtige Mann, und gibt uns ein nachahmungswürdiges Beispiel. Auch wir sollen langsam [36] und geheim bereiten, was der entscheidende Augenblick plötzlich in seiner ganzen Größe und Vollendung der erstaunten Welt enthüllen muß. Hindernisse spornen den Eifer, und wichtige Gegner lehren uns unsre Blicke schärfen, und alle Kräfte anstrengen, in deren lebendiger Thätigkeit dem rüstigen starken Mann erst recht wohl wird. Galerius ist auch thätig, ich weiß es wohl, aber jeder Augenblick wird zeigen, wer sichere, und bessere Maaßregeln genommen hat.

Sende mir das nächste Mal Nachricht, wie es mit den Legionen steht, die mein Vater in Britannien bei sich hat. In Gallien sind mehrere Legionen, theils Römer, theils Eingeborne zerstreut, auf deren Treue ziemlich sicher zu zählen ist, und die sich, wenn es nöthig ist, leicht versammeln lassen. Es muß auf Alles gedacht, nichts dem Zufalle überlassen, und auf den schlimmsten Fall uns ein würdiger Rückzug gedeckt seyn, der keiner Flucht gleiche, und uns nur die Muße verschaffe, mit erneuerter Kraft einst wieder hervorzutreten. Auch in Italien habe ich meine Zeit nicht vergebens zugebracht. Unter Maximians Augen in seinen Provinzen wird, ohne daß er es ahnet, an dem Plane gearbeitet, dessen Vollendung den Erdkreis neu gestalten soll. Der römische Senat hat längst aufgehört zu seyn, in dem Sinne, in welchem ihn einst die versammelten Vater und der staunende Erdkreis kannten. Warum sollen wir aus altem Wahn, oder unzeitiger Schonung eine Form behalten, die längst nichts mehr als eine leere Hülle ist, aus der der Geist entfloh? Der römische Staat ist reif zur Wiedergeburt; so werde er wiedergeboren, und eine neue Aera 1 beginne für die erneuerte Welt.

[37] Vor allen Dingen ist es nöthig, um jede Wurzel des Alten zu vertilgen, daß der Sitz des Reichs an eine neue Stelle komme. Dein Vorschlag wegen Byzanz scheint mir sehr klug und ausführbar. Ich habe an Ort und Stelle Alles überlegt und bedacht, was du mir früher schriebst. Wie gar kein anderer Punkt in der Welt eignet sich dieser zur Hauptstadt des Ganzen, hier, wo zwei Erdtheile einander berühren, und das freie Meer ein unmittelbares Verkehr mit dem Dritten eröffnet. Aber – Eine Hauptstadt – Ein Reich – Ein Herrscher – Ein Gott!

Ganz neu muß Alles werden, und von dem Alten auch keine Spur mehr übrig bleiben, die zur Vergleichung mit Ehemals oder zum Schlupfwinkel für Widerspenstige dienen könne. Erstaunt und betäubt sollen sie sich zuerst in der neuen Schöpfung umsehen, und dann, bis sie sich erholt haben, wird die neue Ordnung ihnen nicht mehr fremd seyn. Nur so kann man hoffen, den Keim alles alten Unglücks, das Schwankende der Verfassung, und die tausend Mißverhältnisse einer getheilten Gewalt zu heben.

Wenn dann die alte Regierungsform mit kühner Hand zerschlagen ist, folgen ihr die zertrümmerten Götzenbilder und Altäre, und ein neuer würdiger Cultus erhebe sich über der gereinigten Erde.

So steht das Bild vor mir, groß, erhaben, und alle Kräfte aufzubieten, die mir zu Gebote stehen, ist mir nicht allein Freude, ist, wie ich glaube, Pflicht, vom Schöpfer mir auferlegt, der mit diesen Kräften mir auch den Beruf zu diesem Werke gab. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Zeitrechnung.

97. Tiridates an Constantin

[38] 97. Tiridates an Constantin.

Amida, im März 305.


Die wichtigen Ereignisse, die sich bei Euch in Nikomedien zubereiten, und die noch wichtigeren Folgen, die daraus entspringen können, haben mich bestimmt, nach Bithynien zu gehen, wo ich in ungefähr acht Tagen einzutreffen hoffe. Die Gunst und die Macht des Cäsar Galerius hat bisher meine Rechte unterstützt und aufrecht erhalten; es kann seyn, daß der künftige Augustus dieselben Gesinnungen beibehält, aber es kann auch seyn, daß Politik oder Laune ihn umstimmen, und so glaube ich, daß es auf jeden Fall gut ist, bei der wichtigen Catastrophe gegenwärtig zu seyn. Dir, mein Constantin, brauche ich die unbestreitbaren Ansprüche eines eingebornen Fürsten auf den Thron seiner Voreltern nicht an's Herz zu legen. Nicht blos deine Gesinnungen gegen mich, auch deine Denkart im Allgemeinen bürgt mir dafür, daß du sie jederzeit ehren und anerkennen wirst; und so kann ich auch, ohne den Vorwurf der Heuchelei zu verdienen, dich versichern, daß ich es für eine sehr günstige Wendung des Schicksals ansehen würde, wenn es dich bei den bevorstehenden Veränderungen an einen Platz stellen möchte, auf dem dein gerechter Sinn, deine Klugheit und Kraft, die Macht des römischen Staates aufrecht erhalten, und die Ruhe der letzten zwanzig Jahre fortsetzen kann.

Meine Calpurnia war sehr vergnügt, als ich ihr meinen Entschluß mittheilte. Die Aussicht, ihren Vater, ihren Bruder, so viel werthe Freunde wieder zu sehen, erfüllte sie mit so reger Munterkeit und Thätigkeit, daß sie selbst unter ihren Augen alle Anstalten zur Abreise [39] treffen ließ. Wir sind in Amida, wie du aus der Ueberschrift des Briefs gesehen hast, und folglich an der Grenze des Reichs. Sobald Calpurnia und mein Sohn, den ich mitbringe, sich in etwas von den Beschwerden einer schnellen Reise erholt haben werden, setzen wir sie ununterbrochen fort, und denken in wenig Tagen dir mündlich zu sagen, wie sehr wir Beide dich lieben und schätzen. Leb' wohl!

98. Agathokles an Constantin

98. Agathokles an Constantin.

Laureacum, im März 305.


Ein sehr verläßlicher Bote bringt dir diesen Brief, er enthält die näheren Angaben von Allem dem, was du zu wissen verlangst, und was dein Vater dir melden läßt. Alles ist bereit, der Legionen in Gallien, Spanien und Britannien bist du durch deinen Vater sicher, hier in Noricum, durch Pannonien und ganz Dacien ist so viel geschehen, als möglich war, und du wirst mit mir zufrieden seyn. Die Christen, die sich unter ihnen befinden, bindet Religion und gerechter Haß gegen ihren Verfolger Galerius an dich, die übrigen zieht das Beispiel der größern Anzahl und mehr noch die Zuversicht auf den jungen muthigen Führer dir nach, dessen Heldenthaten die Fama von Carrhäs Gefilden, und aus den Gebirgen von Armenien bis hierher geschäftig trug. Sobald Diocletian den Purpur ablegt, und Maximian, wie es allgemein heißt, zu einem gleichen Schritte bewegt oder zwingt, sind dein Vater und Galerius Augustus, und du der Sohn des abendländischen, sein geborner, berufener, würdiger Cäsar. Mag Galerius sich in den Morgenländern, [40] oder unter den illyrischen Bauern 1 einen Nachfolger wählen, du hast ihn nicht zu fürchten. Der Geist der Zeit, der sich allmählig vom Heidenthume zu einer vernünftigen Religion hinüber neigt, ist auf deiner Seite, er kämpft mit deinen Schaaren, er zieht die Menschheit in dein Interesse, und vergebens stemmt die alte morsche Form sich das letzte Mal gegen die siegende Gewalt des bessern Neuen. Ja, er wird ausgeführt werden der schöne große Plan, den wir in stillen Stunden der Begeisterung entworfen; stolz blickt mein Geist auf den Antheil hin, den meine Anstrengung, meine Thätigkeit daran hatte, und nichts – gar nichts auf der Welt würde mir zu kostbar seyn, um es nicht mit Freuden für die Sicherung desselben hinzugeben.

Seit ich den edlen Florianus sterben sah, schwebt das Bild – nicht der Marterkrone im gewöhnlichen Sinn, wie es oft übelverstandner Eifer und falscher Religionsbegriff sich ausmalt – nein, eines freiwilligen Todes zum Besten der Menschheit, zur Sicherstellung und Ausführung eines großen, beglückenden Werkes mit schimmerndem Glanz vor meiner Seele.

Wie ich meine Theophania liebe, was sie mir ist, weißt du, und was ein Sohn, vom ihr geboren, meinem Herzen seyn kann, welche Begriffe ich von meinen Vaterpflichten habe, kannst du dir denken, ohne daß ich nutzlose Worte verschwende. Mein ganzes Erdenglück ruht auf ihnen; so lange ich sie besitze, bin ich sicher, in jeder Lage [41] glücklich zu seyn, ohne sie ist keine Macht der Welt, keine Hoheit, keine Gewalt vermögend, mein Herz auch nur einen Augen blick zu rühren. Dennoch – ich habe mich geprüft, strenge, oft – in der Einsamkeit, und wenn ich sie in meinen Armen hielt – es gibt ein höheres, ein größeres Gut, um dessentwillen ich auch ihnen entsagen könnte! Vielleicht traue ich mir zu viel zu, und fern sey der Frevel von mir, das Schicksal auf diesen blutigen Kampf herauszufordern; aber ich glaube, ich würde Kraft haben, sie zu opfern, wenn ich mit Ueberzeugung die Nothwendigkeit davon einsähe. Ich glaube – aber ich bete, Constantin! daß mich die Vorsicht nicht auf diese schreckliche Probe setze – mein Herz würde durch ihren Verlust eher brechen, als durch den Todesstreich.

Ich darf keinen dieser Gedanken laut werden lassen, Theophaniens zarte Seele hat in jener Zeit, wo Florianus Tod uns Alle weich und finster stimmte, nur zu viel in der meinigen gelesen. Sie versteht mich so ganz, daß es keines Wortes, keiner noch so leisen Aeußerung bedarf, um Alles zu wissen, was in mir vorgeht. Ja, aus Einem Stoffe, aus denselben Fäden sind unsre Herzen gewoben, und keiner kann in dem Einen erschüttert werden, ohne daß sie alle in dem Andern mit beben. Das macht jetzt unser höchstes Glück, und macht vielleicht einst das Unglück desjenigen, dem die Vorsicht ein längeres Leben bestimmt.

Du, mein Constantin, bist glücklich oder weise genug, nichts von diesen Gefühlen zu wissen. Zu einem andern Zwecke bestimmt, hat dich der Schöpfer mit andern Gaben ausgerüstet, auf einen andern Platz gestellt, den du würdig und allgemein beglückend behaupten wirst. Das [42] ist mir entschieden gewiß, und so darf ich dir nichts empfehlen, als was eben größeren Gemüthern oft so nöthig ist, Vorsicht, und kluge Schätzung möglicher Gefahren. Sollte der Augustus den entscheidenden Schritt wirklich thun, dann bedenke, daß dein alter Feind unumschränkter Herr in jenen Gegenden wird, daß du sein erster, aber immer sein Unterthan bist, und was dem freisteht, der mit der höchsten Gewalt zügellose Rachbegierde und offene Verachtung alles desjenigen verbindet, was dem Menschen theuer und heilig ist. Sichre dir eine schnelle Flucht, und bestimme über mich und Alles, was mein ist, zur Ausführung jedes deiner Plane. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Diocletian und Maximian waren ihrer Herkunft nach Illyrische Bauern, wie denn überhaupt sehr viele Kaiser jener Zeit aus den untersten Ständen waren.

99. Constantin an Agathokles

99. Constantin an Agathokles.

Nikomedien, im März 305.


Es ist entschieden. Diocletian legt den Purpur ab. Was hier noch vorgefallen ist, um ihm diesen Entschluß, der vielleicht bei zunehmender Krankheit seit längerer Zeit in seiner Seele lag, so schnell, so plötzlich zu entreißen, vermag Niemand mit Gewißheit zu bestimmen. Galerius hat viele – lange, und öfters heftige Unterredungen mit ihm gehabt. Genug, der erste Mai ist zu dem feierlich ernsten verhängnißvollen Schauspiel bestimmt. Von allen Seiten zieht Neugier, Erwartung, Furcht und Hoffnung, Fremde und Einheimische in die Stadt. Auch der edle König von Armenien ist mit seiner Gemahlin von zwei Tagen hier angelangt. Sie ist, das sage ich dir im Vertrauen, und um dich zur nöthigen Stärke aufzufordern, falls noch ein Ueberrest alter Neigung in dir wohnt – schöner als je, besonders in der üppigen reichen Kleidung ihres neuen Vaterlandes. Er sieht mit [43] Grund den Folgen des wichtigen Ereignisses nicht ohne Besorgniß entgegen. Was ist sich von der alten Zuneigung eines Mannes, wie Galerius, zu versprechen, der mehr als das Interesse eines Bundesgenossen, der das Wohl des eigenen Staats – seinen wilden Begierden zu opfern im Stande wäre? Ich werde mich verwahren; das habe ich längst als höchst nöthig erkannt, das hat deine treue Bruderliebe mir neuerdings an's Herz gelegt. Auch sind schon alle Anstalten getroffen. So wie Diocletian vom Throne steigt, und dem Galerius die Zügel übergibt – ist Nikomedien kein sicherer Aufenthalt mehr für mich. Du aber komm, komm schnell, du mußt Zeuge jenes Tags seyn, du mußt hier zurückbleiben, um für mich zu wirken, wenn meine persönliche Sicherheit mich des Galerius gefährliche Nähe fliehen heißt. Die beigeschlossene geheime Schrift enthält alle Maaßregeln, die du auf dem Wege hierher für mich zu treffen hast, damit ich denselben Pfad zurück bis nach Britannien sicher und schnell machen könne, wo ein geliebter Vater mir wichtige und würdige Geschäfte bereitet hat. Ich erwarte und bitte dich, in so kurzer Zeit, als möglich ist, mit Theophania und deinem Sohne den Weg von Laureacum bis hierher zu machen. Leb' wohl.

100. Theophania an Junia Marcella

100. Theophania an Junia Marcella.

Byzanz, im April 305.


Da bin ich wieder, im Angesichte des theuern Vaterlandes. Gegen mir über liegt die Küste von Bithynien. Bald, in wenig Stunden werde ich sie betreten, und ein geheimer Schauder ergreift mich bei dem Gedanken an Alles das, was ich dort schon erfahren habe, was ich [44] vielleicht noch zu erfahren haben werde. Warum kann ich mich nicht freuen? Warum erfüllt, was ich von der nächsten Zukunft weiß, die Abdankung des Diocletians, Constantins Maaßregeln, seine hochfliegenden kühnen Plane mein Herz mit geheimer Angst? Ach, Agathokles und sein Wohl, und so auch das meine sind zu tief, zu innig mit Allem diesem verwebt, um mir einen freien, frohen Blick in die wildverworrene Ferne zu gestatten. Dunkle Gestalten regen sich im Hintergrunde, wilde Leidenschaften gähren sich in grauenvoller Stille, und nur das Auge, vor dem die Nächte sonnenhell, und tausend Jahre wie einer unserer Tage sind, weiß, wie sich diese düstere Zukunft entwickeln wird.

Ach wie glücklich war ich in Synthium! Warum konnte ich es nicht lange, nicht immer bleiben? Ich erkenne die Würdigkeit des Zweckes, den Constantin und Agathokles sich vorsetzen, ich muß ihre Anstrengungen loben, ihre Maaßregeln billigen, aber ich fürchte, mein stilles Glück geht in dem großen Kampf gewaltiger Massen unter.

So werde ich Nikomedien nicht mit fröhlichem Herzen wiedersehen, und unter trüben Vorbedeutungen naht sich mir zum zweiten Mal der Zeitpunkt, der jedem Weibe so wichtig ist, der jedes Mal über Leben und Tod entscheiden kann. Sollte ich dies Mal minder glücklich seyn, als das erste Mal? Sollte das neugeborne, und das noch kaum lallende Kind mutterlose Waisen werden? – O die Trennung von ihnen und Agathokles ist das Einzige, was mir jenen düstern Uebergang schrecklich machen könnte. Ich kann hier nicht glücklich seyn ohne sie – wie könnte ich dort der Seligkeit genießen?

[45] Und wenn Gott über mich gebeut – mit schaudernder Ergebung unterwerfe ich mich – dann sey du meinen Verlassenen Mutter, bis ihre reifern Jahre sie zu keiner unerträglichen Last mehr für ihren theuren, unglücklichen Vater machen.

Ich werde ruhiger sterben, wenn diese Aussicht mir die Trennung von meinen Lieben versüßt, ich werde mit dem Gefühl erfüllter Pflicht sterben, mit dem der Krieger im Schlachtfeld fällt. Ich sterbe in und wegen meiner Pflicht. So wenigstens erscheint mir der Tod eines Weibes über der Geburt eines neuen Menschen, eines Weltbürgers, eines künftigen Christen.

Leb' recht wohl, meine Geliebte! Aus Nikomedien schreibe ich dir nächstens, und ausführlicher. Unsere Reise gleicht diesmal einem Fluge, und schon kömmt man, mich zu ermahnen, weil das Schiff, das uns an's bithynische Ufer bringen soll, die Segel lösen will. Leb' wohl!

101. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

101. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Nikomedien, im April 305.


Die Würfel liegen, die Hand des Zufalls greift nach der Scheere, um das letzte Haar abzuschneiden, welche das bloße Schwert über den wichtigsten von Galerius Feinden aufgehoben hält. Doch ohne Bilder, mein Freund! denn ich liebe sie nicht, weil sie mich unbequem dünken, meine Gedanken, die nichts als klare Wahrnehmungen enthalten, auszudrücken. Im vergangnen Monat hat sich der kaum hergestellte Kaiser dem Volke zum ersten Mal wieder gezeigt, und wer ihn lange nicht sah, hatte Mühe, ihn wieder zu erkennen. Seine Gesundheit ist ganz zerrüttet, seine Kraft gebrochen, dieser Schatten des [46] ehemaligen Diocletians taugt nicht mehr zu dem Geschäfte, das einen starken Arm und ungeschwächten Muth fordert. Er fühlt es, oder ist klug genug zu thun, als fühle er's, und – legt die Regierung nieder. Die Welt wird das lächerlich ernste Schauspiel als eine Wirkung hoher Philosophie, einer ruhmwürdigen Gleichgültigkeit gegen die höchsten Güter der Erde anstaunen, die Klugen werden insgeheim lachen oder fürchten, je nachdem sie zu einer Partei gehören, und Galerius allein gewinnt, denn seine Plane sind ausgeführt, und das still bereitete Werk mancher Jahre ist nun reif. Maximian wird mit Diocletian zugleich den Purpur ablegen, Constantius ist nicht zu fürchten, so bleibt Galerius die Herrschaft über die Welt so ziemlich sicher und allein, wenn Einer, nur Einer noch aus dem Wege geräumt ist, den seine Geburt, und mehr noch als diese, ein unternehmender Ehrgeiz zu einem fürchterlichen Nebenbuhler machen, obwohl er bis jetzt seine Plane und Ansprüche unter dem Schein vollkommener Ruhe und Gleichgültigkeit verbirgt. Er ist sein, doch gibt es Menschen, die ihn durchschauen, denn was hätte nicht schon Gold und Bestechung geoffenbart und bewirkt! Er muß fallen, wenn Galerius sicher seyn soll – er wird fallen, denn er ist in der Hand seines Feindes, und dieser Feind ist in wenig Tagen unumschränkter Herr der Erde.

Das ist er klug genug, selber zu berechnen, und darum hat er seine Anstalten sehr zweckmäßig gemacht. Jetzt, mein Freund! ist es für dich Zeit zu wirken, und deinen bescheidnen Theil an dem großen Plane zu nehmen. Wir wissen, daß in Chalcedon Anstalten zur heimlichem Abreise, oder vielmehr zur Flucht einer bedeutenden Person gemacht [47] werden; es ist ein Schiff bereit, und in dem Hause eines gewissen Clemens, bei welchem sich seit jenem Edicte die Christen zuweilen versammeln, sind Vorkehrungen zu ihrem Empfange getroffen. Ueberdies wissen wir, daß in Constantius Ställen beständig gezäumte Pferde stehen. Wenn es Zeit seyn wird, soll ein fliegender Bote dich benachrichtigen. Du als Präfect von Chalcedon umringst mit deiner Wache das Haus, in welchem gesetzwidrige Versammlungen gehalten werden, und was sich darin befindet, ist dein Gefangener. Du erstaunst über die Bedeutenheit der Person, von deren Anwesenheit du keine Ahnung gehabt hast, und wenn er entlassen zu werden fordert, so entschuldigst du dich mit der Strenge deines Befehls, und der Sonderbarkeit des Falles. Du versprichst in aller Demuth, sogleich nach Nikomedien zu schreiben, thust es auch, und für das Uebrige laß uns hier sorgen. Er soll Britannien, ja die Küste von Europa nie wieder sehen. Nun leb' wohl, mache deine Sachen geschickt, und rechne auf die Dankbarkeit des künftigen Augustus.

102. Calpurnia an ihren Bruder Lucius

102. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im Mai 305.


Das große Schauspiel ist vorüber, auf welches die Welt seit ein paar Monaten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit wartete. Heute Morgens waren die Einwohner von Nikomedien, viele Fremde, die die Neugier oder Privatabsichten hierher gezogen haben, der ganze Hof, die Priester, die öffentlichen Autoritäten, Alles in größtem Schmucke auf einer weiten Ebene vor der Stadt versammelt. Für die Augusta, des Cäsars Gemahlin, ihre Tochter, mich [48] und einige angesehene Matronen war ein eigner Ort bestimmt, wo wir unbelästigt von dem Gedränge zusehen konnten. Das Erste, was mir hier in die Augen fiel, war Theophania, und an ihrer Seite ein sehr schönes, aber blasses Mädchen, Diocletians neue Tochter Valeria. Wir begrüßten uns als alte Bekannte, sie war erst vor ein paar Tagen aus den Abendländern hier angekommen, und eben so wie ich mit dem, was heute geschehen sollte, angelegentlich beschäftigt. Nur nahm sie nach ihrer Weise die Sache sehr ernsthaft, und schien eine böse Zukunft zu fürchten. Uebrigens ist sie, das sieht man in jedem ihrer Blicke, in jedem Worte, noch unaussprechlich glücklich, sie hat einen Sohn von ungefähr anderthalb Jahren, und sieht der Ankunft eines zweiten Kindes entgegen. Indessen wir schwatzten, kam der Wagen des Augustus langsam von der Stadt herab gefahren, von einer Menge Männer zu Pferde begleitet. Galerius, Tiridates, Constantin und Agathokles waren unter ihnen. Ich hatte diesen seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, ich bin verheirathet nach meinem Wunsche, mit einem würdigen Gemahl – warum klopfte mein Herz dennoch, als ich ihn von seinem muthigen Rosse, das sich unter ihm bäumte, abspringen, und in der schimmernden Rüstung stolz und ernst seinen angewiesenen Platz einnehmen sah? Seltsame Bewegung, wunderbarer Zug des Herzens, dessen ich nie ganz mächtig werden kann.

Jetzt war der Wagen des Augustus an der Tribüne angekommen, die für ihn bereitet war. Von zwei Personen unterstützt, stieg er mühsam die wenigen Stufen hinan, und hielt eine wohl ausgesonnene, und wie mir schien, künstlich geordnete Rede an's Volk; er erinnerte [49] es an die mancherlei Wohlthaten, die es in der langen Zeit seiner Regierung genossen hatte, an die gewonnenen Schlachten, den Triumph über die Perser u.s.w. Er hielt öfters inne, ob aus Schwäche, oder um zu sehen, welche Wirkung seine Rede machen würde, weiß ich nicht. Sie machte keine, oder wenigstens nicht die, die er vielleicht erwartet hatte. Keine Stimme erhob sich, ihm zu danken, kein Mensch schien an dem Vorgange ein anderes Interesse als das der Neugier zu haben. Endlich kam er auf seinen jetzigen Zustand, und die Unmöglichkeit, mit so geschwächten Kräften länger die große Last der Staatsverwaltung zu tragen, er kündigte seinen Entschluß an, sich dieser Bürde zu entziehen, und das Ruder des Staates jüngeren, stärkeren Händen anzuvertrauen. Er hielt von Neuem inne – es regte sich Niemand. Da rief er den Cäsar Galerius zu sich, stellte ihn dem Volke als den künftigen Augustus vor, zog den Purpur aus, mit dem er sogleich seinen Nachfolger bekleidete, und verließ die Tribüne. Nun erhob sich ein lautes Beifallrufen, von dem man nicht recht wußte, ob es der Abdankung des alten, oder der Wahl des neuen Augustus gelte. Galerius nahm auf der Stelle den Platz seines Vorfahrers ein, dieser stieg mit seiner Tochter in den Wagen, und fuhr schnell in die Stadt zurück, wo bereits Alles zu seiner schleunigen Abreise nach Salona bereitet ist.

So endigte die große Komödie, und ich muß dir bekennen, daß sie meine Achtung für das Menschengeschlecht nicht vermehrt hat. Ueberhaupt habe ich, seit der Zufall mich zur Gattin eines Königs machte, in dieser Rücksicht widerliche Erfahrungen gemacht, und meine kalte, nüchterne Ansicht der Welt ist noch viel kälter geworden. [50] Wie armselig sind die meisten Menschen! An was für elenden Faden werden sie gezogen!

Wäre ich vielleicht nicht glücklicher gewesen, wenn ich das nie erkannt hätte? Es gibt doch menschliche Verhältnisse, wo die Verächtlichkeit des Geschlechts sich nicht so unverhüllt zeigt, wie an Höfen, wo vielleicht bei wenigeren Anlockungen auch weniger Böses geschieht, und unversucht sich stille Tugenden entwickeln. Ein solches Loos hätte einst mein werden können, wenn nicht ein neidisches Schicksal mich tückisch verfolgt hätte. Ich bin nicht unglücklich, aber ich kann der Erinnerung nicht verbieten, zuweilen ihren welken Blumenkranz neben meine schimmernde Thiare zu legen, und verborgner Schmerz im Innersten meiner Seele löst sich dann in einen Seufzer auf.

103. Agathokles an Phocion

103. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Mai 305.


Nun ist der wichtige Schritt geschehen. Gestern Morgens hat Diocletian auf eine sehr feierliche Art der Regierung entsagt, und den Purpur an Galerius übergeben, und diese Nacht ist Constantin von hier fort. Eher war es nicht möglich, ohne auffallend Verdacht zu erregen, und morgen möchte es vielleicht nicht mehr möglich seyn, weil Galerius bereits Schritte gethan hat, um sich seiner Person zu versichern. Um die Rechtmäßigkeit selbst, um den Vorwand zu dieser empörenden Greuelthat kümmert sich ein Augustus, wie der, nicht, und die Geschichte liefert genug Beispiele solcher Thaten, wenn Beispiele ein Verbrechen entschuldigen können. Die Anstalten zu Constantins Entweichung sind zweckmäßig getroffen, und ich [51] erwarte mit Ungeduld einen Boten aus Chalcedon, der mir die Nachricht bringen soll, daß er das Schiff bestiegen hat. Von Byzanz aus ist sodann Alles geheim bereitet. Nichts wird seine Reise aufhalten, er kann ungehindert bis nach Lutetien 1, oder nach Eboracum gelangen, wo immer er seinen Vater zu treffen hofft, und dieser wird als Augustus den Sohn zum Cäsar ernennen. So ist dann die nothwendige erste Stufe erstiegen, und das Künftige wird Klugheit und Glück sichern.


Am andern Tage.


Der Bote von Chalcedon ist noch nicht zurück. Dreißig tödtlich lange Stunden sind vorüber, er könnte längst da seyn. Meine Brust ist voll banger Unruhe, und trübe Ahnungen sinken, wie Mitternächte, über meinen Geist herab. Was ist geschehen? Was haben wir zu fürchten? Ich sende den Brief nicht ab, bis ich dir etwas Bestimmtes sagen kann. Gott gebe, daß es nichts Schlimmes ist.

Fußnoten

1 Lutetiä, das heutige Paris.

104. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus

104. Marcius Alpinus an Lucius Scribonianus.

Nikomedien, im Mai 305.


Der Vogel geht in die Schlinge. Nun ist es an dir, sie geschickt zuzuziehen. Der Bote, der dir diesen Brief bringt, ist um einige Stunden vor Constantin voraus. Er bildet sich ein, den Augustus überlistet zu haben, und wir lassen ihm die Freude, sich eine Weile an dem stolzen Gedanken zu ergötzen. Einige Drohungen, und ein ziemlich merklicher Versuch des Galerius, ihn mit Gewalt hier zu behalten, haben seinen Entschluß bestimmt. [52] Du ergreifst ihn, und schickest ihn unter starker Bedeckung, und unter dem strengsten Geheimniß zurück; denn das Volk liebt ihn, und die Armee hängt an ihm. Leb' wohl.

105. Theophania an Phocion

105. Theophania an Phocion.

Nikomedien, im Mai 305.


Einschluß in dem hundert und dritten Briefe.


Alles ist verloren, Phocion! Was wird aus uns, was wird aus meinem Gemahl, meinen Kindern werden? Constantin ist in Chalcedon ergriffen, und vor einer Stunde gefesselt, und stark bewacht in den kaiserlichen Palast zurück gebracht worden. Ein vertrauter Sclave brachte Agathokles diese Nachricht. Ich sah ihn erbleichen, zittern, ohne Laut, ohne Antwort auf alle meine Fragen riß er sich von mir los, und ging auf sein Zimmer. In einer halben Stunde ungefähr kam er verstört und todtenbleich zurück, drückte mich und sein Kind heftig, fast schreiend an seine Brust, und trug mir auf, den Brief zu schliessen, und dir zu melden, was vorgefallen ist. Kein Bitten, kein Fragen hielt ihn auf. O mein Gott, was soll das bedeuten! Ich thue, was er mir befahl; aber meine Hand zittert, indem ich den Brief schließe.

106. Calpurnia an ihren Bruder Lucius

106. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im Mai 305.


Welche unerhörte Sachen geschehen hier! Es ist, als ob man sich den Mauern dieser unseligen Stadt nur nähern dürfte, um sogleich in den Strudel der Verwirrung, [53] der Angst und Qual gezogen zu werden, der den größten Theil der Einwoher immerwährend mit sich fortreißt. Ach, Bruder, mein Herz hat richtig geahnet, und richtig empfunden, als es beim ersten Anblick des unvergeßlichen Freundes stärker als je bei eines andern Mannes Anblick schlug! Was habe ich um seinetwillen schon gelitten! Was werde ich noch zu leiden haben! Der Streit zwischen Constantin und Galerius ist offenbar ausgebrochen – dieser hat Jenem, wie man sagt, nach dem Leben gestrebt. Constantin ist hierauf entflohen, aber in Chalcedon ergriffen, und wieder nach Nikomedien gebracht worden, und Galerius hat einen lauten Schwur gethan, ihn öffentlich hinrichten zu lassen. So standen die Sachen gestern. Agathokles hört diese Nachricht – er erkennt die Gefahr seines Freundes, und reißt sich aus den Armen eines geliebten Weibes, aus dem Schooße des häuslichen Glückes, besticht die Wachen, die den Constantin lieben, und ohnedies den verehrten Feldherrn unwillig in dem schmählichen Gefängnisse und zum Tode bestimmt sahen, und beredet diesen, an seiner Statt und in seinen Kleidern den Kerker zu verlassen, indem er sich für ihn dem Tode weiht. Constantin nimmt das ungeheure Opfer an, entflieht, und ist jetzt schon vielleicht in Byzanz. Galerius wüthet über den Betrug, der ihm gespielt wurde, und hat öffentlich erklärt, daß kein Mensch bei Lebensstrafe sich erkühnen dürfe, auch nur ein Wort für Agathokles Leben zu sprechen, den er jetzt noch ärger als Constantin haßt, und zu verderben geschworen hat; und der schändliche Marcius Alpinus unterläßt nichts, was in seiner Macht steht, um die alte Nache am Agathokles zu kühlen. So wird der edelste Sterbliche, den ich je[54] gekannt, ein Opfer seiner überspannten Begriffe, und der Bosheit niedriger Menschen, und es übrigt kein Strahl von Hoffnung, um ihn zu retten.

Vorgestern noch war er bei mir, so fröhlich, so heiter, daß unwillkührlich die schönen Stunden in Rom vor meine Seele zurückkehrten – und heute? Tiridates war der erste, der die Schreckensbotschaft hörte. Agathokles fand die Möglichkeit, einen Soldaten von der abgehenden Wache zu ihm zu senden, und ihm sein Weib, seine Kinder zu empfehlen. Ich habe Tiridates nie liebenswürder gesehen, als in dem Augenblick, wo er tief erschüttert und mit Thränen mir die Gefahr seines Freundes ankündigte, und mich bat, die unglückliche Frau auf die schreckliche Nachricht vorzubereiten, und sie in ihrem Schmerz nicht zu verlassen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und wir gelobten uns mit Thränen, Alles zu thun, was zur Rettung oder zur Erleichterung des edlen unglücklichen Paares in unserer Macht stand.

Ich ließ mich sogleich zu Theophanien führen. Ich fand sie in unbeschreiblicher Angst; denn Agathokles war vor mehreren Stunden fortgegangen, ohne daß sie wußte, wohin – aber in einer Fassung, die sie Alles fürchten ließ. Langsam und nach und nach ließ ich sie mehr errathen als hören, was geschehen war, und nun fing sie heftig an zu zittern, eine Todtenblässe überzog ihr Gesicht, und sie sank leblos von dem Stuhle herab. Es brauchte mehr als eine Stunde Zeit, bis sie wieder ein Zeichen des Lebens gab, dann aber wechselten Ohnmacht und halber Wahnsinn mit einander ab, und in diesem bedauernswürdigen Zustande ist sie noch. Die Aerzte fürchten sehr für ihr Leben, besonders wenn die erschütterte Natur den [55] Zeitpunkt, der ihr nahe bevorsteht, beschleunigen sollte. Ich habe mir vorgenommen, sie nicht zu verlassen, und werde es halten; es ist vielleicht der letzte Beweis wahrer, treuer Freundschaft, den ich meinem verlornen Freunde geben kann. Leb' wohl.

107. Agathokles an Phocion

107. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Mai 305.


Kerkermauern umschließen mich, ein matter Lichtstrahl fällt von oben herab durch das Gegitter, und beleuchtet sparsam den Brief – vielleicht den letzten, den ich an den treuesten ältesten Freund auf dieser Erde schreibe. An mein Weib, habe ich gestern geschrieben. Sie und mein Kind – bald vielleichtmeine Kinder! – sind die einzigen Gegenstände, die ich mit Schmerz verlasse, aber o mit welchem Schmerz! Das weiß nur der, der dies Herz so weich, so empfindlich für das unaussprechliche Glück der Liebe gebildet hat, der es ihm in vollem Maaße zu genießen gab, und es jetzt mit strengem Ernst von demselben abruft! Sein Wille geschehe!

Ich habe gethan, was meine Pflicht gebot. Kein Zweifel, keine Unruhe kommt in meine Seele. Da war nicht zu wählen, nicht anzustehen. Jede Stimme, selbst die der Liebe mußte verstummen. Es blieb kein Ausweg. Er oder ich! Fiel Constantin, so war alle Aussicht für die Verbesserung, die Rettung der Menschheit verloren, jede Hoffnung im Keim zerstört. Der wüthende Galerius behielt den Erdkreis in seinen blutigen Händen, das Christenthum würde, wo nicht vertilgt, doch jede seiner Segnungen vielleicht auf Jahrhunderte hinaus vernichtet seyn. Und was verlor die Welt an mir? Zwar weiß [56] ich, daß Theophaniens Herz brechen wird – aber es wird mit meinem brechen, wir werden uns wiedersehen! Zwei gebrochene Herzen, zwei Sterbende – für einen geretteten Erdkreis!

Ich verließ mein Weib, ohne ihr zu sagen, was ich vorhatte. Ganz wußte ich's in diesem Augenblicke selbst nicht, aber ich ahnete, daß mir ein großer Schritt bevorstand, und Alles auf einen schnellen Entschluß ankam. Ich traf alle Anstalten, um eine zweite Flucht Constantins zu sichern, dann öffnete mir mein Gold den Weg zu ihm. Ich fand ihn – vernichtet kann ich wohl sagen, und doch in manchen Augenblicken ganz muthvoll, Alles zu wagen, wenn nur die Riegel seines Gefängnisses gesprengt würden. Ich entdeckte ihm den Plan, den ich entworfen hatte. Er schauderte, es brauchte lange, bis die Ansicht, die Größe, die Gemeinnützigkeit jener Entwürfe, die seit zwei Jahren das leuchtende Ziel aller unserer Bestrebungen und Anstrengungen waren, aber seine Liebe zu mir und die Freundschaft siegte. Er ergriff meinen Mantel, hüllte sich ein, schloß mich mit dumpfen Seufzern an seine Brust, und entfloh. Die Thüre schmetterte krachend hinter ihm zu, und ich fühlte mich lebend begraben. Alles, Alles war für mich verloren. Theophaniens Bild trat in allen Reizen vor mich hin, ich – weinte, ich schäme mich nicht, es zu bekennen, mein Zustand grenzte an Verzweiflung.

Da fiel ein Strahl himmlischen Lichts in die umnachtete Brust. Himmlisch! Keine Vernunft, keine menschliche Ueberzeugung bewirkt diesen Frieden, diese Klarheit. Seitdem ist es stille in mir geworden. Ich weiß, was meiner wartet, ich weiß aber auch, welche helle Zukunft hinter [57] diesen dunkeln Stunden liegt. Ich sterbe nicht um meines Glaubens willen, wie so Viele, die mit blindem Eifer sich zur Marterkrone drängen, und in ihr vollen Ersatz für ein sonst unverdienstliches Leben und jede versäumte Pflicht finden. Ich sterbe für meinen Glauben, weil er das höchste Glück der Menschheit ist, weil nur durch seine Verbreitung das Glück allgemein werden kann, und weil – wenigstens so weit meine und vieler Erfahrnen Einsicht reicht, – nur in Constantin sich alle Eigenschaften vereinigen, um diesen Zweck siegreich auszuführen.

So muß auch jener Zweifel, der sich mir im Anfange zuweilen aufdrang, verstummen, als hätte blinde Freundschaft für Constantin mich hingerissen, die höhern Pflichten gegen Weib und Kind zu verletzen. Nein, ich liebe Constantin, ich liebe ihn mit aller Stärke, die Dankbarkeit, gleiche Gesinnung, und hohe Ueberzeugung von seinem Werth gibt; aber wie unendlich tiefer ist die Liebe zu dem engelgleichen Geschöpfe, das ich liebe, seit ich lebe, in das Innerste meines Wesens verwebt! O Theophania! Reines, liebevolles, ewig theures Weib! Von dir zu scheiden ist schwerer als zu sterben; dich zu verlieren, ist schon Tod für mich! Dennoch verlasse ich dich – denn meine Ueberzeugung befiehlt, und du selbst kannst mir nicht zürnen, wenn auch dein Herz darunter bricht.

Ich habe an Tiridates geschrieben, und ihn gebeten, sich ihrer anzunehmen. Er soll meinen Verlassenen Gatte und Vater seyn, bis eine glückliche Wendung der Umstände Constantin erlaubt, diese heilige Pflicht, die er mir im letzten Augenblicke vor Gott gelobt hat, zu erfüllen. Ich hoffe, Galerius wird sich mit meinem Leben begnügen, und die Schuldlosen nicht mit mir in's Verderben [58] ziehen. Ist aber keine Möglichkeit, den Wütherich zu erweichen, so führe eine schöne Stunde uns zusammen in ein besseres Leben, und der Tod wird keine Schrecken mehr für mich haben!

Phocion! Eine große Schwäche bleibt in meiner Brust zurück, und ich vermag nicht, sie ganz zu bekämpfen. Ist dem Sterbenden keine erlaubt? In manchen Augenblicken wünsche ich, daß der Tyrann mir die Schuldlosen nachsende, oder Theophaniens Zustand, der aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt bedenklich seyn muß, sie sammt dem ungebornen Pfand ihrer Liebe mit mir vereinige. O Theophania! Ich weiß ja, wie unglückselig dich mein Tod machen, wie freudenlos dein Leben ohne mich seyn wird! – Darf ich dir die Wohlthat nicht wünschen, mit mir zu sterben? So flisterte mir die Stimme der Selbstsucht zu, und ich habe nicht immer Kraft genug, sie schweigen zu heißen.

Ich habe auch an mein Weib geschrieben. Du kannst denken, daß ich keinen dieser selbstsüchtigen Wünsche laut werden ließ. Nur in deine Brust gießt sich mein volles blutendes Herz aus; aber diese Ergießung ist ihm unentbehrlich, in ihr allein liegt die Möglichkeit, dieses schreckliche Daseyn geduldig zu tragen, bis der letzte Streich gefallen ist. Vor diesem Augenblicke schreibe ich dir noch, wenn anders es mir vergönnt ist; denn wer weiß, wie lange mich meine Henker leben lassen werden.

108. Agathokles an Theophanien

[59] 108. Agathokles an Theophanien.

Nikomedien, im Mai 305.


Tiridates treue Freundschaft hat mir Nachricht von deinem Zustande gegeben, und durch ihn erhältst du diesen Brief. Mein Weib! Mutter meiner Kinder! Heilige, verehrte Namen, aber noch mehr – Christin und Bürgerin einer Welt, die auch an deine Kräfte Anspruch macht! Du leidest, du leidest unaussprechlich, und mein ist die Schuld dieser Schmerzen, mein Werk ist dein schrecklicher Zustand! Ich hätte dir ihn ersparen können, es war mein Entschluß, mein Wille, mich für Constantin zu opfern, und den Dolch in deine Brust zu stoßen, von dessen tödtlicher Schärfe ich überzeugt war!

Wärest du nicht die, die du bist, nimmermehr würde ich so mit dir sprechen, nimmermehr die unverhüllte Wahrheit vor einem blöden Auge erscheinen lassen, das ihre Strahlen nicht zu ertragen vermag. Ich hätte entweder den langen Klagen, den unerschöpflichen Thränen eines schwachen Weibes, oder den Vorwürfen eines heftig gereizten Gemüthes entfliehen, und sie in wohlthuender Täuschung lassen müssen. Das Alles habe ich von dir nicht zu fürchten. Du, meine Theophania! wirst weder das Schicksal, noch deinen Freund anklagen, in deiner zarten Seele ist Muth genug, Alles zu ertragen, was die Tugend dir zu ertragen gebeut!

Unsere Entwürfe sind dir bekannt. Vor dir hatte ich kein Geheimniß, auch das Wichtigste, das deiner weiblichen Bestimmung Fremdeste besprach ich mit dir, meinem ersten Freunde! Constantin, mit deinem Werthe bekannt, vertraute dir unbedingt, und du warst mehr als ein Mal Zeugin unserer Verabredungen, oft unsere kluge, sanfte [60] Rathgeberin. Aus das Alles führe ich dich geflissentlich zurück, um dir die Wichtigkeit, die unabänderliche Nothwendigkeit jener Maaßregeln anschaulich darzustellen, an denen du so lebhaften Theil nahmst. Jetzt galt es, entweder ihre segenreiche Erscheinung in der Welt, oder ihre gänzliche Vernichtung. Constantin war gefangen, Galerius hatte seinen Tod geschworen, er konnte ihn nicht leben lassen. Das wußte ich, du, er selbst – und eben so gut wußten wir, daß kein Mittel, als eine glückliche List, ihn befreien konnte. Ein Opfer mußte für das andre untergeschoben, und die Grausamkeit, der Hüter getäuscht werden. Das Alles stand klar vor mir, bei jedem Verzug war Gefahr. Dir entdeckte ich meine Absicht nicht, weil ich theils noch nicht recht über die Ausführung einig war, theils weil ich mein Herz vor dem großen Augenblicke der That nicht zu sehr erweichen wollte. Was hierauf geschah, weißt du. Ich sage dir nichts über meine Empfindungen, als Constantin entfernt, und mein Schicksal unwiderruflich beschlossen war.

Ein heißes Gebet, kindliche Unterwerfung, und kindlicher Glaube an Den, der auch freiwillig für seine Brüder starb, bewahrte mich vor Verzweiflung, und ich warf Mich gestärkt und ruhiger auf Constantins Lager, zog seinen Mantel über mich, und schien zu schlafen, als der Wächter kam, das Abendessen zu bringen. Vor dem folgenden Morgen durfte die Täuschung nicht bekannt werden, wenn nicht das Opfer vergeblich, und Constantin mit mir zugleich verloren seyn sollte. Am andern Tage, als ich Gewißheit hoffen konnte, daß Constantin in Sicherheit seyn würde, und keine Möglichkeit war, mich länger zu verbergen, gab ich mich dem Kerkermeister zu [61] erkennen. Er erstarrte. Ein seltsames Gemisch von Schrecken, Bedauern, Zorn und Achtung zeigte sich in seinen finstern Zügen. Er mußte es dem Augustus melden. Ich trieb ihn selbst an, seine Pflicht zu thun. Du bist verloren, sagte er. Ich wußte es ohne dies. Er ging, seitdem habe ich eine Art von Freund oder wenigstens einen innigen Theilnehmer an meinem Schicksal in ihm erworben. Es ist auch Trost – Trost, den der Himmel sendet!

Nun weißt du Alles, und in deine Brust, die ich zerrissen habe, lege ich meine Rechtfertigung. Kannst du wünschen, daß ich anders gehandelt hätte? Findest du Constantins und des Christenthums Alleinherrschaft zu theuer mit dem Opfer unsers ganzen Erdenglücks erkauft? Regt sich in deiner Brust ein Unwille, ein Vorwurf gegen mich, der es freiwillig zerstörte? Was hättest du mir gerathen, wenn es mir möglich gewesen wäre, dich vorher zu befragen?

Ich weiß deine Antwort, und so bin ich ganz ruhig; ich bitte dich nicht, mir zu vergeben, was du selbst mich thun geheißen hättest, was du in dem Augenblick, wo du dieses liesest, billigest und segnest. Du bist unaussprechlich unglücklich, ich weiß es, dein Leben ist vergiftet, nie wird eine heitre Stunde dich mehr beglücken, die Vergangenheit hat nichts als Qualen für dich, und die Zukunft starrt dich finster an, wie ein Grab. Dir wäre es besser, mit mir zu sterben; du wünschest es, das weiß ich, und wenn auf dieser Erde mir noch eine Freude erscheinen kann, so wäre es die, in deinen Armen zu vergehen. Dennoch fordere ich dich auf, zu leben. Ich fordere dich auf im Namen unserer Liebe, unserer Kinder, [62] unserer Pflicht, im Namen Gottes, der diese Pflichten von uns heischt. Nicht, weil ich das Leben für ein Gut halte – für dich ist es keines – nicht, weil ich an die Möglichkeit einer Heilung durch die Zeit für dich glaube – ich kenne dich, und weiß, daß deine Liebe und dein Schmerz mit deinem Wesen Eins geworden ist – aber weil es Pflicht ist, weil Gott dir Kinder gegeben hat, und in einem ernsten Augenblick ihr Glück von deiner Hand fordern wird, weil die Religion uns verbeut, den Platz zu verlassen, auf dem wir Gutes wirken können, weil endlich der leidende Christ in diesen Zeiten der Entnervung seinen Brüdern das Beispiel hoher Geduld und standhaften Muthes schuldig ist.

Du wirst leben, Theophania! du wirst Alles anwenden, dein Leben so lange zu fristen, als es möglich ist, um unsern Kindern ihre Mutter zu erhalten, bis sie erzogen sind, und deiner nicht mehr bedürfen. Dann folgst du mir gewiß, ein sanfter Tod löset die morschen Bande der längst erschütterten Hülle, die dein Geist ungern trug, und dein Freund, der dich unsichtbar umschwebte, der dein und unsrer Kinder Schutzgeist war, empfängt dich in den Auen des Friedens. O Augenblick der Wonne, wenn jede Pflicht erfüllt, jedes Opfer, auch das des langen Lebens gebracht ist, und du, zitternd vor Lust, in meine Arme eilst. Er kömmt, er kömmt gewiß, und bis dahin wollen wir ihn nicht beschleunigen, sondern verdienen.

Nun lehe wohl, Geliebte! diese Blätter werden nicht das letzte seyn, was du von mir erhältst. Ich hoffe dir noch einmal schreiben, vielleicht – dich noch einmal umarmen zu können. O mitten in den ernsten Gedanken welche die Nähe des Todes in mir weckt, schauert mein [63] Herz vor Freude bei der Hoffnung – ich werde dich hier noch ein Mal, und bald wieder sehen, ich werde dir meinen letzten Abschied, unserm Sohne den letzten Segen bringen!

109. Calpurnia an ihren Brüder Lucius

109. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im Mai 305.


Trübe und langsam schleicht die gelähmte Zeit hin, ein Tag reiht sich an den andern, keiner bringt Rettung, keiner Hoffnung, so thöricht auch oft das Herz auf eine Möglichkeit hofft, wo nicht die geringste Wahrscheinlichkeit einer Aenderung vorhanden ist. Galerius ist wüthend über den Ungeheuern Betrug, der ihm gespielt worden. Er hatte dem Constantin nachsetzen lassen, aber dieser hatte durch die kluge Standhaftigkeit seines Freundes bereits einen zu starken Vorsprung, und wir wissen sicher, daß er weit über Byzanz hinaus sich den Grenzen Illyriens nähert. Bis ihm dort die Diener, des Tyrannen nachfolgen können, hat er wohl schon Gallien, oder das Meer erreicht, und ist in Sicherheit. Nun fällt der ganze Zorn des Augustus auf seinen unglücklichen großmüthigen Freund. Er war im eigentlichen Sinne außer sich vor Wuth, er schäumte, brüllte, und mißhandelte Alle, die sich ihm näherten. Er befahl, Agathokles auf der Stelle das Urtheil zu sprechen, und ihn – mich schaudert, es zu schreiben – im Circus den wilden Thieren vorzuwerfen. Alle Freunde des Unglücklichen, alle bessern Menschen in Nikomedien fanden sich durch dies unmenschliche Urtheil empört, und vereinigten sich, dem Tyrannen Vorstellungen zu machen. Das würde indessen wenig gefruchtet haben, wenn nicht die Jovianer, deren Tribun [64] der edle Verurtheilte war, sich laute Klagen, und ganz unzweideutige Zeichen der Unzufriedenheit erlaubt hatten. Tiridates wagte, was seit Constantins Flucht Niemand gewagt hatte, er ging zu dem wüthenden Galerius nach Cäsarea, wo dieser sich gewöhnlich aufhält, und wußte ihm die üble Stimmung des Volks, den gährenden Unmuth der Leibwache, und die Gefahren, die das Alles für eine neue Regierung haben konnte, so geschickt vorzustellen, daß Galerius von seinem rachedürstenden Ausspruch abstand. Das Leben des theuern Freundes zu erbitten, war unmöglich. Alles, was Tiridates noch erhielt, war eine Frist von einigen Tagen, die Erlaubniß, Agathokles zu besuchen, und die Hoffnung, daß auch diesem vergönnt werden würde, sein unglückliches Weib und seine übrigen Freunde noch ein Mal zu sehen.

O wie lernt der Mensch genügsam seyn, wenn ihn das Unglück in seiner harten Schule erzieht! Wie schienen diese geringen Vergünstigungen uns so bedeutend! Wie freudig eilte ich zu der bedauernswürdigen Frau, um ihr diese Hoffnungen anzukünden, und ihr den Trost zu geben, daß Agathokles nicht ganz einsam und verlassen sey, daß mein Mann ihn täglich besuchen würde. Seit dem Augenblicke, wo sie durch mich die Schreckensnachricht hörte, war ich fast beständig bei ihr, und fand eine Art von Beruhigung und Erleichterung darin, Alles für die Gattin des edeln Unglücklichen zu thun, was in meiner Macht stand. Aber was vermag die treueste Freundschaft über einen so gerechten, so unendlichen Schmerz! Ich fürchtete wirklich für ihr Leben, und manchmal für ihren Verstand, bis endlich gestern ein Brief von ihrem Manne eine Veränderung bei ihr bewirkte, von deren Möglichkeit [65] ich keinen Begriff gehabt hatte. Eine Purpurrröthe übergoß die todtblassen Wangen, ein heftiges Zittern ergriff ihre Glieder, sie drückte den Brief mit stummem Entzücken an ihre Lippen, an ihre Brust, und ihr zum Himmel emporgeschlagenes Auge zeigte mir, daß sie ihrem Gott ein inniges Dankgebet brachte. Dann las sie, aber sie brauchte so lange, daß ich glaube, sie muß den Brief dreimal durchgelesen haben. Jetzt stürzten wohlthätige Thränen, die ersten, die sie seit der Zeit ihres Unglücks vergossen hatte, aus ihren Augen, und man sah deutlich, wie dieser Ausbruch ihr gepreßtes Herz erleichterte. Ich störte sie nicht, ich weinte still mit ihr. Als sie sich Luft gemacht hatte, stand sie auf, und sagte mit einer Würde und Festigkeit in Haltung und Ton, die ich lange nicht an ihr gesehen hatte: »Er hat mir geboten zu leben, so will ich ihm und der Tugend gehorchen, ich will das Leben ertragen.« Ich sah, daß sie aus dem Zimmer gehen wollte, ich unterstützte sie, und fragte, wohin sie wollte? »Zu meinem Sohne!« antwortete sie. »Der Vater befiehlt, mich für das Kind zu erhalten.« Ich bat sie ruhig zu seyn, und schickte um das Kind. Der Kleine kam. Die Scene, die nun vorfiel, wird nie aus meinem Gedächtnisse schwinden, sie war in demselben Grade erhebend und schmerzlich. Wahrlich, es muß ein großes Gefühl seyn, was diese Menschen Glauben nennen, denn es gibt ihnen mehr als menschliche Kräfte. Seit dem faßt sie sich mit einer Stärke und Geduld, die Alles übersteigt, was ich je gesehen habe. Sie pflegt ihr Kind, so viel es ihre Schwäche erlaubt, sie folgt allen Vorschriften des Arztes, sie spricht mehr, sie strengt sich sogar an, zu thun, als könnte sie an etwas Anderm Theil [66] nehmen. So hat sie gestern von Sulpicien zu sprechen angefangen, ich ergriff dies Gespräch gern, weil ich dachte, es wäre ihr nützlich, sich zu zerstreuen, aber mitten im Reden, wo vielleicht irgend ein Wort, eine Nebenidee sie an ihr Unglück erinnerte, verstummte sie plötzlich, brach in Thränen aus und schwieg.

Und das Alles ist Wirkung ihrer Liebe, ihrer Liebe zu einem Manne, der sie seinem Freunde so auffallend nachsetzt, und ihr Glück, ihr Leben für die Freiheit des Andern aufopfert! O welche unselige Macht der Leidenschaft! Und welcher ungeheure Mißbrauch, den Euer Geschlecht von der Gewalt macht, die hergebrachte Sitte und unsere zu große Nachgiebigkeit euch über uns einräumen! Eher wird kein Weib zum Besitz ihrer natürlichen Rechte kommen, bis sie es über sich vermag, den tiefgewurzelten, durch tausend Vorurtheile genährten Wahn auszurotten, daß wir nur in der Liebe, und also nur durch Euch glücklich werden können. Und wann wird diese goldne Zeit erscheinen, wo diese kühne Wahrheit allgemeine Ueberzeugung werden wird?

110. Theophania an Junia Marcella

110. Theophania an Junia Marcella.

Nikomedien, im Mai 305.


Agathokles stirbt. In wenig Tagen bin ich Wittwe. Ich setze nichts hinzu, du kannst meinen Schmerz ermessen, du weißt, wie ich liebte, obwohl du nicht weißt, wie ich geliebt wurde. Die um mich sind, fürchten für meinen Verstand, ich merke es wohl. O diese große Wohlthat wird mir nicht zu Theil, so wenig als der Tod!

Der Tod? Ich soll ja leben. Er will es. Ach sterben für den Geliebten, wer könnte es wagen, dies etwas[67] Schweres, Großes zu nennen? Es ist nichts – ein trüber Augenblick zum Preise unendlicher Freuden! Aber leben, leben ohne ihn, und auf sein Geheiß, das ist das Schwerste, was die Liebe fordern kann!

Wie ein weiter, düstrer, uferloser Ocean umgibt mich das Leben, in dem ich versinke ohne Hoffnung der Rettung, ohne Hoffnung des Todes. Es sind gute Menschen um mich, Calpurnia und ihr Gemahl; sie haben mir, und dem, den ich bald verlieren werde, viel Liebes, Herzliches erwiesen. Ihnen danke ich die einzigen Tröstungen, deren ich fähig bin, aber Calpurnia möchte mir gern noch andre geben. Ich kann sie nicht annehmen, denn ich kann sie nicht fassen. Sie ist vielleicht stärker als ich – vielleicht auch nur kälter.

Mein ganzes Wesen, jeder Gedanke, jede Regung ist ein unendliches Weh. So muß dem Menschen zu Muthe seyn in der Todesstunde, wenn sich die innigsten Bande des Lebens lösen, und der bessere Theil sich gewaltsam von der morschen Hülle losreißt. Auch meines Lebens innigste Bande lösen sich jetzt, mein besserer Theil schwebt verklärt und selig der Heimath zu, und läßt die todte Hülle im Grabe. Das ist die Welt für mich. Dort, dort ist Leben, wo er hingeht, und mich streng und unerbittlich zurückstößt!

Warum Agathokles stirbt, um welches Zweckes willen er mich, sich, unser Lebensglück opfert, kann ich dir jetzt nicht sagen; auch wage ich es nicht, in dieser Zeit so etwas einem Briefe anzuvertrauen. Calpurnia und der König glauben, er habe sich für Constantin geopfert, und die Welt urtheilt eben so. Es ist viel höher, viel schöner, [68] und mitten unter schmerzlichen Schauern muß ich seinen Entschluß billigen und verehren.

Er hat mir geschrieben. Dieser Brief kömmt nie wieder von meinem Herzen. Ich habe mich bestrebt, ihm eine Antwort zu senden, die seine unendliche Liebe für mich, seinen Edelmuth vergelte. Ich habe mich beherrscht, kein Wort der Klage ist mir entschlüpft, nur gegen dich öffnet sich das Herz, und mein Blut strömt gewaltsam aus den verhaltnen Wunden. O wenn nur er zufrieden mit mir ist, wenn nur der Gedanke, daß er mich ruhig gesprochen hat, auch Ruhe in seiner Seele verbreitet! Das zu bewirken, ist jetzt der Punkt, auf den alle Kräfte meines erschütterten Wesens gerichtet seyn müssen – seine letzten Augenblicke zu erheitern! O allmächtiger Gott! Agathokles letzte Augenblicke!

Er ist so jung, es lag ein so langes, so schönes Leben vor uns! Er entreißt sich ihm, und ich darf nicht klagen!

Leb' wohl, meine Junia! Leb' wohl. O warum bist du nicht bei mir! Wie wohlthätig wäre es mir in diesen Augenblicken, eine treue Freundin von ganz gleicher Sinnesart um mich zu haben! Calpurnia ist sehr gut, ich verkenne gewiß weder ihre Vorzüge, noch was ich ihr jetzt schuldig bin, aber sie ist keine Christin, und – sie ist Königin. Auf dem Thron verlernt sich so Manches, dessen das Herz in den Beziehungen des gewöhnlichen Lebens so sehr bedarf.

Ein Gerücht hat mir gestern verkündigt, Apelles sey in der Nähe, und halte sich in Nicäa auf. Tiridates, der, um des theuern Verlornen willen, mir innig wohl will, hat kaum meinen Wunsch errathen, als er schon einen Eilboten nach Nicäa abfertigte. O wenn Apelles [69] käme, mich in den Stunden, die mir bevorstehen, zu stärken, und zu erhalten, ich würde Tiridates treuer Freundschaft eine der größten Wohlthaten danken!

111. Theophania an Agthokles

111. Theophania an Agathokles.

Nikomedien, im Mai 305.


Ja, mein einzig geliebter Freund, ich werde leben. Du sollst dich nicht an mir getäuscht haben. Du befiehlst es, die Tugend befiehlt es durch dich. Glaube nicht, daß je der frevelhafte Gedanke in meine Brust gekommen sey, mein Daseyn gewaltsam abzukürzen; aber daß ich gewünscht habe zu sterben, das kannst du, das kann Gott selbst nicht dem schwachen zerrissenen Herzen zur Schuld anrechnen.

Jetzt werde ich aber auch diesen Wunsch unterdrücken; er könnte zu lebhaft werden, und Unterlassungen erzeugen, die mittelbar auf jenen Zweck hinwirkten. Ich werde nicht zu sterben wünschen, bis unser Sohn erzogen, bis des Vaters vielgeliebtes hohes Bild in seiner Seele noch ein Mal dargestellt ist. Ich werde Muth haben zu leben, und den Entschluß, den du gefaßt hast, zu billigen. Du sollst mich nicht umsonst deinen einzigen Freund nennen. Ich werde dein Zutrauen rechtfertigen, es erhebt mich über meinen Schmerz, über mich selbst, über mein Geschlecht. Ja, Agathokles! du hast recht gethan – ich klage nicht.

Was ich fühlen muß, wie öde mein Leben ist, weißt du. Du kennst mich, vor dir lag von jeher meine ganze Seele offen, ich könnte dir diese Gewißheit nicht entziehen, selbst wenn ich es aus falscher Großmuth wollte; aber ich gelobe dir bei unserer Liebe, bei unserm Kinde, [70] bei Gott, der unsere Herzen für einander gebildet hat, und dessen heiligen Willen ich selbst in dieser Trennung erkenne, daß ich dies öde Leben ertragen werde.

Mit fester Zuversicht erwarte ich von Gott die Kraft, welche mir hierzu nöthig seyn wird. Er hat sie dem redlichen Willen, der kindlichen Unterwerfung noch nie versagt, und ich werde viel brauchen!

Noch ein heißer Wunsch liegt in den Tiefen meines bekümmerten Herzens. Ich möchte dich noch ein Mal sehen, nur ein Mal, ein Mal noch auf dieser Erde! Ich habe etwas Wichtiges, sehr Ernstes mit dir zu sprechen – Etwas, was schlechterdings keinem Briefe, keinem, auch noch so treuen fremden Munde anzuvertrauen ist. Gern würde ich zu dir kommen, es ließe sich leicht thun, in Männerkleidern, als Tiridates Sclave, dem ja deines Kerkers Thore sich stets öffnen; aber – ich weiß, ich erschrecke dich nicht, und sage dir auch nichts Unerwartetes – meine Gesundheit hat etwas gelitten, und ich sehe nicht ohne Besorgniß der Erscheinung eines Wesens entgegen, das unter solchen Umständen geboren, entweder das Licht gar nicht sehen, oder ein trauriges Daseyn nicht lange genießen wird. So sagen es mir die Aerzte vor, und ich gehorche ihnen, denn ich gehorche dir, deinem Wunsch nach meiner Erhaltung. Es ist aber gewiß nicht unmöglich, selbst von dem grausamen Galerius die Erlaubniß zu erhalten, unter allen möglichen Vorsichtsmaaßregeln, die deine Henker nach Gefallen nehmen mögen, dein Weib, dein Kind, vielleicht deine Kinder, von denen du keinen Abschied nahmst, nur ein Mal noch zu sehen. Ich habe Tiridates gebeten, sich für diesen heißen Wunsch zu verwenden, ich habe an meine Valeria [71] geschrieben, diese Bitte ihrem Vater vorzutragen; vielleicht erhalten wir sein Fürwort. Dem Vater, dem Wohlthäter so vieler Cäsarn, wird doch der begünstigte Sohn, dem er erst das ungeheure Geschenk der unumschränkten Herrschaft machte, diese Nachgiebigkeit nicht verweigern. Fürchte diese Zusammenkunft nicht, auf meine Gesundheit wird sie gewiß keine nachtheilige, auf mein Gemüth die beste Wirkung haben; auch sollst du keine zaghaften Klagen, keine unerschöpflichen Thränen sehen. Nur sehen, nur sehen muß ich dich noch ein Mal, noch ein Mal die theuern Züge mit heißen Blicken betrachten, in mich aufnehmen, noch ein Mal den Ton deiner Stimme in meinem Innern wiederhallen hören, noch ein Mal Stärke, Freudigkeit, Ruhe und Kraft, ach! für eine lange, einsame Zukunft aus deinem Umgange schöpfen! Schlage mir diese letzte Bitte nicht ab, sie ist heilig, wie die Bitte einer Sterbenden. Ist es denn nicht Tod, nicht mehr als Tod, wenn unser besseres Selbst von uns scheidet? Und über dies, es hängt davon eine Erfüllung ab, die mir unendlich theuer, so theuer wie meine Seligkeit ist.

Du kömmst gewiß, ich weiß es, du kömmst. Aber noch Eins, geliebter Freund! Ich habe besondere Ursachen, um zu wünschen, daß du nicht ohne heilige Vorbereitung kommest, ich wünschte, daß du deine reine Seele auch von dem kleinsten irdischen Flecken vorher reinigen, und dich in die Verfassung setzen möchtest, um das Abendmahl würdig zu empfangen. Forsche nicht um die Ursache dieser Bitte; du wirst Alles erfahren, und du trauest mir zu, daß ich nichts Unbilliges fordern werde, nichts, was [72] deiner und derjenigen unwürdig wäre, die den Stolz genießt, dein Weib zu seyn. Leb' wohl – Leb' wohl!

112. Valeria an Theophanien

112. Valeria an Theophanien.

Byzanz, im Mai 305.


Unglücksgefährtin! Empfange den einzigen Trost, den ich dir geben kann, diesen Brief meines Vaters an den Galerius! Mein unendliches Mitleid, meine Thränen hattest du seit dem Augenblick, als Constantin auf seiner Flucht durch diese Gegenden heimlich und unerkannt zu meinem Vater kam. O gütiger Gott! Was ist das für eine Welt, was sind das für Menschen! Ist es denn der Mühe werth zu leben, um unter Larven zu wandeln, die die hohlen Gesichter nach Gefallen auf diese oder jene Seite wenden, wie es die Rolle fordert? Ich war so glücklich, ehe ich diese Welt kannte, die mich nun auf ein Mal mit ihren kalten feindlichen Armen ergreift und drückt, und peinigt.

Constantin sprach mit aller Macht der Beredtsamkeit für seinen unglücklichen Freund bei meinem Vater. Er hat, er beschwor ihn, sein Ansehen dahin zu verwenden, daß ihm Galerius Freiheit und Leben schenke. Er stirbt für mich! rief er ein Paar Mal in einem Ton, der mir durch die Seele drang. Sein Schmerz war unverstellt, und der Schmerz eines Mannes, eines Feldherrn wie Constantin, erschüttert tiefer, als das Leiden gewöhnlicher schwächerer Menschen. Aber ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren: Warum hast du ihn sterben lassen, warum hast du es zugegeben? Für dich hatte der Thron höhern Werth als die Liebe!

[73] Das ist das Unglück der Welt, daß ihr die Liebe so wenig gilt. O liebten die Menschen, wie sie sollten, wie Jesus Christus geliebt hat, wie er uns zu lieben befahl! Mit dieser Liebe, die Alles trägt, Alles duldet, nie das Ihrige sucht, und nie zu ermüden ist, was könnte die Erde seyn! Aber Constantin sucht auch das Seinige, und über dem Suchen verliert der edelste Freund das Leben, und das beste Weib auf Erden ihr ganzes Glück. So dachte ich mit Bitterkeit, und wandte mich von Constantin ab.

Mein Vater – du glaubst nicht Theophania! wie viel schöne Gelassenheit in diesem Charakter liegt, den vielleicht nur der hohe Platz, auf dem er stand, der Menge unkenntlich machte – schien wirklich gerührt von Constantins Bitten. Aber o mein Gott! was ist das für eine Welt? muß ich wieder ausrufen. Er erklärte ihm gerade zu, er könne wenig oder nichts thun. Ich bin nicht mehr Kaiser, sagte er, und der bloße Name ohne Gewalt vermag nichts über die Menschen, in deren Herzen die Dankbarkeit keine Stimme hat. Constantin reiste ab, wie er gekommen war, tief gebeugt, verkleidet, und in größter Eile. Nun übernahm ich sein Geschäft, aber mein Vater hieß mich schweigen mit jenem Ernst, den ich nur zu wohl kenne, und ich sah, daß nichts zu hoffen war. Indessen kam ein Brief des Königs von Armenien an ihn, und deiner an mich. Nicht Rettung, das erkanntet ihr unglücklichen Freunde des edlen Gefangenen wohl selbst für unmöglich, aber Aufschub, und die Erlaubniß, daß Agathokles dich und sein Kind noch ein Mal sehen dürfte, verlangtet ihr mit tiefer Wehmuth. Dies Mal war Diocletian tief gerührt, besonders durch [74] deinen Brief, den ich ihm gab. Er schrieb an Galerius, und ich schließe den Brief bei, den er mir freundlich und mit dem Wunsche gab, daß er etwas bewirken möchte. Nun eile ich, ihn dir zu senden. Der Eilbote wartet, und zu unsrer Abreise nach Salona sind alle Anstalten getroffen. Ich setze nichts hinzu, um theils jenen nicht aufzuhalten, theils weil ich nichts zu sagen weiß, was deinen tiefen Schmerz nicht noch tiefer machen müßte. Leb' wohl.

113. Apelles an Junia Marcella

113. Apelles an Junia Marcella.

Nikomedien, im Mai 305.


Ein Brief des Königs von Armenien hat mich schnell hieher beschieden, um deiner unglücklichen Freundin den kleinen Trost zu bringen, dessen sie fähig ist, den Trost des Umgangs mit einem Glaubensgenossen. Ich habe sie sehr gebeugt, aber ganz in den Willen der Vorsicht ergeben gefunden. Vorgestern gab sie wider alles Vermuthen – denn Jedermann fürchtete für sie und ihr Kind – einem gesunden, schönen Mädchen das Leben, und befindet sich so wohl, als es in ihrer Lage möglich ist. Sie folgt mit kindlichem Zutrauen jeder Vorschrift des Arztes, jedem Wunsch, den ihre Freunde für ihre Gesundheit äußern. Du kennst die Quelle dieser Sorgfalt, und wirst die Gewalt, die sie über sich selbst hat, in diesem sonst so zarten Wesen mit mir bewundern.

Gestern war der merkwürdige Tag, wo endlich, nachdem der abgegangene Augustus, Tiridates, der Präfekt der Jovianer, und viele andere Menschen von Bedeutung sich bei dem Galerius verwendet hatten, dem Gefangenen die Erlaubniß zu bewirken, daß er seine Frau [75] noch ein Mal sehen dürfte – dieser traurige Besuch Statt hatte. Theophania begehrte am Morgen zu beichten. Ich fand dies Begehren etwas seltsam, da ihr körperliches Befinden nicht die mindeste Veranlassung dazu gab; doch wollte ich ihr die Beruhigung nicht versagen. Sie verrichtete die heilige Handlung mit Heiterkeit und Stärke. Als die Stunde nahte, wo sie ihren Gemahl erwartete, sah ich sie unruhig werden, sie erblaßte bei jedem Geräusch, wurde zerstreut und immer ängstlicher und ängstlicher. Da trat die Königin ein. Ein kleines Zittern, das ich trotz ihrer gehaltenen Fassung an ihr bemerkte, eine ungewöhnliche Blässe in ihrem blühenden Gesichte kündigte mir den gefürchteten Augenblick an. Sie näherte sich Theophanien, und sagte mit mühsam erzwungener Gelassenheit, daß Agathokles wahrscheinlich bald kommen würde. Er kommt! rief Theophania jetzt mit einer fürchterlichen Heftigkeit, die ich nie von ihr gesehen hatte – er kommt! O mein Gott! – Calpurniens Zittern nahm immer mehr zu. Du kennst, meine Freundin, fuhr sie langsam fort, die armselige Furcht des Tyrannen, er glaubt sich seines Opfers nicht sicher genug. Es sind zwei Offiziere vorausgekommen, die Befehl haben, zu untersuchen, ob hier keine Möglichkeit, kein Anschlag zur Befreiung vorhanden sey. O laß sie kommen, rief Theophania – sie sollen thun, was sie wollen, was sie müssen, aber mich laß nur nicht lange auf ihn warten! Calpurnia ging, und kam sogleich mit zwei Centurionen wieder, die mit größter Achtung die Kranke um Entschuldigung ihrer schweren Pflicht baten, und dann das Zimmer und die Umgebungen schonend, aber aufmerksam untersuchten. Hierauf stellte sich der Eine außerhalb der zweiten Thüre, [76] die in ein andres Gemach führte, der Zweite ging zurück, um Agathokles herein zu führen. Jetzt richtete sich Theophania auf, sie zitterte, daß ihre Hände zusammenschlugen, eine Leichenblässe bedeckte ihr Gesicht, während ihr Auge vor Freude strahlte. Beinahe eben so zitternd hielt die Königin sie umfaßt. Nun hörten wir außer der Thüre eine Kette fallen, dann noch eine, die beiden Frauen schrieen laut auf – und Agathokles trat ein. Theophania nannte seinen Namen mit einem heftigen Schrei, und beugte sich mit ausgebreiteten Armen gegen ihn; er stürzte auf sie zu, und schloß sie fest an seine Brust. Nun riß sich die Königin laut schluchzend von der Gruppe los, und eilte in's andere Zimmer. Ich folgte ihr, sie warf sich auf das Ruhebette, und weinte heftig, ohne zu sprechen, ohne etwas anzuhören, was ich ihr zu sagen versuchte.

Im Zimmer der Gatten war Alles still und ruhig. Nach einer Stunde ungefähr rief mich ein Sclave, ich ging hinein. Welche Veränderung in der kurzen Zeit! Still, gefaßt saß Theophania an die Brust ihres Mannes gelehnt, eine himmlische Freude war über ihre Züge ausgegossen, das jüngere Kind lag in ihrem Arm, das ältere hing an des Vaters Hand, und spielte mit seinem Gewande. Agathokles Gesicht trug neben den Spuren eines mühsamen Kampfes alle Zeichen erstrittener Ruhe, und männlicher Kraft. Nur wenn sein Blick auf die Kinder fiel, durchzuckte ein wehmüthiger Zug sein Gesicht, und er sah mitleidig auf seine Frau. Er reichte mir die Hand entgegen. Wir sehen uns zum zweiten Mal in einer wichtigen Minute, sagte er, und ich werde dir dies Mal, wie das erste, hoch verpflichtet seyn. Theophania [77] ersuchte mich, ihr und ihrem Gemahl das heilige Abendmahl zu reichen, das sie noch nicht empfangen hatten. Er ist vorbereitet, fügte sie hinzu, als ich sie etwas befremdet ansah. Die Kinder wurden entfernt, und die beiden Gatten empfingen mit Rührung und allgemeiner Fassung die heilige Speise. Agathokles stand vom Boden auf, wo er gekniet hatte, und jetzt sah ich, daß er zitterte, und sich an dem nebenstehenden Tisch anhalten mußte, sein Gesicht wurde zusehens blässer, sein Auge war starr auf die Wasseruhr 1 geheftet, die ihm gegenüber an der Wand stand. Der Offizier trat ein, und erinnerte ihn, daß die Zeit, die ihm vergönnt war, vorüber sey. Vorüber! rief Theophania, und alle Unruhe und Heftigkeit der vorigen Stunden kam wieder in ihr Gesicht. Vorüber! wiederholte er mit dumpfer Stimme: »Ich komme den Augenblick!« Er verneigte sich gegen den Centurio, der das Zimmer alsogleich verließ, und ich ging aus der andern Thüre, um es der Königin zu melden, wie sie mir befohlen hatte. Ich sah sie erstarren, sie stand auf, aber sie bedurfte meiner Unterstützung, um den Porticus hinab bis in's Atrium zu gehen, wo wir Agathokles bereits wieder gefesselt an einer Säule gelehnt fanden. Dumpfe Laute, halb Seufzer, halb Schluchzen, tönten einzeln und heftig aus seiner Brust. Calpurnia winkte uns, sie einen Augenblick mit ihm allein zu lassen – ich ging mit den Centurionen, die ihr ehrfurchtsvoll gehorchten, hinaus. Bald darauf kam Agathokles mit [78] bleichem verstörten Gesicht aus dem Atrium, er trat zu mir, bot mir die Hand, und empfahl mir seine Frau, seine Kinder. Die Offiziere naheten sich ihm, er eilte rasch in ihrer Mitte fort.

Theophania fand ich ohne Bewußtseyn, und sie hat seitdem nur wenig helle Augenblicke gehabt. Wenn es erlaubt wäre, so etwas zu wünschen, so würde ich ihr vom Himmel zu erbitten suchen, daß dieser Zustand der Bewußtlosigkeit bis über jenen fürchterlich-ernsten Augenblick dauern möge, dem Agathokles in der künftigen Nacht entgegen geht; denn längern Aufschub von Galerius zu erhalten, war unmöglich. So bald ich dir etwas Besseres oder Bestimmteres zu schreiben habe, sollst du Nachricht erhalten.

Fußnoten

1 Die Alten hatten, um die Zeit zu messen, keine Uhren wie die unsrigen, sondern bedienten sich der Sonnen-, Wasser- und ähnlichen Uhren, in welchen eine bestimmte Quantität Materie in einer bestimmten Zeit ablief, wie z.B. in unsern Sanduhren.

114. Agathokles an Phocion

114. Agathokles an Phocion.

Nikomedien, im Mai 305.


Die letzte Stunde naht, und mit vollem Bewußtseyn, in der Fülle der Jugend und Gesundheit, gehe ich ihr entgegen. Es ist seltsam, es ist ganz anders, wenn in des Greisen verwelktem Körper sich längst Alles zur Auflösung neigt, und die letzte Stunde nur der letzte Tod ist; 1 anders, wenn eine Krankheit die künstliche Maschine zerstört, oder gewaltsam zerrüttet, und in peinlichen Gefühlen, oder dumpfer Betäubung der letzte Augenblick ein Leben endet, das diesen Namen nicht mehr verdient. Morgen um diese Zeit bin ich todt! Das konnte ich mir, das müssen sich viele tausend Menschen sehr oft denken, denn wer weiß, wie lange ihm zu leben [79] bestimmt ist; aber im gewöhnlichen Leben mischt sich die Vorstellung der Ungewißheit und die tägliche Erfahrung des Gegentheils mächtig zu diesem Gedanken, und er verliert sich in ein dunkles Vielleicht, das nur bei dem Ernsteren eine lebhaftere Betrachtung des Todes, und den Entschluß erzeugt, stets wachsam und vorbereitet zu seyn.

Ich weiß aber bestimmt, daß morgen um diese Zeit meine letzte Stunde bereits vorüber, und der dunkle Vorhang aufgezogen seyn wird, der die Geheimnisse der Geisterwelt vor unsern Blicken verhüllt. Morgen um diese Zeit ist dieser Körper, in dem ich jetzt noch denke, handle, als eine starre, kalte Masse zu nichts gut, als in dem Schooß der Erde in seine Elemente zurückzukehren. Agathokles ist nicht mehr. Sein Wirken hat aufgehört, kein Freundesauge erblickt ihn mehr, kein Ohr vernimmt den Ton seiner Stimme.

Und der Geist? – Mit Entsetzen wendet sich in diesen ernsten Augenblicken die schaudernde Seele von dem Gedanken der Vernichtung hinweg, hinweg von allen spitzfindigen Systemen der Philosophie, und umfaßt mit Innigkeit und kindlichem Glauben die trostvollen Verkündigungen der Religion. Ja, ich werde leben! Noch sehe ich die Bedingungen meines künftigen Seyns nicht ein. Wir stehen aber vor der geschlossenen Pforte, und quälen und mühen uns ab, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten zu ersinnen; wie es aber seyn wird, ob der Blindgeborne sich eine richtige Vorstellung von den Farben hat machen können, die, wenn sein Auge geöffnet wird, mit der Wahrheit übereinstimmt? Das ist eine Frage, die der menschliche Verstand beinahe mit Gewißheit verneinen kann. Alles, was wir mit großem Rechte erwarten[80] können, ist, daß es dem, dessen Wille redlich war, besser gehen muß, als hier.

Und war mein Wille redlich? – Ja, er war es. Dies Zeugniß gibt dem Sterbenden sein Gewissen, und in diesen furchtbaren Augenblicken fällt jede Maske, auch die der Selbsttäuschung. Ich habe eine große Idee im Herzen getragen, ich habe ihrer Verwirklichung Alles aufgeopfert, was Menschen theuer ist. Habe ich geirrt, so trage ich die Schuld der Menschheit. Aber ich habe nicht blos mein, ich habe noch eines andern – über Alles edeln Wesens Glück auf jenem ernsten Altar geschtachtet – das Glück meines Weibes! – Durfte ich das? – O barmherziger Gott! Wenn ich das nicht durfte! – Wenn jene Idee dieses Opfers nicht werth war! Wenn – mein Geist verliert sich in Zweifel und Unruhe, und ist in solchen Augenblicken der Verzweiflung nahe – aber leuchtend und siegreich erhebt sich der Gedanke wieder: Mein Wille war gut, und wie der Leitstern den Schiffer in stürmischen Nächten, führt er mich aus Angst und Dunkel heraus in lichte Klarheit und stillen Frieden.

Mein Zeitliches ist besorgt. Ich habe an Constantin geschrieben, und ihm noch ein Mal mein Weib und meine Kinder empfohlen, wenn er einst das Ziel erreicht, zu dem er rasch hinstrebt. Mein Grab ist die erste Stufe, von der er sich mächtig aufwärts schwingt – so habe ich wohl ein Riecht, seinen Schutz anzusprechen.

Tiridates und Calpurnia, die edlen Freunde, deren Liebe ich so viel verdanke, haben mir thätige Hülfe versprochen, sie haben sich angeboten, meine Wittwe, meine Waisen mit sich in ihr Reich zu nehmen, wenn ich es wünschte, wenn ich sie dort vielleicht sicherer glaubte. [81] Aber Theophania sehnet sich, den Rest ihrer Tage unter Christen, an der Seite einer langgeprüften Freundin, die sie vor Jahren hat kennen lernen, zuzubringen? Welchen Schutz kann ihr auch ein bundesverwandter König gewähren, wenn es dem blutigen Galerius einfiele, seine Wuth und Rache auch auf sie auszudehnen? Ist wohl Bundesgenosse mehr, als ein tönender Name für Unterthan? So wird sie in Apamäa nicht weniger sicher seyn, als in Ecbatana; sie ist seinen Augen entrückt, das ist alle Sicherheit, die sie hoffen kann.

Ich habe sie noch ein Mal gesprochen, und meine Kinder noch ein Mal gesegnet. Nächtlich und furchtbar, und dennoch, so unaussprechlich theuer kehrt die Erinnerung an diese heilige Stunde nur zu oft in meine Seele zurück. Zu oft! denn ich soll ruhig seyn, ich soll, durch keine irdische Bande mehr gefesselt, nur der Vorbereitung auf die große Zukunft leben. Aber das Herz behauptet mit unwiderstehlicher Kraft sein Recht. Ich liebe, Phocion! jetzt an der Schwelle der Ewigkeit liebe ich stärker als je, denn höher als je steht das Bild meines Weibes vor mir!

Gestern ward es mir vergönnt, sie zu sehen. Mit hochschlagendem Herzen trat ich den Weg an. Im Atrium erblickte ich von Weitem die Königin, aber sie floh bei meinem Anblicke in's Innere des Hauses. Ich folgte langsam mit heimlichem Beben, da öffnete sich die Thüre, und Theophania, bleich, zitternd, in fürchterlicher Bewegung, sank schreiend an meine Brust. Calpurnia entfloh zum zweiten Mal schluchzend, und ließ mich mit der Ohnmächtigen allein. Meine Liebe, meine Stimme brachte sie zu sich selbst, und nun begann eine Scene, deren Erinnerung[82] noch in jener Welt mein Herz zerreißen wird, wenn anders dort unsre Empfindungen den irdischen gleichen.

Selbst tiefgebeugt, selbst von dem Anblicke Alles dessen, was ich so heiß liebte, und so bald verlassen sollte, verwundet, mußte ich Stärke für sie und mich haben, ich mußte ihr Trost zusprechen, ich mußte sie zur Ergebung bereiten. Es gelang doch. O der ernste Wille ist allmächtig, er ist der Gott in unserer Brust! Und, Phocion! bei dieser reinen Seele, bei diesem kindlichen Glauben an Gottes weise Fügung, bei diesem heiligen Streben nach dem Guten, um des Guten willen, war es nicht so schwer, als ich fürchtete. Sie begriff mich, sie faßte sich, sie war fähig, ihre Gedanken von sich selbst hinweg auf etwas Andres zu richten, und wieder jene schöne Gluth zu empfinden, die oft in unvergeßlichen Stunden, wenn Constantin und ich mit ihr von unsern Planen sprachen, ihre Seele begeistert hatte. Sie war nicht blos Gattin und liebendes Weib, sie war Christin im erhabensten Sinn des Worts. Ach, sterben für ein Ideal – für einen großen, Menschen beglückenden, Plan – es ist schwer, es ist groß, wenn man Geliebte zurückläßt! Aber leben, leben ohne dich – rief sie, indem sie mich heftig umschlang – das ist weit schwerer, es ist unaufhörlicher Tod! Ich fühlte die Wahrheit dieser Klage, und dieser Ausdruck der Liebe und des Schmerzens überwältigte mich, ich hielt meine Thränen nicht zurück. Sie sah sie fließen. Jetzt umfaßte sie mich noch inniger, und bei dem herben Schmerz der Trennung, bei dem Bewußtseyn, wie elend wir Beide ohne einander seyn würden, beschwor sie mich, ihr eine Bitte zu gewähren, die sie schon [83] lange im Herzen trüge, die allein es ihr möglich gemacht habe, ihr Leid zu ertragen. Ich versprach es ihr unbedingt; denn was konnte dies reine Gemüth wohl verlangen, was nicht mit der Tugend übereinstimmte? Schüchtern und behutsam, in leisen aber kühnen Muthmaßungen über die Möglichkeit des Zusammenhangs im Geisterreiche über den Zustand nach dem Tode, über die Macht der Sympathie, entwickelte sie zu meinem Erstaunen ein schönes seltsames System, das aus christlichen und platonischen Ideen zusammengesetzt, mich durch seine Consequenz überraschte, und in mir zugleich die süßesten Hoffnungen erregte, deren Wahrscheinlichkeit ich nichts entgegen zu setzen wußte, als den Mangel an solchen Erfahrungen. Nun drang sie mit heißer Liebe in mich, ich sollte ihr versprechen, wenn es möglich wäre, ihr sichtbar zu erscheinen, oder falls dies außer den Grenzen meiner Macht wäre, sie doch nie zu verlassen, und um sie und unsre Kinder zu schweben, damit sie den süßen Trost genieße, meine Gegenwart zu ahnen, und vielleicht in jenen leisen Einwirkungen, wie aufmerksame Fromme sie wohl kennen, gewahr zu werden. Ihre Schwärmerei riß mich hin, es war mir in diesem Augenblicke mehr als möglich, es war mir beinahe gewiß, daß wir uns einander so nahe bleiben könnten – und – noch ist der hohe Zauber dieser Hoffnungen nicht entkräftet, und weder Philosophie noch Religion erheben sich siegreich gegen sie. So laß sie mich halten und pflegen. Morgen um diese Zeit ist Alles klar.

Ich hatte meinem Weibe den heiligen Schwur gethan; aber ich sollte auch das Abendmahl mit ihr zugleich zur Besieglung dieses Bundes empfangen. Dies, hoffte sie, [84] würde mein Versprechen unwiderruflich, und für die Geisterwelt bindend machen. Ich versprach ihr auch dies – o was hätte ich diesem so liebenden, durch mich so tief verwundeten Herzen versagen können! Nun ganz zufrieden, ganz gefaßt ließ sie unsre Kinder bringen. Sie legte mir das jüngste, das ich noch nicht gesehen hatte, in die Arme, ich sollte es segnen. Welch' ein Augenblick für das Vaterherz! Dies Kind, das in der Geburt schon verwaiset war, jener hoffnungsvolle Knabe, dessen Erziehung der süßeste Wunsch meines Herzens gewesen war, dieses Weib, an deren Seite zu leben, seit meiner Kindheit mir die höchste Stufe irdischer Seligkeit geschienen hatte – und nun Alles – Alles das verlassen und aufgeben zu müssen!

Es erhob sich ein Sturm in meiner Seele; aber Ein Blick auf mein Weib, das still und ergeben das Kind am Mutterbusen hielt, auf dies Gesicht, im das ich den Frieden zurückgeführt hatte, gab mir Kraft, ihn nicht wieder zu zerstören. Jetzt trat Apelles ein, er reichte uns das Abendmahl. Vielleicht war es seit seiner Einsetzung nicht mit mehr Wehmuth und Rührung empfangen worden! Auch hier schied der Liebende von Geliebten in Erwartung eines nahen gewissen Todes.

Als ich aufstand, fiel mein Blick auf die Wasseruhr. Die letzte glückliche Stunde auf Erden war vorüber. Der Offizier trat ein, und jetzt war meine und Theophaniens Standhaftigkeit dahin. Mit einer krampfhaften Heftigkeit umschlangen wir uns und wünschten und dachten Eins an des Andern Brust zu vergehen. Ich drückte die Kinder an mein Herz, es schien mir unmöglich, mich loszureißen, das Verhängniß gebot – der Centurio kam zum zweiten [85] Mal – Theophania sank mit einem lauten Schrei in Ohnmacht, ich legte sie in die Arme ihrer herbei geeilten Sclavinnen, und floh.

Im Atrium fand ich mich wieder schluchzend an eine Säule gelehnt, als eine bekannte Stimme mich beim Namen rief. Es war die Königin, auf dem ernsten Wege zum Tode erschien sie mir noch ein Mal. Sie winkte den Zeugen, sich zu entfernen, sie trat auf mich zu, schlug ihre Arme um mich, und gestand mir, daß sie mich von dem ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an geliebt, daß sie mich jedem andern Manne vorgezogen habe, und daß ich ihr noch jetzt über Alles in der Welt theuer sey. Welcher Moment, zu welchem Geständniß! So war ich bestimmt, zwei der edelsten Herzen zu brechen! Und warum sagte sie mir das? Warum goß sie diesen bittern Tropfen noch in die Schale, die ohnedies so voll war? Das hätte Theophania nicht vermocht. Sie hätte ihr Geheimniß mit in's Grab genommen, wenn seine Enthüllung dem Freunde so schmerzlich seyn mußte.

Aber ich habe ihr verziehen, ich ehre ihre Vorzüge, und danke ihr die Liebe und Sorge für mein theures unglückliches Weib, gleichviel aus welcher Quelle sie fließen mag.

Und so ist mein Tagwerk vollendet. Mit Scheu, aber dennoch mit Zuversicht nahe ich mich dem Throne des allsehenden Richters. Unendlich ist unsre Schwäche, aber auch seine Güte ist unendlich, und wenn auf der richtenden Wage die schimmerndsten Tugenden in nichtigen Staub zerflattern, und so mancher geheime Gedanke in schrecklicher Blöße vor uns stehen, und wider mich zeugen wird – dann flüchtet der zagende Sohn des Staubes zu dem erbarmenden Vaterherzen; denn von dem Blut, das auf [86] Golgatha strömte, floß auch ein Tropfen der Entsühnung für mich. Das ist unser Erbtheil – wir sind Erlöste!

Nun lebe wohl, theurer Phocion! Wenn du diese Tafel in deiner Hand halten wirst, ruht meine Hülle längst im Schooße der Erde, und die Verwesung verzehrt die Gestalt, unter welcher dein Freund, dein Schüler, dir erschien. Aber, er stirbt dir nicht! Auch jenseits wird ihn dein Andenken begleiten, und der Dank für so manche mir geweihte Stunde, so manche Lehre, und so manches wirksamere Beispiel wird in jener Welt vielleicht noch reiner und stärker gegen dich entglühen. Am offenen Grabe laß ihn mich dir noch ein Mal wiederholen, mein Lehrer, mein zweiter Vater! und sey versichert, wenn es die Vorsicht erlaubt, und die furchtbaren Gesetze der Geisterwelt, so wird nicht Theophania allein ein Zeichen meines Daseyns erhalten.

Es ist Mitternacht. Die kleine Lampe, die mir leuchtete, erlischt – so erlischt bald mein Leben. Ich gehe zur Ruhe, der Schlaf behauptet seine Rechte auf den erschöpften Körper – morgen schläft er einen unweckbaren. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Mors non ultima venit, quae rapit ultima mors est.

Seneca.

115. Calpurnia an ihren Bruder Lucius

115. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

Nikomedien, im Mai 305.


Es ist vorüber – er ist todt! In der Nacht dem Auge des Volkes verborgen, weil man kleinherzig die Rache der Jovianer fürchtete, floß das edelste Blut, das je vielleicht auf der Erde ein menschliches Herz bewegt hatte. Ich habe mich seines Betragens nicht zu rühmen. Manche meines Geschlechts würde nie verziehen haben, was er an mir that; dennoch sage ich mit Stolz, ich habe [87] ihn geliebt, wie ich noch nie einen andern Mann geliebt habe, wie ich nie einen lieben werde.

Zwei Tage vorher sah ich ihn zum letzten Mal. Er kam, Abschied von seiner Frau zu nehmen. Und wenn ich Titons 1 Jahre erreichte, so würde keine Zeit die Erinnerung dieses Anblicks aus meiner Brust vertilgen, wie er bleich, gefesselt, aber in diesen Fesseln stolz und frei zwischen den Centurionen in's Atrium trat. So mögen einst die gefangenen Könige vor den Wagen der Triumphatoren gegangen seyn. Das Herz wendete sich mir in der Brust, ein ungeheurer Schmerz zerriß mein Innerstes. Ich eilte zu Theophanien – ich wollte Zeugin des Wiedersehens seyn. Er folgte mir auf dem Fuße, in meiner Seele wiederhallte der Klang seiner Ketten. Er trat ein, er stürzte mit dem Ton des wildesten Schmerzens in die Arme seines Weibes. Ich wurde gar nicht bemerkt, und entfloh, denn es war mir nicht möglich, hier auszuhalten.

Eine tödtlich lange Stunde verschlich – die schwerste in meinem Leben, bis man endlich kam, mir zu melden, daß sich Agathokles entferne. Ich hatte es verlangt, denn ich wollte ihn noch ein Mal sprechen. Ich eilte in's Atrium. Da stand er an einer Säule gelehnt, ich rief ihn, er hörte mich nicht, nur einzelne Töne des Schmerzens drangen aus seiner Brust hervor. Meine Liebe erwachte in ihrer alten Macht; ich eilte auf ihn zu, und schlang die Arme um ihn. Was hatte ich zu fürchten! [88] Er stand am offenen Grabe, und nahm mein Geheimniß mit sich. Er sah sich nach mir um, und eine Mischung von Erstaunen und sanfter Rührung malte sich in den zerstörten wilden Zügen. Er wollte seinen Arm um mich schlagen, seine Ketten verhinderten es, ich schlang sie um mich, und so von klirrenden Fesseln umgeben, und selbst durch die Seltenheit dieser Lage noch mehr gespannt, warf ich mich von Neuem an seine Brust. Lange vermochte er nicht zu sprechen – endlich fand er Worte, und dankte mir für die Liebe und Sorgfalt, die ich seiner Frau, für die Freundschaft, die ich ihm bis an seinen Tod bewiesen. Nicht Freundschaft, hub ich mit ernster fester Stimme an, nicht Freundschaft! Agathokles! Der Tod hebt alle Verstellung auf, und ich kenne deinen Edelmuth. Laß mich dir ein Geständniß thun, das ich unter keinen andern Umständen gewagt haben würde, lerne mich ganz kennen, und dann beurtheile den Werth dessen, was ich für dich that. Ich habe dich geliebt, Agathokles! von dem ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an mit leidenschaftlicher Wärme geliebt! – Ich schwieg, und sah ihm ernst in's Gesicht.

Er schlug die Augen nieder, und ließ die Arme sinken, die Ketten klirrten wieder, und ihr Schall klirrte in meiner Brust nach. Ein schmerzhaftes Lächeln zuckte um seinen Mund. So habe ich denn auch deinen Kummer mir vorzuwerfen! fing er nach einer Pause an. Vergib, Calpurnia! Er reichte mir die Hand. Vergib, wenn ich manche Stunde deines schönen heitern Lebens getrübt habe, wenn ich dich mißverstand, wenn vielleicht mein Betragen selbst dich berechtigte, mich falsch zu deuten! Vergib!

[89] Diese Antwort war mir unerwartet. Ich schwieg verlegen. Es ward klar und kühl in meiner Seele, der Rausch des Enthusiasmus war verschwunden – aber ich mußte ihn achten. Ich reichte ihm die Hand, und sagte mit Herzlichkeit: »Glaube nicht, Agathokles, daß diese Erklärung so gemeint war. Ich mache dir keine Vorwürfe – ich habe nichts zu vergeben.« Er drückte meine Hand an sein Herz: »Du bist immer gütig, immer freundlich! Habe Dank für jede schöne Stunde, die ich in deinem Umgange genoß, für jeden Beweis der Freundschaft, den du mir und meinem Weibe gegeben hast! Entziehe sie der Unglücklichen nicht, nimm sie als deine Freundin, als mein einziges theuerstes Vermächtniß auf!« Mit Thränen der innigsten Rührung, aber gewiß ohne Leidenschaft, gelobte ich ihm, Theophanien als meine Schwester zu betrachten. Ich war jetzt wirklich seine Freundin geworden. O was hätte der Mann aus mir machen können, wenn keine frühere Verbindung eine unübersteigliche Kluft zwischen uns eröffnet hätte! Und er ist todt! –

Tiridates und Apelles, ein christlicher Priester, waren den letzten Tag viel bei ihm. Er war gefaßt, und sogar heiter, wenn die Rede nicht auf seine Frau fiel. Den Abend wendete er an, um Briefe zu schreiben, legte sich dann schlafen, und schlief noch sehr ruhig, als Tiridates gegen den Morgen in sein Gefängniß trat. Die Lictoren kamen bald darauf. Eine leichte Bewegung ward in Agathokles Zügen sichtbar, dann stand er ruhig auf, umarmte seine Freunde, gab Tiridates ein letztes Lebewohl an seine Hinterlassenen auf, und folgte den Lictoren. Seine vertrauten Sclaven empfingen ihn an der [90] Thür des Gefängnisses, die Treuen wollten ihren geliebten Herrn noch ein Mal sehen. Er redete gütig mit ihnen, gab den Meisten die Freiheit, und verwies sie auf sein Testament, das er im Kerker geschrieben hatte, und jetzt Tiridates übergab. Dann bestieg er das Todesgerüste, betete mit stiller Rührung – und so verließ der Schatten des edelsten Mannes die Erde, die seiner nicht werth war! O mein Bruder! Nie, nie wird dieser ungeheure Verlust seinen Verlassenen, seinen Freunden ersetzt werden!

Theophania war, seit dem Abschied ihres Mannes, wenig bei sich gewesen, wir wünschten sehr, daß dieser Zustand noch eine Weile dauern, und die traurige Catastrophe ihr unbewußt vorübergehen möchte. Aber es ist seltsam, obwohl es nichts als Zufall seyn kann; in der Nacht seines Todes, gegen den Morgen fuhr sie auf ein Mal aus dem Schlummer empor, nannte seinen Namen, sah uns Alle starr an, und sagte: Jetzt ist er todt. Wir suchten ihr diese Vorstellung zu benehmen, sie blieb ruhig auf ihrer Behauptung, fragte, welche Zeit es wäre, und schwieg zuletzt mit einem sonderbaren Lächeln. Als Apelles eintrat, sagte sie ihm die Stunde, in der ihrer Meinung nach ihr Mann geendet hatte. Er war erstaunt, denn sie traf ziemlich mit der Wahrheit zusammen. Apelles mußte ihr alle Umstände, jeden Blick, jedes Wort, jede Bewegung ihres Gemahls wiederholen. In dieser traurigen Beschäftigung, die mir so ganz zweckwidrig vorkam, schien sie Trost zu suchen, und fand ihn wirklich. Seitdem ist sie sich immer gegenwärtig, sie faßt sich mit unglaublicher Kraft, sie ist still, beinahe wortlos, aber sie ist bei Weitem nicht so gebeugt, und zernichtet, als ich [91] es bei ihrem Charakter fürchtete. Woher kommt diesem sonst so zagenden Wesen dieser Muth, woher die Kraft, ohne den zu leben, der ihr einst so ganz unentbehrlich zu ihrem Daseyn schien? Sollte ich glauben, daß dies die Wirkung der Schwärmerei, der Religion sey? Wie kann sie das? Wie kann der Glaube an die Götter, oder an einen Gott solche Umwandlungen, solche Wunder hervorbringen? Wenn es aber wirklich so ist, so muß die Religion der Christen von ganz anderm Einfluß auf die Gemüther seyn, als die unsrige.

Tiridates und ich haben ihr angeboten, sie mit nach Ecbatana zu führen; denn ich liebe – und verehre sie wirklich, und ihre Gesellschaft wäre mir äußerst erwünscht. Sie zieht aber vor, nach Syrien zu einer Freundin zu gehen, die sie lange kennt und liebt, und mit der viele alte Bande, auch der Religion, sie verknüpfen. Hiergegen konnte ich nichts einwenden, – und so sehe ich mit Wehmuth dem Augenblicke der Trennung entgegen. Es wird mich schmerzen, von Allem zu scheiden, was einst dem theuren Freund noch angehörte, und nichts – gar nichts mehr für ihn an seinen Verlassenen thun zu können. Ach ich fand bei dem unendlichen Verlust einen kleinen Ersatz darin, das, was ich ihm nicht seyn konnte, den Seinigen zu werden! O Lucius! Er war mir so viel, so viel! – Noch kann ich mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß er todt ist, noch kann ich es nicht fassen, daß ich ihn nie – nie wieder sehen soll!

Leb' wohl, lieber Bruder! Sobald Theophania im Stande ist, ihre Reise anzutreten, brechen auch wir auf. Mein Vater geht nach Rom zurück, und ich habe es geschworen, die Umgebungen dieser Stadt, in der das edelste [92] Blut vergossen ward, deren Annäherung mir nichts als Unheil gebracht hat, nie wieder zu betreten.

Fußnoten

1 Titon, Aurorens Gemahl der von den Göttern zwar das Geschenk der Unsterblichkeit, aber nicht der ewigen Jugend erhielt, und daher endlich aus Mitleid in eine Heuschrecke verwandelt wurde.

116. Apelles an Junia Marcella

116. Apelles an Junia Marcella.

Nikomedien, im Junius 305.


In drei Tagen, meine theuerste Freundin, wird unsre arme Theophania sich mit ihren Waisen auf den Weg zu dir machen, und ich werde sie begleiten. Seit dem Tode ihres Mannes habe ich sie wenig verlassen, und vielfach Gelegenheit gehabt, die geheime Kraft ihrer Seele, und ihre Ergebung in den Willen des Schöpfers, und ihres Gemahls zu bewundern. Er hat sie gebeten, zu leben – er hat gewünscht, daß sie sich für ihre Kinder erhalte. Das war genug für sie. Das Daseyn ist ihr unzweifelbar eine drückende Last, alle ihre Gedanken wohnen im Grabe, und dennoch hat sie sich aufgerafft, und ihre liebsten Neigungen bekämpft, und ihre Gesundheit gepflegt, wie wenn das Leben das wünschenswertheste Gut für sie wäre. Sie spricht oft und am liebsten – und fast nur von ihm – und diese Gespräche dienen nicht, wie in ähnlichen Fällen, ihren Zustand zu verschlimmern, sie scheinen vielmehr ihre gepreßte Brust zu erleichtern. Ach, ihre Wunden können nicht aufgerissen werden, denn sie haben noch keinen Augenblick aufgehört zu bluten!

Darum kann ich auch kein langes Leben für sie hoffen, und ich müßte wahrlich die Selbstsucht bis zur Grausamkeit treiben, wenn ich es ihr wünschen könnte. Wir und ihre Kinder werden unendlich durch ihren Tod verlieren, denn wie ein guter Geist waltet sie sanft, beruhigend und erheiternd, selbst jetzt in allen ihren Schmerzen unter uns, und die fremdartigsten Gemüther bezwingt und [93] fesselt ihre unwiderstehliche Güte, ihr tiefer innerlicher Werth. Aber sie ist nur mehr halb auf dieser Erde. Ihre bessere Hälfte, so sagt sie selbst, ist hinübergegangen, und der traurige Rest muß verwelken, wie der Baum abstirbt, dem ein Sturmwind oder die Art des Landmanns alle seine Aeste geraubt, und den größten Theil des Stammes zersplittert hat. So lange die matten Säfte noch auf-und absteigen, grünt die Rinde noch, und sprossen noch einzelne Blätter hervor; aber jeden Frühling weniger, und immer weniger, bis, wenn einst der Wanderer kömmt, und ihn sucht, er ihn dürr und abgestorben findet, und mitleidig die morschen Ueberbleibsel zu den längst gefällten Theilen gesellt.

Nur ein Punkt ist außer ihren Kindern auf der Welt, der ihr lebhafte Theilnahme einflößt – Constantins Schicksal. Sie hat vor zwei Tagen durch den König einen Brief von ihm erhalten. Er ist Augustus. Als er an der gallischen Küste ankam, fand er seinen Vater schwer krank, und im Begriff, sich nach Britannien bringen zu lassen. Kaum in Eboracum angelangt, starb er in den Armen seines Sohns. Die Legionen standen keinen Augenblick an, zwischen dem würdigen Sohne ihres geliebten Kaisers, und irgend einem Fremden, den ihnen Galerius aufdringen würde, zu wählen, und riefen ihn einmüthig zum Augustus und Imperator aus. 1 Dies Alles meldete ihr Constantin mit der Genauigkeit und dem edlen Zutrauen eines Freundes, und in dem Ton eines Mannes, dem ein doppelter Verlust für diesen Augenblick den Glanz des Purpurs verdüstert, und ihn für nichts als den Schmerz für Vater und Freund empfänglich gemacht [94] hat. Theophania ergriff diese Nachrichten mit Wärme, ja ich kann sagen mit Heftigkeit. Sie brach in Thränen aus, faltete die Hände und schlug den leuchtenden Blick zum Himmel. O mein Agathokles! rief sie dann mit lebhafter Zärtlichkeit: Du hast es gewußt! Du weißt es auch jetzt – und das ist dein Lohn!

Sie entfernte sich bald darauf, und schloß sich in ihr Zimmer ein. Lange darauf kam sie sehr bleich, und wie es schien, erschöpft, aber mit einer unaussprechlich milden Heiterkeit wieder zu uns. Ihre Thränen floßen beinahe den ganzen Abend, aber es schienen keine Thränen des Unglücks zu seyn. Ueberhaupt ist es zuweilen, als hätte sie Tröstungen, die weit über unsre Begriffe und alle Macht der menschlichen Natur erhaben wären. Ihr scheint Agathokles nicht ganz todt zu seyn, sie fühlt sich manchmal nicht völlig von ihm getrennt; es ist, als beglücke sie noch ein unsichtbares Band, als walte ein geheimnißvoller Zusammenhang zwischen ihnen. Ich kann nicht bestimmen, wie vielen Antheil an diesen Vorstellungen, Religion, Schwärmerei, Wirklichkeit, oder ein durch so lange heftige Leiden geschwächter Geist hat. Sey es immer Wahn – er ist wohlthätig für sie, und ich werde mich sehr hüten, ihn durch Zergliederung und Vernunftschlüsse zu zerstören. Und wer von uns kennt denn die Gesetze der Geisterwelt, und die unerforschten. Kräfte der Natur? Wer wagt es auszusprechen, daß eine seltsame, unerhörte Sache, darum nicht möglich sey, weil sie bisher noch nicht in dem Kreis unserer Erfahrungen lag? Die höchste Weisheit ist, zu bekennen, daß wir hierüber, wie über so viele andere Dinge, Nichts wissen, und so müssen wir wünschen und hoffen, daß unsere unglückliche Freundin [95] diese beruhigenden Vorstellungen so lange hege und nähre, bis es dem Schöpfer gefällt, die schwachen Bande zu lösen, die ihren Geist an die welkende Hülle binden, und sie ganz und auf ewig mit dem zu vereinigen, mit dem ihr Wesen, seit ihrer Kindheit, nur Eins ausgemacht hat, und von dem sie, wie es beinahe scheint, selbst der Tod nicht völlig zu trennen vermochte.


So weit die Geschichte des unglücklichen Paares, die der Inhalt dieser Blätter war. Sechs Jahre darauf starb Galerius; aber nur erst nach einem langen Zwischenräume von Kampf und Elend, nachdem mehr als sechs auf einander folgende Auguste und Cäsarn um die Herrschaft der Welt gestritten und geblutet hatten, ging aus Krieg und Zerrüttung über den stillen Gräbern der ersten Opfer für Constantins Rettung jener Zeitpunkt von Ruhe und stille hervor, um dessentwillen so Vieles geschehen, und so manches edle Herz gebrochen worden war.

Constantin wurde Herr der ganzen römischen Welt. Er verlegte den Sitz der Regierung nach Byzanz, das er mit vieler Pracht zur Hauptstadt erhob, und nach seinem Namen Constantinopel nannte. Das Christenthum, als die laut bekannte Religion des Kaisers, ward bald herrschend im ganzen Staate, alle spätern Versuche, sie zu stürzen, waren vergeblich, und die Nachwelt kennet die Folgen dieser wichtigen Veränderung aus der Geschichte.

Fußnoten

1 Geschichtlich nach Gibbon.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Pichler, Karoline. Roman. Agathocles. Agathocles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-74B3-B